Typ-2-Diabetes: Patientenfälle aus der Hausarztpraxis

In den letzten Jahren hat sich die Therapie des Diabetes mellitus zu einer Behandlung weiterentwickelt, die den gesamten Patienten im Blick hat. Ziel ist es, auch das Risiko für mikro- und makrovaskuläre Folgekomplikationen wie u. a. koronare Herzkrankheit, atherosklerotische Erkrankungen, Nephropathie, Schlaganfall und Herzversagen zu reduzieren. Zahlreiche wissenschaftliche Studien, deren Erkenntnisse bereits in aktuelle Leitlinien eingeflossen sind, haben gezeigt, dass moderne Therapieoptionen zusätzlich zur Stabilisierung der Stoffwechsellage auch dazu beitragen, das Risiko für diese Folgeerkrankung und deren Progression zu reduzieren.

In dieser Fortbildung erfahren Sie praxisnah, wie sich diese Erkenntnisse im klinischen Alltag umsetzen lassen. Anhand von fünf Fällen wird anschaulich erläutert, welche Parameter zur Erkennung von Risikofaktoren oder Begleiterkrankungen beitragen und welche Therapieanpassungen sich daraus ergeben.


Kursinfo
VNR-Nummer 2760709124041140012
Zeitraum 25.03.2024 - 24.03.2025
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte 4 Punkte (Kategorie D)
Zielgruppe Ärzte
Referent Dr. med. Marcel Kaiser
Dr. med. Ralph-D. Köhn
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Webianr
Lernmaterial Vorträge, Handout, Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Novo Nordisk Pharma GmbH
Bewertung 4.4 (692)

Einleitung

In Deutschland ist bereits bei jedem fünften über 65-Jährigen ein Diabetes mellitus bekannt, wobei Haus- oder Allgemeinarztpraxen über viele Jahre hinweg eine Schlüsselrolle in der medizinischen Betreuung zukommt.

Zwei Blickwinkel der Therapie

Das Behandlungsmanagement des Typ-2-Diabetes (T2D) hat sich den letzten Jahren zunehmend zu einem patientenorientierten Ansatz entwickelt, der die gesamte Ausgangssituation des Patienten im Blick hat. Dabei werden im Wesentlichen zwei Perspektiven auf den Patienten berücksichtigt: Ein wesentlicher Bestandteil der Therapie ist nach wie vor die sorgfältige Blutzuckerkontrolle. Denn eine gute Kontrolle des HbA1c als Surrogat für die Blutzuckereinstellung trägt zur Reduktion von Folgeerkrankungen bei, da die Höhe des HbA1c-Wertes im Zeitverlauf insbesondere mikrovaskuläre Folgeerkrankungen beeinflusst. Als zweiter Blickwinkel hat in den letzten Jahren, auch aufgrund der positiven Datenlage großer Studien zu modernen Wirkstoffen, die Erfassung des kardiovaskulären und renalen Risikoprofils der Patienten zunehmend an Bedeutung gewonnen. Ziel ist, die Behandlungsplanung individuell auf den Patienten anzupassen und mithilfe moderner Therapiestrategien risikoreduzierend einzugreifen. Wesentliche Basis sind dafür eine sorgfältige Anamnese und Diagnostik sowie die kritische Interpretation der erhobenen Laborparameter unter Einbeziehung der Gesamtsituation des Patienten. Diesbezüglich enthält die Nationale VersorgungsLeitlinie vom März 2023 einen aktualisierten Diagnostikteil, der wichtige Hinweise zur Interpretation des HbA1c-Wertes sowie zur Diagnosestellung enthält.

Diagnose Diabetes: Welche Parameter?

Besteht ein konkreter klinischer oder laborchemischer Verdacht auf T2D, so sollte immer eine entsprechende Diagnostik eingeleitet werden; Menschen mit einem erhöhten Risiko für die Erkrankung kann sie angeboten werden. Relevant für die Diagnosestellung sind drei Parameter: die Nüchternplasmaglukose (NPG), der HbA1c-Wert und gegebenenfalls die Gelegenheitsplasmaglukose (GPG) während der Sprechstunde. Wesentlich ist, dass die Diagnose T2D erst dann gestellt werden kann, wenn zwei dieser drei Parameter im pathologischen Bereich liegen. Sind die Ergebnisse zweier Werte widersprüchlich, wird empfohlen, einen dritten Parameter zu erheben oder einen oralen Glukosetoleranztest (oGTT) durchzuführen. Eine mehrfach isoliert erhöhte NPG bei einem nur gering erhöhten HbA1c-Wert ist daher nach den aktualisierten Kriterien nicht mehr ausreichend für die Diagnose T2D. Die Grenzwerte für pathologische Bereiche der Parameter bleiben unverändert: So zeigen NPG-Werte ≥126 mg/dl (oder ≥7 mmol/l), HbA1c-Werte von ≥6,5 % und GPG-Werte von 200 mg/dl (oder ≥11,1 mmol/l) einen Diabetes mellitus an, sofern jeweils zwei dieser Werte in diesen pathologischen Bereichen liegen.

HbA1c richtig interpretieren

Wesentlich ist, den HbA1c-Wert immer in Bezug auf die Situation des Patienten inklusive seiner Begleiterkrankungen zu interpretieren, da der Wert durch bestimmte Faktoren beeinflusst und daher „falsch hoch” oder „falsch niedrig” sein kann. So steigen die HbA1c-Werte mit dem Alter leicht an, sodass der Referenzbereich für „normale” Werte bei Menschen über 60 Jahre bis über 6 % reicht. Auch Anämien, wie etwa Eisenmangelanämie, Folsäure- oder Vitamin-B12-Mangelanämien, können zu falsch hohen HbA1c-Werten führen, während Hämoglobinopathien den Wert in beide Richtungen beeinflussen können. Insbesondere eine Thalassämia minor kann den HbA1c-Wert verfälschen. Es empfiehlt sich daher, auch Glukosewerte und Glukoseverläufe zu berücksichtigen. Falsch niedrige Werte können immer dann auftreten, wenn der Erythrozyten-Turnover erhöht ist, wie etwa bei hämolytischen Anämien, Blutverlust oder Bluttransfusion. Weiterhin ist im Praxisalltag klinisch relevant, dass auch Begleiterkrankungen wie die chronische Nierenerkrankung („chronic kidney disease”, CKD) mit Niereninsuffizienz oder chronische Lebererkrankungen mit Leberinsuffizienz die HbA1c-Werte verfälschen können.

Sekundärkomplikationen immer umfangreicher

Zudem ist festzuhalten, dass die Sekundärkomplikationen im Zusammenhang mit T2D in den letzten Jahren deutlich umfangreicher geworden sind. Zusätzlich zu den bekannten mikrovaskulären Komplikationen wie die diabetische Nierenerkrankung, diabetische Retinopathie und periphere Neuropathie und den makrovaskulären Komplikationen wie Schlaganfall, koronare Herzkrankheit und Herzversagen sowie periphere Gefäßerkrankungen sind heute weitere Sekundärkomplikationen bekannt, darunter Demenz, kognitive Behinderungen, funktionelle Behinderungen, affektive Störungen, obstruktive Schlafapnoe, Lebererkrankungen sowie Krebs und Infektionen. Auch wenn angesichts der Fülle an Sekundärkomplikationen deren Berücksichtigung zunächst komplex erscheint, so lässt sich mit einem strukturierten Vorgehen im Praxisalltag eine ganzheitliche, auf den Patienten ausgerichtete Therapieplanung dennoch leicht umsetzen, wie anhand der folgenden Fälle aufgezeigt wird.

Fall 1: Kardiorenale Risiken erkennen

Im Rahmen einer Routinekontrolle einer 58-jährigen Frau (Body-Mass-Index, BMI: 25 kg/m2) mit einem seit sieben Jahren bestehenden T2D sowie Hypertonie und Hypercholesterinämie ergibt die Laboruntersuchung einen HbA1c-Wert 7,2 %, Nüchternblutzucker 134 mg/dl, LDL-Cholesterin 106 mg/dl, eine geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (estimated Glomerular Filtration Rate, eGFR) von 59 ml/min sowie einen in der Praxis gemessenen Blutdruck von 145/85 mmHg. Ansonsten zeigt sich ein unauffälliger Untersuchungsbefund, lediglich auf Nachfrage gibt sie an, das Treppensteigen sei „ein bisschen schwieriger”. Die bisherige Therapie umfasst einen Dipeptidylpeptidase-4-(DPP4-) Antagonisten, Metformin, einen Lipidsenker sowie ein Blutdruckmedikament. Auch wenn auf den ersten Blick kein akut dringender Handlungsbedarf besteht, so empfiehlt sich dennoch zur Abschätzung ihres Risikoprofils eine genauere Fokussierung auf ihre drei wesentlichen Risikofaktoren: Blutdruck, Lipidstoffwechsel und Blutzucker. Die aktualisierte ESH-Leitlinie Hypertonie empfiehlt, den systolischen Blutdruck für alle Patienten zwischen 18 und 64 Jahren auf zwischen 120 und 130 mmHg einzustellen. Daher sollte aufgrund des unter Praxisbedingungen erhöhten Blutdruckes eine Langzeitblutdruckkontrolle oder eine Blutdruckwoche mit einem standardisierten Oberarmmessgerät (korrekte Manschettengröße, korrekte Manschettenposition) erfolgen. Bestätigt sich der Hinweis auf erhöhte Werte, so empfiehlt sich eine Anpassung der Hypertoniemedikation. Hinsichtlich des Blutzuckers könnte der HbA1c-Wert von 7,2 % zwar noch toleriert werden. Um das kardiovaskuläre Risiko besser abschätzen zu können, wäre allerdings zusätzlich die Erhebung des postprandialen Blutzuckerwertes wichtig. Bezüglich des Lipidstoffwechsels wird gemäß Leitlinie bei T2D mit moderater Niereninsuffizienz (eGFR 30 bis 59 ml/min) ein Zielwert von 70 mg/dl LDL-Cholesterin empfohlen. Zur präzisen Abschätzung ihres renalen Risikoprofils fehlt allerdings noch ein weiterer wichtiger Laborparameter.

Nierenfunktion im Blick haben!

Neben T2D ist arterieller Bluthochdruck einer der Risikofaktoren für eine chronische Niereninsuffizienz. Eine regelmäßige Überprüfung der Nierenfunktion bei Betroffenen ist daher wesentlich. Zur Beurteilung der Nierenfunktion und des kardiovaskulären Risikos ist deshalb bei Patienten mit T2D – neben der Erhebung der eGFR – auch eine regelmäßige, mindestens einmal jährliche Erfassung des Albumin-Kreatinin-Quotienten im Urin („Urine Albumin Creatinin Ratio”, UACR) empfehlenswert. Dieser sollte im Morgenurin oder Spontanurin in der Praxis bestimmt werden. Die Prävalenz einer Albuminurie ist hoch: Sie liegt bei der Hälfte der Patienten mit einem Diabetes mellitus vor, ebenso bei 40 % der Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen und bei 20 % der Patienten mit arterieller Hypertonie. Wesentlich ist, zur Abschätzung der Nierenfunktion immer beide Parameter, d. h. UACR und eGFR, zu erfassen. Vereinfacht ausgedrückt, zeigt der eGFR an, wie weit ein Patient noch von der Dialyse entfernt ist, während der UACR zeigt, wie schnell die Erkrankung dorthin voranschreitet. Mithilfe der 18-Felder-Tafel der „Kidney Diseases: Improving Global Outcomes” (KDIGO) können schließlich anhand der beiden Werte der vorliegende Nierenschaden klassifiziert und die damit verbundenen Mortalitätsrisiken abgeschätzt werden, um die Therapie gegebenenfalls anzupassen. Im Fall der 58-jährigen Patientin ergibt sich eine Nierenfunktionseinschränkung Grad 3a. Es besteht somit nicht nur das Risiko einer weiteren Verschlechterung ihrer Nierenfunktion, sondern auch ein Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung. Die Therapie sollte daher entsprechend den Empfehlungen der KDIGO-Leitlinie angepasst werden. Diese sieht bei Patienten mit T2D und Nephropathie zusätzlich zu Lebensstillmaßnahmen die Gabe von „sodium glucose transporter 2”-Inhibitoren (SGLT2i) und Metformin als medikamentöse Erstlinientherapie vor. Bei persistierender Albuminurie oder um ein individuelles glykämisches Ziel zu erreichen, ist die Gabe von Glucagon-like-Peptide-1-Rezeptoragoniste (GLP-1-RA) indiziert. Patienten profitieren deutlich von dieser multifaktoriellen Therapie, da diese das Risiko für das Voranschreiten der Nierenerkrankung bis hin zur Niereninsuffizienz und Dialyse ebenso senken können wie kardiovaskuläre Erkrankungen oder vorzeitiger Tod.

Fall 2: Stoffwechselentgleisung – Basalinsulin

Auch bei unserem nächsten Patienten, einem 65-jährigen Mann, wird die Niere durch zwei Erkrankungen belastet: Seit über 20 Jahren besteht eine arterielle Hypertonie, vor drei Jahren wurde ein T2D festgestellt. Zusätzlich besteht eine Hyperlipidämie sowie eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK), zudem kam es vor drei Jahren zu einer Nierenarterienstenose mit Stentdilatation. Insgesamt liegt somit eine manifeste kardiovaskuläre Erkrankung vor – und dies auf der Grundlage eines langjährigen Nikotinabusus. Zudem hat der Patient deutlich an Gewicht zugelegt (BMI: 36,7 kg/m2), seitdem er das Rauchen sechs Monate vor der Überweisung aufgegeben hat. Bei Vorstellung war der HbA1c-Wert unter seiner bisherigen Therapie (Metformin 2500 mg/Tag) auf 11,7 %, angestiegen – auch als Folge seiner ungesunden Ernährung. Der Nüchternblutzucker lag bei 246 mg/dl, das LDL-Cholesterin bei 70 mg/dl und die eGFR bei 66,2 ml/min. Die UACR-Messung ergab einen hochpathologischen Wert von 117 mg/g. Um bei dieser entgleisten Stoffwechselsituation mit einem HbA1c-Wert von über 11 % rasch eine Stabilisierung zu erreichen, ist eine Insulintherapie indiziert. Eine gute Einstiegsmöglichkeit bietet die Gabe eines Basalinsulins in Kombination mit der bestehenden Vortherapie. Dabei wird davon ausgegangen, dass die durch Basalinsulin unterstützte antidiabetische Therapie pathophysiologisch zu einer Entlastung der Betazellen mit Verbesserung der körpereigenen Insulinsekretion auch zu den Mahlzeiten und damit insgesamt zu einer Verbesserung des Blutzuckertagesprofils führt sowie auch wieder zu einer besseren Wirkung der oralen Antidiabetika führt. Um dem Patienten den Beginn der Insulintherapie zu erleichtern, wurde mit Insulin degludec ein lang wirksames Basalinsulin mit einem sehr gleichmäßigen Wirkspiegel verordnet. Aufgrund der hohen Stabilität der Wirkspiegel kann die Insulininjektion von Insulin degludec bei Bedarf auch verschoben werden (Mindestabstand zwischen den Injektionen: acht Stunden), was die Handhabbarkeit im Alltag für die Patienten deutlich verbessert und eine Anpassung an individuelle Lebenssituationen ermöglicht. Auch unserem Patienten hat dies den Einstieg in die Insulintherapie erleichtert. Begonnen wurde mit einer Startdosis von zehn Einheiten, die zweimal pro Woche um jeweils zwei Einheiten angepasst wurde, bis sein individueller Zielwertbereich des Nüchternblutzuckers von unter 150 mg/dl erreicht wurde. Zusätzlich wurde aufgrund der bestehenden chronischen Nierenerkrankung Grad 3a der SGLT2i Empagliflozin verordnet. Darüber hinaus wurde erstmals auch eine Diabetesschulung veranlasst, die bei vielen Patienten zu einem besseren Verständnis der Erkrankung beiträgt und daher möglichst rasch nach Diagnosestellung erfolgen sollte. Bei der Kontrolluntersuchung drei Monate später gab der Patient an, der Blutzucker sei deutlich gesenkt und Hypoglykämien seien nicht aufgetreten. Aufgrund der guten Blutzuckereinstellung habe er den SGLT2i zwischenzeitlich weggelassen. Die Laborkontrolle ergab u. a. einen nach wie vor pathologisch erhöhten UACR von fast 100 mg/g. Dem Patienten wurde daraufhin verdeutlicht, dass der SGL-T2i aufgrund seiner chronischen Nierenerkrankung und seines kardiovaskulären Risikos zwingend erforderlich ist – unabhängig von der Blutzuckerkontrolle. Aufgrund des Alters und der Schwere der Nierenproblematik wurde zudem ein nicht steroidaler Mineralokortikoid-Rezeptorantagonist (nsMRA) verordnet, der zur Behandlung von Diabetes und chronischer Nierenerkrankung zugelassen ist und das Risiko für eine terminale Niereninsuffizienz um 20 % reduzieren kann. Zusätzlich stimmte der Patient nun auch einer Intensivierung der Lipidtherapie zu. Eine erneute Überprüfung ergab eine sehr gute Blutzuckerkontrolle (HbA1c 6,7 %) sowie einen deutlichen Rückgang der Albuminurie (Reduktion UACR von 100 mg/g auf 31 mg/g).

Fall 3: Herzinsuffizienzrisiko und KHK im Blick haben

Auch unser nächster Patient, ein 61-jähriger Mann (Raucher) mit einem seit neun Jahren bekannten T2D und abdomineller Adipositas (BMI 30 kg/m2), ist ein Risikopatient, der neben T2D an arterieller Hypertonie und einer Fettstoffwechselstörung (LDL-Cholesterin 106 mg/dl) leidet. Die Nierenfunktion ist gut (eGFR 89 ml/min; UACR <30mg/g). Die Blutzuckereinstellung unter seiner bisherigen Therapie (DPP-4-Antagonist und Metformin) sollte allerdings angepasst werden (HbA1c-Wert 7,9 %). Im Rahmen des strukturierten Vorgehens ergibt die Anamnese eine Belastungsdyspnoe sowie abendliche periphere Ödeme, die beide Hinweise für eine Herzinsuffizienz darstellen und daher eine kardiale Abklärung inklusive gegebenenfalls Bildgebung und Erhebung des NT-proBNP-Wertes („N-terminal pro-brain natriuretic peptide”, NT-proBNP) zur Abschätzung einer möglichen Herzinsuffizienz erfordern. Ebenso sollten auch eine erektile Dysfunktion, pathologische Strömungsgeräusche sowie eine Claudicatio intermittens als Hinweise für das Vorliegen einer KHK und möglicherweise einer Herzinsuffizienz sowie einer pAVK immer ernst genommen werden und eine genauere diagnostische Abklärung inklusive Therapieanpassung nach sich ziehen. In dem Fall unseres Patienten würden wir – zusätzlich zur Intensivierung der Statintherapie und der Gabe von Betablockern und Acetylsalicylsäure – auch die Blutzuckerkontrolle unter Berücksichtigung seiner zusätzlichen Risikofaktoren mithilfe moderner Antidiabetika optimieren. Bei dem Fokus einer eher vaskulären Herzerkrankung würden wir den DDP4-Anatagonisten absetzen und durch einen GLP-1-RA ersetzen, bei dem Fokus einer Herzinsuffizienz würden wir einen SGLT2i geben. Viele Patienten profitieren allerdings aufgrund ihrer vielfältigen Begleiterkrankungen auch von beiden Wirkstoffklassen.

Diabetes, KHK und Herzinsuffizienz

Generell ist bei Patienten mit T2D immer zu bedenken, dass ein deutlich erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen besteht und auch eine Herzinsuffizienz bei ihnen doppelt so häufig auftritt wie bei Personen ohne Diabetes. Selbst bei fehlenden oder stabil eingestellten Risikofaktoren weisen Patienten mit T2D ein um 45 % erhöhtes Risiko für eine Herzinsuffizienz auf. Umgekehrt besteht bei Patienten mit der Erstdiagnose einer KHK mit hoher Wahrscheinlichkeit zusätzlich auch ein bislang unbekannter Diabetes, der mittels Screeninguntersuchung sorgfältig abgeklärt und behandelt werden sollte. So wiesen etwa in der Euro Heart Survey 68 % der 4196 Patienten mit KHK eine anormale Glukoseregulation auf. Nur bei 31 % dieser Patienten war der Diabetes zuvor bekannt, bei 22 % wurde ein Diabetes neu diagnostiziert.

Fall 4: Deeskalation – GLP-1-RA statt Insulin

Im Praxisalltag geht es allerdings nicht immer nur darum, die Therapie zu intensivieren, auch eine Deeskalation kann der richtige Schritt sein: Gemäß Leitlinie sollten bei Nichterreichen der bisher vereinbarten Therapieziele vor jeder Therapieeskalation die Ursachen evaluiert und eine Therapiedeeskalation oder eine Veränderung der Therapiestrategie geprüft werden. Dies zeigt auch unser nächster Fall: Seit fünf Jahren wird der 56-jährige Lkw-Fahrer (BMI 37,5 kg/m2), Raucher seit seinem 17. Lebensjahr, wegen T2D behandelt. Zusätzlich besteht eine langjährige, mäßig eingestellte Hypertonie sowie hypertensive Herzkrankheit mit linksventrikulärer Hypertrophie. Weiterhin liegen eine Koronarsklerose und eine deutliche, beidseitige Karotissklerose (jeweils ohne Stenose) vor. Nach initialer Metformin-Therapie wurde 2021 zusätzlich ein SGLT2i verordnet. Im Juli 2022 wurde aufgrund eines HbA1c-Wertes von >8 % von einem diabetologischen Kollegen die Entscheidung zum Beginn einer zusätzlichen Insulintherapie mit zwölf Einheiten Neutral-Protamin-Hagedorn-(NPH-)Insulin getroffen. Zum Zeitpunkt der Zuweisung erhielt er eine Dosis von 24 Einheiten NPH-Insulin zur Nacht. Der Patient beklagt eine Gewichtszunahme von ca. 5 kg und weist einen HbA1c-Wert von 10,1 % auf, sowohl LDL-Cholesterin (112 mg/dl) als auch eGFR (159 mg/dl) liegen nicht im Zielbereich. Auch der UACR-Wert liegt im pathologischen Bereich (110 mg/g). Um zu überprüfen, ob eine Insulintherapie aufgrund eines „latent autoimmune diabetes in adults” (LADA) bei diesem Patienten zwingend erforderlich ist – auch wenn ein Typ-1-Diabetes bei diesem hohen BMI eher unwahrscheinlich ist –, wurde der GAD-Antikörper (GAD, Glutamatdecarboxylase) bestimmt (negativ).

C-Peptid-Glukose-Ratio

Ein praktikabler Parameter zur Abschätzung der Insulinsekretion/Insulinresistenz und damit zur Einschätzung des Insulinbedarfes bei Diabetikern ist die nüchterne C-Peptid-Glukose-Ratio (CGR). Sehr kleine CGR-Werte <2 zeigen einen Insulinbedarf an, während bei Werten ≥5 in der Regel eine endogene Insulinsekretion erhalten und eine Insulintherapie daher nicht erforderlich ist. Wesentlich ist, dass C-Peptid sowie Nüchternglukose anhand der gleichen Blutprobe nüchtern bestimmt werden. Zudem ist die CGR nur beschränkt aussagekräftig bei eingeschränkter Nierenfunktion (GFR <50 ml/min/1,73m2), bei einer Nüchternglukose von unter 70 mg/dl oder über 250 mg/dl sowie bei hochdosierter exogener Insulintherapie, bei der das C-Peptid supprimiert sein kann (falsch niedrige CGR-Werte möglich). In dem Fall des 56-jährigen Patienten liegt eine CGR von 5,88 vor, das heißt, bei diesem Patienten ist keine Insulintherapie erforderlich und eine Deeskalation kann versucht werden. Der Patient erhielt eine (bislang versäumte) Diabetesschulung nach MEDIAS2-Basis, das NPH-Insulin wurde abgesetzt und stattdessen zusätzlich zu Metformin und dem SGLT2i Empagliflozin noch der GLP-1-RA Dulaglutid (1,5 mg/Woche) verordnet. Schon innerhalb eines Quartals wurde mit dieser Vorgehensweise der HbA1c-Wert (von 10,1 %) auf 6,5 % reduziert und seither beibehalten. Auch der Blutdruck verbesserte sich. Zudem hat der Patient signifikant an Gewicht verloren – zum einen durch das Absetzen der Insulintherapie, zum anderen durch die zusätzliche Gabe eines lang wirkenden GLP-1-RA. Auch eine Beobachtungsstudie zeigt, dass Patienten mit Typ-2-Diabetes von einer Kombinationstherapie aus SGLT2i und GLP-1-RA profitieren können

Fall 5: Wechsel auf lang wirksames Insulin plus GLP-1-RA

Unser letzter Patient, ein 64-jähriger Mann mit einem BMI von 32 kg/m2, weist ebenfalls zahlreiche Komorbiditäten auf: Neben einem seit neun Jahren bekannten T2D besteht eine Hyperlipidämie, eine Hypertonie, eine KHK und eine Herzinsuffizienz „New York Heart Association” (NYHA) Grad 2 sowie eine Niereninsuffizienz Stadium 2. Eine Ultraschalluntersuchung ergab zudem eine Steatosis hepatis. Zur Kontrolle des Blutzuckers erhält er bislang eine basal unterstützte orale Therapie (BOT), die Metformin, den SGLT2i Dapaglifozin und das Basalinsulin umfasst. Unter dieser Therapie traten bereits zweimal nächtliche Hypoglykämien auf; der HbA1c-Wert liegt mit 7,9 % noch zu hoch. Im Fokus unserer strukturierten Vorgehensweise stehen: (1) eine Optimierung des Blutzuckers, (2) die Vermeidung nächtlicher Hypoglykämien, (3) die Reduktion der Adipositas, die neben der psychischen Belastung auch ein Risikofaktor für zahlreiche Erkrankungen ist, sowie (4) eine vaskuläre Risikominimierung. Aufgrund seiner Vorerkrankungen und zur Vermeidung weiterer Hypoglykämien wurden Insulin glargin gegen das lang wirkende Insulin degludec ausgetauscht und zusätzlich ein GLP-1-RA verordnet. Dafür sprechen die Ergebnisse der randomisierten, verblindeten Head-to-Head-Studie DEVOTE. Diese bestätigte die kardiovaskuläre Sicherheit von Insulin degludec und ergab eine 40 % niedrigere Rate an schweren Hypoglykämien sowie eine 53 % niedrigere Rate nächtlicher schwerer Hypoglykämien bei vergleichbaren HbA1c-Werten.

Leber im Blick – vaskuläres Risiko und Adipositas reduzieren

Weiterhin gilt es bei diesem Patienten aufgrund der Steatosis hepatis, auch die Leber bei der Therapieplanung zu berücksichtigen. Generell liegt die Prävalenz einer metabolisch assoziierten steatotischen Lebererkrankung (MASLD; gemäß früherer Nomenklatur: nicht alkoholische Fettlebererkrankung, NAFLD) bei Patienten mit T2DM bei 70 %. Patienten mit einer MASLD haben eine erhöhte Gesamtmortalität, die vor allem auf kardiovaskuläre Erkrankungen, Tumorerkrankungen und eine Progression der Lebererkrankung bis hin zum Karzinom zurückzuführen ist. Dabei ist festzuhalten, dass kardiovaskuläre Erkrankungen in der NAFL eine häufigere Todesursache sind als leberbedingte Komplikationen. Gleichzeitig gilt die NAFL als ein unabhängiger kardiovaskulärer Risikofaktor und ist ein Prädiktor für die Entwicklung eines T2D. Ein wichtiger Prädiktor der Mortalität bei NAFL ist der Grad der Leberfibrose, wobei fortgeschrittene Fibrosen anhand des FIB4-Scores (Fibrose-Score aus vier Werten) identifiziert werden können. Die im vorliegenden Fall zusätzliche Verordnung eines GLP-1-RA zielt darauf ab, das vaskuläre Risiko zu minimieren und die Adipositas deutlich zu verbessern. Zudem kann durch den GLP-1-RA möglicherweise auch die Insulingabe zukünftig weiter reduziert werden.

Multiple Risikofaktoren berücksichtigen – Lebenserwartung steigern

Insgesamt stehen heute somit bei der Therapie des T2D zusätzlich zur Blutzuckerkontrolle und dem Gewichtsmanagement auch das Verhindern von Folgeerkrankungen im Fokus. Gelingen kann dies durch den (kombinierten) Einsatz moderner Wirkstoffe und die multimodale Kontrolle der kardiovaskulären Risikofaktoren. So haben Studien für bestimmte Präparate aus den Wirkstoffklassen der GLP-1-RA und der SGLT2i eine umfassende Evidenz für die Reduktion schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse geliefert. Substanzen beider Wirkstoffklassen senken den Blutzucker sowie das Gewicht effektiv, haben einen positiven Effekt auf den Blutdruck und zeigen neben einer Endpunktreduktion bezüglich schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse oder kardiovaskulärer Mortalität auch positive Effekte auf umfangreiche renale Endpunkte. Dabei wiesen insbesondere SGLT2i ausgeprägte Effekte auf harte renale Endpunkte sowie positive Effekte bei Patienten mit Herzinsuffizienz auf, während GLP-1-RA aufgrund ihrer vermutlich pleiotropen antiatherosklerotischen Effekte eine Reduktion zerebraler Ischämien aufwiesen. Selbst bei einem bislang stabil eingestellten Blutzucker empfiehlt es sich daher – losgelöst von der Frage des HbA1c-Wertes –, immer auch die sekundären Komplikationen zu bedenken und die Therapie gegebenenfalls durch ein Medikament oder eine Kombination geeigneter Medikamente dieser beiden Wirkstoffklassen anzupassen, um das Risiko von Folgekomplikationen zu reduzieren.

Nebenwirkungen beachten und darüber aufklären

Im Praxisalltag gilt es auch, über mögliche Nebenwirkungen von SGLT2i und GLP-1-RA aufzuklären und mögliche Maßnahmen zu erläutern, um eine gute Adhärenz zu unterstützen. Wichtige Nebenwirkungen bei SGLT2i sind die Hypovolämie, die Ketoazidose und Genitalinfektionen. Zur Vermeidung Letzterer sollte Patienten präventiv eine tägliche Intimhygiene empfohlen und im Falle einer begleitenden Infektion lokal behandelt werden. Im Fall von Gastroenteritiden, schweren akuten Erkrankungen oder größeren operativen Eingriffen, die allesamt das Dehydratationsrisiko erhöhen, sollte der SGLT2i pausiert werden. GLP-1-RA sind in der Regel gut verträglich, allerdings können – meist nur temporäre – gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit auftreten. Gerade für die ersten Therapiewochen sollte Patienten daher empfohlen werden, bewusst kleinere Portionen und nur bis zum Sättigungsgefühl zu essen, auf fettreiche sowie stark gewürzte Speisen zu verzichten und auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten.

Fazit

  • Der Hausarzt nimmt bei der Therapie und Diagnostik von Typ-2-Diabetes eine Schlüsselrolle ein.
  • Die moderne Diabetestherapie orientiert sich an der Gesamtsituation des Patienten und zielt auf das Verhindern von Komplikationen.
  • Bei Patienten mit bekannten kardiovaskulären Erkrankungen sollen GLP-1-RA oder/und SGLT2i vor dem Hintergrund der kardiovaskulären Risikoreduktion eingesetzt werden.
  • Zum Therapieeinstieg in die Insulintherapie eignen sich gut lang wirkende Basalinsuline, da sie aufgrund ihres flachen und stabilen Wirkprofils und der längeren Wirkdauer den Insulinbedarf gut abdecken und gut von den Patienten anwendbar sind.
  • Durch strukturiertes Vorgehen und eine multifaktorielle Therapie kann das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, Niereninsuffizienz und Dialyse oder vorzeitigen Tod deutlich gesenkt werden.

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