Definition von Adhärenz und Persistenz
Früher wurde in der Medizin oft der Begriff „Compliance” verwendet, um die Therapietreue eines Patienten zu beschreiben. Weil dieser Begriff allerdings nicht den Vorstellungen einer gemeinschaftlichen Vereinbarung von Therapie und Behandlungszielen entspricht, gilt dieser Terminus nach den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als überholt. Wörtlich übersetzt würde „compliant” als „gefügig” übersetzt, also dem Bild von Patienten entsprechen, die kritiklos die einseitig verordnete Therapie einhalten müssen. Dabei sollten bereits für die Planung einer anspruchsvollen und dauerhaften Behandlung auch die individuellen Bedürfnisse eines Patienten einbezogen werden. Mittlerweile wurde daher der obsolete Terminus „Compliance” durch den Begriff „Adhärenz” abgelöst, der die Therapietreue neutraler beschreibt. Nach Definition der WHO beschreibt die Adhärenz das Ausmaß, zu dem das Verhalten dem mit dem Therapeuten vereinbarten Therapieregime entspricht. Konkret geht es also um die Übereinstimmung mit dem gemeinsam vereinbarten Behandlungsschema. Die langfristige Therapietreue wird durch den Begriff „Persistenz” beschrieben. In einer aktuellen Arbeit von Okada werden differenzierte und präzise Definitionen für Adhärenz und Persistenz im Zusammenhang mit intravitrealer operativer Medikamenteneingabe (IVOM) vorgeschlagen. Darin wird abhängig von der Häufigkeit verpasster Termine zwischen vollständiger, ausreichender und Non-Adhärenz unterschieden. In allen Fällen gilt ein Termin dann als verpasst, wenn der empfohlene bzw. vereinbarte Termin aus irgendeinem Grund um mehr als zwei Wochen überschritten wird. Was den Abbruch der langfristigen Therapie betrifft, wird vorgeschlagen, von „Non-Persistenz” zu sprechen, sofern ein Patient über sechs Monate keinen Termin mehr wahrgenommen hat. Wesentlich ist, dass ein Patient zwar „non-adhärent” sein kann, dennoch aber gleichzeitig in der Behandlung verbleibt, also persistent ist, z. B. dann, wenn der Patient zwar mehrere Termine verpasst hat (= Non-Adhärenz), aber im Laufe eines längeren Zeitraumes immer wieder gelegentliche Termine wahrnimmt (Persistenz). Von Non-Persistenz sind Patienten ausgenommen, mit denen das Therapieende z. B. wegen des Eintretens der Abbruchkriterien vereinbart wurde. Die Definitionsvorschläge für eine präzise Abgrenzung liefern die Grundlage für eine einheitliche Nomenklatur, die Daten und Auswertungen künftiger Studien vergleichen lässt.
Adhärenz und Persistenz in der IVOM-Therapie – die Studienlage
Für die Einordnung der im Folgenden dargestellten Studien ist allerdings zu beachten, dass meist noch unterschiedlich gewählte Definitionen für Adhärenz und Persistenz verwendet wurden. Gerade im Zusammenhang mit einer langjährig erforderlichen IVOM-Therapie spielt das Thema Adhärenz und Persistenz eine wichtige Rolle. So wurde mit engmaschiger Nachkontrolle und Wiederbehandlung im Rahmen verschiedener Zulassungsstudien zur IVOM-Therapie bei neovaskulärer altersbedingter Makuladegeneration (nAMD) zwar innerhalb der ersten zwei Jahre im Mittel eine deutliche Visusverbesserung erzielt. Diese ließ sich allerdings anschließend meist langfristig nicht aufrechterhalten, wie u. a. die Studie SEVEN-UP zeigt, in der Patienten der Zulassungsstudien ANCHOR und MARINA sowie der HORIZON-Studie im Mittel bis zu sieben Jahre weiter nachverfolgt wurden. Auch aus Real-World-Studien wie etwa der AURA-Studie für den europäischen Raum geht hervor, dass während der Aufsättigungsphase („Upload”) im Mittel ein Visusgewinn erzielt wurde, der im weiteren Verlauf allerdings nicht gehalten werden konnte. Dabei schnitt in dieser Studie Deutschland im Ländervergleich hinsichtlich des initialen Visusgewinnes und des Langzeitverlaufes schlechter als der Durchschnitt ab. Dies kann u. a. auf eine zu geringe Zahl an OCT-Kontrollen und verabreichten Injektionen zurückgeführt werden. In Großbritannien hingegen konnte der Visusgewinn – mit höherem Kontroll- und Injektionsaufwand – gehalten werden. Eine weitere, retrospektive Real-World-Studie aus Großbritannien, in der die 10-Jahres-Daten von 128 Augen unter Anti-VEGF-Therapie analysiert wurden, lieferte ebenfalls wichtige Erkenntnisse für den klinischen Alltag. Der Ausgangsvisus betrug im Mittel 54,6 ± 14,9 ETDRS-Buchstaben (entsprechend ca. einem Visus von 0,25 Dezimal), bei etwa einem Viertel der Patienten lag er bei 70 Buchstaben oder darüber (≥0,5 Dezimal), bei knapp einem Fünftel lag er bei 35 Buchstaben oder darunter (≤0,1 Dezimal). Im Median dauerte es drei Jahre, bis der Visus in der Gesamtgruppe aller Patienten bei 0,1 lag, das heißt, bei der Hälfte aller Patienten lag nach drei Jahren der Visus unter diesem Wert. Dabei zeigten sich allerdings je nach Ausgangsvisus deutliche Unterschiede: So war in der Gruppe der Patienten mit einem schlechten Ausgangsvisus (zwischen 0,1 und 0,2 Dezimal) der Visus bei 50 % der Patienten nach 1,5 Jahren unter 0,1 gefallen, während dies in der Gruppe der Augen mit gutem Ausgangsvisus (≥0,5 Dezimal) nach acht Jahren der Fall war. Eine frühzeitige Behandlung mit höherem Ausgangsvisus konnte also helfen, die Verschlechterung des Sehvermögens hinauszuzögern. Gleichzeitig wies ein Fünftel aller Patienten selbst nach zehn Jahren noch einen Visus von 0,5 oder besser auf. Die Lesefähigkeit wurde häufiger erhalten. Eine wichtige Botschaft für die Patienten ist aber auch die Beobachtung, dass fast zwei Drittel der Patienten nach 60 Monaten auch am Partnerauge behandelt werden mussten. Die Auswertung berichtete allerdings, dass im Median nach 61 Monaten knapp 40 % der Patienten nicht mehr an der Therapie teilnahmen.
Besonderheiten der IVOM-Therapie
Bei der IVOM-Therapie ist zu bedenken, dass diese im Vergleich zu einer regelmäßigen Therapie beispielsweise mit Augentropfen oder Tabletten mit Besonderheiten verbunden ist. Der Aufwand erschwert für Patienten und Behandler eine konsequente Einhaltung der Therapie. So sind seitens der Ärzte ein erhöhter organisatorischer Aufwand und eine vorausschauende Planung erforderlich, um Medikamente, Räumlichkeiten und Personal im benötigten Umfang bereitzustellen. Gleichzeitig ist auch Flexibilität nötig, um auf kurzfristige Terminabsagen reagieren oder im Fall von Neudiagnosen ausreichend Therapietermine zum rechtzeitigen Behandlungsstart anbieten zu können. Es ist andererseits jedoch ein großer Vorteil der IVOM-Therapie, dass deren Einhaltung – anders als z. B. die Therapie mit Augentropfen – gut messbar ist. Schließlich lässt sich zweifelsfrei nachvollziehen, ob der Patient zur Verlaufskontrolle oder zur Injektion gekommen ist. Non-Adhärenz kann so, entsprechende Kontrollmechanismen in der Praxis vorausgesetzt, früh entdeckt werden. Auch für die Patienten ist die IVOM-Therapie mit Herausforderungen verbunden: Es handelt sich um einen – wenn auch kleinen – operativen Eingriff, der bei vielen Patienten Angst auslöst. Zudem müssen auch von den Patienten verschiedene organisatorische Besonderheiten bewältigt werden: Gegebenenfalls wird eine Begleitperson benötigt, der Transport zum Behandlungszentrum muss sichergestellt werden, und das Sehvermögen am Behandlungstag ist aufgrund der weit getropften Pupille vorübergehend beeinträchtigt. Auch das Verstehen oder die Unsicherheiten des jeweiligen Therapieregimes (fix, pro re nata [PRN], Treat and Extend) können eine Herausforderung darstellen.
Non-Adhärenz ist assoziiert mit schlechten Visus …
Wie ausgeprägt eine unzureichende Adhärenz im klinischen Alltag ist und welche Auswirkungen damit verbunden sind, zeigen verschiedene Real-World-Studien: So wurden z. B. in der nicht interventionellen, prospektiven Kohortenstudie PERSEUS 803 Patienten mit nAMD unter Aflibercept-Therapie für 24 Monate nachverfolgt. Nach zwölf Monaten wurden nur noch 28 % der Patienten nach dem zugelassenen Therapieschema (Upload, mit drei aufeinanderfolgenden, monatlichen Injektionen gefolgt von Injektionen alle zwei Monate) behandelt. Nach 24 Monaten waren nur noch 6,5 % der Patienten adhärent, das heißt, knapp 94 % der Patienten wurden nicht mehr gemäß dem ursprünglich angedachten Therapieregime behandelt. Hinsichtlich der Persistenz, also der langfristigen Therapieanwendung, waren die Zahlen etwas positiver. Dennoch beendete bereits nach einem Jahr etwa ein Viertel der Patienten die Behandlung mit Aflibercept; nach zwei Jahren wurden nur noch 38 % der Patienten als persistent eingestuft. Deutliche Unterschiede ergaben sich hinsichtlich der Visusentwicklung zwischen adhärenten und non-adhärenten Patienten: So erzielten behandlungsnaive Patienten unter regulärer Behandlung nach 24 Monaten im Mittel einen Visusgewinn von fast sieben Buchstaben im Vergleich zu nur knapp zwei Buchstaben bei Patienten unter nicht regulärer Behandlung. Auch wenn die genauen Ursachen für eine schlechtere Visusentwicklung in der Gruppe der nicht adhärenten Patienten mit dem angewandten Studiendesign nicht identifiziert werden können, zeigen diese Ergebnisse doch eine Assoziation zwischen schlechter Visusentwicklung und Non-Adhärenz auf.
… und trifft häufig schon früh im Therapieverlauf auf
In der PERSEUS-Studie erhielten etwa 80 % der Patienten die empfohlenen drei aufeinanderfolgenden monatlichen Upload-Injektionen. Anschließend, also bereits recht früh zwischen der dritten und vierten Injektion, wurde ein großer Teil der Patienten non-adhärent. Vergleichbare Ergebnisse liefert auch die multizentrische PONS-Studie mit 430 Patienten mit nAMD unter IVOM-Therapie. Nach zwölf Monaten wurden 90 % der Patienten nicht mehr gemäß den Empfehlungen der Fachgesellschaften behandelt, wobei auch in dieser Studie der größte Abfall der Adhärenz zwischen der dritten und vierten Injektion festzustellen war. Wiederum wiesen die Patienten, die innerhalb von acht Wochen nach dem Upload die vierte Injektion erhielten, durchschnittlich einen Visusgewinn gegenüber dem Ausgangswert auf, wohingegen Patienten, bei denen die vierte Injektion verzögert erfolgte, Visusverluste erlitten. Eine Auswertung der CATT-Studie zeigt ebenfalls, dass Therapieverzögerungen die Visusergebnisse beeinträchtigen: Während die Gruppe der Patienten mit regelmäßigen Injektionen im Mittel +6,3 Buchstaben gewann, wurde in der Gruppe mit Injektionsverzögerungen zwischen 30 und 60 Tagen ein deutlich geringerer Visusgewinn verzeichnet (+1,1 Buchstaben). Bei noch längeren Abständen zwischen den IVOM traten Visusverluste auf. Insgesamt war jeder verpasste Termin mit einer Verschlechterung von 0,6 Buchstaben assoziiert, so die Autoren. Die Bedeutung einer hohen Therapieadhärenz für den Visuserhalt zeigte auch eine weitere Real-World Untersuchung, in der 1500 Fälle mit neovaskulärer AMD über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren unter Anti-VEGF-Therapie retrospektiv ausgewertet wurden. Die besten Ergebnisse wurden nach fünf Jahren in der Subgruppe mit hoher Therapieadhärenz erzielt – unabhängig vom Ausgangsvisus.
Non-Adhärenz bei DMÖ häufiger als bei NAMD
Das Risiko für eine Non-Adhärenz scheint bei Patienten mit diabetischem Makulaödem (DMÖ) noch ausgeprägter zu sein als bei anderen Erkrankungen, wie verschiedene Studien und auch Erfahrungen aus dem klinischen Alltag einheitlich nahelegen. So ergaben Daten der Freiburger Universitätsklinik, dass 44 % der Patienten mit DMÖ bereits im ersten Behandlungsjahr keine ausreichende Adhärenz aufwiesen, wohingegen dies bei nAMD bzw. Venenastverschluss weniger Patienten betraf. Auch in dieser Analyse erzielten adhärente Patienten statistisch signifikant bessere funktionelle Ergebnisse als nicht adhärente Patienten.
Verantwortung der Behandler
Gleichzeitig lieferte die Untersuchung Hinweise darauf, dass auch seitens der Behandler Abweichungen vom Behandlungsplan entstanden. So waren in dieser Studie im Mittel 20 % der Fälle von Non-Adhärenz (definiert als keine Besuche innerhalb von mindestens acht Wochen) durch das behandelnde Zentrum verursacht worden, z. B. indem es Probleme bei der Terminvergabe für Kontrollen oder Injektionen gegeben hatte. Ähnliche Hinweise lieferte auch die OCEAN-Studie. 53 % der Patienten erhielten die erste IVOM erst nach mehr als zwei Wochen nach der Diagnose. Diese Auffälligkeiten hingen von den Organisationsstrukturen ab. Weiterhin zeigt eine Auswertung der bereits beschriebenen CATT-Studie, dass in immerhin über 20 % der Fälle keine Injektion verabreicht wurde, obwohl in der Überprüfung der OCT-Aufnahmen nachträglich eine klare Krankheitsaktivität festgestellt worden war, somit also eine Injektion erforderlich gewesen wäre.
Gründe für Non-Adhärenz – eine Gemengelage
Um Non-Adhärenz im Zusammenhang mit der IVOM-Therapie zukünftig vermeiden zu können, ist zunächst eine möglichst genaue Kenntnis der vielfältigen Ursachen erforderlich. Das Auslassen eines Termines ist häufig keine klar begründete oder bewusste Entscheidung, die auf eine spezifische Ursache zurückgeführt werden kann. Meist können mehrere Auslöser zusammenspielen. Dabei können psychologische Gründe, wie z. B. die Angst vor einer Injektion, die Unzufriedenheit mit den Therapieergebnissen, aber auch zwischenmenschliche Aspekte von Bedeutung sein. Diese Faktoren wurden – zumindest bisher – nicht systematisch erfasst. Eine Analyse in den USA identifizierte unter Patienten mit Augenerkrankungen verschiedene Auslöser für Non-Adhärenz, darunter ein jüngeres Alter – möglicherweise bedingt durch eine hohe terminliche Belastung sowie soziale Faktoren wie Bildung und Einkommen. Ganz wesentliche Faktoren waren außerdem auch die Entfernung bis zu dem behandelnden Zentrum und eine Terminvergabe mit großem zeitlichen Vorlauf. Je länger ein Termin im Voraus vereinbart wurde, desto höher war das Risiko, dass er ganz einfach vergessen wurde. Strategien und Hilfsmittel, die an diesen Faktoren ansetzen, könnten also dazu beitragen, die Adhärenz im Klinikalltag zu verbessern.
Gesundheitskompetenz fördern, Erwartungshaltung adressieren
Eine hohe Gesundheitskompetenz der Patienten sowie die Kenntnis und Berücksichtigung der Erwartungshaltung der Patienten durch den Arzt sind wichtige Parameter, die bereits in der Behandlungsplanung zur Patientenautonomie beitragen und gleichzeitig eine gute Adhärenz unterstützen können. Nur ein Patient, der seine Erkrankung versteht und darüber hinaus auch die Chancen und die Risiken kennt, die mit ihrer Nichteinhaltung einhergehen, kann eine kompetente Entscheidung zur Therapie und deren Einhaltung fällen. Daher ist es eine wichtige ärztliche Aufgabe, den Patienten zu vermitteln, welcher Spontanverlauf der Erkrankung zu erwarten ist, welche Möglichkeiten eine konsequente Therapie bieten kann und welche Folgen das unzuverlässige Wahrnehmen von Terminen oder Terminverzögerungen für das Sehvermögen und die Lebensqualität haben können. Eine Befragung von Patienten mit retinalen Erkrankungen ergab grundsätzlich eine geringe Gesundheitskompetenz, wobei der Anteil der Patienten mit unzureichender Kenntnis ihrer Erkrankung und deren Therapie je nach Erkrankung zwischen 63 % und 73 % lag. In einer dänischen Studie gab die überwiegende Mehrheit der Patienten an, Informationen zur Behandlung und Erkrankung durch die behandelnden Zentren erhalten zu haben, aber nur wenige Patienten berichteten, durch den behandelnden Arzt selbst informiert worden zu sein. Auch die Erwartungshaltung des Patienten spielt eine wesentliche Rolle bei der Planung und Zielsetzung der Therapie. Nicht für alle Menschen hat ein gutes Sehvermögen die höchste Priorität. Es gibt Menschen, die den Erhalt ihres Sehvermögens gegen die Belastungen der Therapie abwägen, sich „zu alt” für die Therapie fühlen oder ihre Verwandten nicht um Unterstützung bei der Umsetzung bitten wollen. Zudem kann sich die bei Diagnose getroffene Entscheidung im Verlauf der Therapie ändern. Wie u. a. die Daten der PERSEUS-Studie zeigen, wiesen viele Patienten gerade am Anfang während der Upload-Phase noch eine hohe Motivation auf. Allerdings änderte sich die Einstellung häufig schon nach einem oder zwei Jahren. Dazu kann auch das arztseitig gewählte Behandlungsregime beigetragen haben. Häufig sind einfache Auslöser Ursache eines Therapieabbruches: Für viele Patienten ist die Organisation herausfordernd. Suboptimale Abläufe oder lange Wartezeiten können zur Unzufriedenheit und einer neuen Bewertung der Therapie beitragen. Hier kann es helfen, dem Patienten die nächsten Schritte sowie auch die Perspektive über die Zeit zu erläutern. OCT-Aufnahmen können genutzt werden, um die Notwendigkeit einer Wiederbehandlung verständlich zu machen. In einer australischen Studie eingesetzte Unterstützungsprogramme, die Patienten regelmäßig mit zusätzlichen Informationen zur Erkrankung und Therapie versorgen, trugen ebenfalls sehr effektiv dazu bei, die langfristige Teilnahme an der Therapie und damit auch die Visusergebnisse zu verbessern.
Fragebögen zur Aufdeckung von „Sollbruchstellen“
Gerade bei der IVOM-Therapie gibt es verschiedene „Sollbruchstellen”. Kritische Phasen sind den Ärzten nicht immer bewusst, weil Patienten ihre Bedenken oder Einwände nicht unbedingt direkt benennen. Eine Möglichkeit, diesen „unterschwelligen” Bedenken auf die Spur zu kommen, stellen neben sensiblem Nachfragen auch Fragebögen dar, die z. B. im Warteraum von den Patienten beantwortet werden können. Die Ergebnisse können helfen, den Patienten besser einzuschätzen und seine individuellen Barrieren besser verstehen und im Gespräch adressieren zu können. So lässt sich etwa mittels objektiver Parameter ein möglicherweise schlechter Allgemeinzustand erfassen, der wiederum die Wahrnehmung der Termine erschwert. Zudem stehen inzwischen auch Fragebögen zur Verfügung, die speziell entwickelt wurden, um Barrieren gegenüber der IVOM-Therapie zu ermitteln. Darunter der frei verfügbare, 17 Fragen umfassende ABQ-IVT (Adherence Barriers Questionnaire Intravitreal Therapy). Dieser wurde in einer prospektiven Studie mit 253 Patienten in 13 Zentren validiert. Die Ergebnisse zeigen, dass über 80 % der Patienten – unabhängig von Alter, Geschlecht oder zugrunde liegender Erkrankung – mindestens eine Barriere für die IVOM-Therapie aufweisen. Fast die Hälfte der Patienten war sogar von mindestens drei verschiedenen Barrieren betroffen. Als häufigste Barrieren wurden in dieser Erhebung die zeitliche Belastung (45 % der Patienten), gefolgt von Depressionen (29 %) und Reise- oder Opportunitätskosten (27 %) genannt.
Welche Bereiche beeinflussen die Adhärenz?
Es muss das Ziel bleiben, im Klinikalltag die verschiedenen Hürden der Adhärenz bestmöglich gemeinsam zu überwinden. Dazu ist es hilfreich zu wissen, wie häufig bestimmte Barrieren auftreten, ob diese mit bestimmten Risikofaktoren assoziiert sind und ob es möglicherweise Therapieschema oder andere Maßnahmen gibt, mit denen sich diese Barrieren überwinden lassen. Zur besseren Messbarkeit der vielfältigen, die Adhärenz beeinflussenden Faktoren hat die WHO diese zu den folgenden fünf Bereichen oder Dimensionen zusammengefasst: Erkrankung, Sozioökonomie, Gesundheitssystem, Therapie und Patient. Eine systematische Übersichtsarbeit hat die Datenlage der verschiedenen Bereiche in 24 Studien analysiert. Dabei wurde für jeden Bereich unterschieden zwischen quantitativen Daten (Erhebung messbarer Parameter) und qualitativen Daten (Patienteninterviews, Fragebögen).
Ausgangsvisus, Visusentwicklung, Komorbiditäten
Zum Bereich Erkrankung sind zahlreiche quantitative und qualitative Daten verfügbar. Sie zeigen eindeutig, dass sowohl ein schlechter Ausgangsvisus als auch eine ungünstige Visusentwicklung positive prädiktive Faktoren für eine Non-Adhärenz sind. Dies bedeutet, Patienten mit einem schlechten Ausgangsvisus oder einer ungünstigen Visusentwicklung weisen ein höheres Risiko für Non-Adhärenz auf. Auch wenn für den Parameter Komorbidität weniger Daten vorliegen, zeigen dennoch einige Arbeiten, dass auch das Vorliegen von Komorbiditäten die Adhärenz beeinflusst. So waren „andere Erkrankungen” bei 33 % der Patienten mit nAMD der Grund für ein Auslassen von IVOM-Terminen. Auch bei den im Durchschnitt deutlich jüngeren Patienten mit Diabetes war jeder fünfte Fall von Non-Adhärenz auf andere Erkrankungen zurückzuführen. Gerade Patienten mit DMÖ sind aufgrund ihrer diabetischen Grunderkrankung ohnehin schon häufig mit zahlreichen Arztbesuchen belastet und müssen möglicherweise zusätzlich auch wegen weiterer Erkrankungen wie z. B. Herz- oder Nierenerkrankung regelmäßig den Arzt aufsuchen – und entscheiden sich bei Zeitknappheit oder Überschneidungen möglicherweise eher zur Wahrnehmung der Termine beim Kardiologen oder Nephrologen. Daher sollte die Behandlung der Augen insbesondere bei den Patienten mit Diabetes in ein größeres Therapieschema eingebunden werden. Mehr noch als bei den AMD-Patienten ist bei Patienten mit Diabetes eine gute, regelmäßige Kommunikation mit dem Hausarzt von großer Bedeutung und kann zu einer besseren Adhärenz beitragen.
Alter, Anfahrt, Kosten und Organisation
Im Bereich Sozioökonomie liegt eine umfangreiche quantitative und qualitative Evidenz vor für eine Assoziation eines höheren Alters mit einem höheren Risiko für Non-Adhärenz. Ebenso sind eine weite Entfernung zum behandelnden Zentrum sowie eine finanzielle Belastung durch die Therapie Faktoren, die das Risiko der Non-Adhärenz erhöhen. Zwar wird die eigentliche IVOM-Therapie durch die Krankenkassen übernommen, dennoch ist die Anfahrt für den Patienten häufig mit zusätzlichen Kosten und Zeitaufwand für die Begleitpersonen verbunden. Hinsichtlich des Bereiches Gesundheitssystem sind die am häufigsten von den Patienten genannten Risikofaktoren für Non-Adhärenz organisatorische Gründe sowie die Beziehung zum Behandler. Zu den organisatorischen Gründen zählt beispielsweise, dass das Zentrum telefonisch für eine Terminabsprache nicht zur Verfügung stand, oder keine kurzfristigen Termine anbieten konnte. Ebenso werden Probleme mit der Kommunikation häufig als Gründe für eine unzureichende Adhärenz genannt. Auch ein Wechsel des Behandlers kann für Patienten ein Faktor sein, sich unsicherer zu fühlen und einen Termin auszulassen. Gleichzeitig sind dies aber auch Faktoren, die durch das behandelnde Zentrum positiv beeinflusst werden können: So kann es möglicherweise die Adhärenz verbessern, wenn die Patienten von einem bekannten Team mit feststehenden Ansprechpartnern betreut werden und sich gut aufgehoben fühlen. Auch eine gute Erreichbarkeit und eine Terminvergabe, die den Bedürfnissen der Patienten entgegenkommt – z. B. eine spezielle Terminierung für Patienten mit Diabetes, die häufig noch im Arbeitsleben stehen, kann die Adhärenz unterstützen.
Therapieschema und Anzahl der Besuche
Auch im Bereich Therapie wurden Faktoren identifiziert, die Möglichkeiten einer positiven Einflussnahme bieten, um einer Unterbehandlung entgegenzuwirken. So wurden beispielsweise in zwei Studien Präferenzen und Wünsche der Patienten zu Therapiezielen, Schema und Behandlungsintervallen mittels verschiedener Präferenzanalysen qualitativ erfragt. Dabei konnten die Patienten die für sie wichtigste Option aus vorgegebenen Antwortmöglichkeiten wählen. In der ersten Analyse zu verschiedenen Behandlungsmodalitäten war für die Patienten der wichtigste Aspekt, dass die Behandlung in einem „One-Stop”-Verfahren durchgeführt wird, das heißt, Kontrolle und Injektion erfolgen nicht zu getrennten Terminen, sondern dass die Patienten am selben Tag behandelt und untersucht werden. Für die Patienten dieser Studie war dieser Aspekt noch wichtiger als z. B. der Umstieg von einem vier- auf ein achtwöchentliches Therapieintervall. In einer weiteren Präferenzanalyse erwies sich ein guter Visus als das primäre Ziel der Patienten, und erst der zweitwichtigste Aspekt waren längere Behandlungsintervalle. In einer Präferenzanalyse im Rahmen der PONS-Studie wünschten sich die Patienten im Allgemeinen eine „Verbesserung der Sehschärfe” und eine „kurze Zeit pro Facharztbesuch”. Dabei wurde die Präferenz für ein bestimmtes Therapieschema bei 74 % der Patienten maßgeblich durch den Parameter „Visuserhalt” beeinflusst, während das Thema „Zeitaufwand” bei jedem fünften Patienten die Entscheidung. Anhand dieser Daten wird zudem deutlich, wie wichtig eine gute Kommunikation mit dem Patienten zur realistischen Einordnung seiner Erwartungen ist – insbesondere, wenn es um das Therapieziel „Visuserhalt” oder „Visusverbesserung” geht. Im Einzelfall kann es zielführender sein, einen Patienten mit einem geplant größeren Abstand regelmäßig zu behandeln, als kürzere Abstände schon in dem Bewusstsein zu planen, dass diese nicht eingehalten werden (können). Wesentlich dabei ist, dem Patienten auch eine Einordnung zu geben, was notwendig und medizinisch vertretbar ist.
Angst vor Spritze oder Nebenwirkungen
Hinsichtlich des Bereiches Patient lässt sich die Angst vor der Injektion oder auch vor Nebenwirkungen zwar nicht quantitativ, sehr wohl aber qualitativ erfassen. Zahlreiche Befragungen ergaben, dass Patienten mögliche Nebenwirkungen wie Endophthalmitis fürchten, aber vor allem Angst vor der Injektion selbst haben – dies umso mehr, wenn sie möglicherweise bereits schmerzhafte Erfahrungen gemacht haben. In diesen Fällen ist viel Überzeugungsarbeit erforderlich, um dem Patienten eine vernünftige Einordnung zu geben – erstens zur Bedeutung der Behandlung und zweitens zu den Möglichkeiten der Schmerzvermeidung bei der nächsten Injektion. Gleichzeitig sind dies aber auch Faktoren, die über die Kommunikation mit dem Patienten erfragt und adressiert werden können. Weiterhin ist im Bereich Patient auch der Faktor „Motivation” bedeutsam für die Therapie, wie zahlreiche qualitative Daten zeigen. Als wesentliche Gründe für ein Auslassen des Termines wurden persönliche Gründe, familiäre Probleme oder auch Kommunikationsprobleme genannt. Auch in diesem Zusammenhang ist es wichtig, Patienten in die Lage zu versetzen, die Entscheidung über ein Auslassen des Termines richtig einordnen zu können und sich des Risikos bewusst zu sein, dadurch ggfs. schlechtere visuelle Ergebnisse in Kauf zu nehmen.
Möglichkeiten, Adhärenz positiv zu beeinflussen
Insgesamt bleibt somit festzuhalten, dass zu den verschiedenen Bereichen, die die Adhärenz beeinflussen können, eine umfangreiche quantitative und/oder qualitative Evidenz für verschiedene Faktoren vorliegt. Dabei können die Bereiche Sozioökonomie und Erkrankung zunächst einmal nicht durch bestimmte Maßnahmen beeinflusst werden. Dennoch können diese Aspekte – wie etwa ein hohes Alter, ein schlechter Ausgangsvisus oder Komorbiditäten – mit dem Patienten besprochen werden. Dies kann dem Patienten das Gefühl vermitteln, tatsächlich „gesehen” zu werden, und kann dazu beitragen, seine Erwartungen realistisch einzuordnen. In den drei Bereichen Gesundheitssystem, Therapie und Patient hingegen bieten sich Möglichkeiten, durch zielgerichtete Maßnahmen die Adhärenz positiv zu beeinflussen. So können z. B. Therapieschemata individuell auf den Patienten angepasst werden, auch organisatorische Optimierungen können die Adhärenz fördern. Zudem spielen bei dem Ziel, die Adhärenz zu steigern, im klinischen Alltag auch eine gute Kommunikation und Information sowie eine Steuerung der Erwartungshaltung der Patienten eine wesentliche Rolle. Im Folgenden haben wir Ideen und Tipps zusammengestellt, die eine Bindung der Patienten an die Therapie und damit ihre Adhärenz steigern können. Dabei sollte die Kommunikation selbstverständlich authentisch sein und möglichst auf Kenntnisstand sowie Charakter des jeweiligen Patienten angepasst sein.
Realistisches Erwartungsmanagement – Erstgespräch nutzen
Gerade dem Erstgespräch kommt eine besondere Bedeutung zu. Es sollte genutzt werden, um eine Vertrauensbasis zu bilden und Patienten zu einer realistischen Erwartungshaltung zu verhelfen. Daher sollten im Erstgespräch die Chronizität der Erkrankung, die gegebenenfalls lebenslängliche Dauer der Behandlung, Belastungen sowie auch die Chancen einer konsequenten Therapie in verständlicher Sprache offen und ehrlich erläutert werden. Auch Ängste vor der Injektion oder mögliche Nebenwirkungen müssen thematisiert werden. Wichtig ist es, schon in den ersten Gesprächen zu verdeutlichen, dass die Therapie nach den ersten Injektionen noch nicht beendet ist, sondern dass eine dauerhafte Behandlung und Kontrolle erforderlich sind. Gleichzeitig darf den Patienten aber durchaus Hoffnung gemacht werden, dass die Behandlungsintensität im Laufe der Behandlung schwanken und auch abnehmen kann. Somit besteht zwar gleich zu Behandlungsbeginn ein sehr vollgepacktes Kommunikationsfeld, das für den Patienten auch unerfreuliche Informationen bereithält. Gleichzeitig stellt es eine gute Gelegenheit dar, den Patienten mit einer ausreichenden Intensität umfassend über seine Erkrankung und die Behandlungsaussichten zu informieren. So können Menschen in die Lage versetzt werden, eigenständige und bewusste Entscheidungen hinsichtlich ihrer Therapie treffen zu können. Werden zudem auch Ängste ernst genommen und dem Patienten das Gefühl vermittelt, in dieser Situation nicht allein zu sein, sondern Unterstützung durch die Behandlungsstruktur und das Team zu erfahren – gemäß dem Motto „Wir ziehen das gemeinsam durch” –, so kann dies zu einer konsequenten Therapieumsetzung motivieren. Wie erwähnt hat das Erstgespräch in der Regel eine hohe Dichte an Informationen. Untersuchungen zeigten, dass viele Patienten nach dem Erstgespräch und der Aufklärung über ihre Erkrankung einerseits, die Therapiemöglichkeiten andererseits nur einen Teil der für sie relevanten Informationen auch wiedergeben konnten. Insofern ist es sinnvoll, auch im Verlauf der Therapie erneut zu informieren und den individuellen Verlauf mit dem Patienten einzuordnen. So kann es durchaus hilfreich sein, dem Patienten, der auf eine Visusbesserung hofft, zu verdeutlichen, dass eine erreichte Visusstabilisierung ein Therapieerfolg ist. Auch bei Anpassung des Therapieschemas (Verlängerung oder Verkürzung des Injektionsschemas, Wechsel des Präparates) kann eine Einordnung helfen, das Verständnis und die Motivation des Patienten zu fördern.
Verständliche, offene und wertschätzende Kommunikation
Zur Unterstützung der Patientenmotivation kann es hilfreich sein, die eigene Kommunikation kritisch auf negative Botschaften, die sich möglicherweise „eingeschliffen” haben, zu prüfen und diese bewusst durch positive und wertschätzende Botschaften zu ersetzen. So suggeriert etwa die bei der Nachkontrolle häufig gestellte Frage „Haben Sie eine Verschlechterung bemerkt?” dem Patienten, eine Abnahme des Sehvermögens sei im Rahmen der Therapie regelhaft ohnehin zu erwarten. Ebenso ist der Begriff des „Nichtansprechens” eher negativ besetzt und kann bei vielen Patienten Ängste auslösen. Auch die Verwendung von Fachtermini, die für die meisten Patienten – zumindest zu Behandlungsbeginn – oft unverständlich sind, sollte möglichst vermieden werden. Zielführender als Ultimaten oder die einseitige Betonung einzuhaltender Anforderungen ist ein sichtbares Verständnis für die Perspektive der Betroffenen. Es hilft darauf zu verweisen, dass durch die Dauerbehandlung oft eine Stabilisierung erreicht werden kann. Insgesamt empfiehlt es sich, eine positive, wertschätzende und empathische Kommunikation und Körpersprache einzusetzen.
Körpersprache wichtiger als Wort
Gerade die Körpersprache ist bei der Patientenkommunikation ein mächtiges, nicht zu unterschätzendes Instrument, denn viele Entscheidungen werden stark durch das Unterbewusstsein beeinflusst. So können ein Lächeln, eine angenehme Atmosphäre und Zugewandtheit dafür sorgen, dass ein Vertrauensverhältnis entsteht. Kommunikationswissenschaftler weisen darauf hin, dass es neben den Worten vor allem die Körpersprache ist, die Entscheidungen beeinflusst. In der aktuellen Coronapandemie ist zwar die Mimik nur begrenzt sichtbar und der Körperkontakt reduziert, dennoch gibt es Möglichkeiten, Empathie zum Ausdruck zu bringen. Gerade in schwierigen Situationen, wenn Patienten trotz Verschlechterung zum Beibehalten der Therapie bewegt werden sollen, kann ein Händedruck oder ein aufmunternder Blick für den Patienten sehr ermutigend sein und Zugewandtheit vermitteln.
Positive Botschaften und Lob können motivieren
Lob und anerkennende Worte können im Alltag gezielt zur Motivation eingesetzt werden. Gerade bei unabänderlichen Barrieren oder schwierigen Situationen kann die wertschätzende Reflexion dem Patienten das Gefühl vermitteln, dass Belastungen wahrgenommen und der Einsatz des Patienten honoriert wird. So können auch inhaltlich schwierige Botschaften positiv und wertschätzend formuliert werden, wie z. B. „Gerade für Sie lohnt es sich, wenn Sie sich weiterhin auf Kontrollen und Behandlungen einstellen”, wenn es darum geht, langfristige Termine zu vereinbaren. Oftmals erleichtert das geteilte Wissen um getroffene Vereinbarungen die Akzeptanz. Auch Vorlagen oder Halbsätze können bewusst in das Gespräch eingestreut werden, die den Patienten aktivieren. Ein Satz wie „Es gibt wirklich Schöneres, als ständig ins Auge gepikst zu werden” zeigt Empathie und honoriert die Strapazen. Oft antworten Patienten mit einem positiven Widerspruch „Es gibt aber auch Schlimmeres” und relativieren somit selbst die Belastungen der IVOM-Therapie. Ebenfalls kann es für Patienten unterstützend sein, herausfordernde Situationen mit dem einfachen Satz „Ja ich verstehe, dass das schwierig für Sie ist” anzuerkennen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, authentische Botschaften mit eigenen Worten zu wählen. Zusätzlich kann eine positive, optimistische Ausstrahlung dazu beitragen, das Vertrauen des Patienten in die geplante Behandlung zu stärken.
„Antennen hochhalten“ – Faktoren für Non-Adhärenz erkennen
Im gesamten Verlauf der Behandlung sollten die „Antennen” aktiviert werden, um auf Signale zu achten, die auf eine nachlassende Adhärenz hindeuten. Dazu können z. B. Schwierigkeiten mit der Einhaltung von Terminen sowie Transportprobleme zählen, eine möglicherweise nachlassende Motivation oder Anzeichen von depressiven Stimmungen oder ausgeprägter Angst. Empathie und eine ausreichende Reflexion dieser emotionalen Belastung sind wichtige Voraussetzungen, um zu den Patienten durchzudringen und eine Basis für ein langjähriges Vertrauensverhältnis zu schaffen. Die Publikation von Lommatzsch et al. fasst mögliche Barrieren zusammen. Die gezeigten Checklisten können die Überprüfung und Umsetzung erleichtern. Auch Fragebögen können eingesetzt werden, um im klinischen Alltag potenzielle Stolpersteine bezüglich der Adhärenz im individuellen Fall rechtzeitig zu identifizieren. Die Evaluierung des Fragebogens (ABQ-IVT) im Rahmen einer prospektiven Studie mit Patienten mit nAMD und DMÖ hat gezeigt, dass sich Patienten bestimmten Mustern oder Clustern zuordnen lassen. So gab es neben einer kleinen Gruppe der „Unbesorgten”, die kaum Barrieren wahrnehmen, auch eine Gruppe von Patienten, die die gesamte Bandbreite möglicher Hürden berichten. Weiterhin wurde ein Cluster der Patienten identifiziert, die v. a. Schwierigkeiten hatten, die immer wiederkehrenden Termine zu ermöglichen, oder eine Gruppe, für die vor allem die Motivations- und Stimmungslage und damit Sorgen und möglicherweise Depression im Vordergrund standen. Eine weitere Gruppe der Patienten zeichnete sich v. a. durch Zweifel an der Behandlung aus und stellte deren Sinnhaftigkeit infrage, während in der Gruppe mit finanziellen Bedenken vorrangig das Thema „Transport” eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Werden diese potenziellen Barrieren im klinischen Alltag möglichst frühzeitig erkannt, besteht die Möglichkeit entgegenzusteuern.
Die Transportfrage – Lösungsmöglichkeiten
Selbst beim Thema „Transport zum Behandlungszentrum”, das gerade in ländlichen Gebieten mit teils längeren Anfahrtswegen eine größere Herausforderung darstellen kann, können Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Aktuell stellt die IVOM keine Leistung des AOP-Kataloges dar. Die Richtlinie über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten (§ 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 12 SGB V, Transportrichtlinie) regelt die Ansprüche auf Unterstützung durch die Krankenkasse. In Einzelfällen können Härtefallregelungen geprüft werden. Im ländlichen Raum stehen oft auch Bürgerbusse zur Verfügung, ebenso wie Unterstützung durch Selbsthilfegruppen oder Nachbarn. Eventuell können Patienten derselben Ortschaft motiviert oder unterstützt werden, ihre Kontroll- und Behandlungstermine abzustimmen und Fahrgemeinschaften zu gründen. Insbesondere in Flächenländern können Netzwerke mit digital vernetzten und kooperativ zusammenarbeitenden Augenarztpraxen und IVOM-Zentren dazu beitragen, den Anreiseaufwand der Patienten für die Kontrolltermine zu reduzieren. Im Rahmen eines Netzes können Patienten die Kontrolltermine inklusive OCT-Untersuchung z. B. bei ihrem Augenarzt vor Ort wahrnehmen, die behandlungs-relevanten OCT-Daten werden anschließend digital an das IVOM-Behandlungszentrum zur Befundung übertragen, und der Patient muss nur bei erforderlicher Injektion das IVOM-Zentrum aufsuchen. Wie Daten aus Münster zeigen, kann die Implementierung eines Netzwerkes die Adhärenz verbessern und im klinischen Alltag gute Visusergebnisse erzielen. Auch durch die Wahl des Behandlungsregimes kann die Zahl der erforderlichen Besuchstermine – und damit der Reiseaufwand – reduziert werden. Mit einem Zusammenlegen von Injektion und Kontrolle wird oft eine höhere Anzahl an Behandlungen verbunden mit einer Reduktion der Kontrollvisiten erreicht.
Begleitpersonen einbinden – Wertschätzende Atmosphäre schaffen
Oftmals übernehmen Angehörige oder andere Bezugspersonen den Transport der Patienten zum Behandlungszentrum. Diese können bewusst zur Unterstützung eingebunden werden. Falls möglich, ist es hilfreich, Patienten und Begleitperson nebeneinander zu positionieren. So kann im Gespräch mit beiden Personen Blickkontakt aufgebaut und die Befunde können beiden erläutert werden. Gerade zur Klärung organisatorischer und terminlicher Aspekte kann der direkte Kontakt mit den Begleitpersonen sehr hilfreich sein. Zudem stellen sie insbesondere bei der Umsetzung der IVOM-Therapie von älteren und auf Hilfe angewiesenen Patienten häufig eine sehr wichtige Unterstützung dar. Haben sie die Bedeutung einer konsequenten Therapie für den Visuserhalt verstanden, sorgen sie meist für eine regelmäßige Wahrnehmung der Termine. Auch Rahmenbedingungen können eine angenehme, wertschätzende Atmosphäre schaffen, in der sich Patienten aufgehoben und wohlfühlen. Dazu zählen beispielsweise verfügbares Internet, ein Trinkwasserautomat oder gute Hygienekonzepte im Wartebereich, ebenso wie ein vertrautes Team mit möglichst festen Ansprechpartnern, die die Patienten mit Namen kennen. In Summe geht es darum, eine wertschätzende Atmosphäre und eine starke Verbindung zu dem Patienten zu schaffen, um die Adhärenz zu unterstützen.
Gesamtes Team einbinden – Abläufe optimieren
Zu dem an der IVOM-Therapie beteiligten Team gehören alle Mitarbeiter von der Patientenannahme über die Voruntersuchung bis hin zur Injektion. Diese werden von den Patienten als Ansprechpartner wahrgenommen. Daher ist es wichtig, auch alle beteiligten Mitarbeiter in regelmäßige Schulungsmaßnahmen einzubeziehen. So erlangt das gesamte Team das gleiche Verständnis für die Behandlungspfade und -strategien und kennt die vereinbarten Abläufe. Dies sorgt für eine einheitliche Kommunikation gegenüber den Patienten. Insbesondere bei der Festlegung der Termine müssen das Vorgehen sowohl für Patienten (und Begleiter) als auch für das gesamte Team nachvollziehbar sein und Klarheit hinsichtlich der Wiederbehandlungsstrategien bestehen. Auch die interne Koordination und Kommunikation innerhalb des Teams sollten sichergestellt werden. So kann es gelingen, dass patientenspezifische Informationen, wie z. B. der Bedarf von zusätzlichem Tränenersatzmittel aufgrund einer empfindlichen Augenoberfläche oder Überempfindlichkeiten gegenüber Konservierungsmitteln, auch innerhalb eines mehrköpfigen Teams verlässlich weitergegeben werden und dem Patienten so das Gefühl vermittelt wird, „gut aufgehoben zu sein”. Für viele Patienten stellt es auch einen entscheidenden Unterschied dar, ihre Ansprechpartner zu kennen und von diesen auch wiedererkannt zu werden. Dies ist zwar in größeren Zentren oder Universitätskliniken mit großen Teams und häufigerem Personalwechsel etwas schwieriger, aber dennoch umsetzbar. Wie bereits dargelegt, tragen auch lange Wartezeiten zur Unzufriedenheit der Patienten bei und erhöhen das Risiko einer Behandlungsunterbrechung – je länger Patienten (und Begleiter) durch die einzelnen Behandlungstermine zeitlich belastet werden. Daher bieten auch gut organisierte Praxisabläufe, bei denen die Aufenthaltsdauer des Patienten in Praxis und OP auf ein medizinisch notwendiges Minimum reduziert ist, eine große Chance, die Adhärenz zu verbessern und eine adäquate sowie effiziente Patientenversorgung zu ermöglichen. Es kann daher sinnvoll sein, Prozesse neu zu überdenken, Engpässe zu vermeiden und spezifisch angepasste Termine einzuführen, die sich an den Anforderungen der konkreten Abläufe (OCT, Befundung, IVOM) orientieren.
Feiertage organisieren – Reservekapazitäten einplanen
Eine typische „Sollbruchstelle” der IVOM-Therapie stellen Feiertage und Ferien dar. Insbesondere im Mai oder in der Weihnachtszeit sind die Sprechstunden häufig mehr als ausgelastet, und organisatorisches Geschick ist gefragt, um diese „Verdichtungsphänomene” rund um die Feiertage abzupuffern. Im Einzelfall kann geprüft werden, ob einmalig ein längeres Intervall medizinisch vertretbar ist, um dem Patienten (und dem Behandlungszentrum) z. B. einen Termin mitten an den Weihnachtstagen zu ersparen – immer verbunden mit der Option, dass der Patient sich bei Problemen oder Verschlechterung jederzeit melden kann. Dieses Entgegenkommen und die Konzeption einer für den Patienten machbaren Behandlungsstrategie (im Rahmen des medizinisch Vertretbaren) können dazu beitragen, dass die vereinbarten Termine auch tatsächlich eingehalten werden. Alternativ können bewusst andere Sprechstunden reduziert werden, um die Termindichte so zu entzerren. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der bei der Planung der IVOM-Therapie berücksichtigt werden sollte, sind gesundheitliche Probleme, wie z. B. Infekte, die jederzeit kurzfristig zu einem Terminausfall führen können. Deren Auftreten lässt sich zwar nicht beeinflussen, wohl aber der weitere Umgang mit dieser Situation vorausschauend planen. So können für diese Fälle terminliche Reservekapazitäten eingeplant werden, um Patienten bei einem ausgefallenen Termin kurzfristig einen Ersatztermin anbieten und sie möglichst zügig wieder in das Behandlungsschema einzugliedern. Generell ist daher auch eine gute Erreichbarkeit (telefonisch oder per E-Mail) des Zentrums von fundamentaler Bedeutung.
Fazit
- Unterbehandlungen im Rahmen der IVOM-Therapie sind im klinischen Alltag häufig.
- Non-Adhärenz tritt bereits früh im Therapieverlauf auf.
- Non-Adhärenz war in klinischen Studien mit schlechteren Visusergebnissen assoziiert.
- Bei DMÖ tritt Non-Adhärenz häufiger auf als bei nAMD oder retinalem Venenverschluss.
- Faktoren mit einem erhöhten Risiko für Non-Adhärenz sind u. a. ein höheres Alter, schlechter Ausgangsvisus, ungünstige Visusentwicklung, Komorbiditäten, Entfernung zum Behandlungszentrum, Kosten sowie organisatorische Gründe.
- Insbesondere in den Bereichen „Gesundheitssystem”, „Therapie” und „Patient” können Maßnahmen zur Verbesserung der Adhärenz ergriffen werden.
- Eine positive, dem Patienten zugewandte Kommunikation sowie die Berücksichtigung seiner Bedürfnisse können zu einer Verbesserung der Adhärenz beitragen.
- Realistisches Erwartungsmanagement und Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz durch den Behandler tragen zur Adhärenz bei.
- Bereits das Erstgespräch sollte genutzt werden, um Chronizität der Erkrankung sowie Möglichkeiten, aber auch Belastungen einer Therapie ehrlich zu erläutern.
- Es gilt, Ängste ernst zu nehmen und Optionen zur Schmerzvermeidung zu thematisieren.
- Bereits zu Anfang verdeutlichen, dass auch nach den ersten Upload-Injektionen weitere Behandlungen und Kontrolle erforderlich sind. Wahl des Therapieschemas – falls möglich – an Patientenbedürfnisse anpassen
- Auf Anzeichen für drohende Non-Adhärenz ist zu achten. Fragebögen können genutzt werden, um Risiken für Non-Adhärenz zu erkennen.
- Bei „Transportproblemen” sind Lösungsoptionen zu prüfen (Transportschein, Bürgerbusse, Fahrgemeinschaften).
- Eine gute Erreichbarkeit ist sicherzustellen (telefonisch/E-Mail).
- Gut organisierte Praxisabläufe reduzieren die Aufenthaltsdauer auf ein notwendiges Minimum.
- Feiertage/Urlaubszeit bewusst planen, ggf. mit Patienten (medizinisch vertretbar) längere Intervalle vereinbaren.
- Feste Ansprechpartner helfen Patienten. Das gesamte IVOM-Team zu Behandlungsstrategien und vereinbarten Abläufen schulen.
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