Das Adipositas Paradoxon
Adipositas ist eigentlich ein Paradoxon. Auf der einen Seite leben immer noch Millionen Menschen in Hunger und Armut, auf der anderen Seite übersteigt mittlerweile die Zahl der Übergewichtigen die Zahl der Hungernden. Jeder Vierte Deutsche ist adipös und die Tendenz ist steigend. Die Begründung für Adipositas und Übergewicht ist aus ernährungsphysiologischer Sicht das Ungleichgewicht in der Energiebilanz zwischen den eingenommenen und den verbrauchten Kalorien.
Adipositas – eine Pandemie?
Die Adipositas können wir mittlerweile als eine Pandemie sehen. Epidemiologische Studien die bis in die 1960er Jahre zurückreichen zeigen die stetige Zunahme Übergewichtiger. Seit den 1980er Jahren hat die Dynamik nochmals deutlich zugenommen. In den USA waren im Jahr 2002 bereits 33% der Frauen adipös. Auch in Deutschland steigt die Zahl Übergewichtiger fortlaufend.
Definition und Klassifikation der Adipositas
Der wichtigste Parameter zur Beschreibung der Adipositas ist der Body Mass Index, also das Verhältnis zwischen Körpergewicht und Größe. Ein BMI über 25 weist auf Übergewicht hin. Adipositas beginnt bei einem BMI von über 30. Ab diesem Wert wird die Adipositas zudem in die Schweregrade 1, 2 und 3 eingeteilt.
Ein weiterer Parameter neben dem BMI ist der Taillenumfang. Dieses Maß ist leicht zu ermitteln, indem der Taillenumfang zwischen Beckenschaufel und unterm Rippenbogen ermittelt wird. Der Taillenumfang scheint noch stärker mit dem kardiovaskulären Risiko und der Morbidität, dem metabolischen Risiko des Übergewichts zu korrelieren. Männern haben ab einem Umfang von 102 cm ein deutlich erhöhtes metabolisches und kardiovaskuläres Risiko. Bei Frauen sind es 88 cm.
Genetik der Adipositas
Bei der Adipositas scheint die Genetik scheint eine wichtige Rolle zu spielen. Die Varianz des Körpergewichts ist etwa zur Hälfte durch erbliche Faktoren mit bedingt. Es ist aber sehr selten ein rein monogenetische Defekt, zum Beispiel die Leptin-Defizienz. Sehr viel häufiger sind polygenetische Effekte. Diese sind bei ca. 2,5% der Adipösen nachzuweisen. Mittlerweile sind 32 Gen-Orte bekannt, die mit Adipositas assoziiert sind, wobei der Phänotyp, die Erscheinung des Individuums dann im erheblichen Maße durch nicht-genetische Faktoren mitbestimmt wird. Studien an Adoptivkindern konnten zeigen, dass der Body-Mass-Index der Adoptiveltern kaum mit dem der Adoptivkinder korreliert. Sehr viel besser korreliert der BMI der leiblichen Eltern mit deren Kindern.
Je nach Fetttyp - subkutane Fettmasse oder viszerale Fettmasse - hat die Genetik unterschiedliche Einflüsse. Auf das subkutane Fettgewebe schient der genetische Einfluss eher gering zu sein. Sehr viel bedeutender ist er bei dem viszeralen Fettgewebe.
Der „Gesunde Adipöse“
Interessanterweise gibt es auch den Typus: „Gesunder Adipöser“. Etwa 20-30% der Übergewichtigen und adipösen Erwachsenen haben keinerlei Störungen im Fettstoffwechsel, im Blutzuckerstoffwechsel oder hinsichtlich ihres Blutdrucks. Das heißt, sie entwickeln kein Metabolisches Syndrom. Diese Adipösen haben meist eine eher gluteo-femorale Fettverteilung mit weniger viszeralem Fett und weniger Fettgehalt der Leber und eine geringere Intima-Media-Dicke der Karotiden. Die gesunden Adipösen scheinen generell vor metabolischen und kardiovaskulären Folgeerkrankungen geschützt zu sein. Und diesen Typus findet man häufiger bei prämenopausalen Frauen.
Das Auftreten gesunder und ungesunder Adipositas lässt sich anhand des Konzepts der gestörten Expansionsfähigkeit des subkutanen Fettgewebes erklären. Normalerweise wird bei einer positiven Energiebilanz Fett im subkutanen Fettgewebe gespeichert. Das ist zunächst unproblematisch. Wenn es dann aber zu einer Verteilungsstörung kommt und zunehmend Fett in das viszerale Fettgewebe eingelagert wird, kommt es dort zur Hypertrophie, zur Hypoxie, zur Immunzellinfiltration und Entzündung. Dies führt dann zur Fehlfunktion des Fettgewebes. Diese vermehrte Adipokinesekretion und Immunzellinfiltration führen letzten Endes zu Diabetes, Fettleber, Arteriosklerose und kardiovaskulären Folgeproblemen.
Inflammation im Fettgewebe
Adipositas ist häufig mit einer subklinischen Entzündung assoziiert. Die Fettgewebszellen bilden bei Adipositas ein atherogenes inflammatorisches Adipokin- und Zytokinmuster. Dabei spielt wahrscheinlich eine höhere intrinsische Infiltration vor allem des viszeralen Fettgewebes mit den Zellen des Immunsystems eine entscheidende pathogenetische Rolle.
Es kommt zur vermehrten Anreicherung von Macrophagen im Fettgewebe. Diese Macrophagen führen zu einer vermehrten Ausbildung von Tumornekrosefaktor und Interleukin (IL)-6. TNF und IL-6 hemmen die Insulinsignale und führen auf diesem Wege zur Insulinresistenz.
Perinatale Determinanten der Adipöse
Es gibt aber auch perinatale Bestimmungsgrößen, die Einfluss auf das spätere Übergewicht der Kinder und der Neugeborenen führt. Dazu zählen zum Beispiel ein erhöhter präkonzeptioneller mütterlicher Body Mass Index. Das heißt, wenn die Mutter vor der Konzeption deutlich übergewichtig war ist das Risiko, dass das Neugeborene im weiteren Lebensverlauf auch übergewichtig wird, um das 2-3-fache erhöht.
Es gibt Beobachtungen, dass übergewichtige Mütter, die sich im Verlauf ihrer Zeit einer bariatrischen Operation unterzogen haben und die vor der Operation, also zu Zeiten des ausgeprägten Übergewichts, Kinder bekommen haben, und die nach der Operation Kinder bekommen haben, dass die Kinder vor der Operation übergewichtiger waren, während Kinder die nach der bariatrischen Operation, geboren wurden, normgewichtiger waren. Das Gewicht des Vaters scheint hier eine untergeordnete Rolle zu spielen.
Rauchen während der Schwangerschaft ist ebenfalls ein Risikofaktor für späteres Übergewicht. Untersuchungen von über 80.000 Kindern zeigen, dass wenn die Mutter während der Schwangerschaft geraucht hat, das Risiko für ein späteres kindliches Übergewicht um circa 50% erhöht ist.
Auch die Gewichtzunahme der Mutter während der Schwangerschaft scheint eine Einflussgröße zu haben. Normalerweise nimmt die Schwangere zwischen 11,5 und 16 Kilogramm während der Schwangerschaft zu. Überschreitet sie die Grenze von 16 Kilogramm steigt das Risiko für ein Übergewicht der Kinder um circa 40% an.
Dasselbe gilt für das Gestationsdiabetes, wobei sich eine Gewichtszunahme in der Schwangerschaft und Gestationsdiabetes vermutlich gegenseitig begünstigen und keine unabhängigen Merkmale sind.
Stillen hingegen scheint das Risiko für ein späteres Übergewicht zu reduzieren. Ob es daran liegt, dass der Eiweißgehalt in der Muttermilch in der Regel etwas niedriger ist als in Formuladiäten, ist nicht sicher. Anscheinend hat das Stillen einen positiven Einfluss auf die Gewichtsentwicklung der Kinder.
Endokrinologische Störungen
Endokrinologische Störungen werden ebenfalls häufig als Ursache für Adipositas diskutiert. Eine bekannte Redensart in diesem Zusammenhang ist: „Ich bin dick, weil ich es an den Drüsen habe.“ Endokrinologische Ursachen für Übergewicht sind allerdings eher selten. Sie liegen nur bei etwa 1% der Adipösen vor.
Lifestyle und Ernährung
Entscheidend ist letzten Endes der Lifestyle und die Ernährung. Die Hauptursache für die weltweit steigende Adipositasprävalenz sind die veränderten Ernährungsgewohnheiten verbunden mit fehlender körperlicher Bewegung. In einer amerikanischen Studie mit circa 120.000 Männern und Frauen zeigte sich, dass der regelmäßige Verzehr von Kartoffelchips, Kartoffeln, zuckerhaltigen Getränken und regelmäßiger Fleischkonsum mit einer stetigen Gewichtszunahme assoziiert ist. Dagegen korreliert der regelmäßige Verzehr von Gemüse, Vollkornprodukten, Früchten, Nüssen, Joghurt eher mit einer Gewichtsabnahme.
Es gibt noch weitere Einflussgrößen, beispielsweise die Schlafdauer. Menschen die weniger als 6 oder mehr als 8 Stunden, neigen zu einer Gewichtszunahme. Gleiches gilt für regelmäßiges Fernsehen.
Sozioökonomische Ursachen
Adipositas hat auch sozioökonomische Einflussgrößen. Eine große Querschnittsstudie in Deutschland in den Jahren 1985 bis 2002 zeigte, dass Männer und Frauen mit geringerer Schulbildung, mit niedrigerem beruflichem Status und geringerem Einkommen häufiger adipös waren. Das scheint für Frauen noch mehr zuzutreffen als für Männer. Diese Daten wurden dann in einer Nachfolgestudie nochmals bestätigt.
Die vorliegende Grafik zeigt die geschlechtsspezifische Häufigkeit von Adipositas in Abhängigkeit vom Alter und dem monatlichen Nettoeinkom men. In allen Altersgruppen, unabhängig ob männliches oder weibliches Geschlecht, zeigt die Gruppe mit höherem Nettoeinkommen eine niedrigere Adipositashäufigkeit.
Bedeutung des intestinalen Mikrobioms
Auch die Darmflora scheint eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von Adipositas zu spielen. Das intestinale Mikrobiom beherbergt Milliarden Bakterien, die eine wichtige Rolle in der Aufspaltung der Nährstoffe, in der Aufspaltung von Polysacchariden und bei der Freisetzung von Fettsäuren spielen. Die Darmflora Übergewichtiger unterscheidet sich von der Darmflora Normalgewichtiger. Neben einer insgesamt reduzierten Vielfalt an Darmbakterien dominiert bei Adipositas der Firmicutes-Bakterien-Stamm, während bei Normalgewichtigen der Bacterioidetes-Stamm vorherrscht. Beobachtungen an Mausmodellen legen nahe, dass das intestinale Mikrobiom einen großen Einfluss auf den Energiestoffwechsel hat.
Führt letzten Endes der falschen Enterotyp zur Adipositas? Die Zusammensetzung der Darmflora bestimmt nicht nur die zusätzliche Aufnahme von Energie und Nährstoffen für den Wirt, sondern sie spielt auch eine Rolle in der Ausprägung von Fettakkumulation, in der Ausbildung einer Insulinresistenz und hat Einfluss auf den inflammatorischen Status im Fettgewebe.
Die Prägung des individuellen Darmmikrobioms mit all seinen weitreichenden Folgen für das gesamte Leben erfolgt wahrscheinlich schon sehr früh im Leben. Das präkonzeptionelle Gewicht der Mutter als auch die Gewichtszunahme während der Schwangerschaft sind mit einem signifikant höheren Anteil von Bacteroides und Staphylokokken im Mikrobiom der Mutter assoziiert. Dies prägt mit hoher Wahrscheinlichkeit das Mikrobioms des Kindes.
Das Fettgewebe als endokrines Organ
Das Fettgewebe insbesondere das viszerale Fettgewebe im Bauchraum, das die inneren Organe umgibt, ist nicht nur ein Energiespeicher, sondern es ist auch ein wichtiges endokrines Organ. Heute weiß man, dass das viszerale Fettgewebe eine Vielzahl von Signalen sendet, an das Gehirn und an andere endokrine Organe. Es produziert zudem Peptidhormone, die sogenannten Adipokine.
Heute sind über 600 unterschiedliche Adipokine bekannt, die Einfluss auf verschiedene Organfunktionen und Stoffwechselvorgänge nehmen. Das bekannteste Adipokin ist das Leptin. Leptin wird im Fettgewebe gebildet. Es informiert neben anderen Hormonen den Hypothalamus über den „Füllungszustand“ des Energiespeichers. Das Gehirn, insbesondere der Thalamus reagiert darauf wiederum mit der Freisetzung anderer Peptidhormone, die die Nahrungsaufnahme dann wieder steuern.
Untersuchungen von Mäusen, bei denen Leptin unterdrückt wurde, beispielsweise durch Genmutation oder weil ihnen der Rezeptor im Gehirn fehlte, haben gezeigt, dass sich bei Fehlen von Leptin eine schwere Adiposität entwickeln kann.
Steuerung von Hunger und Sättigung
Die Steuerung von Hunger und Sättigung erfolgt über ein komplexes Netzwerk zwischen Hypothalamus, Hirnstamm und Frontalhirn.
Der Hypothalamus nimmt hierbei eine zentrale Rolle ein, da er über viele Rezeptoren für Leptin, Insulin und Ghrelin, ein wichtiges Signal aus dem Magen, verfügt. Der Hirnstamm scheint für die motorische Aufnahme von Nahrung zunächst völlig ausreichend zu sein. Wir brauchen unser Großhirn dafür nicht. Das wissen wir aus Tierversuchen von dezerebrierten Ratten. Im Bereich des Großhirns, speziell im Frontalhirn, kommen weitere Einflussgrößen für die Ernährung zum Tragen, nämlich die Erfahrung, bestimmte Nährstoffe als angenehm oder schmackhaft empfunden zu haben. Das reine Bedürfnis nach Energieaufnahme wird sozusagen vom Großhirn weiter modifiziert.
Auch der Gastrointestinaltrakt produziert eine Vielzahl von Hormonen, die entweder in Erwartung oder als Antwort auf aufgenommene Nahrung ausgeschüttet werden. Sie informieren das Gehirn, wie voll der Gastrointestinaltrakt ist und wie sich die aufgenommene Nahrung zusammensetzt: Fett, Eiweiß, Kohlenhydrate. Das im Fettgewebe gebildete Leptin und das im Pankreas gebildete Insulin informieren kontinuierlich über die im Fett gespeicherte Energiemenge.
Ghrelin, ein Hormon aus der Magenwand, reagiert auf den Dehnungszustand des Magens. Ist der Magen nicht gefüllt wird Ghrelin aus der Magenwand ausgeschüttet und meldet das Bedürfnis: „Hunger, der Magen muss gefüllt werden“. Wenn der Magen sich durch die Nahrungsaufnahme füllt wird die Produktion von Ghrelin wieder gemindert. Cholecystokinin, ein weiteres wichtiges Hormon, steigt sobald die Nahrung dann im Dünndarm angekommen ist, stimuliert die Bauchspeicheldrüse, die Gallenblasenkontraktion und signalisiert dem Hypothalamus wieder: Nahrung ist angekommen und die Zufuhr kann reduziert werden.
Regulation des Energiestoffwechsels
Die Regulation des Energiestoffwechsels lässt sich vereinfacht wie folgt zusammenfassen: Um möglichst ein Gleichgewicht zwischen Energieaufnahme und Verbrauch sicherzustellen braucht das Gehirn als zentrales Steuerorgan die Information aus dem Fettgewebe: Wie voll sind die Speicher? Es benötigt aus dem Magen-Darm-Trakt die Information: Ist Nahrung vorhanden, wie ist die Nahrung zusammengesetzt? Wenn genügend Nahrung angekommen ist bedeutet das wiederum: Die Zufuhr kann gestoppt werden.
Energieaufnahme – diätetische Aspekte
Im Zusammenhang mit Adipositas werden zahlreiche diätetische Aspekte diskutiert. Adipositas ist heutzutage in erster Linie den adipogenen Lebensbedingungen geschuldet. Aufgrund der hohen Effizienz der Nahrungsaufnahme wird nur etwa 5% der aufgenommenen Nahrungsenergie über den Stuhl ausgeschieden. Die Fähigkeit zur maximalen Energieausbeute erweist sich für den modernen Menschen als Nachteil.
Auch die Zusammensetzung der Nahrung spielt eine wichtige Rolle. Der Zucker- und Fettgehalt von Speisen erhöht die Schmackhaftigkeit. Und am beliebtesten ist die Kombination aus beidem. Fett ist gekennzeichnet durch eine hohe Energiedichte und Schmackhaftigkeit bei geringem Volumen und geringem Sättigungseffekt.
In Deutschland ist Brot einer der Hauptlieferanten von Kohlenhydraten. Bevorzugt sollten wir Kohlenhydrate mit geringem glykämischen Index zu uns nehmen, das heißt langkettige Kohlenhydrate, ergo Ballaststoffe, weil sie auch die Aufnahme von Zwischenmahlzeiten, Snacks und dergleichen mindern.
Für die Gewichtszunahme ist aber letzten Endes weniger die Zusammensetzung der Ernährung sondern vor allem die Gesamtenergieaufnahme entscheidend.
Auch die Nahrungsmittelindustrie beeinflusst unsere Essgewohnheiten. Beispielsweise haben in den Vereinigten Staaten in den letzten 30 Jahren die Packungsgrößen von Softdrinks und Fruchtsäften um 50% zugenommen.
Es gibt auch kulturelle, länderspezifische Unterschiede, was die Diätetik und Ernährung angeht. So werden in Frankreich in Restaurants typischerweise kleinere Portionen serviert, als in den USA. Auch Angaben in Kochbüchern variieren landesspezifisch.
Allgemein ist zu beobachten, dass der Konsum von Fast Food weltweit stark zugenommen hat und wahrscheinlich zur Verbreitung von Adipositas mit beiträgt.
Energieaufnahme - Folgen der evolutionären Entwicklung
Im Laufe der menschlichen Stammesgeschichte war es von elementarer Bedeutung, Nahrung optimal zu verarbeiten, denn eine Zufuhr von hochwertiger Nahrung war nicht regelmäßig gewährleistet. In den letzten 50 Jahren wurde dieser evolutionäre Vorteil einer effektiven Verdauung zum Nachteil. Heute lebt ein Großteil der Menschheit in einer permanenten Überflusssituation. Es stehen hochwertige, hochkalorische Nahrungsmittel zu jedem Zeitpunkt und allerorts zur Verfügung. Gleichzeitig bewegen sich die Menschen heute weniger als früher.
Die wichtigsten Prädiktoren für Übergewicht sind: Adipositas der Eltern, das Rauchen der Mutter während der Schwangerschaft und Alleinerziehung. Der Phänotyp Adipositas ist letztlich ein Mischbild von genetischer Prädisposition und Umweltfaktoren.
Energieaufnahme – Aspekte der psychogenen Adipositas
Auch die Psyche beeinflusst das Gewicht. Eine verbreitete Redensart lautet: „Das Problem schlägt mir auf den Magen“. Menschen in diesen Situationen haben aufgrund psychischer Probleme keinen Appetit. Eine andere Redensart lautet: „Ich fresse die Wut in mich hinein“. Wir sind es gewohnt, negative und positive emotionale Erlebnisse mit Nahrungsaufnahme zu verbinden. Eltern trösten oder belohnen ihre Kinder mit Süßigkeiten.
Die Adipositas und die atypische Depression weisen wichtige Gemeinsamkeiten auf. Beide Gruppen zeigen Antriebsschwäche, Bewegungsarmut und pathologisches Essverhalten. Adipöse haben gegenüber Normgewichtigen eine deutlich höhere Häufigkeit von psychischen Störungen.
Formen der psychogenen Adipositas
Psychogene Adipositas manifestiert sich in unterschiedlichen Formen, die vor allem durch Affektregulationsstörungen und Impulskontrollverlust gekennzeichnet sind.
Beim sogenannten „Grasen“ nehmen Adipöse über längere Zeit große Mengen an Süßigkeiten zu sich. Es gibt das Phänomen des Night-Eating-Syndroms, bei dem Menschen tagsüber fast keine Kalorien zu sich nehmen und abends einen Heißhunger entwickeln. Dann führen sie große Kalorienmengen zu, häufig verbunden mit einer gestörten Nachtruhe.
Die häufigste Form der psychisch bedingten Essstörung ist das Binge-Eating Syndrom. Diese Heißhungerattacken sind bei ungefähr 15-30% der psychoge bedingten Adipositas zu finden. Bei dieser Form des Kontrollverlusts über das Essen wird bis zum unangenehmen Völlegefühl gegessen. Die Betroffenen ekeln sich anschließend selbst, sind deprimiert über das eigene Verhalten und entwickeln Schuldgefühle. Im Unterschied zu anderen Essstörungen, wie etwa der Bulimie, gibt es kein kompensatorisches Verhalten. Also nach dem unkontrollierten Essen wird kein Erbrechen herbeigeführt.
Energieverbrauch
Der menschliche Energieverbrauch wird im Wesentlichen durch drei Komponenten bestimmt: Der Ruheenergieverbrauch, der unsere Grundfunktionen aufrecht hält, die Thermogenese, damit wir nicht abkühlen, und der Energieverbrauch für körperliche Aktivität, die ungefähr 20% des Gesamtenergieverbauchs beim Durchschnittsmenschen einnimmt. Bei Athleten können es bis zu 80% sein.
Ist eine Änderung des Energieverbrauchs ursächlich für die Adipositas-Epidemie? Seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts lässt sich ein Trend beobachten, dass der Ruheenergieverbrauch langsam ansteigt. Die Ursache ist aber nicht mehr körperliche Aktivität, sondern ein Zuwachs an Körpermasse. Hierdurch steigt der Ruheenergieverbrauch. Die zunehmende körperliche Inaktivität und die Entlastung von körperlicher Arbeit führen eher umgekehrt zu einem insgesamt verminderten Energieverbrauch.
Normalerweise beträgt der Ruheenergieverbrauch beim Erwachsenen 55-70% des Gesamtenergieverbrauchs. Dieser Wert wird aber wesentlich von Alter, Geschlecht, Muskelmasse und genetischen Eigenschaften mitbestimmt. Der Ruheenergieverbrauch sinkt mit steigendem Lebensalter. Diese Entwicklung beginnt bereits mit dem zwanzigsten Lebensjahr. Parallel dazu steigt das Körpergewicht um circa 0,4 Kilogramm pro Lebensjahr mit zunehmendem Alter an. Dabei haben Frauen einen geringeren Ruheenergieverbrauch als Männer, was vermutlich an der geringeren Muskelmasse liegt. Durch Ausdauertraining kann dem entgegengewirkt und der Ruheenergieverbrauch nachhaltig gesteigert werden.
Physical Activity Level
Der Energieverbrauch durch körperliche Aktivität wird mithilfe des Physical Activity Level (PAL) beschrieben. Die vorliegende Tabelle zeigt für verschiedene Berufsgruppen PAL-Werte, die durchschnittlich umgesetzt werden. Für den Energieverbrauch beim Gehen, beim Walken, beim Joggen, also beim Freizeitsport, gibt es eine Faustregel, zur Berechnung des Energieverbrauch: Körpergewicht in Kilogramm multipliziert mit der Distanz in Kilometern ergibt näherungsweise den Kalorienverbrauch, den man aufbringt. Das heißt eine 1o0 kg schwerere Person, die 10 km geht, verbraucht von circa 1000 Kilokalorien.
Sekundäre Adipositas
Unter sekundärer Adipositas versteht man eine Adipositas infolge einer Grunderkrankung. Dies kann eine Hypothyreose, ein Morbus Cushing oder das Syndrom der polyzystischen Ovarien bei Frauen sein. Letztere sind in der Regel übergewichtig, leiden an Zyklusstörungen und Infertilität.
Gewichtsszunahme durch Pharmaka
Auch eine notwendige Pharmakotherapie kann zu einer ungewünschten Gewichtszunahme führen. Bestimmte Psychopharmaka wie Lithium aber auch eine intensivierte Insulintherapie oder eine Kortison-Therapie können eine Gewichtszunahme von bis zu 8 kg zur Folge haben.
Circulus vitiosus Übergewicht und Depression
Menschen mit Übergewicht entwickeln im Laufe des Krankheitsgeschehens eine zunehmende depressive Verstimmung. Die depressive Verstimmung führt ihrerseits zu einer zunehmenden Inaktivität. Die Inaktivität führt zur weiteren Gewichtszunahme. Das verstärkt wieder die depressive Symptomatik.
Die Patienten stellen sich dann beim Arzt vor. Aufgrund der depressiven Symptomatik besteht die Notwendigkeit gegebenenfalls, eine Psychopharmakatherapie einzuleiten. Und die wiederrum kann zu einer Gewichtszunahme führen und am Ende befindet sich der Patient in einem Teufelskreislauf aus Depression – Inaktivität – Übergewicht – Nebenwirkungen von Psychopharmaka.
Bei Menschen in dieser Lebenssituation sollten zusätzlich verhaltenstherapeutische Maßnahmen eingeleitet werden, um die Patienten zu mehr körperlichen Aktivität, zu mehr Kraft- und Ausdauertraining zu motivieren.
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