Einleitung
Die steigende Zahl der Diabeteserkrankungen hat zur Zunahme diabetischer okulärer Komplikationen geführt, und auch zukünftig wird weiterhin ein Anstieg befürchtet: So ist davon auszugehen, dass die Zahl der Menschen mit einer diabetischen Augenerkrankung in Europa von heute 6,4 Millionen auf 8,6 Millionen im Jahr 2050 ansteigen wird. Eine der häufigsten mikrovaskulären Komplikationen bei Patienten mit Diabetes mellitus ist die diabetische Retinopathie (DR), die Hauptursache für Erblindung im erwerbsfähigen Alter, in deren Verlauf jederzeit ein diabetisches Makulaödem (DMÖ) entstehen kann.
Größte Sorge Sehkraftverlust – dennoch Unterbehandlung
Ihr Sehvermögen zu verlieren, ist für Menschen mit Diabetes mellitus die am meisten gefürchtete Folgekomplikation – noch vor kardiologischen oder nephrologischen Komplikationen. Gleichzeitig stehen verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung, die bei stadiengerechter, rechtzeitiger und konsequenter Anwendung dazu beitragen, das Sehvermögen – und dementsprechend auch die Arbeitsfähigkeit und Lebensqualität – der Patienten zu erhalten. Allerdings scheint immer noch ein gewisser Teil der Patienten mit Diabetes mellitus keine oder erst zu spät eine Untersuchung ihrer Augen zu erhalten. Zudem ergaben mehrere Untersuchungen aus dem klinischen Alltag einheitlich, dass eine Anti-VEGF-Behandlung in der klinischen Praxis oftmals nicht ausreichend konsequent umgesetzt wird und Patienten daher ein schlechteres Sehvermögen erreichen. So zeigt eine retrospektive Analyse von über 28.000 Augen, dass Injektionszahl und Visusgewinne ab der zweiten Injektion linear miteinander korrelieren: Während Augen mit nur fünf Injektionen im ersten Behandlungsjahr lediglich einen mittleren Visusgewinn von 2,7 Buchstaben erreichten, gewannen hingegen Augen, die mit neun Injektionen versorgt wurden, im Mittel 6,8 Buchstaben. Allerdings hatte in dieser Analyse über die Hälfte der Patienten im ersten Jahr nur weniger als sechs Injektionen erhalten. Auch die OCEAN-Studie zur Versorgung von Patienten mit DMÖ im klinischen Alltag in Deutschland kommt zu dem Ergebnis, dass Patienten mit DMÖ außerhalb von randomisierten Studien leider nicht die erforderliche, auch von den deutschen Fachgesellschaften empfohlene Anzahl an Injektionen erhalten – und dies sowohl im ersten als auch im zweiten Behandlungsjahr.
Intensiver Beginn und konsequente Fortsetzung
Gemäß der Stellungnahme der DOG, der Retinologischen Gesellschaft und des BVA stellt eine intravitreale operative Medikamentengabe (IVOM) von Anti-VEGF-Wirkstoffen die empfohlene Therapie der ersten Wahl zur Behandlung eines diabetischen Makulaödems mit fovealer Beteiligung und Visusminderung dar. Diesbezüglich sind mit Aflibercept, Brolucizumab, Ranibizumab und Faricimab vier verschiedene Wirkstoffe zugelassen, die sich u. a. hinsichtlich ihrer Dosis, Halbwertzeit und Bindungsaffinität sowie auch den adressierten Bindungszielen unterscheiden. Während Ranibizumab und Brolucizumab ausschließlich gegen VEGF-A gerichtet sind, bindet der bispezifische Antikörper Faricimab zusätzlich zu VEGF-A auch Angiopoetin-2. Diese duale Hemmung zielt darauf ab, Gefäßpermeabilität und Entzündung zu reduzieren, Angiogenese zu hemmen und Gefäßstabilität zu fördern. Der einzige Wirkstoff, der zusätzlich zu VEGF-A auch den Placentawachstumsfaktor („placenta growth factor”, PlGF) neutralisiert, ist derzeit Aflibercept – und dies mit einer deutlich höheren Bindungsaffinität für VEGF-A und PlGF als die natürlichen Rezeptoren. Wird PlGF nicht abgefangen, so bleiben die über diesen Signaltranduktionsweg vermittelte Entzündungsreaktion und Leckage weiter bestehen. Gerade für Patienten mit Diabetes ist dies bedeutsam, da bei ihnen sowohl VEGF-A als auch PlGF deutlich erhöht vorliegen und sich bei der Ödembildung gegenseitig verstärken. Unabhängig vom eingesetzten Medikament wird in der Stellungnahme eine intensive Anfangstherapie mit sechs aufeinanderfolgenden monatlichen Injektionen empfohlen – sowohl bei Erstindikationsstellung als auch nach mindestens zwei Jahren Therapiepause. Dies ist den Erkenntnissen aus verschiedenen Studien geschuldet, dass viele Patienten mit DMÖ im Verlauf der Loading-Phase mit jeder weiteren Anti-VEGF-Injektion einen zusätzlichen Visusgewinn erreichen und daher ein intensiver Behandlungsbeginn sinnvoll ist. So haben beispielsweise die meisten Patienten der VIVID- und VISTA-Studien bereits nach der ersten Aflibercept-Injektion einen Visusgewinn von mindestens fünf Buchstaben erreicht. Für jede weitere Injektion war die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Visusgewinnes von ≥5 Buchstaben jeweils deutlich größer als die Wahrscheinlichkeit einer Verschlechterung oder Stagnation. Nach einem Upload mit initial insgesamt fünf Injektionen war schließlich ein mittlerer Visusgewinn von > 9 Buchstaben erreicht, der bei konsequenter Fortsetzung der Therapie auch langfristig erhalten werden kann. Dies zeigen die Ergebnisse der Fortsetzungsstudie ENDURANCE, in der Patienten der VISTA-Studie über bis zu fünf Jahren weiter behandelt und beobachtet wurden. In dieser Studie wurden die durch den intensiven Therapiebeginn im ersten Jahr erzielten Visusgewinne auch in den Folgejahren mit einem individualisierten Regime aufrechterhalten – und dies bei gleichzeitig deutlich reduzierter Behandlungslast. So benötigten 25 % der Patienten im Verlauf der ENDURANCE-Studie (Jahre 3 bis 5) keine erneute Behandlung, und 48 % der Patienten erhielten ≤5 Injektionen.
Behandlungslast senken: T&E-Regime im ersten Jahr
Auch die prospektive VIOLET-Studie bestätigt, dass unter Behandlung im T&E-Regime die Behandlungslast deutlich verringert und gleichzeitig ein gutes Sehvermögen aufrechterhalten werden kann: Eingeschlossen wurden 490 Patienten mit DMÖ, die im ersten Behandlungsjahr fünf initiale, monatliche Aflibercept-Injektionen gefolgt von achtwöchigen Behandlungen erhalten hatten. Für das zweite Behandlungsjahr wurden die Patienten auf drei verschiedene Behandlungsregime – fixe achtwöchige Intervalle (q8); pro re nata (PRN); T&E – randomisiert. In allen Gruppen wurden die zuvor erreichten Visusverbesserungen bis zum Studienende (Woche 100) aufrechterhalten. Dabei erreichten 41 % der Patienten zur 100-Wochen-Visite ein Behandlungsintervall von ≥12 Wochen. Dementsprechend waren Klinikbesuche unter dem T&E-Regime mit durchschnittlich 13,3 Visiten deutlich seltener erforderlich als in den beiden anderen Gruppen (16,1 bei q8; 25,0 bei PRN), was für die Patienten einen deutlichen Gewinn an Lebensqualität bedeutet. Dank einer aktuellen Änderung der Fachinformation von Aflibercept (Stand Dezember 2022) kann das T&E-Regime bei Patienten mit DMÖ nun schon im ersten Jahr angewendet werden. Bereits nach einem Upload aus fünf monatlichen Injektionen gefolgt von einer weiteren Injektion nach acht Wochen kann – basierend auf dem funktionellen und/oder morphologischen Befund – das Behandlungsintervall individuell verlängert werden. Dadurch kann die Behandlungslast weiter gesenkt werden, was wiederum die Therapieadhärenz stärken und sich positiv auf den Therapieerfolg auswirken kann. Bestätigt werden die Vorteile des frühzeitigen Einsatzes des T&E-Regimes bereits im ersten Jahr auch durch Ergebnisse kleinerer prospektiver Studien. So wurden in der multizentrischen VIBIM-Studie 48 Patienten mit DMÖ nach einem Upload mit fünf monatlichen Injektionen direkt mit Aflibercept im T&E-Regime behandelt. Im Mittel hatten die Patienten nach zwölf Monaten 9,1 Buchstaben gewonnen, wobei 74 % der Patienten mit einem Intervall von zwölf oder mehr Wochen behandelt wurden. Auch im zweiten Jahr blieb der Visusgewinn bei gleichzeitig deutlich geringerer Injektionszahl erhalten. Etwa 35 % der Patienten gewannen mindestens 15 Buchstaben im zweiten Jahr. Zudem wurden 57 % der Patienten mit Intervallen von zwölf Wochen oder länger behandelt; 41 % dieser Patienten hatten sogar keinen weiteren Injektionsbedarf.
Ausblick: Aflibercept 8 mg
Zukünftig können möglicherweise mit Aflibercept 8 mg noch mehr Patienten mit DMÖ auf langen Intervallen behandelt werden. Dies legen die Ergebnisse der multizentrischen, randomisierten, doppelt maskierten Phase-III-Studie PHOTON nahe, in der die Wirksamkeit und Sicherheit einer Therapie mit Aflibercept 8 mg im Vergleich zu Aflibercept 2 mg bei Patienten mit DMÖ untersucht wurde. Bereits zu Baseline erfolgte die Randomisierung auf die drei Behandlungsarme Aflibercept 2 mg alle acht Wochen (AFL 2q8), Aflibercept 8 mg alle zwölf Wochen (AFL 8q12) und Aflibercept 8 mg alle 16 Wochen (AFL 8q16). Nach fünf initalien Upload-Dosen in der 2q8-Gruppe und drei Upload-Dosen in den beiden Aflibercept-8-mg-Gruppen wurde die Behandlung gemäß Randomisierung in den drei Armen fortgesetzt. Im ersten Jahr waren lediglich Intervallverkürzungen in den beiden AFL-8-mg Armen möglich, die zu vorab festgelegten Zeitpunkten erfolgten (minimales Intervall acht Wochen). In Woche 48 wurde in allen drei Gruppen ein mittlerer Visusgewinn von acht bis neun Buchstaben erzielt. Damit wurde der primäre Endpunkt, die Nichtunterlegenheit von AFL 8 mg gegenüber AFL 2 mg hinsichtlich der durchschnittlichen Veränderung des bestkorrigierten Visus zu Woche 48 gegenüber dem Ausgangswert, erreicht. Der Anteil der Patienten, die in den beiden Aflibercept-8-mg-Armen bis zu Woche 48 auf langen Intervallen weiterbehandelt werden konnten, war hoch: Im 8q16-Arm behielten 89 % der Patienten das 16-wöchige Intervall bei; im 8q12-Arm blieben 91 % bei dem zwölfwöchigen Intervall. Insgesamt konnten 93 % aller Patienten unter Aflibercept 8 mg mit Intervallen von zwölf Wochen oder länger behandelt werden. Die Zulassung für Aflibercept 8 mg zur Behandlung von neovaskulärer AMD und DMÖ wurde im Februar 2023 bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency, EMA) beantragt.
Lange Therapieintervalle – Peripherie beachten
Im klinischen Alltag gilt es zudem zu bedenken, dass die Visusprognosen nicht nur von Dauer und Ausprägung des DMÖ abhängen, sondern noch vielfältige weitere Faktoren eine Rolle spielen können, die bei der Therapieplanung zu beachten sind. Zu diesen zählen zum Beispiel begleitende neurodegenerative Prozesse bei diabetischer Retinopathie, die bereits vor Auftreten vaskulärer Läsionen und des Makulaödems zu beobachten sind, ebenso wie ausgeprägte strukturelle Veränderungen der äußeren und inneren Netzhaut. Auch begleitende pathologische Prozesse wie Katarakt, Glaskörperblutung und Gliose können die Therapie beeinflussen und sollten bedacht werden. Diesbezüglich bietet die Anti-VEGF-Therapie im Gegensatz zur Laserbehandlung den Vorteil, dass sie selbst im Falle relevanter Medientrübung – verursacht zum Beispiel durch eine Katarakt oder eine milde Glaskörperblutung – angewandt werden kann, sofern das Risiko einer traktiven Netzhautablösung gering erscheint. Liegt hingegen eine ausgeprägte Blutung vor oder kann eine Traktion nicht ausgeschlossen werden, so sollte auch die Anti-VEGF-Therapie pausiert werden. Weiterhin ist es wichtig, dass auch Patienten, die von langen Therapieintervallen profitieren, dennoch regelmäßig kontrolliert werden, um einer unkontrollierten Krankheitsprogression konsequent vorzubeugen. Daher gilt es, gerade bei Patienten mit langen Therapieintervallen insbesondere auch die Peripherie regelmäßig zu kontrollieren, um ischämische Areale oder Proliferationen rechtzeitig zu detektieren und zu behandeln.
Makulaödem nach RVV – präzise Diagnose wesentlich
Die zweithäufigste Ursache für eine vaskulär bedingte Visusminderung nach der diabetischen Retinopathie ist ein Makulaödem (MÖ) infolge eines retinalen Venenverschlusses (RVV). Auch hier stellt die intravitreale Anti-VEGF-Therapie das Mittel der ersten Wahl dar. In Deutschland leiden etwa 300.000 Menschen an einem MÖ infolge RVV, weltweit sind rund 28 Millionen Menschen betroffen, wobei Venenastverschlüsse (VAV) deutlich häufiger auftreten als Zentralvenenverschlüsse (ZVV). Die Prävalenz für einen RVV ist unabhängig vom Geschlecht, steigt allerdings mit dem Alter an. Meist sind Menschen zwischen 60 und 70 Jahren von einem RVV betroffen. Da es sich zudem beim retinalen Venenverschluss – wie auch bei der diabetischen Retinopathie – in der Regel um die Folge von Systemerkrankungen handelt, sollte nach retinalem Verschlussgeschehen eine interdisziplinäre Abklärung insbesondere von kardio- und zerebrovaskulären Risikofaktoren erfolgen und eine angemessene Behandlung der Grunderkrankung sichergestellt werden. Zudem empfiehlt es sich, vor allem bei ZVV, auch auf eine veränderte Papillenmorphologie zu achten, um eine möglicherweise zugrunde liegende Glaukomerkrankung nicht zu übersehen. Umgekehrt gilt das Vorliegen eines Glaukoms als wichtigster okulärer Risikofaktor (OR: 4,01; CI: 3,28–4,91) für einen RVV. Wichtige Basis für die Therapieplanung bei RVV ist eine präzise Diagnosestellung. Die Fachgesellschaften empfehlen in ihrer Stellungnahme eine komplette augenärztliche Untersuchung mit Visus, Pupillenreaktionstestung, Augeninnendruckmessung, Kammerwinkelinspektion und Beurteilung des vorderen und hinteren Augenabschnittes in Mydriasis. Im Zentrum der Diagnostik steht die optische Kohärenztomografie (OCT), mit der sich Flüssigkeitsansammlungen in der Makula präzise beurteilen lassen. Wesentlich für die Therapieplanung ist, basierend auf der Fluoreszenzangiografie, eine Unterscheidung zwischen ischämischen und nicht ischämischen Gefäßverschlüssen und dies aufgrund des Konversionsrisikos auch im weiteren Therapieverlauf regelmäßig zu kontrollieren, das Ausmaß eines MÖ zu beurteilen und insbesondere auch mögliche Neovaskularisationen frühzeitig zu erkennen. Eine retrospektive Analyse von 77 Patienten mit einem Neovaskularisationsglaukom ergab, dass etwa 40 % der Patienten einen RVV aufwiesen.
Neue diagnostische Optionen – Peripherie kontrollieren
In den letzten Jahren haben sich die Möglichkeiten für die präzise Diagnosestellung eines RVV zudem deutlich erweitert. So stellt die OCT-Angiografie eine Möglichkeit dar, alle Schichten des retinalen Gefäßsystems auch ohne Farbstoffinjektion präzise darzustellen. Spaide et al. verglichen die OCT-Angiografie mit dem Goldstandard Fluoreszenzangiografe bei zwölf Augen und stellten fest, dass mittels Fluoreszenzangiografie die radialen peripapillären und die tiefen Kapillarnetzwerke nicht darstellt werden können. Hingegen wurden mit der OCT-Angiografie alle Schichten des retinalen Gefäßsystems abgebildet, und die daraus gewonnenen Erkenntnisse können die klinische Beurteilung der Netzhaut beeinflussen. Auch die foveale avaskuläre Zone lässt sich mittels OCT-Angiografie sehr gut erfassen. Ein Vergleich mit der Fluoreszenzangiografie ergab eine gute Übereinstimmung zwischen beiden Methoden, sowohl beim Venenastverschluss als auch beim retinalen Venenverschluss. Die OCT-Angiografie könnte daher zukünftig die Fluoreszenzangiografie zur Bestimmung der fovealen avaskulären Zone ersetzen. Im klinischen Alltag ist dies von großer Bedeutung, da die Größe der fovealen avaskulären Zone invers mit der Sehschärfe korreliert, das heißt: je größer die Fläche, desto schlechter die Sehleistung. Weiterhin gilt es bei RVV – sowohl bei Erstdiagnose als auch im weiteren Verlauf der Behandlung –, nicht nur die Netzhautmitte zu kontrollieren, sondern unbedingt regelmäßig auch die Peripherie, um mögliche Ischämien festzustellen, die auch im Verlauf des Verschlussgeschehens auftreten können. Ein Vergleich der Ultraweitwinkelfluoreszenzangiografie mit der Weitwinkel-OCT-Angiografie ergab, dass die foveale avaskuläre Zone, nicht perfundierte Netzhautareale, Kapillarveränderungen und Kollateralgefäße mit beiden Methoden gut darstellbar sind. Auch auf künstlicher Intelligenz basierende Systeme können zukünftig die Diagnosestellung bei RVV unterstützen und erleichtern: So war ein mit über 30.000 Bildern von mehr als 5000 Patienten trainierter Deep-Learning-Algorithmus in der Lage, anhand von Ultraweitwinkelfundusaufnahmen die Fläche nicht perfundierter Areale mit guter Sensitivität und Spezifität zu erfassen.
Zentrale Rolle von VEGF bei MÖ und RVV
Auch zur Therapie eines MÖ bei RVV hat sich VEGF als effektives Ziel erwiesen. Zu Beginn des pathologischen Kreislaufes steht die retinale Minderdurchblutung und Hypoxie mit konsekutiver verstärkter Ausschüttung von Zytokinen und Wachstumsfaktoren wie VEGF. Dies wiederum fördert Prozesse wie Entzündung und Neovaskularisation. Zudem kommt es zum Zusammenbruch der Blut-Retina-Schranke und zur Leckage. Diese pathologische Gefäßpermeabilität kann zur Entwicklung eines Makulaödems führen, das wiederum zu kapillären Schädigungen führt und somit die retinale Ischämie weiter verstärkt. Aufgrund dieser zentralen Rolle von VEGF hat sich die intravitreale Gabe von Anti-VEGF-Wirkstoffen auch beim Makulaödem infolge eines retinalen Venenverschlusses zur Therapie der ersten Wahl entwickelt und zu einer deutlichen Verbesserung von Morphologie und Funktion geführt. Wie zahlreiche Studien einheitlich zeigen, können die Patienten mit einer optimalen Behandlung etwa 15 bis 20 Buchstaben Visusgewinn erzielen, erreichen in über 50 % der Fälle wieder eine Lesefähigkeit und entwickeln im Optimalfall keine Neovaskularisatione. Bei der Behandlung des MÖ infolge eines RVV spielt die Zeit bis zum Therapiebeginn eine große Rolle. Generell gilt: Je früher die Anti-VEGF-Therapie startet und je lückenloser sie insbesondere zu Beginn umgesetzt wird, desto besser sind die Aussichten für die Visusentwicklung. Denn je schneller sich ein MÖ zurückbildet, umso geringer sind morphologische Schäden und desto größer ist die Chance auf gute Visusergebnisse sowie auf individuell verlängerte therapiefreie Intervalle.
Head-to-Head-Studien zum Vergleich der Wirkstoffe
In Bezug auf die derzeit bei RVV vorwiegend eingesetzten Anti-VEGF-Präparate liegen verschiedene Head-to-Head-Studien vor. So wurden etwa in der SCORE-II-Studie Bevacizumab und Aflibercept bei 362 Patienten mit RVV untersucht. In beiden Gruppen erhielten die Patienten durchschnittlich sechs Injektionen im Verlauf von sechs Monaten und erreichten im Mittel einen Visusgewinn von über 18 ETDRS-Buchstaben. Deutliche Unterschiede zeigten sich hinsichtlich des Rückganges des MÖ, wie eine Post-hoc-Analyse ergab: Im Vergleich zur Bevacizumab-Gruppe erreichten signifikant mehr Augen der Aflibercept-Gruppe einen Rückgang des MÖ (p < 0,001). Auch die Quote einer vollständigen Resorption des MÖ – gemittelt über die sechs Monate – fiel in der Bevacizumab-Gruppe signifikant niedriger aus als in der Aflibercept-Gruppe (OR 0,28, p < 0,001). In der prospektiven, randomisierten Nichtunterlegenheitsstudie LEAVO wurde die klinische Wirksamkeit von Ranibizumab, Aflibercept und Bevacizumab zur Behandlung von Patienten mit ZVV miteinander verglichen (Nichtunterlegenheitsgrenze: fünf ETDRS-Buchstaben). Die Patienten erhielten vier aufeinanderfolgende monatliche Injektionen und wurden anschließend gemäß PRN-Regime je nach bestehender Krankheitsaktivität weiterbehandelt. Zum Studienende in Woche 100 war die Sehschärfe in der Aflibercept-Gruppe mit durchschnittlich +15,1 ET- DRS-Buchstaben am stärksten angestiegen, gefolgt von Ranibizumab (+12,5) und Bevacizumab (+9,8). Gleichzeitig waren unter Aflibercept mit durchschnittlich zehn Injektionen im Verlauf von zwei Jahren weniger Injektionen erforderlich als in den beiden anderen Wirkstoffgruppen (Bevacizumab 11,5 und Ranibizumab 11,8 Injektionen). Während Bevacizumab in Woche 100 keine Nichtunterlegenheit gegenüber den beiden anderen zugelassenen Wirkstoffen erreichte, erzielte Aflibercept hingegen den primären Endpunkt der Nichtunterlegenheit gegenüber Ranibizumab. Insgesamt kommen die Autoren zu dem Schluss, dass Bevacizumab nicht gegen Aflibercept oder Ranibizumab austauschbar sei.
Visusanstieg und Erhalt bei Venenastverschluss
Wie bei anderen retinalen Gefäßerkrankungen bieten individualisierte Therapiekonzepte auch bei RVV die Möglichkeit, die Injektionsintervalle bei Krankheitsstabilität zu verlängern und so die Behandlungslast für Patienten und Angehörige bestmöglich zu reduzieren – bei gleichzeitigem Erhalt der initial erzielten Visusgewinne. Die prospektive, multizentrische PLATON-Studie untersuchte den Einsatz von Aflibercept im T&E-Regime bei Patienten mit VAV (n = 48). Nach drei initialen, monatlichen Injektionen konnten die Patienten im T&E-Regime je nach Krankheitsaktivität weiterbehandelt werden, wobei die Intervalle in vierwöchigen Schritten bis zu einem maximalen Intervall von 16 Wochen angepasst werden konnten. Patienten, die während der Initialphase einen Visus von ≥1,0 erreichten, konnten sofort mit einer Intervallverlängerung fortfahren. Zu Woche 52 hatten die Patienten im Mittel 23,6 Buchstaben gewonnen. Dieser Visusgewinn wurde bis zu Woche 52 aufrechterhalten. Insgesamt hatten 73 % der Patienten bis zu Woche 52 einen Visusgewinn von ≥15 Buchstaben erreicht. Das mittlere Behandlungsintervall am Studienende zu Woche 52 betrug 14,4 Wochen, und 71 % der Patienten erreichten ein 16-wöchiges Behandlungsintervall.
Individualisierte Therapie bei Zentralvenenverschluss
Auch bei MÖ infolge eines ZVV können Patienten unter einer individualisierten Aflibercept-Therapie im T&E-Regime deutliche Visusverbesserungen bei gleichzeitig reduzierter Behandlungslast erreichen, wie die prospektive, randomisierte Phase-IV-Studie CENTERA zeigt. Zu Beginn wurden die Patienten bis zum Erreichen der Krankheitsstabilität oder bis zu Woche 20 mit monatlichen Injektionen intensiv therapiert. Im Anschluss konnten gemäß T&E-Regime die Therapieintervalle je nach Krankheitsaktivität beibehalten, verkürzt oder verlängert werden. Bereits nach vier Wochen konnte ein deutlicher Visusanstieg festgestellt werden, bis zu Woche 24 wurden im Mittel 20 Buchstaben gewonnen und bis zum Studienende in Woche 76 erhalten. Etwa zwei Drittel der Patienten erzielten einen Visusanstieg von ≥15 Buchstaben. Zudem verbesserte sich die Morphologie deutlich, während gleichzeitig die Behandlungslast durch Anwendung des T&E-Regimes im Zeitverlauf deutlich gesenkt werden konnte: Während innerhalb der ersten 24 Wochen noch durchschnittlich fünf Injektionen erforderlich waren, wurden innerhalb der letzten 24 Wochen nur drei Injektionen gegeben. Bei über zwei Drittel der Patienten wurde am Studienende ein Intervall von acht Wochen oder länger festgelegt. Insgesamt verhilft somit eine konsequente Anti-VEGF-Therapie auch Patienten mit MÖ infolge eines RVV im Mittel zu klinisch bedeutsamen Verbesserungen ihres Sehvermögens. Eine Individualisierung mittels T&E-Regime nach intensivem und lückenlosem Therapiestart trägt entscheidend dazu bei, die Behandlungslast im Zeitverlauf zu reduzieren, und ermöglicht so eine bedarfsgerechte Versorgung.
Fazit
- Eine weitere Zunahme diabetischer Augenerkrankungen wird befürchtet.
- Anti-VEGF-Therapie ist das Mittel der ersten Wahl zur Behandlung eines visusmindernden Makulaödems mit fovealer Beteiligung bei Diabetes sowie nach RVV.
- In beiden Fällen sind ein intensiver Therapiestart und konsequente Weiterbehandlung wesentlich für langfristig gute Visusergebnisse.
- Bei DMÖ korrelieren Injektionszahl und Visusgewinne ab der zweiten Injektion linear miteinander. Behandlung im T&E-Regime ermöglicht sowohl bei DMÖ als auch bei MÖ infolge RVV, initial erzielte Visusgewinne bei reduzierter Behandlungslast dauerhaft zu erhalten.
- Mit Aflibercept im T&E-Regime sind bei DMÖ und RVV Verlängerungen des Therapieintervalls auf 16 Wochen möglich und wirksam.
- Patienten mit DMÖ sollten unter langen Therapieintervallen regelmäßig kontrolliert werden, um unkontrollierter Krankheitsprogression (Ischämien, Proliferationen) konsequent vorzubeugen.
- Bei RVV muss das Ausmaß von MÖ und zentralen sowie peripheren retinalen Ischämien regelmäßig erfasst und im (Therapie-)Verlauf kontrolliert werden.
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