Therapie des Typ 2 Diabetes in der hausärztlichen Praxis

Die Zahl der Menschen mit Diabetes mellitus steigt stetig. Eine möglichst frühzeitige Diagnose ist entscheidend, um durch Einsatz moderner Therapieoptionen die Stoffwechsellage zu stabilisieren und Folgeerkrankungen zu vermeiden. Dabei hat bezüglich der Pharmakotherapie in den letzten Jahren, auch aufgrund moderner Wirkstoffe, zunehmend ein patientenorientierter Ansatz durchgesetzt. Insbesondere die Reduktion kardiovaskulärer und renaler Risiken stehen heute bei der Festlegung der Therapieziele und der Wirkstoffwahl neben der Blutzuckersenkung im Fokus.

Erfahren Sie hier, u.a. anhand von vier Fallbeispielen, welche Risikofaktoren und Komorbiditäten bei der Therapieplanung eines Patienten mit Typ-2-Diabetes beachtet und welche Behandlungsstrategie je nach Risikoprofil leitliniengerecht umgesetzt werden sollten.


Kursinfo
VNR-Nummer 2760709123099100019
Zeitraum 09.12.2023 - 08.12.2024
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte 2 Punkte (Kategorie D)
Zielgruppe Ärzte
Referent Dr. med. Petra Sandow
Dr. med. Marcel Kaiser
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Webinar
Lernmaterial Vorträge, Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Novo Nordisk Pharma GmbH
Bewertung 4.4 (648)

Einleitung

Derzeit sind in Deutschland etwa 8,5 Millionen Menschen von einem Diabetes mellitus betroffen, das heißt, die Inzidenz für diese Erkrankung liegt schon heute bei etwa 10 % – und jährlich kommen etwa eine halbe Million neu diagnostizierte Fälle hinzu. Bis zum Jahr 2040 ist daher bei gleichbleibender Entwicklung zu erwarten, dass in Deutschland etwa 12,3 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt sein werden. Dabei handelt es sich in der überwiegenden Mehrheit der Fälle um einen Typ-2-Diabetes. Auch wenn die Quote eines unbekannten Diabetes an der Gesamtprävalenz rückläufig ist, ist nach wie vor von einer relativ hohen Dunkelziffer auszugehen. So wird vermutet, dass in Deutschland etwa zwei Millionen Menschen mit einem (noch) nicht diagnostizierten Diabetes mellitus leben.

Versorgung vorwiegend in hausärztlicher Praxis

Angesichts dieser Fallzahlen wird deutlich, dass die breite Masse der Patienten mit Diabetes nicht in diabetologischen Schwerpunktpraxen versorgt werden kann, sondern zweifellos hausärztlich begleitet werden muss. Aktuell werden etwa 80 bis 90 % der Menschen mit Diabetes in Haus- oder Allgemeinarztpraxen betreut. Umgekehrt bedeutet dies, dass im Durchschnitt jeder Hausarzt oder jede Hausärztin ca. 100 Patienten mit Diabetes betreut, darunter zwei bis fünf Menschen mit Typ-1-Diabetes. Dementsprechend erfolgen Erstdiagnose eines Diabetes und Therapiebeginn sowie oftmals auch eine langjährige Betreuung in der Regel in der hausärztlichen Praxis. Etwa die Hälfte der Patienten mit Typ-2-Diabetes wird in Deutschland mit oralen Antidiabetika behandelt, etwa eineinhalb Millionen Patienten mit Insulin.

Kardiovaskuläre Veränderungen und Multimorbidität

Allerdings vergehen im Mittel noch etwa acht Jahre zwischen dem ersten Auftreten pathologischer Blutzuckerwerte und einer Diagnosestellung – mit weitreichenden Folgen für den Patienten. Denn schon ein Prädiabetes kann zu einem chronischen Entzündungsstatus führen – häufig über Jahre hin unbemerkt – und in der Folge mikro- und makrovaskuläre Schäden hervorrufen. Zudem können auch bereits zugrunde liegende Schlüsselfaktoren des metabolischen Syndroms wie Adipositas, mangelnde Bewegung, hohe Blutfettwerte und arterielle Hypertonie langfristig das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, atherosklerotische Erkrankungen sowie auch mikrovaskulärer Komplikationen steigern. Aufgrund des ungünstigen Einflusses einer länger währenden Glukosestoffwechselstörung auf verschiedene Organsysteme, insbesondere auf das Herz-Kreislauf- und das Nervensystem, weisen Diabetespatienten im Vergleich zu Patienten ohne Diabetes ein erhöhtes Risiko für Multimorbidität auf.

Möglichst frühzeitige Diagnosestellung – Folgeerkrankungen vermeiden

Eine möglichst frühzeitige Diagnosestellung eines Diabetes ist daher wünschenswert, um durch ein frühes Eingreifen mit modernen Therapieoptionen den Diabetes gut zu behandeln und idealerweise das Auftreten weiterer Komplikationen und Folgeerkrankungen hinauszuzögern oder gar zu verhindern. Allerdings wird ein Diabetes oftmals erst durch die Diagnose von Folgeerkrankungen wie Augenerkrankungen, Nierenerkrankungen, polyneuropathischen Erkrankungen und vor allem Makroangiopathien entdeckt – und zwar dann, wenn mikro- und makrovaskuläre Schädigungen schon vorangeschritten sind. Umgekehrt ist dementsprechend bei der Behandlung von Patienten mit Diabetes unbedingt zu beachten, dass diese deutlich häufiger Mikro- und Makroangiopathien aufweisen als Menschen ohne Diabetes. So leiden 40 % der Patienten mit Diabetes an kardio- und zerebrovaskulären Erkrankungen, während dies nur bei 24 % der Menschen ohne Diabetes der Fall ist. Auch Nierenerkrankungen treten bei Patienten mit Diabetes deutlich häufiger auf als bei Menschen ohne Diabetes (16 % vs. 5 %).

Wichtig: Verdachtsmomente ernst nehmen

Um die möglichst frühzeitige Diagnose eines Diabetes sicherzustellen, empfiehlt es sich, Befunde in der täglichen Praxis, die auf einen Diabetes hindeuten können, ernst zu nehmen und ein Screening auf einen Typ-2-Diabetes einzuleiten. Dazu zählen etwa manifeste kardiovaskuläre Erkrankungen oder das Vorliegen von Übergewicht in Kombination mit weiteren Risikofaktoren wie z. B. Hypertonie oder Fettstoffwechselstörungen. Wesentliche Hinweise für ein hohes Diabetesrisiko kann auch eine positive Familienanamnese liefern. Zunehmend häufiger ist auch ein Gestationsdiabetes zu beobachten, der ein sehr hohes Progressionsrisiko zum manifesten Typ-2-Diabetes hat. Auch Patientinnen mit einem Polyzystischen Ovarsyndrom (PCO) haben ein höheres Risiko für einen Typ-2-Diabetes. Ebenso sollten plötzlich auftretende Sehstörungen als Hinweis für einen zugrunde liegenden Diabetes ernst genommen werden und ein Diabetes-Screening nach sich ziehen.

Pharmakotherapie – vom glukozentrischen zum patientenorientierten Ansatz

Hinsichtlich der Ziele einer Pharmakotherapie hat sich im letzten Jahrzehnt ein Wandel vollzogen, weg von einer ausgeprägten Fokussierung auf eine Blutzuckersenkung hin zu einem Ansatz, der zunehmend den gesamten Patienten im Blick hat. So wurden zunächst die Vermeidung von Hypoglykämien und Gewichtszunahme als wichtige Therapieziele neben der Blutzuckersenkung in die internationalen Leitlinien integriert. In den letzten Jahren wurde der Fokus – auch aufgrund der positiven Datenlage großer Studien zu modernen Wirkstoffen – noch weiter verbreitert und zunehmend auf die Einbeziehung von Komorbiditäten gelenkt. Insbesondere die kardiovaskuläre und die renale Situation des Patienten sollten neben der Blutzuckersenkung bei der Wirkstoffwahl und der Festlegung der Therapieziele berücksichtigt werden, um dem metabolischen Strudel, in den der Patient aufgrund der komplexen Pathophysiologie der Erkrankung hineingerät, entgegenzuwirken.

Therapieziele je nach Risikofaktoren festlegen

Dies hat auch Eingang in die Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes gefunden, die vorsieht, dass – nach Ausschöpfen und unter Beibehaltung der nicht medikamentösen Basistherapie – eine Pharmakotherapie unter Berücksichtigung individueller Therapieziele erfolgen soll. Dazu gilt es in der Praxis, den gesamten Patienten im Blick zu haben, einschließlich vorliegender Komorbiditäten und Risikofaktoren. Bei der Festlegung der Therapie ist zunächst eine Abschätzung des Risikos für diabetesassoziierte kardiovaskuläre und/oder renale Ereignisse vorzunehmen. Zur Risikoeinschätzung werden z. B. das (biologische) Lebensalter, Geschlecht, die Diabetesdauer, Lebensstil/Ernährung/Bewegung und eine familiäre/genetische Disposition herangezogen, wie auch die kardiovaskulären Risikofaktoren Hypertonie, Dyslipidämie und Adipositas. Weiterhin sehr wichtig ist die Berücksichtigung der renalen Situation. Eine sinkende geschätzte glomeruläre Filtrationsrate („estimated Glomerular Filtration Rate”, eGFR) ist ein kardinaler Risikoindikator, da diese Patienten ein höheres kardiovaskuläres Risiko haben. Gleiches gilt für eine Albuminurie sowie auch für kardiologische Veränderungen wie etwa eine linksventrikuläre Hypertrophie, bekannte oder manifeste Atherosklerose und subklinische kardiovaskuläre Erkrankungen. Für Patienten ohne hohes Risiko erfolgt der Therapieeinstieg mit Metformin als Monotherapie. Ein typisches Beispiel aus dem klinischen Alltag wären etwa Frauen unter 60 Jahren mit einer Diabetesdauer von fünf bis zehn Jahren, ohne weitere Organmanifestation und einem geringen kardiovaskulären Risiko. Bei Patienten mit einer klinisch manifesten kardiovaskulären Erkrankung, wie z. B. einer zerebralen Ischämie, muss Metformin immer mit einem risikoreduzierenden weiteren Wirkstoff, d. h. einem „Glucagon-like-peptide-1”-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) oder einem „Sodium-dependent-glucose-co-transporter-2”-Inhibitor (SGLT2-Inhibitor) kombiniert werden. Bei Patienten mit hohem Risiko, aber ohne klinisch manifeste kardiovaskuläre Erkrankung, ist abzuwägen, ob Metformin als Monotherapie oder in Kombination mit SGLT2-Inhibitor oder GLP-1-RA eingesetzt werden soll. So haben bestimmte Präparate aus den Wirkstoffklassen der GLP-1-RA und SGLT2-Inhibitoren in kardiovaskulären Outcome-Studien eine umfassende Evidenz zur Reduktion schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse geliefert. GLP-1-RA und SGLT2-Inhibitoren fußen auf unterschiedlichen Wirkmechanismen, wobei beide Therapieprinzipien neben einer effektiven Blutzuckersenkung auch das Gewicht senken und einen positiven Effekt auf den Blutdruck haben. Beide Therapieprinzipien zeigten neben kardioprotektiven auch positive renale Effekte, dabei insbesondere die SGLT2-Inhibitoren auf harte renale Endpunkte bzw. die Reduktion der schweren Nierenerkrankung. Wie diese Erkenntnisse im Praxisalltag umgesetzt werden können, verdeutlichen einige Fallbeispiele.

Fallbeispiel 1: Doris D., 75 Jahre

Vor zwölf Jahren erhielt Doris D., 75 Jahre, die Diagnose Typ-2-Diabetes. Sie hat das Rauchen aufgegeben, ist allerdings bewegungsarm und verbringt ihre Tage gern auf dem Sofa. Zusätzlich zum Diabetes weist die Patientin zwar keine wesentlichen renalen Risikofaktoren, aber ein umfangreiches kardiovaskuläres Risikoprofil auf: Eine seit Längerem bestehende Hypertonie und eine Hyperlipidämie werden medikamentös behandelt und sind gut eingestellt. Müdigkeit und Brustschmerz seit sechs Monaten deuten zudem auf eine Atherosklerose hin; ihre Mutter verstarb mit 81 Jahren an einem Schlaganfall. Zur Therapie des Typ-2-Diabetes erhält die Patientin Metformin und Sitagliptin. Doch obwohl sie sich an ihren Medikationsplan hält, ist ihr HbA1c-Wert weiter angestiegen und liegt derzeit bei 8,8 %. Die Patientin fühlt sich nicht wohl, ihr Alltag gestaltet sich zunehmend schwer, und sie spürt einen typischen Leistungsknick, der die Betreuung ihrer drei Enkel erschwert. Außerdem macht sie sich Sorgen um den ansteigenden HbA1c-Wert. Wie könnte die Therapie leitliniengerecht angepasst werden? Aufgrund des hohen HbA1c-Wertes ist bei der inzwischen 75-jährigen Patientin eine weitere Therapieintensivierung erforderlich. Dabei stehen zwei Ziele im Vordergrund – und zwar eine bessere glykämische Einstellung zu erreichen und das kardiovaskuläre Risiko zu adressieren. Um diese Therapieziele zu erreichen, sollte aufgrund des erhöhten kardiovaskulären Risikos gemäß Leitlinie der Einsatz eines SGLT2-Inhibitors oder GLP-1-RA angeboten und mit der Patientin erörtert werden. Ein zentrales Thema kann für die Patientin dabei die Abwägung einer subkutanen Injektionstherapie (GLP-1-RA) einmal wöchentlich im Vergleich zu einem weiteren, täglich einzunehmenden, oralen Antidiabetikum (SGLT2-Inhibitor) sein. Dies sollte mit der Patientin besprochen werden, wobei eine positive Haltung des Arztes bei vielen Patienten dazu beitragen kann, anfängliche Bedenken und Ängste gegenüber einer Injektionstherapie zu zerstreuen. In diesem Zusammenhang ist auch zu verdeutlichen, dass der Schritt hin zu einer Injektionstherapie nicht gleichbedeutend ist mit einer Insulintherapie und dass eine Injektionstherapie mit GLP-1-RA eine andere Dynamik hinsichtlich Glukosesenkung, Gewichtsabnahme und Reduktion des kardiovaskulären Risikos aufweist. Wesentlich für die Patientin ist, dass sowohl mit SGLT2-Inhibitor als auch mit GLP-1-RA das kardiovaskuläre Risiko adressiert wird. Zudem kann in beiden Fällen eine Gewichtsreduktion in Aussicht gestellt werden, die wiederum die Aktivität und Lebensqualität der Patientin im Alltag verbessern kann. Zu Bedenken und mit der Patientin zu besprechen ist die Tatsache, dass mit einer GLP-1-RA-Injektionstherapie eine etwas stärkere Reduktion des HbA1c erreicht werden kann als mit oraler SGLT2-Inhibitorgabe. Sofern es unwahrscheinlich erscheint, dass die Patientin durch weitere Ernährungs- und Bewegungsmaßnahmen zusätzlich zu einer Senkung des HbA1c beitragen kann, wäre in diesem Fall möglicherweise die etwas stärkere Blutzuckersenkung mit einem GLP-1-RA zu erwägen, um den HbA1c-Zielbereich zu erreichen. Zudem besteht auch die Möglichkeit, die beiden Therapiestrategien – zusätzlich zu Metformin – zu kombinieren und so additive Effekte auf Gewichtsabnahme und Blutzuckersenkung zu erreichen.

Fallbeispiel 2: Karl M., 74 Jahre

Bei Karl M. wurde die Diagnose eines Typ-2-Diabetes bereits vor 15 Jahren gestellt. Zudem liegt als typische Komplikation des Diabetes eine chronische Nierenerkrankung Stadium 3b vor. Die Familienanamnese ergab ebenfalls eine Diabeteserkrankung beim Vater, der mit 77 Jahren an Herzversagen verstarb. Die Mutter leidet an Hypertonie. Der Patient bewegt sich regelmäßig und geht einmal pro Woche schwimmen. In der Vergangenheit wurde die Metformin-Dosis mit zweimal 500 mg bereits an die Nierenfunktion angepasst, allerdings verbesserte sich auch in Kombination mit einem Sulfonylharnstoff die glykämische Situation langfristig nicht. Karl M. fühlt sich müde und schlapp und hat Bedenken wegen seines inadäquaten HbA1c-Wertes von 7,3 %. Wie könnte nun fortgefahren werden? Auch bei diesem Patienten ist eine Therapieintensivierung erforderlich, wobei die zusätzlich bestehende chronische Nierenerkrankung mit einer eingeschränkten eGFR und einer pathologischen Albumin-Kreatinin-Ratio im Urin (UACR) zu berücksichtigen ist. Wesentliche Therapieziele umfassen daher bei diesem Patienten: die Renale Prävention, die Verbesserung der Blutzuckerstoffwechsellage, die Gewichtsreduktion. Gemäß Leitlinie sollte aufgrund des deutlich erhöhten renalen Risikos der Einsatz von SGLT2-Inhibitor oder GLP-1-RA angeboten und mit dem Patienten erörtert werden. Beide Therapiestrategien wirken renoprotektiv, senken den Blutzucker und tragen zur Gewichtsreduktion bei. Aktuelle Erkenntnisse legen nahe, dass SGLT2-Inhibitoren eine größere Effektstärke hinsichtlich der Reduktion renaler Endpunkte und Herzinsuffizienz aufweisen, während GLP-1-RA eine größere Effektstärke im Hinblick auf die Endpunktreduktion im Bereich zerebraler Ischämien bieten. Vor diesem Hintergrund wäre bei diesem Patienten eher die zusätzliche Therapie mit einem SGLT2-Inhibitor zu erwägen.

Aktuelle Behandlungsrealität in Deutschland

Insgesamt kann somit festgehalten werden, dass Menschen mit Diabetes und einer klinisch relevanten kardiovaskulären Erkrankung gemäß Leitlinie eine Kombinationstherapie aus Metformin und einem SGLT2-Inhibitor oder einem GLP-1-RA angeboten werden soll, sofern sie nach Abwägung der Wirkungen und Nebenwirkungen dazu bereit sind. Zudem gibt die Leitlinie beim Einstieg in eine Injektionstherapie einer GLP-1-RA-Therapie „Vorfahrt“ vor einer Insulintherapie. Allerdings spiegelt sich dies in der aktuellen Behandlungsrealität in Deutschland bislang noch nicht vollständig wider: So wurden im 3. Quartal 2021 noch über zwei Drittel der Patienten (69,5 %) primär auf ein Basalinsulin eingestellt, wenn die erste injektable Therapie zum Einsatz kam. Nur knapp ein Drittel erhielt als erste Injektionstherapie GLP-1-RA. Dies ist aufgrund der Datenlage und auch der Empfehlung der Leitlinie zumindest kritisch zu hinterfragen. Einer der Gründe dafür könnte die Angst vor kostenintensiven Verordnungen im Hinblick auf die Arzneimittelbudgets sein. Weiterhin ist zu beachten, dass wir als Ärzte gehalten sind, leitliniengerecht zu behandeln und unsere Wirkstoffwahl begründen zu können. Dem kommen wir durch eine indikationsgerechte sowie durch Datenlage und Leitlinien zu begründende Wahl von Wirkstoffen nach, für die im Rahmen eines Nutzungsbewertungsverfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ein Erstattungsnachweis verhandelt wurde.

Fallbeispiel 3: Manfred F., 54 Jahre

Der 54-jährige Manfred F., von Beruf Investmentbanker, leidet seit vier Jahren an einem Typ-2-Diabetes. Sein Hauptproblem stellt der stetige Kampf mit seinem Gewicht dar; vor allem die Gewichtszunahme im letzten Jahr setzt ihm zu. Er versucht zwar, sich an die mediterrane Diät zu halten, ist allerdings auch ein Genießer und schlägt immer mal wieder über die Stränge. Zwar fährt er einmal pro Woche mit dem Rad zur Arbeit und spielt Golf, dennoch weist er einen Body-Mass-Index (BMI) von 34 kg/m2 auf, der ihn sehr belastet. Unter der aktuellen Medikation mit Metformin und einem DDP-4-Inhibitor Sitagliptin liegt der HbA1c bei 8,3 %. Der Patient ist auch aufgrund seiner familiären Vorgeschichte und des zu hohen HbA1c-Wertes sehr besorgt. Bei diesem Patienten steht neben einer besseren glykämischen Kontrolle primär die Senkung des Körpergewichtes im Vordergrund, die dem Patienten selbst sehr wichtig ist. Auch in diesem Fall erscheint es daher sinnvoll, dem Patienten zusätzlich einen SGLT2-Inhibitor oder einen GLP-1-RA anzubieten, um ihn bei der Gewichtsabnahme zu unterstützen und gleichzeitig eine stärkere Senkung des HbA1c-Wertes zu erreichen. Vor dem Hintergrund des stärker gewichtsreduzierenden Effektes einer einmal wöchentlichen GLP-1-RA-Injektionstherapie gegenüber einem oralen SGLT2-Inhibitor ist die Therapiewahl gemeinsam mit dem Patienten abzuwägen.

… und wann und wie Insulin?

Werden nach Ausschöpfung der Basismaßnahmen und der oralen Antidiabetika einschließlich GLP-1-RA die individuellen Therapieziele nicht erreicht, so ist gemäß Nationaler VersorgungsLeitlinie die Indikation zur Insulintherapie gegeben. Auch bei Patienten mit entgleister Stoffwechsellage oder bei der Gabe von diabetogenen Medikamenten (z. B. Glukokortikoide), bei Trauma oder schweren Infekten ist eine Insulintherapie ebenso indiziert wie bei Patienten mit präterminaler oder terminaler Niereninsuffizienz, bei denen andere Therapieprinzipien nicht mehr ausreichend wirken. Ganz wesentlich in diesem Zusammenhang: Ist der Beginn einer Insulintherapie angezeigt, sollte diese ohne weitere Verzögerung begonnen und konsequent umgesetzt werden. Dabei wird zum Einstieg zusätzlich zur bisherigen Therapie mit oralen Antidiabetika oder GLP-1-RA ein Basalinsulin empfohlen. Dies stellt eine gute Ergänzung der bestehenden Therapien dar und ist von den Patienten gut und unkompliziert umzusetzen. Zudem geht eine Basalinsulintherapie mit einem geringeren Hypoglykämierisiko und einem günstigeren Verlauf des Körpergewichtes einher als eine intensivierte Insulintherapie. Eine Insulintherapie mit Basal- und Bolusinsulin (oder Mischinsulin) soll erst zum Einsatz kommen, wenn unter einer Basalinsulintherapie das Therapieziel nicht erreicht wird. Wann und wie eine Therapie mit Basalinsulin begonnen werden kann, demonstriert das nächste Fallbeispiel.

Fallbeispiel 4: Herr B., 55 Jahre

Bei Herrn B. besteht die Diabetesdiagnose seit 2011. Als Vertriebsmitarbeiter fährt er häufig Auto, übernachtet oft in Hotels und hat daher unregelmäßige Essenszeiten und wenig Gelegenheit zur Bewegung. Der Patient wies neben den üblichen Begleiterkrankungen einer arteriellen Hypertonie sowie Hyperlipidämie zudem eine manifeste koronare Herzkrankheit auf, die im Jahr nach Erstdiagnose des Typ-2-Diabetes mit einem Stent versorgt wurde. Die Diabetestherapie wurde mit Metformin, Empagliflozin als SGLT2-Inhibitor und Liraglutid als GLP-1-RA bereits intensiviert. Dennoch liegt der HbA1c mit 7,9 % inadäquat hoch, der BMI beträgt 31 kg/m2. Um eine Verbesserung dieser Stoffwechsellage zu erreichen, wurde unter Beibehaltung der Vortherapie eine Insulintherapie mit einem lang wirksamen Basalinsulin (Insulin degludec) begonnen. Der Therapiebeginn erfolgte mit zehn Einheiten Insulin degludec, anschließend führte der Patient anhand der selbst gemessenen Nüchternblutzuckerwerte eine zielwertorientierte (Nüchternblutzucker 90 bis 130 mg/dl) Dosistitration um jeweils zwei Einheiten alle drei Tage durch. Bereits nach vier Wochen wurden mit 20 Einheiten Insulin degludec sehr gute Nüchternblutzuckerwerte erzielt. Sechs Monate nach Beginn der Insulin-degludec-Therapie wies der Patient unter 22 Einheiten Insulin degludec, die abends verabreicht werden, einen HbA1c von 6,2 % ohne Auftreten von Unterzuckerungen auf.

Warum lang wirkende, moderne Basalinsuline?

Eine länger bestehende Hyperglykämie kann die körpereigene Insulinsekretion beeinträchtigen. Es wird davon ausgegangen, dass die Basalinsulin-unterstützte antidiabetische Therapie zu einer Entlastung der Betazellen mit Verbesserung der körpereigenen Insulinsekretion führt und damit insgesamt zu einer Verbesserung des Blutzuckertagesprofils. Lang wirkende Basalinsuline erreichen flachere und weniger variable Wirkprofile mit längerer Wirkdauer als kürzer wirksame Verzögerungsinsuline und verfolgen dabei maßgeblich das Ziel, bei gleicher Effektivität das Risiko von Hypoglykämien zu reduzieren und die Handhabbarkeit zu verbessern. Die Entwicklung von lang wirksamen Basalinsulinen zielt darauf ab, eine langsame und gleichmäßige Freisetzung des Insulins aus dem subkutanen Depot zu erreichen. Erreicht wird dies durch unterschiedliche Verzögerungsmechanismen, wobei Insulin degludec lösliche stabile Multihexamerketten bildet und sich durch eine lange Wirkdauer, ein flaches und stabiles Wirkprofil über 24 Stunden und eine gute Reproduzierbarkeit der Wirkung von Tag zu Tag auszeichnet. Die Handhabbarkeit im Alltag wird unter anderem dadurch erleichtert, dass die Insulininjektion bei Bedarf auch im Tagesverlauf verschoben werden kann (Mindestabstand zwischen den Injektionen: acht Stunden). Lang wirkende Insuline müssen zunächst einen konstanten Wirkspiegel (Steady state) aufbauen, um die volle Wirksamkeit zu erreichen. Aus diesem Grund ist zu empfehlen, die Insulindosis anhand des Zielparameters Nüchternblutzucker frühestens nach drei Tagen zu erhöhen, üblicherweise einmal wöchentlich, um sicher und zielwertorientiert zu titrieren.

Kooperation von Hausärzten und Diabetologen wichtig

Wichtig im Sinne einer langfristig guten Versorgung unserer Patienten mit Typ-2-Diabetes ist aus unserer Sicht auch eine gute und dauerhafte Kooperation zwischen Hausarzt und Diabetologen. Diesbezüglich empfiehlt es sich, auch persönliche Netzwerke zu knüpfen. Eine strukturierte Zusammenarbeit von Hausärzten und Diabetologen, die definierte Behandlungsalgorithmen und festgelegte Kriterien für die Einbindung des Diabetologen ebenso vorsieht wie eine Abstimmung der durchzuführenden Diagnostik und Kontrollen zwischen beiden Fachgruppen, kann dazu beitragen, die Versorgung der Patienten, ihre Zufriedenheit und Therapietreue zu verbessern und Praxisressourcen zu schonen.

Fazit

  • Die frühzeitige Diagnose und Behandlung eines Typ-2-Diabetes trägt zur Vermeidung von Folgeerkrankungen bei.
  • Typische Verdachtsmomente für einen Typ-2-Diabetes sollten ein Screening nach sich ziehen (frühzeitige Diagnosestellung).
  • Aktuelle Leitlinien empfehlen die Therapiewahl und Festlegung von Therapiezielen je nach individuellem Risikoprofil.
  • Bei Patienten mit kardiovaskulären und/oder renalen Risikofaktoren kann eine Therapieintensivierung mit SGLT2-Inhibitoren oder GLP-1-RA zusätzlich zu Metformin erwogen werden, bei Patienten mit klinisch manifesten kardiovaskulären und/oder renalen Erkrankungen ist sie obligat.
  • Zum Einstieg in die Injektionstherapie hat die Therapie mit GLP-1-RA „Vorfahrt” vor einer Insulintherapie – dies ist in der Behandlungsrealität bislang unzureichend umgesetzt.
  • Die Indikation zur Insulintherapie ist bei Nichterreichen der Therapieziele nach Ausschöpfung der Basismaßnahmen und der oralen Antidiabetika einschließlich GLP-1-RA gegeben.
  • Lang wirkende Basalinsuline eignen sich gut zum Therapieeinstieg in die Insulintherapie, da sie aufgrund ihres flachen und stabilen Wirkprofils und der längeren Wirkdauer den Insulinbedarf gut abdecken und auch gut von den Patienten anzuwenden sind.

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