Diagnose der geografischen Atrophie – ein Update

Nach wie vor ist die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) in Deutschland die Hauptursache für schwere Sehbeeinträchtigungen bis hin zur Erblindung. Die geografische Atrophie (GA), als Spätform der trockenen AMD, zeichnet sich durch atrophische Läsionen der Netzhaut aus, die sich mit individuell unterschiedlicher Geschwindigkeit bis hin zur Fovea ausbreiten. Für eine präzise Diagnosestellung der AMD/GA ist neben der Berücksichtigung von Risikofaktoren und visuellen Symptomen die multimodale Bildgebung unerlässlich. Neu identifizierte Biomarker helfen, das individuelle Progressionsrisiko abzuschätzen.

Erfahren Sie hier, welche Risikofaktoren und visuellen Symptome bei der Diagnose einer AMD/GA berücksichtigt werden sollten und wie anhand multimodaler Bildgebung über die Diagnosestellung hinaus auch das Risiko für die Entwicklung und Progression einer GA abgeschätzt werden kann.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709124073530015
Zeitraum 20.07.2024 - 19.07.2025
Zertifiziert in D, A, CH
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte 2 Punkte (Kategorie D)
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof. Dr. med Hakan Kaymak
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Fachartikel
Lernmaterial Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Apellis Germany GmbH
Bewertung 4.4 (167)

Einleitung

Nach wie vor stellt die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) in den westlichen Industrieländern die häufigste Ursache für schwere Sehbehinderungen bis hin zur Erblindung dar. Die Prävalenz der Erkrankung nimmt mit steigendem Alter kontinuierlich zu und wird Schätzungen zufolge aufgrund der alternden Bevölkerung zukünftig noch weiter ansteigen. Die Erkrankung verläuft chronisch progredient und führt bei Erreichen fortgeschrittener Stadien zur hochgradigen Visusminderung, wobei es sich zu etwa gleichen Anteilen um die geographische Atrophie (GA) oder die neovaskulären AMD (nAMD) handelt. Um gegebenenfalls rechtzeitig eingreifen zu können, ist es daher entscheidend, einen möglichen Übergang zu den fortgeschrittenen, visusbedrohenden Stadien frühzeitig zu erkennen und präzise zu diagnostizieren.

Geographische Atrophie: visusbedrohendes Spätstadium

Die AMD zeichnet sich durch eine zunehmende Degeneration von morphologischer Struktur und Funktion der Makula aus. Als frühe Veränderungen der Retina treten zunächst gelblich erscheinende Drusen als Ablagerungen von extrazellulärem Material zwischen dem retinalen Pigmentepithel (RPE) und der Bruch’schen Membran auf. Diese Drusenablagerungen können zu einer Funktionsstörung und Degeneration des darüberliegenden RPE und der Fotorezeptoren führen. Gemäß der Beckman-Klassifikation ist die frühe AMD klinisch definiert als das Vorhandensein von Drusen mit einem Durchmesser von ≥63 μm und <125 μm, während die intermediäre AMD als Drusen mit einem Durchmesser von ≥125 μm oder durch AMD-spezifische Pigmentveränderungen in Kombination mit Drusen jeglicher Größe definiert ist. Im weiteren Verlauf der Erkrankung können schließlich als Spätstadien die GA und/oder Neovaskularisationen auftreten. Das AMD-Spätstadium der GA ist charakterisiert durch das Auftreten scharf abgegrenzter, atrophischer Läsionen in der äußeren Netzhaut infolge eines progredienten und irreversiblen Verlustes von Fotorezeptoren, des RPE und der darunterliegenden Choriocapillaris.

Risikofaktoren – multifaktorielle Pathogenese

In den letzten Jahren wurden Risikofaktoren und Prozesse, die zur Beeinträchtigung und Degeneration des RPE und der äußeren Netzhaut führen, zunehmend erforscht. Nach heutigem Verständnis stellt die AMD eine Störung der normalen homöostatischen Mechanismen der Netzhaut dar, bei denen altersbedingte Veränderungen in Verbindung mit genetischer Disposition, chronischen Entzündungen, erhöhten Lipid- und Lipoproteinablagerungen, oxidativem Stress und einer gestörten extrazellulären Matrix (ECM) zu einem Ungleichgewicht führen, das sich letztlich als AMD manifestiert. Die Ätiologie der AMD ist somit multifaktoriell und zeichnet sich durch ein komplexes Zusammenspiel von genetischer Disposition und Lebenstil- sowie Umweltfaktoren aus. Dabei werden die genetischen Faktoren mittlerweile für den überwiegenden Risikoanteil der GA-Pathogenese verantwortlich gemacht. So wird die Erblichkeit der späten AMD-Stadien auf bis zu 71 % geschätzt. Der wichtigste physiologische Risikofaktor für die Pathogenese der GA stellt ein erhöhtes Lebensalter dar, aber auch ein erhöhter Body-Mass-Index (BMI), bestimmte Fettstoffwechselstörungen, Entzündungen oder eine chronische Hepatitis-B-Virus Infektion können das Risiko für eine GA erhöhen. Darüber hinaus werden bestimmte Begleiterkrankungen, u. a. Bluthochdruck, kardiovaskuläre Erkrankungen, Atherosklerose und Diabetes, sowie deren Medikation mit einem erhöhten AMD-Risiko in Verbindung gebracht. Auch das Auftreten der neovaskulären AMD und deren Anti-VEGF-Behandlung (VEGF, Vascular Endothelial Growth Factor; endothelialer Wachstumsfaktor) werden als mögliche Risikofaktoren für die GA-Pathogenese diskutiert. Als wesentliche modifizierbare Risikofaktoren für die AMD gelten Rauchen, bestimmte Ernährungsgewohnheiten, ein erhöhter Alkoholkonsum sowie eine hohe UV-Exposition. Bei der Berücksichtigung verschiedener Risikofaktoren im Rahmen der präzisen Diagnosestellung ist auch wesentlich, dass sich die Faktoren für die Entstehung der AMD von denen für die Progression der Erkrankung und der Konversion zu Spätformen zu unterscheiden scheinen. So ist das Rauchen zwar ein signifikanter Faktor für die AMD-Inzidenz, beeinflusst aber die Progression der GA nicht in allen Studien. Hingegen sind für die Progression der Erkrankung hin zu einer GA vor allem klinisch/morphologische Merkmale und genetische Faktoren entscheidend. Mittlerweile wurden verschiedene Genloci identifiziert, die mit einem erhöhten AMD-Risiko und insbesondere mit der Entwicklung von Spätstadien einhergehen. Diese Genorte sind am Lipidmetabolismus, an der Umgestaltung der extra-zellulären Matrix sowie am Komplementsystem beteiligt.

Überaktiviertes Komplementsystem – Apoptose

Das Komplementsystem zählt zur angeborenen (innaten) Immunabwehr und stellt ein komplexes Immunüberwachungssystem dar, das eine Schlüsselrolle bei der Gewebehomöostase, bei akuten und chronischen Entzündungen und bei der Abwehr von Krankheitserregern einnimmt. In der Regel befindet sich das Komplementsystem in einem Gleichgewicht von Aktivierung und Reglementierung. Kommt es zu einer Überaktivierung, so gilt es als eines der stärksten Mediatorsysteme von Entzündungsreaktionen und ist an der Pathophysiologie vieler Erkrankungen, auch des Auges, wesentlich beteiligt. In der Netzhaut kann die Überaktivierung des Komplementsystems eine Apoptose retinaler Zellen induzieren und so die Entstehung der für GA typischen atrophen Areale befördern. So wurde gezeigt, dass eine Komplementaktivierung in der äußeren Netzhaut zur Rekrutierung von Immunzellen sowie zum Abbau von Außensegmenten der Fotorezeptoren führte. Zudem kann eine erhöhte Komplementaktivität am Rand von GA-Läsionen die Zellschädigung beschleunigen. Insgesamt gilt die durch die Komplementkaskade vermittelte Entzündung als eine der wesentlichen Ursachen für die Entstehung der AMD. Dabei erfolgt die Aktivierung des Komplementsystems im Wesentlichen über drei Hauptwege: den klassischen, den alternativen und den Lektin-Weg. Letztlich münden alle drei in eine gemeinsame Endstrecke, deren zentrales Protein C3 ist. Dieses stellt einen wesentlichen Koordinator der Komplementkaskade dar und wird auch als „Schweizer Taschenmesser des innaten Immunsystems” bezeichnet. Die von C3 ausgehenden Downstream-Prozesse beginnen mit einer Spaltung des Proteins C3 in die bioaktiven C3a und C3b. Das Protein C3a zählt (gemeinsam mit C5a) zu den stärksten bekannten Entzündungsmediatoren, induziert die Rekrutierung und Aktivierung von Immunzellen in das Gewebe und ist bei Patienten mit AMD signifikant erhöht. Das zweite bioaktive Fragment (Protein C3b) markiert Zellen für eine effiziente Phagozytose und hat außerdem einen selbstverstärkenden Effekt auf die Kaskade, da es zur Bildung von weiterem C3-Protein führen kann. Zudem ist es in Kombination mit weiteren Komplementfaktoren an Mechanismen zur Schädigung der Zellmembran beteiligt, sodass die von C3 ausgehenden Downstream-Prozesse insgesamt zur Apoptose retinaler Zellen führen und ein Eingreifen in die Kaskade auf der Ebene von C3 die Aussicht auf eine umfassende therapeutische Wirksamkeit bietet.

AMD frühzeitig erfassen – zweistufige Diagnose

Um einen möglichen Übergang zu den fortgeschrittenen Stadien der AMD rechtzeitig erfassen zu können, wird in der Leitlinie der deutschen Fachgesellschaften empfohlen, bereits bei Menschen ab einem Alter von 55 Jahren präventive Untersuchungen der Makula durchzuführen. Für eine präzise Diagnosestellung empfiehlt sich ein zweistufiges Vorgehen: Im ersten Schritt gilt es zunächst, die visuellen Symptome der Patienten zu erfassen und das Vorliegen der zuvor beschriebenen Risikofaktoren abzuklären. In diesem Zusammenhang spielen auch die Erfassung der Familienanamnese und der Krankengeschichte – insbesondere das Patientenalter und das Alter, in dem erste Symptome auftraten – eine wichtige Rolle. Im nächsten Schritt gilt die moderne, multimodale Bildgebung mittlerweile als unverzichtbar zur präzisen Diagnosestellung und Abschätzung des Progressionsrisikos der Erkrankung. Gerade in den frühen Stadien der Erkrankung, solange die Atrophie die Makula noch nicht betrifft, können die Symptome nur minimal sein. Zu den frühesten, von den Patienten wahrgenommenen Anzeichen für eine verschlechterte Sehfunktion zählen häufig eine verzögerte Anpassung an Lichtverhältnisse sowie eine verminderte Kontrastempfindlichkeit. Oftmals berichten Patienten, dass sie unter schlechten Lichtbedingungen bestimmte Tätigkeiten nicht mehr oder nur noch sehr schwierig durchführen können. Zu den häufigsten Symptomen, wegen derer Patienten beim Arzt vorstellig werden, zählen verzerrtes oder verschwommenes Sehen. Zudem berichten Betroffene häufig, dass die Zeilen beim Lesen „verspringen” und Alltagsaktivitäten wie Autofahren schwerfallen. Ein zentraler Sehverlust ist typischerweise mit späten Stadien verbunden, die mit dem irreversiblen Verlust von Fotorezeptoren einhergehen. Weiten sich diese Bereiche mit Fotorezeptorverlust auf den Makulabereich aus, verlieren die Patienten das zentrale Sehvermögen, haben Schwierigkeiten mit dem Erkennen vertrauter Gesichter und erblinden schließlich.

Bestkorrigierter Visus kein ausreichender Parameter

Da somit gerade zu Beginn der Erkrankung das zentrale Sehen meist noch erhalten ist, ist eine Bestimmung der bestkorrigierten Sehschärfe (BCVA) bei normaler Beleuchtungsstärke allein kein ausreichender Parameter zur Erfassung von subjektiven Seheinschränkungen. Hier sind funktionelle Tests besser geeignet, die Bedingungen simulieren, in denen bei Patienten mit früher oder intermediärer AMD bereits visuelle Schwierigkeiten auftreten. Dazu zählen u. a. eine Sehschärfenbestimmung mit geringer Beleuchtungsstärke, die Messung des Kontrastsehens oder die Dunkeladaptation, bei der die Reaktion der Netzhaut nach der Bestrahlung des Auges mit hellem Bleichlicht bewertet wird. Mit dem „Functional Reading Independence”-(FRI-)Index, einem Fragebogen mit sieben Kriterien, der von den Patienten beantwortet wird, kann die Lesegeschwindigkeit erfasst werden. Das Amsler-Gitter stellt zwar einen einfachen Funktionstest dar, der Veränderungen im zentralen Gesichtsfeld des Auges erfasst und zudem von den Patienten regelmäßig zu Hause durchgeführt werden kann, um mögliche Verschlechterungen zu detektieren. Allerdings zeigen aktuelle Forschungsergebnisse, dass die Sensitivität des Amsler-Gitters zur Detektion einer Progression der AMD bei nur 33,7 % liegt, während regelmäßige OCT-Aufnahmen eine Sensitivität von 91,7 % erreichen. Die Autoren regen an, dass auf Grundlage dieser Ergebnisse die Überwachung von Patienten mit AMD mittels OCT in Betracht gezogen werden sollte. Die funduskontrollierte Gesichtsfelduntersuchung (Mikroperimetrie) ermöglicht zusätzlich eine räumlich aufgelöste Prüfung der Netzhautsensitivität an mehreren Stellen in der Makula. So können absolute Skotome im Bereich von Atrophiearealen bestätigt werden, auch wenn im Praxisalltag die limitierte Auflösung (im Vergleich zur morphologischen Darstellung) und die zeitaufwendige Untersuchung vor allem bei älteren Patienten oftmals eine Herausforderung darstellen können. Eine Weiterentwicklung, die skotopische Mikroperimetrie, ermöglicht nun zusätzlich auch die Prüfung der dunkeladaptierten (stäbchenvermittelten) Funktion. Dies erscheint angesichts der Tatsache sinnvoll, dass bei älteren Menschen und bei Menschen mit AMD die Degeneration der Stäbchen stärker ausgeprägt zu sein scheint als die der Zapfen.

Multimodale Bildgebung zur Diagnose der GA

Zudem steht zur präzisen Diagnose der GA sowie zur Abschätzung des Progressionsrisikos eine Vielzahl von Bildgebungsmodalitäten zur Verfügung, darunter die Farbfundusfotografie, die Fundusautofluoreszenz (FAF), die optische Kohärenztomografie (OCT) und die Fluoreszeinangiografie. Diese tragen entscheidend dazu bei, die große Variabilität bei GA bezüglich morphologischer Veränderungen und Progressionsraten differenziert zu erfassen. Weiterhin können auch Nahinfrarot-Reflexionsbildgebung, Indocyaningrün-Angiografie und OCT-Angiografie ergänzende Informationen liefern. Im klinischen Alltag basiert die initiale Diagnose einer AMD häufig auf der Farbfunduskopie, in der pathologische Veränderungen der GA, darunter Drusen, Pigmentveränderungen sowie Atrophie, ebenso detektiert werden können wie Merkmale einer neovaskulären AMD. GA-Läsionen stellen sich in der Farbfunduskopie als scharf begrenzte, oft multifokale, hypopigmentierte Atrophieareale im Bereich der äußeren Netzhautschichten dar, innerhalb derer größere Gefäße der darunterliegenden Aderhaut häufig deutlich sichtbar sind. Diese atrophischen Läsionen variieren stark in Position, Anzahl und Größe. Die FAF-Bildgebung ist der Goldstandard zur Messung der GA-Progression in Multicenter-Studien, und stellt auch im Praxisalltag eine wichtige Untersuchung zur Bestätigung der Diagnose sowie zur differenzierten Erfassung und Progressionsabschätzung dar. Die FAF visualisiert die Autofluoreszenz des in RPE-Zellen eingelagerten Lipofuszins (enthält das Fluorophor A2E). Dunkle, hypofluoreszierende Regionen sind Zeichen für das vollständige Fehlen von Lipofuszin und damit für den RPE-Zelltod. Im Bereich der Ränder der Atrophie wird oftmals eine erhöhte Fluoreszenz (Hyperautofluoreszenz) und damit eine Weißfärbung beobachtet, da bei einer beginnenden Schädigung des RPE zunächst Lipofuszin in den Zellen akkumuliert wird. Diese weiß gefärbten Randbereiche sind pathophysiologisch bedeutsam, da hier sowohl die retinale Funktion herabgesetzt ist als auch die weitere Ausdehnung der GA auftritt. Zudem liefern FAF-Aufnahmen Informationen über die Größe und Lage der Läsion in Bezug zur Fovea und geben Auskunft darüber, ob die Krankheit unifokal oder multifokal ist. Dies ist relevant, da diese Parameter die Progressionsrate beeinflussen, wie später verdeutlicht wird.

OCT-Befunde bei retinaler Atrophie

Eine schnelle, nicht invasive und detaillierte Befundung bei AMD ermöglichen hochaufgelöste „Spectral-Domain”-(SD-)OCT-Aufnahmen. Die Querschnittsaufnahmen der Makula (B-Scan) sind histologischen Schnittbildern sehr ähnlich und liefern umfassende Informationen über die verschiedenen Schichten der Netzhaut. So kann die strukturelle Integrität der inneren und äußeren Fotorezeptoren, des RPE, der Bruch´schen Membran und der Aderhaut beurteilt werden. Im Bereich von Atrophiearealen zeigt sich dabei – aufgrund des darüber befindlichen, fehlenden RPE – eine choroidale Schallverstärkung (Hypertransmission). Basierend auf OCT-Aufnahmen erarbeitete eine internationale Gruppe von Retina-Bildgebungsexperten eine neue Klassifizierung für retinale Atrophien. In dieser wird das Vorhandensein von vollständiger oder nicht vollständiger Atrophie in zwei Strukturen beurteilt, der äußeren Retina und dem RPE. Aus deren Kombinationen ergeben sich vier Phänotypen: cRORA (vollständige Atrophie des RPE und der äußeren Retina), iRORA (unvollständige Atrophie des RPE und der äußeren Retina), cORA (vollständige Atrophie der äußeren Retina) sowie iORA (unvollständige Atrophie der äußeren Retina). Nach derzeitiger Definition liegt eine GA vor, sofern cRORA mit einem Durchmesser von mindestens 250 µm bei gleichzeitigem Fehlen einer exsudativen AMD vorhanden sind. Das Auftreten von iRORA, d. h. einer unvollständigen Atrophie des RPE und der äußeren Netzhaut, wird als Vorläuferläsion betrachtet und gilt als zusätzlicher Indikator für ein hohes Risiko für die Entwicklung einer GA. Auch zur Detektion früher und intermediärer Stadien der GA ist die OCT geeignet. So lässt sich der Drusen-Durchmesser im OCT einfach abschätzen, indem dieser mit der Breite der retinalen Zentralvene verglichen wird. Diese beträgt im OCT-Scan der Makula etwa 125 µm und ermöglicht so eine grobe Abschätzung, ob eine frühe oder intermediäre Form der AMD vorliegt. Alternativ kann auch die Dicke einer gesunden Fovea als Bezugsgröße herangezogen werden, wobei die Hälfte der Foveadicke etwa 125 µm entspricht. Darüber hinaus enthalten En-face-Bilder Informationen zur Größe, Fokalität (Konfiguration) und Lage der Atrophieareale in Bezug zur Fovea – und liefern damit ebenso wie FAF-Aufnahmen wichtige Parameter zur Beurteilung der Progressionsrate. Dabei können je nach Hersteller verschiedene Software-Tools genutzt werden, um diese wichtigen Parameter automatisiert zu erfassen. Darüber hinaus ist zur Detektion bzw. zum Ausschluss einer stillen makulären Neovaskularisation (MNV) eine OCT-Angiografie erforderlich.

Abgrenzung zu Atrophien anderer Ursache

Weiterhin ist bei Diagnosestellung im klinischen Alltag auch wichtig, die GA von Atrophien anderer Ursache abzugrenzen. Zu diesen zählen insbesondere die hereditären Netzhautdystrophien, wie z. B. Morbus Stargardt oder Morbus Best. Bei diesen sind in der FAF-Bildgebung nicht nur die Grenzen der atrophischen Areale besser zur erkennen, auch in den Randbereichen dieser Areale zeigen sich deutliche Unterschiede im Vergleich zu GA. So treten beim Morbus Stargardt fleckförmige Areale mit erhöhtem Signal um den atrophischen Bereich herum auf. Im OCT-Befund sind diese Flecken als subretinale und intraretinale hyperreflektive Ablagerungen sichtbar. Morbus Best zeigt sich typischerweise als unifokale Atrophie mit einem eher deutlich sichtbaren Ring erhöhter „körnig” erscheinender Fundusautofluoreszenz. Auch eine pseudovitelliforme Makuladegeneration, bei der sich das hyperreflektive Material mit der Zeit abbaut und sich eine Atrophie entwickelt, gilt es, differenzialdiagnostisch von einer GA zu unterscheiden. Weitere Informationen zur differenzialdiagnostischen Abklärung sind in einem umfassenden Übersichtsartikel von Saksens et al. zusammengefasst.

Variable Progressionsraten bei GA

Eine detaillierte Erfassung morphologischer Merkmale der atrophischen Areale mittels bildgebender Verfahren ist von großer prognostischer Bedeutung, da individuell deutliche Unterschiede der Progressionsrate bestehen. Typischerweise treten die Atrophieareale zu Beginn der Erkrankung zunächst außerhalb der Fovea auf. Anschließend entsteht im weiteren Verlauf häufig zunächst eine hufeisenförmige oder ringartige Anordnung, da sich die Erkrankung zur Peripherie hin tendenziell schneller ausbreitet als Richtung Fovea. Wesentlich bei der Überwachung eines Patienten mit unilateraler GA ist die regelmäßige Kontrolle des Partnerauges, da die Erkrankung häufig bilateral auftritt. Dabei steigt mit zunehmender Erkrankungsdauer die kumulative Wahrscheinlichkeit für eine bilaterale Beteiligung, wobei eine hohe Übereinstimmung hinsichtlich betroffener Areale und Progressionsraten zwischen beiden Augen besteht. Im Verlauf schreitet die Erkrankung sowohl durch ein kontinuierliches Wachstum bestehender als auch durch zusätzlich auftretende Atrophieareale voran, wobei die Geschwindigkeit der Ausbreitung – und damit die Zeitspanne bis zum Erreichen der Fovea – sehr unterschiedlich sein kann. So ermittelte eine Studie zum natürlichen Verlauf der GA mit einer medianen Beobachtungszeit von drei Jahren Progressionsraten von ≤0,8 mm2/Jahr bis hin zu 10,2 mm2/Jahr für die sogenannten „fast progressor”. In der AREDS-Studie dauerte es im Mittel 2,5 Jahre, bis die Fovea von der GA erfasst wurde – und die Patienten dementsprechend von einem schweren und irreversiblen Sehkraftverlust betroffen waren. Bei Patienten mit bilateral vorliegender GA schritt die Erkrankung bereits innerhalb von 1,5 Jahren bis zur Fovea voran, wie eine groß angelegte retrospektive Analyse zeigt.

Biomarker für rasche Progression

Verschiedene Biomarker, die für eine rasche Progressionsrate sprechen, wurden in einer umfangreichen Übersichtsarbeit ermittelt sowie auch im Rahmen eines Konsensberichtes durch ein Expertengremium zusammengefasst. Ziel des Konsensberichtes war es, eine umfassende Liste von OCT-Merkmalen zu erarbeiten, die bereits in frühen AMD-Stadien auftreten, aber für die Entwicklung einer späteren Atrophie relevant sind. Für die Anwendung im Praxisalltag bietet sich zunächst die Fokussierung auf die vier Parameter Läsionsgröße, Konfiguration (Fokalität), Lokalisation der Läsion sowie auch das FAF-Muster an, um das Risiko für ein Voranschreiten der Erkrankung abschätzen zu können. So weisen mittlere und große Läsionen eine höhere Progressionsrate auf als kleine Läsionen. Auch multifokale sowie nicht subfoveal gelegene Läsionen sind mit einer rascheren Progression verbunden als unifokale oder subfoveale Läsionen. Weiterhin hat auch das Muster der Atrophie in der FAF-Bildgebung eine hohe prognostische Bedeutung: So sind Atrophieareale mit gebändertem („banded”) und diffusem FAF-Muster sowie insbesondere die als „diffuse-trickling” bezeichneten FAF-Muster mit einer erhöhten Wachstumsrate assoziiert. Bei diesem speziellen Muster erscheinen die Atrophieareale eher grau im Vergleich zum ansonsten meist schwarzen Erscheinungsbild. Zudem nimmt die Hyperfluoreszenz zum Randbereich hinzu. So wiesen in der beschriebenen Übersichtsarbeit Patienten mit einer unifokalen Läsion eine Progressionsrate von 1 mm2/Jahr auf, während die Erkrankung bei Patienten mit einem „diffuse-trickling”-FAF-Muster mit 5 mm2/Jahr deutlich schneller voranschritt. Insgesamt bietet somit eine Diagnosestellung basierend auf Risikofaktoren, visuellen Symptomen und moderner multimodaler Bildgebung unter Berücksichtigung der Biomarker für rasche Progression die Möglichkeit, Patienten mit (beginnender) GA zu identifizieren, das Risiko für ein Voranschreiten der Erkrankung abschätzen und bei regelmäßiger Kontrolle gegebenenfalls rechtzeitig eingreifen zu können. Weitere Informationen zum derzeitigen Stand bekannter Biomarker sind in dem Übersichtsartikel von Lad et al. zu finden.

Fazit

  • AMD ist bei Menschen ab 55 Jahren in den westlichen Industrieländern die Hauptursache für eine hochgradige Sehbehinderung bis hin zur Erblindung.
  • Regelmäßige Netzhautkontrolle ab 55 Jahren ist wesentlich, um den Übergang von Früh-/Intermediärstadien der AMD zum fortgeschrittenen Stadium rechtzeitig zu erfassen.
  • Die GA ist charakterisiert durch das Auftreten scharf abgegrenzter, atrophischer Läsionen in der äußeren Netzhaut infolge eines progredienten und irreversiblen Verlustes von Fotorezeptoren, des RPE und der darunterliegenden Choriocapillaris.
  • Wesentliche Risikofaktoren der AMD/GA sind eine genetische Disposition (bis zu 70 % Risikoanteil), erhöhtes Lebensalter, Rauchen sowie Ernährungsgewohnheiten.
  • Vor allem Genloci des Komplementsystems stellen wesentliche Risikofaktoren für das Auftreten und die Progression der AMD dar.
  • Die Überaktivierung des Komplementsystems kann im Auge zu retinalem Zelltod führen und die Entstehung der bei GA typischen, atrophen Areale befördern.
  • Die natürliche Progression der GA beträgt im Median 2,6 mm2/Jahr; Progressionsraten sind allerdings individuell sehr variabel und können deutlich höher sein (bis zu 10 mm2/Jahr).
  • Die präzise Diagnosestellung umfasst eine Beurteilung von Risikofaktoren und visuellen Symptomen (BCVA allein nicht ausreichend) sowie eine multimodale Bildgebung.
  • Größe, Fokalität (Konfiguration), FAF-Muster und Lage der Atrophieareale in Bezug zur Fovea sind wichtige Parameter zur Beurteilung der Progressionsrate.

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