Klinische Diagnostik der neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen (NCL)

Die neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen (NCL) sind die häufigsten Formen neurodegenerativer Krankheiten im Kindes- und Jugendalter. NCL werden zunehmend als „Kinderdemenz“ bezeichnet, da Demenz – neben Epilepsie sowie dem Verlust der Sehfähigkeit und der motorischen Kontrolle – ein Symptom der Erkrankung ist.

Diese Fortbildung gibt einen Überblick der verschiedenen NCL-Erkrankungen, stellt das klinische Erscheinungsbild und den charakteristischen Verlauf dar. Des Weiteren werden die diagnostischen Möglichkeiten aufgezeigt.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709124075920016
Zeitraum 30.07.2024 - 29.07.2025
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte 2 Punkte (Kategorie D)
Zielgruppe Ärzte
Referent Dr. med. Angela Schulz
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Webinar
Lernmaterial Vortrag, Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner NCL-Stiftung, Doris Leibinger Stiftung
Bewertung 4.3 (105)

Einleitung

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass ich heute in Zusammenarbeit mit der NCL-Stiftung einen Vortrag halten darf über neue Regeln der Diagnostik bei den neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen, die auch NCL-Krankheiten genannt werden. Mein Name ist Angela Schulz, ich arbeite an der Uniklinik Hamburg-Eppendorf und leite dort eine Spezialsprechstunde für Kinder mit Demenzkrankheiten. In dieser Sprechstunde sehen wir sowohl ambulant als auch stationär zurzeit im Jahr über 175 Patienten mit den verschiedensten NCL-Formen. Die Patienten kommen in der Regel alle drei bis sechs Monate zu uns, darunter befinden sich sowohl nationale als auch internationale Patienten. Die beiden häufigsten NCL-Formen in Deutschland sind die sogenannte CLN2- und CLN3-Form. Allein bei der CLN2 haben wir 81 Patienten, von diesen erhalten 55 Patienten die einzig zugelassene Therapie bei dieser Krankheit, eine Enzymersatztherapie. 52 Patienten haben eine CLN3-Krankheit. Ebenso haben wir auch eine große Anzahl von Patienten mit anderen, selteneren NCL-Formen. Wir koordinieren in Hamburg eine internationale DEM-Child-Patientendatenbank, in der wir Daten zum Krankheitsverlauf all dieser NCL-Formen sammeln und auswerten. Vielleicht noch einmal ein ganz kurzer Einstieg in die neurodegenerativen Krankheiten im Kindesalter. Ein sich gesund entwickelndes Kind macht stetig Fortschritte in seiner kognitiven Entwicklung. Es gibt allerdings auch Kinder, die zum Beispiel aufgrund von Frühgeburtlichkeit, Hirnblutung oder anderen Ursachen eine verzögerte Entwicklung zeigen. Dennoch entwickeln sich diese Kinder, wenn auch mit einer langsameren Geschwindigkeit, stetig weiter. Kinder mit einer neurodegenerativen oder, wie wir auch sagen, demenziellen Erkrankung entwickeln sich initial wie gesunde Kinder, nach der Geburt sind sie in der Regel vollkommen unauffällig – auch in den ersten Lebensjahren. Je nach Alter bei Erkrankungsbeginn erreichen sie dann ein Plateau in ihrer Entwicklung, die Entwicklung verzögert sich, und letztendlich kommt es zum Abbau, zum Verlust von Fähigkeiten. Dies ist der entscheidende Punkt, bei dem wir spätestens an eine solche Krankheit denken sollten. In der Plateauphase ist es manchmal nicht so einfach, ein Kind mit einer verzögerten Entwicklung von einem Kind mit einer demenziellen Erkrankung zu unterscheiden. Dennoch ist hier eine frühe Diagnostik wirklich essenziell, und daher möchte ich im Folgenden auf frühe Symptome der Demenzerkrankung im Kindesalter eingehen. Beobachten lassen Erkrankungen der grauen und auch der weißen Substanz. Ist die graue Substanz, das heißt die Hirnrinde, betroffen, ist meist das initiale Symptom eine Demenz, also ein Verlust psychomotorischer Fähigkeiten, aber auch eine Epilepsie, weil Krampfanfälle dort, wo die Neuronen sind, getriggert werden. Es gibt jedoch auch Krankheiten, bei denen die weiße Substanz, das Myelin, betroffen ist. Hier stehen meist initial die motorischen Verluste im Vordergrund, während die Kinder sich kognitiv noch gut entwickeln. Erst später kommt es zu demenziellen Symptomen. Wenn andere Hirnstrukturen wie die Basalganglien betroffen sind, stehen andere Symptome wie Dystonie und Chorea im Vordergrund gefolgt von Demenz. Es gibt eine ganze Vielzahl von Erkrankungen, die eine Kinderdemenz verursachen können. Hierzu gehören die neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen, die vor allem die graue Substanz betreffen, und die Leukodystrophien, die die weiße Substanz betreffen. Es gibt aber auch Krankheiten, bei denen sowohl das Gehirn als auch andere Organe des Körpers stark betroffen sind; hier würde ich vor allen Dingen die Mukopolysaccharidosen nennen. All diese Krankheiten können wir als Kinderdemenzkrankheiten zusammenfassen. Nun möchte ich besonders auf die NCL-Krankheiten eingehen, die die größte Gruppe der degenerativen Hirnkrankheiten bilden. Es gibt mittlerweile 13 genetisch verschiedene NCL-Krankheiten, zwölf davon werden autosomal rezessiv vererbt. Diese haben alle gemeinsam, dass die Kinder eine Symptomtrias teilen, und zwar Demenz, also ein psychomotorischer Abbau, einen Visusverlust durch eine Retinopathie und Epilepsie. Sie haben zudem gemeinsam, dass bei diesen Krankheiten lysosomales Speichermaterial existiert. Dies kann eine unterschiedliche Ultrastruktur haben, die man im Elektronenmikroskop sehen kann. Früher war dies diagnostisch wegweisend, denn als man noch nicht die Genetik, die diesen Krankheiten zugrunde liegt, kannte, musste man sich bei der Diagnostik auf die Elektronenmikroskopie verlassen. Mittlerweile kennen wir aber die Gene dieser mittlerweile 13 NCL-Krankheiten, das heißt, die genetische Diagnostik ist essenziell. Die verschiedenen Formen sind unterteilt nach der Proteinfunktion des jeweils defekten Proteins, das durch das mutierte Gen kodiert wird. Es gibt Formen, die für lösliche lysosomale Enzyme kodieren, es gibt solche, die andere Enzyme haben, und es gibt Nichtenzymproteine. Das Alter bei Erkrankungsbeginn kann sehr breit gefächert sein. Bei der CLN1-Krankheit können Kinder sowohl im infantilen, im spätinfantilen, juvenilen, aber auch im adulten Alter erste Krankheitssymptome zeigen. Dem liegt sicherlich zugrunde, dass hier ein lösliches lysosomales Enzym defekt ist, und je nach Schwere der Mutation kann es noch zu residualer Enzymaktivität kommen, die dann einen milderen Krankheitsverlauf bedingt. Aufgrund dieser hohen Heterogenität der NCL-Krankheiten haben wir uns international auf eine neue Klassifikation dieser Krankheiten geeinigt. Spielmeyer-Vogt und Jansky-Bielschowsky sind frühere Namen, die sich nach den Erstbeschreibern dieser Krankheiten orientieren und nun keine Verwendung mehr finden. Mittlerweile ist es wichtig, dass man das zugrunde liegende Gen nennt und das Alter bei Erkrankungsbeginn, also CLN2-Krankheit mit spätinfantilem Krankheitsbeginn. Das ist die Übereinkunft. Der Krankheitsbeginn wird definiert als entweder kongenital, wenn die Krankheit schon bei der Geburt vorliegt, als infantil, wenn sie im Alter von sechs bis 24 Monaten beginnt, spätinfantil wird der Krankheitsbeginn im Alter von zwei bis fünf Jahren genannt, juvenil bei fünf bis sieben Jahren und adult, wenn der Krankheitsbeginn später ist. Im Folgenden möchte ich auf die häufigsten NCL-Formen eingehen. Bei der CLN1-Krankheit ist ein lösliches lysosomales Enzym defekt, die Palmitoyl-Protein-Thioesterase 1. Diese Krankheit hat ein sehr breites Altersspektrum bei Erkrankungsbeginn. Sehr häufig sehen wir in Deutschland die sogenannte infantile Form, das heißt, die Kinder erkranken bereits in einem frühen Alter. Erste Anzeichen sind psychomotorische Entwicklungsverzögerungen im Alter von sechs bis zwölf Monaten. Diese Kinder erreichen an motorischer Funktion in der Regel maximal Stehen oder manchmal auch Laufen mit Hilfe; ihre maximale sprachliche Funktion sind Einzelworte. Im Alter von 18 Monaten kommt es zu einer rapiden psychomotorischen Regression, diese Kinder verlieren sehr, sehr schnell die wenigen sprachlichen und motorischen Fähigkeiten, die sie erlangt haben. Die Epilepsie folgt sehr schnell nach dem Verlust der körperlichen und sprachlichen Fähigkeiten, meistens im Alter von 18 bis 24 Monaten. Da diese Kinder manchmal auffällige Handbewegungen mit Stereotypien zeigen, gibt es die Differenzialdiagnose des Rett-Syndroms. Die CLN1-Krankheit kann aber auch andere Phänotypen zeigen. Selten ist der spätinfantile Phänotyp; hierbei beginnen die Bewegungsstörungen oftmals im Alter von drei bis vier Jahren, gefolgt von Epilepsie, Visusverlust und demenziellem Abbau. Die juvenile Form unterscheidet sich von den frühen Formen durch eine andere Abfolge der Symptome. Die juvenile CLN1 beginnt mit einem Visusverlust im Alter von acht bis zehn Jahren, es folgen die Demenz, die Epilepsie und der psychomotorische Abbau. Bei der adulten CLN1 gibt es große Variabilitäten, die meisten Beschreibungen zeigen Patienten im Alter von 40 bis 45 Jahren mit initial demenziellem Abbau, manchmal gefolgt von Epilepsie. Der Visusverlust kommt deutlich später, ebenso die Bewegungsstörung. Bei der CLN2-Krankheit – so wie bei der CLN1-Krankheit – ist ein lösliches lysosomales Enzym defekt. Hier ist es die Tripeptidyl-Peptidase 1. Das häufigste Alter bei Erkrankungsbeginn ist das sogenannte spätinfantile Alter, wir sprechen auch hier von der klassischen Form der CLN2. Die häufigsten ersten Symptome, die wir bei Patienten sehen, sind Epilepsie und Sprachentwicklungsverzögerung. Die Kinder zeigen bereits im Alter von anderthalb bis zwei Jahren eine Verzögerung ihrer sprachlichen Entwicklung. Im Alter von zweieinhalb bis drei Jahren folgen Krampfanfälle, diese können sehr unterschiedlich aussehen, von Drop Attacks bis zu Grand-Mal-Anfällen. Ein paar Monate später kommen bereits erste Anzeichen einer Ataxie, diese schreitet sehr rasch fort, sodass die Kinder nach anderthalb Jahren nicht mehr ohne Hilfe laufen können. Der Visusverlust ist hier eines der späten Symptome. Es handelt sich um eine rasch fortschreitende Krankheit, und man sollte bei einer Kombination von verzögerter Sprachentwicklung und dem ersten Auftreten von Krampfanfällen unbedingt an diese Erkrankung denken. Leider wird die CLN2-Krankheit immer noch erst sehr verzögert diagnostiziert. Wir haben in unserer DEM-Child-Datenbank Daten von einer großen Anzahl von Patienten untersucht und haben gesehen, dass das Alter bei Diagnose und das Alter bei ersten klinischen Symptomen, in der Regel die Krampfanfälle, sich deutlich unterscheiden. Wir sehen eine Verzögerung von 19 Monaten im Durchschnitt zwischen ersten klinischen Symptomen und schließlich dem Alter bei der Diagnose. 19 Monate bedeutet, dass die Kinder in dieser Zeit schon rapide an Fähigkeiten verloren haben. Wir haben in Hamburg einen sogenannten Motorik- und Sprachscore entwickelt. Dieser Score gibt sowohl für die motorische als auch für die sprachliche Funktion der Kinder maximal jeweils drei Punkte. Drei Punkte bedeuten normale Funktion, das heißt, die Kinder können normal sprechen und frei laufen. Das bedeutet, drei plus drei ergibt sechs Punkte; wir haben einen Maximalscore von sechs. Je weniger Scoringpunkte die Kinder haben, desto kränker sind sie, bis hin zu einem Score von null. Null bedeutet, dass sie rollstuhlpflichtig sind und sich nicht mehr äußern können, auch nicht lautieren. Wir haben in unserer Klink 41 Kinder longitudinal über den gesamten Krankheitszeitraum verfolgt. Diese Kinder haben sich auf ähnliche Weise rapide verschlechtert. Der Krankheitsverlauf ist sehr homogen und das Fortschreiten der Krankheit extrem schnell. Wir sehen aber auch, dass in dem Alter, bei dem die ersten Symptome auftreten, die meisten Kinder noch eine gewisse motorische und Sprachfunktion haben. Da die Diagnose häufig zu spät gestellt wird, verlieren diese Kinder, statistisch gesehen, drei Scoringeinheiten bis zur Diagnose.

Wie können wir die Diagnostik weiter unterstützen?

Die Kinder haben meist als klares Erstsymptom epileptische Anfälle. Wenn man bei diesen Kindern ein EEG durchführt, sollte man daran denken, dass man eine fotooptische Stimulation durchführt. Hier sieht man bei langsamer Stimulation, dass es posteriore Spikes gibt. Die sind sehr klassisch für ein frühes Stadium der CLN2-Krankheit und diagnostisch hilfreich. Bei der CLN2-Krankheit gibt es aber auch andere Verlaufsformen, und zwar solche, bei denen die Kinder erst in einem fortgeschritteneren Alter krank werden und sich bis dahin komplett normal entwickeln. Diese nennen wir die atypischen CLN2-Formen. Hier steht meistens erst eine Ataxie und/oder eine Sprachregression im frühen Schulalter im Vordergrund. Die Kinder können Krampfanfälle bekommen, dies ist aber nicht immer der Fall. Hier gibt es einen großen Unterschied zwischen dem klassischen spätinfantilen und dem atypischen Phänotyp. Kinder mit einem atypischen Phänotyp sehen wir immer häufiger, deswegen sollte man auch in Deutschland durchaus an diese Differenzialdiagnose denken. In der folgenden Abbildung sehen Sie, wie unterschiedlich sich Krankheitsverläufe entwickeln können, das heißt, Sie sehen vier Patienten, beispielhaft dargestellt, die erste Anzeichen einer Ataxie nicht im Alter von drei oder dreieinhalb haben, sondern im Alter von fünf bis zehn Jahren. Gleiches gilt für den Sprachabbau. Die Epilepsie taucht erst im Alter von sechs bis elf Jahren auf, bei einem Patienten gar nicht. Aufgrund der atypischen Symptome ist das Alter in allen gezeigten Fällen bei Diagnose deutlich verzögert. Zu den selteneren spätinfantilen NCL-Formen gehören die CLN5, CLN6, CLN7 und CLN8. Dies sind wichtige Differenzialdiagnosen, wenn wir ein Kind sehen, das einen spätinfantilen Erkrankungsbeginn hat, also erste Symptome im Alter von zwei bis vier Jahren entwickelt. Die Proteine, die von diesen Genen kodiert werden, sind sehr unterschiedlich. Bei dreien sind es Transmembranproteine, bei der CLN5 handelt es sich auch um ein lösliches lysosomales Protein. Wir müssen einräumen, dass wir bei allen NCL-Proteinen die Funktion, die diese in der Zelle haben, letztendlich noch nicht verstanden haben. Das erschwert vehement die Therapieentwicklung für diese Krankheiten und stellt eine hohe Herausforderung dar.

Wann sollten wir an eine NCL-Krankheit im Kleinkindalter denken?

Wenn es sich um Symptome bei einem Neugeborenen handelt, mit Epilepsie oder auch schon Mikrozephalie bei Geburt, dann sollte man an die kongenitale NCL denken, die sogenannte CLN10-Krankheit. Auch hier liegt ein lysosomales Enzym zugrunde, die Cathepsin D. Man kann die Cathepsin-D-Aktivität in Leukozyten und Fibroblasten messen. Wenn diese nicht vorhanden sind, sollte man eine genetische Untersuchung auf das CLN10-Gen durchführen. Bei ersten Symptomen bei einem Kind im Alter von zwölf bis 36 Monaten, also einem Kind, das sich in den ersten Lebensmonaten normal entwickelt hat, dann einen Entwicklungsstillstand und auch eine Regression und/oder Epilepsie unklarer Genese zeigt, empfehlen wir dringend, einen Enzymtest für die CLN1- und die CLN2-Krankheit durchzuführen. Dies können wir bei uns in Hamburg im Stoffwechsellabor parallel machen – und zwar anhand von Trockenblutkarten, die auch für das Neugeborenen-Screening benutzt werden. Das heißt, es ist eine sehr schnelle und sehr kostengünstige Testung. Diese Testung empfehlen wir unbedingt bei Kindern, die eine Sprachentwicklungsverzögerung haben und dann eine Epilepsie unklarer Genese zeigen. Hier sollten wir unbedingt an erste Frühsymptome einer CLN2-Krankheit denken und diese Krankheit auf diese Weise hoffentlich ausschließen oder – wenn sie denn vorhanden ist – unbedingt früh diagnostizieren, da es sich hierbei um die erste therapierbare Form der NCL-Krankheiten handelt. Da dies neurodegenerative Krankheiten sind, können wir den Progress bei der Krankheit nicht zurückdrehen, das heißt, je früher wir therapieren, desto besser können wir Symptome vermeiden und verzögern. Auch die CLN3-Krankheit ist eine sehr häufige Form in Deutschland, die sogenannte juvenile CLN3-Krankheit. Das Protein, das der Krankheit zugrunde liegt, ist ein Transmembranprotein unklarer Funktion. Bei der CLN3-Krankheit gibt es ebenfalls ein häufiges Symptom, das wir früh bei den Kindern sehen: das sogenannte „overlooking“. Das erste Symptom der CLN3-Krankheit ist ein Visusverlust im frühen Schulalter. Die Kinder sind ansonsten kognitiv, sprachlich, motorisch vollkommen normal entwickelt. Dann haben sie Sehschwierigkeiten, und es fällt auf, dass, wenn sie auf etwas fixieren, sie an den Dingen vorbeischauen. Kennzeichnend für das Fortschreiten der CLN3-Krankheit ist, dass die Kinder sich initial vollkommen normal entwickeln, dann jedoch im Alter von sechs bis acht Jahren erste Anzeichen eines Visusverlustes zeigen. Im Alter von zehn bis zwölf Jahren kommen erste epileptische Anfälle hinzu, im Teenageralter beginnt ein psychomotorischer Abbau, und je nach Stärke der Krankheit kommt es dann zur Rollstuhlpflicht und/oder Bettlägerigkeit im späten Teenageralter oder zu Beginn des 20. Lebensjahres. Es ist wichtig zu wissen, dass diese Krankheit eine hohe Phänotypvariabilität zeigt, das heißt, wir haben durchaus Patienten, die auch mit 20 Jahren noch gut laufen und sich bewegen können, wir haben aber auch Patienten, die dann schon schwer krank sind. Dennoch haben alle Patienten die gleiche Mutation.

Wann sollte man an eine NCL im Schulalter denken?

Wichtig ist hier, dass der Visusverlust das erste Symptom ist. Meist gehen die Eltern als Erstes zum Augenarzt. Eine Brille hilft hier allerdings nicht, weil es sich hier um eine Retinopathie handelt. Hierbei kommt es zu pigmentartigen Ablagerungen auf der Netzhaut und einer Verdünnung der Gefäße und einer Rarefizierung. Es ist daher wichtig, dass der Augenarzt eine Funduskopie durchführt. Ein schneller Test bei initialem Verdacht ist der Blutausstrich, bei dem man krankheitsspezifische Lymphozytenvakuolen sehen kann, aber das sollte auf jeden Fall von einer genetischen Analyse gefolgt sein.

Wann sollte man an NCL denken?

Bei kombiniertem Auftreten von Visusverlust, Sprachentwicklungsverzögerungen, Entwicklungsrückschritten inklusive einer Demenz und Epilepsie. Der dringende Verdacht besteht bei mindestens zwei kombinierten Symptomen. Die initiale Entwicklung der Kinder ist meist völlig altersgerecht. Bestehen erste Krampfanfälle und Sprachentwicklungsverzögerungen, sollte man an eine CLN2-Krankheit denken. Bei zunehmender Sehschwäche im Schulalter muss man an eine CLN3-Krankheit denken.

Warum ist eine frühe Diagnose so wichtig?

Eine frühe Diagnose hilft, die belastende Diagnose-Odyssee für die Familien zu verkürzen. Eine frühe Diagnose vermeidet unnötige Diagnostik, die auch sehr belastend sein kann. Eine frühe Diagnose ermöglicht eine genetische Beratung. Diese ist wichtig, um den Eltern zum Beispiel die Möglichkeit einer Pränataldiagnostik bei bestehendem Kinderwunsch zu ermöglichen. Eine frühe Diagnose bedeutet auch, dass wir die klinische Behandlung verbessern und spezifizieren können, zum Beispiel bei der Wahl der Antiepileptika. Außerdem ganz wichtig – dies gilt bisher leider nur für die CLN2-Krankheit: Man kann krankheitsspezifische Therapien anbieten. Bei der CLN2-Krankheit ist das die intraventrikuläre Enzymersatztherapie, die hier in die Hirninnenräume gegeben wird. Dieses Enzym, die sogenannte Cerliponase alfa, ist die rekombinante humane Form der Tripeptidyl-Peptidase 1 des lysosomalen Enzyms, das bei dieser Krankheit fehlt. 2017 wurde diese Enzymtherapie in den USA, in Europa und in Japan zugelassen. Da dieses Enzym eine groß ist, kann es die Blut-Hirn-Schranke nicht überschreiten und muss deswegen mithilfe eines Rickham- oder eines Ommaya-Reservoirs in die seitlichen Hirnventrikel appliziert werden. Die Dosis, die wir geben, sind 300 mg alle 14 Tage, mit einer Infusionsdauer von vier Stunden. Für die Kinder unter zwei Jahren gibt es eine reduzierte altersgerechte Dosierung. Bei den anderen NCL-Krankheiten gibt es leider noch keine zugelassenen krankheitsspezifischen Therapien, aber es existiert eine zunehmende Anzahl experimenteller Therapiestudien, und auch hier ist es wichtig, dass die Kinder eine frühe genetisch gesicherte Diagnose haben.  

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Xiao Jiang @ istock