Jedes Jahr erkranken in Deutschland bis zu 2.400 Menschen erstmalig an der amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Bislang gibt es keine Therapie, die die Progression der Erkrankung effektiv aufhält. Umso wichtiger sind begleitende Therapien, die dem individuellen Krankheitsverlauf angepasst werden. Ein mögliches Symptom der ALS ist eine muskuläre Spastik, die nicht nur schmerzhaft sein kann, sondern auch Bewegungen, insbesondere das Gehen beeinträchtigt. Die Behandlung einer Spastik kann daher die Lebensqualität deutlich verbessern, ist jedoch nicht ganz einfach.
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine progrediente, degenerative Erkrankung der motorischen Nervenbahnen. Allein in Deutschland sind schätzungsweise 6.000 bis 7.000 Menschen betroffen (Prävalenz). Erkrankungsbeginn ist meist nach dem 50. Lebensjahr. Die Überlebenszeit beträgt durchschnittlich 3-6 Jahre; jedoch kann sie auch 10-20 Jahre betragen (in ca. 5-10%). Anfangs bemerken die Patienten oft Störungen der Feinmotorik der Hände, im Verlauf breiten sich die motorischen Funktionsstörungen aus, so sind dann auch die Beine betroffen, aber auch das Sprechen, Kauen, Schlucken sowie die Atemmuskulatur [1, 2, 3].
„Der Verlauf der ALS ist sehr variabel und das Symptomspektrum ist relativ weit gefächert, je nachdem, ob das erste oder das zweite Motoneuron stärker betroffen ist“, erklärt Professor Dr. Volker Dietz aus Zürich. Insgesamt ist das zweite Motoneuron häufiger betroffen, dabei kommt es zu Muskelschwund (Atrophie) mit Muskelschwäche und schlaffen Lähmungen. Bei vorwiegender Beteiligung des ersten Motoneurons kommt es dagegen zu muskulärer Spastik mit erhöhter Muskelspannung und Muskelsteifheit, auch krampfartige Schmerzen sind möglich. Eine Spastik stört nicht nur die Feinmotorik, sondern auch die Gehfähigkeit, was zu Stürzen und zunehmender Behinderung führt. Die Behandlung einer Spastik kann daher die Lebensqualität der betroffenen ALS-Patienten deutlich verbessern. „Die Behandlung spastischer Symptome bei ALS ist nicht einfach, die Therapie besteht in der Kombination verschiedener Maßnahmen, dazu gehören in erster Linie Physiotherapie bei mobilen und deren Kombination mit Medikamenten bei immobilen Patienten“, erklärt Prof. Dietz. Die verfügbaren antispastischen Substanzen können die spastische Muskulatur zwar entkrampfen und so die Beweglichkeit verbessern, sie gehen aber auch mit Nebenwirkungen wie verstärkte Müdigkeit einher. „Außerdem bewirken muskelrelaxierende Medikamente häufig eine unerwünschte Muskelschwäche, die bei gleichzeitig vorhandenem Muskelschwund Lähmungen verstärken kann.“
Die Behandlung sollte also immer multimodal erfolgen. Für die Therapie einer Spastik im Rahmen der Multiplen Sklerose ist ein Cannabis-Kombinationspräparat als additive Therapie zugelassen. Nabiximols enthält Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) in standardisierten Mengen (2,7 mg THC und 2,5 mg CBD pro 100 µl – einem Sprühstoß entsprechend) und wird rasch über die Wangenschleimhaut resorbiert. Es scheint also folgerichtig, diese Therapieoption auch bei ALS zu evaluieren – dies hatte die kürzlich in „Lancet Neurology“ publizierte CANALS-Studie („Cannabinoide bei ALS“) zum Ziel [1].
Die von der „Italienischen Forschungsgemeinschaft für ALS“ an der Universität Mailand initiierte randomisierte, doppelblind-placebokontrollierte Phase-II-Studie wurde an vier italienischen Zentren durchgeführt. In der Studie wurden 60 erwachsene Patienten mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) randomisiert, die seit mindestens drei Monaten an spastischen Symptomen (mindestens zwei Muskelgruppen mit einem Score von ≥1 auf der modifizierten Ashworth-Skala) litten und seit mindestens 30 Tagen eine definierte antispastische Therapie erhielten. Die Patienten wurden computergestützt 1:1 randomisiert und erhielten für sechs Wochen entweder Nabiximols oder Placebo. In den ersten 14 Tagen dosierten bzw. steigerten die Patienten das Spray nach einem vorgegebenen Therapieschema (maximal 12 Sprühstöße in 24 Stunden); danach blieb die Dosis über vier Wochen konstant. Primärer Endpunkt war die Änderung des modifizierten Ashworth¬Score innerhalb der sechs Wochen.
Ausgewertet wurden 29 Patienten aus der Nabiximols-Gruppe und 30 aus der Placebogruppe. Der modifizierte Ashworth-Score verbesserte sich in der Nabiximols-Gruppe signifikant um durchschnittlich 0,11; in der Placebogruppe sank er dagegen um durchschnittlich 0,16 (p=0,013). Während der sechs Studienwochen gab es keine Therapieabbrüche, Nabiximols wurde gut vertragen, Nebenwirkungen traten nicht auf.
„In vielen medizinischen Bereichen, die mit schmerzhafter Muskelspasmen einhergehen, erweisen sich Cannabinoide inzwischen als Alternative, wenn herkömmliche Therapien nicht oder nicht ausreichend ansprechen“, kommentiert Prof. Dietz. Die DGN schließt sich daher der Ansicht der Autoren dieser “proof-of-concept”-Studie an, dass nun größere klinische Phase-III-Studien folgen sollten, damit eine Cannabinoid-Therapie künftig auch für geeignete Situationen bei ALS legal zur Verfügung steht.
Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)
Literatur
1. https://www.dgm.org/muskelerkrankungen/amyotrophe-lateralsklerose-als
2. https://www.neurologienetz.de/fachliches/erkrankungen/neuro-muskulaere-erkrankungen/amyotrophe-lateralsklerose/
3. https://www.lateralsklerose.info/als_die-krankheit/als_symptome/
4. Riva N, Mora G, Sorarù G et al. Safety and efficacy of nabiximols on spasticity symptoms in patients with motor neuron disease (CANALS): a multicentre, double-blind, randomised, placebo-controlled, phase 2 trial. Lancet Neurol 2019 Feb;18(2):155-164
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