Assoziation von kardiometabolischer Multimorbidität und Mortalität bei Typ-2-Diabetes
Die Prävalenz der kardiometabolischen Multimorbidität steigt weltweit stark an [1, 2, 3]. Darunter versteht man das Auftreten von mindestens zwei der folgenden kardiometabolischen Erkrankungen: Diabetes mellitus, Herzinfarkt und/oder Schlaganfall. Um zu ermitteln, wie sehr sich die Lebenserwartung durch die kardiometabolische Multimorbidität reduziert, wurde die Datenbank der US-amerikanischen »Emergency Risk Factor Collaboration« mit 689.300 Teilnehmern, die über 47 Jahre beobachtet wurden, ausgewertet [4].
Danach führt jede der drei einzelnen kardiovaskulären Risikofaktoren, Diabetes, stattgehabter Herzinfarkt oder Schlaganfall, zu einer verkürzten Lebenserwartung. Bei einer Kombination dieser Erkrankungen sinkt die Lebenserwartung noch weiter ab [4].
Wie Abbildung 1 zeigt, hat ein 50-Jähriger mit Diabetes mellitus im Durchschnitt eine um etwa 7,5 Jahre kürzere Lebenserwartung als ein Mensch ohne diese Erkrankung. Kommt ein Herzinfarkt als Komorbidität hinzu, beträgt der Verlust an Lebenszeit etwa 15 Jahre, bei einer gleichaltrigen Frau sogar 18 Jahre [4].
Einfluss der Kontrolle von Risikofaktoren auf Mortalität und Herzinfarkt
Inwieweit sich das erhöhte Mortalitätsrisiko bei Patienten mit Typ-2-Diabetes durch Kontrolle der Risikofaktoren reduzieren lässt, hat die Arbeitsgruppe um Rawshani et al. in einer Kohortenstudie mit 271.174 Personen mit Typ-2-Diabetes untersucht [5]. Die Daten dieser Patienten aus dem »Swedish National Diabetes Register« wurden mit denen einer Kontrollgruppe von über 1 ,3 Millionen metabolisch gesunden Personen verglichen. Die Diabetes-Patienten wurden in Alterskategorien und nach Vorliegen von fünf Risikofaktoren eingeteilt:
- Erhöhter HbA1c (≥7,0 %)
- Erhöhtes LDL-Cholesterin (≥97 mg/dl)
- Albuminurie
- Nikotinkonsum
- Erhöhter Blutdruck (≥140/80 mmHg)
Insgesamt ereigneten sich über den Beobachtungszeitraum von 5,7 Jahren 175.345 Todesfälle. Die Ergebnisse zeigen für jeden weiteren Risikofaktor eine schrittweise Zunahme der Wahrscheinlichkeit, zu sterben oder einen Herzinfarkt zu erleiden. Ist keiner der Parameter im Zielbereich, bedeutet dies beispielsweise für einen unter 55-jährigen Mann, dass er ein fünffach höheres Risiko hat, in den nächsten sechs Jahren zu versterben und ein 7,7-fach höheres Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden [5].
Wenn jedoch alle fünf Risikofaktoren im Zielbereich sind, d. h. HbA1c <7,0, LDL-Cholesterin <97 mg/dl, Blutdruck <140/80 mmHg, keine Albuminurie vorliegt und der Patient aufhört zu rauchen, ist sein Risiko, früher zu versterben oder einen Herzinfarkt zu erleiden, nicht höher als bei stoffwechselgesunden Personen [5].
Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, dass es bei einem Patienten mit Diabetes möglich sein kann, den drohenden Verlust an Lebenszeit auszugleichen, sofern alle Risikofaktoren durch optimale Behandlung »ausgeschaltet« werden.
Bedeutung der Risikofaktoren als Prädiktoren für Gesamtmortalität und Herzinfarkt
Welche Risikofaktoren am stärksten dazu beigetragen haben, dass eine Person mit Typ-2-Diabetes früher verstarb oder einen Herzinfarkt erlitt, wurde in der gleichen Kohortenstudie ermittelt [5]. Demnach war das Rauchen der stärkste Prädiktor für die Gesamtmortalität, gefolgt von körperlicher Aktivität, Ehestand der Patienten und dem HbA1c an vierter Stelle. Ein HbA1c-Wert außerhalb des Zielbereiches war hingegen der stärkste Prädiktor für einen Herzinfarkt. An zweiter und dritter Stelle standen zu hohe Blutdruck- und LDL-Cholesterinwerte [5].
Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Blutzuckerkontrolle bei Menschen mit Typ-2-Diabetes, um makrovaskuläre Komplikationen zu verhindern.
Einfluss einer intensivierten Diabetes-Therapie auf die Lebenszeit
Den Nutzen einer intensiven Intervention unter Berücksichtigung der kardiovaskulären Risikofaktoren für Diabetes-Patienten hat eine dänische Arbeitsgruppe untersucht [6]. 160 Patienten mit Typ-2-Diabetes und Mikroalbuminurie wurden im Jahr 1993 in die randomisierte Steno-2-Studie eingeschlossen. Damals sollte untersucht werden, ob und in welchem Ausmaß eine intensive multifaktorielle Behandlung (d. h. eine Therapie, die möglichst viele Risikofaktoren berücksichtigt) einer konventionellen Therapie des Diabetes überlegen ist. Die Intervention dauerte 7,8 Jahre und zeigte nahezu eine Halbierung des kardiovaskulären Risikos bei den Patienten mit der intensivierten Behandlung, jedoch keinen Unterschied in der Gesamtmortalität. Im Anschluss wurde allen Patienten die intensivierte Behandlung angeboten, und die Patienten wurden für weitere 13 Jahre beobachtet [6].
Die Auswertung nach 21 Jahren zeigte, dass Patienten nach intensivierter Behandlung ein um 45 % verringertes relatives Sterberisiko hatten und ein um 51 % verringertes relatives Risiko, ein kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden [6]. Die Zeit bis zum ersten kardiovaskulären Ereignis in der konventionellen Therapiegruppe betrug im Mittel acht Jahre und in der Intensivtherapiegruppe ca. 16 Jahre. Die intensiviert behandelten Patienten lebten durchschnittlich 7,9 Jahre länger als Patienten in der konventionellen Therapiegruppe.
Diese Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass es möglich ist, die Lebenserwartung von Diabetes-Patienten durch eine gute Einstellung aller Risikofaktoren zu verlängern.
Einfluss auf kardiovaskuläre Ereignisse und Mortalität in klinischen Studien
Mit welchen Medikamenten sollten Patienten mit Typ-2-Diabetes nun idealerweise im Hinblick auf die kardiovaskulären Risiken behandelt werden?
Die früheren großen Studien ACCORD, ADVANCE, UKPDS und VADT untersuchten die Auswirkungen der glykämischen Kontrolle und nicht die Wirkung eines bestimmten Medikamentes. Daher konnten substanzspezifische Risikoreduktionen von Herzinfarkten und Schlaganfällen nicht nachgewiesen werden [7].
Seit 2008 fordert die FDA und seit 2010 auch die EMA aufgrund der Daten zu Rosiglitazon, dass die kardiovaskuläre Sicherheit neuer Antidiabetika in randomisierten und placebokontrollierten Studien belegt wird. Die geforderten kardiovaskulären Sicherheitsstudien sind so konzipiert, dass die zu untersuchende Substanz zwar mit Placebo verglichen wird, aber im Placeboarm der HbA1c bzw. Blutzucker gemäß Studienprotokoll mit einer Standardtherapie vergleichbar gesenkt wird. Auf diese Weise lässt sich gegebenenfalls ein eigener, von der Blutzuckersenkung unabhängiger, toxischer bzw. günstiger Effekt auf das kardiovaskuläre Risiko zeigen (Abb. 2).
Die mit den Dipeptidylpeptidase-4-Inhibitoren (DPP-4-I) durchgeführten Sicherheitsstudien bestätigten jeweils die kardiovaskuläre Sicherheit der Substanzen Sitagliptin [8], Alogliptin [9], Linagliptin [10] und Saxagliptin [11]. Bezüglich des kardiovaskulären Risikos verhielten sich die Substanzen jedoch neutral. Ein ähnliches Ergebnis brachten die Sicherheitsstudien der beiden Glucagon-like Peptide-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) Lixisenatid [12] und Exenatid [13]. Überzeugende Ergebnisse hingegen lieferten die GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) Liraglutid in der LEADER-Studie [14] und Semaglutid in der SUSTAIN-6-Studie [15] sowie Dulaglutid in der REWIND-Studie [16]. Der Natrium-Glucose-Cotransporter-2-Inhibitor (SGLT-2-I) Empagliflozin in der EMPA-REG-Studie [17], Dapagliflozin in der DECLARE-Studie [18] und Canagliflozin in der CANVAS-Studie [19] zeigten ebenfalls positive kardiovaskuläre Endpunktstudiendaten. Die Daten der EMPA-REG- und LEADER-Studie werden im Folgenden ausführlicher dargestellt.
EMPA-REG-Studie: Primärer kombinierter Endpunkt 3P-MACE
Die Sicherheitsstudie EMPA-REG untersuchte den Effekt des SGLT-2-Inhibitors Empagliflozin in zwei Dosierungen (10 mg oder 25 mg einmal täglich) jeweils zusätzlich zur antidiabetischen und kardiovaskulären Standardtherapie gegen Placebo auf das Risiko von kardiovaskulären Ereignissen und Mortalität bei 7020 Patienten mit Typ-2-Diabetes und einem HbA1c von 7 bis 10 % sowie hohem kardiovaskulären Risiko [17].
Empagliflozin senkte Im Verlauf von rund drei Jahren das Risiko für den primären 3P-MACE-Endpunkt (»3 Point Major Adverse Cardiovascular Event«), d. h. eine Kombination aus kardiovaskulärem Tod, nicht tödlichem Herzinfarkt und nicht tödlichem Schlaganfall, signifikant um 14 % im Vergleich zu Placebo (HR 0,86; 95 % KI 0,74–0,99). Der Analyse lagen die gepoolten Daten aus beiden Empagliflozin-Dosisgruppen zugrunde [17].
Ausschlaggebender Faktor für die Reduktion des primären kombinierten Endpunktes war ein signifikant um 38 % verringertes kardiovaskuläres Sterberisiko (HR 0,62; 95 % KI 0,49–0,77; p<0,001). Dieses trug auch entscheidend zur signifikanten relativen Abnahme der Gesamtsterberate bei (HR 0,68; 95 % KI 0,57–0,82; p<0,001) [17]. Aus den Daten errechnete sich eine NNT von 39, das heißt, 39 Patienten müssen behandelt werden, um einen Todesfall zu verhindern [17]. Die Behandlung mit Empagliflozin hatte keinen signifikanten Einfluss auf die Häufigkeit nicht tödlicher koronarer Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall.
EMPA-REG-Studie: Hospitalisierung aufgrund von Herzinsuffizienz
In der Empagliflozin-Gruppe war zudem das Risiko für Hospitalisierung aufgrund einer Herzinsuffizienz signifikant um 35 % verringert (HR 0,65; 95 % KI 0,50–0,85; p<0,0017) [17]. Von dieser Risikoreduktion profitierten Patienten unabhängig davon, ob bei ihnen zu Studienbeginn eine Herzinsuffizienz vorlag oder nicht. Bei den Klinikeinweisungen wegen instabiler Angina pectoris gab es hingegen keinen signifikanten Unterschied zu Placebo.
Die den positiven kardiovaskulären Effekten von Empagliflozin zugrunde liegenden Mechanismen sind bisher noch weitgehend ungeklärt.
LEADER-Studie: Primärer kombinierter Endpunkt 3P-MACE
Nach Empagliflozin war der GLP-1-Rezeptoragonist Liraglutid das zweite Antidiabetikum, für das eine Senkung des kardiovaskulären Risikos in Studien nachgewiesen wurde. Liraglutid ist der erste GLP-1-Rezeptoragonist, der in einer kardiovaskulären Endpunktstudie (LEADER) eine statistisch signifikante Senkung der kardiovaskulären Mortalität und der Gesamtmortalität gezeigt hat. In die randomisierte, placebokontrollierte Doppelblind-Studie LEADER mit Liraglutid wurden 9340 Patienten mit Typ-2-Diabetes eingeschlossen, die entweder eine kardiovaskuläre Vorerkrankung oder kardiovaskuläre Risikofaktoren hatten [14].
Liraglutid als Add-on zur bereits bestehenden antidiabetischen Therapie reduzierte signifikant den primären kombinierten Endpunkt aus kardiovaskulärer Mortalität, nicht tödlichem Herzinfarkt und nicht tödlichem Schlaganfall um 13 % (HR 0,87; 95 % KI 0,78–0,97; p<0,001 für Nichtunterlegenheit; p=0,01 für Überlegenheit). Allerdings wurde dieser Effekt erst nach ca. 1,5 Jahren deutlich. Der zugrunde liegende Mechanismus ist noch unklar; möglicherweise werden durch Liraglutid atherosklerotische Prozesse positiv beeinflusst [14].
Die Reduktion des primären kombinierten Endpunktes war im Wesentlichen auf die Verringerung der kardiovaskulären Mortalität um 22 % zurückzuführen (HR 0,78; 95 % KI 0,66–0,93; p=0,007). Auch die Gesamtmortalität konnte durch Liraglutid signifikant um 15 % reduziert werden (HR 0,85; 95 % KI 0,74–0,97; p=0,02) [14]. Zudem wurden unter Liraglutid im Beobachtungszeitraum weniger Patienten aufgrund von Herzinsuffizienz hospitalisiert als unter Placebo, dieser Effekt war allerdings nicht statistisch signifikant (HR 0,87; 95 % KI 0,73–1,05; p=0,14) [14].
DEVOTE-Studie: Kardiovaskuläre Sicherheit von Langzeitinsulinen
Für Insuline liegen ebenfalls kardiovaskuläre Sicherheitsstudien vor. So wurde u. a. in der ORIGIN-Studie gezeigt, dass eine Insulintherapie mit Insulin glargin 100 E/ml über etwa sechs Jahre bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und hohem kardiovaskulären Risiko neutral ist bezüglich des kardiovaskulären Risikos im Vergleich zu einer Behandlung mit Standardtherapie [21].
Die DEVOTE-Studie war die erste randomisierte, doppelblinde kardiovaskuläre Endpunktstudie, in der zwei Basalinsuline (Insulin degludec und Insulin glargin 100 E/ml) bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und hohem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen verglichen wurden [22]. 7637 Patienten – rund 85 % mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung und/oder chronischer Niereninsuffizienz – wurden entweder mit Insulin degludec 100 E/ml oder Insulin glargin 100 E/ml zusätzlich zu einer Standardtherapie behandelt und rund zwei Jahre lang beobachtet. Primärer kombinierter Endpunkt der Studie war die Zeit bis zum Auftreten eines 3P-MACE.
DEVOTE-Studie: Reduktion von schweren Hypoglykämien
Die Behandlung mit Insulin degludec ging nicht häufiger mit kardiovaskulären Ereignissen einher als die Gabe von Insulin glargin 100 E/ml. Tendenziell waren sogar im Insulin-degludec-Arm schwere kardiovaskuläre Ereignisse etwas seltener zu beobachten (HR 0,91; 95 % KI 0,78–1,06; p=0,209). Die angestrebte Nichtunterlegenheit von Insulin degludec wurde damit klar erreicht und die kardiovaskuläre Sicherheit bestätigt [22].
Zudem zeigte sich unter der Therapie mit Insulin degludec eine um 40 % geringere Rate schwerer Hypoglykämien im Vergleich zu Insulin glargin 100 E/ml (Rate Ratio 0,60; 95 % KI 0,48–0,76; p<0,001). Nächtliche schwere Hypoglykämien traten unter Insulin degludec sogar um 53 % seltener auf (RR 0,47; 95 % KI 0,31–0,73; p<0,001) [22].
Risikofaktor Hypoglykämie
Insbesondere bei Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen sind Hypoglykämien unbedingt zu vermeiden, da diese langfristig das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse erhöhen [23]. So hatten in einer prospektiven Kohortenstudie Patienten mit Typ-2-Diabetes und häufigen hypoglykämischen Episoden – unabhängig vom Schweregrad – ein etwa doppelt so hohes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und ein 2,5-fach erhöhtes Risiko für Klinikeinweisungen oder Tod [24].
Hypoglykämien können kardiovaskuläre Ereignisse begünstigen, indem Entzündungsreaktionen z. B. durch vermehrte Freisetzung von C-reaktivem Protein (CRP), Interleukin-6 (IL-6) und vaskulärem endothelialen Wachstumsfaktor (
VEGF) induziert werden. Es kommt zu einer endothelialen Dysfunktion, die zu einer verminderten Vasodilatation führt. Die sympathoadrenale Reaktion während der Hypoglykämie erhöht die Adrenalinausschüttung und kann zu Arrhythmien und einer erhöhten Herzarbeitslast führen. Die gesteigerte Aktivierung von Blutplättchen und Neutrophilen kann Blutgerinnungsstörungen fördern [23].
Glykämische Variabilität erhöht das Risiko für Hypoglykämien
Studien belegen einen Zusammenhang zwischen glykämischer Variabilität und dem Risiko für Hypoglykämien [25, 26]. Als glykämische Variabilität werden Schwankungen des Blutzuckerspiegels von Tag zu Tag bezeichnet. Daran sind eine Vielzahl von Faktoren beteiligt, u. a. Physiologie und Verhalten des Patienten, verbliebene körpereigene Insulinsekretion und Insulinsensitivität, ein DAWN-Phänomen sowie die pharmakodynamische glukosesenkende Variabilität der Behandlung [27, 28].
Beispielhaft dargestellt sind hier (Abb. 3, links) die Schwankungen des Nüchternblutzuckers (FPG) im Verlauf eines Monates bei einem Patienten, der trotz antiglykämischer Therapie nicht sein Therapieziel erreicht. Wird bei diesem Patienten die Therapie intensiviert (Abb. 3, rechts), erreicht die durchschnittliche Nüchternplasmaglukose (NPG) zwar den Zielbereich, jedoch erhöht sich das Risiko für Hypoglykämien dadurch deutlich. Bei Einsatz eines Basalinsulins, das sich durch eine geringe Variabilität von Tag zu Tag auszeichnet, kann der Nüchternblutzucker weniger stark schwanken. Die Variabilität von Tag zu Tag von Basalinsulinen lässt sich gut in standardisierten Glucose-Clamp-Studien untersuchen.
Glukose-Variabilität unter Insulin degludec und Insulin glargin
In pharmakologischen Studien bei Patienten mit Typ-1-Diabetes war die tägliche intraindividuelle Variabilität der blutzuckersenkenden Wirkung von Insulin degludec etwa viermal geringer als die von Insulin glargin 100 E/ml und auch 300 E/ml [[29,30]. Die Variabilität innerhalb eines Tages war mit Insulin degludec ungefähr 40 % niedriger, wobei die blutzuckersenkende Wirkung im Vergleich zu Insulin glargin 300 E/ml über 24 Stunden gleichmäßiger verteilt war. Zusätzlich wies Insulin glargin 300 E/ml im Vergleich zu Insulin degludec bei der Bewertung der gesamten blutzuckersenkenden Wirkung eine um 30 % niedrigere Wirkstärke auf [30].
Hypoglykämie-Raten unter I. degludec und I. glargin 100 E/ml
In der randomisierten Zulassungsstudie BEGIN Once Long wurden über 1000 insulinnaive Patienten mit schlecht eingestelltem Typ-2-Diabetes (HbA1c 8,2 %) entweder mit Insulin degludec oder Insulin glargin 100 E/ml für 52 Wochen behandelt, gefolgt von einer 52-wöchigen Verlängerungsphase. Das Treat-to-Target-Studiendesign ermöglichte die direkte Vergleichbarkeit der Hypoglykämie-Raten der beiden eingesetzten Insuline bei vergleichbarer glykämischer Kontrolle. Dazu wurden die Insulindosen für jeden Patienten systematisch so angepasst, dass diese einen einheitlich vordefinierten Plasmaglukosezielwert von 3,9 bis 4,9 mmol/l erreichten.
Nach 52 Wochen hatten beide Basalinsuline den HbA1c erwartungsgemäß vergleichbar stark reduziert. Auch bei der Reduktion der Nüchternplasmaglukose (NPG) gab es kaum Unterschiede [31, 32]. Unter Insulin degludec war jedoch die Rate bestätigter Hypoglykämien numerisch um 18 % verringert und die Rate nächtlicher bestätigter Hypoglykämien signifikant um 36 % niedriger bzw. am Ende der Verlängerungsphase um 43 % niedriger als unter I. glargin 100 E/ml [31, 32].
ADA/EASD-Konsensusreport 2018: Vorgehen bei der Wahl von Antidiabetika bei Typ-2-Diabetes
Die Ergebnisse der oben beschriebenen großen kardiovaskulären Endpunktstudien haben Eingang gefunden in die neuen Konsensusempfehlungen der American Diabetes Association® (ADA) und der European Association for the Study of Diabetes (EASD) für die Behandlung des Typ-2-Diabetes (Abb. 4) [33, 34].
Metformin bleibt weiterhin die bevorzugte medikamentöse Erstlinientherapie für Patienten mit Typ-2-Diabetes. Die größte Veränderung im Vergleich zum ADA/EASD-Konsensusreport von 2015 betrifft die blutzuckersenkende Therapie in der Zweitlinie, wenn der individuell festgelegte HbA1c-Zielwert durch Metformin und Lebensstiländerung nicht erreicht wurde.
Die Auswahl der Medikation, die schrittweise zusätzlich zu Metformin kombiniert werden soll, richtet sich primär danach, ob bereits eine atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankung (Atherosclerotic Cardiovascular Disease; ASCVD) oder eine Herzinsuffizienz (HI)/Niereninsuffizienz (Chronic Kidney Disease; CKD) vorliegt [33]. Besteht keine ASCVD oder HI/CKD, sollte sich die Therapiewahl nach den gewünschten Zusatzeffekten wie Gewichtsreduktion, Vermeidung von Hypoglykämien oder Kostensenkung orientieren [33].
Vorgehen bei manifester atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung (ASCVD)
Liegt bei einem Patienten eine atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankung vor, wird als Erweiterung der Therapie über Metformin hinaus entweder ein GLP-1-Rezeptoragonist empfohlen oder ein SGLT-2-Inhibitor [33]. In beiden Fällen muss die Reduktion des kardiovaskulären Risikos belegt sein. Im Konsensusreport sind daher Liraglutid und Empagliflozin genannt (Abb. 5) [33].
Wenn eines der beiden Medikamente in Kombination mit Metformin nicht ausreicht, um das individuelle HbA1c-Ziel zu erreichen, sollte ein Medikament der jeweils anderen Klasse (GLP-1-RA oder SGLT-2-I) zusätzlich gegeben werden [33].
Vorgehen bei manifester Herz- bzw. Niereninsuffizienz
Steht bei einem Patienten eine Herz- bzw. Niereninsuffizienz im Vordergrund, soll bevorzugt ein SGLT-2-Inhibitor, z. B. Empagliflozin, eingesetzt werden – eine ausreichende glomeruläre Filtrationsleistung vorausgesetzt (GFR ≥60 ml/min bei Ersteinstellung) (Abb. 6) [33]. Generell sollten SGLT-2-Inhibitoren abgesetzt werden, wenn die GFR unter 45 ml/min sinkt. In diesen Fällen sollte ein GLP-1-RA mit belegter Reduktion des kardiovaskulären Risikos wie Liraglutid gegeben werden [33].
Fokus auf Hypoglykämie-Vermeidung
Ist eine Therapieintensivierung bei einem Patienten ohne kardiovaskuläre oder renale Komorbiditäten notwendig und steht die Vermeidung von Hypoglykämien im Vordergrund, z. B. bei einem Dachdecker, Bus- oder Lastwagenfahrer, kann entweder ein DPP-4-Inhibitor, ein GLP-1-RA oder ein SGLT-2-Inhibitor zusätzlich zum Metformin gegeben werden [33]. Diese Substanzklassen stehen gleichwertig nebeneinander, wobei Glitazone (Thiazolidindione, TZD) hierzulande praktisch nicht mehr zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden können (Abb. 7).
Wenn die Zweierkombination nicht ausreicht, um das individuelle Therapieziel zu erreichen, wird eine Dreierkombination aus Metformin, SGLT-2-Inhibitor und DPP-4-Inhibitor bzw. aus Metformin, SGLT-2-Inhibitor und GLP-1-RA empfohlen [33].
Kommt zur Therapieintensivierung ein Basalinsulin in Betracht, wird der Einsatz eines Insulins mit möglichst niedrigem Hypoglykämie-Risiko empfohlen [33]. Dies sind bevorzugt Insulin degludec oder Insulin glargin 300 E/ml.
Fokus auf Gewichtsreduktion
Bei Patienten mit Übergewicht oder Adipositas wird zur Unterstützung der Gewichtsreduktion in der Zweitlinie zu Metformin die Gabe eines GLP-1-RA mit in Studien belegtem Vorteil bei der Gewichtsreduktion (Semaglutid > Liraglutid > Dulaglutid > Exenatid > Lixisenatid) empfohlen [33]. Alternativ kann auch ein SGLT-2-Inhibitor eingesetzt werden. Medikamente beider Substanzklassen können auch kombiniert werden, wenn ein einziges Prinzip zur HbA1c-Zielerreichung nicht ausreicht [33]. DPP-4-Inhibitoren werden als gewichtsneutrale Option nachgeordnet empfohlen.
Fokus auf Kostenminimierung
Dass erstmals auch die Kosten in den Therapieempfehlungen berücksichtigt werden, ist dem Umstand geschuldet, dass viele amerikanische Patienten nicht krankenversichert sind und für die Therapie selbst aufkommen müssen. Für diese Fälle wird eine Intensivierung der Therapie mit Sulfonylharnstoffen neuerer Generation oder Glitazonen in der niedrigsten effektiven Dosis empfohlen [33]. In Deutschland können Glitazone praktisch nicht mehr zulasten der GKV verordnet werden.
Intensivierung zur Injektionstherapie
Muss die Behandlung trotz Dual- oder Tripeltherapie weiter intensiviert werden, um das individuelle Therapieziel zu erreichen, soll zunächst die Gabe eines GLP-1-Rezeptoragonisten erwogen werden – noch bevor zusätzlich ein Basalinsulin zum Einsatz kommt (Abb. 8) [33]. Lang wirksame GLP-1-RA sind zur Kontrolle der Hyperglykämie effektiv, haben aber ein geringeres Hypoglykämie-Risiko als Insuline und positive Auswirkungen auf das Gewicht. Eine frühzeitige Gabe von Insulin wird bei Patienten mit hohem HbA1c-Wert (>11 %) sowie bei kataboler Stoffwechsellage, Polyurie oder Polydipsie empfohlen [33]. Ist eine Insulintherapie indiziert, kann je nach Vorerkrankungen des Patienten bzw. Therapiefokus, ein Insulin mit belegter kardiovaskulärer Sicherheit oder möglichst niedrigem Hypoglykämie-Risiko in Betracht gezogen werden [33].
Bei Patienten, die ihre glykämischen Ziele auch mit einer Kombination aus Basalinsulin, oralen Medikamenten und GLP-1-RA nicht erreichen, kann die Behandlung zusätzlich mit prandialem Insulin weiter intensiviert werden. Wenn sich der HbA1c darunter noch immer nicht verbessert, wird schließlich eine intensivierte Insulintherapie (ICT) nach dem Basis-Bolus-Konzept erforderlich [33].