Personalisierte Planung der Augeninnendrucksenkung in der Glaukomtherapie – Teil 1

Nach wie vor ist das Glaukom eine der häufigsten Erblindungsursachen weltweit und gleichzeitig eine hochkomplexe Erkrankung. Je nach Glaukomtyp und zusätzlich vorliegenden Risikofaktoren oder chronischen Begleiterkrankungen kann die Erkrankung sehr unterschiedlich verlaufen. Um den Betroffenen im Einzelfall möglichst langfristig eine gute Seh- und Lebensqualität zu erhalten, werden daher personalisierte Therapiekonzepte benötigt.

Erfahren Sie im ersten Teil dieser Fortbildung, wie Sie die Glaukomtherapie mit dem dynamischen Zieldruckkonzept und durch darauf abgestimmte effektive Antiglaukomatosa individuell auf den Patienten anpassen können.

Teil 2 dieser Fortbildungsreihe finden Sie hier.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709121042260013
Zeitraum 04.05.2021 - 03.05.2022
Zertifiziert in D, A, CH
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte Fortbildung abgelaufen
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof. Dr. med. Carl Erb
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Animierter Vortrag (Webcast)
Lernmaterial Vortrag (29:07 Min.), Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Santen GmbH
Bewertung 4.5 (216)

Einleitung

Mit zunehmendem Verständnis für zugrunde liegende Stoffwechselvorgänge wurde die Definition des Glaukoms über einen zu hohen Augeninnendruck in den letzten Jahren verlassen. Die European Glaucoma Society (EGS) definiert das primäre Offenwinkelglaukom (POWG) heute als eine chronische, progressive Optikusneuropathie, die sich durch einen voranschreitenden Zelltod retinaler Ganglienzellen und durch entsprechende Gesichtsfeldverluste auszeichnet, ohne dass andere okuläre Erkrankungen oder kongenitale Anomalien dafür verantwortlich gemacht werden können [3]. Damit beschreibt die Definition in erster Linie die Symptome dieser Erkrankung, während ihre Ursachen bislang noch nicht vollständig verstanden sind. Erwiesen ist mittlerweile, dass das Glaukom nicht nur ein rein barotraumatisches Ereignis darstellt, bei dem der Sehnerv ausschließlich durch einen hohen Augeninnendruck (IOD) zerstört wird. Vielmehr ist das Glaukom als eine neurodegenerative Systemerkrankung zu verstehen, bei der verschiedene Faktoren in die langfristige Entwicklung hineinspielen. In den letzten Jahren wurden zahlreiche pathophysiologische Faktoren entdeckt, die das Auftreten, die Schwere und den Verlauf dieser Erkrankung beeinflussen. Dazu zählen u. a. das zunehmende Alter, die Myopie, die genetische Vorbelastung, vaskuläre Risikofaktoren wie Diabetes und Hypertonie, und auch immunologische Faktoren, Neurodegeneration sowie die mechanische Belastung der kleinen Gefäße durch einen individuell zu hohen Augeninnendruck [4].

Fortschreitender Prozess - aber auch Regression ist möglich

Allgemein wird meist angenommen, dass es sich beim Glaukom um einen lebenslangen, subtil ablaufenden, schleichenden Prozess handelt. Dabei greift er über zahlreiche biochemische Prozesse die Astrozyten und die retinalen Ganglienzellen an, sodass zunächst deren Funktionalität einschränkt wird und sie dann sukzessive irreversibel zerstört werden. Scheinbar ist die Glaukomerkrankung gewissermaßen eine Einbahnstraße mit einer kontinuierlichen Verschlechterung bis hin zur Erblindung, die bestenfalls gestoppt werden kann. Es gibt aber auch Hinweise, denen zufolge eine teilweise Regression möglich ist [4, 5]: Wir wissen heute, dass oxidativer Stress beim Glaukom eine zentrale Rolle spielt [6, 7, 8]. Die bereits genannten Schädigungsfaktoren wie u. a. bestimmte genetische Vorbelastungen, ein erhöhter IOD bzw. ausgeprägte IOD-Schwankungen, endotheliale Dysfunktionen sowie allgemeine Systemerkrankungen resultieren in einem oxidativen Stress, der die retinalen Ganglienzellen zwar erheblich belastet, den sie anfänglich allerdings noch gut kompensieren können. Dauert dieser Zustand allerdings zu lange an, so gehen die retinalen Ganglienzellen in einen Erhaltungsstoffwechsel über. In diesem Zustand bestehen für die Zellen zwei Möglichkeiten: Besteht der oxidative Stress weiterhin, kommt es zu einer zunehmenden Verschlechterung und zum Eintritt in die Apoptose. Dieser Zustand kann in der Bildgebung anhand morphologischer Parameter wie der Reduktion der retinalen Nervenfaserschichtdicke, der Verringerung des neuroretinalen Randsaumes oder der Vergrößerung der Cup-Disc-Ratio erfasst werden. Allerdings handelt es sich dabei gewissermaßen um Spätfolgen des gesamten pathophysiologischen Schädigungsprozesses. Die andere Möglichkeit beinhaltet, dass sich die retinalen Ganglienzellen wieder erholen können: Werden die Rahmenbedingungen konsequent optimiert, so können die neuronalen Zellen zumindest teilweise wieder aus dem Erhaltungsstoffwechsel in den Funktionsstoffwechsel zurückkehren. Es kann somit zu einer Regression kommen, und die Gesichtsfeldbefunde können sich wieder verbessern. Dies wurde auch klinisch in Studien bereits gezeigt [9]. Entscheidende Voraussetzungen dafür sind eine individuelle Berücksichtigung und konsequente Optimierung sämtlicher schädigender Faktoren. Die effektive und dauerhafte IOD-Senkung spielt dabei zwar eine zentrale Rolle, da sie bisher die am besten dokumentierte Therapieoption zur Verhinderung einer Glaukomprogression darstellt [10–14]. Ebenso wichtig ist es bei der Therapieplanung aber auch, den gesamten Menschen inklusive sämtlicher Risikofaktoren im Blick zu haben, diese zu optimieren und bei der Planung des anzustrebenden Zieldruckes zu berücksichtigen.

Therapie mit dem dynamischen Zieldruckkonzept planen

Eine sehr gute Möglichkeit für eine derartige Therapieplanung und -umsetzung bietet das von der EGS vorgeschlagene dynamische Zieldruckkonzept [3]. Bei diesem gilt als anzustrebender Zieldruck der höchste, individuell tolerierbare IOD, bei dem die Progression der glaukomatösen Optikusneuropathie deutlich verlangsamt wird oder zum Stillstand kommt. Dabei werden u. a. der bereits vorliegende Glaukomschaden, die Progressionsrate sowie die okulären Risikofaktoren für eine weitere Progression und die am unbehandelten Auge vorliegenden IOD-Ausgangswerte berücksichtigt. Auch Begleiterkrankungen, Nebenwirkungen der Behandlung und Patientenpräferenzen für bestimmte Therapien sollten beachtet werden. All diese Aspekte werden im Anschluss detaillierter beleuchtet. Die Lebenserwartung, die laut EGS-Richtlinien ebenfalls bedacht werden sollte, lässt sich allerdings nur schwer verlässlich abschätzen. Denn selbst ein 80-jähriger Mensch kann heute noch über 15 Jahre leben und profitiert somit auch von einer konsequenten Therapie. Hinzu kommt, dass die Ausgangsdrucklage aus meiner Sicht nicht sinnvoll ist zur Zieldruckplanung, da das Zieldruckniveau vom funktionellen/strukturellen Schweregrad des Glaukoms bestimmt wird. Außerdem ist wichtig, dass das Zieldruckkonzept nicht starr ist, sondern der Zieldruck immer wieder auf die aktuelle Situation abgestimmt werden kann. So kann bei stabilem Glaukom trotz nicht erreichtem Zieldruck auch wieder ein höherer Wert als neuer Zieldruck festgelegt werden [3].

Systemische Erkrankungen und allgemeine Risikofaktoren berücksichtigen

Bei der Therapieplanung ist die Bestimmung systemischer Grunderkrankungen ein wichtiger erster Aspekt. Schließlich sind wir als Augenärzte für die Behandlung, die wir einsetzen, verantwortlich und müssen daher Interaktionen oder im Einzelfall auch vorliegende Kontraindikationen bei der Therapieplanung im Blick haben. Glaukompatienten leiden häufig zusätzlich an chronischen Begleiterkrankungen wie Diabetes, Fettstoffwechselstörungen oder kardiovaskulären Erkrankungen, wie eine asiatische Studie mit über 76.000 POWG-Patienten zeigt [15]. Auch unsere Studie mit über 20.000 Glaukompatienten kommt zu vergleichbaren Ergebnissen und zeigt, dass in Deutschland ebenfalls etwa jeder zweite Glaukompatient gleichzeitig eine arterielle Hypertonie aufweist und 22,5 % zusätzlich an Diabetes leiden, gefolgt von ca. 20 % mit Fettstoffwechsel- und etwa 10 % mit Schilddrüsenstörungen [16]. Um diese möglichst schnell und vollständig vor der Planung der Glaukom Therapie erfassen zu können, empfiehlt sich der Einsatz eines Fragebogens, in dem alle für das Glaukom relevanten Systemerkrankungen aufgelistet sind. Ein von uns entwickelter Anamnesebogen kann kostenlos verwendet werden und trägt zu einer schnellen Orientierung bezüglich der Therapieoptionen bei. Neben den verschiedenen kardiovaskulären Erkrankungen, neben Diabetes und erhöhten Antiphospholipid-Antikörpern stellen auch Alter, weibliches Geschlecht sowie ein verminderter Liquordruck allgemeine Risikofaktoren für ein erhöhtes Progressionsrisiko dar. Ebenso sind Hörstörungen und Migräne Zeichen vaskulärer Erkrankungen und gelten als eigenständige Risikofaktoren für ein Glaukom. Selbstverständlich sollten auch Lebensstilfragen wie Rauchen oder dauerhaft erhöhter Stress im Alltag als wichtige Risikofaktoren abgefragt werden.

Okuläre Risikofaktoren berücksichtigen

Darüber hinaus sind selbstverständlich auch ophthalmologische Risikofaktoren bei der Therapieplanung zu berücksichtigen. Allen voran spielt ein individuell erhöhter Augeninnendruck eine maßgebliche Rolle, aber auch ausgeprägte IOD-Schwankungen sind bedeutsame Risikofaktoren für eine Glaukomprogression [17, 18, 19]. Auf diese werden wir im Folgenden noch detaillierter eingehen. Auch Pseudoexfoliation ist immer mit einem höheren Risiko verbunden, ebenso wie eine verminderte korneale Hysterese. Diese ist ein Ausdruck erhöhter Steifigkeit der Hornhaut und ein Zeichen für veränderte kollagene Strukturen, die weitere Störungen im Bereich der gesamten okulären Gewebestrukturen nach sich ziehen können. Auch eine verminderte Lamina cribrosa sowie eine verminderte Hornhautdicke gelten als okuläre Risikofaktoren. Ein äußerst wichtiger klinischer Marker für eine Progression ist eine Papillenrandblutung als Zeichen vaskulärer Probleme. Ein weiteres, recht einfach zu bestimmendes, klinisches Zeichen für ein erhöhtes Progressionsrisiko ist eine fehlende Pulsation der Zentralvene als Zeichen eines erhöhten Zentralvenendruckes. Ebenfalls relevant – insbesondere bei niedrigen diastolischen Blutdruckwerten – ist ein verminderter okulärer Perfusionsdruck. Dies hängt auch damit zusammen, dass bei Glaukompatienten häufig die Autoregulation gestört ist und – anders als beim Gesunden – Blutdruckschwankungen durch die Gefäße nicht mehr gut ausgeglichen werden können [20]. So kann ein IOD-Anstieg aufgrund der gestörten Autoregulation direkt zu einer Verschlechterung der okularen Perfusion führen. Klinisch wertvoll ist die arteriovenöse Ratio, die unter 0,8 als Zeichen für eine Gefäßstörung zu werten ist. Auch eine peripapilläre chorioretinale Atrophiezone ß ist ein Hinweis für eine Perfusionsstörung des Sehnervs im betroffenen Auge. Und letztlich gilt das Vorliegen eines Glaukoms in einem Auge als wichtiger Risikofaktor für das Auftreten der Erkrankung im zweiten Auge, das daher unbedingt ebenfalls regelmäßig kontrolliert werden sollte. Ein weiterer, äußerst wichtiger Aspekt, der bei der Therapieplanung und Festlegung des Zieldruckes berücksichtigt werden muss, ist die Progressionsrate des Glaukoms. Während die bisher beschriebenen Risikofaktoren das Glaukom und seinen Verlauf zwar beeinflussen können, gibt uns die Progressionsrate direkten Aufschluss darüber, wie schnell sich das Glaukom tatsächlich verschlechtert und mit welchen Funktionsverlusten in einem festgelegten Zeitrahmen zu rechnen ist. Eine normale Progression führt zu einem mittleren Defekt (MD) in der Weiß-Weiß-Perimetrie von 0,3 bis 0,6 dB pro Jahr, eine beschleunigte Progression liegt bei 1 dB und mehr pro Jahr vor und von einer katastrophalen Progression ist bei einem mittleren Gesichtsfeldverlust von 2 dB und mehr pro Jahr auszugehen [21]. Selbstverständlich darf diese Bewertung nur bei klaren optischen Medien (Hornhaut, Linse) erhoben werden. Als Konsequenz ergibt sich, dass eine umso aggressivere Therapie erforderlich ist, je höher die Progressionsrate liegt. Insbesondere bei einer katastrophalen Glaukomprogressionsrate ist ein sehr schnelles und wirkungsvolles Eingreifen erforderlich, da diese Patienten durch unmittelbare Funktionsverluste bedroht sind. Und letztlich muss selbstverständlich auch der bereits vorliegende Glaukomschaden bei der Festlegung des anzupeilenden Zieldruckes berücksichtigt werden. Ein früher Glaukomschaden liegt – klare Medien vorausgesetzt – in der Weiß-Weiß-Perimetrie bei einem MD-Wert von bis zu 6dB vor, während bei MD-Werten von 6 dB bis 12 dB ein mittelschweres Glaukom und bei MD-Werten über12 DB ein schwerer Glaukomschaden vorliegen.

Individuellen Zieldruck festlegen - 18 mmHg möglichst unterschreiten

Angesichts dieser vielfältigen und individuell sehr unterschiedlichen Ausprägungen der Erkrankung wird deutlich: Die Festlegung des Zieldruckes sollte keinesfalls einfach nur prozentual vom Ausgangsdruck erfolgen, so wie bislang gebräuchlich. Vielmehr sollte sich der Zieldruck – so wie auch von der EGS empfohlen – am Funktionszustand des jeweiligen Auges orientieren und vom Schweregrad des Glaukoms und dem Vorliegen weiterer individueller Risikofaktoren abhängig gemacht werden, um so eine personalisierte Glaukomtherapie zu ermöglichen. Dabei kann hinsichtlich der Festlegung des Zieldruckes vereinfacht zusammengefasst werden: Je größer der bereits vorliegende Schaden, je höher die Progressionsrate und je schwerwiegender die zusätzlichen allgemeinen und okulären Risikofaktoren sind, desto niedriger sollte der anzupeilende Zieldruck gewählt werden. Als ersten Richtwert für den Zieldruck empfiehlt die EGS in ihren – derzeit noch aktuellen Leitlinien von 2014 – bei ersten Ausfällen zwar einen Zieldruck von unter 21 mmHg anzupeilen [3]. Allerdings haben Caprioli und Garway-Heath schon 2007 bei beginnendem Glaukom einen Zieldruck von 18 mmHg oder darunter empfohlen, bei mittlerem Glaukom einen Zieldruck von 15 mmHg oder darunter und bei fortgeschrittenem Glaukom von 12 mmHg [22]. Auch verschiedene Langzeitstudien weisen darauf hin, dass der Grenzpunkt für langfristige Therapieerfolge beim Glaukom bei 18 mmHg liegt [12, 23, 24]. So hat bereits eine Studie in den 1990er-Jahren mit einer Nachbeobachtungszeit von 15 Jahren gezeigt, dass alle Patienten, bei denen durchschnittlich ein IOD von 19 mmHg erzielt wurde, langfristig eine Verschlechterung des Glaukoms erlitten [23]. Auch Patienten der Advanced Glaucoma Intervention Study (AGIS), bei denen der IOD bei tatsächlich jeder Visite unter 18 mmHg lag, erzielten die besten Ergebnisse ohne weitere Progression [24]. Die Studie hat zudem gezeigt, dass sich die Auswirkungen zu hoher IOD-Werte erst langfristig zeigen. Erst ab dem fünften Jahr der Studie zeigten sich signifikante Unterschiede hinsichtlich der Glaukomprogression: Während Patienten, die auch nur in 1 % der Besuche IOD-Werte oberhalb 18 mmHg aufwiesen und nach fünf Jahren eine massive Progression hatten, blieb die Erkrankung in den Augen mit dauerhaften IOD-Werten unter 18 mmHg auch nach fünf Jahren stabil. Innerhalb der ersten vier Jahre hingegen war zwischen den Gruppen kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Progression feststellbar. Bestätigt wird dieser Grenzwert auch durch die Ergebnisse der Canadian Glaukom Study, die ebenfalls gezeigt hat, dass IOD-Werte von unter 18mmHg mit einem stabilen Gesichtsfeld assoziiert sind [12]. Im Praxisalltag erscheint es somit zur Progressionsvermeidung empfehlenswert, einen IOD von ≤18 mmHg anzustreben. Liegen zudem ein ausgeprägter Ausgangsschaden, eine hohe Progressionsrate und weitere Risikofaktoren vor, so sollten wir eine aggressivere Vorgehensweise und einen niedrigeren Zieldruck wählen. In der Realität sieht es allerdings häufig so aus, dass die meisten Patienten nicht den Zieldruck erreichen, den sie eigentlich für eine Stabilisierung ihrer Erkrankung bräuchten [25]. Dies bedeutet, dass wir sehr viel konsequenter auf eine effektive IOD-Senkung achten und das dynamische Zieldruckkonzept stringenter anwenden sollten.

Tagesdruckprofil erstellen und IOD-Schwankungen vermeiden

Dabei kann vor Therapieplanung die Erstellung eines Tagesdruckprofils sinnvoll sein, um den tatsächlich vorliegenden höchsten IOD-Wert sowie die therapeutisch unbeeinflussten Druckschwankungen möglichst exakt erfassen zu können. Lediglich bei sehr hohen IOD-Einzeldruckwerten von >35 mmHg sollte allerdings aus rechtlichen Gründen direkt mit einer Therapie gestartet werden. Bei Patienten, deren Einzeldruckwerte im Bereich von bis zu 26 mmHg liegen, ist die Erstellung eines Tagesdruckprofils sinnvoll, denn der IOD weist tageszeitliche Schwankungen auf [26]. Auch wenn diese individuell variieren können, so treten so treten bei Gesunden die höchsten IOD-Werte in der Regel zwischen 0 Uhr und 4 Uhr morgens auf – wobei Jüngere eher zum Morgen hin und Ältere eher um Mitternacht hohe IOD-Werte aufweisen. Dabei liegen normale Tagesdruckschwankungen innerhalb von 3 mmHg und 5 mmHg, und auch die Seitendifferenz zwischen beiden Augen liegt beim Gesunden nur bei etwa 3 mmHg [27, 28]. Bei Glaukompatienten hingegen treten zusätzlich zu höheren IOD-Werten häufig auch ausgeprägter Druckschwankungen auf. Im Durchschnitt sind bei Glaukompatienten Schwankungen von bis zu 11 mmHg zu beobachten, die auf eine Regulationsstörung im autonomen Nervensystem hinweisen, eine enorme mechanische Belastung für die Gefäße darstellen und mit erhöhten Progressionsraten einhergehen [12, 17]. Dabei hat sich allerdings auch gezeigt, dass bei einer durchschnittlichen Ausgangsdrucklage von 18 mmHg oder höher Druckschwankungen keine große Rolle mehr spielen, weil der durchschnittliche IOD an sich schon mit einer Progression einhergeht und die IOD-Amplitude keine wesentliche, zusätzliche Progression mehr induziert. Wird hingegen ein durchschnittlicher IOD von 10 mmHg erreicht, so stellen höhere Langzeitdruckschwankungen durchaus einen Risikofaktor für eine Progression dar [18, 19]. In der Praxis bedeutet dies für uns, dass Druckschwankungen einen wichtigen Marker für die Langzeitprognose darstellen. Zudem sollten je nach Ausgangsdrucksituation und dem bereits bestehenden Glaukomschaden Druckschwankungen in unterschiedlichem Ausmaß kontrolliert werden. Je fortgeschrittener das Glaukom ist, desto geringere Druckschwankungen sind tolerierbar, um die mechanische, pulsative Belastung der Zellen möglichst gering zu halten. Während beim frühen Glaukom noch etwa 5 mmHg Druckschwankung toleriert werden können, sind dies beim mittleren Glaukom nur 4 mmHg und beim fortgeschrittenen Glaukom nur noch 3 mmHg [12, 29].

Fixkombinationen bevorzugen - Adhärenz erleichtern

In der klinischen Praxis sind häufig medikamentöse Kombinationstherapien erforderlich, um eine ausreichend starke Drucksenkung erzielen zu können. Diesbezüglich wurde allerdings bereits im Early Manifest Glaucoma Trial gezeigt, dass Tagesdruckschwankungen als Effekt einer unzureichenden Adhärenz umso stärker ausfallen, je mehr Antiglaukomatosa angewendet werden und je mehr Therapiezeitpunkte erforderlich sind [13]. Um also für eine gute Adhärenz zu sorgen und Tagesdruckschwankungen gering zu halten, sollten die Therapieschemata möglichst einfach sein, denn vereinfacht gilt: Die Adhärenz ist umso besser, wenn der Patient nicht zu oft tropfen und nicht zu viele verschiedene Flaschen anwenden muss [30]. Daher sind fixe Kombinationstherapien zu bevorzugen, da sie für vereinfachte Therapieschemata sorgen und dementsprechend zu einer verbesserten Therapieadhärenz beitragen können [31]. Derzeit stehen mit Prostaglandin-Analoga, Betablockern, Alpha-2-Agonisten und Carboanhydrasehemmern vier verschiedene, sich ergänzende Substanzklassen zur Verfügung, die unterschiedliche IOD-senkende Effekte aufweisen: während die zu erwartende IOD-Senkung für Prostaglandin-Analoga am stärksten ist und bei etwa 35 % vom Ausgangswert liegt, sind mit Betablockern und Alpha-2-Agonisten etwa 25 % IOD-Senkung und mit Carboanhydrasehemmern etwa 20 % IOD-Senkung zu erwarten [3].

Tag-Nacht-Wirksamkeit der Antiglaukomatosa berücksichtigen

Zudem sollte bei der Therapieplanung auch die unterschiedliche zirkadiane Wirksamkeit der verschiedenen Wirkstoffklassen bedacht werden: Während Betablocker und Alpha-2-Agonisten in der Schlafenszeit keine ausreichende Wirkung entfalten, wirken Prostaglandin-Analoga und Carboanhydrasehemmer auch nachts [3, 32]. Dementsprechend kann der Therapiezeitpunkt eine wichtige Rolle dabei spielen, eine möglichst effektive IOD-Senkung ohne ausgeprägte Druckspitzen sicherzustellen. Dies zeigt eine prospektive Studie mit 42 konsekutiven Glaukompatienten, die mit dem Prostaglandin-Analogon Latanoprost keine ausreichende IOD-Senkung mehr erreichten und daher auf eine konservierungsmittelfreie Fixkombination aus dem Prostaglandin-Analogon Tafluprost und dem Betablocker Timolol umgestellt wurden [33]. Die Hälfte der Patienten erhielt die Fixkombination morgens, die andere Hälfte abends. Bei beiden Gruppen wurde durch die Umstellung auf die Fixkombination eine zusätzliche, effektive Drucksenkung erzielt. Zudem zeigte sich, dass bei morgendlicher Gabe die Druckamplitude, d. h. die tageszeitliche Druckschwankung, größer ist als bei der abendlichen Gabe. Die abendliche Gabe der Fixkombination Tafluprost/Timolol war somit sowohl hinsichtlich des mittleren Tagesdruckes als auch hinsichtlich der mittleren 24-stündigen IOD-Schwankung der morgendlichen Gabe überlegen. Dementsprechend empfehlen wir bei jeder Fixkombination aus einem Prostaglandin-Analog und einem Betablocker die Applikation um 21 Uhr, um neben der effektiven IOD-Senkung auch gleichzeitig eine möglichst geringe Druckschwankung sicherzustellen. Wird darüber hinaus ein zusätzlicher IOD-senkender Effekt benötigt, so hat sich derzeit als beste Kombination ein Prostaglandin-Analogon in Kombination mit einem Betablocker und einem Carboanhydrasehemmer erwiesen [34]. Insgesamt ist diese Dreifachkombination die derzeit stärkste Kombination, um auch nächtliche Druckschwankungen gut kompensieren zu können. Selbstverständlich ist es auch wichtig, regelmäßig zu kontrollieren, ob die Therapiemaßnahmen erfolgreich sind, und die Behandlung gegebenenfalls anzupassen. Wird trotz maximaler medikamentöser Therapie der Zieldruck nicht erreicht, sind rechtzeitig chirurgische Verfahren zu erwägen, um langfristig stabile und ausreichend niedrige IOD-Werte zu erzielen und eine Progression zu vermeiden [3].

Fazit

Vor Therapieplanung mittels exakter Anamnese systemische Begleiterkrankungen, allgemeine und okuläre Risikofaktoren erfassen. Dynamisches Zieldruckkonzept zur personalisierten Therapieplanung anwenden. Zur Vermeidung einer Glaukomprogression grundsätzlich einen Zieldruck von unter 18 mmHg anpeilen. Bei Vorhandensein sehr vieler Risikofaktoren eine aggressivere Vorgehensweise und einen niedrigeren Zieldruck wählen. Erhöhte Augeninnendruckschwankungen (>7 mmHg) vermeiden, da sie mit einer höheren Progression einhergehen. Wenn Monotherapien nicht mehr ausreichend den IOD senken, so sind Fixkombinationstherapien zu bevorzugen. Fixkombinationstherapien ermöglichen einfache Therapieschema, reduzieren Therapiezeitpunkte und tragen zu besserer Adhärenz bei.

Literatur

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