Retinale Revolution? Biomarker und Bildgebung bei DMÖ und RVV

Makulaödeme als Folge einer diabetischen Retinopathie oder infolge eines retinalen Venenverschlusses zählen zu den häufigsten Ursachen für eine erhebliche Verschlechterung des Sehvermögens und können Arbeitsfähigkeit und Lebensqualität der Betroffenen stark beeinträchtigen. Pathophysiologisch entsteht das Makulaödem durch eine mittels Ischämie bedingte Freisetzung von Entzündungsmediatoren, die anatomische Veränderungen in der Netzhaut und eine erhöhte retinale Gefäßleckage hervorrufen, die gemeinsam das Sehvermögen beeinträchtigen können. Wichtig sind eine rasche Diagnosestellung sowie eine konsequente und individualisierte Therapie, um die Sehkraft der Betroffenen zu erhalten oder sogar wieder zu bessern.

Erfahren Sie hier, wie nicht invasive Biomarker und künstliche Intelligenz (KI) zu frühzeitiger und präziser Diagnose sowie Therapieplanung und -kontrolle und so zum Sehkrafterhalt beitragen können.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709125055340018
Zeitraum 06.05.2025 - 05.05.2026
Zertifiziert in D, A, CH
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte 2 Punkte (Kategorie I)
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof. Dr. Dr. med. Clemens Lange
Dr. med. Andreas Cordes
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Webinar
Lernmaterial Vorträge, Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner AbbVie Deutschland GmbH & Co. KG
Bewertung 4.5 (83)

Einleitung

Ödeme im Bereich der Makula zählen zu den häufigsten Gründen für eine erhebliche Verschlechterung des Sehvermögens. So ist das diabetische Makulaödem (DMÖ) – eine der häufigsten mikrovaskulären Komplikationen bei Patienten mit Diabetes mellitus – die Hauptursache für schwere Sehbehinderungen und für die Erblindung bei Menschen im erwerbsfähigen Alter. Etwa 5,5 % der Menschen mit Diabetes mellitus sind weltweit von einem DMÖ betroffen. Angesichts des prognostizierten Anstieges der Diabetesinzidenz wird voraussichtlich auch die Zahl der Patienten mit DMÖ in Zukunft entsprechend weiter zunehmen. Schätzungen zufolge wird die Zahl der Menschen mit einer diabetischen Augenerkrankung in Europa bis 2050 auf 8,6 Millionen ansteigen. Die zweithäufigste Ursache für eine vaskulär bedingte Visusminderung ist ein Makulaödem (MÖ) infolge eines retinalen Venenverschlusses (RVV): Weltweit sind rund 28 Millionen Menschen davon betroffen, darunter etwa 300.000 Menschen in Deutschland. Um die Sehkraft der Betroffenen zu erhalten oder sogar wieder zu bessern, sind bei beiden Erkrankungen eine rasche Diagnosestellung sowie eine konsequente und individualisierte Therapie erforderlich.

Schlüsselrolle: Entzündung

Auch wenn es sich um komplexe, multifaktorielle Erkrankungen handelt, so liegen beiden Erkrankungen dennoch vergleichbare pathophysiologische Muster zugrunde, bei denen Entzündungsprozesse eine zentrale Rolle einnehmen. Häufiger Auslösemechanismus ist nach derzeitigem Verständnis eine Minderdurchblutung, die im Falle des DMÖ durch mikrovaskuläre Veränderungen verursacht wird, und im Falle des RVV durch den Gefäßverschluss. Die in der Folge auftretende Hypoxie ist ein starker Stimulus für verschiedene entzündliche Mechanismen. So kommt es zu einem Anstieg verschiedener Zytokine und Wachstumsfaktoren sowie zu Veränderungen der Gefäßoberfläche, die eine Migration von Leukozyten (Hypoxie-aktivierte Makrophagen) in das umliegende Netzhautgewebe fördern. Zusammen mit Gliazellen und Mikrogliazellen induzieren diese dort selbst wiederum die Freisetzung weiterer proinflammatorischer Zytokine und befeuern damit die Entzündungskaskade weiter. Zu diesen zählen u. a. Interleukin-6 (IL-6), IL-8, IL-10, Monozyten-chemotaktisches Protein 1 (MCP-1), Tumornekrosefaktor alpha (TNF-α) und vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktoren (VEGF). Letztlich führt dies zu erhöhter Gefäßpermeabilität und einem Zusammenbruch der Blut-Retina-Schranke, in deren Folge die feinaustarierte, retinale Flüssigkeitshomöostase der Netzhaut gestört wird und ein Makulaödem entsteht. Mittlerweile ist bekannt, dass chronische Entzündungsprozesse bei einer Vielzahl von ophthalmologischen Erkrankungen und insbesondere bei retinalen Erkrankungen eine zentrale Rolle spielen, darunter neben Gefäßverschlüssen und diabetischer Retinopathie (DR) auch bei altersabhängiger Makuladegeneration (AMD). Dabei geht die Entzündungskaskade einheitlich mit verschiedenen Mechanismen einher, darunter eine verstärkte Durchblutung und erhöhte vaskuläre Permeabilität, eine erhöhte Expression verschiedener Entzündungsmediatoren, die Infiltration mit Makrophagen, Neurodegeneration, Leckage (Ödembildung), Neovaskularisation, erhöhte Leukozyten-Adhäsion und eine Aktivierung von Mikrogliazellen. Grundsätzlich können diese Parameter als Biomarker dienen, allerdings sind derzeit noch nicht alle visualisierbar und objektiv messbar.

Typen von Biomarkern und deren Bedeutung

Bei Biomarkern handelt es sich im Allgemeinen um Merkmale, die objektiv messbar sind und die als Indikator für normale biologische sowie pathologische Prozesse gelten oder die Beurteilung einer pharmakologischen Reaktion auf eine therapeutische Intervention ermöglichen. Wesentlich ist, dass verschiedene Typen von Biomarkern existieren, die wiederum unterschiedliche Bedeutungen und eine unterschiedliche Aussagekraft haben – und dementsprechend im klinischen Alltag unterschiedlich zu beurteilen und einzusetzen sind. Während diagnostische Biomarker geeignet sind, um das Vorliegen einer Erkrankung festzustellen, ermöglicht die wiederholte Erfassung von Biomarkern (Monitoring), die Beurteilung des Erkrankungsstatus im Zeitverlauf. Besonders wichtig im klinischen Praxisalltag ist die sorgfältige Differenzierung zwischen prognostischen und prädiktiven Biomarkern: Während prognostische Biomarker die Wahrscheinlichkeit für den Verlauf einer Erkrankung (z. B. Auftreten von Rezidiv oder Progression) erfassen, können anhand von prädiktiven Biomarkern Personen identifiziert werden, bei denen die Wahrscheinlichkeit für ein positives (oder ungünstiges) Therapieansprechen höher ist als bei Personen ohne diesen Biomarker. Somit bieten prognostische Biomarker die Möglichkeit abzuschätzen, wie sich die Erkrankung und der Visus voraussichtlich entwickeln werden – und zwar unabhängig von einer bestimmten Behandlung. Prädiktive Biomarker können hingegen Hinweise darauf liefern, welche Therapie möglicherweise für den Patienten besonders geeignet (oder ungeeignet) sein kann, und bieten somit Unterstützung bei der Therapieplanung. Im Praxisalltag kann das Vorliegen bestimmter Biomarker mit den Patienten besprochen werden, um Diagnose, Prognose und Therapiewahl sowie den Verlauf der Behandlung anschaulich zu erläutern. Dies kann dazu beitragen, das Verständnis der Patienten für Ihre Erkrankung und die Notwendigkeit der Behandlung – und damit die Therapietreue – zu verbessern.

Biomarker im OCT

Heute ist die optische Kohärenztomographie (OCT) die Standarduntersuchungsmethode bei retinalen Erkrankungen geworden und wird häufig zum Monitoring des Behandlungserfolges sowohl im klinischen Alltag als auch in Studien eingesetzt. Das OCT liefert hochaufgelöste Schnittbilder des Augenhintergrundes, die feinste retinale Strukturen und Veränderungen der Netzhautschichten darstellen, und ist ein wertvolles Instrument zur Identifizierung und Beurteilung potenzieller morphologischer Veränderungen. Auch zahlreiche Biomarker lassen sich im OCT darstellen und beurteilen, wobei eine Erfassung möglichst vieler Biomarker dazu beiträgt, ein umfassendes Bild vom individuellen Erkrankungsstatus zu erlangen. Im Folgenden werden einige der im OCT darstellbaren Biomarker beschrieben, und es wird erläutert, welche Hinweise das Vorhandensein (oder Fehlen) eines bestimmten Biomarkers für die Therapieplanung liefern kann. Dabei ist allerdings auch zu bedenken, dass sich das Ansprechen eines Patienten nicht anhand eines einzelnen Biomarkers abschätzen lässt, sondern vielmehr von dem Zusammenspiel vielfältiger Biomarker, ihrer unterschiedlichen Relevanz und von der Gesamtsituation abhängt. In der täglichen Praxis empfiehlt es sich daher bei Überlegungen zu Prognose oder Therapieplanung, das Vorliegen (oder die Abwesenheit) möglichst vieler Biomarker zu erfassen, deren Relevanz und mögliche Interaktionen zu bedenken und diese Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Gesamtsituation des Patienten (u. a. bisheriger Verlauf der Erkrankung, Visus, Vorerkrankungen, Lebenssituation usw.) zu beurteilen.

Zentrale Netzhautdicke und intraretinale Flüssigkeit (IRF)

Die zentrale Netzhautdicke wurde und wird in Studien als Erfolgsparameter für eine Therapie sowie als Wiederbehandlungsparameter verwendet und ist auch im klinischen Alltag ein häufig eingesetzter Biomarker zur Diagnose und zur Verlaufskontrolle unter Therapie. Dabei steht eine höhere Netzhautdicke oftmals im Zusammenhang mit großen intraretinalen zystoiden Hohlräumen (intraretinale Flüssigkeit, IRF). Bei diesem Biomarker handelt es sich um flüssigkeitsgefüllte Hohlräume im Bereich der Makula, die je nach ihrer Lage innerhalb der Netzhautschichten und nach ihrer Größe beurteilt werden können. Es wurde gezeigt, dass das Vorhandensein großer zystoider Hohlräume mit einer höheren zentralen Netzhautdicke und einer höheren Prävalenz von strukturellen Schäden in der äußeren Netzhaut korreliert und einen Hinweis für eine schlechte Visusprognose liefert. Zudem kann ihre Größe auf die Dauer des DMÖs hinweisen: Größere zystoide Hohlräume (>250 µm) in der äußeren Körnerschicht („outer nuclear layer”, ONL) sind mit einer längeren Krankheitsdauer und mit chronischem DMÖ assoziiert. Ein chronisches DMÖ spricht wiederum oft besser auf intra-vitreale Steroidbehandlungen an als auf Anti-VEGF-Behandlungen.

HRF prädiktiv für endgültigen Visus

Als weiterer Biomarker sind im OCT sogenannte „hyperreflective Foci” (HRF) visualisierbar. Dabei handelt es sich um kleine (<30 µm), diskret umschriebene, punkt-förmige Läsionen im OCT, die in der Regel das gleiche oder ein höheres Reflexionsvermögen als das retinale Pigmentepithel (RPE) aufweisen. Das Vorhandensein von HRF kann signifikant mit einer schlechteren Sehschärfe unter Therapie einhergehen und kann daher als ein prädiktiver Biomarker für das endgültige Sehergebnis angesehen werden. Umgekehrt deutet eine Abnahme von Größe und Anzahl der HRF unter Therapie auf ein Ansprechen auf die Behandlung hin. Allerdings ist anzumerken, dass es im klinischen Alltag äußerst zeitintensiv und nahezu unmöglich ist, HRF oder deren Veränderungen mit „bloßem Auge” verlässlich auszuwerten. Diesbezüglich sind automatisierte Systeme oder auch KI-Anwendungen gefragt. HRF werden bei verschiedenen retinalen Erkrankungen beobachtet, allerdings ist ihr genauer Ursprung noch nicht abschließend geklärt. Manche Studien legen nahe, dass HRF aktivierte Mikrogliazellen und somit einen Biomarker für Entzündungen darstellen. Unter der Prämisse, dass HRF ein Biomarker für das Vorliegen eines (erhöhten) Entzündungsstatus sind, scheint gerade in Fällen mit vielen HRF der Einsatz einer antientzündlichen Therapie mit Steroiden vorteilhaft zu sein. Denn diese entfalten eine Vielzahl entzündungshemmender Wirkmechanismen und adressieren mehrere Ziele, während eine Anti-VEGF-Therapie vorwiegend auf die Senkung der VEGF-Spiegel abzielt.

DRIL korreliert mit Visus bei akutem DMÖ

Ein weiterer Biomarker sind die sogenannten „disorganisation of the retinal inner layers” (DRIL). Dabei handelt es sich um ausgeprägte Veränderungen und Desorganisationen der inneren Netzhautschichten. Dadurch können die Grenzen zwischen der inneren nukleären Schicht (INL), der äußeren plexiformen Schicht (OPL) und dem Komplex aus Ganglienzellschicht und innerer plexiformer Schicht (GCL-IPL-Komplex) im OCT nicht mehr unterschieden werden. Im Bereich der DRIL ist somit die normale retinale Struktur aufgelöst, möglicherweise als eine Folge häufiger und chronischer Ödeme. Letztlich visualisieren DRIL somit eine Schädigung der inneren Netzhautschicht und stellen damit einen wichtigen prognostischen Biomarker dar, der möglicherweise auf eine Unterbrechung der Signalwege zur Reizweiterleitung der visuellen Informationen von den Fotorezeptoren zu den Ganglienzellen hinweist. DRIL korrelieren stark mit dem Visus bei akutem DMÖ sowie von Augen, in denen ein vorheriges DMÖ aufgelöst wurde. Erfahrungen aus dem klinischen Alltag zeigen, dass bei ausgeprägter Schädigung und Desorganisation der Netzhautstruktur, wie z. B. durch eine lang andauernde Erkrankung oder durch wiederholte Ödeme, mit Steroiden aufgrund der multiplen antientzündlichen Wirkmechanismen eher eine Besserung zu erreichen ist. Auch die Autoren einer Übersichtsarbeit halten fest, dass bei anhaltenden DRIL unter Anti-VEGF-Behandlung ein frühzeitiger Wechsel zu intravitrealen Steroiden erwogen werden sollte.

Zytokine als Biomarker

Zusätzlich zu den beschriebenen morphologischen Biomarkern kann auch die Konzentration von Zytokinen im Kammerwasser oder im Glaskörper als Biomarker dienen. So wurden im Kammerwasser und Glaskörper von Patienten mit DMÖ höhere Konzentrationen von verschiedenen Adhäsions- und Entzündungsproteinen sowie pro-angiogener Faktoren und VEGF nachgewiesen als bei gesunden Kontrollpersonen, wobei deren Konzentration positiv mit der Makuladicke korrelierte. Zwei Metaanalysen identifizierten signifikant erhöhte Konzentrationen von u. a. IL-6, IL-8, MCP-1 und VEGF im Kammerwasser und/oder Glaskörper bei Patienten mit RVV sowie bei Patienten mit DMÖ. Zudem wurde in einer Studie gezeigt, dass die Konzentration von Entzündungsmediatoren wie z. B. IL-6 und IL-8 im Kammerwasser mit zunehmendem Schweregrad der diabetischen Retinopathie ansteigt, während sich die VEGF-Konzentration mit unterschiedlichem Schweregrad nicht signifikant veränderte. Eine weitere Studie verglich die Effekte von Triamcinolon und dem VEGF-Inhibitor Bevacizumab (beides Off-Label-Anwendungen) bei Patienten mit bilateralem DMÖ. Vor der Behandlung waren in den Augen mit DMÖ viele unterschiedliche Zytokine und VEGF hochreguliert. Während unter der Steroidtherapie aufgrund des breiten pharmakologischen Wirkspektrums vielfältige Zytokine sowie VEGF herunterreguliert wurden, senkte die Anti-VEGF-Therapie hingegen vorwiegend den VEGF-Level. Eine Studie aus Japan mit 68 behandlungs-naiven Augen mit DMÖ zeigt zudem, dass das Ansprechen auf eine Ranibizumab-Behandlung bei DMÖ mit den zu Behandlungsbeginn vorliegenden VEGF-Konzentrationen in Zusammenhang zu stehen scheint: Augen, die bereits nach der ersten Injektion ein gutes Ansprechen zeigten, erzielten langfristig bessere visuelle Ergebnisse sowie eine deutliche Reduktion der Netzhautdicke – und wiesen zu Beginn höhere VEGF-Konzentrationen auf – als die Augen mit schlechterem Therapieansprechen. Zwar kann die Zytokinkonzentration im Kammerwasser im klinischen Alltag (derzeit noch) nicht erhoben werden, aber in (ferner) Zukunft könnten Systeme, die dies analog zur Blutzuckerkontrolle auch in der täglichen Praxis erlauben, eine personalisierte Medikamentenauswahl ermöglichen. Derzeit stellen morphologische Biomarker im OCT eine gute Möglichkeit dar, um ein umfassenderes Gesamtbild des Erkrankungsstatus zu erhalten und Prognose und Therapieansprechen abzuschätzen. Wie bereits dargelegt, gilt es dabei, möglichst viele Biomarker zu analysieren und deren Relevanz im Zusammenhang mit der Gesamtsituation des Patienten zu beurteilen. Hier kann die künstliche Intelligenz (KI) eine präzise Erfassung und vernetzte Analyse großer Datenmengen ermöglichen und so einen wichtigen Beitrag zur Patientenversorgung leisten.

Möglichkeiten von KI in der Retinologie

In den letzten Jahren hat die KI zunehmend auch in die Augenheilkunde Einzug gefunden. So nimmt die Zahl an Publikationen zur KI in der Augenheilkunde seit 2014 kontinuierlich und nahezu exponentiell zu. Auch das Interesse von Ophthalmologen an KI-Anwendungen zur Verbesserung der Patientenversorgung ist groß: Laut einer Umfrage der EURETINA würden 75 % der Befragten zukünftig KI-Anwendungen einsetzen. 72 % der Befragten gaben an, dass KI eine deutliche Unterstützung bei Diagnose und Monitoring von retinalen Erkrankungen bieten wird. Denn gerade in der Retinologie, in der standardmäßig große Bilddatenmengen generiert werden, kann KI standardisierte und objektive Analysen ermöglichen und so zukünftig maßgeblich zum Screening, zur Klassifizierung, zur Prognose und zu Therapieentscheidungen beitragen. Während ophthalmologische KI-Anwendungen in der Vergangenheit vorwiegend auf Fundusaufnahmen basierten, werden in jüngerer Zeit gerade im Zusammenhang mit Makulopathien zunehmend OCT-basierte KI-Anwendungen entwickelt und zugelassen. Einige zeichnen sich durch anwenderfreundliche Auswertungstools aus, sogenannte „clinical decision support systems”. Diese können Biomarker segmentieren und bei der Therapieunterstützung helfen.

Erfassung von Flüssigkeitskompartimenten

Im Folgenden werden beispielhaft einige KI-Anwendungen zum Management retinaler Erkrankungen vorgestellt. Bei RetinAI Discovery®, einem Spin-off der Universität Bern, handelt es sich um eine cloudbasierte Plattform für medizinische Bilder. KI-Algorithmen ermöglichen zudem die Quantifizierung relevanter Biomarker zur Überwachung von Netzhautveränderungen bei neovaskulärer AMD, geographischer Atrophie, DR, DMÖ und zystoidem Makulaödem. Dazu können mittels Drag and Drop die erstellten OCT-Aufnahmen direkt in Apps hochgeladen werden, und nach wenigen Minuten wird ein Report, z. B. der RetinAI Fluids Report© geliefert, in dem En-face-Bilder und der OCT-Schnitt durch die Netzhaut inklusive von der KI eingezeichnete Flüssigkeitskompartimente dargestellt sind. Der Vienna Fluid Monitor der Firma RetinSight (Spin-off der Universität Wien) ist ein gemäß Medizinprodukteverordnung zertifizierter Algorithmus. Er wurde entwickelt zur automatischen Segmentierung sowie zur Quantifizierung von intraretinaler und subretinaler Flüssigkeit sowie Pigmentepithelabhebung bei der AMD. Die unterschiedlichen Flüssigkeitskompartimente werden auf den OCT-Scans farblich unterschiedlich visualisiert und in Nanoliter angegeben. Die Dynamik der Flüssigkeiten kann im Verlauf beobachtet werden und der Algorithmus kann zwischen aktiver und nicht aktiver Flüssigkeit, z. B. degenerativen Pseudozysten, unterscheiden.

Therapie- und Planungsunterstützung

Noch einen Schritt weiter geht deepeye TPS®, ein Therapieplanungsmodul der Firma deepeye Medical für neovaskuläre AMD. Der Report zeigt zum einen eine farblich kodierte Annotierung der Flüssigkeitsräume und gibt basierend darauf einen Hinweis, wie die Krankheitsaktivität ist. Zudem wird der wahrscheinliche Therapiebedarf für Injektionen für die nächsten zwölf Monate angegeben. Diese Information kann zur Kommunikation mit den Patienten eingesetzt werden und zu verbesserter Adhärenz beitragen. Die CE-Zertifizierung ist beantragt und wird für Mitte 2025 erwartet.

Überwachung von zu Hause aus

Auch eine Überwachung retinaler Erkrankungen von zu Hause aus ist mittlerweile möglich. Dies kann gerade in ländlichen Gebieten mit weiten Anfahrtswegen zum nächsten Augenzentrum oder für mobil eingeschränkte Patienten die regelmäßigen Kontrollen erleichtern und die Adhärenz verbessern. Eine Möglichkeit ist das KI-gestützte, tragbare Scanly® Home OCT von Notal Vision, Inc (FDA-Zulassung liegt vor, CE-Zertifizierung bislang nicht). Die Idee ist, dass Patienten ein Gerät für zu Hause erhalten und regelmäßig ein OCT erstellen. Eine KI-basierte Anwendung kann im OCT die Flüssigkeitskompartimente annotieren, quantifizieren und im Verlauf auswerten. Die Bilddaten und der KI-Report werden an den OCT-Analyzer in einer Cloud gesendet, der eine automatische Überwachung ermöglicht und bei Aktivität einen erneuten Arztbesuch empfiehlt. Darüber hinaus existieren bereits diverse Systeme zur Diagnostik und zum Progressionsverlauf bei geographischer Atrophie (z. B. von RetinSight oder RetinAI) sowie zum Screening auf diabetische Retinopathie (z. B. LumineticsCore, früher IDx-DR, von Digital Diagnostics; Optomed Aurora AEYE von AEYE Health). Diese Systeme können auch von anderen Fachdisziplinen wie z. B. Optikern oder Diabetologen angewendet werden. In enger Zusammenarbeit mit Ophthalmologen kann dies – auch gerade angesichts steigender Patientenzahlen – dazu beitragen, noch mehr Patienten mit Diabetes einen Zugang zu frühzeitiger Erkennung zu verschaffen. Diese ist wiederum die Grundlage für eine leitliniengerechte Behandlung der DR bei einem Augenarzt – und beides sind entscheidende Voraussetzungen, um Patienten ihr Sehvermögen bestmöglich zu erhalten. Mögliche Befürchtungen, KI könne Augenärzte ersetzen, sind daher nicht gerechtfertigt. Vielmehr können KI-Anwendungen die ärztliche Expertise unterstützen und zu verbesserter Versorgung führen. So hat etwa hinsichtlich der Diagnose von DR eine Studie ergeben, dass eine Auswertung der Bilddaten durch Ärzte in Kombination mit KI-Systemen effektiver ist als nur die Auswertung durch Ärzte oder ein KI-System allein.

Grenzen und Chancen der KI

Gleichzeitig sind – wie bei der Implementierung neuer Technologien allgemein – auch Limitationen zu bedenken: So können derzeit (noch) nicht alle Hersteller von OCT-Geräten KI-Algorithmen implementieren, wobei zu erwarten ist, dass sich dies mit zunehmender Akzeptanz KI-basierter Auswertungstools ändern wird. Weiterhin sollte bei der Beurteilung der KI-basierten Ergebnisse und Empfehlungen immer auch bedacht werden, nach welchen Kriterien die Analyse erfolgte, welche Datenbanken (Größe, Ursprung) für das Training der KI zugrunde lagen und ob eine sorgfältige Validierung des KI-Algorithmus stattgefunden hat. Auch wenn sich die Arbeitsumgebung für Ophthalmologen durch die KI verändern wird, bleibt es dennoch Aufgabe der Ärzte, eine qualifizierte und empathische augenärztliche Patientenversorgung sicherzustellen und zukünftig mitzugestalten. Hier kann KI eine wertvolle und wichtige Ergänzung darstellen und im Praxisalltag zu einer Entlastung von kosten- und zeitintensiven Ressourcen beitragen, um so auch bei steigenden Patientenzahlen weiterhin eine gute Versorgung sicherzustellen. Zukünftig könnte KI auch bei der Prädiktion von Therapieverläufen unterstützen und so einen wichtigen Beitrag zur personalisierten Behandlung liefern.

Fazit

  • Netzhauterkrankungen wie DMÖ oder MÖ infolge eines retinalen Gefäßverschlusses erfordern eine rasche und konsequente Therapie.
  • Entzündungsmechanismen spielen eine zentrale Rolle bei vielen Netzhauterkrankungen.
  • Zunehmende Datenbasis für Biomarker zu Diagnose, Prognose, Monitoring und Prädiktion sind verfügbar.
  • KI ist längst auch in der Augenheilkunde angekommen und ermöglicht eine standardisierte, rasche und vernetzte Auswertung sehr großer Bilddatenmengen.
  • Es existieren zugelassene KI-Anwendungen zur Identifizierung und Quantifizierung von Biomarkern retinaler Erkrankungen, die eine Unterstützung bei der Diagnose, Verlaufskontrolle und den Therapieentscheidungen bieten können.

Bildnachweis

JK_kyoto – stock.adobe.com