Opioid-induzierte Obstipation (OIC) – Update 2023

Opioide werden bei vielen unterschiedlichen Schmerzsyndromen, wie beispielsweise bei chronischen Nichttumorschmerzen, eingesetzt. Eine der häufigsten Nebenwirkungen der Opioidtherapie ist die opioidinduzierte Obstipation (engl. opioid-induced constipation, OIC), die bei den Betroffenen mit signifikanten Einschränkungen des Wohlbefindens und der Lebensqualität einhergehen. Zudem führt die OIC aufgrund vielfältiger Symptome nicht selten zu einem Abbruch der analgetisch wirksamen Opioidtherapie. Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Opioidtherapie in der Schmerzbehandlung wurden in den vergangenen Jahren auch neue Therapieansätze zur Behandlung der OIC entwickelt.

Heutzutage stellen peripher wirkende µ-Opioidrezeptor-Antagonisten (PAMORA) nach unzureichender Wirksamkeit von Basismaßnahmen sowie Laxanzien den Standardtherapieansatz mit einer andauernden Wirksamkeit hinsichtlich der OIC ohne Verminderung der analgetischen Wirkung der Opioidtherapie dar. In dieser Fortbildung erhalten Sie Informationen zu den Symptomen und der Pathophysiologie der OIC sowie den verschiedenen diagnostischen Verfahren. Des Weiteren wird die leitlinienkonforme Behandlung der OIC einschließlich der neuesten Therapiemöglichkeiten und verschiedener Wirkmechanismen dargestellt.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709123054290011
Zeitraum 10.05.2023 - 09.05.2024
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte 2 Punkte (Kategorie D)
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof. Dr. Martin Storr, Starnberg
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Animierter Vortrag (eTutorial)
Lernmaterial Vortrag (27:53 Min.), Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner KYOWA KIRIN GmbH
Bewertung 4.2 (998)

Einleitung

Die opioidinduzierte Obstipation (engl. opioid-induced constipation, OIC) ist eine besondere Form der Obstipation, die als eine der häufigsten Nebenwirkungen bei Patienten auftritt, die Opioide zur Analgesie erhalten. So leiden 41 % der Patienten mit chronischen Nichttumorschmerzen infolge der Opioidtherapie an einer OIC, gefolgt von Übelkeit (32 %), Schläfrigkeit (29 %) und Schwindel (20 %). Auch bei 40 bis 50 % der Patienten mit Tumorschmerzen – in Abhängigkeit der Dosierung sogar bei bis zu 90 % – tritt unter der Opioidtherapie eine Obstipation auf. Grundsätzlich wird zwischen primärer und sekundärer Obstipation unterschieden: Während die primäre Obstipation in der Regel auf Störungen, die den Darm betreffen, zurückzuführen ist, handelt es sich bei der sekundären Form um Begleiterscheinungen verschiedener Erkrankungen, aber auch exogener Faktoren wie der Einnahme von Medikamenten. Da bei der OIC die Änderung des Stuhlganges als Folge der Opioidtherapie auftritt, zählt auch diese zur sekundären Form der Obstipation.

Symptome der OIC

Die OIC geht aufgrund vielfältiger Symptome für die meisten Betroffenen mit signifikanten Einschränkungen des körperlichen und seelischen Wohlbefindens sowie der Funktionalität und Lebensqualität einher. Zu den typischen Symptomen gehören neben Übelkeit, Erbrechen, gastroösophagealem Reflux und einem frühzeitigen Sättigungsgefühl, die auf Störungen im oberen Gastrointestinaltrakt (GIT) zurückzuführen sind, auch die für den unteren GI-Trakt typischen Symptome wie Schmerzen, Spasmen/Koliken, Blähungen, Hämorrhoidenblutungen und eine veränderte Stuhlkonsistenz. Die Vielfältigkeit der Symptome führt häufig zu einer falschen Deutung sowohl seitens der behandelnden Ärzte als auch der Betroffenen selbst. Aus diesem Grund hat sich international die Rom-Klassifikation der American Gastroenterological Association zur Definition funktioneller gastrointestinaler Störungen etabliert, die eine Kombination aus subjektiven (wie z. B. starkes Pressen oder unvollständige Entleerung) und objektiven Parametern (wie z. B. Stuhlfrequenz, Stuhlkonsistenz) enthält. Mit Veröffentlichung der Rom-IV-Kriterien im Jahr 2016 wurde erstmals auch die OIC in die Rom-Klassifikation funktioneller gastrointestinaler Störungen aufgenommen.

Diagnose der OIC

Für die Diagnosestellung einer opioidinduzierten Obstipation werden überwiegend dieselben Kriterien der Rom-Klassifikation herangezogen wie zur Diagnose der chronischen Obstipation. Ausgenommen sind zeitliche Kriterien, da die OIC jederzeit nach Beginn der Opioidtherapie auftreten kann.

Weitere diagnostische Möglichkeiten der OIC

Neben den Rom-IV-Kriterien existieren zur Diagnostik der OIC in der Praxis drei weitere einfache Screeningmethoden:

Praktische Obstipationsskala

Bei der Praktischen Obstipationsskala erfolgt beispielsweise die Diagnosestellung der OIC über die Erfassung verschiedener Kriterien sowie der Stuhlkonsistenz. Wenn das objektive Kriterium „kein Stuhlgang >72 Stunden” erfüllt ist und mindestens ein subjektives Kriterium (z. B. Pressen, Defäkationsprobleme, Gefühl der unvollständigen Entleerung etc.) bejaht wird und/oder eine harte Stuhlkonsistenz vorliegt, kann von einer OIC ausgegangen werden.

Bowel Function Index

Ein einfaches sowie praxistaugliches Diagnose- und Kontrollinstrument ist der Bowel Function Index (BFI), der insbesondere für die Verwendung in klinischen Studien entwickelt wurde und darüber hinaus für die OIC-Diagnose validiert ist. Es werden drei Aspekte erfasst: 1. Leichtigkeit der Defäkation/Stuhlgangentleerung (numerische Analogskala [NAS]: 0 = einfach bis 100 = mit größter Schwierigkeit) 2. Gefühl der inkompletten Entleerung (NAS: 0 = überhaupt nicht bis 100 = sehr stark) 3. Persönliche Einschätzung der Obstipation (NAS: 0 = überhaupt nicht bis 100 = sehr stark)

Bristol-Stuhlformen-Skala

Bei der Bristol-Stuhlformen-Skala handelt es sich um ein klinisches Bewertungsschema, mit dessen Hilfe die Klassifikation von sieben verschiedenen Stuhltypen über die Erfassung von Form und Konsistenz des menschlichen Stuhles ermöglicht wird. Je nach Stuhltyp können Rückschlüsse auf eventuelle Erkrankungen gezogen werden. So liegt aus medizinischer Sicht bei den Stuhltypen 1 und 2 eine Obstipation vor. Die Typen 3 und 4 definieren den Idealstuhl, wohingegen bei den Typen 5 bis 7 eine Diarrhö vorliegt. Bei Diagnose einer Diarrhö ist zu beachten, dass es sich um eine sogenannte paradoxe Diarrhö handeln könnte, die bei Stenosen des Kolons auftritt. Ist die Stenose nicht lumenfüllend ausgeprägt, ist ein Wechsel zwischen festen und flüssigen Stühlen möglich

Pathophysiologie der OIC

Die OIC weist eine eigenständige Pathophysiologie auf. Opioide wirken auf das enterische Nervensystem (ENS), indem sie an die µ-Opioidrezeptoren in den Hauptkomponenten des ENS, dem Plexus myentericus (Auerbach-Plexus) zwischen Ring- und Längsmuskelschicht und dem Plexus submucosus (Meissner-Plexus) in der Submukosa, binden. In der Folge kommt es zur Reduktion der gastrointestinalen Motilität und Sekretion, zu einer vermehrten Flüssigkeitsrückresorption aus dem Darm und einem erhöhten Tonus des Analsphinkters, der die Defäkation zusätzlich erschwert. Darüber hinaus wird der peristaltische Reflex im Darm gehemmt. Basierend auf dieser eigenen Pathophysiologie kann eine OIC bereits mit dem Beginn der Opioidtherapie und über den gesamten Verlauf der Therapie hinweg auftreten. Während die mit Opioiden behandelten Patienten in der Regel eine Toleranz gegenüber Nebenwirkungen wie Sedierung, Übelkeit und Erbrechen entwickeln, geschieht dies gegenüber der OIC üblicherweise nicht, woraus sich die Notwendigkeit einer Dauertherapie mit Laxanzien ab Beginn der Opioidverabreichung erschließt.

Beeinträchtigung der Schmerzkontrolle durch die OIC

Trotz nachgewiesener analgetischer Wirksamkeit der Opioidtherapie ist die Abbruchrate aufgrund der häufig als Nebenwirkung auftretenden OIC hoch. So zeigten die Ergebnisse einer Querschnittstudie in den USA, Kanada, Deutschland und Großbritannien, dass bei 49 % der Patienten die Schmerzkontrolle durch die mit der OIC einhergehenden zusätzlichen Beschwerden im GI-Trakt mäßig oder sogar vollständig beeinträchtigt wurde. Lediglich 44 % der 388 nachbeobachteten Patienten nahmen nach sieben bzw. 24 Monaten noch Opioide ein. Nicht gelinderte OIC-Symptome verstärken die Krankheitslast der Patienten und wirken sich negativ auf die Opioid-Compliance und die Lebensqualität der Patienten aus. Abbrüche der Opioidtherapie aufgrund einer OIC sind jedoch vermeidbar.

Leitlinienkonforme OIC-Behandlung

Gemäß S2k-Leitlinie zur chronischen Obstipation der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) und der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) von 2022 erfolgt die OIC-Therapie in Analogie zur Therapie der chronischen Obstipation in einem Stufenalgorithmus. Dementsprechend wird nach erfolgter Basisdiagnostik als Allgemeinmaßnahme zunächst ballaststoffreiche Kost, reichlich Flüssigkeitszufuhr und körperliche Aktivität empfohlen. Bei nicht ausreichender Linderung der Beschwerden wird für die weitere Therapie nachfolgend zwischen Patienten mit Entleerungsstörung und dem Vorliegen einer Obstipation ohne Entleerungsstörung wie der OIC unterschieden. Als Arzneimittel der ersten Wahl ist dann bei Vorliegen einer OIC ein konventionelles Laxans wie Macrogol, Bisacodyl oder Natriumpicosulfat anzuwenden. Für Patienten mit OIC wird in der zweiten Therapiestufe der Einsatz von peripheren Opioidantagonisten (PAMORA) empfohlen. In der dritten Therapiestufe kann der PAMORA mit einem Laxans kombiniert werden, in der vierten Therapiestufe werden weitere Maßnahmen der konventionellen Obstipationstherapie, wie Zuckerstoffe und Anthrachinone, Klysma oder Einläufe, Prucaloprid, Erythromycin, Prostigmin oder weitere Reservetherapien, als Kombinationspartner ergänzt. Prucaloprid, ein hoch selektiver Serotonin-(5-HT4-)Agonist, kann in der Viertlinientherapie bei Patienten ergänzend verabreicht werden, bei denen die PAMORA-Therapie nicht ausreichend effektiv war; allein ist Prucaloprid bei OIC nicht ausreichend wirksam. Therapierefraktären Patienten kann in der OIC-Viertlinientherapie auch ergänzend Lubiproston gegeben werden (in Deutschland aktuell nicht zugelassen). Für die Behandlung schwerer, therapierefraktärer Obstipationen wird nach erfolgter Spezialdiagnostik eine Sakralnervenstimulation empfohlen. Erst nach differenzierter Diagnostik und Ausschöpfung konservativer Therapiemaßnahmen sollte eine chirurgische Intervention beispielsweise in Form einer subtotalen Kolektomie in Erwägung gezogen werden. Die neue Leitlinie aus dem Jahr 2022 weist explizit darauf hin, dass Risikogruppen für eine OIC frühzeitig evaluiert werden sollten und dass heutzutage mit Beginn einer Opioidtherapie eine Obstipationsprophylaxe, im Sinne der Stufe 1 der OIC-Therapie, erfolgen sollte.

Wirkmechanismus von Laxanzien

Klassische Laxanzien, wie Ballaststoffe und auch osmotische Laxanzien, vergrößern das Stuhlvolumen durch Absorption von Wasser bzw. durch das Ziehen von Wasser mittels osmotischer Gradienten und fördern so indirekt die Peristaltik. Stimulierende Laxanzien hemmen dahingegen die Absorption von Wasser und fördern die Sekretion von Elektrolyten. Ziel ist jeweils die Erzeugung oder die Steigerung der prokinetischen Antwort, die wiederum über eine Reflex-Motor-Stimulation eine Defäkation ermöglicht. Die Pathophysiologie der OIC wird durch konventionelle Laxanzien nicht beeinflusst, sodass grundsätzlich nur eine sehr begrenzte Wirkung bei den Betroffenen zu erzielen ist. Einer deskriptiven Analyse patientenberichteter Ergebnisse zufolge können demnach bei 94 % der OIC-Patienten die Beschwerden mit einem Laxans oder der Kombination mehrerer Laxanzien in ausreichender Dosierung nicht kontrolliert werden.

Wirkmechanismus von Prokinetika

Auch Prokinetika wie Prucaloprid beeinflussen nicht die Ursachen einer OIC. Im Gegensatz zu konventionellen Laxanzien wirken sie jedoch prokinetisch auf den Darm, steigern so die Darmmotilität und verstärken die motorische Darmaktivität. Als Folge kommt es zu einem peristaltischen Reflex und einer beschleunigten Darmpassage, wodurch die Bewegung des Darminhaltes im Dickdarm und die Defäkation gefördert werden. Prokinetika sind zur Behandlung der Laxanzienrefraktären Obstipation bei Frauen und Männern zugelassen. Jedoch zeigte sich bei Patienten mit OIC ein rascher Wirkverlust der Therapie mit Prucaloprid. So konnte im Rahmen einer doppelblinden, placebokontrollierten Phase-II-Studie bei Patienten mit chronischen Nichttumorschmerzen in Woche 1 der Behandlung zwar ein signifikanter Unterschied hinsichtlich des primären Endpunktes der spontanen vollständigen Stuhlentleerung (engl. spontaneous complete bowel movement, SCBM) im Vergleich zu Placebo gezeigt werden, wohin gegen dieser Unterschied bereits in Woche 4 nicht mehr bestand.

Neue Therapiemöglichkeiten der OIC

Sowohl Basismaßnahmen wie eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr, körperliche Aktivität und eine ballaststoffreiche Ernährung als auch Laxanzien sind bei einer OIC häufig nicht ausreichend effektiv und erfordern in der Regel eine Therapieeskalation. Einen möglichen Therapieansatz stellt hier die Gabe peripher wirkender µ-Opioidrezeptor-Antagonisten dar.

Wirkmechanismus der PAMORA

PAMORA zielen im Gegensatz zu Laxanzien und Prokinetika unmittelbar auf die zugrunde liegende Pathophysiologie der OIC ab, indem sie selektiv die µ-Opioidrezeptoren im Darm blockieren und so die Bindung des Opioids verhindern. Gleichzeitig wird durch die Molekülstruktur moderner PAMORA die Passagefähigkeit durch die Blut-Hirn-Schranke minimiert, sodass die opioidvermittelte analgetische Wirkung im zentralen Nervensystem nicht beeinträchtigen wird. Bei unzureichender Wirkung ist auch hier eine Kombination mit einem Laxans oder einem Prokinetikum möglich. Zudem sollte die Möglichkeit einer Umstellung der Analgesie überprüft werden.

OIC-Therapie gemäß verschiedenen Leitlinien und Positionspapieren

Gemäß EU-Expertenkonsensus aus dem Jahr 2018 gelten PAMORA als sicher sowie effektiv und werden frühzeitig nach Versagen der Therapie mit Laxanzien für die Behandlung von Patienten mit OIC empfohlen. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) bestätigt in ihrer Praxis-Leitlinie 2019 PAMORA als eine adäquate Therapie der OIC in der täglichen Praxis. Gemäß dieser Leitlinie sollte eine Umstellung der Therapie zu PAMORA spätestens nach ein bis zwei Wochen bei unzureichender Wirksamkeit der Behandlung mit klassischen Laxanzien erfolgen. Im Thesenpapier der DGS aus dem Jahr 2019 erfolgt eine klare Abgrenzung der OIC von der habituellen Obstipation. Demzufolge ist die OIC nicht mit Laxanzien behandelbar. Jede erfolglose OIC-Therapie sollte bereits nach ein bis zwei Wochen durch PAMORA abgelöst werden, die die OIC kausal behandeln, ohne die Wirkung der Opioide zu beeinträchtigen. Die Nebenwirkungen des bis vor Kurzem einzigen in Deutschland verfügbaren PAMORA Naloxegol liegen dabei auf Placeboniveau bei einer gleichzeitig evidenzbasierten Verbesserung der Lebensqualität der Patienten. Die Leitlinie der DGS zur Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS) schlug 2020 in der OIC-Therapie ein stufenweises Vorgehen vor. Analog der DGVS-Leitlinie wird seit 2022 in Stufe 0 als Basismaßnahme eine tägliche Trinkmenge von 1,5 bis 2 l, eine ballaststoffreiche Ernährung sowie „normale“ körperliche Aktivität empfohlen. Gemäß Stufe 1 ist die empfohlene prophylaktische und die therapeutische Verabreichung von Laxanzien mit entweder propulsiver oder osmotisch/hydragoger Wirkung vorgesehen. Bei nicht ausreichender Wirksamkeit wird in Stufe 2 auf ein PAMORA gewechselt. In Einzelfällen kann die Fixkombination von retardiertem Naloxon/Oxycodon verwendet werden, wenn die OIC durch Oxycodon verursacht wurde. Ein Wechsel von anderen Opiaten auf retardiertes Naloxon/Oxycodon ist nicht empfohlen. In Stufe 3 ist ein PAMORA in Kombination mit einem Laxans empfohlen, ab Stufe 4 werden weitere Maßnahmen der Obstipationstherapie oder der Reservetherapie ergänzt. Die aktuelle Leitlinie der DGVS aus dem Jahr 2022 empfiehlt den Einsatz von PAMORA explizit zum Einsatz bei OIC nach unzureichender Wirksamkeit von Basismaßnahmen sowie einem Laxans. Nach DGS-Praxisleitlinie sollte diese Umstellung nach ein bis zwei Wochen erfolgen.

Entwicklung der OIC-Therapie

Generell haben der Einsatz von PAMORA und die damit verbundene Entwicklung von Leitlinien zur Therapie der OIC innerhalb der vergangenen Jahre stark zugenommen. Dies ist einerseits damit zu begründen, dass die Wichtigkeit einer adäquaten OIC-Therapie zum Erhalt der Compliance der Schmerztherapie erkannt wurde. Andererseits liegt dies auch an den zur Verfügung stehenden Konsensusempfehlungen und PraxisLeitlinien, die für behandelnde Ärzte der Orientierung dienen. Obwohl bereits seit 2008 mit dem subkutan zu verabreichenden Methylnaltrexon und anschließend mit der oralen Darreichungsform von Naloxegol eine kausale OIC-Therapie zur Verfügung stand, gab es erst ab 2017 erste veröffentlichte nationale Konsensusempfehlungen und später ab 2018 auch europaweite. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin entwickelte daraufhin im Jahr 2019 die erste eigenständige PraxisLeitlinie zum Management der opioidinduzierten Obstipation., lediglich auf einige wichtige Leitlinien und Empfehlungen hingewiesen.

Prophylaxe der OIC

In Einzelfällen kann die OIC durch eine Kombinationstherapie aus Oxycodon und Naloxon vermieden werden. So litten einer randomisierten, einfach verblindeten Studie zufolge opioidnaive Patienten 21 Tage nach erfolgter Wirbelsäulenoperation signifikant seltener an einer OIC, sofern sie einer Kombinationstherapie aus Oxycodon und Naloxon unterzogen wurden, als Patienten, deren Behandlung lediglich mit Oxycodon erfolgte. Bei Patienten unter chronischer Opioideinnahme zeigte sich dieser Unterschied dahingegen nicht. Kritisch anzumerken ist bei dieser Studie allerdings, dass es sich um eine einfach verblindete Studie ohne Placebokontrolle handelte und der Einsatz von Laxanzien nicht standardisiert erfasst wurde.

Evolution der PAMORA

Als erster PAMORA wurde im Jahr 2008 Alvimopan bei allgemeinchirurgischen Patienten nach Dünndarmresektion mit primärer Anastomose von der Food and Drug Administration (FDA) in den USA zugelassen. Anfang Juli 2008 erhielt das subkutan zu verabreichende Methylnaltrexon als erster PAMORA von der European Medicines Agency (EMA) die Zulassung in Europa. Bereits im April 2008 wurde Methylnaltrexon von der FDA in den USA zugelassen. In den Jahren 2014 und 2017 wurden mit und Naldemedin von der FDA und in den Jahren 2014 (Naloxegol) und 2019 (Naldemedin) seitens der EMA die ersten oralen PAMORA für den US-amerikanischen und den europäischen Markt zugelassen. Gemäß der Fachinformation ist Naloxegol zur Behandlung von OIC bei erwachsenen Patienten zugelassen, die unzureichend auf ein oder mehrere Laxanzien angesprochen haben. Naldemedin ist zugelassen zur Behandlung von OIC bei erwachsenen Patienten, die früher bereits mit einem Abführmittel behandelt wurden.

Wirksamkeit der PAMORA bei OIC

Für den ersten in Europa zugelassenen PAMORA Methylnaltrexon konnte im Rahmen einer randomisierten, kontrollierten Studie bei Patienten mit Nichttumorschmerzen eine dauerhafte Wirkung nachgewiesen werden, die sich auch nach vier Wochen noch signifikant gegenüber Placebo unterschied. Aufgrund der subkutanen Darreichungsform ist Methylnaltrexon allerdings schwierig in der Anwendung in der täglichen Praxis. Mit der Zulassung von Naloxegol im Jahr 2014 war der erste PAMORA in einer oralen Darreichungsform auf dem deutschen Markt verfügbar und daher gängiger für die tägliche Praxis. Naloxegol zeigt eine sehr gute Wirksamkeit hinsichtlich der medianen Zeit bis zur ersten spontanen Darmentleerung nach Einnahme ohne Verminderung der analgetischen Wirkung. So betrug diese unter Naloxegol 25 mg 7,6 Stunden versus 41,1 Stunden unter Placebo. Die Möglichkeit, die Tablette zu mörsern und mit einem Glas Wasser oder über die PEG-Sonden zu verabreichen, vergrößert das Spektrum seiner Anwendung. Im Jahr 2019 wurde Naldemedin als zusätzliche orale Therapie in Deutschland zugelassen. Naldemedin zeigt ebenfalls eine sehr gute Wirksamkeit mit Wirkeintritt von 16,1 Stunden unter Naldemedin 0,2 mg versus 46,7 Stunden unter Placebo und ergänzt somit die Therapiemöglichkeiten der OIC um eine weitere orale Darreichungsform.

OIC-Therapie in der Praxis

Grundlegend folgt die OIC-Therapie in der Praxis einem klaren Behandlungsalgorithmus gemäß den Empfehlungen der aktuellen Leitlinien. Unmittelbar mit Beginn der Opioidtherapie sollte ein Laxans verabreicht werden, da bei einem Großteil der Patienten unter Opioidtherapie OIC-Beschwerden auftreten. Lediglich bei 6 % der Betroffenen wird das Laxans jedoch eine ausreichende Wirkung erzielen, sodass nach ein bis zwei Wochen eine Umstellung der OIC-Therapie auf ein PAMORA erfolgen sollte. Führt auch diese Therapie zu keinem spürbaren Erfolg, so ist die Kombination des PAMORA mit einem Laxans möglich. Zudem ist zu überprüfen, ob eine Umstellung der Analgesie möglich ist. Bereits ab Beginn der Opioidtherapie sollte der BFI als zuverlässiges Diagnostiktool herangezogen werden, um die meist schwer zu ermittelnde OIC frühzeitig zu diagnostizieren und gegebenenfalls PAMORA zu verordnen.

Fazit

  • Die opioidinduzierte Obstipation (OIC) ist eine Sonderform der Obstipation mit einer eigenen Pathophysiologie.
  • Da die in der OIC-Therapie empfohlenen Basismaßnahmen und Laxanzien meist keine ausreichende Wirkung erzielen, wurden diesbezüglich zielgerichtete Therapien entwickelt.
  • Gemäß aktuellen Leitlinien wird demzufolge bei einem inadäquaten Ansprechen auf die Laxanstherapie der Einsatz von PAMORA empfohlen
  • Im Gegensatz zu Laxanzien und Prokinetika zielen PAMORA unmittelbar auf die zugrunde liegende Pathophysiologie der OIC ab.
  • PAMORA eignen sich als Dauertherapie der OIC mit anhaltender Wirksamkeit und ohne Verminderung der analgetischen Wirkung der eingesetzten Opioide.

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