Therapie mit Opioiden bei chronischen Nichttumorschmerzen (CNTS)

Opioide sind Analgetika, die nicht nur bei tumorbedingten Schmerzen, sondern auch in der Langzeittherapie starker chronischer Nichttumorschmerzen (CNTS) eingesetzt werden. Für die Langzeittherapie starker chronischer Schmerzen wird eine regelmäßige orale Gabe stark wirksamer Opioide in retardierter Form empfohlen.

Moderne Galeniken ermöglichen die nur einmal tägliche Dosisapplikation. Dieses Therapieschema verringert die Tablettenlast und kann so die Therapietreue der Patienten verbessern. Dank der niedrigeren Wirkstoffspiegelschwankungen wird eine konstante und zuverlässige Analgesie erreicht, Schmerzspitzen, Dosisendschmerzen und Nebenwirkungen treten seltener auf, die Schlafqualität der Patienten verbessert sich. Zudem reduzieren geringere Wirkstoffspiegelschwankungen das Risiko einer psychischen Abhängigkeit.


Kursinfo
VNR-Nummer 2760709121091680012
Zeitraum 17.12.2021 - 16.12.2022
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte Fortbildung abgelaufen
Zielgruppe Ärzte
Referent PD Dr. med. Eberhard Albert Lux, Lünen
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Animierter Vortrag (eTutorial)
Lernmaterial Vortrag (31:57 Min.), Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner HORMOSAN PHARMA GmbH
Bewertung 4.3 (607)

Chronische Schmerzen sind häufig

Einer repräsentativen deutschen Bevölkerungsstichprobe von Personen über 14 Jahren zufolge erfüllten im Jahr 2013 insgesamt 7,4% der Befragten die Kriterien für beeinträchtigende, chronische, nicht tumorbedingte Schmerzen (CNTS) [1]. Fast zwei Drittel der Patienten (64%), die eine verordnete Schmerzmedikation einnehmen, beklagten der Studie zufolge eine zumindest zeitweise unzureichende Kontrolle der Schmerzen. 31% der Schmerzpatienten sagten, dass der Schmerz so stark ist, dass sie ihn nicht mehr ertragen können, 40% berichteten von einem unzureichenden Schmerzmanagement [2]. In der Indikation CNTS ist die Langzeitanwendung (≥3 Monate) von opioidhaltigen Analgetika ein wichtiger Bestandteil der medikamentösen Schmerztherapie, die allerdings mit weiteren therapeutischen Maßnahmen im Sinne einer multimodalen Therapie kombiniert werden sollte [3].

Definition: Opiate und Opioide

Sowohl Opiate als auch Opioide sind sehr stark wirkende Schmerz- und Betäubungsmittel. Während es sich bei den Opiaten um natürliche, aus der Milch des Schlafmohns (Papaver somniferum) extrahierte Alkaloide und deren Derivate mit morphinartiger Wirkung handelt (z. B. Morphin und Codein), werden unter dem Begriff Opioide körpereigene (z. B. Endorphin, Dynorphin) sowie halb- oder vollsynthetische Substanzen subsummiert, die morphinartige Eigenschaften haben und opiumähnliche Wirkungen entfalten (z. B. Tramadol, Tilidin/Naloxon, Oxycodon, Hydromorphon, Buprenorphin, Fentanyl, Methadon) [4].

Klassifikation der Opioide

Opioide können nach verschiedenen Gesichtspunkten klassifiziert werden, so z. B. nach ihrer analgetischen Potenz in schwach oder mittelstark (Stufe-II-Opioide im Stufenschema der Tumorschmerztherapie der Weltgesundheitsorganisation, WHO, die Prodrugs Tramadol, Tilidin/Naloxon und Dihydrocodein) sowie stark wirksame Opioide (Stufe-III-Opioide im WHO-Stufenschema, Buprenorphin, Tapentadol, Hydromorphon, Morphin, Oxycodon, Oxycodon/Naloxon, Fentanyl, Methadon). Retardierte schwach wirksame Opioide unterliegen nicht der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV). Sie werden bei akuten und chronischen Schmerzen eingesetzt, die mit Nichtopioidanalgetika nicht ausreichend gelindert werden können. Starke Opioide unterliegen der BtMVV und werden bei starken und stärksten Schmerzen eingesetzt [5].
Weiterhin können Opioidpräparate mit unterschiedlicher Wirkdauer unterschieden werden:
  • Lang wirksame Opioide (LAO = Long Acting Opioids)
  • Kurz wirksame Opioide (SAO = Short Acting Opioids)
  • Ultraschnell wirkende Opioide (ROO = Rapid Onset Opioids) [6]

Bei den LAO handelt es sich um retardierte Substanzen, deren Wirkung erst nach Stunden einsetzt und je nach Retardierungssystem über mindestens vier Stunden und bis zu 72 Stunden anhält (Morphin, Oxycodon, Hydromorphon, transdermales Fentanyl, transdermales Buprenorphin etc.). Sie werden zur Basisanalgesie von Dauerschmerzen eingesetzt. Die Wirkung von SAO tritt nach etwa 30 Minuten ein. Damit können sie zur Behandlung von vorhersehbaren, ereignisabhängigen Durchbruchschmerzen sowie zur Dosisermittlung für Retardpräparate verwendet werden. ROO entfalten ihre Wirkung bereits nach zehn Minuten, gegebenenfalls auch früher, und ihre Wirkung hält nur kurz (ein bis zwei Stunden) an. Dies macht sie zur Medikation der Wahl bei Durchbruchschmerzen. Alle derzeit verfügbaren ROO sind Fentanyl-haltige Arzneimittel, die bukkal, sublingual oder intranasal appliziert werden [7].

Transdermale Applikation

Opioidanalgetika stehen in verschiedenen Darreichungsformen zur Applikation über verschiedene Routen zur Verfügung: oral, transmukosal, bukkal, sublingual, intranasal, rektal, intravenös, intramuskulär, subkutan, epidural, intrathekal und transdermal [4]. Insbesondere transdermale Präparate werden hierzulande immer häufiger eingesetzt. Im Jahr 2010 wurden mehr als 40% der starken Opioide in Form von Fentanyl-Pflastern verordnet. Etwa zwei Drittel der Verordnungen stark wirksamer Opioide entfielen auf eine Anwendung bei Patienten mit CNTS; bei 72,5% der Patienten, die mit Schmerzpflastern versorgt wurden, bestand keine Einschränkung der oralen Zuführbarkeit oder der gastrointestinalen Resorption [8]. Auf den ersten Blick erscheinen die transdermalen Systeme einfach in der Handhabung zu sein. Bei ihrer Anwendung ist jedoch Folgendes strikt zu beachten:
  • Fentanyl-Pflaster dürfen nicht an opioidnaive Patienten verschrieben werden.
  • Pflaster dürfen nicht am Patienten vergessen werden.
  • Eine versehentliche Übertragung auf andere Personen ist strikt zu vermeiden.
  • Die Entsorgung muss sicher und mit zusammengeklappten Klebeflächen durchgeführt werden.
Erwartet werden durch den Einsatz der Schmerzpflaster im Allgemeinen eine geringere Tablettenlast, stabilere Plasmaspiegel, eine höhere Therapietreue und weniger Dosisendschmerzen. Oft wird dabei jedoch übersehen, dass es sich um träge Systeme handelt, die zu Hautreizungen führen können und bei externer Wärmezufuhr oder Fieber erhöhte Wirkstoffmengen freisetzen, was Fehldosierungen verursachen kann. Falls ein Absetzen eines Fentanyl-Pflasters notwendig ist, kann es den Fachinformationen der Präparate zufolge 20 Stunden oder länger dauern, bis die Serumkonzentration um 50% abnimmt, da sich ein Wirkstoffdepot unter der Haut bildet.

Opioide: Typische Wirkungen und Nebenwirkungen

Opioide interagieren mit speziellen Rezeptoren, den Opioidrezeptoren, von denen verschiedene Subtypen bekannt sind (δ-, κ-, μ- und σ-Rezeptoren). Über diese wirken sie aktivierend oder hemmend, wodurch sich ein komplexes Wirkmuster ergibt. Die schmerzstillende Wirkung der Opioide wird hauptsächlich über μ-Rezeptoren im Gehirn/Zentralnervensystem (ZNS) vermittelt [4]. Über die Stimulierung der Opioidrezeptoren lassen sich die meisten Wirkungen, aber auch Nebenwirkungen der Opioide erklären. Aufgrund der relativ engen therapeutischen Breite vieler Opioide und aufgrund von Interaktionen mit anderen Arzneimitteln kann es unter der Therapie mit diesen Wirkstoffen rasch zu unerwünschten Wirkungen kommen [9, 10, 11]. Opioidrezeptoren befinden sich vorwiegend im Zentralnervensystem, kommen aber auch in der Peripherie vor. Dementsprechend können zentrale und periphere Wirkungen bzw. Nebenwirkungen unterschieden werden (Abb. 1).
Zu den zentralen Wirkungen gehören unter anderem
  • analgetische,
  • sedativ-hypnotische, anxiolytische, euphorisierende,
  • atemdepressive,
  • antitussive,
  • emetische (Früheffekt), antiemetische (Späteffekt),
  • antidiuretische und
  • abhängigkeitserzeugende Effekte.

Bei den zentralen Wirkungen steht die analgetische Wirkung im Vordergrund. Periphere Wirkungen sind unerwünschte Wirkungen. Hierzu zählen unter anderem:
  • Obstipation
  • Tonuserhöhung der glatten Muskulatur, dadurch z. B. Harnverhalt durch Kontraktion der glatten Muskulatur der Harnleiter
  • Pyloruskonstriktion [4]

Wirkungen der Opioide auf den Schlaf

Während der Dosisfindungsphase (Titrationsphase) muss unter der Gabe von Opioiden mit einer Verstärkung der Schläfrigkeit gerechnet werden. Nach bisherigen Erkenntnissen nimmt die subjektive Schlaftiefe zu, der für die Erholung der Patienten wichtige REM-Schlaf ab. Bei längerfristiger Einnahme tritt gegenüber den sedierenden Effekten innerhalb von ein bis zwei Wochen eine Toleranzentwicklung ein. Selten kommt es zu einer Verstärkung der Insomnie, gelegentlich jedoch zu einer Verstärkung eines bestehenden Schlafapnoesyndroms [36].

Keine Wirkung ohne Nebenwirkung

Opioide sind nach wie vor die potentesten Analgetika zur Therapie akuter und chronischer Schmerzen. Aufgrund der verschiedenen Nebenwirkungen kann ihr Einsatz allerdings auch herausfordernd sein. Besonders relevant sind respiratorische und hämodynamische Nebenwirkungen, aber auch Sedierung, Übelkeit, Erbrechen, Halluzinationen, Verwirrtheit und psychische Abhängigkeit [4]. Viele der Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen treten hauptsächlich in der Anfangsphase einer Schmerztherapie mit Opioiden auf. Unter einer längerfristigen Gabe kommen u. a. Obstipation, Gewichtsverlust und Appetitminderung hinzu. Während einige der zentral verursachten Nebenwirkungen einer Opioidtherapie oftmals schon nach kurzer Behandlungsdauer abklingen, tritt gegenüber der peripher ausgelösten enteralen Dysfunktion jedoch keine Toleranzentwicklung ein. Wichtig ist, die möglichen Probleme der Therapie bei der Behandlungsplanung zu berücksichtigen und die Patienten von Anfang an über mögliche Nebenwirkungen zu informieren. Insbesondere gastrointestinale Nebenwirkungen sollten bereits prophylaktisch behandelt werden (Antiemetika, Laxanzien, peripher wirkenden Opioidantagonisten) [3]. Bei Patienten, die unter der Opioidtherapie schwere Nebenwirkungen oder eine unzureichende Analgesie erfahren, sollte über eine Opioidrotation nachgedacht werden [12].

Übertherapie – Untertherapie

Im klinischen Alltag lässt sich bei Patienten, die mit Opioiden zur Schmerzlinderung versorgt werden, sowohl eine Über- als auch eine Untertherapie beobachten. Zu einer Übertherapie kann es kommen, da bis zu 51% der Patienten ohne Kenntnis des verordnenden Arztes zusätzlich Opioide oder psychotrope Substanzen einnehmen [13]. Umgekehrt kann es zu einer Untertherapie kommen, da Patienten die verschriebenen Medikamente nicht einnehmen oder diese selbstständig absetzen. Dass etwa ein Drittel der Patienten die Einnahme ihres verordneten Medikamentes abbrechen, kann daran liegen, dass sie sich durch die Angaben in der Packungsbeilage des Opioids verunsichert fühlen [14].

WHO-Stufenschema der Tumorschmerztherapie

Die WHO hat 1986 ein Stufenschema zum Einsatz von Analgetika und anderen Arzneimitteln zur Behandlung von Tumorschmerzen entwickelt, das 2018 überarbeitet wurde und grundsätzlich in der Behandlung chronischer Schmerzen zur Anwendung kommen kann. Das Schema sieht eine sequenzielle Eskalation der schmerzlindernden Medikation von schwächeren Analgetika hin zu den Opioiden vor [15]. In der ersten Stufe sollen Schmerzpatienten ein Nichtopioid wie z. B. ein nichtsteroidales Antirheumatikum (NSAR) oder Paracetamol allein oder in Kombination beispielsweise mit Antidepressiva oder Antiepileptika erhalten. Gegeben werden können auch Arzneistoffe, die die Wirkung von Schmerzmitteln unterstützen, wie z. B. Muskelrelaxanzien oder Glukokortikoide (Adjuvanzien). Wenn die Schmerzen daraufhin fortbestehen, soll in der zweiten Stufe ein schwaches Opioid gegeben werden, das bei Bedarf mit Nichtopioiden und Adjuvanzien kombiniert werden kann. Bestehen die Schmerzen weiterhin, kommen in der dritten Stufe starke Opioide zum Einsatz. Die WHO weist darauf hin, dass das Stufenschema für Lehrzwecke anschaulich ist, die sorgfältige individuelle Einschätzung des Patientenschmerzbildes aber nicht ersetzt [15].

Mechanismen-orientierter Ansatz für die Pharmakotherapie

Eine Therapie nach dem Stufenschema der WHO ist bei Patienten mit starken chronischen Schmerzen und auch bei CNTS allerdings nicht immer zielführend. Vielmehr wird heute vermehrt ein Mechanismen-orientierter Ansatz verfolgt, bei dem das Schmerzmittel bei gegebener Indikation strukturell zum Mechanismus des Schmerzgeschehens (nozizeptiv, neuropathisch, entzündlich) passt (Tab. 1). So sind Opioide beispielsweise gut zur Behandlung nozizeptiver Schmerzen des Muskel- und Skelettsystems geeignet sowie zur Therapie neuropathischer Schmerzen, wie z. B. der diabetischen Polyneuropathie oder der Post-Zoster-Neuralgie. Eine völlige Schmerzfreiheit wird von den Patienten zwar möglicherweise gewünscht, kann jedoch in aller Regel nicht erreicht werden. Therapieziel ist vielmehr eine adäquate Schmerzlinderung, die es dem Patienten erlaubt, wieder eine gute Lebensqualität zurückzuerlangen. Starke Schmerzen können mit niedrigen Dosen eines starken Opioids maßgeblich gelindert werden. Der frühzeitige Einsatz eines starken Opioids ist oftmals besser als eine häufige Erhöhung der Dosis von Nichtopioiden oder schwachen Opioiden.

Langzeittherapie

Dementsprechend wird für die Langzeittherapie verschiedener starker chronischer Schmerzen – auch von CNTS – heute regelmäßig die orale Gabe von retardierten Opioiden empfohlen, sodass die Therapie oft direkt mit einem (schwachen) Opioid begonnen und dann gegebenenfalls relativ schnell auf ein Opioid der WHO-Stufe III umgestellt wird [16]. In Erwägung gezogen werden kann eine Opioidtherapie im Sinne eines Therapieversuches auch bei chronischen Schmerzen im Zusammenhang mit Osteoporose, bei postoperativen Schmerzen, bei Weichteilschmerzen oder beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) [17]. Retardierte Opioide sind in der Behandlung starker chronischer Schmerzen bei indikationsgerechtem Einsatz eine effektive und bei korrekter Anwendung auch sichere Therapieoption mit einem geringen Risiko für eine Suchtentwicklung. Generell sollte die Wahl der Pharmakotherapie unter Berücksichtigung des vorliegenden chronischen Schmerzsyndroms, der Begleiterkrankungen des Patienten, von Kontraindikationen, Patientenpräferenzen, Nutzen und Schaden bisheriger Therapien und dem Nutzen-Risiko-Profil von medikamentösen und nicht medikamentösen Therapiealternativen erfolgen [3].

Differenzialtherapie

Aufgrund des unterschiedlichen Wirkspektrums an den einzelnen Opioidrezeptoren ist das Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil der Opioidanalgetika untereinander zwar ähnlich, aber doch nicht gleich. Deshalb sollte die konkrete Präparatewahl auch nach pharmakologischen Gesichtspunkten erfolgen (Tab. 2). Bevorzugt werden sollten Substanzen, die unabhängig von Cytochrom-P450-Genpolymorphismen konstant wirksam sind. Sie sollten zudem ein geringes Interaktionspotenzial haben, und bei ihrem Einsatz sollten keine aktiven Metaboliten akkumulieren. Wichtig sind zudem eine gute Steuerbarkeit der Therapie und eine geringe Kumulationstendenz [9]. Letztere ist insbesondere für ältere Patienten mit Organinsuffizienzen wichtig. Im Hinblick auf diese Kriterien hat Oxycodonhydrochlorid (Oxycodon) gegenüber anderen Opioidanalgetika Vorteile. Zudem besitzt Oxycodon im Gegensatz zu Tramadol keine serotoninerge Wirkung und ist nicht immunsuppressiv [16]. Damit eignet sich Oxycodon sehr gut als Analgetikum für Patienten mit CNTS wie z. B. chronischen Bewegungsschmerzen [18]. Buprenorphin und Hydromorphon sind Mittel der Wahl bei Patienten mit höhergradiger Niereninsuffizienz. Hydromorphon hat aufgrund seiner geringen Eiweißbindung Vorteile bei Polymedikation.

Langzeitanwendung von Opioiden bei CNTS

Die Langzeitanwendung (≥3 Monate) von opioidhaltigen Analgetika bei Patienten mit CNTS wird national und international kontrovers diskutiert. Seit der Veröffentlichung der S3-Leitlinie „Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen – LONTS” im Juni 2009 [19] wurden die dort genannten Empfehlungen vielfach kritisch hinterfragt [20]. Daher wurde 2015 eine aktualisierte Version der Leitlinien publiziert [17, 3]. Die Leitlinie enthält eine Vielzahl von Empfehlungen, beginnend mit Maßnahmen vor der Einleitung der Therapie, zu denen eine partizipative Entscheidungsfindung, die Erarbeitung realistischer und individueller Therapieziele zusammen mit dem Patienten, ein Screening auf psychische Störungen und eine sorgfältige Aufklärung, auch zu den Themen Fahrsicherheit und Nebenwirkungen, gehören.

Schlüsselempfehlungen für die Therapie

Weiterhin listet die Leitlinie Schlüsselempfehlungen zur Durchführung einer Therapie mit opioidhaltigen Analgetika auf. Dazu zählen eine differenzialtherapeutische Auswahl des Opioids, die Festlegung eines festen Zeitplanes zur Einnahme (Einnahmeschema), eine regelmäßige Therapieüberwachung unter Beachtung und Behandlung möglicher Nebenwirkungen, z. B. Übelkeit, Obstipation, sowie das Einlegen einer Medikamentenpause/eines Auslassversuches nach sechs Monaten bei Patienten mit Therapieansprechen. Empfohlen wird zudem der bevorzugte Einsatz von oralen Präparaten mit retardierter Galenik bzw. langer Wirkdauer [3].

Halbwertsdauer als Maß für die Retardierung

Wenn gemeinsam mit dem Patienten die Entscheidung für eine Opioidtherapie getroffen wurde, sollten starke CNTS generell mit Präparaten behandelt werden, die den Wirkstoff verzögert freisetzen [3]. Ein Maß für die Retardierung ist die Halbwertsdauer, also die Zeitdauer, in der die Plasmakonzentration des Opioids über der Hälfte der maximalen Konzentration liegt. Diese unterscheidet sich von Arzneimittel zu Arzneimittel [18] und ist umso größer, je länger die retardierte Wirkstofffreisetzung anhält. Aus der Halbwertsdauer ergibt sich das Applikationsintervall und damit die Einnahmehäufigkeit – ob also das Präparat einmal oder zweimal täglich eingenommen werden muss. Nicht auf die Therapie mit Opioiden beschränkt gilt, dass die Therapieadhärenz von Patienten mit zunehmender Einnahmehäufigkeit abnimmt. Die höchste Compliance wurde einer Metaanalyse von 76 kontrollierten Studien zufolge bei einmal täglicher Gabe erzielt [21].

Eingipfliger Plasmaspiegelverlauf

Ein orales, retardiertes Oxycodonhydrochlorid-Präparat mit 24-Stunden-Retardierung, das demzufolge nur einmal täglich eingenommen werden muss, zeigt ein typisch monophasisches Wirkprofil im Fließgleichgewicht (Steady State) (Abb. 2) [23]. Die lange Retardierung führt dazu, dass die Oxycodonhydrochlorid-Plasmakonzentration über 19,2 bis 20,0 Stunden mindestens die Hälfte der maximalen Plasmakonzentration erreicht [23].

24-Stunden-Retardierung

In einer prospektiven, randomisierten, doppelblinden und kontrollierten Studie konnte für Oxycodonhydrochlorid einmal täglich belegt werden, dass es hinsichtlich der Wirksamkeit bei mittelstarken bis starken Schmerzen therapeutisch äquivalent zum Referenzpräparat Oxycodonhydrochlorid zweimal täglich ist. Auch die Sicherheitsprofile der beiden Präparate waren vergleichbar, mit einem leichten, nicht signifikanten Trend zugunsten des einmal täglich einzunehmenden Präparates. Dieser Vorteil zeigte sich ebenfalls in Bezug auf den Verbrauch an Bedarfsmedikation [24]. Das Oxycodonhydrochlorid-Präparat in 24-Stunden-Retardierung ist somit zur einmal täglichen Gabe geeignet und in tagesgleicher Dosis der zweimal täglichen Gabe des Referenzpräparats nicht unterlegen [24].

Welche Vorteile hat der Patient von der täglichen Einmalgabe?

Die tägliche Einmalgabe von Oxycodonhydrochlorid hat für den Patienten eine ganze Reihe von Vorzügen. Ein wesentlicher Vorteil der Einmalgabe ist der gleichmäßige Wirkspiegel. Durch diesen wird nicht nur eine bessere Verträglichkeit erreicht, sondern es werden auch Schmerzspitzen oder Dosisendschmerzen vermieden [24]. Den pharmakologischen Kriterien folgend bieten stabile Wirkspiegel einen höheren Schutz vor psychischer Suchtentwicklung als auch eine Reduktion an zusätzlicher Bedarfsmedikation [16, 18]. Einmalgabe reduziert darüber hinaus die Tablettenlast – womit eine wichtige Voraussetzung für eine höhere Lebensqualität und Therapieadhärenz gegeben ist (die Einnahme wird weniger oft vergessen oder verschoben) – und erleichtert die regelmäßige Einnahme [21].
Mögliche weitere Vorteile der Einmalgabe können sein [16, 38]:
  • Dank der gleichmäßigen Analgesie, die durch die langsamere Wirkstoffspiegelanflutung von Oxycodonhydrochlorid einmal täglich entsteht, weniger Schwindel, Sturzneigung, Verwirrtheit oder andere, in der Regel selbstlimitierende, neuropsychiatrische Symptome (z. B. Apathie, Depression, Angst etc.).
  • Verbesserung der Schlafarchitektur bei schmerzinduzierter Insomnie
  • Vermeidung einer Dramatisierung/Katastrophisierung der Schmerzerfahrung im Chronifizierungsprozess
  • Verbesserung der Anwendungssicherheit durch geringeres Missbrauchsrisiko [16]

Bedeutung gleichmäßiger Wirkstoffspiegel

Ziel einer modernen Schmerztherapie ist es, mit dem gewählten Analgetikum Wirkspiegel zu erreichen, die bei Patienten mit chronischen Schmerzen über 24 Stunden eine ausreichende Analgesie sicherstellen. Schmerzspitzen/Schmerzexazerbationen sollen dabei vermieden werden, sodass eine Bedarfsmedikation mit schnell wirksamen Analgetika auf ein Minimum reduziert wird [25]. Beim täglichen Umgang mit Arzneimitteln ist ein konstantes und gleichmäßiges Dosierungsintervall bei minimierter täglicher Einnahmehäufigkeit besser zu realisieren. Es muss, insbesondere bei häufiger täglicher Tabletteneinnahme, mit dem Auslassen einzelner Dosen gerechnet werden. Wird jedoch eine Einnahme vergessen, führt dies keineswegs dazu, dass der gewünschte Wirkspiegel bei der nächsten regulären Einnahme schon wieder erreicht wird [26]. In der Folge dieser Unterdosierung kann es zu Schmerzexazerbationen kommen.

Schlafstörungen als Symptom mangelnder Schmerzkontrolle

Schlafstörungen sind bei Schmerzkranken eine häufige Komorbidität und zugleich Zeichen einer unzureichenden Schmerzkontrolle (Abb. 3) [27]. Die algogene Schlafstörung resultiert vor allem daraus, dass der Patient durch Schmerzen erwacht, die entstehen, wenn er sich natürlicherweise nachts im Schlaf umpositioniert. Eine suffiziente Schmerztherapie hat daher auch die Aufgabe, die gestörte Schlafarchitektur des Patienten und damit seine Lebensqualität und Tagesfrische wiederherzustellen. Ein normales Schlafverhalten besteht nach Angaben der WHO darin, dass der Mensch u. a. in der Nacht zumindest sechs Stunden am Stück durchschläft und zum Einschlafen weniger als 30 Minuten benötigt [28, 29]. Das Durchschlafen ist die zentrale Voraussetzung, um Tagesfrische zu erlangen. Eine längere Schlaflatenz, ein fragmentierter Schlaf, Früherwachen und eine verkürzte Schlafdauer reduzieren die Tagesfrische und damit die Lebensqualität der Patienten. Dies führt einerseits zu Einbußen der Leistungsfähigkeit, Kognition, Reaktion und Konzentration, andererseits zu einer Verschlechterung der Stimmungslage bis hin zur Depression [30]. Zugleich erhöht sich das Schmerzempfinden bei Menschen, die keine sechs Stunden durchschlafen können, deutlich. Eine ausreichende Tagesfrische ist zugleich für die Schmerzbewältigung über den Tag von entscheidender Bedeutung.

Schmerz, Schlaf und Depression

Verstimmung, Schlafqualität und Schmerz sind unmittelbar miteinander verknüpft [31, 30, 32]. Eine chronische Schlafrestriktion hat erheblichen Einfluss auf die psychomotorische Vigilanz und die subjektive Schläfrigkeit [33].

Lückenlose Analgesie – bessere Schlafqualität

Um Patienten mit chronischen Schmerzen und Opioidbedarf zu einem erholsamen Schlaf zu verhelfen und die Schlafqualität zu fördern, sollten Präparate gewählt werden, die einen gleichmäßigen Plasmawirkspiegel über 24 Stunden gewährleisten. Die Schlafkontinuität lässt sich mit noradrenergen Wiederaufnahmehemmern erfolgreich unterstützen, so z. B. mit Mirtazapin, Amitriptylin oder Trimipramin [34]. Eine Verbesserung des Tiefschlafes, auf den es bei der Bewältigung chronischer Schmerzen vor allem auch ankommt, lässt sich mit diesen Wirkstoffen allerdings nicht erreichen.

Fazit: Praktisches Vorgehen bei der Einstellung auf ein starkes Opioid

In einem ersten Schritt muss analysiert werden, ob der Patient unter einem opioidsensitiven Schmerz leidet. Wenn ja, kann in einem zweiten Schritt – unter Berücksichtigung der Therapieziele und möglicher Komorbiditäten des Patienten – ein geeignetes Opioidanalgetikum ausgewählt werden. Die gewählte Substanz soll eine gute analgetische Wirksamkeit bei geringem Interaktionspotenzial und guter Verträglichkeit bieten. Für die Langzeitbehandlung von Patienten mit schweren chronischen Schmerzen bieten Opioide, die über 24 Stunden gleichmäßige Blutplasmaspiegel gewährleisten, in aller Regel die besten Voraussetzungen für eine bessere Lebensqualität der Patienten [35].