Morbus Parkinson und essenzieller Tremor: Optionen bei unzureichender medikamentöser Therapie

Bei der Tiefen Hirnstimulation werden Elektroden in einer stereotaktischen Operation in definierte Areale des Gehirns platziert. Die Tiefe Hirnstimulation konnte in mehreren randomisierten kontrollierten Studien eine klinische Verbesserung bei Patienten mit Morbus Parkinson erreichen und sogar die Lebensqualität dieser Patienten merklich bessern. Sie wurde daher in die Leitlinie „Parkinson“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie aufgenommen. Das Verfahren gilt als Standardbehandlung bei fortgeschrittenem Morbus Parkinson nach Ausschöpfen der oralen Medikation.

Als Therapiealternativen zur Eskalation der oralen medikamentösen Therapie stehen Pumpenverfahren zur Verfügung. Über die beste Therapieoption für den jeweiligen Patienten muss individuell entschieden werden. Die Tiefe Hirnstimulation kann ebenfalls Patienten angeboten werden, bei denen bereits zu einem frühen Zeitpunkt, z. B. fünf bis sieben Jahren nach der Erstdiagnose, die medikamentösen Therapien zu motorischen Fluktuationen führen und die 60 Jahre oder jünger sind. Bei bestimmten Symptomkonstellationen kann bei Parkinsonpatienten zudem eine Indikation für eine Tiefe Hirnstimulation bestehen, zu denen der therapierefraktäre schwere Tremor, die Kamptokormie sowie eine medikamentös ausgelöste Impulskontrollstörung zählen.

Auch bei Patienten mit der Diagnose eines essenziellen Tremors kann die Tiefe Hirnstimulation zu einer klinischen Verbesserung führen. Entscheidend bei Indikationsstellung und differenzialtherapeutischen Überlegungen ist letztlich die spezifische Symptomkonstellation, der Leidensdruck sowie die Präferenz des individuellen Patienten.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709123084510016
Zeitraum 13.09.2023 - 12.09.2024
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte 2 Punkte (Kategorie D)
Zielgruppe Ärzte
Referent Univ.- Prof. Dr. med. Karsten Witt
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Animierter Vortrag (Webcast)
Lernmaterial Vortrag, Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Boston Scientific Medizintechnik GmbH
Bewertung 4.3 (264)

Einleitung

Bei der Tiefen Hirnstimulation werden Elektroden in einer stereotaktischen Operation in definierten Arealen (zumeist der Nucleus subthalamicus oder das innere Glied des Globus pallidus) des Gehirns platziert. Das Verfahren kommt bei Bewegungsstörungen und einigen anderen neurologischen und zum Teil psychiatrischen Erkrankungen zum Einsatz. Bis heute wurden weltweit mehr als 150.000 Patienten mit ansonsten refraktären Erkrankungen mittels Tiefer Hirnstimulation behandelt. Der Morbus Parkinson ist eine progressive neurodegenerative Erkrankung, die durch Tremor, Rigidität, Bradykinesie und posturale Störungen gekennzeichnet ist. Die Tiefe Hirnstimulation ist ein etabliertes Verfahren zur symptomatischen Behandlung eines fortgeschrittenen Morbus Parkinson, dessen Wirksamkeit durch mehrere prospektiven und randomisierten Studien belegt ist. In dieser Fortbildung wird auf das Wirkprinzip, auf Studienlage, Indikationsstellung, Nebenwirkungen und Alternativen der Tiefen Hirnstimulation bei Patienten mit Morbus Parkinson eingegangen. Abschließend wird die Anwendung der Tiefen Hirnstimulation bei Patienten mit essenziellem Tremor vorgestellt.

Das System

Im Rahmen der Tiefen Hirnstimulation werden Elektroden dauerhaft in umschriebene Hirnregionen implantiert. Der Nucleus subthalamicus und der Globus pallidus pars interna sind die beiden geprüften Stimulationsstrukturen. Diese Hirnregionen werden in der Folge mit hoher Frequenz stimuliert, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Eine erfolgreiche Operation basiert auf einer idealen Patientenauswahl, einer präzisen stereotaktischen Planungs- und Implantationstechnik sowie einer sorgfältigen klinischen und neurophysiologischen Untersuchung. Die Zielregion wird präoperativ mittels kranialer Magnetresonanztomografie dargestellt. Die Elektroden werden über subkutane Verlängerungskabel mit einem entweder subklavikulär oder abdominell implantierten Stimulator verbunden. Dieser Stimulator wird von einem Arzt programmiert. Mittels einer Fernbedienung kann der Patient später selbstständig den Batteriestand überprüfen, den Stimulator ein- und ausschalten und die Stimulationsamplitude innerhalb eines vorgegebenen Spektrums regulieren. In den vergangenen Jahren wurden einige technologische Neuerungen vorgestellt. Mittels neuer Stimulatoren, die für jeden Elektrodenkontakt über eine eigene Stromquelle verfügen, lassen sich Stimulationsfelder kontinuierlich verschieben. Zudem sind segmentierte Elektroden erhältlich, mit deren Hilfe das sich normalerweise zirkulär ausbreitende Stromfeld in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Damit kann das therapeutische Fenster zwischen Wirkung und Nebenwirkungen vergrößert werden.

Morbus Parkinson

Der Morbus Parkinson ist eine neurodegenerative Erkrankung mit weltweit steigender Prävalenz. Im Jahr 2016 waren ca. 1,6 Millionen Menschen weltweit betroffen. Motorische Symptome werden von nicht motorischen Symptomen begleitet. Pathophysiologisch kommt es beim Morbus Parkinson zu einer Degeneration der Substantia nigra (SN) und damit u. a. zu einer Verarmung der dopaminergen Innervation der Basalganglien. Der Verlust von Dopaminzellen in der SN führt zu einer Überaktivierung des Nucleus subthalamicus (STN) und damit zu einem Ungleichgewicht zwischen dem sog. direkten (faszilierenden) und indirekten (inhibierenden) Kreislauf auf Ebene der Basalganglien, was im Leitsymptom der Bradykinesie resultiert. Die Erkrankung ist durch einen stadienhaften Verlauf charakterisiert. Sie manifestiert sich initial zumeist unilateral, später bilateral. In fortgeschrittenen Stadien tritt eine posturale Instabilität auf, die Patienten sind zum Teil auf einen Rollstuhl angewiesen. Die nicht motorischen Symptome sind vielfältig und inkludieren oft kognitive, autonome und neuropsychiatrische Symptome. Zudem manifestieren sich im Verlauf häufig demenzielle Symptome. Die Stadien werden üblicherweise nach Hoehn und Yahr eingeteilt. Die motorischen Symptome können meist zunächst mit Levodopa und anderen dopaminergen Medikamenten kontrolliert werden. Jedoch können sich nach einigen Jahren motorische Fluktuationen und Dyskinesien entwickeln, die zu fortschreitender motorischer Dysfunktion und zur Verschlechterung der Lebensqualität führen können. Motorische Fluktuationen und Dyskinesien betreffen ca. 40 % der Patienten nach ≥5 Jahren unter Standardtherapie mit Levodopa. Die motorischen Fluktuationen, die durch schnelle Wechsel zwischen gutem Ansprechen auf dopaminerge Medikamente (on State) und Phasen der Immobilität aufgrund eines schlechten Ansprechens auf die Medikamente (off State) gekennzeichnet sind, führen im Verlauf der Erkrankung zu einer zunehmenden Beeinträchtigung.

Patientenselektion für die Tiefe Hirnstimulation

Grundvoraussetzung ist stets die definitive Diagnose einer idiopathischen Parkinsonerkrankung ohne Hinweis auf ein sekundäres oder atypisches Parkinsonsyndrom. Die hochfrequente Tiefe Hirnstimulation ist eine etablierte Behandlung des fortgeschrittenen Morbus Parkinson mit motorischen Fluktuationen. Die bilaterale elektrische Stimulation des STN stellt das Standardverfahren dar. Wodurch zeichnet sich eine fortgeschrittene Parkinsonerkrankung, die potenziell einer geräteassistierten Therapie bedarf, aus? Ein aktueller Expertenkonsens definiert hierfür sowohl motorische als auch extramotorische Symptome sowie funktionelle Beeinträchtigungen: Motorische Kriterien
  • Motorische Fluktuationen
  • Dyskinesie-Episoden ≥1 Stunde/Tag
  • Off-Symptome ≥2 Stunden/Tag
  • Bedarf an ≥5 Levodopa-Gaben/Tag
Nicht motorische Kriterien
  • Milde Demenz
  • Nontransitorische Halluzinationen
Funktionelle Kriterien
  • Wiederholte Stürze (trotz optimaler medikamentöser Therapie)
  • Beeinträchtigung von Alltagsaktivitäten
Starke kognitive Einschränkungen, eine manifeste Depression oder andere psychiatrische Erkrankungen stellen Kontraindikationen dar. Ebenfalls zu beachten sind die neurochirurgischen Kontraindikationen. Strukturelle Hirnläsionen, die mit dem Eingriff nicht vereinbar sind, müssen mittels präoperativer Magnetresonanztomografie ausgeschlossen werden. Die Patienten sollten in einem stabilen sozialen Umfeld leben und Zugang zu einem Zentrum mit einem erfahrenen multidisziplinären Team haben. Die Erkrankungsdauer stellt bei der Indikationsstellung allein kein Kriterium dar. Nach deutscher Leitlinie kann Patienten ≤60 Jahren, deren Symptome ein sehr gutes Ansprechen auf Levodopa zeigten, bei unzureichender medikamentöser Therapie bei Wirkfluktuationen bereits vier Jahre nach der Diagnose eine Tiefe Hirnstimulation angeboten werden.

Effekte der Tiefen Hirnstimulation bei Morbus Parkinson

Es existieren fünf große, randomisierte und kontrollierte Studien, die belegen, dass Patienten mit den oben genannten Kriterien von einer Tiefen Hirnstimulation profitieren. Konkret sollen die Mobilität verbessert, immobile Zustände reduziert und Dyskinesien vermieden werden. Unter den zitierten Studien ist die EARLYSTIM-Studie hervorzuheben. In den vorangegangenen Studien wurden ältere Patienten mit einer langjährigen, fortgeschrittenen Parkinsonerkrankung mittels Tiefer Hirnstimulation behandelt. Im Rahmen der prospektiven randomisierten EARLYSTIM-Studie wurden Patienten untersucht, die nach einer durchschnittlichen Erkrankungsdauer von vier bis sieben Jahren erste motorische Fluktuationen zeigten. Ziel der Studie war es, Patienten bereits in der Intermediärphase zu therapieren und damit das Voranschreiten von Symptomen zur Spätphase zu verlangsamen. Bei diesen Patienten führte die Tiefe Hirnstimulation zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität im Vergleich zu konventionell behandelten Kontrollen. Auch die Beweglichkeit konnte deutlich verbessert werden.

Risiken und unerwünschte Wirkungen der Tiefen Hirnstimulation

Im Hinblick auf die Risiken und Nebenwirkungen der Tiefen Hirnstimulation bei Patienten mit Morbus Parkinson kann unterschieden werden zwischen solchen, die spezifisch von der Operation ausgehen, und solchen, die sowohl operierte als auch ausschließlich medikamentös behandelte Patienten betreffen können. Zu den spezifischen operativen Risiken zählen:
  • Wundblutung
  • Intrazerebrale Blutung
  • Dislokation des Gerätes
  • Infektionen
  • Notwendigkeit einer operativen Revision
Komplikationen, die beide Gruppen betreffen, können in eine motorische und eine psychiatrische Kategorie eingeteilt werden. Seltener treten jedoch auch andere Nebenwirkungen, z. B. solche, die den Gastrointestinaltrakt oder die Haut betreffen, auf. Depressivität trat im Rahmen der EARLYSTIM-Studie unter Tiefer Hirnstimulation häufiger auf als unter rein medikamentöser Behandlung. Um Depressivität zu vermeiden, ist die richtige Balance zwischen Stimulation und Medikation entscheidend.

Differenzialtherapeutische Überlegungen

Zur Eskalation der Therapie bei ausgeschöpfter oraler Medikation stehen drei unterschiedliche Therapieformen zur Verfügung: Es können eine Levodopa-Applikation mittels Jejunalsonde, eine subkutane Apomorphin-Pumpe sowie die Tiefe Hirnstimulation zum Einsatz kommen.

L-Dopa per Jejunalsonde

Bei dieser Methode erfolgt eine intrajejunale Applikation eines Dopamingels mittels einer Sonde, die über einen perkutanen gastralen Weg gelegt wird. Damit können konstantere Plasmakonzentration des Wirkstoffes erreicht und somit motorische Fluktuationen reduziert werden. Die Wirksamkeit dieser Therapieform ist in Studien belegt. Diese Behandlung zeigt eine Verbesserung der motorischen Fertigkeiten und eine Abnahme der Dyskinesiezeiten. Die Nebenwirkungen dieser Therapie treten insbesondere in den ersten Wochen nach Anlage auf. Folgende Komplikationen können im Zusammenhang mit dem Eingriff auftreten: Abdominelle Schmerzen, Konstipation und Peritonitis (selten). Die Anlage der Sonde muss stationär erfolgen, und die Pumpe wird ein „ständiger Begleiter” der Patienten. Die Kühlkette des Dopamingels darf nicht unterbrochen werden, es bedarf einer Pflege des Systems. Es kommt nicht selten zur Fehlanlage und auch Verstopfung der Sonde. Zu beachten ist zudem, dass die Infusion von Levodopa-Gel zu einer Abnahme des Vitamin-B12-Spiegels führen kann, was in einer peripheren Neuropathie resultieren kann. Daher sollten bei Parkinsonpatienten, die eine duodenale Levodopa-Infusionstherapie erhalten, regelmäßige Kontrollen des Vitamin-B12-Spiegels und ggf. eine Vitamin-B12-Supplementation erfolgen.

Subkutane Apomorphin-Pumpe

Unter Therapie mit der Apomorphin-Pumpe kommt es zu einer Reduktion der Off-Zeiten um bis zu 80 % und zu einer signifikanten Verbesserung der nicht motorischen Beschwerden. Die Dyskinesiezeiten werden kürzer. Die Therapie erfolgt unter Umgehung des Magen-Darm-Traktes und ist damit auch unabhängig von der Nahrungsaufnahme. Das Verfahren ist leicht reversibel. Meist gelingt eine zügige Reduktion der Tabletteneinnahme. Die Behandlung ist unter Berücksichtigung gebotener Kontraindikationen auch im höheren Lebensalter einsetzbar. Ein wesentlicher Nachteil ist, dass die Einstellung stets stationär erfolgen muss. Die Pumpe sollte in der Eindosierungsphase nicht eigenständig vom Patienten bedient werden. Zu beachten ist, dass eine hämolytische Anämie bei bis zu 9 % der Patienten auftreten kann. Weitere potenzielle Nebenwirkungen sind:
  • Übelkeit
  • Hautveränderungen
  • Nekrosen
  • Abszesse
  • Orthostatische
  • Dysregulation
  • Schläfrigkeit
  • Dopaminerge Dysregulation
  • Verwirrtheit/Halluzinationen
  • Knöchelödeme
In einer niederländischen Studie wurde geprüft, wie lange Patienten eine Apomorphin-Pumpe nutzen. Es zeigte sich, dass nur etwa ein Viertel der Patienten langfristig auf der Apomorphin-Pumpe eingestellt bleiben.

Tiefe Hirnstimulation

Bei den Vorteilen der Tiefen Hirnstimulation stehen die gute Wirkung gegen motorische Off-Phasen und Dyskinesie und die Verbesserung der Lebensqualität im Vordergrund. Die Stimulationswerte und Parameter können variabel eingestellt und an die Krankheitssymptome angepasst werden. Es besteht eine nachhaltige Wirkung über einen langen Zeitraum. Es kommt zudem zu einer Verbesserung der Schlafqualität und oft auch zu einer Besserung der Blasenfunktion. Die Medikamentendosis kann in den meisten Fällen mindestens um die Hälfte reduziert werden. Die Therapie hat darüber hinaus einen sehr günstigen Effekt auf den Tremor. Die Nachteile der Tiefen Hirnstimulation liegen in der Invasivität des Verfahrens (siehe oben). In älteren Studien wurden Mortalitätsraten zwischen 0,1 und 0,4 % angegeben. Diese sind aber durch Verbesserung der Operationsverfahren wahrscheinlich inzwischen reduziert worden. Die Häufigkeit symptomatischer Blutung wird in der Literatur mit 2,7 % beziffert. Zumeist transiente neurologische Verschlechterung, wie ein Delir oder eine Psychose, treten bei 4,6 % der Patienten auf. Die Frequenz von Infektionen des Systems liegt bei 3 %. Infektionen betreffen allerdings vor allem die Stelle, an der der Impulsgeber platziert wird. Intrakranielle Infektionen treten seltener auf. Die stimulationsbedingte Reduktion der Medikamente kann auch Nachteile haben: Bei einer zu drastischen Reduktion der Medikamente kann es zu einem Apathiesyndrom oder auch zu Depressionen kommen. Kurz nach der Operation kann es zu einer erhöhten Suizidalität kommen. Über eine potenzielle Gewichtszunahme müssen die Patienten ebenfalls aufgeklärt werden. Die Stimulation hat keinen positiven Effekt auf Demenz und Gleichgewichtsstörungen und oft nur einen geringen positiven Effekt auf die Dysarthrophonie, die mit einer Parkinsonerkrankung einhergehen kann. Hier sind andere Maßnahmen wie logopädische Therapie und Physiotherapie wichtig. Sind alle oralen medikamentösen Therapieversuche ausgeschöpft und der Leidensdruck des Patienten weiterhin hoch, kann zwischen den hier vorgestellten Optionen abgewogen werden. Bei der Wahl des geeigneten Verfahrens müssen das Lebensalter, Symptombild und die Lebensumstände des Patienten berücksichtigt werden. Tabelle 2 bieten eine Entscheidungshilfe bei der Wahl zwischen der Tiefen Hirnstimulation und den Pumpentherapien gemäß Leitlinie. Entscheidend ist die sorgfältige Aufklärung über die Vor- und Nachteile der genannten Verfahren im Patientengespräch.

Sonderindikationen für eine Tiefe Hirnstimulation bei Morbus Parkinson

Es existieren Sonderindikationen für den Einsatz einer Tiefen Hirnstimulation bei Morbus Parkinson außerhalb der allgemeinen Indikationskriterien.

Therapierefraktärer Parkinsontremor

Eine solche Indikation stellt der therapierefraktäre Parkinsontremor dar, sofern dieser von den Patienten als stark einschränkend erlebt wird. Bei diesen Patienten stellt die Tiefe Hirnstimulation ein effektives und sicheres Verfahren dar.

Kamptokormie

Kamptokormie (von griech. „kamptein” = beugen und „kormos” = Rumpf) ist eine Anterior-Flexion der thorakolumbalen Wirbelsäule mit oder ohne Laterodeviation, die für Patienten ein äußerst beeinträchtigendes Symptom darstellt. Im Verlauf sind bis zu 10 % aller Parkinsonpatienten von einer Kamptokormie betroffen. Die Magnetresonanztomografie zeigt oft im frühen Stadium ein Ödem der Lumbalmuskulatur. In späteren Stadien kommt es zur fettigen Degeneration. Eine retrospektive Analyse zeigte, dass die Tiefe Hirnstimulation insbesondere bei Patienten, die bis zu zwei Jahre nach Beginn der Kamptokormie operiert worden sind, zu einer Verbesserung der Symptomatik führt. Patienten mit einer längeren Krankheitsdauer profitierten hingegen weniger. Dies ist vor dem Hintergrund der fortschreitenden fettigen Degeneration und dem damit verbundenen Funktionsverlust der Lumbalmuskulatur pathophysiologisch verständlich.

Impulsstörung

Die Punktprävalenz einer Impulskontrollstörung liegt bei ca. 13 %; longitudinale Studien zeigen sogar eine Wahrscheinlichkeit von bis zu 50 %, im Verlauf einer medikamentösen Therapie eine Impulskontrollstörung infolge der dopaminergen Medikation zu entwickeln. Diese tritt insbesondere unter einer Therapie mit Dopaminagonisten auf. Die Impulskontrollstörung äußert sich zumeist in den Bereichen pathologisches Kaufen, Spielsucht, Binge-Eating oder Hypersexualität. Durch die deutliche Reduktion der dopaminergen Medikation nach einer Tiefen Hirnstimulation kommt ist oft zu einer Besserung der Impulskontrollstörung.

Tiefe Hirnstimulation bei essenziellem Tremor

Der essenzielle Tremor ist eine der häufigsten Bewegungsstörungen bei Erwachsenen. Das klinische Bild des essenziellen Tremors zeichnet sich durch einen bilateralen Haltetremor der oberen Extremitäten aus. Der Tremor ist meist alkoholsensitiv. In späteren Stadien kann zusätzlich ein Intentionstremor auftreten. Die Patienten weisen typischerweise eine positive Familienanamnese auf. Patienten mit einem essenziellen Tremor können medikamentös behandelt werden. Medikamentöse Erstlinientherapien bestehen aus Primidon oder Propranolol. Weitere Präparate wie Topiramat oder Gabapentin stehen als Alternativen zur Verfügung. Allerdings kann die medikamentöse Therapie in aller Regel nur eine Reduktion der Tremoramplitude um etwa 50 % erreichen. Chirurgische Verfahren gegen den essenziellen Tremor zielen typischerweise auf den ventralen Zwischenkern des Thalamus ab. Es wird angenommen, dass die Tiefe Hirnstimulation beim essenziellen Tremor durch Hemmung der pathologischen Oszillationen in den cerebello-thalamischen Kreisläufen wirkt. In sowohl prospektiven offenen als auch verblindeten Studien zur Tiefen Hirnstimulation bei Patienten mit essenziellem Tremor liegt die mittlere relative Verbesserung des Extremitätentremors gegenüber dem Ausgangswert zwischen 60 und 90 %, gemessen innerhalb eines Jahres nach Operation.

Fazit

  • Die Tiefe Hirnstimulation kann bei Patienten mit Morbus Parkinson zu einer Linderung der Symptome und einer Verbesserung der Lebensqualität führen.
  • Grundvoraussetzungen für diese Therapie sind die gesicherte Diagnose einer idiopathischen Parkinsonerkrankung und eine persistierende Symptomatik trotz optimal ausgeschöpfter oraler medikamentöser Therapie.
  • Als Alternativen stehen pumpenbasierte Therapieverfahren zur Verfügung.
  • Alle Verfahren haben Vor- und Nachteile, über welche die Patienten aufgeklärt werden sollen.
  • Parkinsonpatienten mit refraktärem Tremor, mit Kamptokormie oder Impulskontrollstörung können ebenfalls von der Tiefen Hirnstimulation profitieren.
  • Die Tiefe Hirnstimulation stellt ebenfalls ein geeignetes Verfahren dar bei Patienten mit einem therapierefraktären essenziellen Tremor.
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