Neues zur Behandlung des Hochrisiko-nmCRPC

Das therapeutische Spektrum zur Behandlung des Prostatakarzinoms hat sich in den letzten Jahren deutlich erweitert und hat auch bei den Hochrisikopatienten mit einem nicht metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom (nmCRPC) zu einer deutlichen Verbesserung der Lebenssituation geführt.

Der entscheidende Biomarker zur Einschätzung des Metastasierungsrisikos bei Patienten mit einem nmCRPC, bei denen es unter einer Androgendeprivationstherapie (ADT) zu einem Wiederanstieg des PSA-Spiegels (Prostata-spezifisches Antigen) kommt, ist die PSA-Verdopplungszeit (PSA-DT). Bei Patienten, die in der klassischen Bildgebung keine Metastasen haben, ist bei einer PSA-DT <10 Monate das Metastasierungs- und Mortalitätsrisiko innerhalb der nächsten zwei Jahre sehr hoch.

Apalutamid, Enzalutamid und Darolutamid verlängern bei Patienten mit einem nmCRPC sowohl das metastasenfreie Überleben (MFS) als auch das Gesamtüberleben (OS) signifikant. Wirksamkeit und Anwendungssicherheit der drei Substanzen sind vergleichbar gut; Darolutamid hat allerdings Vorteile beim Interaktionsprofil, was vor allem bei älteren Patienten mit Komorbiditäten und Begleitmedikationen günstig ist.


Kursinfo
VNR-Nummer 2760709124015940017
Zeitraum 11.01.2024 - 10.01.2025
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte 2 Punkt(e)
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof. Dr. med. Christian Wülfing
Prof. Dr. med. Ahmed Magheli
Dr. med. Frank Becker
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Webinar
Lernmaterial Vorträge, Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Bayer Vital GmbH
Bewertung 4.2 (139)

Einführung

Das Prostatakarzinom ist weltweit die zweithäufigste Krebserkrankung des Mannes und eine der führenden Todesursachen. Bei der Erstdiagnose eines Prostatakarzinoms beschränkt sich der Tumor bei einem Großteil der Patienten lokal auf die Prostata. 75 % der Patienten haben ein nicht metastasiertes Prostatakarzinom, während 25 % der Patienten bei Erstdiagnose bereits Fernmetastasen aufweisen, also synchron metastasiert sind. Bei den meisten Patienten mit einem lokal begrenzten Prostatakarzinom wird eine kurativ intendierte Lokaltherapie durchgeführt. Ein Teil der Patienten, die bei der Erstdiagnose noch keine Fernmetastasen haben, erhält zusätzlich oder alternativ zur Lokaltherapie eine Androgendeprivationstherapie (ADT). Wenn in diesem noch hormonsensitiven Krankheitsstadium (HSPC) bereits eine Metastasierung vorliegt, wird dies als metastasiertes hormonsensitives Prostatakarzinom (mHSPC) bezeichnet. Von diesen hormonsensitiven Patienten entwickelt ein Großteil im Verlauf der Erkrankung unter der ADT einen PSA-Progress und geht damit in ein kastrationsresistentes Stadium über (CRPC). Die CRPC-Patienten, bei denen in der konventionellen Bildgebung mit Szintigrafie und CT keine Metastasen nachgewiesen werden können, werden der Gruppe der Patienten mit einem nicht metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom (nmCRPC) zugeordnet. Zu diesem Zeitpunkt sind die meisten Patienten in Bezug auf ihre Tumorerkrankung noch asymptomatisch. Das ändert sich mit Einsetzen bzw. zunehmender Metastasierung, die i. d. R. mit konventioneller Bildgebung nachgewiesen wird. Die Patienten haben dann das Stadium des metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinoms (mCRPC) erreicht. In den letzten 15 Jahren hat sich das therapeutische Spektrum zur Behandlung des Prostatakarzinoms deutlich erweitert. Während anfangs bei den metastasierten Patienten nur die Chemotherapie mit Docetaxel oder radiologische Optionen zur Verfügung standen, können die Patienten jetzt bereits in nicht metastasierten Krankheitstadien zusätzlich zur ADT mit neuen Androgenrezeptor-Antagonisten wirksam behandelt werden. Zur Behandlung des mHSPC liegen jetzt auch aktuelle Daten einer kontrollierten Phase-III-Studie vor, mit der die Wirksamkeit einer Tripeltherapie aus dem Androgenrezeptor-Antagonisten Darolutamid, ADT und Docetaxel gegenüber ADT und Docetaxel allein nachgewiesen wurde. Der Schwerpunkt dieser Fortbildung liegt jedoch auf der Behandlung des nicht metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinoms (nmCRPC).

PSA-Verdopplungszeit als wichtiger Biomarker

Die Berechnung der PSA-DT kann zum Beispiel einfach und schnell mit einem Kalkulator (z. B. dem „PSA doubling time calculator“ (https://www.mskcc.org/nomograms/prostate/psa_doubling_time) durchgeführt werden. Dazu werden die PSA-Werte mit dem dazu gehörenden Datum in die Eingabemaske eingetragen. Nach Eingabe von optimalerweise drei bis fünf Werten erfolgt die Angabe der PSA-Verdopplungszeit in Monaten und Jahren sowie die Angabe der PSA-Anstiegsgeschwindigkeit (Velocity), die mit ng/ml/Monat oder ng/ml/Jahr definiert ist. Der Befund kann dann ausgedruckt werden, um ihn zusammen mit dem Patienten für die Festlegung der nächsten therapeutischen Schritte zu nutzen. Da die Androgenrezeptor-Antagonisten innerhalb der jeweiligen Studien erst ab einem PSA-Cut-off-Wert von 2,0 ng/ml gegeben wurden, sollte mit der Berechnung der PSA-DT begonnen werden, wenn die PSA-Konzentrationen über 1 ng/ml liegen. Da sich die Werte im Laufe der Krankheitsentwicklung verändern, sollte die PSA-DT regelmäßig überprüft werden. Die Dokumentation der PSA-DT ist auch sinnvoll, um angesichts der hohen Therapiekosten bei Regressforderungen die korrekte Indikationsstellung und das hohe Krankheitsrisiko belegen zu können. Die Entwicklung ihres PSA-Wertes wird von den Patienten sehr aufmerksam verfolgt. Bei vielen Patienten mit einem nur leicht erhöhten PSA-Wert kann mit einer unauffälligen PSA-DT von deutlich über zehn Monaten der Krankheitsstress abgebaut werden. Die aktuellen Therapieleitlinien zur Behandlung des nmCRPC empfehlen bei einer PSA-DT ≤10 Monaten den Einsatz der Androgenrezeptor-Antagonisten Apalutamid, Darolutamid oder Enzalutamid zusätzlich zur ADT.

Patientenorientierte Therapieziele beim nmCRPC

Aus Sicht der Patienten mit einem nmCRPC sind vor allem folgende Anforderungen an die weitere Therapie relevant: Verlängerung des Überlebens, Erhalt der Lebensqualität und PSA-Kontrolle. Die Therapieziele der Patienten sind vielfältig und variieren in Abhängigkeit vom Lebensalter. Zunächst gilt es, die Entwicklung von Metastasen zu verzögern sowie die Überlebenszeit zu verlängern und damit den onkologischen Verlauf der Erkrankung positiv zu beeinflussen. Ein weiteres Ziel ist die Erhaltung der Lebensqualität, zumal die meisten Patienten im Stadium eines nmCRPC oft keine Symptome durch ihre Erkrankung und in der Regel noch eine sehr hohe Lebensqualität haben. Die Serumkonzentration des prostataspezifischen Antigens (PSA) und damit in Zusammenhang stehende Ängste haben einen sehr großen Einfluss auf das tägliche Leben der Patienten. Viele Patienten sind sehr auf den PSA-Wert fokussiert; dementsprechend hängt ihre Lebensqualität und die psychische Belastung oft direkt mit dem PSA-Verlauf zusammen. Substanzen, die einen deutlichen PSA-Abfall erreichen, führen bei den Patienten häufig zu einer mentalen Erleichterung und damit zu einer Steigerung der Lebensqualität.

Patientenfall 1: Früher Krankheitsbeginn, fit, keine Komorbiditäten, keine Medikamente

Der jetzt 58-jährige berufstätige Patient erhielt seine Erstdiagnose bereits im Alter von 49 Jahren. Im Jahr 2013 wurde mit einem initialen PSA von 18,07 ng/ml eine Stanzbiopsie entnommen. Nach positivem Befund erfolgte eine DaVinci-Prostatektomie mit der Diagnose eines Prostatakarzinoms pT3a pN0 V1 L1 Pn1 R1 Grading GIIb Gleason 4 + 4 = 8. Bei PSA-Persistenz erfolgte wenige Monate nach der OP eine Radiatio der Prostataloge mit geringem Erfolg. Nach einem weiteren vPSA-Rezidiv wurden mit PSMA-PET-CT verdächtige pelvine und iliakale Lymphknoten identifiziert, die im August 2014 und im Mai 2016 robotisch-laparoskopisch entfernt wurden. Bei weiterhin erhöhten PSA-Werten wurde zunächst bei regelmäßiger Rücksprache mit dem Patienten und dem regionalen Tumorboard abgewartet. Bei einem PSA von 18,46 ng/ml erfolgte dann ab August 2018 nach prophylaktischer Radiatio der Mammae eine intermittierende Monoantiandrogentherapie mit Bicalutamid, die ab Mai 2021 in eine dauerhafte Gonadotropin-Releasing-Hormon-(GnRH-)Therapie mit Leuprorelin umgewandelt wurde. Unter der ADT sind die PSA-Werte zunächst vier Monate lang bis auf 1,36 ng/ml im September 2021 abgefallen und danach bei einem Serum-Testosteron auf Kastrationsniveau in den folgenden neun Monaten wieder bis auf einen Wert von 4,02 ng/ml im Juni 2022 angestiegen. Die Berechnung der PSA-DT mit dem MSKCC-doubling time calculator ergab einen Wert von sechs Monaten. Das Staging im Juni 2022 mittels CT von Thorax und Abdomen sowie Knochenszintigrafie ergab keinen Hinweis auf Lymphknoten-, ossäre oder viszerale Metastasen. Damit stand die Diagnoe eines nmCRPC fest, und es wurde unter weiter bestehender ADT im Juni 2022 eine Behandlung mit zweimal 600 mg Darolutamid begonnen. Nach einem Monat sank der PSA-Wert von 4,02 auf 0,28 ng/ml und lag nach weiteren zwei Monaten im September 2022 bei 0,075 ng/ml. Nebenwirkungen wurden bislang nicht beobachtet. Dieser Patientenfall unterstreicht deutlich die erhebliche Relevanz des Gewinnes von Lebenszeit bei gleichzeitig guter Lebensqualität. Die Diagnose nmCRPC basiert auf der konservativen Bildgebung zum Zeitpunkt eines erneuten PSA-Progresses unter einer ADT, nachdem sechs Jahre zuvor bereits Metastasen operativ entfernt worden sind.

Wirksamkeit der neuen Androgenrezeptor-Antagonisten

Die Wirksamkeit der neuen Androgenrezeptor-Antagonisten wurde immer zusätzlich zu einer Androgendeprivationstherapie in drei großen placebokontrollierten Studien bei Patienten mit einem nmCRPC untersucht: Enzalutamid in der PROSPER-Studie, Apalutamid in der SPARTAN-Studie und Darolutamid in der ARAMIS-Studie. In allen drei Studien waren die Patientenzahlen vergleichbar hoch; es wurde im Verhältnis 2 : 1 randomisiert, die PSA-Verdopplungszeit war <10 Monate, und die Metastasenfreiheit wurde mit der konventionellen Bildgebung bestätigt. Als primärer Endpunkt war das metastasenfreie Überleben (MFS) festgelegt. Die sekundären Endpunkte waren das Gesamtüberleben, die Sicherheit und andere klassische Endpunkte in diesem Kontext wie die Zeit bis zur PSA-Progression, das PSA-Ansprechen, die Zeit bis zur nächsten Tumortherapie oder die Zeit bis zur nächsten Chemotherapie. Eine vergleichende Betrachtung der Ergebnisse zum primären Endpunkt zeigt, dass alle drei neuen Androgenrezeptor-Antagonisten gut wirksam sind und die metastasenfreie Zeit gegenüber einer Behandlung mit Placebo plus ADT durchschnittlich um etwa zwei Jahre verlängern. Die Verlängerung des metastasenfreien Überlebens hat für die Patienten eine große Bedeutung, weil sich dadurch nicht nur die Lebenszeit ohne Schmerzen verlängert, sondern auch negative psychologische Auswirkungen hinausgezögert werden, die die Patienten durch den Eintritt in das Krankheitsstadium eines metastasierten Karzinoms erheblich belasten. Auch beim Gesamtüberleben als sekundärem Endpunkt konnte mit allen drei Substanzen eine signifikante Verlängerung von durchschnittlich einem Jahr gegenüber Placebo dokumentiert werden. Das relative Risiko zu versterben wurde durch Darolutamid um 31 %, durch Apalutamid um 22 % und durch Enzalutamid um 27 % gesenkt. Eine Post-hoc-Auswertung von 200 „SPARTAN-like“-Patienten, bei denen zusätzlich zur klassischen Bildgebung ein PSMA-PET-CT durchgeführt wurde, hat ergeben, dass in 55 % der Fälle Mikro- bzw. Fernmetastasen vorlagen. Die Diagnose nmCRPC wäre hier also nicht korrekt. Diese Patienten hatten aber die Einschlusskriterien der Studie erfüllt und hätten demnach von Apalutamid, Enzalutamid oder Darolutamid genauso profitiert wie die 45 % der Patienten, die zu Studienbeginn tatsächlich keine Metastasen hatten. Der Androgenrezeptor-Antagonist wirkte also unabhängig davon, ob Mikrometastasen in Organen oder Knochen vorlagen oder nicht.

Anwendungssicherheit der neuen Androgenrezeptor-Antagonisten

Eine vergleichende Gegenüberstellung der Studienergebnisse zur Verträglichkeit der drei Androgenrezeptor-Antagonisten zeigt insgesamt ein moderates Nebenwirkungsprofil. Die vergleichende Darstellung der unerwünschten Wirkungen, die die Patienten besonders beeinträchtigen, basiert jedoch nicht aus direkten Vergleichsstudien, sondern die Daten stammen aus placebokontrollierten Einzelstudien mit ähnlichen Einschlusskriterien und sind dadurch in gewissem Grad limitiert. Alle drei Substanzen sind im Vergleich zu Placebo gut verträglich; Darolutamid zeigt aber insbesondere bei den zentralnervösen Nebenwirkungen, zu denen auch Stürze und daraus resultierende Frakturen gehören, Inzidenzen auf Placeboniveau. Auch die Analyse des zeitlichen Verlaufes unerwünschter Ereignisse von besonderem Interesse bestätigt das Sicherheitsprofil von Darolutamid, Fatigue und Hitzewallungen zeigten unter Darolutamid über die Zeit einen minimalen Anstieg im Vergleich zu Placebo. Kumulative Inzidenz und zeitliches Verlaufsprofil von Hypertonie, Stürzen und Frakturen unter der Behandlung mit Darolutamid unterschieden sich nicht von Placebo. Eine Erklärung für das seltenere Auftreten von zentralnervösen Nebenwirkungen und deren Folgen, wie Stürze und Frakturen, könnte die in präklinischen Studien nachgewiesene geringere Penetration der Blut-Hirn-Schranke durch Darolutamid sein. Patienten mit einem fortgeschrittenen Prostatakarzinom sind häufig in einer höheren Lebensdekade und haben deshalb häufig Komorbiditäten mit entsprechender Begleitmedikation. Die Patienten erhalten als Basismedikation eine Androgendeprivationstherapie, die sich auf einen Diabetes mellitus, auf den Cholesterinhaushalt, auf die Muskelmasse und auch auf zerebrale kognitive Prozesse auswirkt. Jedes zusätzliche Medikament kann noch einmal mit einem Plus an Nebenwirkungen verbunden sein, was die Lebensqualität weiter beeinträchtigt. Die Leitlinien der Europäischen Fachgesellschaft für Urologie (EAU) empfehlen bei Patienten mit einem nmCRPC nicht nur die Verordnung der neuen Androgenrezeptor-Antagonisten, sondern weisen auch auf die strukturellen Besonderheiten von Darolutamid hin. Angesichts der notwendigen Langzeittherapie mit Androgenrezeptor-Antagonisten bei in der Regel asymptomatischen Patienten sollen auch deren mögliche Nebenwirkungen berücksichtigt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat in seinen Beschlüssen vom Oktober und November 2020 den Zusatznutzen der neuen Androgenrezeptor-Antagonisten in der Indikation Hochrisiko-nmCRPC bewertet und allen Substanzen einen Zusatznutzen bescheinigt. Der von Darolutamid wurde aufgrund der sehr guten Verträglichkeit als beträchtlich eingestuft. Darolutamid hat in der Indikation Hochrisiko-nmCRPC damit den Status einer bundesweiten Praxisbesonderheit.

Abbruchraten im Vergleich

Wenn Patienten im Rahmen einer klinischen Studie die Behandlung abbrechen, sind sehr oft Fälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen der Auslöser, die die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Die Abbruchrate aufgrund von unerwünschten Ereignissen ist damit ein direktes Maß für die Verträglichkeit des jeweiligen Wirkstoffes. Die vergleichende Darstellung der Therapieabbrüche aufgrund von unerwünschten Arzneimittelwirkungen in den Zulassungsstudien der drei Androgenrezeptor-Antagonisten zeigt, dass die Unterschiede bei den Abbruchraten zwischen Placebo und Verum bei Darolutamid sowohl in der primären als auch in der finalen Analyse mit jeweils 0,2 % sehr gering sind. Das spricht für eine sehr gute Verträglichkeit der Substanz und ist eine wichtige Voraussetzung dafür, die Lebensqualität der Patienten zu erhalten.

Patientenfall 2: Älterer Patient, zahlreiche Nebendiagnosen und Komedikationen

Der jetzt 84-jährige Patient erhielt seine Erstdiagnose bereits im Alter von 69 Jahren. Im Oktober 2007 wurde mit einem initialen PSA von 7,74 ng/ml ein Prostatakarzinom Gleason 3 + 5 = 8 diagnostiziert. Aufgrund seiner ausgeprägten Angst vor Operation und Bestrahlung lehnte der Patient eine kurative Therapie ab. Nach Radiatio der Mammae wurde eine intermittierende ADT mit Bicalutamid 150 mg eingeleitet. Seit Dezember 2015 erhält der Patient eine dauerhafte GnRH-Therapie mit Leuprorelin und seit August 2018 eine maximale Androgenblockade mit zusätzlich 50 mg Bicalutamid. An Nebendiagnosen hat der Patient eine arterielle Hypertonie, eine Osteoporose mit Zustand nach zwei Wirbelkörperfrakturen, die zu einem chronischen Schmerzsyndrom geführt haben, und eine Cholezystolithiasis. Die Schmerzmedikation hat eine chronische Obstipation verursacht. Die aktuelle Medikation besteht aus einer antihypertensiven Dreifachkombination (Hydrochlorothiazid 12,5 mg; Amlodipin 5 mg und Olmesartan 40 mg), ASS 100 mg, Pantoprazol 40 mg, einer chronischen Schmerzmedikation bestehend aus Hydromorphonhydrochlorid 8 mg und Novaminsulfon 500 mg, Macrogol 335 als Laxans sowie zur Behandlung der Osteoporose Denusomab 60 mg und Calciumkautabletten. Unter maximaler Androgenblockade und einem Testosteronspiegel auf Kastrationsniveau stieg der PSA von 3,5 ng/ml im März 2021 kontinuierlich innerhalb von acht Monaten auf 9,61 ng/ml im November 2021 an. Die Berechnung der PSA-DT mit dem MSKCC-doubling time calculator ergab einen Wert von knapp fünf Monaten. Das Staging mittels klassischer Bildgebung ergab keinen Hinweis für Lymphknoten-, ossäre oder viszerale Metastasen. Das damit diagnostizierte nmCRPC wurde mit zweimal 600 mg Darolutamid behandelt. Der PSA-Wert sank innerhalb von drei Monaten auf 2,63 ng/ml im Februar 2022 ab und lag im September 2022 bei 0,46 ng/ml. Darolutamid wurde bei nur wenigen Nebenwirkungen gut vertragen. Dieser für ein Prostatakarzinom typische Patientenfall in einer urologischen Fachpraxis unterstreicht deutlich den Stellenwert von Komorbiditäten und die damit assoziierte Anzahl von Begleitmedikationen für die Verordnung weiterer Medikamente. Der Patient hat aufgrund seiner Osteoporose ein erhöhtes Frakturrisiko, das mit weiteren Medikamenten nicht verschlechtert werden sollte. Stürze und Frakturen im hohen Alter, deren Ursache meist Verwirrtheit oder ein niedriger Muskeltonus ist, führen sehr oft zur Immobilität und zu erheblichen Einschränkungen des täglichen Lebens.

Nicht nur Nebenwirkungen, sondern auch mögliche Interaktionen beachten

Bei Patienten, die aufgrund von Komorbiditäten regelmäßig mehrere Medikamente einnehmen müssen, können unerwünschte Arzneimittelwirkungen auch durch Interaktionen verursacht werden. Patienten im Alter über 70 Jahre nehmen durchschnittlich fünf bis sieben Wirkstoffe gleichzeitig ein. In vielen Fällen warnt die Praxissoftware bereits bei der Verordnung mehrerer Wirkstoffe vor möglichen Wechselwirkungen. Auch der vom Hausarzt auszustellende bundeseinheitliche Medikamentenplan, auf den alle Patienten ein Anrecht haben, ist hier eine große Hilfe. Ein hilfreiches Tool ist der „Drug Interaction Checker“ der Internetseite www.drugs.com. Er generiert nach Eingabe aller Medikamente, die ein Patient gleichzeitig einnimmt, eine Liste mit allen bekannten Interaktionen abgestuft in drei Schweregrade. Die drei Androgenrezeptor-Antagonisten haben ein unterschiedliches Interaktionsprofil. Von diesen Substanzen sind bei Eingabe weiterer Begleitmedikamente in den erwähnten „Drug Interaction Checker“ bei Darolutamid die wenigsten Wechselwirkungen zu erwarten.

DAROL-Studie: Real-World-Daten zur Behandlung des nmCRPC mit Darolutamid

Um die Ergebnisse aus den Zulassungsstudien mit den Erfahrungen in der täglichen Praxis, also unter Real-Life-Bedingungen, vergleichen zu können, sind sogenannte Phase-IV-Studien notwendig. Für Darolutamid wurde deshalb die international prospektive, multizentrische, offene Phase-IV-Studie namens DAROL gestartet. Primärer Endpunkt ist die Sicherheit. Bei den sekundären Endpunkten finden sich die Gründe für den Therapieabbruch, die Therapiedauer, das metastasenfreie Überleben und auch die Therapiesequenzen, das heißt: Dauer und Ansprechen der Vor- und Folgetherapie. Explorative Parameter, wie die Gründe für die Darolutamid-Wahl, gesundheitsbezogene Lebensqualität und Biomarker-Testung, runden das Bild ab. In Deutschland nehmen 25 Zentren an DAROL teil. Eine aktuelle Interimsanalyse der Daten von den weltweit ersten 100 dokumentierten Patienten hat ergeben, dass Sicherheits- und Verträglichkeitsdaten konsistent mit den Daten aus der ARAMIS-Studie waren und damit das vorteilhafte Sicherheitsprofil dieser Phase-III-Studie bestätigen.

nmCRPC: nicht metastasiert oder nicht sichtbar metastasiert?

Mit dem PSMA-PET-CT, einer kombinierten Untersuchung aus Positronenemissionstomografie mit einem Marker für das prostataspezifische Membranantigen und einer Computertomografie, können auch kleinere Knochen- und Organmetastasen entdeckt werden, die bei der klassischen Bildgebung nicht auffallen. In der bereits erwähnten retrospektiven Analyse von 200 Patienten, die die SPARTAN-Kriterien erfüllt haben, also unter einer laufenden ADT eine niedrige PSA-Verdopplungszeit aufwiesen und über die klassische Bildgebung als nicht metastasiert galten, wurden die Ergebnisse der bei den Patienten zusätzlich durchgeführten PSMA-PET-CT ausgewertet: Nur 2 % dieser Patienten hatten keinen Tumornachweis. Bei 98 % der Patienten konnten entweder im Bereich der Prostata, wenn noch vorhanden, oder in anderen Organsystemen lokale oder Fernmetastasen festgestellt werden. 24 % der Patienten hatten lediglich ein lokales Problem in der Prostata, aber keine Lymphknoten- oder Organmetastasen, und insgesamt wurden bei 55 % der Patienten Knochen- oder Organmetastasen nachgewiesen. Bei fast allen Patienten mit einem in der klassischen Bildgebung nicht metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom (nmCRPC) kann demnach mittels PSMA-PET-CT Tumorgewebe und bei über der Hälfte der Patienten Fernmetastasen nachgewiesen werden. Gemäß den aktuellen Leitlinien ist der Einsatz eines PSMA-PET-CT eine Kann-Option nur zur Ausbreitungsdiagnostik bei Patienten mit einem neu diagnostizierten High-Risk-Prostatakarzinom mit einem Gleason-Score von 8 bis 10 oder der T-Kategorie cT3/cT4 oder einem PSA ≥20 ng/ml in der hormonsensitiven Situation nach einer Prostatektomie. Sobald mit einer ADT gestartet wurde, soll die Entscheidung über die Bildgebung zur Verlaufskontrolle in Abhängigkeit von Symptomatik und möglichen therapeutischen Konsequenzen erfolgen. Bei fehlender Symptomatik ist eine Bildgebung nicht zwingend erforderlich. Im Stadium der symptomfreien Kastrationsresistenz hätte die erfolgreiche Metastasensuche mittels PSMA-PET-CT zur Folge, dass eine evidenzbasiert lebensverlängernde Behandlung mit dem Androgenrezeptor-Antagonisten Darolutamid nicht mehr in Betracht gezogen werden würde. Die Bildgebung mittels PSMA-PET-CT würde in dieser Situation das therapeutische Spektrum also eher einschränken. Wenn das PSMA-PET-CT bei einem asymptomatischen jüngeren und aktiven Patienten mit einer singulären Metastase oder mit nmCRPC mit der Zielsetzung einer metastasengerichteten Therapie durchgeführt werden soll, ist zu bedenken, dass es für diese Therapie bislang keine Evidenz für eine lebensverlängernde Wirksamkeit gibt. Allerdings gibt es auch bei Patienten mit einem nmCRPC Situationen, in denen ein PSMA-PET-CT sinnvoll sein kann, wie zum Beispiel bei klinisch symptomatischen Patienten mit Knochenschmerzen ohne Metastasennachweis in der klassischen Bildgebung. Für eine etwaige Strahlentherapie ist die Lokalisation der Metastase erforderlich.

Fazit

  • Eine PSA-Verdopplungszeit von <10 Monaten ist bei nmCRPC-Patienten mit einem hohen Metastasierungsrisiko assoziiert.
  • Alle drei Androgenrezeptor-Antagonisten zeigen eine gute Wirksamkeit und verlängern bei High-Risk-nmCRPC-Patienten das metastasenfreie Überleben und das Gesamtüberleben.
  • Darolutamid ist ein sehr gut verträglicher Androgenrezeptor-Antagonist und hat ein günstiges Nebenwirkungs- und Wechselwirkungsprofil.
  • Ausschlaggebendes Kriterium für die Wahl der Bildgebung bei Patienten mit erneut ansteigenden PSA-Werten unter einer ADT-Monotherapie ist die therapeutische Konsequenz.
  • Die nicht interventionelle DAROL-Studie dokumentiert die therapeutischen Erfahrungen mit Darolutamid unter Real-World-Bedingungen.

Bildnachweis

Pixel-Shot – Adobe Stock