Kur auf Kassenrezept

Eine Kur wird häufig assoziiert mit antiquierten Heilverfahren an traditionellen Kurorten, die mit einer modernen Medizin nicht im Einklang zu stehen scheinen. Immer mehr wird die Kur jedoch neu entdeckt, beforscht, weiterentwickelt und an die Erfordernisse einer sich wandelnden Medizin und Gesellschaft angepasst. Seit 2021 besteht sogar wieder die Möglichkeit, eine Kur an anerkannten Kurorten für geeignete Patienten als sogenannte „ambulante Vorsorgeleistung in einem anerkannten Kurort“ zu beantragen. Bei Bewilligung besteht eine weitreichende Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung.

Im Folgenden soll darauf eingegangen werden, was unter einer Kur verstanden werden kann, für welche Indikationen sie infrage kommt, wie „kuriert“ wird mit Einblick in die aktuelle Studienlage, wie ein Kurantrag gestellt und der passende Kurort gewählt werden kann. Abschließend werden Fälle aus der Praxis zur Veranschaulichung vorgestellt.


Kursinfo
VNR-Nummer 2760709124046380019
Zeitraum 03.04.2024 - 02.04.2025
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte 4 Punkte (Kategorie D)
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof. Dr. med. Jörg Schelling
Dr. med. Ralph Brath
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Webcast
Lernmaterial Vorträge, Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Bayerischer Heilbäder Verband
Bewertung 4.1 (272)

Was ist eine Kur?

Der Begriff „Kur” ist nicht einheitlich definiert. Im allgemeinen Sprachgebrauch kann er eine weite Anwendung finden, die sich bis in den „Wellness”-Bereich erstreckt. Kuren haben eine sehr lange Tradition und haben sich im Laufe der Zeit gewandelt. Aus heutiger medizinischer Sicht umfasst eine Kur medizinisch unterstützte Maßnahmen, die einem multimodalen, durch Studien untermauerten Therapieansatz folgen. Nicht nur somatische, sondern auch psychosomatische Aspekte werden dabei im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung beachtet. Die Kur wird an anerkannten Kurorten ausgeführt unter Zuhilfenahme spezifischer ortsgebundener Heilmittel und Heilverfahren. Sie zielt auf die langfristige Primärprävention, das Verhüten von Krankheiten und/oder auf die Sekundärprävention sowie die Vermeidung von Krankheitsverschlechterung ab. Es besteht eine klare Abgrenzung zu Wellnessaufenthalten mit Urlaubscharakter, deren positive Effekte leider häufig nicht von langer Dauer sind. Im Sozialgesetzbuch (SGB) wird der Begriff „Kur” nicht explizit verwendet, und die diesbezüglichen Leistungen fallen unter die Bezeichnung „Medizinische Vorsorge”. Die Kur stellt eine Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenversicherungen dar. Unter der Bezeichnung „ambulante Vorsorgeleistung in anerkannten Kurorten gemäß § 23 Abs. 2 SGB V” kann eine Kurmaßnahme angeregt werden.

Indikationen für eine Kur

Die möglichen Indikationen für eine Kur sind sehr vielfältig. Muskuloskelettale Beschwerden, Störungen des kardiovaskulären Systems und des Stoffwechsels, insbesondere in Form des Typ-2-Diabetes, sind wichtige Indikationen. Hierbei ist zu bedenken, dass diese Störungen einen hohen Beitrag zu Arbeitsunfähigkeiten, Morbidität und Mortalität in unserer westlichen Gesellschaft leis-ten. So sind in Deutschland muskuloskelettale Erkrankungen der Hauptgrund für Arbeitsunfähigkeiten, kardiovaskuläre Erkrankungen stellen nach wie vor die führende Todesursache dar, und der Typ-2-Diabetes mit den damit assoziierten Risiken und Folgen ist in seiner Prävalenz deutlich zunehmend. Weitere gängige Indikationen für eine Kur sind Atemwegserkrankungen – einschließlich des Long-COVID-Syndroms – Allergien, dermatologische und neurologische Erkrankungen, chronische Schmerzsyndrome und psychosomatische Beschwerden.

Wirkmechanismen, Heilmittel und Heilverfahren

Wie bereits genannt, setzen Kuren auf einen evidenzgestützten multimodalen Behandlungsansatz unter Einsatz ortsgebundener Heilmittel und Heilverfahren. In Bezug auf den exakten Wirkmechanismus der traditionellen Heilmittel und Heilverfahren besteht noch weiterer Forschungsbedarf. Generell sieht die naturheilkundliche Konzeptualisierung den Wirkmechanismus von Kuren in einer sogenannten „vegetativen Gesamtumschaltung” des Organismus. Gemeint ist damit eine Beeinflussung des Parasympathikotonus und Sympathikotonus im Sinne einer Harmonisierung und Effektivierung der vegetativen Adaptations- und Kompensationsfähigkeit mit Erhöhung der Stresstoleranz. Der Organismus wird hierzu durch „Reizakkorde”, mehrere unterschiedliche und individuell angepasste Reize, stimuliert, im Wechsel mit Entspannungs- und Ruhephasen, die aufeinander abgestimmt werden müssen. Dabei sollen „Reaktionsakkorde”, Komplexe aus vielschichtigen physiologischen Reaktionen, ausgelöst werden, die die langfristige „Gesamtumschaltung” ermöglichen. Im Resultat kann es dann zur Heilung oder zu einer primären bzw. sekundären Kompensation von Störungen kommen. Um die Kurziele zu erreichen, kommen im multimodalen Ansatz auch ortsspezifische Heilmittel und Heilverfahren zum Einsatz. Sie lassen sich in unterschiedlicher Weise einsetzen und sollten passend zur Indikation ausgewählt werden. Ein wichtiges ortsgebundenes Heilmittel stellt das Heilklima dar. Wind- und Kältereize können besonders kardiovaskuläre und metabolische Störungen, Allergien sowie Erkrankungen der Atemwege und der Haut positiv beeinflussen. Reizarme, milde Klimata hingegen ermöglichen mehr Schonung, die in bestimmten Situationen Genesung erleichtern. Ein weiteres Heilmittel ist das Naturmoor. Naturmoor wird vor allem genutzt, um Wärme zu applizieren. Im Gegensatz zum Wasserbad ist die durch Moor übertragene Wärme in höheren Temperaturen tolerierbar. Sie erfasst und durchdringt den Körper langsamer, aber effektiver. Zudem ist das Naturmoor Träger wertvoller Wirkstoffe wie Kieselsäuren, Eisen, Mangan, Kupfer, Magnesium und Calcium. Naturmoor kann unter anderem gut eingesetzt werden bei Gelenkbeschwerden und Gicht. Sogar bei unerfülltem Kinderwunsch können positive Effekte auftreten, wofür als Wirkmechanismus eine verbesserte Durchblutung der Ovarien angenommen wird. Auch Sole spielt als Heilmittel eine wichtige Rolle. Bei Sole handelt es sich um salzreiches Wasser aus natürlichen Quellen, das zudem wichtige Mineralstoffe und Spurenelemente enthält. Bei muskuloskelettalen Beschwerden kann genutzt werden, dass der Körper in der Sole schwebt bzw. mehr Auftrieb erfährt und so eine Bewegungstherapie erleichtert wird. Die direkte Salzeinwirkung bei Bädern kann sich auch auf Hauterkrankungen sehr positiv auswirken. Über die äußere Anwendung hinaus gibt es auch die Möglichkeit, Sole zu gurgeln oder zu inhalieren. Dies kann bei Atemwegserkrankungen wie Bronchitis, COPD und Asthma eingesetzt werden. Zum Spektrum der ortsgebundenen Heilmittel gehören des Weiteren auch Thermal- und Mineralwässer. Thermalwasser kann u. a. Schwefel, Kohlensäure und Radon enthalten, wobei sowohl eine Resorption über die Haut möglich ist als auch reflektorische Reaktionen in der Tiefe nach Exposition der Haut. Je nach Zusammensetzung des Wassers kann eine Applikation bei orthopädischen Beschwerden, wie Verspannungen und Arthrose, und bei Hauterkrankungen, wie Psoriasis, erfolgen. Neben dem Einsatz als Badekur findet Mineralwasser auch, allerdings seltener, eine Anwendung in Form von Trinkkuren. Diese können die Verdauung, Osteoporose, Migräne, eine generelle erhöhte Entzündungsbereitschaft und Kreislauffunktionen verbessern. Neben den Heilmitteln gibt es auch Naturheilverfahren. Besonders bekannt, vor allem im deutschen Sprachraum, sind dabei die durch den Pfarrer Sebastian Kneipp begründeten Methoden, die an Kneipp-Kurorten angeboten werden. Das Verfahren nach Kneipp beruht auf fünf Säulen: Hydrotherapie, Phytotherapie, Bewegung, gesunde Ernährung und innere Ordnung. Stressbedingte vegetative Dysbalancen sollen dadurch wieder austariert werden. So soll das Kneippsche Heilverfahren eingesetzt werden, wenn ungünstige stressbedingte Reaktionskaskaden in Gang gekommen sind. Stressoren können zunächst eine „Alarmphase” auslösen, die bei dem nicht Nachlassen der Stressoren in eine „Widerstandsphase” übergehen und bei mangelnder Kompensation in eine „Erschöpfungsphase” mit vegetativer Dysbalance. Es ist sinnvoll, das Heilverfahren in dieser Kaskade möglichst frühzeitig einzusetzen. Die Hydrotherapie ist ein wichtiger Bestandteil des Heilverfahrens. Im Rahmen dieser Therapiekomponente wird insbesondere auf intermittierende Kaltreize gesetzt, die vegetativ stark anregend wirken und zu Anpassungsreaktionen zur Steigerung der Reaktions- und Anpassungsfähigkeit des Organismus führen sollen. Das Kneippsche Heilverfahren eignet sich besonders zur Stärkung des Immunsystems, bei rheumatischen Erkrankungen und kardiovaskulären Störungen. Ein weiteres Naturheilverfahren, das allerdings weniger verbreitet ist, ist die Kur nach Schroth. In dieser wird eine spezielle Diät angewendet, stoffwechselsteigernde Schwitzkuren sowie rhythmische Wechsel von Trocken- und Trinktagen und von Ruhe und Bewegung eingesetzt. Aus der naturheilkundlichen Konzeptualisierung heraus soll dieses Verfahren Reinigungsprozesse anregen. Es sollte für den Einzelfall geprüft werden, ob insbesondere das diätetische Programm adäquat erscheint.

Studienlage

Um Teil einer modernen evidenzbasierten Medizin sein zu können, ist es erforderlich, dass Kuren oder ambulante Vorsorgemaßnahmen in anerkannten Kurorten wissenschaftlich untersucht und weiter optimiert werden. Wissenschaftliche Untersuchungen bestehen zu Aspekten, die in Kuren Anwendung finden, aber auch zu Kuren als Gesamtprogramm. Ein wichtiger Aspekt ist die Multimodalität der Behandlung. Unter einem multimodalen Behandlungsansatz versteht man eine Behandlungsstrategie, bei der Fachpersonal aus verschiedenen Disziplinen involviert ist, um durch Synergismus positive Effekte zu maximieren. Unter anderem können Spezialisten aus dem Bereich der Humanmedizin, Psychologie, Physio- und Ergotherapie und den Ernährungswissenschaften einbezogen sein. Für viele Störungsbilder ist durch Studien bereits weitreichend belegt, dass ein multimodaler Ansatz einer Monotherapie überlegen ist. Um nur ein Beispiel herauszugreifen, ist dies eindrücklich für Patienten gezeigt, die an chronischen unteren Rückenschmerzen litten. Das Durchführen von personalisierten Trainingseinheiten unter Hinzunahme einer kognitiven Verhaltenstherapie konnte die Behandlungsresultate im Vergleich zur Standardtherapie deutlich verbessern. Es mehren sich nun auch Studien, die spezifisch Kuren untersuchen, bei denen sowohl der Aspekt der multimodalen Behandlung umgesetzt als auch ortsgebundene Heilmittel und/oder Verfahren angewendet werden. Als zu untersuchende Zielgrößen können sowohl körperliche Parameter wie beispielsweise der Cortisolspiegel als auch Parameter, die unter anderem Gesundheitskompetenzen, das Schmerzempfinden und psychische Befinden abbilden, verwendet werden. Ein Beispiel für ein häufig eingesetztes Instrument ist der „Perceived Stress Questionnaire” (PSQ), ein standardisierter Fragebogen, der das subjektive Stresserleben misst. Dieser wurde auch in einigen der im Folgenden genannten Studien verwendet. Im Kurort Bad Aibling wurde der präventive Effekt einer Kur bei Patienten mit erhöhtem Burn-out-Risiko untersucht. Dies geschah im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie. Untersucht wurde eine Interventionsgruppe im Vergleich zu einer „Wartegruppe”. In einer dreiwöchigen Anwendungsphase wurden Moorbehandlungen, Stressmanagement-, Bewegungs- und Entspannungstraining durchgeführt. Die primäre Outcome-Variable war die Veränderung des Stresserlebens gemessen durch den PSQ sechs Monate nach Intervention. Sekundäre Outcome-Variablen maßen Burn-out-Symptome, das Wohlbefinden, den Gesundheitsstatus, psychologische Symptome und Rückenschmerzen. Die Probanden erhielten eine Eingangsuntersuchung und weitere Evaluationen einen, drei und sechs Monate nach der Intervention. Positive Effekte ergaben sich u. a. im Hinblick auf das empfundene Stresserleben und weitere Parameter bis hin zu sechs Monaten nach Intervention. In der Wartegruppe zeigten sich keine wesentlichen Veränderungen. In Bad Birnbach erfolgte eine weitere Studie zur Primärprävention von Burn-out-Syndromen. Verglichen wurden drei Probandengruppen. Eine Interventionsgruppe (A) erhielt das volle 14-tägige zu untersuchende Präventionsprogramm, das verschiedene aktivitätsfördernde Bewegungseinheiten, Behandlungen mit Thermalwasser als ortsgebundenem Heilmittel und psychoedukative Gesprächsseminare umfasste. Eine zweite Interventionsgruppe (B) vollzog das Behandlungsprogramm in Bad Birnbach ohne die psychoedukative Komponente, eine weitere Gruppe (C) erhielt keine Intervention und somit auch keinen Aufenthalt am Kurort. Nach sechs Monaten wurde für die beiden erstgenannten Gruppen ein viertägiger Auffrischkurs (Refresher) durchgeführt. Unterschiede zwischen den Gruppen wurden zu mehreren Messzeitpunkten erhoben. Untersucht wurden u. a. Effekte auf das subjektive Belastungs- und Stresserleben, das Wohlbefinden und die Schlafqualität. Das Stresserleben wurde mittels des PSQ erhoben. Unter anderem ergaben sich signifikante Unterschiede zwischen der Interventionsgruppe (A) und der Kontrollgruppe (C) in Bezug auf das subjektive Stresserleben. Die Resultate der Studie lassen insgesamt schlussfolgern, dass das vollumfängliche Interventionsprogramm mit Psychoedukation und Auffrischkurs die Zielparameter über einen Zeitraum von zwölf Monaten positiv beeinflussen. Im Rahmen des Projektes „PFLEGEprevent” wurde eine randomisierte kontrollierte Studie zur Primärprävention von Burn-out-Syndromen durch eine Kurbehandlung in Bad Reichenhall an Pflegepersonal durchgeführt. Ziel des Projektes war es, ein Programm zu etablieren, das die spezifischen Präventionsbedürfnisse dieser Berufsgruppe berücksichtigt. Die Kurbehandlung war dabei auf fünf Tage angesetzt, zusätzlich erfolgte ein Auffrischprogramm (je ein Tag) nach drei und sechs Monaten. Der Beobachtungszeitraum erstreckte sich über neun Monate. Im Vergleich zur Kontrollgruppe, einer „Wartegruppe” ohne Intervention, wiesen die behandelten Probanden auch im Verlauf ein reduziertes Stresserleben auf. Positive Effekte ergaben sich auch auf das allgemeine Wohlbefinden. Das Konzept von Kneipp, umgesetzt in einer multimodalen Kurbehandlung, wurde u. a. wissenschaftlich untersucht im Hinblick auf die Sekundärprävention nicht organisch bedingter Schlafstörungen. Die Untersuchung fand statt durch eine randomisierte kontrollierte Studie mit Interventionsgruppe und Wartegruppe. Die Kur wurde am Kneipp-Kurort Füssen durchgeführt. Bestandteil der Studie war ein sechsmonatiger Nachbeobachtungszeitraum. Die Schwerpunkte des Behandlungsprogrammes lagen auf der Ordnungstherapie, der Hydrotherapie und der Bewegungstherapie des Kneippschen Konzeptes. Es wurden dabei Psychoedukation und Entspannungsverfahren mit Hydrotherapie und Bewegungstherapie verknüpft. Untersucht wurde die Wirkung u. a. im Hinblick auf die Schlafqualität, das Wohlbefinden, den Gesundheitszustand und das Gesundheitsverhalten. Auch hier setzte sich die Probandengruppe, die die Intervention erfuhr, deutlich von der Kontrollgruppe ab.

Ablauf einer Kur

Am Beginn einer Kur wird zunächst eine Anfangsuntersuchung durchgeführt. Sie dient dazu, die gesundheitliche Ausgangssituation der Patienten zu erfassen und die aktuelle Belastbarkeit zu ermitteln. Ziel ist es, auf dieser Basis einen individuell adäquaten Therapieplan zu erstellen. Im Laufe der Kur erfolgen in der Regel medizinische Zwischenevaluationen, die es erlauben – falls nötig – nachzujustieren. Je nach Dauer der Kur können diese wöchentlich stattfinden. Am Ende des Kuraufenthaltes steht die Abschlussuntersuchung. In dieser wird festgestellt, welche Erfolge erzielt wurden, ob weiterer Behandlungsbedarf besteht und welche Maßnahmen nach der Kur empfohlen sind. Die Inhalte der Abschlussuntersuchung werden in einem Abschlussbericht festgehalten.

Antragsstellung

So medizinisch hinreichend begründbar stellt die Kur eine Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Eine Kur kann als sogenannte „ambulante Vorsorgeleistung in anerkannten Kurorten gemäß § 23 Abs. 2 SGB V” durch Vertragsärzte angeregt werden. Hierfür stellen die gesetzlichen Krankenkassen Vordrucke nach dem Muster 25 zur Verfügung. Idealerweise sollte der Antrag gemeinsam mit dem Patienten ausgefüllt werden. Es ist günstig, wenn Patienten hierbei eingebunden werden. Der Antrag ist einseitig und in seinem Umfang deutlich kürzer im Vergleich zu Anträgen von rehabilitativen Maßnahmen. Abgefragt werden auf dem Antragsformular zunächst die Risikofaktoren/Gefährdungen, Befindlichkeitsstörungen und Beschwerden des Patienten. Des Weiteren muss der Diagnosekomplex angegeben werden, der die Vorsorgeleistung notwendig macht. Es können drei Einzeldiagnosen aufgeführt werden, häufig enthält dieser Abschnitt auch F-Diagnosen. Die Angabe eines ICD-10-Codes ist jedoch nicht erforderlich, es wird eine Angabe in Klarschrift gefordert. Im folgenden Abschnitt werden Schädigungen, Funktionsstörungen und Befunde abgefragt. Das angestrebte Vorsorgeziel muss ausformuliert werden. Bereits stattgehabte Maßnahmen und Behandlungen können angekreuzt bzw. notiert werden. Es werden besondere Anforderungen an den Kurort (z. B. spezifische Heilmittel) und die Kurortpräferenz abgefragt. Ein weiteres Feld kann für offen formulierte Bemerkungen verwendet werden. Die Antragstellung wird durch die Krankenkassen vergütet. Es gibt hierfür die EMB-Ziffer 01623, für Privatversicherte kann analog zum Beispiel die GOÄ 77 für die Erstellung eines Kurplanes verwenden werden. Die Krankenversicherung prüft dann, ob eine Leistungspflicht besteht. Mit einer gewissen Ablehnungsquote muss gerechnet werden. Der Antrag wird danach bewertet, ob die Vorsorgeleistung im Sinne einer multimodalen Therapie mit Einsatz ortsgebundener Heilmittel und/oder Verfahren notwendig und zielführend erscheint und ob wohnortnahe Maßnahmen bereits berücksichtigt wurden und durchführbar sind. Das Prozedere der Antragstellung kann sich zwischen den einzelnen Krankenversicherungen leicht unterscheiden. Manche Krankenversicherungen fordern gegebenenfalls noch ein anderes Formular. Im Falle einer Ablehnung besteht für die Versicherten die Möglichkeit, innerhalb eines Monates Widerspruch einzulegen. Dabei kann ärztlicherseits unterstützt werden. Formulierungshilfen für den Widerspruch können auch online gefunden werden (u. a. auf www.gesundes-bayern.de). Aus der praktischen Erfahrung und aus bisherigen Daten zeigt sich, dass ein überwiegender Anteil der Anträge, wenn der Widerspruch gut begründet ist und einzelne Aspekte noch etwas besser und klarer herausgestellt wurden, doch gewährt werden. Nach Prüfung mit Bewilligung wird dann von der Krankenversicherung ein Kurarztschein ausgestellt, auf dem der Vertragsarzt ggf. nach Ergänzungen gefragt wird und nochmals die Notwendigkeit der Maßnahme hervorheben kann. An dieser Stelle kann auch noch einmal angemerkt werden, dass ein ganzheitlicher multimodaler Therapieansatz mit ortsgebundenen Heilmitteln wie Moor, Sole, Radon, Heilklima oder Ähnlichem notwendig und zielführend erscheint. Insgesamt ist das Prozedere von Indikationsstellung bis hin zur Anregung der ambulanten Vorsorgemaßnahme in anerkannten Kurorten überschaubar und verhältnismäßig leicht umzusetzen. Bei Bewilligung einer „ambulanten Vorsorgeleistung in einem anerkannten Kurort” werden Kurarztkosten, die u. a. durch Untersuchungen entstehen, die Begleitung und das Erstellen des Therapieplanes gänzlich und Kurmittel zu 90 % übernommen. Zum Aufenthalt erhalten erwachsene Patienten einen täglichen Zuschuss von 16 Euro, bei Kindern kann der Zuschuss bis zu 25 Euro betragen. Vordrucke für das Formular „Anregung einer ambulanten Vorsorgeleistung in anerkannten Kurort gemäß § 23 Abs. 2 SGB V” finden sich in der Regel in der Praxissoftware (PVS) oder im Arztinformationssystem (AIS) und können in die Standardformulare importiert werden. Gegebenenfalls muss die Praxissoftwarebetreuung hierzu konsultiert werden.

Wahl des Kurortes

Der Vorschlag des Kurortes sollte sich nach dem spezifischen Therapieangebot des Kurortes richten. Wichtige Fragen können dabei sein: Wie gestaltet sich der multimodale Behandlungsansatz? Sind psychoedukative Elemente für den Patienten notwendig und werden diese auch angeboten? Wie stark ist die Ernährungsberatung gewichtet, wenn nötig, und kommt sie überhaupt vor und in welcher Form? Wie intensiv ist das physiotherapeutische Angebot? Passt das angebotene Heilmittel oder Heilverfahren zum Patienten? Neben den medizinischen Anforderungen ist aber auch möglichst der Patientenwunsch zu berücksichtigen. Es kann sein, dass Patienten zu manchen Kurorten oder bestimmten ortsgebundenen Verfahren oder Heilmitteln bereits einen Bezug haben. Es ist in diesem Zusammenhang allerdings anzumerken, dass die Krankenkasse an den Kurortvorschlag nicht gebunden ist. Anerkannte Kurorte gibt es deutschlandweit in großer Zahl. Allein in Bayern sind 48 Kurorte im Bayerischen Heilbäder-Verband e. V. organisiert. Auf Internetseiten wie der des Bayerischen Heilbäder-Verbandes lassen sich Informationen finden, die die Wahl des Kurortes erleichtern. Auch die Krankenkassen selbst können als Informationsquelle dienen.

Praxisbeispiele

Die Indikationen für Kuren bzw. für die ambulanten Vorsorgeleistungen in anerkannten Kurorten sind breit. Es kommen daher Patienten mit sehr unterschiedlichen gesundheitlichen Merkmalen und sozialen Hintergründen für die Maßnahme infrage. Es ist darauf zu achten, dass die Kurmaßnahme als Behandlungsoption nicht übersehen wird, bei Vorliegen einer entsprechenden Indikation. Chancen zur Optimierung der Primär- und Sekundärprävention in der Patientenversorgung sollten nicht ungenutzt bleiben. Zur Veranschaulichung werden vier Fälle aus der Praxis vorgestellt.

Patientenfall 1

Der 47-jährige Patient Dr. M. ist zweifacher Familienvater und als angestellter HNO-Arzt tätig. Er litt besonders im Zusammenhang mit der beruflichen Mehrbelastung durch die COVID-Krise über einen Zeitraum von acht Monaten hinweg an zunehmender Müdigkeit und Erschöpfung. Unter der gestiegenen Arbeitsbelastung kam es zu unregelmäßigem Essen mit Verzehr von mehr hochkalorischen Produkten, auch um Stress zu kompensieren. Auf zwei Jahre gesehen war es zu einer ungewollten Gewichtszunahme von 10 kg gekommen. Das verschlechterte Körpergefühl führte im Sinne eines Circulus vitiosus zur Verschärfung eines Bewegungsmangels. Früher war er gern gelaufen oder mit dem Fahrrad gefahren. Es bestand ein zunehmender Verlust von Interessen und ein sozialer Rückzug. An Ausflügen mit der Familie und an Treffen mit Freunden nahm er nicht mehr teil. Seine gereizte Stimmung am Arbeitsplatz trug dazu bei, dass es zu mehreren Kündigungen von Mitarbeitern kam und seine Arbeitsbelastung dadurch weiter zunahm. Seine Partnerin war in großer Sorge um ihn. In der Untersuchung zeigte sich ein erhöhter Ruhepuls und ein Blutdruck im Grenzbereich, der BMI lag bei 29,6. Es lagen klare erste Symptome für das Vorliegen eines Burn-out-Syndroms vor. Zur Vorbeugung einer depressiven Störung wurde dem Patienten eine Badekur im multimodalen Therapiesetting empfohlen. Der Patient ließ sich sehr motiviert auf eine angeratene Kur ein. Er konnte deutlich von der multimodalen Behandlung profitieren, die unter anderem Mooranwendungen und Therapieeinheiten zu Stressmanagement umfasste.

Patientenfall 2

Die 53-jährige, alleinstehende Journalistin Frau S. litt über einen längeren Zeitraum an Nacken- und Handgelenksbeschwerden mit zunehmendem Schmerzmittelgebrauch (Diclofenac bis zu 150 mg täglich in Selbstbehandlung). Sie war an einen Punkt gekommen, an dem auch die Schmerzmittel keine ausreichende Linderung mehr erbrachten. Eine konventionelle Physiotherapie hatte zunächst eine Verbesserung gebracht, war im Verlauf aber nicht mehr ausreichend gewesen. Der physiotherapeutische Behandler hatte in seinem Abschlussbericht zu einer multimodalen Behandlung geraten. Die Patientin war normalgewichtig (68 kg bei einer Körpergröße von 1,71 m), internistisch war der Blutdruck im Normbereich, ebenso der Ruhepuls. Neurologisch war sie unauffällig. Orthopädisch wies sie laut fachärztlicher Abklärung degenerative Veränderungen an den Daumengrundgelenken auf. Im Sinne einer Sekundärprävention zur Vermeidung einer Verschlechterung des Beschwerdebildes und zur Verbesserung des Copings erhielt die Patientin eine multimodale Kurbehandlung in Bad Steben unter Einsatz des Heilmittels Radon, womit ein guter Erfolg erzielt werden konnte.

Patientenfall 3

Die 47-jährige Patientin Frau H. mit bekannter rheumatoider Arthritis erfuhr eine Verschlechterung ihres Zustandes. Sie litt unter starken Bewegungseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule und aller vier Extremitäten. Als Patientin ist sie sehr um die optimale Behandlung ihrer chronischen Erkrankung bemüht. Eine Verschärfung der Schmerzsituation hatte in den letzten Wochen zu zunehmend häufigen Arbeitsausfällen geführt. Ihre wöchentlichen Gymnastikeinheiten konnte sie seit drei Monaten nicht mehr durchführen. Die körperliche Untersuchung ergab ein Gewicht von 63 kg bei einer Körpergröße von 1,66 m. Der Blutdruck war unauffällig, ebenso die weitere internistische Abklärung. Orthopädisch auffällig waren ein paar paravertebrale Myogelosen und eine BWS-Skoliose. Die Patientin wurde einer multimodalen Kur in Bad Kissingen zugeführt. Es erfolgten u. a. CO2-Bäder, Solebäder, Moorbäder, Physiotherapie, Massagen, zudem Gruppen- und Wassergymnastik in einer spezialisierten Therme. Durch diese multimodale Behandlung verbesserten sich die Schmerzen, die Beweglichkeit und die Leistungsfähigkeit der Patientin. Nach Abschluss der Kurmaßnahme wurde noch empfohlen, die Aktivitätsindizes der rheumatoiden Arthritis zu bestimmen, um gegebenenfalls die medikamentöse Therapie zu optimieren.

Patientenfall 4

Der 52-jährige Patient Herr P. ist dreifacher Familienvater und als Altenpfleger tätig. Beruflich ist er regelmäßig psychischen und schweren körperlichen Belastungen ausgesetzt. Auch privat ist er als Familienvater von drei noch jungen Kindern stark gefordert. Er wurde in der allgemeinmedizinischen Praxis zur Impfberatung vorstellig und mit dem Wunsch nach einer Überweisung zum Kardiologen aus Sorge vor einer postinfektiösen Herzmuskelschädigung nach Infektion der Atemwege vor sechs Monaten. Er hatte gelesen, dass eine Infektion mit dem Coronavirus Herzschäden bedingen kann. Er berichtete zudem auch über Bewegungsmangel und Gewichtszunahme mit frustranen Diätversuchen und Jo-Jo-Effekt. Nach den Diäten sei es regelmäßig zu weiteren Gewichtssteigerungen gekommen. Bei der Arbeit sei es ihm nicht möglich gewesen, sich gesund und ausgewogen zu ernähren, wie er angab. Früher hatte er in seiner Freizeit gern Fußball gespielt, in der aktuellen Situation ging er jedoch keinem Sport mehr nach und beklagte, keinen körperlichen Ausgleich mehr zu haben. Er gab an, täglich abends zwei Flaschen Bier zu konsumieren, sein „Feierabendbier” stellte für ihn ein „heiliges” Ritual dar. Er machte deutlich, dass er in Zukunft mehr auf seine Gesundheit achten wolle. In der Untersuchung wies der Patient einen mit 32,6 erhöhten BMI auf, der systolische Blutdruck war erhöht, die weitere kardiologische Abklärung ergab keinen pathologischen Befund. So waren die kardiale Pumpfunktion und die Herzklappen unauffällig. Die Labordiagnostik ergab einen Prädiabetes mit erhöhten Nüchternblutglukosewerten. Der Patient zeigte sich motiviert, aktiv seine Gesundheit zu fördern. Zur primären Prävention eines manifesten metabolischen Syndroms mit den damit einhergehenden Komplikationen, wie beispielsweise einer koronaren Herzkrankheit, wurde eine ambulante Badekur im multimodalen Behandlungssetting bewilligt. Zentral war in diesem Fall die langfristige Erhöhung der Gesundheitskompetenz, die Steigerung der Bewegung und eine Gewichtsreduktion.

Fazit

  • Kuren können als Vorsorgeleistung in anerkannten Kurorten als Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenversicherungen beantragt werden.
  • Ein multimodaler Therapieansatz in Kombination mit ortsgebundenen Heilmitteln und Heilverfahren ist die Basis der modernen Kurbehandlung.
  • Kuren können einen wichtigen Beitrag zur Primär- und Sekundärprävention vieler Erkrankungen leisten.
  • Kuren werden aktiv beforscht, weiterentwickelt und an die Anforderungen der modernen Gesellschaft angepasst.
  • Das Vorliegen einer Indikation zur Kurbehandlung ist in einer modernen Patientenversorgung zu berücksichtigen.

Bildnachweis

Titelbild mit freundlicher Genehmigung des bayerischen Heilbäderverbandes e.V.