Management lebensbedrohlicher und nicht-kontrollierbarer Blutungen unter Antikoagulation

Lebensbedrohliche Blutungen bei Patienten unter Antikoagulation erfordern eine notfallmäßige Therapie. Intrazerebrale Blutungen sind seltener als gastrointestinale Blutungen, dafür aber mit einer deutlich höheren Letalität assoziiert. Blutungsvolumen, Lokalisation und das sogenannte Spot Sign im CT-Angiogramm als Hinweis auf eine aktive intrazerebrale Blutung sind prognoserelevant.

Ist die Blutungsquelle unbekannt oder durch endoskopische oder chirurgische Maßnahmen nicht zeitnah kontrollierbar, kann eine mit Rivaroxaban oder Apixaban induzierte Gerinnungshemmung durch das Antidot Andexanet alfa rasch aufgehoben werden. Für die Antagonisierung von Dabigatran steht Idarucicumab zur Verfügung. Situationsabhängig ist die zusätzliche Gabe von Faktorenkonzentraten, Fresh Frozen Plasma und Blutkonserven notwendig. Die Messung der DOAK-Spiegel zur Überprüfung der Wirksamkeit des Antidots ist nur mit speziellen Assays möglich, da sonst falsch hohe Konzentrationen gemessen werden.

Ein Wiederbeginn der Antikoagulation nach erfolgreicher Blutstillung kann erfahrungsgemäß frühestens 48-72 Stunden nach der Antagonisierung erfolgen. Nach einer traumatischen intrazerebralen Blutung sollte bis zur Fortsetzung der Antikoagulation 4 Wochen abgewartet werden.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709123028330018
Zeitraum 09.02.2023 - 08.02.2024
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte Fortbildung abgelaufen
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof. Dr. Christian Nolte
Prof. Dr. med. Jan Beyer-Westendorf
PD Dr. med. Jürgen Koscielny
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Moderierter, interaktiver Webcast
Lernmaterial Vorträge, Lernerfolgskontrolle (pdf); Bearbeitungsdauer: 90 Minuten
Fortbildungspartner AstraZeneca GmbH
Bewertung 4.2 (741)

Einführung

In den letzten Jahren hat die Verordnung von oralen Antikoagulanzien deutlich zugenommen. Das Zentralinstitut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung berichtete bereits 2018 über zehn Millionen Verordnungen pro Jahr für orale Antikoagulanzien, davon rund 7,5 Millionen für die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) und 2,5 Millionen für die klassischen Vitamin-K-Antagonisten (VKA). Die Tendenz ist steigend. Aus den Zulassungsstudien mit Rivaroxaban und Apixaban ist bekannt, dass es pro Jahr bei 2 bis 3 % der Patienten zu akuten starken Blutungen kommt. Sie können als gelegentliche, jedoch schwerwiegende Komplikation an einem oder mehreren Organen auftreten, einschließlich Gehirn, Augen, Bauchraum und Urogenitalsystem. Gastrointestinale Blutungen sind häufiger als intrakranielle Blutungen. Insbesondere intrakranielle Blutungen sind mit einem hohen Mortalitätsrisiko von 43 bis 45 % assoziiert. Wenn lebensbedrohliche Blutungen unter einer Antikoagulation mit Apixaban oder Rivaroxaban durch andere Maßnahmen nicht kontrollierbar sind, kann die Gerinnungshemmung durch das Antidot Andexanet alfa rasch aufgehoben werden. Zur Antagonisierung von Edoxaban ist diese Substanz derzeit noch nicht zugelassen. Zur spezifischen Antagonisierung von Dabigatran steht der Wirkstoff Idarucizumab zur Verfügung. 4-Faktoren-Prothrombinkomplex-Konzentrate (4F-PCC) führen nicht zu einer Reduzierung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität. Der Einsatz von spezifischen Antidota bei mit direkten oralen Antikoagulanzien behandelten Patienten wird deshalb in den Leitlinien von zahlreichen internationalen Fachgesellschaften empfohlen, wenn lebensbedrohliche und nicht kontrollierbare Blutungen auftreten. In dieser Fortbildung werden anhand von Fallbeispielen aus der Praxis verschiedene Szenarien für einen potenziellen Einsatz von Andexanet alfa vorgestellt und kommentiert.

Patientenfall 1: Intrakranielle Blutung mit gesicherter DOAK-Einnahme (Prof. Nolte)

Vorstellen möchten wir einen 86 Jahre alten Patienten, männlich, der seit 2,5 Stunden eine Halbseitenlähmung links aufweist. Auf der Glasgow-Coma-Scale (GCS) erreicht er 14 Punkte; er war also wach. Klinisch-neurologisch zeigte sich eine gering ausgeprägte, brachial betonte sensomotorische Hemiparese links mit Dysarthrie und Neglect für links. Die Untersuchung entsprach sieben Punkten auf der National-Institutes-of-Health-Schlaganfallskala, was einem mittelgradigem Schweregrad entspricht. An Vorerkrankungen bestanden ein Vorhofflimmern, das oral antikoaguliert war, sowie eine chronische Niereninsuffizienz im Stadium III bis IV, ein arterieller Hypertonus und eine Prostatahyperplasie. Die Medikation bestand aus Rivaroxaban 15 mg (und wir waren sicher, dass die letzte Einnahme innerhalb der letzten acht Stunden stattgefunden hatte) sowie Ramipril, Amlodipin und Tamsulosin. Die sofort durchgeführte cCT-Diagnostik zeigte eine Blutung rechts parietal, die den klinischen Befund sehr gut erklärt. Das unmittelbar nachfolgende cCT mit Kontrastmittel zeigte keinen Hinweis für eine arteriellvenöse Malformation, ein Aneurysma, einen Tumor, einen demarkierten Infarkt oder auf andere Blutungsquellen. Es zeigte sich auch kein sogenanntes „Spot-Sign”, also kein aktiver Kontrastmittelaustritt im Bereich der Blutung. Als Korrelat für den Neglect kann man am CT gut die Kopfdrehung zur Seite erkennen. Das Labor zeigte eine Normoglykämie, deutlich veränderte Gerinnungsparameter, eine Anämie, eine normale Thrombozytenzahl und die vorbekannte Niereninsuffizienz.

Behandlung einer intrazerebralen Blutung bei gesicherter letzter DOAK-Einnahme (Prof. Nolte)

Die Größe der intrazerebralen Blutung ist ein prognostisch wichtiger Faktor. Das Volumen der Blutung kann anhand der „A x B x C geteilt durch 2”-Regel ausgerechnet werden. Auf der CT-Aufnahme werden zunächst Breite und Tiefe der Blutung in Zentimetern ausgemessen. Danach wird die Anzahl der Schichten gezählt, auf der die Blutung zu sehen ist. Bei bekannter Schichtdicke kann auch die Höhe in Zentimetern ausgerechnet werden. Das Volumen ergibt sich als Produkt der drei Faktoren geteilt durch 2 in Kubikzentimetern. Je größer das Volumen der Blutung ist, desto schlechter ist die Prognose. Blutungen mit einem Volumen von weniger als 30 cm3 haben je nach Lokalisation eine 30-Tage-Mortalität von 7–57 %. Bei Blutungsvolumina von 30 bis 60 cm3 liegt die 30-Tage-Mortalität bei 64 % für tiefe Blutungen, 60 % für Lobärblutungen und 75 % für Kleinhirnblutungen. Patienten mit noch größeren Blutungsvolumina versterben zu einem noch höheren Anteil. Es erscheint deshalb intuitiv richtig, das Hämatomwachstum, das heißt die Volumenzunahme zu verhindern. Dafür wird eine Normalisierung der Hämostase angestrebt. Bei einem antikoagulierten Patienten ist die Hämostase gestört. Bei unserem Patienten wird dies durch die pathologisch veränderten Gerinnungswerte angezeigt. Zusätzlich passt die Anämie. Für die weitere Behandlung ist es wichtig zu wissen, ob es sich um eine Antiaggregation mit Thrombozytenfunktionshemmern (TFH) oder um eine orale Antikoagulation (OAK) handelt. Bei der OAK ist zu differenzieren, ob sie durch Vitamin-K-Antagonisten (VKA) oder durch direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) verursacht wird. Bei den DOAK sind Faktor-II- Antagonisten, konkret Dabigatran, von Faktor-Xa-Antagonisten, konkret Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban, zu unterscheiden. Der oben genannte Patient hatte Rivaroxaban eingenommen. Seit 2019 steht Andexanet alfa zur Antagonisierung der Gerinnungshemmung durch Rivaroxaban zur Verfügung. In der 2019 veröffentlichten Zulassungsstudie ANNEXA-4 konnte gezeigt werden, dass mit Andexanet alfa bei gut 80 % der Patienten eine gute bis exzellente Hämostase wiederhergestellt werden kann. Andererseits kam es in der Studie ANNEXA-4 bei 10 % Patienten in den ersten 30 Tagen nach Anwendung zu thromboembolischen Ereignissen. In der ANNEXA-4-Studie gab es eine große Untergruppe von Patienten mit intrakranieller Blutung. Bei 80 % der Patienten wurde nach der Gabe von Andexanet alfa eine gute bis exzellente Hämostase erreicht. In 71 von diesen 169 Patienten konnte auch das Hämatomwachstum beurteilt werden: Eine signifikante Blutungsvolumenzunahme wurde bei 79 % der Patienten innerhalb von einer Stunde verhindert und bei 77 % der Patienten innerhalb von zwölf Stunden. Die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) hat deshalb Andexanet alfa 2019 als zusätzliche therapeutische Option anerkannt. 4F-PPSB wird als Alternative in der Behandlung gesehen. Welches Medikament besser ist, ist derzeit noch nicht geklärt. Die europäische Schlaganfallorganisation (ESO) gibt folgende Behandlungsoptionen an: erstens 4F-PPSB, zweitens Fresh Frozen Plasma (FFP), drittens bei Dabigatran das spezifische Antidot Idarucizumab und viertens bei Apixaban oder Rivaroxaban Andexanet alfa. Zusammenfassend empfiehlt die ESO den Einsatz von Andexanet alfa – sofern es vorhanden ist. Die Gesellschaft betont aber auch die Notwendigkeit weiterer Studien, um die besten Behandlungen zu identifizieren. Wir haben bei dem oben genannten Patienten Andexanet alfa gegeben. Weitere Maßnahmen waren auf der Grundlage einer Good Clinical Practice (GCP): Blutdruckmanagement, Aufnahme auf die Stroke Unit, Oberkörperhochlagerung (30 Grad) sowie bei einer Anämie die Suche nach weiteren Blutungsquellen. Der oben genannte Patient hat sich erholt. Der Neglect hat sich deutlich gebessert. Das Kontroll-CT nach fünf Tagen zeigte eine rückläufige intrakranielle Blutung. Der Patient konnte danach in eine Rehabilitation verlegt werden. Wie bereits erwähnt, ist derzeit noch nicht geklärt, ob bei einer intrakraniellen Blutung bei einem mit Rivaroxaban oder Apixaban antikoagulierten Patienten die Gabe von 4F-PPSB oder die von Andexanet alfa die bessere Option ist. Derzeit läuft eine randomisierte Studie, die Andexanet alfa gegen die übliche Behandlung (usual care) bei intrakraniellen Blutungen testet. Es gibt bereits einige Vergleiche, die aber überwiegend aus Registerdaten stammen, zum Beispiel aus dem ORANGE-Register oder dem RETRACE-Register. Diese Daten haben alle den Nachteil, dass sie nicht aus randomisierten Studien stammen und deshalb die Behandlungsgruppen nur eingeschränkt vergleichbar sind, da verschiedene Bias berücksichtigt werden müssen. In den Registerstudien erscheint die Gabe von Andexanet alfa vorteilhaft. In einer aktuell publizierten monozentrischen Studie mit kleinen Fallzahlen wurden Patienten mit einer intrakraniellen Blutung unter Apixaban oder Rivaroxaban entweder mit 4F-PPSB oder Andexanet alfa behandelt. In der Andexanet-Gruppe war der Anteil an Patienten mit guter oder sogar exzellenter Hämostase größer als bei den Patienten, die mit 4F-PPSB behandelt wurden. Aufgrund der kleinen Fallzahlen und der fehlenden Adjustierung hat dieses Ergebnis aber nur eine eingeschränkte Aussagekraft.

Wirkungsweise und Dosierung von Andexanet alfa (Prof. Koscielny)

Andexanet alfa ist im Prinzip als Köder für eine Aufnahme von Faktor-Xa-Inhibitoren entwickelt worden. Das Molekül besitzt dazu die gleiche Bindungsstelle wie die Faktor-Xa-Inhibitoren. Andexanet alfa hat aber keine eigenständige gerinnungshemmende Wirkung. Im Vergleich zum klassischen Faktor-Xa findet sich im Wirkzentrum an Position 419 beim Andexanet alfa die Aminosäure Alanin statt Serin, wodurch die katalytische Aktivität ausgeschaltet wird. Außerdem ist beim Andexanet alfa keine membranbindende Carboxyglutaminsäure-Domäne mehr vorhanden, die für weitere inhibitorische Mechanismen benötigt wird. Andexanet alfa fängt in Konkurrenz zum Faktor Xa die Faktor-Xa-Inhibitoren ab. Obwohl Andexanet alfa primär keinen Einfluss auf die Hämostase hat, kann eine Interaktion mit dem Tissue-Factor-Pathway-Inhibitor stattfinden, was durchaus zu einer gesteigerten Thrombingenerierung führen kann. Die Wirkung des parenteral verabreichten Antidots Andexanet alfa ist zeitlich begrenzt und gut steuerbar. Nach Applikation eines Bolus muss der Wirkstoff über eine Infusion über zwei Stunden weiter zugeführt werden, weil sonst nach zwei bis drei Stunden keine Wirksamkeit mehr nachweisbar ist. Patienten, die mit Apixaban antikoaguliert wurden, brauchen in der Regel eine geringere Dosis von Andexanet alfa zur Aufhebung der Antikoagulation als Patienten, die mit Rivaroxaban antikoaguliert wurden. Die Dosierung von Andexanet alfa hängt von der zur Antikoagulation verwendeten Substanz, von der Höhe der eingenommenen Dosis und vom Zeitintervall seit der letzten Dosiseinnahme ab. Wurde mit Apixaban mit einer Dosis ≤5 mg oder mit Rivaroxaban ≤10 mg antikoaguliert, wird unabhängig vom Zeitintervall immer die niedrige Dosis von Andexanet alfa verabreicht. Ist die Apixaban-Dosis >5 mg, die Rivaroxaban-Dosis >10 mg oder sind die Dosierungen unbekannt, kommt bei einem Zeitintervall von <8 Stunden oder einem unbekannten Zeitintervall die Andexanet-alfa-Hochdosis zum Einsatz. Bei einem Zeitintervall von ≥8 Stunden wird Andexanet alfa grundsätzlich niedrig dosiert. Die niedrige Dosis besteht aus einer initialen intravenösen Bolusgabe von 400 mg Andexanet alfa, die mit 30 mg/min erfolgen soll. Daran schließt sich eine intravenöse Dauerinfusion über 120 Minuten mit 4 mg Andexanet alfa/min an. Insgesamt werden für die niedrige Dosis fünf Durchstechflaschen á 200 mg benötigt. Bei der hohen Dosis wird ein Bolus von 800 mg mit 30 mg/min injiziert, gefolgt von einer zweistündigen Dauerinfusion von 8 mg/min. Für die hohe Dosis werden insgesamt neun Durchstechflaschen á 200 mg benötigt. Bei schweren lebensbedrohlichen Blutungen kann die Bestimmung der DOAK-Plasmaspiegel sinnvoll sein, um die Indikation für eine Antagonisierung der Antikoagulation zu stellen. Sowohl bei Apixaban als auch bei Rivaroxaban werden bei schweren lebensbedrohlichen Blutungen Plasmaspiegel von >50 ng/ml gemäß ISTH-Expertenkonsensus als Richtschnur für den Einsatz von Andexanet alfa diskutiert, wenn die Blutung nicht anders kontrolliert werden kann. Hierzu gibt es derzeit noch keine prospektiven Daten. Bei Dabigatran gibt es ebenfalls eine auf dem ISTH-Expertenkonsensus basierende Empfehlung ab einer Plasmakonzentration von >50 ng/ml, jedoch mit dem spezifischen Antidot Idarucizumab. Für das Edoxaban werden ebenfalls >50 ng/ml als relevante Plasmakonzentration angenommen, allerdings sind die klinischen Studien zur Aufhebung der Antikoagulation für dieses DOAK noch nicht abgeschlossen. Für Vitamin-K-Antagonisten und Heparine sind keine spezifischen Plasmakonzentrationen bekannt, ab denen Maßnahmen zur Aufhebung der Antikoagulation indiziert sind.

Anwendung von Andexanet alfa bei heparinisierten Patienten (Prof. Koscielny)

In einem Rote-Hand-Brief vom November 2020 wird darauf hingewiesen, dass vor und während der Anwendung von Andexanet alfa eine Heparinisierung vermieden werden sollte. Heparine wirken ebenfalls über die Faktor-Xa-Hemmung; deshalb kommt es zu Wechselwirkungen mit Andexanet alfa. Wenn Andexanet alfa und Heparin in einem kurzen Abstand zueinander gegeben werden, können die Ergebnisse von Gerinnungstests täuschen, das heißt, die Überwachung der Wirkung von Andexanet alfa in Gegenwart von aktiven Heparinen ist nicht validiert. Weiter wird darauf hingewiesen, dass die Anwendung von Andexanet alfa zur Aufhebung einer Antikoagulation mit Apixaban und Rivaroxaban zwar bei akut lebensbedrohlich blutenden Patienten zugelassen ist, aber nicht vor dringenden chirurgischen Eingriffen bei antikoagulierten Patienten. Dieses Szenario wird im Moment klinisch geprüft.

Patientenfall 2: Gastrointestinale Blutung unter gesicherter DOAK-Einnahme (Prof. Dr. Beyer-Westendorf)

Männlicher Patient, 74 Jahre alt, mit einer Gastrointestinalblutung. Der Patient ist dauerhaft antikoaguliert mit Apixaban wegen eines Vorhofflimmerns bei Tachyarrhythmia absoluta. Der Patient hat sich einer elektiven Koloskopie wegen Unterbauchbeschwerden unterziehen müssen, dabei wurde ein Polyp abgetragen. Es kam zu einer Adrenalinunterspritzung, anschließend war die Abtragungswunde stabil. Am Abend des zweiten Tages nach der Koloskopie war der Patient zu Hause und setzte akut frisches Blut rektal ab. Es kam zur Entwicklung eines Schocks, Zyanosezeichen, Tachykardie und Erschöpfung, sodass die Ehefrau den Notarzt alarmierte und der Patient bei uns in der Notaufnahme vorgestellt wurde. Seine Dauermedikation war Apixaban 2 x 5 mg pro Tag mit der letzten Einnahme vier Stunden vor der stationären Aufnahme. Bei Eintreffen des Patienten zeigte sich eine Tachykardie mit einer Herzfrequenz von 160/min, eine Hypotonie mit einem systolischen Blutdruck von 70 mmHg, eine ausgeprägte Anämie mit einem Hämoglobinwert von 3,8 mmol/l oder 6,1 g/dl. Leukozyten und Thrombozyten waren normal. Quick und PTT waren im Normbereich, aber wir wussten zu diesem Zeitpunkt aus der Anamnese sicher, dass die letzte Apixaban-Einnahme erst vier Stunden zurücklag.

Differenziertes Vorgehen bei kontrollierbaren gastrointestinalen Blutungen (Prof. Dr. Beyer-Westendorf)

Nach der sofortigen Verlegung des Patienten auf die Intensivstation wurde der Kreislauf mit Katecholaminen und Infusionen stabilisiert und der Patient koloskopiert, da anzunehmen war, dass der Patient an der Stelle blutete, wo der Polyp abgetragen wurde. Die Blutungsstelle wurde schnell lokalisiert, die Wunde konnte mit Clips suffizient versorgt werden. Bis zum Ende der Koloskopie kam es zu keinen weiteren Nachblutungen; der Patient wurde noch für weitere 48 Stunden überwacht und am dritten Tag entlassen. Grundsätzlich muss bei mit DOAK antikoagulierten Patienten mit Blutungen gerechnet werden, auch wenn diese seltener bluten als Patienten, die mit VKA antikoaguliert wurden. Unter den nicht schweren Blutungen unter DOAK stellen die gastrointestinalen Blutungen zusammen mit der Hämatomneigung und der Anämie die führende Manifestation dar. Bei den schweren Blutungen sind gastrointestinale Blutungen mit Abstand die führende Lokalisation, und hier ergibt sich die Frage nach dem Stellenwert einer Antidot-Behandlung. Das Problem besteht bei dieser Blutungslokalisation darin, dass ein oral aufgenommener potenter Blutverdünner in hoher Konzentration auf eine Gewebeläsion zum Beispiel im Magen trifft und so die Blutung aus der Läsion aktiv unterhalten kann. Daraus ergeben sich prinzipiell mehrere Behandlungsansätze: Erstens kann das DOAK pausiert werden, zweitens können die Läsionen als Blutungsquelle behandelt werden und drittens könnte das im Blut zirkulierende DOAK durch ein Antidot ausgeschaltet werden. Um dieses zu entscheiden, müssen gerade bei gastrointestinalen Blutungen zwei klinische Szenarien unterschieden werden: Entweder kann eine Blutung endoskopisch erkannt und verschlossen werden, oder es handelt es sich um eine endoskopisch nicht erkennbare oder nicht verschließbare Läsion. Für die endoskopische Versorgung von gastrointestinalen Blutungen stehen mehrere Optionen zur Verfügung: Die Unterspritzung mit Adrenalin, das Verkleben mit Fibrin oder Histoacryl, die Ligatur, die Applikation von Hämoclips, die thermische Verödung oder die breitflächige Blutstillung mit einem Hemospray. In dem oben geschilderten Fall liegt ganz klar das Szenario 1 vor: Der Patient hat eine identifizierte gastrointestinale Blutung mit einer schnell und gezielt versorgbaren Läsion. In diesem Fall ist die endoskopische Versorgung wichtiger als die Messung des Apixaban-Plasmaspiegels, die Aufhebung der Antikoagulation mit Andexanet alfa oder die Gabe von Faktorenkonzentraten wie 4f-PPSB. Die Gabe von Andexanet alfa oder Faktorenkonzentraten wäre bei diesem akuten Notfallpatienten im hämorrhagischen Schock zwar prinzipiell kein Fehler gewesen, aber die folgenden Gründe sprechen gegen eine solche Strategie:
  • Der Zeitverlust bis zur Anforderung des Antidots, des Faktorenkonzentrates oder bis zum Vorliegen des Apixaban-Spiegels führt zu einer Verzögerung der Endoskopie.
  • Die Aufhebung der Antikoagulation oder die Gabe von Faktorenkonzentrat dürfte bei diesem Patienten nicht zur Blutstillung ausreichen, da er stark aus einem Gefäßstumpf nach Polypabtragung blutet.
  • Demgegenüber können Antagonisierungsstrategien bei dem Patienten mit Vorhofflimmern das Schlaganfallrisiko erhöhen.
  • Die zusätzlichen Kosten eines medizinisch nicht notwendigen Antidots oder Faktorenkonzentrates sind schwer zu rechtfertigen.
Wenn die Blutung bei dem Patienten endoskopisch nicht versorgt werden könnte, könnte natürlich durchaus eine Antidot-Gabe erwogen werden. Zuvor sollte aber der Apixaban-Spiegel bestimmt werden, um zu schauen, ob überhaupt suffiziente Medikamentenspiegel in dem Patienten vorliegen. In dem oben geschilderten Fall wäre eine Apixaban-Antagonisierung also ein Eskalationsschritt für den Fall einer erfolglosen endoskopischen Therapie.

Patientenfall 3: Intrakranielle Blutung mit vermuteter DOAK-Einnahme (Prof. Nolte)

Ein 77 Jahre alter männlicher Patient mit einer Halbseitenlähmung rechts. Das Zeitfenster vom Auftreten der Lähmung bis zur Vorstellung ist unklar. Der Patient spricht kein Deutsch, und es steht kein Dolmetscher zur Verfügung. Die Symptomatik besteht vermutlich seit mehreren Stunden, auf der Glasgow-Coma-Scale erreicht der Patient 14 Punkte, er ist also wach. Klinisch-neurologisch zeigt sich eine mittelgradige Hemiparese links und eine Dysarthrie, die auf der National-Institutes-of-Health-Schlaganfallskala einem Punktwert von 6 entsprechen, ein mittlerer Schlaganfallschweregrad. An Vorerkrankungen besteht ein Vorhofflimmern, das oral antikoaguliert ist, eine COPD sowie eine Prostatahyperplasie. Der Patient erhielt vor einiger Zeit eine Kniegelenkstotalendoprothese (TEP) und rauchte bis vor wenigen Jahren. Die Medikation kennen wir aus einem Begleitschreiben, das der Patient dabei hat. Er nimmt 20 mg Rivaroxaban ein, Trospium und Tamsulosin. Das Labor zeigt eine Normoglykämie, keine veränderten Gerinnungswerte, keine Anämie und eine normale Thrombozytenzahl. Das Serumkreatinin weist auf eine leichte Niereninsuffizienz hin. Das sofort durchgeführte cCT zeigt eine gut sichtbare Stammganglienblutung links, das nachfolgende cCT mit Kontrastmittel zeigte keine arteriell-venöse Malformation, kein Aneurysma, keinen demarkierten Infarkt, keine Metastase und keinen Tumor als Blutungsquelle. Zu sehen ist aber ein sogenanntes „Spot-Sign”, also ein akuter Kontrastmittelaustritt in die Blutung als Zeichen einer Blutung, die noch aktiv blutet.

Behandlung einer intrazerebralen Blutung bei unbekannter letzter DOAK-Einnahme (Prof. Nolte)

Zusätzlich zu der bereits in der Falldarstellung 1 erwähnten Größe der intrazerebralen Blutung ist auch die Lokalisation der Blutung von prognostischer Relevanz. Wir unterscheiden lobäre oder atypische von sogenannten „Loco-typico”-Blutungen. Lobäre Blutungen sind in der Peripherie des Großhirns lokalisiert. „Loco-typico”-Blutungen finden sich in den Stammganglien, dem Thalamus, der Pons oder dem Kleinhirn. Infratentorielle Blutungen in der Pons und im Kleinhirn haben dabei eine schlechtere Prognose. Bei unserem Patienten war das Zeitfenster seit Einnahme der letzten Rivaroxaban-Dosis unbekannt; die Einnahme hätte theoretisch schon mehrere Stunden zurückliegen können. Die Gerinnungswerte waren nicht pathologisch, die Rivaroxaban-Wirkung könnte also auch aufgehoben sein. Die Gabe von Andexanet alfa wird von der Gesellschaft der amerikanischen Notfallmediziner bis zu 18 Stunden nach Einnahme empfohlen. Diese Empfehlung bezieht sich aber nicht auf intrakranielle Blutungen im Speziellen, sondern auf aktive Blutungen im Allgemeinen. Auch ist die Frage berechtigt, ob Gerinnungstest bei dieser Entscheidung helfen. Die europäischen und deutschen Leitlinien geben hierzu keine Empfehlung, da es keine genügende Korrelation zwischen kalibrierten, quantitativen Anti-Faktor-Xa-Tests und der gerinnungshemmenden Wirkung der Xabane gibt. Rivaroxaban erhöht zwar die International Normalized Ratio (INR), diese ist aber nicht geeignet, um die Aktivität von Rivaroxaban präzise zu bestimmen. Bei unserem Patienten war die INR nicht pathologisch. Andererseits zeigt das Spot-Sign eine aktive Blutung an. Die Wahrscheinlichkeit eines Hämatomwachstums, das heißt einer Volumenzunahme ist in diesem Fall um den Faktor 2 bis 3 erhöht, wie Kollegen aus Kanada nachweisen konnten. Entsprechend der Europäischen Herzrhythmus-Gesellschaft können wir das Risiko der Blutung hinsichtlich einer Verschlechterung anhand der Nierenfunktion (hier Stadium 2 Insuffizienz = mittleres Risiko), des Hb-Wertes (hier stabil), der Gerinnungswerte (hier nicht pathologisch verändert) und des Blutungsvolumens einschätzen (hier geschätzt 20 cm3 = niedrigeres Risiko). Andererseits zeigt das Spot-Sign ein hohes Risiko für eine Volumenzunahme und eine schlechte Prognose an. Der Patient wurde gemäß ESO-Guideline mit Andexanet alfa behandelt, da er u. E. mit hinreichender Wahrscheinlichkeit unter aktiv wirksamer Therapie mit Rivaroxaban stand. Die Gabe von 4F-PPSB wäre laut Leitlinie eine weitere Option gewesen. Unklar ist, ob bei unserem Patienten ein Zuwarten möglich gewesen wäre. Weitere Maßnahmen erfolgten auf der Grundlage einer Good Clinical Practice (GCP) und beinhalten wie bei Fall 1 das Blutdruckmanagement, die Aufnahme auf die Stroke Unit und die Oberkörperhochlagerung (30 Grad). Der Patient erholte sich gut, die Blutung bildete sich gut zurück. Er konnte nach einer Woche auf die Rehabilitation verlegt werden.

Patientenfall 4: Stumpfes Trauma nach Verkehrsunfall unter Antikoagulation mit einem DOAK (Prof. Koscielny)

Der Patient wurde nach einem Autounfall mit einem ausgeprägten stumpfen Trauma mit einer offenen, blutenden, transfusionspflichtigen Femurfraktur und Beckenringfraktur kurz vor Mitternacht in die Rettungsstelle der Charité eingeliefert. Der bereits nicht mehr ansprechbare Patient ist 68 Jahre alt, männlich, Gewicht 85 kg. Der Verletzungsschweregrad laut ISS-Score liegt bei > 25, der Revised-Trauma-Score (RTS) liegt etwa bei 5, das heißt also: deutliche Einschränkung der physiologischen Funktionen, kurz vor der Beatmungspflichtigkeit. Der Patient hat entsprechend diesem Verletzungsmuster laut Trauma and Injury Severity Score (TRISS) eine Überlebenswahrscheinlichkeit von etwa 50 %. An Medikation werden auf einer Liste Bisoprolol, Pantoprazol und eine Antikoagulation mit 2 x 5 mg Apixaban/Tag angegeben. Die Indikation ist nicht ganz klar. Die Angehörigen berichten, dass der Vater Rhythmusstörungen hat. Die letzte Einnahme des DOAK ist unbekannt, und weitere Fragen zur Krankheitssituation können die Angehörigen nicht beantworten. Der Unfallchirurg muss den Patienten auch aufgrund des ausgedehnten Weichteiltraumas zeitnah innerhalb der nächsten 60 Minuten operativ versorgen.

Vorbereitende Maßnahmen zur Herstellung der Operationsfähigkeit (Prof. Koscielny)

Das Notfalllabor bei dem Traumapatienten ergab die folgenden wesentlichen Befunde: Hb-Wert und Hämatokrit zeigten einen hämorrhagischen Schock an, die Gerinnungsparameter passen zu einer traumainduzierten Koagulopathie, ferner besteht eine Azidose mit einem pH von 7,14 und eine Hypothermie bei 33 °C, also 4 °C unter Normalwert. Die Messung des Apixaban-Spiegels wurde veranlasst. Jeder Grad Verlust an Körperkerntemperatur führt zu einem 10%igen Aktivitätsverlust der plasmatischen Blutgerinnung. Ein pH-Wert von unter 7 wird bei traumatisierten Patienten mit einer fast infausten Prognose assoziiert, die Letalität beträgt deutlich über 90 %. Bei dem Patienten besteht eine sehr komplexe Situation mit verschiedenen auslösenden Faktoren für perioperative nicht chirurgische Blutungen, die vor der unfallchirurgischen Versorgung korrigiert werden müssen:
  • Hypothermie
  • Azidose
  • Hyperfibrinolyse
  • Dilutionskoagulopathie
  • Verlustkoagulopathie
  • Koagulopathie nach Massivtransfusion
  • Parallele Antikoagulation
Die Messung der Anti-Xa-Aktivität ist in diesem Fall sinnvoll, da eine Behandlung mit Apixaban bei unklarem letzten Einnahmezeitpunkt bekannt ist. Wenn das nicht möglich ist, geben andere Gerinnungstests, wie Thrombinzeit (TZ), aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) und Prothrombinzeit (PT), nur semiquantitative Hinweise für eine bestehende Antikoagulation. Die Antikoagulation bei dem Patienten wurde hochdosiert mit einem 800-mg-Bolus, gefolgt von einer zweistündigen Infusion mit 8 mg/ml Andexanet alfa antagonisiert, da der letzte Einnahmezeitpunkt unbekannt war und der Apixaban-Plasmaspiegel zum entsprechenden Zeitpunkt noch nicht vorlag. Weiter wurde Tranexamsäure gegeben, das Fibrinogen ersetzt, Erythrozytenkonzentrate und Fresh Frozen Plasma körperwarm verabreicht. Die Beatmung erfolgte mit positivem endexpiratorischen Druck (PEEP), das Management der Körpertemperatur mit Systemen wie Bair Hugger und CoolGard unterstützt. Auf diese Weise stabilisiert konnte der Patient erfolgreich operiert werden und wurde nach sechs Tagen auf die Normalstation verlegt.

Zeitpunkt für den Wiederbeginn der Antikoagulation nach Antagonisierung (Prof. Koscielny)

Wann kann nach schweren Blutungen oder nach Operationen mit hohem Blutungsrisiko die Antikoagulation wieder begonnen werden? Zunächst ist zu prüfen, ob die Indikation für die Antikoagulation weiterbesteht. Die Indikationen mit einem hohen Thromboembolierisiko sind laut Leitlinienempfehlungen klar definiert: mechanische Herzklappen, hohes Risiko für eine Lungenembolie und/oder eine proximale tiefe Beinvenenthrombose (TVT) und ein Vorhofflimmern vor allem bei Patienten mit CHA2DS2VASc-Score von >4. Bei wiederholt unter oraler Antikoagulation aufgetretenen intrakraniellen Blutungen kann alternativ zur Gabe von DOAK oder VKA ein Vorhofohrverschluss oder ein Vena-cava-Filter angezeigt sein. Vor einem Re-Start der Antikoagulation sollte bei den Patienten ein individueller Check der Nieren- und Leberfunktion durchgeführt werden, damit die Ausscheidung der Antikoagulanzien gewährleistet ist. Das ist bei Apixaban wichtig. Bei postoperativer Hämostase sollte die Entfernung der Wunddrainagen mindestens 48 bis 72 Stunden zurückliegen, bevor die orale Antikoagulation wieder gestartet werden kann. Bis zu diesem Zeitpunkt kann, allerdings ohne ausreichende Evidenz, mit einem niedermolekularen Heparin in prophylaktischer Dosis behandelt werden. Nach einer traumatischen intrazerebralen Blutung, gerade nach einem epi oder subduralen Hämatom, sollte die volltherapeutische Antikoagulation nach internationalem Expertenkonsens erst vier Wochen nach dem Ereignis wieder gestartet werden.

Patientenfall 5: Nicht kontrollierbare gastrointestinale Blutung unter DOAK-Einnahme (Prof. Dr. Beyer-Westendorf)

Ein weiterer Patient mit einer Gastrointestinalblutung unter einem DOAK wegen eines Vorhofflimmerns soll besprochen werden. Es handelt sich um eine 77-jährige Frau, die über den Hausarzt eingewiesen wurde. Die Einweisungsdiagnose lautete: Durchfall, Verdacht auf Pneumonie und eine im Labor sichtbare Anämie. Die Patientin hat eine ausgeprägte Arteriosklerose, in der Voranamnese mit einem Aortenulkus, das mit einem Aortenstent versorgt wurde, und eine KHK mit Zustand nach Bypässen und nach einer koronaren Stentversorgung. Die Patientin nimmt wegen eines Vorhofflimmerns 1 x 15 mg Rivaroxaban ein und zusätzlich auch noch ASS 100. Dazu ist bekannt, dass die Patientin vor zehn Jahren bereits ein Ulcus ventriculi erlitten hatte, das sich mit einer oberen Gastrointestinalblutung manifestiert hat. Bei Aufnahme zeigte sich eine sehr schlanke Patientin, die sehr blass war, subfebril mit einer Temperatur von 37,8 °C. Sie berichtet bei Aufnahme über eine Abgeschlagenheit, über Schwächegefühl und schwarzen Stuhl, also Teerstuhl, seit ca. zwei Wochen. Im Labor fanden wir eine ausgeprägte Anämie mit einem Hämoglobinwert von 3,8 mmol/l oder 6,1 g/dl. Leukozyten und Thrombozyten waren im Normbereich. Die Patientin zeigte ein erhöhtes Kreatinin von 420 µmol/l oder 5,53 mg/dl und ein niedriges TSH.

Differenziertes Vorgehen bei nicht kontrollierbaren gastrointestinalen Blutungen (Prof. Dr. Beyer-Westendorf)

Die oben genannte Patientin wurde sofort auf die Intensivstation verlegt und kreislaufstabilisiert. Bei der Endoskopie zeigte sich ein aktiv blutendes Ulcus Forrest Ia am gastroösophagealen Übergang. Die Läsion konnte erfolgreich mit einem Clip versorgt werden; allerdings war die Schleimhaut sehr kontaktvulnerabel mit einer auffälligen diffusen Blutungsneigung in allen einsehbaren Bereichen, also auch im Ösophagus und in den distalen Bereichen des Magens und im Duodenum. Die Patientin wurde mit einer kombinierten Blutverdünnung aus einem DOAK und ASS behandelt. Wegen der kurzen Halbwertszeit von DOAK hätte man nun eigentlich bei einer erfolgreich mit einem Clip versorgten Blutung abwarten können, bis der Wirkstoff eliminiert ist. In diesem Fall bestand aber eine generalisierte Blutungsneigung der gesamten Schleimhaut mit diffusen Sickerblutungen. Ein Blick auf das Patientenprofil zeigte, dass die Patientin untergewichtig war, eine erhöhte Temperatur hatte, Durchfall, Verdacht auf Pneumonie, ein erhöhtes Serumkreatinin und einen supprimierten TSH-Spiegel. Daraus ergab sich, dass die Patientin an einem akuten Nierenversagen litt, annehmbar infolge einer hyperthyreoten Krise. Wir vermuteten, dass durch das akute Nierenversagen das eingenommene Rivaroxaban über Tage und möglicherweise Wochen nicht mehr adäquat ausgeschieden werden konnte und das DOAK deshalb akkumulierte. Die letzte Einnahme lag etwa acht Stunden zurück, der Rivaroxaban-Spiegel lag bei 563 ng/ml und damit erheblich oberhalb des erwarteten Therapiebereiches. Das erklärt die diffuse Blutungsneigung sehr gut. Die Patientin wurde mit Blutkonserven und – wegen der ASS-Einnahme – zusätzlich mit einem Thrombozytenkonzentrat behandelt. Weil die generalisierte Blutungsneigung endoskopisch nicht beherrschbar war, wurde Andexanet alfa in der hohen Dosierung mit einem 800-mg-Bolus über 30 Minuten und weiteren 960 mg in einer zweistündigen Dauerinfusion zur Antagonisierung der Antikoagulation gegeben. Die Kontrollgastroskopie am Folgetag ergab keine weiteren Schleimhautblutungen, der Hb-Wert war stabil. Die erfolgreiche Behandlung von Hyperthyreose und Exsikkose führte zu einer Normalisierung der Nierenfunktion. Die Patientin wurde nach sechs Tagen mit stabilem Allgemeinzustand entlassen und anschließend wieder auf Rivaroxaban eingestellt. Bei einer eingeschränkten Nierenfunktion können DOAK akkumulieren. In dem oben genannten Fall war also die Gabe von Andexanet alfa indiziert, da davon ausgegangen werden musste, dass die durch chronische Akkumulation sehr hohen Rivaroxaban-Spiegel aktiv zur Blutung beigetragen haben. Auch dieser Fall zeigt, dass die Bestimmung der Anti-Xa-Aktivität bzw. der DOAK-Plasmakonzentrationen hilfreich bei der Therapieentscheidung sein können. Weitere Indikationen für einen Andexanet-alfa-Einsatz bei gastrointestinalen DOAK-Blutungen sind endoskopisch nicht zu stillende Blutungen oder eine akut notwendige offen chirurgische Versorgung der Blutung.

Messung der DOAK-Spiegel nach Antidot-Einsatz

Es ist nicht sinnvoll, nach einer Antagonisierung der durch ein DOAK induzierten Gerinnungshemmung die DOAK-Spiegel zu messen, um den Erfolg des Antidot-Einsatzes zu dokumentieren. Zwei Argumente sprechen dagegen: Zum einen die fragliche Notwendigkeit, da in klinischen Studien die sehr gute Wirksamkeit der Antagonisierung auch bei hohen NOAK-Spiegeln klinisch dokumentiert worden ist. Zusätzlich sind unter Studienbedingungen Verlaufsmessungen erfolgt, die klar gezeigt haben, dass die Antagonisierung akut und suffizient funktioniert. Zum anderen, und das ist das wichtigere Argument gegen eine DOAK-Spiegelkontrolle nach Gabe des Antidots, dass die Messung in den Stunden nach der Antidot-Gabe zu falsch hohen Anti-Xa-Spiegeln im Blut führt. Diese könnten im Zweifelsfall sogar höher liegen als der Ausgangswert. Es handelt sich hier um ein Laborartefakt, da für die Standard-Assays zur DOAK-Bestimmung im Labor eine Verdünnung der Blutprobe vorgenommen werden muss, wodurch das DOAK in der Laborprobe wieder vom Antidot dissoziiert. In dieser Probe befindet sich dann die Summe aus freiem, noch nicht gebundenem Medikament, aus dissoziiertem Medikament und aus Medikamentenanteilen, die nach der Antagonisierung aus dem Gewebe zurück in das Gefäß diffundiert ist. Deswegen sind diese Spiegelkontrollen wenig hilfreich, da in aller Regel sehr hohe Anti-Xa-Spiegel in diesen Proben gemessen werden, wenn man Standard-Assays verwendet. Wenn derartige Spiegelmessungen routinemäßig erfolgen sollen, sind dazu spezielle Assays ohne einen Verdünnungsschritt notwendig. Außerdem muss die Frage diskutiert werden, ob das Testergebnis für Entscheidungen zum weiteren Prozedere notwendig ist, wenn sich der Patient nach der Antidot-Gabe stabilisiert hat und das DOAK keinen erkennbaren Beitrag mehr zur Blutung leistet.

Fazit aus den besprochenen klinischen Situationen

  • Die Anzahl von mit NOAK antikoagulierten Patienten nimmt ständig weiter zu und damit auch die Wahrscheinlichkeit von schweren Blutungen.
  • Wenn es bei mit Rivaroxaban oder Apixaban antikoagulierten Patienten zu lebensbedrohlichen oder schweren Blutungen kommt, kann die Antikoagulation mit dem Antidot Andexanet alfa rasch aufgehoben werden.
  • Bei intrazerebralen Blutungen ist das Volumen und die Lokalisation der Blutung prognoserelevant. Das Spot-Sign im CT nach Kontrastmittelgabe zeigt dabei eine aktive Blutung an.
  • Bei gastrointestinalen Blutungen von mit DOAK antikoagulierten Patienten ist die Endoskopie die wichtigste Therapiemaßnahme, da die mechanische Versorgung der Läsion das Problem vollständig und gut stabilisieren kann.
  • Die sofortige Messung von Plasmaspiegeln von Rivaroxaban oder Apixaban bei Eintreffen des Patienten kann bei der Indikationsstellung zur Antagonisierung hilfreich sein. Nach Gabe des Antidots ist eine Spiegelbestimmung in aller Regel nicht sinnvoll, da nach Antidot-Gabe falsch hohe Plasmaspiegel gemessen werden.
  • Der Wiederbeginn der Antikoagulation nach Antagonisierung ist evident für jeden Patienten. Es ist u. a. das individuelle Thromboembolierisiko und Blutungsrisiko zu berücksichtigen. In der Studie ANNEXA-4 kam es bei 10,3 % Patienten in den ersten 30 Tagen nach Anwendung zu thromboembolischen Ereignissen.

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