Einleitung
Da Geschlechtserkrankungen zwar weit verbreitet, aber häufig nicht sofort erkennbar sind, sollte unabhängig vom Fachbereich bei jeder Anamnese stets auch eine Sexualanamnese durchgeführt werden. Auf diese Weise können sexuell übertragbare Krankheiten nicht nur früher erkannt und therapiert, sondern auch die Weitergabe verhindert werden. Das Fallbeispiel 1 zeigt darüber hinaus, dass eine frühe Sexualanamnese zudem die in diesem Bereich sehr häufigen Falschdiagnosen verhindern kann.
Fallbeispiel 1
Ein 45-jähriger HIV-infizierter Patient stellt sich mit Halsschmerzen beim Hausarzt vor, der ihm zunächst Ibuprofen verschreibt. Da hierauf jedoch keine Besserung eintritt, stellt sich der Patient in einer renommierten HNO-Klinik vor, die wegen hochgradigem Verdacht auf ein metastasierendes Tonsillenkarzinom eine beidseitige Tonsillektomie mit gleichzeitiger Entfernung eines Lymphknotens durchführt. In der Pathologie kann jedoch nur eine granulomatöse Entzündung festgestellt werden. Anschließend stellt sich der Patient mit einem Hautausschlag in unserer Klinik vor. Der Ausschlag lässt eine Syphilis vermuten, was die Untersuchung der eingesendeten Tonsille bestätigt: Nach Untersuchung und Einfärbung der Tonsille auf Treponema pallidum werden zahlreiche Treponema und eine hoch-positive Syphilis-Serologie nachgewiesen. Mit einer frühzeitigen Sexualanamnese hätte dies erkannt und der Patient komplikationslos mit Penicillin behandelt werden können.
Syphilis
Die Syphilis tritt im Gegensatz zu anderen Geschlechtserkrankungen mit über 90 % der Betroffenen überwiegend beim Mann (82 % MSM, 13 % Heterosexuell) auf. Vor allem seit der Jahrtausendwende werden vermehrt Fälle von Syphilis und hier besonders in Großstädten gemeldet. Die Diagnostik der Syphilis besteht aus der klinischen und ggf. auch der histopathologischen Analyse der vielfältigen Haut- und Schleimhautbefunde, den bildgebenden Untersuchungen von typischen Organveränderungen, der organtypischen Labordiagnostik einschließlich der Liquordiagnostik, dem direkten Erregernachweis bei frühen erregerreichen Läsionen und dem Nachweis von Anti-Treponemen-Antikörpern im Serum. Bei klinischem Verdacht oder zum Ausschluss einer Syphilis sollte zunächst ein erregerspezifischer Suchtest erfolgen. Geeignet sind TPPA, TPHA, TPLA oder andere polyvalente Immunoassays. Syphilis-Schnelltests (point-of-care test) mit einer den herkömmlichen Suchtests vergleichbaren Sensitivität und Spezifität können als Suchtests auf Syphilis-Antikörper eingesetzt werden. Ist der Suchtest reaktiv, sollte ein spezifischer Bestätigungstest mit einem alternativen Antigenkonzept (FTA-Abs Test, IgM/IgG ELISA, IgG/IgM Westernblot, bei TPPA/TPHA-Screening auch polyvalenter Immunoassay und vice versa bei Immunoassay-Screening auch TPPA-/TPHA) nachgeschaltet werden. Bei positivem Bestätigungstest sollte zur Unterscheidung einer Seronarbe von einer floriden Syphilis eine quantitative Bestimmung der Aktivitätsparameter (Cardiolipin-Antikörper, treponemenspezifisches IgM) durchgeführt werden. Besteht der Verdacht auf eine sehr frühe Primärsyphilis (diagnostisches Fenster) sollte gleichzeitig zum polyvalenten Suchtest ein spezifischer IgM-Test erfolgen. Besteht der Syphilisverdacht trotz negativem IgM-Nachweis (und negativem Syphilis-Suchtest) weiter, sollten beide Tests nach zwei Wochen wiederholt werden. Bei Vorliegen einer Syphilis sollte eine weitere Diagnostik zum Ausschluss anderer STI angeboten werden.
Hautveränderungen bei Syphilis
Neben Primäraffekten, Plaques muqueuses oder Angina specifica, die in einer Klinik mit STD-Schwerpunkt häufig diagnostiziert werden, sind es vor allem die eher unauffälligen, syphilitischen Exantheme, mit denen sich Patienten vorstellen. Diese sind nur unter genauer Beobachtung erkennbar und erinnern z. B. eher an Masern. Doch vor allem bei Risikopatienten und allen unklaren und weniger eindeutigen Exanthemen, die eher an Psoriasis oder Ekzeme erinnern, sollte man stets auch eine Syphilis in Betracht ziehen.
Therapie der Syphilis
Zur Behandlung der verschiedenen Stadien der Syphilis wurden weltweit nur wenige randomisiert-kontrollierte Studien durchgeführt. Treponema pallidum ist auch nach 75 Jahren Behandlung mit Penicillin sensibel gegenüber diesem Antibiotikum. Nur bei Penicillinallergie ist ein Ausweichen auf andere Antibiotika (Cephalosporine, Makrolide, Tetrazykline) erforderlich. Wegen der langen Generationszeit der Treponemen ist eine Mindestbehandlungsdauer von 10 Tagen erforderlich. Die Frühsyphilis wird einmalig mit Benzathin-Benzylpenicillin 2,4 Mio. I.E. i.m. (gluteal li/re je 1,2 Mio. I.E.) behandelt. Bei Penicillinallergie erfolgt die Therapie oral mit Doxycyclin 2 x 100mg/Tag über 14 Tage. Bei erregerreicher Sekundärsyphilis besteht die Gefahr der Jarisch-Herxheimer-Reaktion. Hierbei handelt es sich um eine kutane und allgemeine Reaktion auf Toxine zerfallender Treponemen, die jeweils nur bei der ersten Penicillingabe auftritt. Ab dem Sekundärstadium kann zur Vermeidung der Jarisch-Herxheimer-Reaktion einmalig 30–60 Minuten vor der ersten Antibiotikagabe 1 mg/Prednisolonäquivalent/kg KG p. o. oder i. v. appliziert werden. Die Spätsyphilis wird dreimalig mit Benzathin-Benzylpenicillin 2,4 Mio. I.E. i. m. (gluteal links/rechts je 1,2 Mio. I.E.) an Tag 1, 8 und 15 therapiert. Bei Penicillinallergie kann oral Doxycyclin 2x100mg/Tag über 28 Tage verabreicht werden. Serologische Kontrollen des Therapieerfolges sollen nach 3, 6 und 12 Monaten erfolgen. Die nach Therapieende erhobenen (semi-)quantitativen Befunde (Lipoidantikörper-Titer im VDRL/RPR- und/oder im 19S-IgM-FTA-Test bzw. IgM-ELISA) sollten möglichst im gleichen Labor und mit der gleichen Methode kontrolliert werden. Bei einem Titerabfall um mindestens zwei Stufen soll die Therapie als erfolgreich betrachtet werden und es kann auf die weiteren Titerkontrollen zum Therapieverlauf verzichtet werden. Bei HIV-infizierten Patienten sollte ab einer Sekundärsyphilis eine sorgfältige neurologisch/psychiatrische Untersuchung erfolgen. Ergeben sich hierbei Verdachtsmomente einer Beteiligung des Zentralnervensystems, muss eine Neurosyphilis ausgeschlossen werden. Besteht bei einer Syphilis eine schwere HIV-bedingte Immundefizienz (<200 CD4-Zellen/μl), sollte auch ohne Vorliegen neurologischer Symptome eine Lumbalpunktion durchgeführt werden. Die symptomatische und asymptomatische Neurosyphilis wird intravenös mit Penicillin G in kristalloider Lösung mit einer Tagesdosis von 4 x 6 Mio., 5 x 5 Mio. oder 3 x 10 Mio. I.E. über 14 Tage (mindestens 10 Tage) behandelt. Alternativ kann bei Patienten mit vermutetem oder gesichertem syphilitischen ZNS-Befall die täglich einmalige intravenöse Dosis von 2 g/Tag Ceftriaxon (über 14 Tage) verabreicht werden. Kann bei Verdacht auf Neurosyphilis keine Lumbalpunktion durchgeführt werden, soll wie bei einer Neurosyphilis behandelt werden.
Gonorrhoe
Eine weitere weit verbreitete Geschlechtskrankheit ist die Gonorrhoe. Die WHO schätzt jährlich rund 86,9 Millionen Neuerkrankungen (Stand 2019). Die urethrale Infektion des Mannes verursacht in etwa 60 % der Fälle akute Symptome, die in der Regel zu einer frühzeitigen Behandlung führen. Tritt die Gonokokken-Infektion pharyngeal oder anal auf, ist sie in der Mehrzahl der Fälle asymptomatisch. Aus diesem Grund empfiehlt die europäische IUSTI-Leitlinie bei Hochrisikopatienten entsprechend asymptomatische Screenings durchzuführen.
Diagnostik der Gonorrhoe
Der Nachweis von N. gonorrhoeae anhand NAAT (Nucleic Acid Amplification Test) im Erststrahlurin (ca. 10 ml), Rektal- und Pharyngealabstrich. NAAT-positive Rektal- und Pharyngealabstriche sollten mit einem zweiten Test bestätigt werden. Vor Beginn einer antibiotischen Therapie sollte die kulturelle Anzucht der Erreger zwecks Antibiotika Suszeptibilitätstestung angestrebt werden.
Therapie der Gonorrhoe
Da die Antibiotikaresistenz bei Neisseria (N.) gonorrhoeae ein globales Problem darstellt, hat die WHO N. gonorrhoeae 2017 als Erreger mit hoher Priorität eingestuft. Ein bei der Therapie verwendetes Antibiotikum muss einen Therapieerfolg von mindestens 95 % garantieren. Gemäß der überarbeiteten deutschen Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Gonorrhoe sollte bei fehlendem Erregernachweis und nicht gegebener Patientenadhärenz mit Ceftriaxon (1–2 g i. v. oder i. m. als Einzeldosis) und Azithromycin (1,5 g p. o. als Einzeldosis) behandelt werden. Bei fehlendem Erregernachweis und gegebener Patientenadhärenz sowie bei einem isolierten Erregernachweis und gegebener Patientenadhärenz sollte nur die Monotherapie mit Ceftriaxon durchgeführt werden. Grund hierfür ist eine zunehmende Azithromycinresistenz aktuell in Deutschland von über 10 %.
Aktuelles zur Therapie bei Gonorrhoe
Der medizinische Bedarf bei Gonorrhoe ist in Bezug auf neue Medikamente sehr hoch. In einer Studie des New England Journal wurde der Typ-2-Topoisomerase-Hemmer Zoliflodacin mit der Standardtherapie Ceftriaxon verglichen. Im Ergebnis waren Ceftriaxon zu 100 % und Zoliflodacin zu 96 % wirksam. Zoliflodacin liegt damit über dem Cut, den die WHO zur Behandlung vorsieht, und hat von der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA eine „Fast Track”-Kennzeichnung erhalten, die ein beschleunigtes Zulassungsverfahren verspricht, sofern die aktuelle Phase-3-Studie günstig verläuft.
Chlamydien-Infektion
Mit weltweit jährlich etwa 127,2 Millionen Neuinfektionen sind Chlamydien laut WHO noch häufiger als Gonokokken (Stand 2019). Bei Infektionen der männlichen Urethra treten in ca. 70 % der Fälle Krankheitssymptome auf, bei Frauen verlaufen dagegen etwa 70 % der Fälle asymptomatisch. Chlamydien-Infektionen können nicht nur zu Urethritis, sondern auch zu aufsteigenden Infektionen führen. Darüber hinaus wird die häufigste Form der reaktiven, infektinduzierten Arthritis durch Chlamydia trachomatis ausgelöst.
Diagnostik der Chlamydien-Infektion
Auch bei Chlamydien-Infektionen sind NAATs für die Diagnose Mittel erster Wahl. Zudem sollte aufgrund hoher Komorbidität immer auch ein Screening auf andere STDs wie z. B. HIV, Hepatitis oder Syphilis durchgeführt werden. Bei HIV-Infektion und insbesondere bei anorektaler Infektion Differenzierung in Serovare L1-L3 (LGV) und D-K (non-LGV).
Therapie der Chlamydien-Infektion
Die Chlamydien-Therapie ist vornehmlich Doxycyclin-basiert. Gemäß der Leitlinie wird eine Dosierung von 100 mg (2 × täglich p. o. 7 d) empfohlen. Lediglich während der Schwangerschaft und bei Neugeborenen muss auf alternative Therapien mit Azithromycin bzw. Erythromycin zurückgegriffen werden.
Lymphogranuloma venereum
Das Lymphogranuloma venereum (LGV) ist eine durch Chlamydien ausgelöste Krankheit, die erst seit 2004 in Großstädten der westlichen Welt – und hier vor allem bei homosexuellen Männern – auftritt und häufig als chronisch-entzündliche Darmerkrankung fehlinterpretiert wird. Verursacher des LGV sind die Chlamydien-Genotypen L1–L3, die besonders gewebegängig sind, sich entlang der Lymphbahnen ausbreiten und die klassische Bubonen-Bildung induzieren können. Bei längerem Bestehen können sie darüber hinaus zur Elephantiasis führen. Die überwiegende Anzahl der Infektionen wird im Analbereich in Form von Proktitiden diagnostiziert. Daher sollte bei jeder Chlamydien-Infektion im Analbereich bei Hochrisikopatioenten wie MSM ein Nachweis der Genotypen durchgeführt werden. Dies ist besonders deshalb wichtig, da im Gegensatz zur klassischen Chlamydien-Infektion nicht nur für eine Woche mit Doxycylin therapiert werden muss, sondern über 21 Tage.
Humane Papillomviren
Bis heute wurden mehr als 200 Typen der Humanen Papillomviren (HPV) klassifiziert, von denen etwa 40 Typen des Genus Alpha zu Infektionen in der Mukosa führen können. Die Krankheitsbilder der HPV lassen sich in drei Gruppen aufteilen:
- Benigne kutane Läsionen (z. B. vulgäre Warzen, Plantarwarzen)
- Läsionen des Kopf-/Halsbereichs (z. B. Larynx papillome oder Tonsillenkarzinome)
- Anogenitale Läsionen (z. B. Condylome, invasives Zervixkarzinom)
Condylome
Die Krankheitslast von HPV ist in Europa extrem hoch. Zu den häufigsten Neuerkrankungen zählen die Condylome (anogenitale Warzen) mit mehr als 700.000 Neuerkrankungen pro Jahr. Condylome stellen ein wichtiges medizinisches Problem in Deutschland dar. Das Center for Disease Control and Prevention unterteilen die Behandlung von Condylomen in Verfahren, die vom Patienten durchgeführt werden (z. B. Imiquimod, Grüntee-Extrakte) und die der Arzt anwendet (z. B. Cryotherapie, Podophyllotoxin, chirurgische Entfernung). Es existiert jedoch keine first-line-Therapie und die Behandlung hängt sowohl von der Größe, Anzahl und Lokalisation der Condylome als auch von der Präferenz des Patienten und Behandlers ab. Zudem ist das Therapieansprechen bei Condylomen moderat, die Abheilungsraten erreichen maximal 88 % und die Rezidivraten sind mit bis zu 39 % sehr hoch.
HPV-Impfung
Alle Kinder sollen unabhängig von ihrem Geschlecht im Alter von 9 bis 14 Jahren, möglichst frühzeitig, gegen HPV geimpft werden. HPV-impfnaive Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren sollen ebenfalls unabhängig von ihrem Geschlecht, möglichst frühzeitig, gegen HPV geimpft werden. Die Impfempfehlung wird in der S3-Leitlinie Impfprävention HPV-assoziierter Neoplasien auf HPV-impfnaive Erwachsene im Alter von 18 bis 26 Jahren ausgeweitet. Eine HPV-Testung vor der Impfung ist nicht erforderlich. HPV-impfnaiven Erwachsenen im Alter von 27 Jahren oder älter sollte unabhängig von ihrem Geschlecht eine HPV-Impfung nicht empfohlen werden. Bei HPV-impfnaiven Frauen mit zervikalen intraepithelialen Neoplasien (CIN) kann eine HPV-Impfung vor oder nach der Behandlung der CIN mit dem Ziel einer Reduktion der Wiedererkrankungsrate erwogen werden. Das Zervixkarzinomscreening sollte, entsprechend den Empfehlungen der S3-Leitlinie Prävention des Zervixkarzinoms und den Vorgaben der Richtlinie für organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme unabhängig vom HPV-Impfstatus angeboten werden. In einer australischen Studie wurden seit 2007 die Effekte der quadrivalenten HPV-Impfung in Schul-Impfprogrammen (Abdeckungsrate ca. 70 %) untersucht. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Condylome seit Einführung des Impfprogramms auf dem australischen Kontinent fast voll ständig zurückgegangen sind.
STD-Schnelltests
Der Bundesrat hat im September 2018 den freien Verkauf von HIV-Selbsttests beschlossen, um z. B. Patienten zu erreichen, die sich vor dem Gang zum Arzt scheuen, und somit die Weitergabe der HIV-Infektion durch das frühere Erkennen und Behandeln verhindern zu können. Gemäß der Deutschen Aids-Hilfe sollten hierfür nur Tests angewendet werden, die
- das CE-Prüfzeichen tragen,
- für Laien konzipiert und
- in Europa zugelassen sind sowie
- eine Sensitivität von annähernd 100 % aufweisen.
Die HIV-Schnelltests verwenden in der Regel Kapillarblut, das aus der Fingerbeere genommen wird und können innerhalb von 15 Minuten nach Probenentnahme und mit 99,8-prozentiger Sensitivität Antikörper im Blut nachweisen. Bei einem „positiven” Ergebnis sollte als Bestätigungstest stets eine Laboruntersuchung durchgeführt werden. Schnelltests für Syphilis, Chlamydien und Gonokokken erreichen nicht die Sensitivität eines HIV-Schnelltests. So erreicht beispielhaft der qualitativ beste Syphilis-Schnelltest mit Vollblut/Kapillarblut lediglich eine Sensitivität von ca. 80 %. Probleme der Schnelltests liegen z. B. darin, dass bei Immundefizienz eine verzögerte Antikörperbildung vorliegt, dass die Schnelltests falsch negativ ausfallen oder nicht zwischen einer ausgeheilten und einer aktiven Infektion unterscheiden können.
Prä-Expostitions-Prophylaxe von HIV
Die HIV(Humanes Immundefizienz-Virus)-Infektion stellt eine lebenslange, bislang nicht heilbare und unbehandelt potenziell lebensbedrohliche Infektionskrankheit dar. Haupttransmissionsweg ist in Deutschland die sexuelle Übertragung, insbesondere in vulnerablen Personengruppen. Neben der effektiven antiviralen Therapie von HIV-Positiven spielt die Prävention der HIV-Infektion eine sehr wichtige Rolle. Eine wirksame Schutzimpfung gegen HIV ist bislang nicht verfügbar. Der Schutzeffekt der wirksamsten bisher getesteten HIV-Vakzine lag bei ca. 30 %. Als neuartige Präventionsmethode steht zur Reduktion des Risikos einer HIV-Transmission eine Medikamentöse Prophylaxe (HIV-PräExpositonsprophylaxe = PrEP) zur Verfügung. Dabei ist aktuell die Wirksamkeit einer oralen Einnahme kombinierter systemisch wirksamer antiretroviraler Substanzen belegt. Die orale HIV-Präexpositionsprophylaxe soll als prophylaktische Maßnahme Menschen mit substanziellem HIV-Infektionsrisiko angeboten werden. Ein substanzielles HIV-Infektionsrisiko besteht bei einer HIV-Inzidenz von >3 pro 100 Personenjahren ohne Zugang zur PrEP. Insbesondere gehören hierzu die folgenden HIV-negativen Personengruppen:
- MSM oder Transgender-Personen mit der Angabe von analem Sex ohne Kondom innerhalb der letzten 3–6 Monate und/oder voraussichtlich in den nächsten Monaten bzw. einer STI in den letzten 12 Monaten.
- Serodiskordante Konstellationen mit einem virämischen HIV-positiven Partner ohne antiretrovirale Therapie (ART), einer nicht suppressiven ART oder in der Anfangsphase einer ART (also einer HIV-RNA, die nicht schon sechs Monate bei mindestens <200 RNA-Kopien/ml liegt).
Darüber hinaus kann individuell ein substanzielles Risiko bestehen, insbesondere bei:
- Menschen mit Sex ohne Kondom mit Partnern, bei denen eine undiagnostizierte HIV-Infektion wahrscheinlich ist.
- Drogeninjizierenden Personen ohne Gebrauch steriler Injektionsmaterialien.
Zur PrEP kommt das orale Kombinationspräpara Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil (TDF/FTC) zum Einsatz. Die PrEP erfolgt als kontinuierliche einmal tägliche Einnahme von TDF/FTC. Eine intermittierende, anlassbezogene Einnahme der PrEP kann als Gebrauch außerhalb der Zulassung (off label use) im individuellen Fall erwogen werden. Die HIV-PrEP sollte in Kombination mit einer Beratung zu anderen Schutzmaßnahmen vor einer HIV-Infektion, STIs und viralen Hepatitiden verordnet werden. Es sollte darüber aufgeklärt werden, dass die Schutzwirkung der PrEP verzögert einsetzt. Obgleich der genaue Zeitpunkt des Schutzbeginns einer kontinuierlichen PrEP aus Studien nicht abschließend geklärt ist, wird auf der Basis von Studien zu Medikamentenkonzentrationen in der Kolorektalschleimhaut am 2. Tag und im weiblichen Genitale am 7. Tag nach Beginn der Einnahme einer kontinuierlichen PrEP von einer ausreichenden Schutzwirkung ausgegangen. Wird das PrEP-Medikament, das inklusive der notwendigen Kontrollen seit 2019 von den Krankenkassen übernommen wird, regelmäßig eingenommen, schützt es zu mindestens 90 % vor einer HIV-Infektion. Die PrEP erfordert eine gute ärztliche Begleitung, die einschließt, dass regelmäßig auf HIV, andere STD und die Nierenfunktion untersucht wird. In einer australischen Studie zur Wirksamkeit der HIV-PrEP in Sydney kam es bei lediglich zwei von mehr als 3.000 Teilnehmern zu einer Neuinfektion. Beide Teilnehmer hatten die Tabletten mit den Wirkstoffen Tenofovir und Emtricitabin jedoch nicht regelmäßig eingenommen. Das PrEP-Programm führte zu einem signifikanten HIV-Rückgang um 25,1 % und zu der niedrigsten Zahl von Neuinfektionen im australischen Bundesstaat New South Wales seit Beginn der HIV-Überwachung im Jahr 1985. Eine darauf aufbauende australische Analyse zeigte jedoch, dass die PrEP zwar vor HIV, aber nicht vor anderen Geschlechtskrankheiten schützt: Aus einer PrEP-Kohorte von 4.275 männlichen Teilnehmern wurden bei 1.427 Teilnehmern 2.928 andere STD festgestellt (1.434 Chlamydien-Infektionen, 1242 Gonorrhoen und 252 Syphilis-Erkrankungen). Das Risiko für eine Ansteckung mit Chlamydien oder Gonorrhoe stieg unter der PrEP-Nutzung an.
STD-Screening
Da viele Geschlechtskrankheiten auf den ersten Blick nicht immer erkennbar sind, kann ein STD-Screening hilfreich sein, um die Diagnose zu sichern. Die folgenden Fallbeispiele belegen dies.
Fallbeispiel 2
Ein 31-jähriger HIV-negativer Mann (MSM) leidet seit sechs bis acht Wochen an einer Erosion an der Glans Penis und weist seit 14 Tagen zusätzlich eine massive Schwellung des Penis auf. Nach Konsultation zweier Urologen wurde eine Geschlechtserkrankung zunächst ausgeschlossen und stattdessen eine Erosion vermutet, die durch Geschlechtsverkehr traumatisch bedingt ist. Nach einem STD-Screening konnte schließlich eine Syphilis zweifelsfrei diagnostiziert werden.
Fallbeispiel 3
Ein 16-jähriger Mann (HIV-negativ, heterosexuell) verspürt nach Geschlechtsverkehr seit drei Monaten ein Brennen beim Wasserlassen und weist seit vier Wochen girlandenförmige, randbetonte Plaques auf der Glans Penis auf. Zusätzlich leidet er unter einer diskreten Keratokonjunktivitis im Bereich des linken Auges sowie einer Monarthritis im rechten Knie ergab eine sexuell akquirierte reaktive Arthritis (SARA, früher Morbus Reiter).
Fazit
Nicht alle Geschlechtskrankheiten lassen sich durch bloßes Hinsehen zweifelsfrei diagnostizieren. Das gilt ins Besondere für die Syphilis, ihre Primäraffekte und eher unauffälligen Exantheme, aber auch für Gonorrhoe, Chlamydien-Infektionen oder HPV-Infektionen. Daher sollte bei jeder Anamnese auch eine Sexualanamnese durchgeführt werden. Zusätzlich sind STD-Screenings hilfreich, um eine Diagnose zu sichern und entsprechend therapieren zu können. Betroffene, die den Gang zum Arzt scheuen, können auf STD-Selbsttests zurückgreifen, die vor allem zur HIV-Testung eine Sensitivität von annähernd 100 % erreichen. Ziel ist es stets, Geschlechtserkrankungen so früh wie möglich erkennen, behandeln und ihre Weitergabe verhindern zu können.
Bildnachweis
© Voyagerix – Adobe Stock