Einleitung
Am 10. März 2017 ist in Deutschland das „Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ in Kraft getreten. Mit diesem Gesetz ist es Ärzten künftig gestattet, Cannabisblüten und Extrakte aus Cannabis mittels Betäubungs-mittel (BtM)-Rezept zu verordnen. Mit diesem nun in Kraft getretenen Cannabisgesetz erfolgte eine Umstufung von Cannabis aus Anlage I in Anlage III des BtMG, sodass Cannabis seither zu den verkehrs- und verschreibungsfähigen Substanzen zählt.
Historischer Überblick und Entdeckung des Endocannabinoidsystems
Kulturhistorisch betrachtet ist Cannabis keine neue Arzneipflanze. Es gibt Hinweise, dass Cannabis bereits vor tausenden von Jahren von China über Ägypten bis hin zu Indien, dem antiken Griechenland sowie im alten Rom in zahlreichen Kulturen bei verschiedenen Erkrankungen eingesetzt wurde [1]. In Europa umfasste das Einsatzgebiet von Medikamenten auf Cannabisbasis zum Ende des 19. Jahrhunderts die Behandlung von Schmerzen, Spastik, Asthma, Schlafstörungen, Depressionen und Appetitlosigkeit [2]. Vergleicht man die Anwendungsgebiete Cannabis-basierter Medikamente von damals mit den heutigen, so sind deutliche Überschneidungen erkennbar. Zu diesen gehören beispielsweise die Behandlung von Schmerzen, Appetitlosigkeit sowie Schlafstörungen.
Mit der 2. Internationalen Opiumkonferenz in Genf im Jahre 1925 hat sich die Situation jedoch weltweit verändert. Der Einsatz von Cannabis als Arzneimittel wurde mit der Begründung eines nicht nachweisbaren medizinischen Nutzens verboten [3]. Im Jahre 1961 wurde das Verbot durch die UN-Konvention [4] auf jeglichen Einsatz ausgeweitet.
In Deutschland wurde im Dezember 1971 das bis dahin geltende Opiumgesetz durch ein neues
„Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz, BtMG)“ [5] ersetzt. Blüten oder Fruchtstände der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen sowie Cannabisharz wurden in „Anlage I“ des BtMG aufgenommen. Die hier klassifizierten Stoffe galten als nicht verkehrsfähig und nicht verschreibungsfähig. Weiterhin wurde ihnen ein hohes Abhängigkeitspotential und ein nicht nachweisbarer medizinischer Nutzen zugeschrieben. Im Jahr 1981 wurde Anlage I des BtMG auf Wurzeln, Stiele und Stängel sowie im Jahr 1998 auf Hanfsamen - sofern für den illegalen Anbau bestimmt - ausgeweitet.
Aufgrund dieser Gesetzeslage verloren Medikamente auf Cannabisbasis nahezu vollständig an Bedeutung, auch weil es lange Zeit nicht gelang, die pharmakologisch aktiven Inhaltsstoffe der Pflanze Cannabis sativa L. zu extrahieren und zu synthetisieren.
Erst 1964 wurde die chemische Struktur des wichtigsten psychoaktiven Inhaltstoffes von Cannabis, das (-)-trans-Delta-9-Tetra-hydrocannabinol (THC), identifiziert [6]. Dies und die nachfolgende Entdeckung eines körpereigenen Cannabinoidsystems sowie deren spezifische Liganden und synthetisierenden Enzyme ebneten die weltweite intensive Forschung zur Funktion des sogenannten Endocannabinoidsystems.
Cannabis und Cannabinoide
Cannabis sativa L. ist der wissenschaftliche Name der Gattung Hanf. Vor allem die Blütenstände der weiblichen Pflanzen können – je nach Sorte – eine Vielzahl pharmazeutisch interessanter Inhaltsstoffe enthalten. Das psychoaktive und am besten untersuchte Cannabinoid der Pflanze ist das (-)-trans-Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC), dessen Gehalt sich bei den unterschiedlichen Cannabissorten mit 1% bis 22% erheblich unterscheiden kann. Die Hanfpflanze enthält zudem eine große Anzahl weiterer Phytocannabinoide, die bisher in keiner anderen Pflanze entdeckt wurden, u. a. Cannabidiol (CBD) und Cannabinol (CBN). Hinzu kommen mehrere 100 Substanzen, deren Bedeutung bislang noch nicht gänzlich geklärt ist. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass die sogenannten Terpene als weitere Pflanzeninhaltsstoffe offenbar die Wirkung der Cannabinoide modulieren können. Dies würde erklären, warum Patienten zum Teil den Eindruck haben, dass das Rauchen von Cannabisblüten z. B. besser wirke als die Einnahme einzelner Cannabinoide. Einen Beleg hierfür gibt es derzeit jedoch noch nicht, so dass anhand künftiger Studien untersucht werden muss, bei welchen Indikationen Cannabinoide am besten wirken, am verträglichsten und insgesamt zu bevorzugen sind. Übrigens sind es die Terpene – und nicht etwa Cannabinoide – die den typischen Hanfgeruch verursachen.
Mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes können nun neben den bereits bisher verschreibungsfähigen einzelnen Cannabinoiden und Cannabis-Extrakten auch Cannabisblüten - die geraucht, mittels Verdampfer inhaliert oder oral eingenommen werden können – verordnet werden.
Einzelne Cannabinoide
- (-)-trans-Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC)
- Dronabinol ist der internationale Freiname für THC und wird oft im Zusammenhang mit der arzneilichen Anwendung in der wissenschaftlichen Literatur verwendet. Dronabinol ist bereits seit 1998 in Deutschland verkehrs- und verordnungsfähig, aber für keine Indikation zugelassen. Daher wurden die Kosten bisher von den gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) i.d.R. meist nicht erstattet.
- Cannabidiol (CBD), wirkt nicht psychotrop und fällt damit nicht unter das BtM-Gesetz sowie der GKV-Erstattungsfähigkeit.
- Nabilon (synthetischer THC-Abkömmling), zugelassen zur Behandlung von therapieresistenter Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Krebs-Chemotherapie.
Cannabis-Extrakte
- Nabiximols (Extraktmischung aus THC:CBD=1:1), zugelassen zur Behandlung von Patienten mit Spastik aufgrund von Multipler Sklerose (MS).
- Blütenextrakte Darüber hinaus gibt es weitere Cannabinoid-Antagonisten und Modulatoren des Cannabinoid-Systems, die aber derzeit auch international außerhalb von Studien noch nicht zur Verfügung stehen.
Wirkungsweise von Cannabinoiden und Cannabis-basierten Medikamenten
Ein Grund für das breite Wirkspektrum von Cannabis und Cannabis-basierten Medikamenten besteht im körpereigenen Cannabinoidsystem, dem Endocannabinoidsystem (Abbildung 1). Mit der Identifikation sowie strukturellen Aufklärung eines zentralnervösen Cannabinoid-Rezeptors, dem Cannabinoid-Rezeptor 1 (CB1) im Jahre 1990 [7] und dem drei Jahre später identifizierten Cannabinoid-Rezeptor 2 (CB2) [8], konnte erstmals die weitreichende Wirkung von Phytocannabinoiden und Cannabis-basierten Wirkstoffen erklärt werden.
Während CB1-Rezeptoren hauptsächlich im zentralen Nervensystem (ZNS) lokalisiert sind und dort in den für die Körperbewegung und das Lernen verantwortlichen Hirnregionen wie den Basalganglien, im Cerebellum und im Hippocampus in besonderer Dichte auftreten [9], befinden sich CB2-Rezeptoren vornehmlich in der Peripherie und auf Immunzellen [10]. Im ZNS interagiert das Endocannabinoidsystem ferner mit den verschiedensten Neurotransmittern, wie Acetylcholin, Dopamin, γ-Aminobuttersäure (GABA), Histamin, Serotonin, Glutamat, Noradrenalin, Prostaglandinen und
Opioiden.
Die beiden wichtigsten körpereigenen Cannabinoide (sogenannte Endocannabinoide) N-Arachidonylethanolamid (AEA), später auch als Anandamid bezeichnet, und 2-Arachidonylglycerol (2-AG) wurden in den frühen 1990er Jahren identifiziert [11,12]. Endocannabinoide werden vom Körper nach Bedarf synthetisiert und durch die beiden spezifischen Enzyme Fettsäureamidhydrolase (engl. fatty acid amid hydrolase, FAAH) und Monoacylglycerol Lipase (MAGL) schnell wieder hydrolysiert.
Die Besonderheit des Endocannabinoidssystems besteht hauptsächlich in seiner „neuromodulierenden Wirkung“ als retrogrades Messenger-System (Abbildung 2). Während die Wirkweise von CB1-Rezeptoren in den letzten Jahren umfassend untersucht wurde, ist die molekulare Wirkung von CB2-Rezeptoren weniger gut verstanden. Präsynaptisch lokalisierte CB1-Rezeptoren können sowohl durch endogene (z. B. AEA und 2-AG) als auch exogene Liganden (z. B. THC) aktiviert werden. Die Folge ist eine Verminderung der präsynaptischen Transmitterfreisetzung durch die Beeinflussung zentraler Elemente neuronaler Signaltransduktionswege, wie der Adenylatzyklase, Ionenkanälen und der MAP-Kinase (engl. mitogen-activated protein kinases). Auf Motorneuronen hemmen Cannabinoide durch ihre Wirkung als retrograder Botenstoff die motorische Aktivität. Daraus resultiert die Hypothese, dass Cannabinoide auch zur Behandlung hyperkinetischer Bewegungsstörungen eingesetzt werden können.
Zudem spielt das Endocannabinoidsystem eine bedeutende Rolle in weiteren physiologischen Prozessen, wie der Regulation der Schmerzwahrnehmung sowie in kardiovaskulären, gastrointestinalen und hepatischen Funktionen, was durch das Vorkommen der beiden Rezeptoren im gesamten Körper erklärt werden kann. So wurden Wirkungen von Cannabinoiden bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen, aber auch bei HNO-ärztlichen, dermatologischen, augenärztlichen und internistischen Erkrankungen beobachtet. Zur genauen Klärung des Cannabinoid-Rezeptorvorkommens beim Menschen werden derzeit Studien mit PET-Liganden unternommen, mit deren Hilfe das körpereigene Cannabinoidsystem bildgebend dargestellt werden kann. Zukünftig soll so geklärt werden, ob eine bestimmte Erkrankung eventuell auf einen Mangel oder eine Fehlfunktion in diesem System zurückgeführt werden kann.
Derzeit zur Anwendung zugelassene bzw. verfügbare Cannabis-basierte Medikamente
In Deutschland sind derzeit zwei Medikamente auf Cannabisbasis für jeweils eine Indikation zugelassen, welche mittels BtM-Rezept verschrieben werden können (Tabelle 1). Der
Cannabisextrakt Nabiximols (Sativex®), welcher THC und CBD im Verhältnis von 1:1 enthält, ist seit 2011 zur symptomatischen Behandlung von Patienten mit therapieresistenter Spastik aufgrund von MS zugelassen. Durch die Bereitstellung als Sublingualspray erhofft man sich einen schnelleren und stärkeren Wirkeintritt als bei Öl oder Kapseln, die heruntergeschluckt werden müssen. Im klinischen Alltag konnte dies jedoch bislang nur begrenzt bestätigt werden. Zudem wurde der Wirkstoff Nabilon (Canemes®) seit 2015 zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen bei Tumorpatienten unter Chemotherapie zugelassen und wird seit Januar 2017 in Deutschland vermarktet. Nabilon ist ein vollsynthetischer Abkömmling von THC, wobei 1 mg Nabilon in etwa 7 – 8 mg Dronabinol entspricht.
In den USA sind die Wirkstoffe Dronabinol (Marinol®) und Nabilon (Cesament®) sowohl zur Behandlung der Anorexie mit Gewichtsverlust bei Patienten mit dem erworbenen Immunschwächesyndrom AIDS (engl. Acquired Immune Deficiency Syndrome) als auch zur Behandlung von Übel-keit und Erbrechen bei Chemotherapie in der Krebsbehandlung zugelassen.
Nabiximols (Sativex®) ist in den Ländern Israel, Kanada und Neuseeland zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen sowie in Kanada als adjuvante Schmerztherapie bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen zugelassen.
In Deutschland ist Dronabinol bereits seit vielen Jahren als Rezepturarzneimittel verfügbar und wird in Apotheken zur Herstellung von Tropfen oder Weichkapseln verwendet. Eine indikationsspezifische Zulassung für Dronabinol in Deutschland ist bislang noch nicht vorhanden, wobei ein Zulassungsantrag beim BfArM gestellt wurde.
Darüber hinaus ist seit wenigen Monaten reines Cannabidiol (CBD) verschreibungspflichtig. Hierbei handelt es sich um den wichtigsten nicht-psychoaktiven Inhaltsstoff der Cannabispflanze. Aufgrund der Psychoinaktivität fällt CBD nicht unter das BtMG. Der Rezepturwirkstoff ist zwar als Reinsubstanz verfügbar, verschreibungspflichtig und verordnungsfähig, wegen fehlender Zulassungen aber nicht erstattungsfähig. Cannabidiol zeigt ein therapeutisches Potenzial in ganz anderen Indikationen als THC: Vor allem seltene Form der
Epilepsie bei Kindern (Dravet-Syndrom) oder Angststörungen/Psychosen werden für den Einsatz von CBD diskutiert. Eine Zulassung von CBD (unter dem Markennamen Epidiolex®) zur Behandlung des Dravet-Syndroms wird voraussichtlich für Mitte 2017 für den US-Markt erwartet.
Nebenwirkungen von Canna-bis und Cannabis-basierten Medikamenten
Wie bei anderen Medikamenten treten auch infolge des medizinischen Einsatzes von Cannabisextrakten und Medikamenten auf Cannabisbasis unerwünschte Arzneimittelwirkungen [13]. Die Rate an Nebenwirkungen ist jedoch niedrig und die Verträglichkeit vergleichsweise gut. Grundsätzlich sollte zwischen psychischen und physischen Nebenwirkungen unterschieden werden. So ergibt sich Folgendes:
Häufigste psychische Nebenwirkungen
- Schwindel, Benommenheit, Müdigkeit
- Beeinträchtigung von Orientierung, Gedächtnis, Konzentration, geistiger Leistungsfähigkeit, Feinmotorik
- Stimmungsänderungen, Missempfindungen, veränderte sensorische Wahrnehmung, veränderte Zeitwahrnehmung
- Selten Angst, Panik
Häufigste physische Nebenwirkungen
- Mundtrockenheit, Schwankungen von Puls und Bluthochdruck, Appetitsteigerung, gerötete Augen
- Verminderung durch langsame Dosissteigerung; bei Erwachsenen:
- Kein erhöhtes Risiko für irreversible kognitive Beeinträchtigungen
- Kein erhöhtes Risiko für das Eintreten einer Psychose
- Abhängigkeitsrisiko sehr gering
Hinsichtlich der unerwünschten Effekte tritt häufig eine Toleranzentwicklung innerhalb kurzer Zeit ein. Das Risiko für Nebenwirkungen kann durch allmähliches Auftitrieren der Cannabis-Wirkstoffe zu Beginn einer Therapie erheblich gesenkt werden.
Betrachtet man die Studie von Patti et al. (2016) so zählten psychiatrische Störungen (n=46), Müdigkeit (n=36) und Benommenheit (n=32) zu den häufigsten unerwünschten Ereignissen, die zu einem vorzeitigen Studienabbruch nach der Behandlung mit Nabiximols [14]. Die Gesamtzahl unerwünschter Ereignisse war auch hier sehr gering.
Es wird diskutiert, dass Nebenwirkungen durch Cannabis-basierte Medikamente abhängig sind von der zu behandelnden Erkrankung. So liegt beispielsweise der Fallbericht eines Patienten mit Tourette-Syndrom vor, der unter Behandlung mit THC eine deutliche Konzentrationsverbesserung (von 39% auf 58%) und eine Verbesserung der visuellen Wahrnehmung im Vergleich zu medikamentenfreien Phasen aufwies [15]. Analog wurde über einen Patienten mit Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) berichtet, bei dem unter der Behandlung mit THC deutlich bessere Ergebnisse in Fahreignungstests nachweisbar waren als ohne Medikation [16].
In ähnlicher Weise sind die Ergebnisse einer Studie von Müller-Vahl et al. (2003) bei Patienten mit Tourette-Syndrom zu bewerten. Auch hier konnten in einer Vielzahl neuropsychologischer Tests keine Veränderungen oder Verschlechterungen unter THC-Behandlung festgestellt werden [17]
Studienlage und mögliche Einsatzgebiete für Medizinal-Cannabis und Cannabinoide
Aus zahlreichen Gründen – etwa fehlender Zulassungen, eines unklaren Wirkmechanismus und ungewisser Indikationen – wurde der Einsatz von Medizinal-Cannabis in den vergangenen Jahren kritisch gesehen. Um die Frage eines möglichen Nutzens von Cannabis und Medikamenten auf Cannabisbasis bei unterschiedlichen Indikationen zu klären, wurden von der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (IACM) im Jahre 2013 Ergebnisse einer Online-Befragung publiziert, in der 953 Patienten befragt worden waren, die eine Behandlung mit Cannabis-basierten Medikamenten durchführten. Demnach wurde Cannabis am häufigsten bei den Indikationen Rückenschmerzen (n=113), Schlafstörungen (n=66) und Depressionen (n=64) angewendet [18].
Insgesamt liegen aktuell nur wenige kontrollierte Studien vor, welche die Wirkung von Medikamenten auf Cannabisbasis bei verschiedenen Erkrankungen untersuchten [19,20]. Sehr gut ist der Einsatz von Medikamenten auf Cannabisbasis bei chronischen Schmerzerkrankungen, MS-bedingter Spastik, Übelkeit und Erbrechen bei Tumorpatienten infolge einer Chemotherapie und Appetitsteigerung bei Tumor- oder HIV-Patienten untersucht [21]. Für andere Erkrankungen ist bislang nicht hinreichend untersucht, inwieweit Cannabis-extrakte und Medikamente auf Cannabisbasis tatsächlich wirksam sind.
In einer im Jahr 2015 publizierten systematischen Übersichtsarbeit von Whiting et al. wurden im Rahmen einer Metaanalyse alle bis dato durchgeführten kontrollierten klinischen Studien zu Cannabisextrakten und Medikamenten auf Cannabisbasis analysiert [13]. Demzufolge sind relativ verlässliche Aussagen zur Wirksamkeit dieser Medikamente bei chronischen Schmerzen und bei Spastik möglich. Für Indikationen wie Übelkeit und Erbrechen bei Tumorpatienten infolge einer Chemotherapie, Gewichtszunahme bei HIV-Patienten, Schlafstörungen und Tourette-Syndrom liegen gemäß dieser Übersichtsarbeit nur begrenzte Hinweise zur Wirkung von Medikamenten auf Cannabisbasis vor. Für die Mehrzahl möglicher Indikationen fehlt bislang ein eindeutiger Wirknachweis.
Allerdings kann selbst für die bereits als gut belegt geltenden Indikationen kaum Aussagen dazu getroffen werden, welche einzelnen Cannabis-Wirkstoffe jeweils am wirksamsten und verträglichsten sind. Zudem existieren kaum direkte Vergleichsstudien mit mehreren verschiedenen Cannabis-Wirkstoffen, die verlässliche Empfehlungen und Aussagen zu Medikamenten treffen, die bei einer Indikation am besten geeignet sind.
Eine im Jahr 2016 publizierte Studie mit 1.500 Patienten mit MS zeigte sowohl zu Beginn der Behandlung als auch im Verlauf nach mehreren Monaten einen signifikanten Behandlungseffekt von Nabiximols in Bezug auf die Spastik bei MS [14].
Aber nicht nur für Medikamente auf Cannabisbasis wie Nabiximols, sondern auch für gerauchte Cannabisblüten konnte mittlerweile ein eindeutig positiver Effekt auf die Spastik bei Patienten mit MS gezeigt werden, wobei die verabreichte Cannabissorte unbekannt ist [22]. Dem gegenüber stehen die grundsätzlichen gesundheitlichen Risiken durch das Rauchen.
Mitunter berichten Patienten allerdings, dass pflanzliches Cannabis besser wirke als einzelne Cannabis-basierte Medikamente. In Deutschland sind derzeit – zusätzlich zu den definierten Fertig- und Rezepturarzneimitteln – 14 verschiedene Sorten von Medizinal-Cannabis für therapeutische Zwecke verfügbar. Die Sorten unterscheiden sich erheblich hinsichtlich ihrer Gehalte an THC und CBD, aber auch hinsichtlich ihrer Gehalte an sonstigen Cannabinoiden und Terpenen und weisen daher zum Teil erhebliche Unterschiede in den therapeutischen Effekten auf. Keine dieser Sorten wurde bislang in Deutschland in einer größeren klinischen Studie untersucht. In zukünftigen klinischen Studien ist es daher wichtig, nicht nur zwischen verschiedenen Cannabinoiden, sondern auch zwischen den unterschiedlichen Cannabissorten zu unterscheiden sowie vergleichende Studien mit den verschiedenen Substanzen durchzuführen.
Ausblick auf weitere Anwendungen
Derzeit prüft ein israelisches Pharmaunternehmen eine topische Cannabis-Zubereitung zur Behandlung der
Schuppenflechte (Psoriasis). Erszte Test zur Wirksamkeit von Cannabis Topicals sind vielversprechend.
Gesetzliche Regelungen zum Einsatz von Cannabis und Medikamenten auf Cannabisbasis
Für den medizinischen Einsatz von Cannabisblüten und Cannabisextrakten in Deutschland konnte vor Inkrafttreten des neuen Cannabisgesetzes im März diesen Jahres bei der Bundesopiumstelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Absatz 2 BtMG beantragt werden. In den vergangenen Jahren hatten ca. 1.000 Patienten mit zirka 60 unterschiedlichen Symptomen, Indikationen und Erkrankungen eine solche Erlaubnis erhalten und konnten so legal in der Apotheke Cannabisblüten oder Extrakte aus Cannabis zu medizinischen Zwecken kaufen. Eine Sondererlaubnis erhielten dabei zumeist Patienten mit Schmerzen oder Schmerzsyndromen (57%), gefolgt von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen unterschiedlicher Genese bis hin zu Darmerkrankungen [23,24]
Die zugelassenen Cannabis-basierten Wirkstoffe Nabiximols (seit 2011) und Nabilon (seit 2015) sowie der Rezepturwirkstoff Dronabinol (seit 1998) waren auch bisher schon ohne Ausnahmeerlaubnis mittels BtM-Rezept verordnungsfähig. Mit Dronabinol wurden in Deutschland zuletzt jährlich etwa 5.000 Patienten behandelt. Allerdings wurden die Kosten in der Regel nicht von den gesetzlichen Krakenversicherungen übernommen.
Durch Inkrafttreten des neuen Gesetzes
„Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ haben sich wesentliche Änderungen für die Anwendung von Cannabisblüten und Extrakte aus Cannabis ergeben [25]. Einerseits müssen sowohl Patienten mit Ausnahmeerlaubnis für den Erwerb von Cannabisblüten oder -extrakten (so genannte ‚Erlaubnisinhaber‘) als auch deren Apotheker ihre Erlaubnis zum 10.06.2017 an die Bundesopiumstelle zurückgeben [26]. Vor einer Verschreibung in nicht zugelassener Indikation muss nunmehr bei einer Behandlung zulasten der GKV die Kostenübernahme bei der Krankenkasse beantragt werden. Alternativ kann eine Verordnung per Privatrezept zu Lasten des Patienten erfolgen.
Auf dem BtM-Rezept sind die genaue Sorte der Cannabisblüten sowie die Dosierung und die Menge zu vermerken. Alle anderen bisher in Deutschland bereits verschreibungsfähigen Medikamente auf Cannabisbasis können auch weiterhin unverändert verschrieben werden. Für eine
off-label-Behandlung mit dem Cannabisextrakt Nabiximols und den THC-Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon sieht das neue Gesetz bessere Erfolgsaussichten für eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse vor, wenn bestimmte, im Gesetz definierte Voraussetzungen, erfüllt sind.
Ferner wurde mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes das BfArM damit beauftragt, eine nicht-interventionelle Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln über die nächsten fünf Jahre durchzuführen [27]. Im Rahmen dieser Erhebung übermitteln Ärztinnen und Ärzte dem BfArM die dafür erforderlichen Daten in anonymisierter Form jeweils ein Jahr nach Therapiebeginn, bei Therapieabbruch und fünf Jahre nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes; erhoben werden
- allgemeine Angaben zu den Patienten,
- Diagnose und Dauer der Erkrankung,
- bisher durchgeführte Therapieformen und
- Therapieverlauf.
Die Teilnahme an der Begleiterhebung ist für den Vertragsarzt verpflichtend, sofern eine
off-label-Behandlung mit einem der Cannabis-basierten Medikamente oder Cannabis zu Lasten der GKV erfolgt. Ausgenommen sind Fälle, in denen Fertigarzneimittel entsprechend der zugelassenen Anwendungsgebiete verordnet werden. Über die Übermittlung der oben genannten Daten ist die oder der Versicherte vor Verordnung von Cannabisarzneimitteln seitens der Vertragsärztin oder des Vertragsarztes zu informieren.
Cannabisagentur
Weiterhin wurde mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes eine beim BfArM angesiedelte staatliche Stelle eingerichtet, die sogenannte Cannabisagentur, die den Anbau von Cannabis für medizinische Zwecke in Deutschland steuern und kontrollieren wird. In Deutschland angebautes Cannabis wird voraussichtlich ab dem Jahr 2019 in den Apotheken verfügbar sein.
Verordnungsfähigkeit von Cannabisblüten, -extrakten oder Medikamenten auf Cannabisbasis
Wer kann Cannabis-Wirkstoffe verordnen?
Laut Gesetz kann Cannabis in Deutschland von Ärztinnen und Ärzten jeder Fachrichtung mit Ausnahme von Zahn- und Tier-ärzten verordnet werden; zusätzliche Qualifikationen sind nicht erforderlich.
Welchen Patienten können Cannabis-Wirkstoffe verordnet werden?
Laut Gesetz liegt es in der Verantwortung des behandelnden Arztes, bei welcher Erkrankung Cannabis-Wirkstoffe verordnet werden. Es wird empfohlen, sich hierbei an etablierten Indikationen für Cannabis und Cannabis-basierte Medikamente zu orientieren. Verordnet werden können die Wirkstoffe schwer erkrankten Patienten, für deren Erkrankung keine andere anerkannte Leistung zur Verfügung steht. Darüber hinaus muss nach Einschätzung des Arztes und des Patienten unter Abwägung von Für und Wider mit einer Verbesserung des Gesundheitszustandes gerechnet werden können. Nicht gefordert wird, dass Patienten in Bezug auf ihre Indikation „austherapiert“ sein müssen.
Wie wird Cannabis verschrieben?
Cannabisblüten werden mittels BtM-Rezept verschrieben (Abbildung 4), wobei die Verschreibungshöchstmenge auf 100 g in 30 Tagen festgelegt ist. Die festgelegte Menge ist unabhängig vom THC-Gehalt. Über die auf dem Rezept anzugebende Cannabissorte wird die zu verabreichende Menge an THC vom behandelnden Arzt festgelegt. Die Cannabissorten sind grundsätzlich standardisiert auf die Inhaltsstoffe THC und CBD, jedoch unterliegen diese in gewissem Maß auch Schwankungen je nach Anbieter und Charge. Die Gehalte sind auf der Packung anzugeben.
Wie bei allen BtM-pflichtigen Substanzen ist auch bei Cannabisblüten eine Überschreitung der Verschreibungshöchstmenge durch Kennzeichnung mit dem Buchstaben „A“ möglich. Optional kann auf dem Rezept ein Verweis auf eine Aufbereitung nach Neuem Rezeptur-Formularium (NRF) gegeben werden: NRF 22.12 Cannabisblüten zur Inhalation nach Verdampfung, NRF 22.13 Cannabisblüten in Einzeldosen zur Inhalation, NRF 22.14 Cannabisblüten zur Teezubereitung, NRF 22.15 Cannabisblüten in Einzeldosen. Gemäß allen NRF-Vorschriften müssen die Blütenstände dann aber in der Apotheke gemahlen werden, was zu einer Steigerung der Kosten führt. Soll der Patient die Cannabisblüten unzerkleinert erhalten, so ist dies auf dem Rezept zu vermerken.
Derzeit können 14 verschiedene Cannabissorten in Deutschland verordnet werden, wobei diese noch zu 100% aus Kanada und den Niederlanden importiert werden. Zukünftig soll auch in Deutschland Cannabis zu medizinischen Zwecken angebaut werden. Alle anderen Rezeptur- und Fertigarzneimittel auf Cannabisbasis können wie bisher auch per BtM-Rezept verordnet werden, ggf. privat. Bei Rezepturen von Dronabinol oder Cannabisextrakten empfiehlt sich in der Regel der Verweis auf eine entsprechende Vorschrift aus dem NRF (NRF 22.7 für Dronabinol-Kapseln, NRF 22.8 für Dronabinol-ölige Lösung, NRF 22.16 für ethanolische Dronabinol-Lösung zur Verdampfung, NRF 22.11 für Cannabisextrakt).
Dosierung und Einnahme der Medikamente auf Cannabisbasis, Cannabisblüten und -extrakte
Die Dosierung der Cannabisblüten wird ebenfalls vom behandelnden Arzt festgelegt. Als Orientierung dienen hier Erfahrungswerte aus der Behandlung mit anderen Cannabis-basierten Medikamenten. Wichtig ist eine einschleichende Dosierung. Begonnen werden sollte mit einer Anfangsdosis von 25 bis 50 mg Cannabisblüten. Je nach Wirksamkeit und Verträglichkeit erfolgt alle 1 bis 3 Tage eine Steigerung um zirka 2,5 bis 5 mg THC – je nach Sorte entsprechend 25 bis 100 mg Cannabis. Die Tagesdosen von THC-reichen Cannabissorten liegen im Mittel bei 0,2 bis 3 g. Insgesamt schwanken die Tagesdosen jedoch von 0,05 bis 10 g.
Die Einnahme von Cannabis kann entweder oral oder mittels Inhalation erfolgen, wobei die Pharmakokinetik von THC und anderen Cannabinoiden stark von der Aufnahmeart abhängt. Die orale Aufnahme von Cannabisblüten erfolgt in Form von Tee oder Plätzchen, wobei hier eine exakte Dosierung schwierig ist. THC liegt in Cannabisblüten als inaktive THC-Carbonsäure vor und muss erst durch Erhitzen zur pharmakologisch aktiven Substanz decarboxyliert werden. Hierzu dient das Backen oder längeres Kochen in Wasser (Herstellung eines Dekoktes, s. NRF für Teezubereitung). Ein einfaches Übergießen etwa mit kochendem Wasser reicht daher nicht aus, um eine therapeutisch wirksame Cannabisblüten-Zube-reitung herzustellen. Der Patient muss also entsprechend geschult werden.
Alternativ kann eine Inhalation von Cannabis erfolgen. Bei der Inhalation ist der Wirkeintritt in der Regel schneller und die Wirkung stärker. Die Wirkdauer verkürzt sich allerdings etwas. (Abbildung 5). In aller Regel gelingt auch durch die Inhalation eine verlässliche Dosierung und damit eine konstante Wirkung und gute Verträglichkeit. Für die medizinische Anwendung sollte die Inhalation mittels Vaporisierer bevorzugt werden, da sie eine bessere Dosierung ermöglicht und nicht mit den gesundheitsschädlichen Effekten durch das Rauchen verbunden ist.
In standardisiertem Cannabisextrakt sowie in Dronabinol und den Fertigarzneimitteln liegt THC bereits in seiner aktiven Form vor. Das Erhitzen zwecks chemischer Umsetzung entfällt somit. Je nach Indikation und Präferenz des Patienten kann somit alternativ eine Behandlung – wie mit anderen Arzneimitteln – in Tropfenform, mittels Pumpenhübe oder Einnahme von Kapseln erfolgen.
Was sollten Patienten wissen, die mit Cannabis behandelt werden?
Grundsätzlich gilt für Patienten, die aus medizinischen Gründen Cannabis oder Medikamente auf Cannabisbasis einnehmen, die gleiche Rechtslage wie für Patienten, die andere psychoaktive Arzneimittel einnehmen [28]. Es erfolgt hier eine deutliche Trennung zwischen Freizeitkonsumenten und Cannabispatienten.
Die Teilnahme im Straßenverkehr ist erlaubt:
- sofern der Patient aufgrund der Medikation nicht in seiner Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt ist und
- der Patient in der Lage ist, sein Fahrzeug sicher zu führen.
Für Auslandsreisen gilt:
- Innerhalb des Schengen-Raums ist die Mitnahme von ärztlich verschriebenen Betäubungsmitteln möglich, sofern eine vom behandelnden Arzt ausgefüllte und durch die oberste Landesgesundheitsbehörde beglaubigte Bescheinigung vor Antritt der Reise vorliegt und mitgeführt wird.
- Die Gültigkeitsdauer der Bescheinigung beträgt maximal 30 Tage. Außerhalb des Schengen-Raums müssen die nationalen Bestimmungen des jeweiligen Ziel- oder Transitlandes berücksichtigt werden.
Erstattungsfähigkeit der Behandlung mit Cannabisextrakten oder Medikamenten auf Cannabisbasis
Die Verschreibung von Cannabis und Medikamenten auf Cannabisbasis kann zum einen auf Privatrezept erfolgen, sodass der Patient die Kosten für die Behandlung selber trägt. Da die monatlichen Therapiekosten bei Cannabis-Wirkstoffen häufig bei mehreren Hundert bis über 1.000 € liegen, werden nur wenige Patienten hierzu in der Lage sein. Dies gilt insbesondere für chronisch Kranke angesichts der Tatsache, dass die Therapie oft über viele Jahre erfolgen muss und die Betroffenen oft durch ihre Erkrankung in ihrer Erwerbsfähigkeit erheblich eingeschränkt sind. Diese Situation war ein wesentlicher Grund für die Schaffung des Cannabisgesetzes, da sie in Einzelfällen zur gerichtlichen Genehmigung des Eigenanbaus von Cannabis zu medizinischen Zwecken geführt hat. Dementsprechend verpflichtet das Cannabisgesetz die gesetzlichen Krankenversicherungen, die Kosten für eine Therapie mit Cannabisblüten, -extrakten oder den genannten Cannabis-Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon auf Antrag zu übernehmen, insofern bestimmte Voraussetzungen für die Verordnung erfüllt sind.
Durch das Cannabisgesetz wurde §31 des Sozialgesetzbuches (SGB) Fünftes Buch (V) entsprechend ergänzt:
„(6) Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn
- eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a) nicht zur Verfügung steht oder b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,
- eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist.“
Die ebenfalls im SGB V gesetzlich geregelte Entscheidungsfrist für die Krankenkassen liegt bei 3-5 Wochen. In der ambulanten Palliativversorgung wurde nach § 37 b die Genehmigungsfrist auf 3 Tage verkürzt. Das neue Gesetz gilt auch für in Deutschland zugelassene Fertigarzneimittel bei Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen (off-label-Use). Für Rezepturwirkstoffe (Dronabinol, Cannabisextrakte) und Cannabisblüten sind Anträge auf Kostenübernahme durch die GKV immer zu stellen. Die Kostenübernahme der GKV ist nur gesichert bei Verordnung von Wirkstoffen auf Cannabisbasis in den in Deutschland zugelassenen Indikationen.
Zusammenfassung:
- Medikamente auf Cannabisbasis sowie Cannabisextrakte oder –blüten sind bei einer Vielzahl verschiedener Indikationen durch ihre spezifische Bindung an Rezeptoren des Endocannabinoidsystems und durch andere Mechanismen wirksam.
- In Deutschland zugelassen ist die Extraktmischung Nabiximols für die Indikation Spastik aufgrund von MS und der Cannabis-Wirkstoff Nabilon für die Indikation Übelkeit und Erbrechen bei Tumorpatienten infolge einer Chemotherapie. Nur in diesen zugelassenen Indikationen sind diese beiden Wirkstoffe ohne Kostenübernahme-Antrag erstattungsfähig.
- Seit Inkrafttreten des „Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ am 10. März 2017 sind getrocknete Cannabisblüten, standardisierte Cannabisextrakte sowie Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen GKV-erstattungsfähig und stellen so eine reale Erweiterung des Therapiespektrums dar.
- Die Kosten für die Behandlung müssen laut Gesetz immer dann von der GKV übernommen werden, wenn 1. eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, 2. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall nicht angewendet werden kann und 3. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung besteht.
- Zu den etablierten Indikationen zählen aufgrund der aktuellen Studienlage derzeit vor allem chronische neuropathische Schmerzen, Spastik bei MS sowie Appetitmangel, Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Krebsbehandlung oder anderer Ursache. Für viele andere Indikationen liegen Fallbeispiele oder kleinere Studien vor, in denen zum Teil über erstaunliche Effekte berichtet wird, so dass die gesetzlich geforderte „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung“ angenommen werden kann.
- Zur weiteren Klärung der Fragen, bei welchen Indikationen Cannabisextrakte und Medikamente auf Cannabisbasis besonders indiziert und wirksam sind, ist die Durchführung großer, kontrollierter klinischer Studien notwendig.
Literatur
1. Fankhauser M: Cannabis in der westlichen Medizin. In: Grotenhermen F. (ed.): Cannabis und Cannabinoide. Pharmakologie, Toxikologie und therapeutisches Potential. 2nd edition. Göttingen: Hans Huber 2004; 57-71
2. Grotenhermen F, MüllerVahl K, Dtsch Arztebl Int 2012; 109(29-30):495-501.
3. International Convention, adopted by the Second Opium Conference [League of Nations], and Protocol relating thereto. Signed at Geneva, February 19, 1925
4. United Nations. KSingle Convention on Narcotic Drugs, 1961
5. BGBl. I 1971 S. 2092
6. Gaoni Y, Mechoulam R. J Am Chem Soc 1964; 86: 1646–1647
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