Einleitung
Ein Neupatient stellt sich aufgrund seiner seit Jahren bestehenden chronischen Verdauungsbeschwerden bei Ihnen vor. Er hat bereits zahlreiche Präparate ausprobiert und verschiedene Ärzte aufgesucht, jedoch konnte ihm bisher niemand helfen. Im Gespräch stellt sich heraus, dass er schon mehrere Koloskopien und diverse differenzialdiagnostische Untersuchungen hinter sich hat, immer mit unauffälligem Befund. Aufgrund eigener Internetrecherchen hat er eine Darmfloraanalyse für 130 Euro durchführen lassen, von der er sich den entscheidenden diagnostischen Hinweis für die Ursachen seiner Darmbeschwerden verspricht. Das Resultat des Speziallabors ist beunruhigend, denn die Mängelliste ist lang: zu wenig Akkermansia, wenige Bifidobakterien, kaum Laktobazillen, eine geringe Diversität und zu viele Clostridien. Dazu ein leicht erhöhter pH-Wert im Stuhl. Alles Zeichen für eine ungesunde Flora, eine gestörte Verdauung und ein geschwächtes Immunsystem – so der Befund. Obwohl die Analyse Ernährungstipps und Vorschläge für Darmsanierungsprodukte beinhaltet, wünscht sich der Patient von Ihnen eine detaillierte Interpretation der Ergebnisse.
Kennen Sie diesen Patiententypus?
In der Praxis tragen Patienten inzwischen vermehrt den Wunsch nach Interpretation von kommerziell angebotenen Mikrobiomanalysen an den Arzt heran. Ärzte kennen die Hoffnungen, die mit derartigen Stuhltests verbunden sind, gut. Die Tests versprechen, einen Einblick in die Darmflora zu geben und so die Ursache für unspezifische Beschwerden zu liefern. Die Abgrenzung des Patientenwunsches zu einer medizinisch sinnvollen bzw. notwendigen Stuhldiagnostik ist insbesondere in der Kommunikation mit den Patienten oftmals nicht einfach. Dabei hilft es, ein grundlegendes Verständnis über den aktuellen Stand der Mikrobiomforschung zu besitzen. Doch leider sind schon die Grundlagen zum Mikrobiom im humanmedizinischen Studium und in fortführenden Weiterbildungen immer noch unterrepräsentiert. In dieser CME-Fortbildung erfahren Sie Wissenswertes rund um medizinisch sinnvolle Stuhluntersuchungen. Sie erhalten zudem eine Übersicht über die verschiedenen Versuche ein Mikrobiom zu „vermessen“ und lernen mehr über den derzeitigen Nutzen sowie über Strategien zur Patientenkommunikation.
Die Biologie des Stuhls
Nach der Verdauung im Magen und Dünndarm gelangen unverdaute oder nicht absorbierte Nahrungsbestandteile in den Dickdarm, wo sie auf den Großteil der intestinalen Mikrobiota treffen, die sie weiter abbaut. Gleichzeitig wird Wasser aus dem Stuhl resorbiert, was zu dessen Konsistenzveränderung führt. Schließlich erfolgt die Ansammlung der nicht verwertbaren Rückstände im Enddarm und die Ausscheidung über den After. Stuhl, als Endprodukt des Verdauungsprozesses, ist jedoch mehr als nur ein Ausscheidungsprodukt und enthält zum Großteil lebende und abgestorbene Bakterienbestandteile, Darmsekrete, Epithelzellen, Komponenten des darmassoziierten Immunsystems und andere Bestandteile, die wichtige Informationen über den Zustand des Verdauungssystems und eventuelle Erkrankungen liefern können. Der pH-Wert von Stuhl liegt im Schnitt zwischen pH 5,3 und pH 7,5 (Durchschnitt pH 6,6).
Medizingeschichte von Stuhl und Stuhlgang
Schon in der Antike und im anschließenden Mittelalter wurde eine Wissenschaft der Beurteilung von Darmausscheidungen für diagnostische Verfahren oder Prognosen (z. B. Tod) entwickelt. Im 16. Jahrhundert wurde eine Selbstvergiftung durch intestinale Abfallstoffe (Autointoxikation) als Erklärung für Erkrankungen herangezogen, welche die medizinische Theorie über Jahrhunderte prägte. Dass „die tägliche Darmentleerung von größter Bedeutung für den Erhalt der Gesundheit ist" und „ohne sie das gesamte System gestört und korrumpiert wird“, wurde in der medizinischen Literatur erstmals im Jahr 1856 betont und führte dazu, dass die Bedeutung von Stuhluntersuchungen stetig zunahm.
Stuhl als Informationspool für medizinische Diagnosen
Die vielfältige Zusammensetzung von Stuhl in Verbindung mit der Möglichkeit einer nicht
Makroskopische Stuhlanalysen
Die Beurteilung von äußerlich sichtbaren Merkmalen des Stuhls, die mit bloßem Auge erkennbar sind, die sog. Koproskopie oder Stuhlinspektion, bleibt ein wichtiger, kostengünstiger Bestandteil und erster Schritt in der Differenzialdiagnose – auch wenn sie heute leider nur noch selten durchgeführt wird.
Mikrobiologische Stuhlanalysen
Mikrobiologische Stuhlanalysen ermöglichen den gezielten Nachweis bakterieller, viraler und parasitärer Krankheitserreger im Stuhl. Dazu werden verschiedene Labormethoden eingesetzt, v. a. Kulturverfahren, Mikroskopie, Polymerase-Kettenreaktion (PCR), Serotypisierung, Toxinnachweise, Zytotoxizitätstests und Antigentests. Die mikrobiologische Analyse ist eine schnelle Maßnahme zur zielgerichteten Diagnose infektiöser Darmerkrankungen und ermöglicht zudem die Kontrolle von Therapieerfolgen.
Fäkale Biomarker
Für eine zuverlässige Diagnose, Verlaufskontrolle und Optimierung der Therapie ist es entscheidend, auf klinisch objektive und validierte Biomarker mit hoher Sensitivität und Spezifität zu setzen. Dafür bieten sich zahlreiche im Stuhl enthaltene Substanzen an, die wichtige Informationen über den Gesundheitszustand liefern können. Trotz des hohen Informationsgehaltes im Stuhl ist die Anzahl klinisch validierter fäkaler Biomarker jedoch noch begrenzt. Im klinischen Einsatz sind vor allem:
- Okkultes Blut
- Calprotectin
- Lactoferrin
- Pankreas-Elastase 1
Der Nachweis dieser Biomarker erfolgt heutzutage über immunologische Verfahren mittels spezifischer Antikörper. Neue und krankheitsspezifische fäkale Biomarker zu identifizieren, ist von großem Interesse, um genauere Informationen über biologische Prozesse und Krankheitsverläufe zu erhalten, z. B. bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) oder beim Reizdarmsyndrom. Einige der neuerdings erforschten fäkalen Biomarker werden zwar bereits als IGeL-Leistung angeboten (z. B. Zonulin oder α1-Antitrypsin zur Diagnose einer Barrierestörung, eines sog. Leaky Gut), die verwendeten Referenzwerte sind klinisch jedoch nicht valide, also nicht interpretierbar und bieten bestenfalls eine grobe Orientierung. Aktuell geht man davon aus, dass für die Diagnose und Verlaufskontrolle zukünftig spezifische Kombinationen von fäkalen Biomarkern aussagekräftiger sein werden anstatt der Betrachtung lediglich einzelner Marker. Bevor neue fäkale Biomarker in der klinischen Praxis verwendet werden können, sind also noch weitere umfangreiche Untersuchungen und Validierungen notwendig. Neue und krankheitsspezifische fäkale Biomarker zu identifizieren, ist von großem Interesse, um genauere Informationen über biologische Prozesse und Krankheitsverläufe zu erhalten, z. B. bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) oder beim Reizdarmsyndrom. Einige der neuerdings erforschten fäkalen Biomarker werden zwar bereits als IGeL-Leistung angeboten (z. B. Zonulin oder Alpha 1-Antitrypsin zur Diagnose einer Barrierestörung, eines sog. Leaky Gut), die verwendeten Referenzwerte sind klinisch jedoch nicht valide, also nicht interpretierbar, und bieten bestenfalls eine grobe Orientierung. Aktuell geht man davon aus, dass für die Diagnose und Verlaufskontrolle zukünftig spezifische Kombinationen von fäkalen Biomarkern aussagekräftiger sein werden anstatt der Betrachtung lediglich einzelner Marker. Bevor neue fäkale Biomarker in der klinischen Praxis verwendet werden können sind also noch weitere umfangreiche Untersuchungen und Validierungen notwendig.
Das intestinale Mikrobiom
In den letzten Jahren hat die Erforschung des intestinalen Mikrobioms große Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Mikrobiome sind Ökosysteme, die aus Mikroorganismen wie Bakterien, Pilzen und Viren bestehen und die man überall findet. Bei der wissenschaftlichen Untersuchung des menschlichen Mikrobioms liegt der Schwerpunkt derzeit vor allem auf den Bakterien. Daher bezieht sich der Begriff „Mikrobiom" hier oft speziell auf die Bakteriengemeinschaft (Mikrobiota). Das humane Mikrobiom, besonders das im Darm, spielt eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der Homöostase (Selbstregulation der physiologischen Vorgänge im Körper), denn es interagiert mit den verschiedenen Körpersystemen, einschließlich dem Immunsystem, Nervensystem und Stoffwechsel. Die mikrobielle Gemeinschaft entwickelt sich in den ersten drei Lebensjahren und wird im Laufe des Lebens durch Faktoren wie Ernährung, Aktivität, Alterung, Tagesrhythmus und Lebensstil beeinflusst. Immer mehr Forschungsergebnisse unterstützen die Ansicht, dass Störungen in der Interaktion zwischen intestinalem Mikrobiom und menschlichem Organismus zur Entstehung und zum Fortschreiten verschiedener, v. a. immunvermittelter Erkrankungen, beitragen – auch außerhalb des Darms. So häufen sich die Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Veränderungen in der Zusammensetzung der fäkalen Mikrobiota und Erkrankungen mit metabolischer, entzündlicher oder neoplastischer Genese. Die pathophysiologischen Vorgänge im Mikrobiom sind dabei oft nicht eindeutig identifiziert, deshalb stellt sich immer wieder die Frage, ob die beobachteten mikrobiellen Veränderungen die Ursache oder eine Folge der Krankheit sind („Henne-Ei-Problem“). Am wahrscheinlichsten ist, dass es sich um ein komplexes Wechselspiel aller beteiligten Komponenten handelt. Das ist wenig überraschend, wenn man bedenkt, an welcher Vielzahl von Funktionen und Stoffwechselprozessen das intestinale Mikrobiom beteiligt ist. Neben metabolischen sowie immun- und neuromodulatorischen Funktionen, wirkt es auch an der Bereitstellung von Nährstoffen und der aktiven Abwehr von Krankheitserregern mit. Aufgrund dieser engen symbiotischen Interaktion mit dem menschlichen Organismus birgt dieser intestinale „Superorganismus“ das Potenzial für innovative diagnostische und therapeutische Ansätze. Es gibt bereits einige Hinweise auf zukünftig vielversprechende Anwendungsbereiche, in denen Informationen aus dem intestinalen Mikrobiom in der Medizin genutzt werden könnten:
- 1. Prävention: Durch die Analyse des Mikrobioms könnten Risikogruppen für bestimmte Krankheiten identifiziert werden (z. B. Typ-2-Diabetes), um präventive Maßnahmen einzuleiten.
- 2. Früherkennung: Ein verändertes Mikrobiom könnte womöglich auf Frühstadien bestimmter Erkrankungen (z. B. kolorektales Karzinom) hinweisen und so eine rechtzeitige Behandlung ermöglichen.
- 3. Diagnose und Verlaufskontrolle: Objektive Biomarker aus dem Mikrobiom könnten zur Diagnose bestimmter Erkrankungen dienen, bei denen bislang leistungsstarke Diagnosemarker fehlen und man bisher auf Ausschlussdiagnostik angewiesen ist (z. B. Reizdarmsyndrom). Zudem könnten sie als Indikator zur Vorhersage und dem Monitoring von Krankheitsverläufen dienen (z. B. Prädiktor für kognitive Beeinträchtigungen nach einem Schlaganfall).
- 4. Prognose, Therapieoptimierung und personalisierte Medizin: Das Mikrobiom könnte Auskunft zur Prognose der Effektivität einer Pharmakotherapie und damit Einblicke in die Reaktion eines Patienten auf bestimmte Medikamente geben. Dies könnte ggf. Ansatzpunkte für individuell zugeschnittene Therapien liefern (z. B. Methotrexat bei rheumatoider Arthritis oder Immuncheckpoint-Inhibitoren in der Tumortherapie).
Definition eines „gesunden“ intestinalen Mikrobioms – die Suche nach verlässlichen Markern
Der Zustand einer ausgeglichenen und gut funktionierenden mikrobiellen Gemeinschaft, die zur Aufrechterhaltung der selbstregulierenden Prozesse im menschlichen Organismus beiträgt, wird als Eubiose bezeichnet. Eine Dysbiose wird dagegen im Allgemeinen als eine signifikante, pathologische Abweichung von der Eubiose definiert, die zu einer Störung physiologischer Funktionen führen kann. Um das intestinale Mikrobiom diagnostisch nutzen zu können und Krankheitszustände besser zu erkennen, ist die Charakterisierung eines „gesunden", also eubiotischen Mikrobioms, somit essenziell. Die Definition anhand einheitlicher Mikrobiommuster bringt jedoch nach wie vor vielfältige Herausforderungen mit sich:
- 1. Interindividuelle Variabilität und Dynamik des Mikrobioms: Das Mikrobiom ist ein dynamisches System, dessen Zusammensetzung sich im Laufe des Lebens und auch kurzfristig als Reaktion auf verschiedene Einflüsse wie Ernährung, Medikamente und Stress verändert.
- 2. Luminales vs. Schleimhaut-assoziiertes Mikrobiom: Die überwiegende Mehrheit der Forschungsarbeiten nutzt zur Analyse Stuhlproben. Diese können möglicherweise jedoch nicht das gesamte Bild der Mikrobiota abbilden, da immer mehr Daten die Bedeutung der Mukosa-assoziierten Mikrobiota hervorheben, die in Stuhlproben womöglich unterrepräsentiert ist.
- 3. Funktionalität: Die Informationen über die nachweisbaren Bakterien im Mikrobiom sind nützlich und als Referenzrahmen wichtig. Vorweg muss man jedoch auch die physiologischen Prozesse verstehen, in die die Mikrobiota involviert ist, um den daraus folgenden Einfluss von funktionellen Veränderungen auf die Entstehung von Krankheiten zu erkennen.
- 4. Datenflut: Moderne Technologien generieren riesige Datenmengen über das Mikrobiom und liefern damit ein großes Potenzial für ein besseres Verständnis. Es ist jedoch wichtig, auch über entsprechende Expertisen und standardisierte Infrastrukturen zu verfügen, um diese Daten effektiv zu sammeln, zu speichern, reproduzierbar zu analysieren und zu interpretieren.
Dies zeigt, dass die Definition eines physiologischen („gesunden") Mikrobioms eine komplexe Angelegenheit ist. Als Indikatoren für gesundheitsrelevante Abweichungen werden daher vereinfachte Parameter gesucht, darunter v. a. die taxonomische Zusammensetzung, Verhältnisse von Bakterienmengen sowie die Diversität.
Biomarker „Taxonomische Zusammensetzung“/h3>
Die Analyse von tieferen taxonomischen Ebenen, wie Gattungs-, Spezies- und v. a. Stammebene, ist methodisch immer noch herausfordernd. Die gut etablierte und günstige Sequenzierung des 16S rRNA Gens zur Identifizierung von Bakterien kann v. a. bislang unbekannte Kandidaten meist nur noch zuverlässig bis auf Familien-Ebene charakterisieren. Einzelne Stämme kann man mit dieser Methode nicht unterscheiden, da deren 16S rDNA Sequenzen zu ähnlich sind. Auf diesen tiefen Taxa-Ebenen weist das intestinale Mikrobiom innerhalb und zwischen Individuen eine sehr hohe Variabilität und Dynamik auf, da diese sehr stark von individuellen internen und externen Faktoren beeinflusst werden. Betrachtet man die höchste verwandtschaftliche Beziehungsebene, das Phylum, zeigt sich jedoch eine erstaunlich einheitliche und stabile Struktur mit sechs dominierenden Phyla-Gruppen. In der Forschung beschränkte man sich daher bei der Charakterisierung der Mikrobiota von Gesunden und Erkrankten bislang v. a. auf die relative Häufigkeit dominanter Phyla (z. B. Firmicutes) oder auf dominante Bakteriengruppen aus tieferen Ebenen (z. B. Gattung Clostridium). Auch die Charakterisierung von potenziellen Schlüsselspezies, die einen überproportionalen Einfluss auf die Gemeinschaft zu haben scheinen (z. B. Bacteroides uniformis, Akkermansia muciniphila, Faecalibacterium prausnitzii), ist ein vielfach genutzter Ansatz. Ein verminderter Nachweis wurde mit diversen pathophysiologischen Zuständen assoziiert.
KONTROVERSEN:
Es wurde vielfach versucht, ein Kernmikrobiom zu identifizieren – also ein gemeinsames Set an Bakterien-Taxa, das alle Menschen zur Aufrechterhaltung der Gesundheit benötigen – v. a., um daraus krankheitsspezifische Veränderungen abzuleiten. Dies ist bis heute nicht zweifelsfrei gelungen. Trotz der Konsistenz und geringeren Komplexität der dominanten Phyla variieren innerhalb einer gesunden Population die relativen Anteile noch erheblich, sodass diese Stabilität wohl nicht ausreicht, um einheitliche Muster für Erkrankungen zu identifizieren. Im Gegensatz dazu scheinen die bakteriellen Gene für metabolische Funktionen in einer gesunden Population stabiler zu sein. Erklären lässt sich dies durch funktionelle Redundanz im Mikrobiom: Verschiedene Bakterien-Taxa sind in der Lage, die gleichen Stoffwechselprozesse oder Funktionen auszuführen und so gleiche oder ähnliche Aufgaben im Metabolismus zu übernehmen. Wenn ein nützlicher Bakterienstamm verloren geht, gibt es u. U. andere Stämme (auch aus einem anderen Phylum) mit gleichen oder sehr ähnlichen Funktionen, die den potenziellen Verlust kompensieren können und so die Aufrechterhaltung der metabolischen Funktionen im Mikrobiom ermöglichen. Beispielsweise sind im menschlichen Darm sehr viele unterschiedliche Bakterientaxa für den Abbau komplexer Kohlenhydrate oder für die Produktion spezifischer Metabolite verantwortlich. Funktionelle Redundanz hat also zur Folge, dass sich die Mikrobiomzusammensetzung von zwei Personen zwar sehr stark unterscheiden kann, in funktioneller Hinsicht aber eubiotisch ist und sich nahezu gleich verhält. Dies bedeutet aber auch, dass nicht jede Änderung in der Zusammensetzung zwingend eine Änderung in der Gesamtfunktion des Mikrobioms zur Folge haben muss. Auf höheren Taxa-Ebenen (wie Phyla), lässt sich daher meist nicht schlussfolgern, dass eine Veränderung eine funktionelle Auswirkung hat. Jüngste Entwicklungen in der Methodik erlaubten zwar bereits erstmals Dysbiosen auf Stammebene zu beschreiben, jedoch bleibt die Charakterisierung auf diesen Ebenen (v. a. Gattung, Spezies und Stamm) methodisch immer noch schwer zu erfassen. Dazu kommt, dass Bakteriengruppen, die in hoher Anzahl vertreten sind, taxonomisch zwar inzwischen sehr gut nachweisbar und untersucht sind – jedoch Taxa mit geringer Abundanz (z. B. <1 %) immer noch unter die Nachweisgrenze fallen können. Aktuelle Erkenntnisse zeigen aber, dass gerade diese einen relevanteren Einfluss auf funktionelle Prozesse haben könnten als dominante Bakteriengruppen. All dies erschwert insgesamt die Definition eines stabilen, gesunden Zustands (Eubiose) und die Bestimmung universeller Normwerte auf alleiniger Basis der bakteriellen Zusammensetzung. Auch deshalb, weil nach wie vor nur ein Teil der Mikrobiota nachweisbar bzw. bekannt ist.
Biomarker „Mengenverhältnisse“
Einen vereinfachten Ansatz zur Kategorisierung und zum Vergleich von eubiotischen oder dysbiotischen Mikrobiommustern bietet die Verwendung von Mengenverhältnissen stabilerer Taxa-Ebenen. Es hat sich gezeigt, dass bestimmte Verhältnisse zwischen taxonomischen Gruppen vermutlich mit bestimmten Gesundheitszuständen assoziiert sind und daher als grobe Indikatoren für eine Eubiose oder Dysbiose dienen könnten. In Studien häufig verwendete Verhältnisse sind:
- Firmicutes/Bacteroidetes (F/B): Dies ist wahrscheinlich der bekannteste Marker, v. a. bei Adipositas. Es wurde beobachtet, dass dieses Verhältnis bei adipösen Personen (BMI >30) verschoben ist, wobei die Firmicutes dominieren.
- Prevotella/Bacteroides (P/B): Eine ballaststoffreiche Diät führte bei adipösen Personen mit einer hohen P/B-Ratio zu größerem Gewichtsverlust als bei Teilnehmern mit einem niedrigen P/B-Verhältnis. Überraschend verzeichneten diejenigen Personen ohne nachweisbare Prevotella-Bakterien einen ähnlich hohen Gewichtsverlust. Möglicherweise aufgrund funktioneller Redundanz.
- Fusobacterium nucleatum/Faecalibacterium prausnitzii (Fn/Fp): Bei Personen mit entzündlichen Darmerkrankungen, Adenomen und Darmkrebs scheint das Verhältnis erhöht (>1). Insbesondere bei Darmkrebspatienten zeigt sich eine mögliche Korrelation zur Schwere der Erkrankung.
KONTROVERSEN:
Obwohl solche taxonomischen Verhältnisse einzelner Bakteriengruppen zueinander zur groben Kategorisierung von Mikrobiommustern ein nützliches Werkzeug zu sein scheinen, legen neueste Analysen nahe, dass es keine einfache taxonomische Signatur von Erkrankungen, wie z. B. Adipositas, gibt und dass zwischen den veröffentlichten Studien erhebliche technische und klinische Unterschiede bestehen. Kritisiert wird auch, dass Verhältnisse alleine zwischen zwei Bakteriengruppen kein ausreichend zuverlässiger Indikator für ein aus dem Gleichgewicht geratenes Darmmikrobiom sein können. Die Verhältnisse sind also ebenfalls noch keine präzisen diagnostischen Werkzeuge, die die funktionelle Komplexität und Individualität des Mikrobioms vollständig erfassen können.
Biomarker „Diversität“
Eine hohe mikrobielle Vielfalt scheint in vielen Ökosystemen von Bedeutung zu sein, wenn es darum geht, flexibel auf Umweltveränderungen zu reagieren oder mit Störungen umzugehen. Denn eine hohe mikrobielle Diversität erhöht womöglich auch die Wahrscheinlichkeit für funktionelle Redundanz und damit die Möglichkeit, im physiologischen Gleichgewicht zu bleiben und die Funktionen des Ökosystems trotz Störungen aufrechtzuerhalten (d. h. Resilienz). Die Diversität innerhalb eines Mikrobioms wird durch verschiedene Messgrößen erfasst. Die Alpha-Diversität gibt Aufschluss über die Vielfalt in einer einzelnen Probe. Mit unterschiedlichen komplexen, statistisch berechneten Indizes werden sowohl Artenreichtum als auch die relative Häufigkeit berücksichtigt (z. B. Shannon- oder Simpson-Diversitätsindex). Die Beta-Diversität gilt dagegen als Maß für Unterschiede zwischen verschiedenen Proben (z. B. Bray-Curtis, Unifrac, Jaccard-Index).
Metapher: Funktionelle Redundanz im Fußballteam
Mikrobielle Diversität kann man sich auch wie ein gut organisiertes Fußballteam vorstellen. Jeder Spieler auf dem Feld hat eine spezifische Position und Rolle – vom Torwart über die Abwehr bis hin zum Stürmer. Wenn ein Spieler plötzlich ausfällt, kann das Team immer noch funktionieren, weil es andere Spieler gibt, die in der Lage sind, seine Position einzunehmen und seine Aufgaben zu übernehmen. Diese Anpassungsfähigkeit während des Spiels ist der Schlüssel zur Resilienz des Teams, genauso wie die funktionelle Redundanz zur Resilienz des Mikrobioms.
KONTROVERSEN:
Je nach Fragestellung hebt jeder dieser Indizes unterschiedliche Aspekte hervor und kann in verschiedenen Kontexten nützlich sein. Bisher gibt es jedoch keine Einigung darüber, welcher Index die Realität am besten abbildet. Zudem geben sie ebenfalls keinen Einblick in die Funktionalität des Mikrobioms. Dadurch fehlt bisher eine klinische Validierung und die Indizes haben in der Realität wenig Aussagekraft. Eine geringe Diversität bedeutet z. B. nicht zwingend negative gesundheitliche Auswirkungen. Das vaginale Mikrobiom, dominiert von Lactobacillus-Arten, ist z. B. ein Ökosystem mit physiologisch sehr geringer Diversität. Erst Faktoren, die das spezifische Gleichgewicht stören (u. a. wie Antibiotika und hormonelle Veränderungen), können eine bakterielle Vaginose verursachen. Eine ungewöhnlich reduzierte intestinale Mikrobiotadiversität kann aber auch bei Menschen auftreten, die sich überwiegend pflanzlich ernähren. Dies kann aus einer Anreicherung von Bakterien resultieren, die auf den Abbau von pflanzlichen Kohlenhydraten spezialisiert sind, was jedoch keinen negativen Gesundheitsaspekt hat.
Zwischenfazit
Anhand des Nachweises einer bestimmten bakteriellen Zusammensetzung oder Diversität lässt sich derzeit nicht eindeutig auf die Funktionalität des Mikrobioms rückschließen. Ähnlich wie es kein einheitliches, gesundes Genom für alle Menschen gibt, muss man vermutlich davon ausgehen, dass es auch keine einheitliche, gesunde Zusammensetzung oder Diversität der Darmmikrobiota gibt.
Biomarker “Funktionalität“
Durch den Vorteil der funktionellen Redundanz bedeutet eine veränderte Zusammensetzung nicht immer gleich eine Veränderung in der Ökosystemfunktionalität. Stattdessen wird inzwischen angenommen, dass schwerwiegende (z. B. Antibiotika) oder langfristig einwirkende Stressoren (z. B. Ernährung) unter bestimmten Umständen zu einem Verlust an funktioneller Redundanz führen. Das kann dazu führen, dass wichtige physiologische Funktionen, an denen die intestinale Mikrobiota beteiligt ist, gestört werden. Fallen bestimmte Schlüsselfunktionen weg oder werden nicht richtig ausgeführt, können sich als Folge unausgeglichene oder konstant ungesunde Zustände entwickeln, die zu Krankheiten führen oder am Übergang zur Chronifizierung beteiligt sein können. Dass bislang so gut wie keine einheitlichen krankheitsspezifischen Mikrobiomprofile identifiziert wurden, legt nahe, dass das reine Zählen und Vergleichen von Bakteriengruppen nicht ausreicht oder sogar eher irreführend ist. Die Messung der Zusammensetzung oder Diversität allein sagt also vermutlich nicht viel darüber aus, ob sich das Mikrobiom in einem stabilen und funktionellen Zustand befindet.
Fazit
Inzwischen wird ein gesundes Mikrobiom in der Regel als ein ausgewogenes und stabiles Ökosystem definiert, das in der Lage ist, seine metabolischen Funktionen effizient auszuüben und sich an Veränderungen anzupassen – unabhängig von der mikrobiellen Zusammensetzung. Diese kollektive mikrobielle Funktionalität beeinflusst die menschliche Gesundheit am stärksten und lässt sich vermutlich nicht durch den reinen Nachweis oder Vergleich von Bakterien-Taxa abbilden. Eine mäßige Verringerung der Abundanz mancher Taxa hat wahrscheinlich nur marginale Auswirkungen auf die Gesamtfunktion des Mikrobioms. Um eine strukturelle Dysbiose zu messen, müsste man die Bakterien bis auf Stammebene differenzieren und deren spezifische Eigenschaften bestimmen. Wahrscheinlicher ist es, dass in Zukunft ganz andere methodische Ansätze genutzt werden.
Welche Stuhldiagnostik macht in der Praxis wann Sinn?
Mikrobiomanalysen: Welchen Sinn haben Sie für die Praxis?
Kommerzielle Mikrobiomanalysen, die unter verschiedenen Namen beworben werden, wie z. B. Darmfloratests, Dysbioseuntersuchungen, Kyberstatus oder intestinales Ökogramm, werben mit höchster Qualität und Wissenschaftlichkeit entgegen den Empfehlungen wissenschaftlicher Fachgesellschaften. Empfehlung der deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) und der deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS): Von Stuhltests zur Untersuchung des Mikrobioms wird abgeraten, da sie weder einen informativen noch einen therapeutischen Mehrwert bringen und die wissenschaftlichen Grundlagen zur Methodik und Bewertung fehlen. Sie stellen zudem keine GKV-Leistungen dar. Patienten suchen dennoch oft nach Hilfe bei der Interpretation dieser Tests, um die Ursache ihrer Krankheit zu finden. Welche Informationen liefern diese Tests also, welche Fragen können damit beantwortet werden und wie verlässlich sind sie für die klinische Praxis?
Herausforderungen in der klinischen Praxis
Vor der Beantwortung dieser Fragen gibt es einige Punkte, derer man sich bei der Bewertung von Ergebnissen der kommerziellen Darmfloratests bewusst sein sollte: 1. Mangelnde Standardisierung: Jeder Schritt, von der individuellen Probenentnahme durch den Patienten bis zur Probenaufbereitung und bioinformatischen Datenanalyse, kann Verzerrungen verursachen, die die Ergebnisse unzuverlässig machen. Schon die Art der Probenentnahme ist nicht so trivial wie sie erscheint: Eigentlich müssten Anwender vor der Probenentnahme ihren gesamten Stuhl gründlich durchmischen, da sich die Mikrobiotazusammensetzung am Rand des Stuhls von der im Inneren unterscheiden kann. Hinzu kommen je nach Labor die unterschiedlichsten Analyseverfahren, die zu stark abweichenden Ergebnissen führen können, die Vergleichbarkeit erschweren und meist auch nicht reproduzierbar sind. Die resultierende Interlaborvarianz wurde bereits in zahlreichen internationalen Studien beobachtet und macht die Implementierung von Richtlinien und standardisierten Verfahren dringend notwendig. Mit der Veröffentlichung eines Dokumentes vom Europäischen Komitee für Normung im Jahr 2021 wurden zumindest für eine einheitliche präanalytische Handhabung von Stuhlproben bis hin zur DNA-Isolierung erstmals Empfehlungen vorgeschlagen. 2. Geringe Informationstiefe: Im kommerziellen Bereich wird sich meist auf einfachste Methoden beschränkt (v. a. Kulturanzucht und 16S rDNA Sequenzierung). Der Nachweis erfolgt dabei lediglich von Sets vordefinierter und bereits gut charakterisierter Bakterien. 16S rRNA Gensequenzen haben jedoch eine sehr geringe taxonomische Auflösung, die meist nur bis zur Familien-Ebene geht. Die 16S rDNA Sequenzen vieler Lactobacillus-Arten sind zum Beispiel zu ähnlich, um ohne Weiteres zwischen verschiedenen Spezies unterscheiden zu können. Die Folge ist, dass Darmflorabefunde ganze Taxa-Gruppen verallgemeinert abbilden (z. B. Escherichia coli). Diese oberflächliche Herangehensweise führt zu einer geringen Informationsgenauigkeit, da z. B. innerhalb einer Gattung oder Spezies sowohl pathogene als auch kommensale Vertreter auftreten können (z. B. E. coli). Durch diese „unscharfen“ Analysen kann die Stuhlprobenmikrobiota daher nur grob bestimmt und keine Aussage getroffen werden, ob z. B. eine Überwucherung von ungünstigen Stämmen vorliegt. 3. Fehlende Normwerte: Die Einführung von Standardprozessen in Bezug auf Probenentnahme und Verarbeitung bedeutet leider nicht automatisch eine verbesserte Interpretierbarkeit, da valide Normwerte und Mikrobiommarker bislang fehlen. Trotzdem werden in den Darmflorabefunden mithilfe bunter Farbbalken gerne bakterielle Referenzwerte vermittelt, wobei eine Reduktion oder die Überbesiedlung meist negativ bewertet wird. Was bei einer Person als „zu viel“ oder „zu wenig“ angesehen wird, kann bei einer anderen Person aber normal sein. Menschen mit Laborwerten außerhalb des Referenzbereiches könnten daher gesund und Menschen mit Laborwerten im Referenzbereich krank sein. Einheitliche „normale" Schwellenwerte (z. B. für die Gattung Lactobacillus), wie dies bei validierten Biomarkern der Fall ist, gibt es aufgrund von Faktoren wie Individualität und Dynamik nicht. Die Referenzwerte der Anbieter stützen sich, wenn überhaupt, vermutlich auf interne Labordatensätze. Die hypothetischen Referenzwerte für bestimmte bakterielle Gruppen oder gar Spezies sind in der Praxis abseits einer Infektion aber kaum interpretierbar. 4. Momentaufnahme: Einheitliche Referenzbereiche zu etablieren, ist auch deshalb problematisch, da die Mikrobiotazusammensetzung ständigen Veränderungen unterliegt, ausgelöst durch äußere und innere Einflüsse (z. B. Ernährung, Lebensstil, Medikamente bzw. physiologische Vorgänge). Zum einen können selbst kleinste Zusätze in der Nahrung wie Zuckerersatzstoffe oder Gewürze die Zusammensetzung der fäkalen Mikrobiota innerhalb von Stunden beeinflussen, v. a. auf tieferen Taxa-Ebenen. Zum anderen hat sich gezeigt, dass die Mikrobiota auch während des zirkadianen 24-Stunden-Rhythmus oszilliert. Das heißt, zu verschiedenen Tageszeiten findet man unterschiedliche Zusammensetzungen und funktionelle Muster. Am Tag sind bakterielle Gene aktiv, die in Stoffwechselwege wie Energiestoffwechsel, DNA-Reparatur und Zellwachstum involviert sind, und mukosale Bakterien erreichen ihren Höchststand. Dagegen sind nachts eher luminale Bakterien sowie bakterielle Gene nachweisbar, die Entgiftung, Motilität und Umweltwahrnehmung betreffen. Die Mikrobiota synchronisiert auch die natürlichen Tagesrhythmen der angeborenen Immunabwehr mit der zirkadianen Uhr. Studien legen nahe, dass die Zahl an potenziellen luminalen Krankheitserregern (z. B. Salmonellen) im Laufe der Nacht ansteigt und daher Komponenten der erworbenen Immunabwehr wie sekretorische Immunglobuline A (sIgA) reaktiv zum Ende der Nacht ihren Höhepunkt erreichen. Dies fördert wiederum die Ansiedlung mukosaler Bakterien in der Tagphase, welche Komponenten der angeborenen Immunabwehr hochregulieren (z. B. antimikrobielle Peptide [AMP]) und dadurch die Pathogenabwehr verstärken. Diese tageszeitabhängige Dynamik führt nicht nur zu zeitlichen Schwankungen in der Metabolitproduktion, sondern macht es vermutlich auch schwierig, aus einer Darmfloraanalyse präzise Schlüsse über den langfristigen Zustand der Darmflora zu ziehen. 5. Nicht valide Parameter: Neben hypothetischen Referenzbereichen für die Mikrobiota werden in kommerziellen Darmfloratests oft weitere unnötige, unspezifische oder noch nicht validierte fäkale Marker bestimmt (z. B. Lysozym, sIgA, Gallensäuren) oder Pilze nachgewiesen. Diese Marker basieren jedoch auf vorläufigen und spekulativen wissenschaftlichen Erkenntnissen und sind für aussagekräftige, diagnostische oder prognostische Zwecke ungeeignet. In diese Kategorie gehören auch Dysbiose-Indizes oder Bakterienverhältnisse. 6. Überinterpretation: Die taxonomische Zusammensetzung des Mikrobioms alleine lässt keine Rückschlüsse auf dessen Funktionen zu. Dies hindert Anbieter von kommerziellen Tests aber nicht daran, hochspekulative Interpretationen zu machen, für die sie verschiedene Ansätze nutzen: Es werden fiktive Punkte-Scores vergeben. Höhere Punktzahlen sollen als Indikator für eine gesunde Darmflora stehen und dem Patienten auf stark vereinfachte Art darstellen, wie es um seine Gesundheit steht. Dies basiert jedoch nicht auf wissenschaftlichen Daten. Erkenntnisse einzelner wissenschaftlicher Publikationen werden aus einem völlig anderen Kontext und ohne überprüfte klinische Evidenz herangezogen. Aus verschiedenen Bakteriengattungen oder -arten werden dann u. a. willkürlich Kollektive erstellt, denen hypothetische Funktionen zugeschrieben werden, wie z. B. „Fäulnisflora", „Immunflora", „neuroaktive Mikrobiota" oder „mukosaprotektive Mikrobiota". Aus den vielen, teils fiktiven Analyseparametern resultieren oft 30 Seiten lange Befunde mit personalisierten Auswertungen zur Darmgesundheit, Kalorienverwertung oder zum Schlaf- und Gemütszustand. Selbst beim Nachweis von Mikrobiotaveränderungen weiß man im Moment nicht, wie diese die Gesundheit genau beeinflussen und ob dies klinisch relevant ist. Mit den begrenzten Informationen kommerzieller Analysen ist es nicht möglich, zuverlässig vorherzusagen, wie die gesamte Gemeinschaft funktioniert, geschweige denn, eine Diagnose zu stellen. Es besteht sowohl die Gefahr der Überinterpretation als auch von Fehldiagnosen, in denen Zusammenhänge oder Korrelationen als kausale Beziehungen fehlinterpretiert werden. 7.Fehlende evidenzbasierte Therapieempfehlungen: Mikrobiommodulation mag manch einer als einen Hype sehen, der voreilig Hoffnungen macht. Es gibt jedoch schon einige gesicherte Anwendungen, wie z. B. der fäkale Mikrobiomtransfer (FMT) bei therapierefraktärer Clostridium difficile-Infektion (CDI).Auch indikationsspezifische, evidenzbasierte Probiotika, die auf reale Symptome und klinische Endpunkte abzielen und deren Wirksamkeit auf hochwertigen wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert, sind in der medizinischen Praxis bereits etabliert (siehe Leitlinie Reizdarmsyndrom). Die per Computer generierten Analyseberichte der kommerziellen Darmfloraanalysen werfen jedoch kritische Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf die Ableitung von unspezifischen Therapieempfehlungen, für die es keine wissenschaftliche Evidenz gibt. Gerne wird das einfache Konzept herangezogen, dass man etwas, das „fehlt“ (z. B. Bifidobakterien), durch die Zugabe eines entsprechenden Probiotikums (mit Bifidobakterien) wieder „auffüllen“ muss, um die optimale Versorgung des Organismus sicherzustellen. Beim Ansatz, das Mikrobiom therapeutisch zu nutzen, geht es jedoch nicht darum, einen vermeintlichen Mangel mittels eines unspezifischen Probiotikums auszugleichen, dessen enthaltene Bakterien und deren Eigenschaften nicht untersucht sind. Vielmehr sollte die Auswahl und Anwendung von Probiotika auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und den individuellen Bedürfnissen unterschiedlicher Patientengruppen basieren. Dadurch können konkrete therapeutische Ziele erreicht werden, wie z. B. die Linderung spezifischer Symptome. Durch diese zielgerichtete Herangehensweise kann die Therapie bestimmter Erkrankungen effektiv verbessert werden, ohne dass Patienten unnötige Kosten für Produkte haben, die keine nachgewiesene Wirkung haben. Zu den Produktempfehlungen erhalten Anwender von Darmfloraanalysen oft sehr allgemeine, jedoch personalisiert wirkende Ernährungsempfehlungen. Dies kann dazu führen, dass einige Patienten ohne klare wissenschaftliche Grundlage bestimmte Nahrungsmittelgruppen oder -bestandteile radikal aus ihrer Ernährung entfernen. Diäten, die auf Testergebnissen basieren, können in manchen Fällen jedoch die Symptome verschlechtern oder zu Nährstoffmangel führen. Daher ist es ratsam, solche Empfehlungen mit Vorsicht zu betrachten und sich stattdessen auf fundierte Ernährungsempfehlungen zu stützen. Diese sollten auf einer gründlichen Anamnese und einer validierten Diagnostik von tatsächlich vorhandenen Beschwerden beruhen (z. B. die FODMAP-Diät bei Reizdarmsyndrom mit Schmerzen, Blähungen und Diarrhö als dominante Symptome). Unter Umständen kann es für eine optimale Versorgung auch sinnvoll sein, budgetneutral qualifizierte Ernährungsexperten mit einzubinden. Zusammenfassung: Die Interpretation von Darmfloraanalysen erfordert eine differenzierte Betrachtung und eine vorsichtige Herangehensweise, um falsche Hoffnungen und potenziell schädliche Behandlungen zu vermeiden. In der klinischen Praxis ist es wichtig, die Grenzen solcher Analysen zu erkennen und einfühlsam den Fokus auf bewährte evidenzbasierte Therapieansätze zu legen. Positiv sei vermerkt, dass die kommerziellen Tests dazu beitragen, dass die Bedeutung des Darmmikrobioms für die Gesundheit in der Gesellschaft immer mehr anerkannt wird.
Die klinische Mikrobiomdiagnostik hat immenses Zukunftspotenzial
Die Anwendung der Mikrobiomanalytik in der klinischen Diagnostik ist also noch in den Anfängen und durchaus herausfordernd. Es gibt keine einheitlichen Goldstandards für die Durchführung und im kommerziellen Umfeld werden v. a. günstige Methoden wie Kulturanzucht und die Sequenzierung des 16S rRNA Gens verwendet, deren Ergebnis sich auf grobe Informationen über die Zusammensetzung beschränkt. Zukünftige Mikrobiomanalysen müssen für den diagnostischen Einsatz jedoch nicht nur genaue, reproduzierbare und vergleichbare Ergebnisse gewährleisten, sondern Techniken und Analysealgorithmen integrieren, die Informationen über den funktionellen Status der mikrobiellen Gemeinschaft liefern. Die Metagenomik basiert auf der Sequenzierung des gesamten genetischen Materials in mikrobiellen Gemeinschaften, inklusive der Gene für die Produktion von Metaboliten und Proteinen. Allerdings ist der Großteil der identifizierten Mikrobiota oft noch unbekannt („dark matter“) und das Wissen über ihre Anwesenheit liefert nur begrenzten Mehrwert. Zudem kann die Analyse nicht zwischen aktiven, ruhenden oder toten Bakterien unterscheiden. Erschwerend kommt hinzu, dass das Vorhandensein genetischen Potenzials nicht zwangsläufig bedeutet, dass eine Funktion zum Zeitpunkt der Probenentnahme ausgeführt wurde. Durch Kombination neuester Technologien und Einsatz künstlicher Intelligenz wird es in Zukunft gelingen, ein tieferes Verständnis zu den Funktionen und Wechselwirkungen zwischen Mikrobiom und Mensch zu erlangen, um Mikrobiom-basierte Phänotypen zu definieren. Transkriptomik analysiert z. B. die Expression von Genen. Dies hilft Forschern zu verstehen, welche Gene in verschiedenen Zuständen aktiviert oder deaktiviert sind. Die Proteomik untersucht die Gesamtheit der von den Mikroorganismen produzierten Proteine. Dies geht über die genetische Information hinaus, da Proteine die tatsächlichen Ausführer der genetischen Anweisungen und direkt an vielen biologischen Funktionen beteiligt sind. Die Metabolomik analysiert letztlich die Gesamtheit der Metaboliten in einer biologischen Probe, was eine umfassende Sicht auf den Stoffwechselprozess ermöglicht.
Ausblick:
Spezifische Mikrobiomsignaturen aus funktionellen Informationen könnten in Zukunft dazu beitragen, wirklich valide Biomarker für Krankheiten und potenzielle Ziele für therapeutische Eingriffe zu entwickeln. Die Anwendung solcher Analysen steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. Der Transfer dieser Erkenntnisse in die klinische Anwendung ist sicherlich auch in Zukunft eine der größten Herausforderungen.
Umgang mit Patienten in der Praxis
Mikrobiomanalysen für die medizinische Routine stecken also noch in den Kinderschuhen. Dennoch kommen viele Patienten mit Befunden in die Praxis, um sie interpretieren zu lassen. Aufgrund starker Testgläubigkeit verteidigen Patienten hartnäckig ihre Testergebnisse und setzen sich selbst unter enormen Druck. Ein wissenschaftlich klingender Bericht kann zu einer Überinterpretation führen, die nur schwer zu korrigieren ist. Während der physiologische Nutzen begrenzt ist, kann dies psychologisch gesehen zu unnötigen Sorgen führen. Insgesamt stellen diese Tests ein Beispiel für sinnlose Diagnostik dar, die hohe Kosten verursacht und in der medizinischen Praxis keinen Mehrwert bietet. Wie kann man als Arzt nun mit diesen hypothetischen Befundbeurteilungen und Handlungsempfehlungen kommerzieller Anbieter von Darmfloratests umgehen? Checkliste im Umgang mit Darmflora-Analysen in der Praxis: Verständnis zeigen für das Interesse des Patienten an den Ergebnissen der Darmfloraanalyse. Bieten Sie eine fachliche Perspektive an, ohne die Ergebnisse der Analyse zu bestätigen oder direkt radikal abzulehnen. Ziehen Sie jedoch eine klare Grenze zwischen medizinischer und nicht medizinischer Diagnostik. Aufklärung ist wichtig, um realistische Erwartungen zu schaffen und das Verständnis der Patienten über die beschränkte Aussagekraft von Darmfloraanalysen im klinischen Kontext zu fördern. Einfache Kommunikation ohne komplizierte medizinische Begriffe fördert den Dialog mit den Patienten. Sachbuchempfehlungen können Patienten dabei helfen, vertiefende Fragen zu beantworten. Patienten, die umfangreiche Testergebnisse vorlegen, suchen oft nach mehr Informationen zu ihrer Diagnose. Die meisten behalten ein gesundes Maß an Skepsis gegenüber kommerziellen Angeboten und können die aktuellen Herausforderungen womöglich nachvollziehen. Perspektiven bieten. Es kann im Gespräch auf mögliche negative Auswirkungen der Ergebnisse hingewiesen werden, im Fokus sollte jedoch die Genesung stehen. Dabei kann das Interesse des Patienten an seiner Gesundheit genutzt werden, um seine Eigenverantwortung zu stärken. Unabhängig von den Testergebnissen kann z. B. auf die Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung, eines gesunden Lebensstils und Stressmanagements für die Darmflora hingewiesen werden. Qualifizierte Unterstützung miteinzubeziehen ermöglicht eine interdisziplinäre Therapie. Falls spezielle Ernährungsbedürfnisse vorliegen, erwägen Sie die Einbeziehung eines qualifizierten Ernährungsberaters (budgetneutral). Die Förderung von gezielten Gesundheitskursen durch die Krankenkasse (z. B. Stressmanagement) kann ebenfalls eine unterstützende Maßnahme sein. In der knappen Durchschnittszeit von 7,6 Minuten pro Arztbesuch kann es jedoch herausfordernd sein, die Informationsbedürfnisse angemessen zu bedienen. Die empathische und wohlwollende Patientenaufklärung kann das Vertrauen zwischen Patient und Arzt jedoch enorm stärken und für eine effiziente Versorgung und geringere Zahl an Rekonsultationen entscheidend sein. Sie ist damit wertvoller als hypothetische Empfehlungen aus Darmfloratests.
Makroskopische Stuhlanalysen
Die Definition eines normalen Stuhlgangs variiert von Person zu Person und hängt von verschiedenen Faktoren ab wie dem Hydratationsstatus, der aufgenommenen Nahrung und der Verweildauer im Darm. Die makroskopische Untersuchung des Stuhls bietet u. U. jedoch schon frühzeitig wichtige Einblicke in die Gesundheit des Verdauungstraktes. Die Konsistenz wird in der Regel als normal definiert, wenn der Stuhl geformt sowie weich bis fest ist. Ungewöhnliche Abweichungen können auf eine gestörte Kolontransitzeit hinweisen, verursacht z. B. durch eine Motilitätsstörung oder eine Darminfektion. Die Farbe des Stuhls wird normalerweise durch die aufgenommene Nahrung, die Galle und den bakteriellen Abbau von Blutkörperchen bestimmt, was zu einer hell- bis dunkelbraunen Färbung führt. Darüber hinaus trägt die Transitzeit zur Stuhlfarbe bei, schneller ist heller und langsamer ist dunkler. Schwarzer Stuhl (Teerstuhl: Meläna) kann auf eine Blutung im oberen Verdauungstrakt (Magen, Duodenum) hinweisen, während eine hellrote oder rote Blutauflagerung auf dem Stuhl (Hämatochezie) auf eine Blutung im unteren Verdauungstrakt hinweist (z. B. durch Hämorrhoiden, Analfissuren, Divertikulitis oder CED). Heller oder lehmfarbener Stuhl (Acholie) könnte auf eine verminderte oder fehlende Gallensekretion hindeuten (z. B. Gallensteine, Lebererkrankung). Voluminöser, glänzend grauer Stuhl (Fettstuhl: Steatorrhö) kann auf eine gestörte Aufnahme oder Verarbeitung von Nahrungsfetten im Darm hinweisen (eine Störung der Bauchspeicheldrüse, Gallenproduktion). Die Form des Stuhls ist normalerweise länglich oder wurstförmig mit einer Schleimschicht. Ein Beispiel für eine abweichende Form ist der „Bleistiftstuhl", bei dem der Stuhl dünn und schmal ist. Dies könnte auf eine Verengung im Rektum hinweisen (z. B. durch Tumor, Polypen, CED) und bedarf einer sofortigen Abklärung. Beimengungen wie unverdaute Nahrungsreste können auf eine mangelhafte Verdauung oder eine Malabsorption hindeuten; Schleim, Blut oder Eiter auf entzündliche Prozesse oder Verletzungen im Verdauungstrakt. Auch Parasiten (Würmer, Wurmeier) oder Protozoen können oft mit bloßem Auge erkannt werden. Der Geruch des Stuhls variiert je nach Nahrung und Verweildauer im Darm. Kohlenhydratreiche Ernährung führt zu säuerlichem Geruch, während fleischhaltige Kost intensiver riechen kann. Ein auffallend faulig-jauchiger, nach Aas riechender oder auch süßer Geruch deutet eher auf pathologische Veränderungen wie z. B. Zöliakie, CED, chronische Pankreatitis oder Kurzdarmsyndrom hin. Ein bekanntes Beispiel ist der vermeintlich einzigartige Stuhlgeruch einer C. difficile-Infektion. Es wird daher intensiv erforscht, ob der Nachweis spezifischer Geruchsstoffe im Stuhl als Schnelltest genutzt werden kann. Das Stuhlgewicht variiert zwischen 100 und 420 g pro Tag (Durchschnitt 128 g/Tag). Die Verwendung des Stuhlgewichtes als Biomarker wird z. B. zur Überwachung des Ernährungszustandes bei intensivpflichtigen Patienten ohne Darmerkrankung erwogen. Ein Stuhlgewicht von mehr als 350 g pro Tag kann bei diesen Patienten auf eine schwere Absorptionsstörung hindeuten.
Indikationsspezifische Stuhlanalysen in der Praxis
Während die kommerziellen Darmfloratests potenzielle Fallstricke liefern, gibt es in der Praxis auch sinnvolle Stuhlanalysen, die medizinisch fundiert sind und in der Diagnostik zur Überwachung von Gesundheitszuständen und zur Ableitung geeigneter Therapieansätze einen wirklichen Nutzen bringen. Eine Untersuchung des Stuhls ist vor allem dann indiziert, wenn über einen längeren Zeitraum unspezifische Symptome im Verdauungstrakt wie Durchfall, Bauchschmerzen, Krämpfe, Erbrechen oder Verstopfung sowie ungewollter Gewichtsverlust auftreten. Auch in der Darmkrebsfrüherkennung ist eine Stuhluntersuchung etabliert
A. Darmkrebsvorsorge und Früherkennung
Physiologisch sind im Stuhl kleinere Blutmengen (1 bis 2 ml/Tag) zu finden. Kolorektale Tumore und manche Vorstufen davon (sog. Polypen) können aber vermehrt bluten, bevor sie Beschwerden auslösen. Eine rechtzeitige Entdeckung und Entfernung dieser Polypen kann das Risiko einer Krebsentstehung erheblich reduzieren. Zum Nachweis von okkultem (nicht sichtbarem) Blut wird als Goldstandard ein immunologischer Test eingesetzt (iFOBT; immunological faecal occult blood test). Ein positiver Test weist auf intestinalen Blutverlust hin und erfordert eine weitere Abklärung mittels Koloskopie. Durch den Nachweis der M2-Pyruvatkinase (M2-PK), einem Enzym, das hauptsächlich von Tumorzellen freigesetzt wird, erhoffte man sich nicht blutende Tumore zu detektieren. Die Sensitivität und Spezifität dieses Markers (<28 % bzw. 81 %) ist jedoch unzureichend, weshalb die Leitlinie keinen Nutzen des Markers für Screeningzwecke sieht – weder als Ergänzung noch als Alternative zum iFOBT.
B. Malabsorption, Maldigestion und Pankreasinsuffizienz
Eine Malabsorption, z. B. eine Fettmalabsorption, kann zu einer unzureichenden Nährstoffaufnahme im Darm und zu vielfältigen Beschwerden und Mangelzuständen führen. Bei Verdacht darauf wird die Menge des Enzyms Pankreas-Elastase 1 bestimmt. Es gilt als Verdauungsenzymindikator und wird als inaktives Proenzym im Pankreas gebildet. Nach Sekretion in den Dünndarm wird es in das aktive Enzym Elastase 1 umgewandelt, das an der Verdauung von Proteinen beteiligt ist. Zu niedrige Elastasewerte im Stuhl deuten daher auf eine Funktionsschwäche der Bauchspeicheldrüse hin (Pankreasinsuffizienz), die zu Malabsorption führen kann. Für die Insuffizienz gibt es aber unterschiedliche Ursachen, die weiter abgeklärt werden müssen (z. B. chronische Pankreatitis, Mukoviszidose).
C. Verdacht auf infektiöse Darmerkrankung
Gastroenteritiden sind die häufigste Ursache für Diarrhö, begleitet von Übelkeit, Bauchschmerzen und Krämpfen, und führen nicht selten zur stationären Aufnahme. Sie werden durch verschiedene Erreger wie Bakterien, Viren und Parasiten verursacht und sind damit eine der häufigsten Indikationen für eine Stuhluntersuchung. Akute Fälle klingen in der Regel jedoch nach 2 bis 3 Tagen von selbst ab, daher ist in der Regel keine routinemäßige Erregerdiagnostik in der Ambulanz erforderlich. Im Gegensatz dazu sind chronische Diarrhöen meist auf andere Ursachen wie Magen-Darm-Erkrankungen, Stoffwechselprobleme oder funktionelle Störungen zurückzuführen. Eine labordiagnostische Abklärung mittels Stuhlprobe ist in der ambulanten Versorgung also meist nur bei länger bestehender Diarrhö notwendig, oder wenn zusätzlich bestimmte anamnestische Risikofaktoren vorliegen, z. B.
- bei Risikogruppen (Kinder; >65 Jahre; immunsupprimierte Patienten; relevante Komorbiditäten; Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen oder
lebensmittelverarbeitenden Institutionen arbeiten),
- bei kürzlich zurückliegenden Reisen,
- bei Kontakt mit infizierten Personen oder bestimmten Tieren,
- bei Aufnahme von potenziell kontaminierten Lebensmitteln (insbesondere während eines bekannten Ausbruchs),
- bei blutigen Diarrhöen,
- bei schwerem Krankheitsbild (u. a. Fieber),
- bei chronischen Darmbeschwerden,
- bei auffälliger makroskopischer Stuhlbeurteilung,
- bei Antibiotikabehandlung oder Hospitalisierung innerhalb der letzten 3 Monate.
Eine genauere Diagnose ist auch wichtig, wenn es darum geht, eine infektiöse Diarrhö von einer nicht infektiösen Diarrhö (z. B. aufgrund von CED, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Medikamentennebenwirkungen oder Erkrankungen wie das Reizdarmsyndrom) zu unterscheiden und so die geeignete Therapie einzuleiten. Zudem kann im Falle einer infektiösen Diarrhö durch eine genauere Diagnose ggf. eine mögliche Ausbreitung der Infektion verhindert werden. Eine ungerichtete Diagnostik nach dem Motto „Einmal Stuhl auf alles“ ist jedoch nicht nur unökonomisch, sondern auch in den meisten Fällen wenig aussagekräftig. Daher stellt die gründliche Anamnese einen wichtigen Baustein in der Diagnostik dar, denn die gezielte Abfrage von Verdachtsdiagnosen erleichtert die Wahl der Untersuchungsmethode und der Biomarker und reduziert falsch negative Laborergebnisse und damit die Kosten. Schon anhand der Anamnese kann z. B. der Ursache für akute Diarrhöen auf den Grund gekommen werden. Mit den anamnestisch erfassten Informationen und dem dadurch begründeten Verdacht, wird nach den mikrobiologischen Qualitätsrichtlinien der DGHM (Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie) in einer abgestuften Erregerdiagnostik möglichst gezielt vorgegangen. CAVE! Eine Stuhluntersuchung auf Pilze ist fachlich nur bei immunsupprimierten Patienten begründbar.
D. Unklare gastrointestinale Beschwerden
Nachweis intestinaler Entzündungen
In der Differenzialdiagnostik unklarer Darmbeschwerden helfen unspezifische fäkale Entzündungsmarker bei der Unterscheidung zwischen entzündlichen und nicht entzündlichen Geschehen. Es wurden eine Reihe fäkaler Biomarker dazu untersucht (u. a. Lysozym, PMN-Elastase, S100A12), jedoch weisen insbesondere die fäkalen Neutrophilenmarker Calprotectin und ggf. Lactoferrin (v. a. bei Kindern) die höchste Sensitivität für entzündliche Prozesse im Darm auf. Man nennt Calprotectin daher auch das „C-reaktive Protein (CRP) des Darms“; es ist dem CRP beim Nachweis intestinaler Entzündungen jedoch deutlich überlegen. Calprotectin ist ein calcium- und zinkbindendes Protein mit ausgeprägter antimikrobieller Wirkung und wird von Zellen des angeborenen Immunsystems produziert. Als Reaktion auf Entzündungen (infektiös oder nicht infektiös) wandern Neutrophile durch die Darmschleimhaut und setzen dort Calprotectin ins Darmlumen frei. Dieser Anstieg kann im Stuhl nachgewiesen werden und korreliert meist mit der endoskopischen und histologischen Aktivität der Entzündung. Ist der Calprotectin-Wert also erhöht, muss in jedem Fall eine weiterführende Diagnostik betrieben werden. Calprotectin dient v. a. zur Frühdiagnose entzündlicher Schübe bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, zur einfachen CED-Verlaufsdiagnostik sowie zur Differenzialdiagnose eines Reizdarmsyndroms bei unklarer chronischer Diarrhö. Zudem ist es ein aussagekräftiger Marker für die Früherkennung von Polypen und kolorektalen Karzinomen (auch nicht blutenden), sofern diese eine entzündliche Komponente haben. Auch bei einer Divertikulitis oder Enteritis mit geschädigter Darmmukosa ist Calprotectin erhöht.
Dyspeptische Beschwerden
Bei chronischen, dyspeptischen Beschwerden sollte eine Testung auf das Bakterium Helicobacter pylori erfolgen, da sich das Beschwerdeprofil dieser Infektion und einer Dyspepsie stark überlappen. In der Regel genügt für die Einleitung einer Eradikationstherapie ein endoskopisch nachgewiesenes Ulkus duodeni oder der histologische Nachweis von H. pylori mit chronisch aktiver Gastritis. Idealerweise sollte laut aktueller Leitlinie die Therapie begonnen werden, sobald zwei positive Testergebnisse mit unterschiedlichen Verfahren vorliegen. Abhängig vom individuellen Risikoprofil der Patienten können diese Verfahren nicht invasiv oder endoskopisch bioptisch erfolgen. Als nicht invasive Option wird in der Regel der 13C-Harnstoff-Atemtest angewendet. Der Antigennachweis aus Stuhl mittels (Schnell-)Tests basierend auf monoklonalen Antikörpern ist laut Leitlinie inzwischen jedoch eine gleichwertige Option und weniger aufwendig. Auch zur Kontrolle des Therapieerfolges reicht in der Regel einer der beiden nicht invasiven Tests aus; sollte jedoch frühestens 4 Wochen nach Therapieende erfolgen.
Fazit
- Die Einsatzmöglichkeiten fäkaler Biomarker für die Diagnostik sind vielfältig, aber meist unspezifisch und daher noch begrenzt.
- Stuhluntersuchungen können diagnostisch wertvoll sein. Die Wahl des passenden Biomarkers erfordert jedoch eine fundierte indikationsspezifische Herangehensweise
- Das intestinale Mikrobiom bietet Potenzial für neue fäkale Biomarker und für personalisierte Ansätze in der Medizin. Doch weitere Forschung ist nötig, um die bestehenden Herausforderungen zu lösen.
- Zur Definition eines „gesunden“ Mikrobioms sind taxonomische Analysen nach derzeitigem Wissensstand vermutlich nicht ausreichend.
- Der funktionelle Status des Mikrobioms ist wahrscheinlich von größerer Bedeutung, um den Gesundheitszustand oder einen individuellen Phänotyp zu definieren.
- Es fehlen u. a. Standards in Methodik und Auswertung der komplexen Mikrobiomdaten. Dies trägt dazu bei, dass eine valide klinische Interpretation kommerzieller Testergebnisse schwierig ist.
- Derzeit haben kommerzielle Darmfloratests noch keinen klinischen Wert und werden daher von der DGVS nicht empfohlen.
- Patientenerwartungen im Zusammenhang mit Darmfloraanalysen sollten einfühlsam und kompetent angegangen werden, um realistische Erwartungen zu fördern.
- Unspezifische Empfehlungen, basierend auf Darmfloratests, können zu unnötigen Kosten für unwirksame Therapien führen, die unter Umständen Schaden anrichten. Stattdessen Sollten gezielte Empfehlungen für evidenzbasierte mikrobiommodulierende Ansätze angestrebt werden (z. B. indikationsspezifische Probiotika oder Ernährungsberatung).