Individuelle Antikoagulation bei kardiovaskulären Risikopatienten

Vorhofflimmern (VHF) ist die häufigste Herzrhythmusstörung bei Erwachsenen. Zwar ist VHF nicht direkt lebensbedrohlich, es ist jedoch mit einem erhöhten Morbiditäts- und infolge des hohen Schlaganfallrisikos auch mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko behaftet. Das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko steigt, wenn Begleiterkrankungen wie eine Niereninsuffizienz oder ein Diabetes mellitus bestehen.

Vorhofflimmern und Komorbiditäten nehmen dabei gegenseitig aufeinander Einfluss. So steigert das Vorliegen einer Niereninsuffizienz das Risiko für die Entwicklung eines VHF. Andererseits können das VHF und seine Therapie die Manifestation einer Niereninsuffizienz triggern.

Im Folgenden soll dargestellt werden, was derzeit über die Zusammenhänge bekannt ist und wie sich der jeweiligen Risikozunahme durch eine differenzierte Therapie begegnen lässt. Besonderes Augenmerk wird dabei auf den Zusammenhang zwischen VHF und einer eingeschränkten Nierenfunktion sowie auf die Konsequenzen für die Antikoagulation gelegt. Auch die Assoziation zwischen VHF und einem Diabetes mellitus hat eine hohe praktische Relevanz und erfordert nach derzeitiger Kenntnis therapeutische Konsequenzen.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709120059270014
Zeitraum 02.07.2020 - 01.07.2021
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte Fortbildung abgelaufen
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof. Dr. med. Hendrik Bonnemeier
Priv.-Doz. Dr. med. habil. Ralph Tölg
Univ. Prof. Dr. Andreas Zirlik
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Webcast
Lernmaterial Vortrag, 3 Quiz, Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle; Bearbeitungsdauer: 90 Minuten
Fortbildungspartner Bayer Vital GmbH
Bewertung 4.3 (1523)

Einleitung

Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern (nv VHF) sind in aller Regel älter und weisen kardiovaskuläre Risikofaktoren auf wie eine Adipositas, einen Bewegungsmangel und/oder eine arterielle Hypertonie, wobei häufig mehrere dieser Faktoren zusammentreffen. Die Patienten leiden oft an weiteren chronischen Erkrankungen wie einer koronaren Herzerkrankung oder einer Herzinsuffizienz. Viele Patienten haben außerdem eine Niereninsuffizienz entwickelt, und häufig besteht eine Stoffwechselerkrankung wie zum Beispiel ein Typ-2-Diabetes.

Ausgeprägte Komorbidität

Eine Erhebung in allgemeinmedizinischen Praxen hat beispielsweise ergeben, dass
  • Patienten mit nv VHF im Mittel 74 Jahre alt sind,
  • 80 % der Patienten einen Diabetes aufweisen,
  • 20 % eine manifeste Niereninsuffizienz haben,
  • 50 % an einer Herzinsuffizienz leiden und
  • jeder dritte Patient auch eine KHK oder eine strukturelle Herzerkrankung entwickelt hat [1].
Nicht selten haben sich mehrere Begleiterkrankungen manifestiert, bedingen sich gegenseitig und potenzieren das Risiko für die Patienten: Der Diabetes geht zum Beispiel mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von Herzerkrankungen einschließlich einem Vorhofflimmern einher und ist oft assoziiert mit einer Niereninsuffizienz. Erhöhtes Schlaganfallrisiko Patienten mit VHF und parallel vorliegenden Risikofaktoren sind als kardiovaskuläre Hochrisikopatienten und ebenso als Hochrisikopatienten anzusehen. So besteht bei Hypertonikern per se ein deutlich erhöhtes Schlaganfallrisiko. Es verstärkt sich signifikant, wenn sich ein VHF entwickelt, und verschärft sich massiv, wenn außerdem noch eine Nierenerkrankung hinzukommt [2]. Es handelt sich dabei keineswegs um eine seltene Konstellation: Etwa ein Drittel der Patienten mit Vorhofflimmern weist eine Niereninsuffizienz auf, ein Drittel leidet an einem Diabetes. Der Diabetes und die Nierenerkrankungen treten sogar oft als gemeinsame Komorbidität auf und steigern das Mortalitätsrisiko der Patienten erheblich[3].

Problem Niereninsuffizienz

Die Einschränkung der Nierenfunktion nimmt generell mit dem Alter zu, verläuft dabei aber nicht konstant, sondern mit zunehmender Progredienz. Je älter die Patienten werden, umso stärker ist somit die jährliche Abnahme der Nierenfunktion.Das Vorliegen einer Niereninsuffizienz steigert dabei das Risiko der Entwicklung eines VHF. So manifestiert sich bei einem von fünf Patienten mit Niereninsuffizienz ein Vorhofflimmern.

Gefährliche Risikokonstellation: Niereninsuffizienz plus VHF

Betrachtet man die Gesamtpopulation der Patienten mit Vorhofflimmern, so liegt die Prävalenz einer begleitenden Niereninsuffizienz bei etwa 30 % [2]. Bei der Mehrzahl der Patienten mit einer Nierenfunktionseinschränkung liegt ein Stadium III vor. Treffen Niereninsuffizienz und VHF zusammen, resultiert eine hohe Morbidität und Mortalität, und vor allem das Schlaganfallrisiko steigt signifikant: Beispielsweise ist bei Patienten mit einer Niereninsuffizienz im Stadium IIIa oder IIIb und IV die Wahrscheinlichkeit, einen Schlaganfall zu erleiden, doppelt so hoch wie bei Patienten mit normaler Nierenfunktion. Das Blutungsrisiko liegt sogar bei >50 % [4]. Es besteht zudem ein überproportional erhöhtes Risiko für eine weitere Verschlechterung der Nierenfunktion. Etwa zwei Drittel der Patienten laufen Gefahr, ein terminales Nierenversagen zu erleiden [5, 6]. Der altersbedingte Rückgang der Nierenfunktion vollzieht sich nicht konstant, sondern beschleunigt sich von Jahr zu Jahr. Weisen die Patienten zudem Komorbiditäten auf, ist dieser Effekt noch ausgeprägter als bei ansonsten gesunden Personen. Ein direkter Zusammenhang zwischen Vorhofflimmern, einer eingeschränkten Nierenfunktion und dem Schlaganfallrisiko in Abhängigkeit vom CHA2DS2-VASc-Score hat sich auch im Dresdner NOAK-Register gezeigt [6]. Die Daten zeigen, dass die Nierenfunktion im Verlauf von drei bis fünf Jahren bei Patienten mit einem CHADS-VASc-Score von 8 % bis zu 20 % abnimmt. Der CHA2DS2-VASc-Score ist damit ein Prädiktor für eine eingeschränkte Nierenfunktion und ein somit steigendes Schlaganfallrisiko bei VHF. Indikation zur Antikoagulation Aus der erhöhten Schlaganfallgefahr ergibt sich eine eindeutige Indikation zur Antikoagulation. Die Therapieentscheidung basiert dabei unter anderem auf dem CHA2DS2-VASc-Score zur Bestimmung des Schlaganfallrisikos bei Vorhofflimmern. In den Score fließen verschiedene Parameter ein:
  • Congestive Heart Failure (Herzinsuffizienz) – 1 Punkt
  • Hypertension – 1 Punkt
  • Age (>75) – 2 Punkte
  • Diabetes mellitus – 1 Punkt
  • Stroke/TIA – 2 Punkte
  • Vascular Disease – z. B. pAVK, vorangegangener Herzinfarkt, schwere Verkalkung der Aorta – 1 Punkt
  • Age: 65 – 74 – 1 Punkt
  • Sex Category: Weibliches Geschlecht – 1 Punkt
Die Europäischen Leitlinien empfehlen die Antikoagulation ab einem Score-Wert von 2. Aufgrund von Wirksamkeits- und Sicherheitsvorteilen sollen bei der Neueinstellung von nv VHF-Patienten bevorzugt nicht Vitamin K-abhängige orale Antikoagulanzien (NOAK) statt der früher üblichen Vitamin-K-Antagonisten (VKA) zum Einsatz kommen [7, 8].

Unterschiedliche Studienbedingungen

In mehreren Phase-III-Studien wurde dokumentiert, dass auch niereninsuffiziente Patienten mit nv VHF von der Behandlung mit einem NOAK profitieren. Dazu gehören die ROCKET-AF-Studie, in der mit Rivaroxaban behandelt wurde, die ARISTOTLE-Studie mit der Prüfsubstanz Apixaban, die ENGAGE-AF-Studie mit Edoxaban sowie die RE-LY-Studie, in der Dabigatran untersucht wurde. In allen vier Studien waren unter anderem Patienten mit einer eingeschränkten Nierenfunktion eingeschlossen, allerdings waren die Studienbedingungen sehr unterschiedlich: So nahmen beispielsweise in der ROCKET-AF-Studie überproportional viele Patienten mit Niereninsuffizienz und zusätzlichen Komorbiditäten teil, der mittlere CHADS2-Score betrug 3,7 gegenüber 3,1 in der ENGAGE-AF-Studie und 2,6 in der Studie ARISTOTLE. Die Autoren der RE-LY-Studie haben den mittleren CHADS2-Score nicht für die entsprechende Nierensubgruppe veröffentlicht [9–12].

Niereninsuffizienz: Unterschiedliche Patientenzahlen und Dosisreduktionskriterien

Für die aktuell zugelassenen NOAK gelten unterschiedliche Kriterien der Dosisreduktion. Diese leiten sich aus den vorliegenden Studien zu den Wirkstoffen ab, wobei die Zahl der Teilnehmer mit eingeschränkter Nierenfunktion in den Untersuchungen sehr unterschiedlich war:
  • In der ROCKET-AF-Studie waren 1474 Patienten mit Niereninsuffizienz eingeschlossen. Die Dosis von Rivaroxaban wurde ab einer Kreatinin-Clearence (KrCl )unter 50 ml/min um 25 % auf 15 mg reduziert. In ROCKET AF wurden die Patienten nur bis 30 ml/min eingeschlossen.
  • In der ENGAGE-Studie waren 1784 Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion eingeschlossen, und 1379 Patienten erhielten eine reduzierte Dosis von Edoxaban, wobei die Dosierung ab einer GFR von unter 50 ml/min halbiert werden sollte.
  • In der ARISTOTLE-Studie waren 428 Patienten mit moderater Niereninsuffizienz und 149 mit reduzierter Dosis von Apixaban. Die Dosisreduktion wurde entsprechend der 2-von-3-Regel praktiziert: die niedrigere Dosis von zweimal 2,5 mg/täglich sollte gegeben werden, wenn der Patient zwei der folgenden drei Kriterien erfüllte: eine Kreatinin-Clearence über 1,5 mg/dl oder 133 Mikromol/l, ein Alter über 80 Jahre, ein Körpergewicht unter 60 kg.
  • In der RE-LY-Studie nahmen 6015 Patienten mit moderater Nierenfunktion teil, es gab jedoch keine Dosisreduktionskriterien zu Dabigatran abhängig von der Nierenfunktion.
Inwieweit eine Dosisanpassung bei der Antikoagulation von niereninsuffizienten Patienten erforderlich ist, hängt in erster Linie vom eingesetzten Wirkstoff ab. Das verdeutlichen unter anderem die Fachinformationen zu den jeweiligen Substanzen. Bei Rivaroxaban ist lediglich bei Vorliegen einer Niereninsuffizienz eine Dosisreduktion erforderlich. Liegt die Nierenfunktion im Normbereich, so wird mit der üblichen Standarddosis von 20 mg einmal täglich behandelt. Sinkt die GFR auf einen Wert unter 50 ml/min, so ist eine Dosisreduktion auf 15 mg am Tag angezeigt. Bei einer Kreatinin-Clearance von 15 bis 29 ml/min soll Rivaroxaban mit Vorsicht angewendet werden. Bei einem GFR-Wert unter 15 ml/min wird eine Behandlung mit Rivaroxaban nicht empfohlen. Bei Dabigatran ist neben der Nierenfunktion auch das Lebensalter zu berücksichtigen. Patienten mit leichter Niereninsuffizienz, die 75 bis 80 Jahre alt sind, können mit 150 mg zweimal täglich behandelt werden. Die niedrigere Dosis von 110 mg zweimal täglich ist bei diesen Patienten zu verordnen, wenn ein niedriges thromboembolisches Risiko und ein hohes Blutungsrisiko bestehen. Bei moderater Niereninsuffizienz und einem Alter von 75 Jahren und mehr kann mit 150 mg zweimal täglich behandelt werden und bei hohem Blutungsrisiko mit der niedrigeren Dosierung von 110 mg zweimal täglich. Bei über 80-Jährigen und moderater Niereninsuffizienz ist generell die niedrigere Dosierung von 110 mg zweimal täglich angezeigt. Liegt eine Niereninsuffizienz mit Werten unter 30 ml/min vor, so ist Dabigatran kontraindiziert. Bei Apixaban ist bei der Festlegung der Dosierung neben der Nierenfunktion und dem Alter zusätzlich das Körpergewicht zu beachten. Kriterien für eine Dosisreduktion sind eine manifeste Niereninsuffizienz, ein Lebensalter ab 80 Jahren und ein Körpergewicht unter 60 kg. Nur wenn alle drei Kriterien gegeben sind, ist eine Dosisreduktion indiziert, um einen optimalen Schutz zu gewährleisten. Bei Edoxaban müssen als zusätzlicher Faktor außerdem noch Komedikationen berücksichtigt werden. Wird die Dosierung des NOAK ohne entsprechende Indikation reduziert, kann das erhebliche Folgen haben: Bei Apixaban ist in einem solchen Fall womöglich keine ausreichende Schutzwirkung hinsichtlich eines Schlaganfalls mehr vorhanden. Bei Dabigatran und Rivaroxaban ist auch bei ungerechtfertigter Dosisreduktion ausweislich der vorliegenden Daten offenbar weiterhin eine adäquate Schlaganafallprophylaxe gegeben [13].

Nierenfunktionsstörung und Schlaganfallrisiko unter NOAK

Umfassende Daten hinsichtlich der Auswirkungen der Antikoagulation bei Patienten mit nv VHF und Niereninsuffizienz liegen insbesondere für Rivaroxaban vor: In einer vordefinierten Subgruppenanalyse der ROCKET-AF-Studie bei Patienten mit einer Kreatinin-Clearance von 49 bis 30 ml/min zeigte Rivaroxaban hinsichtlich des primären Sicherheitsendpunktes (schwere und nicht schwere, klinisch relevante Blutungen) vergleichbare Raten versus VKA: HR 0,98 (95%-KI 0,84 bis 1,14) in ml/min. Zugleich kam es zu signifikant seltenerem Auftreten tödlicher Blutungen ([12]; Vordefinierte hypothesengenerierende Subgruppenanalyse aus der Nicht-Unterlegenheitsstudie Rocket AF vs. VKA. Die Subgruppenanalyse bestätigt die Gesamtanalyse der ROCKET AF). Der Wirkstoff besitzt somit ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil auch bei Patienten mit moderat eingeschränkter Nierenfunktion. Eine Post-hoc-Analyse der ROCKET-AF-Studie zeigte zudem, dass die Nierenfunktion im Verlauf der Behandlung mit Rivaroxaban weniger stark abnimmt als unter einem VKA [13]. So zeigte sich im 21-monatigen Follow-up bei Patienten, die mit Warfarin behandelt wurden, eine Abnahme der mittleren KrCl um 4,3 gegenüber einer Reduktion um 3,5 bei Patienten, die Rivaroxaban erhielten. Der Unterschied war signifikant. Yao und Kollegen konnten in einer retrospektiven Datenbankanalyse nachweisen, dass es unter dem NOAK seltener als unter VKA zu einer Abnahme der eGFR um ≥30 % und auch seltener zu einer Verdoppelung des Serumkreatinins und zum akuten Nierenversagen kommt [13]. Zur ARISTOTLE-Studie sind bislang nur Daten über zwölf Monate verfügbar; es fehlen noch Langzeitdaten. In einer Post-hoc-Analyse der Studie zeigten sich dabei für Apixaban und Warfarin vergleichbare Raten hinsichtlich einer nachlassenden Nierenfunktion.

Nierenfunktion und Vitamin-K-Antagonisten

Für eine Behandlung von Patienten mit Vorhofflimmern und einer eingeschränkten Nierenfunktion mit einem NOAK statt eines VKA sprechen zudem Befunde, wonach die Einnahme eines Vitamin-K-Antagonisten möglicherweise ein Nierenversagen begünstigen kann. Die Ursache hierfür kann eventuell eine durch VKA verstärkte Kalzifizierung der Nierengefäße sein und eine sich daraus ergebende progrediente Nephropathie [14].

RELOADED – Daten aus dem deutschen Versorgungsalltag

Dass die in den Phase-III-Studien gewonnenen Daten nicht nur für das international gebräuchliche Warfarin Relevanz besitzen, sondern auch für Phenprocoumon, das üblicherweise in Deutschland zur Antikoagulation eingesetzt wird, belegen die Resultate der Erhebung RELOADED. Es handelt sich um eine retrospektive Analyse einer Datenbank deutscher Krankenkassen mit 7,2 Millionen Versicherten. Es wurden knapp 65.000 Versicherte mit nv VHF untersucht, die eine Therapie mit einem NOAK oder Phenprocoumon begonnen hatten. In der Rivaroxaban-Kohorte der RELOADED-Studie waren insgesamt 22.339 Patienten eingeschlossen, davon 5121 mit eingeschränkter Nierenfunktion, definiert als eine Auswahl spezifischer ICD-10-Codes. Für Apixaban liegen Daten von 16.201 Patienten (4750 renal) vor, im Edoxaban-Arm waren 2828 (682 renal) Patienten erfasst. Im Phenprocoumon-Arm waren 23.552 Patienten eingeschlossen, davon 7289 mit eingeschränkter Nierenfunktion. Ausschlusskriterien für die Aufnahme in die Studie waren bereits vor Studienbeginn bekannte Herzklappenerkrankungen, operative Eingriffe an den Herzklappen im Jahr zuvor, venöse Thromboembolien (VTE) in den beiden vorangegangenen Quartalen, ein operativer Gelenkersatz am Knie- oder Hüftgelenk in den zwei Monaten vor dem Stichtag, eine Schwangerschaft, ein terminales Nierenversagen sowie die Notwendigkeit einer Dialyse bereits vor Studienbeginn. Die Patienten wurden durchschnittlich 1,1 Jahre lang beobachtet. Die Ergebnisse zeigen beispielsweise für Rivaroxaban im Vergleich zu Phenprocoumon bei Patienten mit Vorhofflimmern und Niereninsuffizienz eine vergleichbare Wirksamkeit bei besserer Sicherheit. Die Parameter zur Nierenfunktion zeigen außerdem, dass Rivaroxaban im zeitlichen Verlauf die Nierenfunktion besser aufrecht erhält als Phenprocoumon. Das relative Risiko, dass die Nierenfunktion bis hin zu einer Niereninsuffizienz/Dialysepflicht abnimmt, war unter dem NOAK im Vergleich zum VKA um insgesamt 64 % geringer. So konnte Rivaroxaban das Risiko für eine terminale Niereninsuffizienz/Dialysepflicht in der Gesamtpopulation um fast zwei Drittel gegenüber den VKA vermindern und in der Population mit vorbestehender Nierenerkrankung sogar um fast drei Viertel. Für den Endpunkt akutes Nierenversagen ergab sich ebenfalls ein nomineller Vorteil für Rivaroxaban gegenüber Phenprocoumon in der Gesamtpopulation und ebenso in der Population mit vorbestehender Nierenerkrankung. Ein solcher Vorteil hinsichtlich eines akuten Nierenversagens wurde unter anderen NOAK in der Datenanalyse nicht gesehen. Hinsichtlich der Sicherheit war das Risiko einer intrakraniellen Blutung unter Rivaroxaban in der Gesamtpopulation der Studie im Vergleich zu Phenprocoumon um fast die Hälfte niedriger. Auch bei der Analyse des Risikos für tödliche Blutungen zeigte sich ein positiver Trend bei Rivaroxaban in der Gesamtpopulation wie auch bei einer vorbestehenden Niereninsuffizienz.

Diabetes, Inflammation und Thrombogenität

Eine weitere relevante und zugleich weitverbreitete Komorbidität des nicht valvulären Vorhofflimmerns ist der Diabetes mellitus. Besonders problematisch hierbei ist, dass der Diabetes oft nicht die einzige Begleiterkrankung darstellt, sondern sich seinerseits im Gefolge verschiedener anderer Risikofaktoren manifestiert. Hierzu zählt neben der Hypercholesterinämie, der Hypertonie, dem Rauchen auch das Übergewicht, das häufig mit einer Fettgewebsinflammation einhergeht. Liegt ein Diabetes vor, so ist von einer Verdoppelung des kardiovaskulären Risikos auszugehen. Es besteht dabei ein enger Zusammenhang zwischen der für den Diabetes charakteristischen Inflammation und einer erhöhten Thrombogenität. Diese pathophysiologischen Prozesse liefern eine Erklärung, warum Menschen mit Diabetes auf therapeutische Ansätze, die eine verstärkte antithrombotische Wirkung besitzen, besser ansprechen.

Plättchenhemmung plus Antikoagulation

Die Antikoagulation ist zusätzlich zur Plättchenhemmung nachweislich wirksam, und die Kombination beider Therapieprinzipien ist effektiver als jede der beiden allein. Dabei werden durch Einsatz von Antikoagulanzien die Gerinnungsfaktoren des Blutplasmas direkt oder indirekt beeinflusst und dadurch die Bildung beziehungsweise Aktivität von Thrombin blockiert. In der Studie ATLAS ACS 2-TIMI 51 konnte gezeigt werden, dass die zusätzliche orale Antikoagulation mit niedrig dosiertem Rivaroxaban (2,5 mg zweimal täglich) in der Sekundärprophylaxe eines akuten Koronarsyndroms (ACS) Vorteile bietet [15]. Dabei profitierte die Subgruppe der Diabetes-Patienten in gleicher Weise wie das Gesamtkollektiv. Auch bei Patienten mit Vorhofflimmern und einem akuten Koronarsyndrom ist die Hinzunahme eines NOAK eine wirksame und sichere Option. Erste belastbare Daten hierfür hat die PIONEER-AF-PCI-Studie erbracht. In der dreiarmigen Studie wurden zwei Therapieregime mit Rivaroxaban geprüft: Eine Patientengruppe erhielt Rivaroxaban 15 mg plus Clopidogrel, wobei die Rivaroxaban-Dosierung bei einer mäßig eingeschränkten Nierenfunktion auf 10 mg einmal täglich reduziert wurde. Eine zweite Studiengruppe wurde mit einer Triple-Therapie aus Rivaroxaban (2,5 mg), Acetylsalicylsäure und Clopidogrel und die dritte Gruppe mit der Standardtherapie bestehend aus einem Vitamin-K-Antagonisten, dessen Dosis auf einen INR-Zielwert von 2,0 bis 3,0 angepasst war, und einer doppelten Plättchenhemmung behandelt. Beide Behandlungsregime mit Rivaroxaban führten zu einer signifikanten Verbesserung des primären Sicherheitsendpunktes der relevanten Blutungen, wobei eine absolute Risikoreduktion von knapp 10 % resultierte. Hinsichtlich der klinischen Wirksamkeit zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den jeweiligen Therapiestrategien, jedoch eine leichte Überlegenheit des Regimes mit 15 mg Rivaroxaban und Clopidogrel. Die RE-DUAL-PCI-Studie, in der Dabigatran in Kombination mit einer dualen Plättchenhemmung in dieser Indikation geprüft wurde, dokumentiert ebenfalls eine signifikante Reduktion der klinisch relevanten Blutungen gegenüber einem VKA-Regime [16]. In der AUGUSTUS-Studie wurde Apixaban gegen den Vitamin-K-Antagonisten Warfarin bei Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern und akutem Koronarsyndrom (ACS) und/oder perkutaner Koronarintervention (PCI) untersucht. Es zeigte sich bei den Sicherheitsendpunkten ein signifikanter Vorteil für das NOAK in Form von signifikant weniger klinisch relevanten Blutungen [17].

Diabetes und Vorhofflimmern

Auch zur Schlaganfallprophylaxe bei einem nv VHF bei manifestem Diabetes liegen insbesondere Daten aus einer vordefinierten Subgruppenanalyse der ROCKET-AF-Studie vor. Eingeschlossen in die Subgruppe waren 5695 Patienten mit nv VHF und Diabetes, analysiert wurde der Endpunkt „vaskulär bedingter Tod“. Unter Rivaroxaban zeigte sich dabei eine um 20 % und damit signifikant niedrigere kardiovaskuläre Sterblichkeit im Vergleich zu Warfarin [18]. Zum Vergleich: In der Gesamtanalyse von ROCKET AF zeigten sich im sekundären Wirksamkeitsendpunkt keine signifikanten Unterschiede zu Warfarin. Hinsichtlich der Schlaganfallprävention erwies sich Rivaroxaban bei Diabetikern und Nicht-Diabetikern als gleichermaßen gut wirksam. Auch im primären Sicherheitsendpunkt (schwere Blutungen und klinisch relevante, nicht schwere Blutungen) wurden keine statistischen Unterschiede zwischen Rivaroxaban und VKA beobachtet. Die Ergebnisse einer retrospektiven US-Datenbankanalyse bestätigen diese Resultate der ROCKET-AF-Studie. Demnach traten bei Patienten mit nv VHF und Typ-1- oder Typ-2-Diabetes unter Rivaroxaban tendenziell weniger Schlaganfälle und systemische Embolien auf als unter VKA. Auch hämorrhagische Schlaganfälle waren seltener [19].

Fazit

Vorhofflimmern ist eine Herzrhythmusstörung, die häufig mit Komorbiditäten wie Hypertonie, Diabetes und/oder Nierenfunktionsstörungen (CKD) vergesellschaftet ist. Dadurch kann das per se beim VHF erhöhte Schlaganfallrisiko weiter zunehmen, was die Notwendigkeit einer konsequenten antithrombotischen Therapie unterstreicht. Aufgrund ihrer Vorteile gegenüber den herkömmlichen Vitamin-K-Antagonisten sind NOAK heute die Therapie der Wahl zur Schlaganfallprophylaxe bei nv VHF. Nierenfunktionsstörungen sind eine der häufigsten Komorbiditäten, und VHF-Patienten mit CKD haben ein erhöhtes Schlaganfall- und ein erhöhtes Blutungsrisiko. Auch Patienten mit nv VHF und Begleiterkrankungen wie einer eingeschränkten Nierenfunktion oder einem Diabetes können von einer Therapie mit NOAK profitieren. Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern und akutem Koronarsyndrom (ACS) und/oder perkutaner Koronarintervention (PCI) können in besonderem Maße von einem intensivierten antithrombotischen Management aus Plättchenhemmung und niedrig dosierter plasmatischer Gerinnungshemmung profitieren. Die derzeit verfügbaren NOAK (Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban und Dabigatran) unterscheiden sich in ihrem pharmakologischen Profil zum Teil erheblich. Das hat Auswirkungen auf die Therapieentscheidung und macht ein differenziertes Vorgehen, zum Beispiel bei der Dosisreduktion bei niereninsuffizienten Patienten mit VHF, erforderlich. Real-World-Daten deutscher Krankenkassen belegen die Sicherheit und Effektivität der NOAK auch gegenüber Phenprocoumon.

Literatur

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