Mukopolysaccharidosen (MPS)

Mukopolysaccharidosen (MPS) sind lysosomale Speicherkrankheiten, die auf einer angeborenen Störung des enzymatischen Abbaus von Glykosaminoglykanen (GAG; auch Mukopolysaccharide genannt) und deren Speicherung in Lysosomen beruhen. Bisher sind elf verschiedene Enzymdefizienzen bekannt, die zu sieben verschiedenen MPS-Formen führen. Fast alle MPS-Formen zeigen progrediente Skelettdeformitäten in unterschiedlicher Ausprägung, Kleinwuchs, vergröberte Gesichtszüge sowie weitere Organmanifestationen. Abhängig vom MPS-Typ treten Entwicklungsverzögerungen und eine fortschreitende psychomotorische Retardierung auf.

In dieser Fortbildung erfahren Sie unter anderem, wieso es immer wieder zu Verzögerungen der Diagnose kommt und wie sich die Diagnose recht einfach mittels Trockenbluttest (Enzym-Assay) stellen lässt. Eine frühzeitige Diagnose ist wichtig, da mit einer frühen und adäquaten Therapie das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamt werden kann. Alle Formen bis auf MPS III, MPS IVB und MPS IX sind behandelbar. Etablierte Behandlungsoptionen sind Enzymersatztherapien sowie bei bestimmten Fällen eine hämatopoetische Stammzelltransplantation.

Dr. med. Christina Lampe, Gießen
"Alle Mukopolysaccharidosen sind chronisch, fortschreitend, multisystemisch und lebenslimitierend. Nichtsdestotrotz gibt es die Möglichkeit, einige Formen zu behandeln, und dies macht es so wichtig, die Patienten so früh wie möglich zu diagnostizieren".


Kursinfo
VNR-Nummer 2760709122019310013
Zeitraum 21.01.2022 - 20.01.2023
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte Fortbildung abgelaufen
Zielgruppe Ärzte
Referent Dr. med. Christina Lampe
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Animierter Vortrag (Webcast)
Lernmaterial Vortrag (30:19 Min.), Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Sanofi-Aventis Deutschland GmbH
Bewertung 4.4 (169)

Was sind Mukopolysaccharidosen?

Die Mukopolysaccharidosen (MPS) sind eine extrem heterogene Gruppe angeborener, chronisch progredient verlaufender Stoffwechselerkrankungen, die zu den lysosomalen Speicherkrankheiten gehören. MPS werden durch das Fehlen bzw. durch Fehlfunktionen spezifischer lysosomaler Enzyme verursacht, die für den Abbau von Glykosaminoglykanen (GAG), auch Mukopolysaccharide genannt, verantwortlich sind. MPS sind gekennzeichnet durch die Anhäufung von unvollständig abgebauten Mukopolysacchariden in Lysosomen [1]. Die durch die Speicherung von Mukopolysacchariden verursachten Störungen der Zellfunktionen führen zu einer progressiven, multisystemischen Organschädigung und zu erhöhter Mortalität [1, 2]. Die Lebensqualität und Lebenserwartung der Patienten werden durch eine frühe Diagnose und eine adäquate Therapie bestimmt, die den Krankheitsverlauf verlangsamt [3].

Was genau sind Mukopolysaccharide?

Mukopolysaccharide sind aus unverzweigten Disaccharid-Einheiten aufgebaut und bilden lange, aus 30 bis zu mehreren Tausend Einheiten bestehende Polysaccharidketten [4]. An Proteine gebunden bilden diese Ketten die Proteoglykane, die neben Kollagen die Grundsubstanz der extrazellulären Matrix sind [4]. Für die Mukopolysaccharide ist heute der Begriff Glykosaminoglykane (GAG) gebräuchlich. GAG kommen nicht nur in Haut, Gelenken, Knorpel, Sehnen und Bändern vor, sondern überall im Körper, z. B. in Augen, Blutgefäßen, Herzklappen, Lunge und anderen Organen. Sie haben strukturelle sowie regulierende Funktionen. Eine wichtige Rolle bei MPS haben folgende Vertreter der GAG: Hyaluronsäure, Chondroitin-, Heparan-, Keratan- und Dermatansulfat.

Klassifikation der MPS

Je nachdem, welche GAG in Lysosomen abgelagert, d. h. nicht vollständig degradiert und abgebaut werden, kommt es zu unterschiedlichen Krankheitsformen der MPS. Bisher sind elf verschiedene Enzymdefizienzen bekannt, die zur GAG-Speicherung und zu sieben verschiedenen MPS-Formen führen, und zwar MPS I, II, III (A-D), IV A und B, VI, VII und IX [1, 3] (Tab. 1). Neben der Bezeichnung mit römischen Ziffern werden die MPS-Formen auch nach ihrem Erstbeschreiber benannt, z. B. Morbus Scheie (MPS I) oder Morbus Hunter (MPS II). Von einigen MPS-Formen, wie z. B. dem Morbus Sanfilippo (MPS III), gibt es mehrere Subtypen, die zwar das gleiche GAG-Speichermaterial und den gleichen Phänotyp zeigen, aber durch unterschiedliche defiziente Enzyme hervorgerufen werden [1, 3]. MPS I wurde historisch in drei Phänotypen eingeteilt, basierend auf der Schwere der Symptome (Hurler, Hurler-Scheie und Scheie, in abnehmender Reihenfolge der Schwere). Mittlerweile betrachtet man MPS I als ein breites Krankheitsspektrum mit unterschiedlichen Schweregraden und fließenden Übergängen zwischen der schweren Verlaufsform (mit ZNS-Beteiligung)und der attenuierten Form (ohne ZNS-Beteiligung). Die MPS-Formen V und VIII werden nicht mehr verwendet [1, 3].

Häufigkeit und Vererbung der MPS

Die Inzidenz aller Mukopolysaccharidosen in Deutschland wird auf etwa 1 : 28.000 geschätzt [5]. Am häufigsten tritt MPS III auf, am seltensten MPS IX [1,5]. Bislang wurden weltweit sogar nur vier Patienten mit MPS IX beschrieben [1]. Die MPS werden autosomal-rezessiv vererbt mit Ausnahme von MPS II (Morbus Hunter), welche über einen X-chromosomal-rezessiven Erbgang weitergegeben werden [1]. Von Morbus Hunter sind daher fast ausschließlich Jungen betroffen. Eine eindeutige Korrelation zwischen Geno- und Phänotyp existiert bei MPS nicht [6]. Selbst Punktmutationen, die nur zum Austausch einzelner Aminosäuren führen, können mit einem schweren Krankheitsverlauf assoziiert sein. Auch kann die gleiche Mutation bei verschiedenen Patienten zu unterschiedlichen Ausprägungen der Erkrankung führen [7]. Die Restaktivität des defizienten Enzyms lässt ebenfalls keine Aussage zum Schweregrad der Erkrankung zu [6].

Krankheitssymptome der MPS – eine Multisystemerkrankung

Die verschiedenen MPS-Formen haben eine Reihe gemeinsamer Symptome, die im Allgemeinen während der Säuglings- und Kindheitsphase auftreten. Die Ausprägung der Symptome ist von der Verlaufsform abhängig (Abb. 1): Nahezu alle Formen gehen mit einer Beteiligung des Skeletts und mit einer entsprechenden Verformung der Knochen (Dysostosis multiplex), mit verkürzten Sehnen und Bändern (Gelenkkontrakturen), mit Kleinwuchs und vergröberten Gesichtszügen einher. Eine Ausnahme bildet hier MPS IV (A und B), die hypermobile Gelenke zeigen. Das Aussehen der Patienten ist vor allem bei den schwereren, rascher progredienten Verlaufsformen geprägt von struppigen Haaren und Augenbrauen, fülligen Lippen und einer vergrößerten Zunge. Eine erkennbare Gesichtsdysmorphie tritt bei den attenuierten Verlaufsformen erst in späteren Verlauf und in abgeschwächter Form auf. Typisch für die Speichererkrankung sind die Vergrößerungen von Leber und Milz und ein vorgewölbtes Abdomen durch die schlaffen Bauchdecken. Häufig treten respiratorische Manifestationen auf, unter anderem Atemwegsobstruktion und restriktive Ventilationsstörungen. Viele Kinder mit MPS haben Leisten- oder Nabelbrüche und rezidivierende Atemwegsinfekte. Häufige Otitiden und Taubheit sowie Hornhauttrübung, meist verbunden mit einer Sehschwäche, können Anzeichen für eine MPS sein. Am Herzen manifestiert sich die MPS oft durch Klappenveränderungen, sodass einige Patienten einen Herzklappenersatz benötigen. Aber auch andere Erkrankungen des Herzgefäßsystems wie Arrhythmien, pulmonale Hypertension und Herzinsuffizienz können auftreten. Kardiorespiratorische Notfälle stellen die Haupttodesursache bei Patienten mit MPS dar [8]. Bei Beteiligung des ZNS sind Verhaltensauffälligkeiten, Schlafstörungen und geistige Entwicklungsstörungen charakteristische Zeichen. Es können kraniozervikale Stenosen auftreten, Epilepsien und bei manchen Kindern ein Hydrozephalus. Als peripher neurologische Manifestation kann das kindliche Karpaltunnelsyndrom ein deutlicher Hinweis auf eine MPS sein [1, 8, 9, 10].

Wichtige klinische Merkmale der einzelnen MPS-Formen

Bei MPS I und MPS II kommt es zur Akkumulation von Dermatan- und Heparansulfat; bei MPS III wird ausschließlich Heparansulfat abgelagert. Während die Speicherung von Heparansulfat für eine Beteiligung des zentralen Nervensystems (ZNS) verantwortlich ist, führt akkumuliertes Dermatansulfat zu Schäden an Skelett, Bindegewebe, Bändern und Sehnen (MPS I, II, VI und VII). Auch die Anhäufung von Keratansulfat führt zu einer Skelettbeteiligung, was bei MPS IV der Fall ist. Diese zeigt sich jedoch meist als Hypermobilität sämtlicher Gelenke. Da bei MPS IV und MPS VI kein Heparansulfat abgelagert wird, haben die Betroffenen auch keine geistige Einschränkung. Bei Patienten mit MPS III ist die muskuloskelettale Beteiligung weniger schwerwiegend, dafür eine meist rasch progrediente demenzielle Entwicklung im Kindesalter auffallend. Eine Hornhauttrübung ist häufig bei MPS I und MPS VI zu finden, bei den anderen Formen seltener, bei MPS II gar nicht [3, 6] (Tab. 2).

Typische Erstsymptome bei MPS

Die Erstmanifestationen sind meist unspezifisch und wirken wie typische Kinderkrankheiten, z. B. häufige und rezidivierende Atemwegs- und Ohrinfekte, Diarrhöen, Hernien, Gelenksteifigkeit oder -überbeweglichkeit. Eine verzögerte Entwicklung oder Hyperaktivität sowie ein Makrozephalus sind erste Symptome. Außerdem können ein verändertes Aussehen, Herzgeräusche, Hornhauttrübung und Karpaltunnelsyndrom bei diesen Patienten auffallen [11, 12]. Es gibt also kein spezifisches MPS-Erstsymptom. Das macht die Diagnose schwierig, jedoch kann die Kombination dieser unspezifischen Symptome zu einer Diagnose führen [11].

Verzögerung der Diagnose

Ein großes Problem stellt die Verzögerung der Diagnose dar, von der alle MPS-Typen mehr oder weniger stark betroffen sind. Die durchschnittliche Verzögerung der Diagnose ab dem Zeitpunkt des Auftretens der Symptome betrug 2,9 Jahre, wie eine systematische Literaturrecherche gezeigt hat [12] (Abb. 2). In etwa 20 % der Fälle betrug die Verzögerung sogar mehr als zehn Jahre. Die größten Verzögerungen wurden tendenziell bei MPS IV (Morbus Morquio) beobachtet, den Patienten mit überbeweglichen Gelenken [12]. Bei Patienten mit einem kognitiven Verlust (MPS III) waren es sechs Jahre, bei denen mit steifen Gelenken (MPS I, VI) knapp fünf Jahre. Das ist ein großer Zeitverlust, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Patienten behandelbar sind und ein frühzeitiger Therapiebeginn den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen kann. Wie eine Befragung der behandelnden Ärzte zeigte, kannten ca. 41 % nicht den Zusammenhang zwischen bestimmten Symptomen und MPS [13]. Zu den Symptomen, die vor der Überweisung an einen Spezialisten am längsten bestanden haben, gehörten das Karpaltunnelsyndrom, Hautanomalien, rezidivierende Ohr-, Nasen- und/oder Nebenhöhlenentzündungen, Gibbus, Herzanomalien und eine MPS-Familiengeschichte [12].

Herausforderungen bei der Diagnostik von MPS

Mögliche Gründe für die Verzögerung der Diagnose sind zum einen die unspezifischen Erstsymptome wie gehäufte Infekte, Nabelhernien oder möglicherweise auch Hyperaktivität und Entwicklungsstörungen. Zudem können Symptome wie Kontrakturen, Steifheit oder Überbeweglichkeit der Gelenke leicht mit anderen Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis oder Skelettdysplasien verwechselt werden [14]. Während es bei schnellen Verläufen offensichtlich ist, dass die Kinder phänotypisch verändert erscheinen, ist die Verdachtsdiagnose MPS bei Patienten mit einem eher attenuierten, langsamen und nicht klassischen Verlauf deutlich schwieriger zu stellen. Dadurch, dass die Krankheit langsamer fortschreitet, sind die Symptome wesentlich subtiler. Auch diagnostische Marker wie die GAG-Ausscheidung im Urin können bei diesen Patienten unauffällig sein [15]. Sind die Patienten bereits im Erwachsenenalter, steigt das Risiko von Fehldiagnosen. Die am häufigsten in der Literatur berichteten Fehldiagnosen waren juvenile idiopathische Arthritis, rheumatoide Arthritis, bilaterale Perthes-Krankheit, spondyloepiphysäre Dysplasie und rheumatisches Fieber [16].

Diagnostisches Vorgehen

Als einfacher Test bei klinischem Verdacht auf MPS wird die GAG-Konzentration im Urin (vorzugsweise im 24-Stunden-Urin) gemessen. In der Regel sind die GAG-Konzentrationen bei MPS erhöht, können jedoch bei den attenuierten Verläufen auch unauffällig sein. Zudem sinkt die GAG-Ausscheidung im Urin mit zunehmendem Alter. Daher kann das Testergebnis allein nicht zum Ausschluss einer MPS-Diagnose herangezogen werden, insbesondere nicht bei entsprechendem klinischen Bild [6]. Die GAG-Ausscheidung im Urin erfolgt zunächst quantitativ, dann qualitativ. Durch die qualitative Analyse können anhand der Ausscheidungsprodukte Rückschlüsse auf den entsprechenden MPS-Typ gezogen werden. Für eine eindeutige Diagnose wird daher die Enzymaktivität des defizienten Enzyms im Blut oder es werden die Fibroblasten gemessen. Dies ist der Goldstandard der Diagnostik bei MPS. Eine weitere Methode ist das Enzym-Assay durch eine Trockenblutkarte (Dried Blood Spot, DBS) [6]. Dazu werden wenige Tropfen Blut aus Fingerbeere, Ferse oder Ohrläppchen des Patienten auf eine spezielle Karte aus Filterpapier aufgetropft. Sobald das Blut getrocknet ist, kann die Karte per Post an ein spezialisiertes Labor geschickt werden, wo die DBS-Analyse der Blutproben durchgeführt wird. Dieser Test zeichnet sich durch eine hohe Sensitivität, aber niedrigere Spezifität aus; es können also falsch positive Ergebnisse resultieren. Aus diesem Grund muss entweder eine Enzymaktivitätsmessung im Blut oder eine genetische Testung angeschlossen werden. Bei pathologischer Enzymaktivität wird generell eine konfirmatorische Genanalyse durchgeführt. Insbesondere bei Morbus Hunter (MPS II), das X-chromosomal vererbt wird, kann so der Genotyp identifiziert und potenziellen Konduktorinnen wie der Mutter und deren weiblichen Verwandten eine genetische Beratung angeboten werden. Auch bei weiterem Kinderwunsch ist die Kenntnis der Mutation zur Vereinfachung der Pränataldiagnostik von Vorteil [11].

Diagnostischer Algorithmus für MPS I

Angesichts Tausender seltener Krankheiten, die im Kindesalter auftreten, kann man nicht erwarten, dass Kinder- und Jugendmediziner sowie Allgemeinmediziner über die spezifischen Anzeichen oder Symptome im Zusammenhang mit jeder Erkrankung Bescheid wissen. Da es sich bei der MPS I jedoch um eine behandelbare Krankheit handelt und die rechtzeitige Einleitung der Therapie im Vordergrund steht, sollte eine frühzeitige Erkennung und Überweisung an entsprechende Spezialisten veranlasst werden. Daher hat eine internationale Arbeitsgruppe aus elf Experten für Pädiatrie, seltene Krankheiten und Erbkrankheiten anhand der Schlüsselsymptome einen Algorithmus zur Diagnostik von MPS I entwickelt. Das Ergebnis: Bei Patienten unter zwei Jahren waren Kyphose oder Gibbus die Schlüsselsymptome, die den klinischen Verdacht auf MPS I aufkommen ließen; bei den über Zweijährigen waren es Kyphose oder Gibbus, Gelenksteifheit oder Kontrakturen ohne Entzündungszeichen. Der Algorithmus wurde an 35 Fällen getestet, darunter 16 Hurler-, zehn Hurler-Scheie- und neun Scheie-Patienten. Von diesen 35 Fällen wären 32 Patienten (91 %) früher überwiesen worden, wenn der Algorithmus verwendet worden wäre [17] (Abb. 3).

Mögliche Differenzialdiagnosen

Die Differenzialdiagnostik sollte rheumatische Erkrankungen, andere Skelettdysplasien und lysosomale Speicherkrankheiten einschließen:

Rheumatische Erkrankungen

Patienten mit attenuierten Formen der MPS (MPS I-Scheie) haben oft Gelenkbeschwerden, die zur Überweisung an einen Rheumatologen oder Orthopäden führen [18]. Am häufigsten wurde MPS I als rheumatoide Arthritis (RA) diagnostiziert [19]. Wegen der Fingergelenkkontrakturen kann die MPS I-S auch eine juvenile idiopathische Arthritis (JIA) imitieren [20]. Gelenkschmerzen und Gelenkkontrakturen in Abwesenheit von Entzündungen sollten immer den Verdacht auf eine MPS wecken [18].

Skelettdysplasien

Zu den Skelettdysplasien, die weit über 400 spezifische Krankheitsbilder umfassen, gehören auch die MPS [21]. Aufgrund ihrer Seltenheit, Heterogenität und komplexen Pathophysiologie stellt die Differenzialdiagnostik eine große Herausforderung dar. Die diagnostische Einordnung der Krankheitsbilder basiert vor allem aus der Auswertung von Röntgenbildern und der Beurteilung der klinischen Daten. Bei Verdacht kann eine gezielte molekulargenetische Diagnostik Aufschluss über die zugrunde liegenden Genmutationen und damit den Typus der Skelettdysplasie geben.

Lysosomale Speicherkrankheiten

Die Mukolipidosen (ML) ähneln klinisch den MPS, haben jedoch eine andere Ätiologie und sind zudem noch seltener. Aufgrund eines Gendefektes veränderte Membranproteine führen zu Fehlfunktionen im Stoffwechsel von Polysacchariden, Lipiden und Glykoproteinen. Mittels enzymatischer und molekulargenetischer Verfahren können die ML zuverlässig von den MPS unterschieden werden [22]. Die Alpha-Mannosidose ähnelt in ihrem klinischen Bild den MPS. Ursache ist ein Gendefekt, bei dem der Abbau von mannosehaltigen Oligosacchariden in den Körperzellen gestört ist. Wie bei MPS kann die Diagnose durch Messung der defekten Enzymaktivität gestellt und durch molekulare Analyse bestätigt werden [22]. Der multiple Sulfatase-Defekt (MSD, Austin-Syndrom) ist eine extrem seltene lysosomale Speicherkrankheit, bei der alle Sulfatasen defizient sind. Da viele Enzyme bei MPS ebenfalls Sulfatasen sind, muss immer mindestens eine weitere Sulfatase gemessen werden, um so einen multiplen Defekt von Sulfatasen auszuschließen. Ein Gentest kann zur Sicherung der Diagnose erfolgen [22].

Therapien bei MPS – Gentherapie und Stammzelltransplantation

Da die MPS erblich bedingte Erkrankungen sind, ist eine kurative Therapie bisher nicht etabliert. Gentherapien werden jedoch bereits in verschiedenen (prä-)klinischen Studien untersucht [23, 24] (Tab. 3). Bei Patienten, die an MPS I (Morbus Hurler) leiden und jünger als 2,5 Jahre sind, ist die hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSCT) der Goldstandard, mit der die progrediente kognitive Beteiligung aufgehalten werden kann [1, 25]. Bei Patienten mit MPS I, (MPS VI oder MPS VII) kann eine frühe, erfolgreiche HSCT Verbesserungen bzw. Stabilisierungen der Lungenfunktion, des Gehörs, des Sehvermögens, der Herzfunktion, der Hepatosplenomegalie und der Gelenkmobilität bewirken [1]. Die Rolle der HSCT bei MPS II ist noch umstritten [25]. Bestimmte Anomalien scheinen gegenüber einer HSCT refraktär zu sein, da diese trotz Transplantation weiter voranschreiten, insbesondere Hornhauttrübungen (bei Morbus Hurler), Herzklappenfehler und Skelettanomalien [1].

Therapien bei MPS – Enzymersatztherapie (ERT)

Im Jahr 2003 stand erstmals die Behandlung mit einer Enzymersatztherapie (ERT) für Patienten mit MPS I zur Verfügung, gefolgt von MPS II und MPS VI im Jahr 2006, MPS IV im Jahr 2014 und MPS VII im Jahr 2018 [26]. Bei der ERT wird dem Patienten das fehlende Enzym als rekombinantes Protein einmal wöchentlich bzw. alle zwei Wochen jeweils über drei bis vier Stunden intravenös verabreicht. Auf diese Weise können die akkumulierten GAG in den Lysosomen abgebaut und Organschädigungen verringert oder sogar vermieden werden. Ergebnisse aus klinischen Studien und der Praxis bestätigen die Wirksamkeit und Sicherheit der ERT [25]. Allerdings erreicht nur ein kleiner Teil des rekombinanten Enzyms Gelenkknorpel und Auge, was erklärt, warum hier die Verbesserungen auch nach einer Langzeitbehandlung begrenzt sind [25]. Da die Enzyme in den aktuellen Formulierungen die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren können, ist eine ERT auch nur zur Behandlung von nicht neurologischen Manifestationen zugelassen. Das heißt, eine Behandlung von ZNS-Manifestationen durch ERT ist derzeit nicht möglich [25].

Therapien bei MPS – unterstützende Behandlungen

Das Management von Patienten mit MPS erfordert regelmäßige Untersuchungen, unterstützende Pflege und ein multidisziplinäres Team, das die Vielzahl systemischer Komplikationen behandeln kann [1]. Die meisten MPS-Patienten müssen sich operativen Eingriffen unterziehen, z. B. HNO-Eingriffe, Hernienreparatur, Herzklappenersatz, Wirbelsäulendekompression und andere, die eine Anästhesie erfordern. Da das Anästhesierisiko bei MPS-Patienten erhöht ist, sollten Eingriffe und Narkosen nur in spezialisierten Zentren durchgeführt werden [1]. Ein unterstützendes oder symptomatisches Management kann die Lebensqualität der Patienten und ihrer Familien verbessern. Wichtig sind eine gute Hilfsmittelversorgung, Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie sowie alle möglichen Therapien, die Beweglichkeit und Geschicklichkeit fördern und die Muskulatur stärken. Für einige MPS-Typen sind nationale oder internationale Richtlinien zu regelmäßigen Verlaufsuntersuchungen bzw. notwendigen Maßnahmen und operativen Eingriffen erhältlich.

Fazit

Mukopolysaccharidosen werden durch das Fehlen bzw. Fehlfunktionen spezifischer lysosomaler Enzyme verursacht, die für den Abbau von GAG verantwortlich sind. Gendefekte sind für elf Enzyme bekannt. Das Krankheitsbild ist äußerst heterogen, progredient, multisystemisch und lebenslimitierend. Charakteristisch sind muskuloskelettale Veränderungen wie Kleinwuchs, Gelenksteifigkeit und Kontrakturen sowie bei ZNS-Beteiligung Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen. Erstsymptome bei MPS sind unspezifisch und erscheinen oft wie typische Kinderkrankheiten. Daher kommt es auch zu Verzögerungen der Diagnose von im Mittel fast drei Jahren. Zudem ist die Verdachtsdiagnose MPS bei Patienten mit eher attenuierten, langsamen Verläufen schwierig zu stellen. Als erster unspezifischer Test kann eine Bestimmung der GAG-Konzentration im Urin durchgeführt werden. Über einen einfachen Trockenbluttest kann die Diagnose gestellt werden, wobei falsch positive Ergebnisse möglich sind. Der Goldstandard der Diagnostik ist die Enzymaktivitätsmessung im Blut oder in Fibroblasten. Für die MPS-Typen I, II, IVA, VI und VII stehen Enzymersatztherapien zur Verfügung. Bei Patienten, die an MPS I-Hurler leiden und jünger als 2,5 Jahre sind, kann durch eine hämatopoetische Stammzelltransplantation die progrediente kognitive Beteiligung verbessert werden. Kausale Gentherapien befinden sich bereits in der klinischen Prüfung.

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