Schmerztherapie – Management der Opioid-induzierten Obstipation (OIC)

Eine der häufigsten Nebenwirkungen einer Schmerztherapie mit Opioiden ist die Opioid-induzierte Obstipation (OIC; opioid-induced constipation). Dennoch wird die OIC unterschätzt, z. B. weil Patienten die schambesetzte Symptomatik im Arztgespräch nicht thematisieren. Dabei stellt die OIC für den Patienten eine erhebliche Belastung dar, die zur Reduktion der Opioiddosis bis hin zum Absetzen der Medikation führen kann.

Diese Fortbildung beleuchtet das Beschwerdebild der OIC, das sich grundsätzlich – aufgrund der eigenen Pathophysiologie – von der funktionellen Obstipation unterscheidet. Durch Aktivierung der peripheren μ-Opioid Rezeptoren im enterischen Nervensystem kommt es zu einem Spektrum an vielfältigen Symptomen – nicht nur im Gastrointestinalbereich.

Die hier vorgestellten aktuellen Tools zur Diagnostik ermöglichen eine umfassende und genaue Bewertung der klinischen Situation mit nur wenig Zeitaufwand. Das Therapiemanagement folgt einem Stufenschema, angelehnt an die S2k-Leitlinie „Chronische Obstipation“.

Priv.-Doz. Dr. med. Stefan Wirz
Die Obstipation ist eines der vier wichtigsten Probleme von Menschen.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709119091190016
Zeitraum 19.09.2019 - 18.09.2020
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte Fortbildung abgelaufen
Zielgruppe Ärzte
Referent Priv.-Doz. Dr. med. Stefan Wirz
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Animierter Vortrag (eTutorial)
Lernmaterial Vortrag (21:17 Min.), Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner KYOWA KIRIN GmbH
Bewertung 4.3 (2926)

Einleitung

Der Einsatz von Opioiden hat sich in den letzten 10 Jahren in Deutschland mehr als verdoppelt, wie die Zahlen der Pain & Policy Studies Group zeigen [1]. Dabei werden Opioide überwiegend für Patienten mit chronischen Nichttumorschmerzen verschrieben [2]. Da alle Opioide neben ihrer guten analgetischen Wirkung auch Nebenwirkungen haben, wird man diesen mit zunehmender Verschreibung immer häufiger begegnen [3].

Nebenwirkungen der Opioidtherapie

Eine der häufigsten Nebenwirkungen bei Patienten, die Opioide zur Analgesie erhalten, ist die Opioid-induzierte Obstipation, kurz OIC (OIC; opioid-induced constipation) [4–6]. Mit 41 % war OIC die häufigste Nebenwirkung bei Patienten mit chronischen Nichttumorschmerzen unter Opioidtherapie in einer Metaanalyse von 8 randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudien [5]. Das heißt: Unter Opioidtherapie war die Wahrscheinlichkeit von Obstipationen ca. 3,7-mal höher als unter Placebo [5]. In beobachtenden und umfragebasierten Studien berichteten 62 bis 81 % der mit Opioiden behandelten Patienten über Verstopfung [7–10]. Manche Autoren gehen sogar davon aus, dass bei 95 % aller Schmerzpatienten, die mit Opioiden behandelt werden, die Darmfunktion mehr oder weniger stark beeinträchtigt ist [11].

Tabuthema Obstipation

Häufig zögern Patienten, ihre Probleme mit der Verdauung gegenüber ihrem Arzt zu thematisieren. In einer Befragung von ca. 500 mit Opioiden behandelten Patienten in den USA, in Kanada, Großbritannien und Deutschland gaben 37 % an, die Obstipationssymptome bei ihrem letzten Arztbesuch nicht angesprochen zu haben. In Deutschland waren es ca. 24 %, die darüber nicht mit ihrem Arzt gesprochen haben [2]. Dabei hat die OIC einen entscheidenden Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten. Die mit der OIC verbundenen Beschwerden können für die Patienten ähnlich oder in Einzelfällen sogar stärker belastend sein als die schmerz-verursachende Grunderkrankung [12]. Bei ca. einem Drittel der Betroffenen führte die OIC zur Reduktion der Opioiddosis oder sogar zum Absetzen der Opioidtherapie, wie eine umfragebasierte Studie zeigt [12].

Definition der OIC

Fragt man Patienten, was sie unter „Verstopfung“ verstehen, fallen die Antworten sehr unterschiedlich aus. Die Rom-IV-Kriterien stellen einen Versuch dar, die Erfassung der Symptome einer funktionellen Obstipation zu standardisieren [13]. Da lange Zeit keine einheitliche Definition der OIC vorlag, wurde diese 2014 durch eine Expertengruppe vorgeschlagen [14]. Dadurch erhält der Praktiker Richtlinien, die die Diagnose erleichtern [14]. Die Definition berücksichtigt die Veränderung der Stuhlgewohnheiten im Vergleich zu denen vor der Opioidtherapie. Zur Beurteilung sollten diese über mindestens 7 Tage aufgezeichnet worden sein und mindestens eine der folgenden Merkmale beinhalten [6, 14]:
  • Verminderte Stuhlfrequenz
  • Verstärktes Pressen, um den Darm zu entleeren
  • Gefühl der unvollständigen Stuhlentleerung
  • Härtere Stuhlkonsistenz
Ein deutsches Expertengremium hat sich 2017 in einer Konsensusempfehlung zum Management der OIC dieser Definition angeschlossen [6]. Es wird empfohlen, diese Definition für zukünftige Studien zu verwenden, um eine einheitliche Terminologie zu gewährleisten [6, 14].

Keine Toleranzentwicklung

OIC kann jederzeit nach Beginn der Opioidtherapie auftreten, meist schon bei Therapieeinleitung und auch bei geringer Dosierung [6] (Abb. 1). Während die mit Opioiden behandelten Patienten in der Regel eine Toleranz gegenüber Nebenwirkungen wie Sedierung, Übelkeit und Erbrechen entwickeln, geschieht dies gegenüber OIC üblicherweise nicht [15–17]. Das bedeutet, dass die OIC über die gesamte Dauer der Opioidtherapie anhält.

Einflussfaktoren

Weder die Art der Opioidmedikamente [4] noch der Applikationsweg [18] sollen einen Einfluss auf die Prävalenz von OIC-Symptomen haben. Allerdings stellten Forscher in einer aufbereiteten Metaanalyse fest, dass transdermale Präparate bei Tumorpatienten mit weniger Obstipationen assoziiert waren als orale Opioide [4]. Anders als bei der allgemeinen funktionellen Obstipation tritt die OIC bei Frauen nicht häufiger auf [4]. Möglicherweise hat die Einnahmefrequenz einen Einfluss auf die OIC: In einer Studie führte die tägliche Einnahme von Opioiden bei 81 % der Patienten zu Verstopfung, während nur 46 % der Patienten von Verstopfung berichteten, die Opioide zwei- bis dreimal pro Woche einnahmen [12]. Viele Schmerzpatienten haben aufgrund der Opioide ein erhöhtes Verstopfungsrisiko. Weitere Risikofaktoren sind u. a. eine verringerte Flüssigkeitsaufnahme, eine Mangelernährung, eine verminderte körperliche Aktivität, ein hohes Lebensalter sowie die Einnahme anderer Medikamente, z. B. Anticholinergika, Antikonvulsiva, Diuretika, H2-Blocker und Antazida, Neuroleptika oder Kalziumantagonisten [19]. Obstruktionen oder Tumorinfiltrationen können die Darmfunktion ebenfalls massiv beeinträchtigen [19]. Auch neurologische, endokrine oder systemische Erkrankungen können zu einer Verstopfung führen [19]. Für den Arzt ist es eine Herausausforderung festzustellen, inwieweit die Verstopfung bei der Einleitung der Opioidtherapie ausschließlich durch das Opioid verursacht wird oder eine Kombination von OIC und anderen Obstipationsfaktoren vorliegt bzw. auf andere Ursachen als OIC zurückzuführen ist.

Pathophysiologie der OIC

Nicht nur im Zentralnervensystem (ZNS), auch in anderen Geweben des menschlichen Körpers finden sich Opioidrezeptoren. So wurden im Gastrointestinaltrakt δ-, κ- und μ-Opioid Rezeptoren identifiziert [14]. Die κ- und δ-Rezeptoren werden in erster Linie im Magen und im proximalen Kolon exprimiert, während die μ-Rezeptoren im gesamten Gastrointestinaltrakt weitverbreitet sind [14]. Die µ-Opioidrezeptoren befinden sich insbesondere im Auerbach-Plexus oder Plexus myentericus, im Meissner-Plexus oder Plexus submucosus und im Epithelium [20–22]. Während die Bindung von Opioiden an die μ-Rezeptoren im ZNS eine Analgesie bewirkt, führt die Opioidbindung im enterischen Nervensystem zur gastrointestinalen Dysfunktion und Obstipation [20, 21]. Da die Opioidrezeptoren im gesamten Gastrointestinaltrakt (GI-Trakt) vorhanden sind, sind auch die Effekte nicht nur auf den Dickdarm beschränkt [21] (Abb. 2):
  • Im Ösophagus kommt es zu einer Sphinkter-Dysfunktion, die eine Dysphagie zur Folge haben kann.
  • Im Magen ist die Motilität vermindert und dadurch die Magenentleerung verzögert.
  • Im Dünndarm kann die verminderte Motilität zur Unterbrechung der Peristaltik und zu Spasmen führen.
  • Im Dickdarm führt die verlängerte Passagezeit zu einer erhöhten Flüssigkeitsresorption. Gleichzeitig ist die biliäre und pankreatische Sekretion verringert, was zur trockenen und harten Stuhlkonsistenz beiträgt.
  • Die Dysfunktion am Anussphinkter erschwert den Stuhlgang.
Eine der relevantesten klinischen Folgen einer Opioidtherapie am Darm ist die OIC.

Symptomkomplex OIC

Aus der Pathophysiologie der OIC ergibt sich ein ganzes Spektrum von Beschwerden, das unter dem Begriff „opioid-induced bowel dysfunction“ kurz OIBD, zusammengefasst wird. Die OIC wird als Teil der OIBD betrachtet. Folgende Beschwerden können zu einem Symptomkomplex der OIC bzw. OIBD gehören:
  • Appetitlosigkeit
  • Anorexie
  • Dysphagie
  • Gastroösophagealer Reflux
  • Frühzeitige Sättigung
  • Völlegefühl
  • Schmerzhafte Spasmen und Koliken
  • Übelkeit und Erbrechen
  • Blähungen
  • Harter Stuhl
  • Veränderte Stuhlkonsistenz
  • Obstipation
  • Unvollständige Stuhlentleerung
  • Fissuren und Hämorrhoidalblutungen
Die Obstipation kann auch als paradoxe Diarrhö in Erscheinung treten. Dabei handelt es sich um eine Form des Durchfalls, die bei Kolonstenosen auftritt und z. B. durch harten Stuhl verursacht wird. Dabei wird der stehende Stuhl bakteriell vergoren und teilweise verflüssigt, sodass eine Stuhlpassage ermöglicht wird. Es kommt zu flüssiger, übelriechender Diarrhö.

Diagnostik der OIC

Da die OIC für die Betroffenen eine stark belastende Nebenwirkung ihrer Opioidtherapie darstellt, ist es wichtig, das Auftreten von OIC-Symptomen frühzeitig zu erfassen [6]. Daher sollten zu Beginn der Opioidgabe sowie regelmäßig im Verlauf der Therapie Stuhlfrequenz, Stuhlkonsistenz und Beschwerden im Zusammenhang mit dem Stuhlgang abgefragt werden [6, 20]. Für die OIC-Diagnostik stehen verschiedene Assessments zur Verfügung, unter anderem der PAC-SYM, PAC-QOL, der Stool Symptom Screener (SSS), der Bowel Function Index, kurz BFI, und das BF Diary bzw. Stuhltagebuch [22]. In einem Vergleich dieser 5 Tools konnte der BFI durch seine klinische Praktikabilität und Zuverlässigkeit überzeugen [22].

Beurteilung der Darmfunktion

Anders als die längeren Alternativen erfasst der BFI nur 3 Aspekte durch eine numerische Analogskala [11]:
  • Die Leichtigkeit der Defäkation,
  • das Gefühl der inkompletten Darmentleerung sowie
  • die persönliche Einschätzung der Obstipation.
Werden mehr als 30 Punkte erreicht, kann von einer Obstipation ausgegangen werden. Ab dieser Punktzahl besteht die Indikation für verschreibungspflichtige Medikamente [23]. Da mit dem BFI auch der subjektive Leidensdruck abgefragt wird, fühlen sich Patienten mit ihrem Problem ernstgenommen [6]. Um objektiv Stuhlfrequenz und -konsistenz zu erfassen, kann es sinnvoll sein, zusätzlich über 14 Tage ein Stuhltagebuch führen zu lassen [6]. Als Alternative zum BFI kann zum Beispiel im Setting der Hausarztpraxis eine einfache und praktikable Obstipationsskala dienen (Abb. 3). Die Kriterien orientieren sich an der Definition der OIC. Von einer OIC kann ausgegangen werden, wenn das objektive Kriterium „Kein Stuhlgang über einen Zeitraum von mehr als 72 Stunden“ erfüllt ist und mindestens ein subjektives Kriterium wie Pressen, Defäkationsprobleme oder das Gefühl der unvollständigen Entleerung bejaht wird oder auch eine harte Stuhlkonsistenz vorliegt [6]. Die Einschätzung der subjektiven Beschwerden wird mithilfe einer numerischen Ratingskala von 0 „keine Beschwerden“ bis 10 „schlimmstmögliche Beschwerden“ erhoben. Um die wichtigsten Beschwerden von Schmerzpatienten, die mit Opioiden behandelt werden, zu erfassen, kann die in Abbildung 4 gezeigte Symptom-Checkliste hilfreich sein [24]. Die Tabelle ist vergleichbar mit dem PERS2ON Score, der in der Palliativmedizin Anwendung findet [25]. Das Tool ist einfach anzuwenden und kann zum Beispiel im Wartezimmer ausgelegt werden. Der Patient kann unbeobachtet und ehrlich seine Beschwerden ankreuzen. Die Symptome und Einschränkungen werden mittels einer numerischen Ratingskala von 1 bis 10 erfasst. Die ausgefüllte Checkliste kann als Kommunikationsbasis und Einstieg in das Gespräch dienen, um eine fundierte Einschätzung der Symptomlast zu gewinnen. Hinsichtlich der Stuhlkonsistenz hat sich im Gespräch mit dem Patienten der Einsatz der „Bristol Stool Form Scale“ bewährt, die 7 verschiedene Stuhlformen bildlich darstellt [26]. Die an der Universität Bristol als diagnostisches Hilfsmittel entwickelte Skala spricht von Obstipation, wenn der Stuhl aus festen, etwa nussgroßen Kügelchen besteht, die entweder einzeln oder in Wurstform abgesetzt werden [26]. Typ 3 und 4 stellen Normalstühle dar; Typ 5 bis 7 symbolisieren Diarrhö-Formen.

Behandlungsoptionen bei OIC

Zu Beginn jeder Opioidtherapie sollten Patienten über das gesamte Nebenwirkungsspektrum der Opioide einschließlich OIC aufgeklärt werden und prophylaktisch ein Laxans erhalten [6, 20]. Laxanzien wirken, je nach Substanzgruppe, ganz unterschiedlich. Zu den klassischen Laxanzien zählen Ballaststoffe, die das Stuhlvolumen durch Absorption von Wasser vergrößern und so indirekt die Peristaltik fördern [21, 27]. Bei OIC sind jedoch Ballaststoffe wie Flohsamenschalen oder Weizenkleie zu meiden, da sie die Beschwerden noch verstärken können [6]. Stimulierende Laxanzien wie Natriumpicosulfat oder Bisacodyl hemmen die Absorption von Wasser und fördern die Sekretion von Elektrolyten [28]. Stuhlerweichende Substanzen wie Glycerin oder Docusat-Natrium erhöhen den Wassergehalt im Stuhl, was die Stuhlmenge vergrößert und gleichzeitig den Stuhl erweicht [27]. Osmotische Laxanzien wie Lactulose oder Macrogol ziehen Wasser durch osmotische Gradienten, was ebenfalls das Stuhlvolumen vergrößert [21, 29]. Bei der OIC können sie aber aufgrund der hemmenden Opioidwirkung den peristaltischen Reflex oft nicht ausreichend fördern [6]. Prokinetika, z.B. Prucaloprid, verstärken die Darmmotorik [30]. Der hochselektive Serotonin-Agonist ist für erwachsene Patienten mit chronischer Obstipation, die nicht ausreichend auf Laxanzien angesprochen haben, zugelassen, nicht aber speziell für die OIC [6]. Laxanzien können bei einigen Patienten die Symptome einer OIC lindern helfen; sie beeinflussen jedoch nicht die Hauptsymptomatik, die durch die Blockade der µ-Opioidrezeptoren im Darm hervorgerufen wird. Aus diesem Grund wird ihre Wirksamkeit – obwohl Laxanzien am häufigsten bei OIC eingesetzt werden – insgesamt als unzureichend betrachtet [6, 27].

Limitationen herkömmlicher Therapien

Dass Laxanzien bei Patienten mit OIC tatsächlich nur eine begrenzte Wirkung haben, zeigt u. a. eine Langzeitstudie zur Belastung durch OIC [2]. Von den 493 befragten OIC-Patienten gab mehr als ein Drittel (36 %) an, dass sie in den letzten 2 Wochen überhaupt kein Abführmittel eingenommen haben [2]. Bei weiteren 24 % wurde das Laxans als unzureichend dosiert eingestuft und bei 40 % als ausreichend dosiert [2]. Jedoch haben 94 % der Studienteilnehmer, die ausreichende Dosen an Laxanzien einnahmen, bei Verwendung eines oder mehrerer Laxanzien aus einer Wirkstoffgruppe nur eine unzureichende Linderung erfahren [2]. Diese wurde definiert als weniger als 3 Darmentleerungen pro Woche in den letzten 2 Wochen und Obstipationssymptome von moderater oder starker bis sehr starker Ausprägung im selben Zeitraum [2]. Nur 6 % der Patienten sprachen nach Anwendung von einer Laxanzienklasse ausreichend auf das Laxans an [2]. Insgesamt muss die Datenlage zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Laxanzien bei Opioid-induzierter Obstipation als unzureichend bezeichnet werden [31].

Wirkmechanismus PAMORA

Einen weiteren möglichen Therapieansatz stellt die Gabe von peripher wirkenden µ-Opioidrezeptor-Antagonisten dar [6, 20, 31]. Die sogenannten „PAMORA“ (englisch: Peripherally Acting µ-Opioid Receptor Antagonists) zielen direkt auf die zugrunde liegende Pathophysiologie der OIC – die selektive Blockade der μ-Opioid Rezeptoren im Darm. PAMORA verhindern, dass Opioide an die peripheren µ-Opioidrezeptoren binden können. Folglich wird die Blockade des Reflexmotors aufgehoben, die sekretorischen Funktionen aktiviert und die Darmmotorik normalisiert, was schließlich zu einer Defäkation führt/führen kann. Weil PAMORA die Blut-Hirn-Schranke nur eingeschränkt passieren und somit nicht in das zentrale Nervensystem gelangen, wird die Opioid-vermittelte analgetische Wirkung nicht beeinträchtigt [32] (Abb. 5). In Deutschland stehen aktuell 2 PAMORA zur Verfügung: Methylnaltrexon, das subkutan verabreicht wird, sowie Naloxegol zur oralen Therapie. PAMORA sind zur Behandlung von Opioid-induzierter Obstipation bei Erwachsenen zugelassen, die nur unzureichend auf (ein oder mehrere) Laxanzien angesprochen haben.

Therapiemanagement der OIC

Das in der aktuellen S2k-Leitlinie „Chronische Obstipation“ [19] empfohlene Stufenschema kann in leicht abgewandelter Form auch für die Therapie der OIC angewandt werden [20] (Abb. 6). Basismaßnahmen wie eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Bewegung und ballaststoffreiche Ernährung sind bei OIC häufig nicht ausreichend effektiv und werden hier daher nicht extra aufgeführt [20]. Als erste Stufe sollten klassische Laxanzien zum Einsatz kommen, hier insbesondere Macrogol sowie Bisacodyl oder Natriumpicosulfat. Macrogol sollte dem Patienten schon zu Therapiebeginn zusammen mit dem Opioid als Begleitmedikation verschrieben werden [20]. Da mit Laxanzien bei OIC oftmals keine zufriedenstellende Wirkung erzielt werden kann, wird empfohlen, bereits nach der ersten Therapiewoche zu überprüfen, ob der Patient unzureichend auf Laxanzien reagiert, um den Leidensdruck und die Einschränkung der Lebensqualität frühzeitig zu verhindern [33]. Werden die Laxanzien schlecht vertragen oder sind nicht ausreichend wirksam, wird in der S2k-Leitlinie der Einsatz von Prokinetika, z. B. Prucaloprid, empfohlen [19]. PAMORA sollten bei unzureichendem Ansprechen bzw. schlechter Verträglichkeit von Laxanzien und/oder Prokinetika eingesetzt werden [6]. In therapieresistenten Fällen können Kombinationen von PAMORA mit anderen medikamentösen Therapien in Abhängigkeit von Effektivität und Nebenwirkungen versucht werden [19]. Eventuell muss eine Umstellung der Analgesie erwogen werden. Von rektalen Prozeduren raten Experten der Amerikanischen Gesellschaft für Schmerzmedizin ausdrücklich ab [23]. Die manuelle Stuhlausräumung und auch Einläufe seien mit einem gesteigerten Infektions- und Blutungsrisiko assoziiert.

Fazit

Eine der häufigsten Nebenwirkungen der Opioidtherapie ist die OIC, von der bis zu 95 % der Schmerzpatienten, die mit Opioiden behandelt werden, betroffen sein können [11]. Die Inzidenz der OIC ist dabei unabhängig von der Applikationsform des Opioids. Der OIC liegt eine eigene Pathophysiologie mit Aktivierung von peripheren μ-Opioid Rezeptoren im enterischen Nervensystem zugrunde. Daraus resultiert ein komplexes Spektrum an vielfältigen Symptomen im Gastrointestinalbereich. Die Beschwerden sollten von Beginn an und im weiteren Verlauf der Therapie abgefragt werden. Dazu stehen einfache und wenig zeitaufwendige Fragebögen zur Verfügung. Die Behandlung der OIC folgt einem Stufenschema, das an die Empfehlungen in der S2k-Leitline „Chronische Obstipation“ angelehnt ist. Allerdings sind Basismaßnahmen, wie eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr, Bewegung oder die Zufuhr von Ballaststoffen, bei OIC nicht ausreichend effektiv. Auch sprechen die Patienten häufig unzureichend bis gar nicht auf Laxanzien an. Bei Versagen der Therapie mit Laxanzien und Prokinetika sollte eine zielgerichtete und kausale OIC-Therapie mit einem PAMORA erfolgen. PAMORA greifen als einzige in die OIC-Pathophysiologie ein und blockieren die Wirkung von Opioiden an den peripheren μ-Opioid Rezeptoren und stellen so die Motilität und Sekretion des Darms wieder her.

Literatur

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