Interdisziplinäre Therapie der Adipositas

Adipositas ist heute als chronische und progredient verlaufende Erkrankung mit hohem Rezidivrisiko anerkannt. Betroffene Patienten benötigen eine Langzeitbehandlung, um das Risiko schwerer Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes (T2DM), arterielle Hypertonie, kardiovaskuläre, pulmonale und maligne Krankheiten einzuschränken, um so nicht nur die Lebenserwartung, sondern auch die Lebensqualität zu verbessern. Das primäre Ziel aller therapeutischen Interventionen ist die Gewichtsreduktion und damit parallel eine Verbesserung der Begleiterkrankungen.

Die noninvasive Lebensstilintervention stellt konsequent die Basistherapie dar. Bei entsprechender Indikation kann diese medikamentös und/oder interventionell endoskopisch oder laparoskopisch chirurgisch unterstützt werden. Mit diesen drei Therapieansätzen lassen sich unterschiedliche Gewichtsreduktionen erreichen. Diese Grundpfeiler der Adipositasintervention sollten aufeinander abgestimmt, eskalierend und sich dabei ergänzend eingesetzt werden. Wird ein gewähltes Therapieverfahren beendet, so kommt es in der Regel zu einem Rezidiv der Gewichtszunahme (rezidivierende Anabolie) im Sinne der Grunderkrankung.


Kursinfo
VNR-Nummer 2760709123054350013
Zeitraum 17.05.2023 - 16.05.2024
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte 4 Punkte (Kategorie D)
Zielgruppe Ärzte
Referent Dr. med. Christine Stier
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Fachartikel
Lernmaterial Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle; Bearbeitungsdauer: 90 Minuten
Fortbildungspartner Novo Nordisk Pharma GmbH
Bewertung 4.3 (1775)

Definition und physiologische Grundlagen der Adipositas

Adipositas ist definiert als eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfettes. Die Beurteilungsgrundlage der entsprechenden Klassifikation ist der Index des Körpermaßes (Body-Mass-Index; BMI). Diese biometrische Messgröße reflektiert das Verhältnis von Körpergewicht zu Körpergröße im Quadrat (kg/m2). Ein BMI, der 25 kg/m2 überschreitet, wird als Übergewicht definiert; erhöht sich dieser Grenzwert um fünf Punkte (>30 kg/m²), so liegt bereits eine Adipositas vor; mit der Steigerung um jeweils fünf weitere BMI-Punkte eskaliert in der entsprechenden Klassifizierung auch der Schweregrad Grad-I- bis Grad-III-Adipositas (BMI >40 kg/m2). Weder der BMI selbst noch die korrelierende Klassifizierung des Körpergewichtes reflektieren die für die Morbidität der Adipositas relevante Körperfettverteilung, die als genoides oder androides Erscheinungsmuster unterschieden wird. Letzteres bewirkt wesentlichen Einfluss auf das metabolische und kardiovaskuläre Gesundheitsrisiko. Dabei spielt offenkundig insbesondere das viszerale und ektope Leberfett eine bestimmende Rolle in der Pathophysiologie dieser Begleiterkrankungen. Wurde früher Fett als reiner Energiespeicher angesehen, versteht man heute die Gesamtheit des Fettgewebes als potentes, eigenständiges endokrines System. Aktive Botenstoffe wie beispielsweise Adipokine werden hier gebildet. Diese tragen ursächlich zur Ausbildung der durch Adipositas bedingten, chronischen Inflammation bei, die als signifikante Ursache in der Entstehung der assoziierten Begleiterkrankungen gilt.

Risikofaktoren für eine Adipositas

Als Grundlage einer Adipositas gilt vereinfacht dargestellt die chronische Imbalance zwischen der Kalorienaufnahme und dem -verbrauch zugunsten der Kalorienaufnahme. Die gegenwärtig immer noch regelmäßig anzutreffende Stigmatisierung der Betroffenen basiert deshalb häufig auf der falschen Annahme, dass eine individuelle Disziplinlosigkeit bei der Nahrungsaufnahme ursächlich für deren äußeres Erscheinungsbild sei. Bei der Entstehung einer Adipositaserkrankung spielen dagegen eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle. Zu diesen Risikofaktoren zählen eine familiäre Veranlagung mit ihren jeweiligen genetischen und epigenetischen Faktoren ebenso wie unsere allgegenwärtige adipogene Umwelt. Diese definiert sich durch die leichte Verfügbarkeit billigster, sehr kaloriendichter Nahrung sowie durch die gleichzeitig immerwährende Optimierung und Ökonomisierung aller Abläufe, die zu einer Reduktion der individuellen körperlichen Betätigung im Vergleich zu früheren Zeiten geführt hat. Schlafmangel durch Schichtdienste, Stress, bestimmte Stoffwechselerkrankungen, depressive Erkrankungen und verschiedene Medikamente stellen weitere kontemporäre Faktoren dar, die einen begünstigenden Einfluss beitragen können. Entsprechend erfordert die Erkrankung Adipositas eine differenzierte Herangehensweise und Diagnosestellung sowie gleichsam ein multidisziplinäres Konzept in der Langzeittherapie der chronischen Erkrankung.

Prävalenz, Morbidität und Mortalität

Sowohl die Prävalenz der Adipositas als auch die des T2DM nehmen weltweit signifikant zu. In Deutschland ist mittlerweile etwa ein Viertel aller Erwachsenen betroffen. Dies ist umso bedeutsamer, betrachtet man nicht nur isoliert die Erkrankung Adipositas, sondern auch deren verschiedenen Begleiterkrankungen und Komplikationen, die mit einer erhöhten und kostenintensiven Morbidität, aber auch mit einer gesteigerten Mortalität einhergehen. Unterstrichen wird dies durch eine 2016 publizierte epidemiologische Metaanalyse, die mehr als zehn Millionen Probanden aus 239 prospektiven Studien eingeschlossenen hatte. Die dargestellten Ergebnisse umfassten drei progressiv aufeinander folgende Altersgruppen (bis 49 Jahre, 50 bis 69 und 79 bis 89 Jahre), die zusätzlich nach Geschlecht aufgeschlüsselt wurden. So konnte nachgewiesen werden, dass global Mortalität streng mit dem BMI korreliert. Diese gegenseitige Abhängigkeit bildete grafisch einen U-förmigen Verlauf mit signifikant steilem Anstieg. Alle dargestellten Altersgruppen wie auch der geschlechtsspezifische Vergleich lieferten ein sich ähnelndes Bild. Als wesentliche Ursachen für die erhöhte Mortalität durch Adipositas wurden kardiovaskuläre Erkrankungen wie Myokardinfarkt und Schlaganfall identifiziert; einen ebenfalls relevanten Einfluss zeigten Atemwegserkrankungen und einige Tumorerkrankungen, die eine vergleichbare Korrelationscharakteristik aufzeigten. Gleichzeitig stellten sich wechselseitige Einflüsse dar: Mit zunehmendem Körpergewicht steigt das Risiko für die Entwicklung eines T2DM kontinuierlich an; umgekehrt sind 85 % der Erwachsenen mit T2DM adipös. Nicht wenig überraschend erhöhen beide Erkrankungen – sowohl Adipositas als auch T2DM – wiederum das kardiovaskuläre Risikoprofil um mehr als das Doppelte. Therapeutisches Ziel muss es also sein, solche Krankheitsverläufe erfolgreich zu behandeln und in ihrer Prognose positiv zu beeinflussen.

Adipositas als chronische Erkrankung anerkannt

Wesentliche Voraussetzung zur Erreichung dieses Zieles ist die Anerkenntnis der Adipositas als chronische Erkrankung – insbesondere als wissenschaftlich begründete Gegendarstellung zu der vorherrschenden Wertung als ein selbst zu verantwortender Lebensstil. Erst aus dieser Krankheitserkenntnis heraus definiert sich die medizinische Notwendigkeit der erforderlichen (Langzeit-)Therapie. Der Diskurs bis zu Anerkenntnis des Krankheitsbildes währte bereits vergleichsweise lange. Schon im Jahr 2000 definierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Adipositas als Krankheit. 2003 sprach dann erstmals das Bundessozialgericht in einem Urteil vom Vorliegen einer Krankheit; das Europäische Parlament hat in einer Resolution von 2006 seine Mitgliedsstaaten alarmiert und diese dringlich aufgefordert, Adipositas offiziell als chronische Erkrankung anzuerkennen. Doch erst im Juli 2020 folgte der Deutsche Bundestag diesen seit Jahren aus unterschiedlichen Quellen stammenden Empfehlungen. Adipositas wurde als eigenständiges chronisches Krankheitsbild mit hoher Rezidivneigung definiert. Mit dieser Statusänderung ist ein Recht auf Therapie unauflöslich verknüpft. Bei näherer Betrachtung erschließt sich der beiderseitige Vorteil – sowohl für Betroffene als auch für die Kostenträger: Für letztere ist jetzt obligat ein Therapieangebot bereitzustellen; dies verursacht vermeintlich zunächst deutliche Mehrkosten, insbesondere deshalb, weil Kostenträger nur in Jahresplanungen kalkulieren. Mit Weitblick und dem Fokus auf die extrem kostspieligen Begleit- und Folgeerkrankungen ergibt sich dadurch andererseits erst jetzt die Möglichkeit einer kausalen Behandlung und damit ein wirkungsvolles und in die Zukunft gerichtetes medizinisches Regulativ. Besonders kostenintensiv für die globalen Gesundheitssysteme fallen der T2DM und in zunehmendem Maße auch die Fettleber („non-alcoholic fatty liver disease”; NAFLD) ins kalkulatorische Gewicht. Unabhängig vom „Cost Summit” der Amerikanischen Diabetes Gesellschaft (ADA) im November 2021, der die Resignation bezüglich der Finanzierbarkeit dieser ubiquitär verbreiteten Volkskrankheit deutlich aufzeigt, betrifft die NAFLD aktuell ebenfalls bereits etwa ein Viertel der Weltbevölkerung. Mit zunehmendem Fortschreiten dieser Erkrankung wird sich hieraus eine enorme Zahl an zu erwartenden Lebertransplantationen generieren. Dies stellt einen bisher weit unterschätzten und noch nicht kalkulierbaren sozioökonomischen Kostenfaktor dar, unabhängig davon, dass eine entsprechende Anzahl von Transplantatorganen niemals verfügbar sein wird. In Anlehnung an andere chronische Erkrankungen erfolgte daher nach der überfälligen politischen Anerkennung der Adipositas als ursächliche chronische Erkrankung konsequenterweise die politische Beauftragung eines Disease-Management-Programmes (DMP).

Gewichtsreduktion senkt Risiko für Folgeerkrankungen

Durch unterschiedlich intensive Gewichtsreduktionen lassen sich graduiert Risiken für Folgeerkrankungen reduzieren. So kann eine Gewichtsabnahme von bis zu 5 % schon die Entstehung einer arteriellen Hypertonie (aH) oder einen hyperglykämischen Status minimieren. Eine dauerhafte Reduktion des Körpergewichtes um 5 bis 10 % führt zu positiven Effekten auf unterschiedliche Organsysteme und auf die individuelle Lebensqualität. Dies schließt z. B. auch die NAFLD, das polyzystische ovarielle Syndrom (PCOS), eine Dyslipidämie, aber auch die Prävention eines T2DM mit ein. Eine nachhaltige Reduktion des Körpergewichtes um 5 bis 10 % führt also bereits zu einer Reduktion von adipositasassoziierten Komorbiditäten. Deutlichere Gewichtsabnahmen bewirken noch mehr bis hin zur Verringerung der kardiovaskulären Mortalität und der Remission des T2DM.

Komplexe Regulation des Körpergewichtes

Jegliche Therapie der Adipositas zielt in Analogie zu der vereinfachten Gleichung von Energieaufnahme und Energieverbrauch primär auf eine Reduktion der Energiezufuhr mit dem Ziel der Gewichtsreduktion. Sekundäres Ziel ist die Vermeidung bzw. Behandlung der adipositasassoziierten Folgeerkrankungen. Der Energieverbrauch – die zweite Seite dieser Gleichung – wird fast ausschließlich durch den Grundumsatz determiniert. Durch zusätzliche körperliche Aktivität (Physical Activity Level; PAL) steigert sich der Grundumsatz zum Leistungsumsatz. Der PAL bei ausschließlich sitzender Tätigkeit, wie beispielsweise im Büro, beträgt 1,2. Selbst bei härtester körperlicher Arbeit erhöht sich dieser PAL nur auf den Faktor 2,0. Aus diesem Grund ist körperliche Aktivität nicht der variable Faktor, der diese Gleichung nachhaltig beeinflussen könnte, und der Energieaufnahme verbleit die Rolle der entscheidenden Stellschraube. Zur Erzielung eines therapierelevanten Ergebnisses ist es daher wichtig zu berücksichtigen, dass die Steuerung der Energiebilanz und des Körpergewichtes einer komplexen Physiologie unterliegt, die vor allem neuroendokrin gelenkt wird. Diese Regulation unterliegt der reflexhaften Steuerung über das Empfinden von Hunger, Appetit und Sättigung. Sättigung wird bei der Nahrungsaufnahme zunächst primär als Erhöhung der Wandspannung des Magens über den N. vagus detektiert und als Völlegefühl nach zentral vermittelt. Im weiteren Ablauf sind an dieser Steuerung eine Vielzahl von gastrointestinalen Hormonen (Botenstoffe) beteiligt. Grundsätzlich unterschieden werden muss dabei der bereits angesprochene metabolische von dem hedonischen Impuls zur Nahrungsaufnahme. Der metabolische Impuls drückt sich als Hunger aus – einem der stärksten Überlebensantriebe überhaupt. Hunger zeigt einen signifikanten Energiemangel des Systems an, vergleichbar mit Sauerstoffmangel, der konsekutiv den Atemimpuls antreibt. Wie beim Beispiel der Atmung kann die (Verhaltens-)Biologie in der proximaten (unmittelbar begründeten) Absicht des Selbsterhalts den entsprechenden aktivierenden Stimulus und dessen Wirkung niemals der kognitiven Beeinflussbarkeit überlassen. Die entsprechende Steuerung erfolgt über den Hypothalamus, einem Teil des autonomen Systems. Neben dem N. vagus, der über den Hirnstamm Afferenzen an den Hypothalamus sendet, spielen rezeptoral vermittelte Informationen über die gastrointestinalen Hormone eine wichtige Rolle. Repräsentative Beispiele für Hormone, die Sättigung vermitteln, sind Insulin, Leptin oder GLP-1. Als hormonelle Gegenspieler dazu können Glukagon, Adiponektin oder Ghrelin gelten. Daneben gibt es eine weitere Vielzahl an Hormonen, die ebenfalls in diesen Regelkreis eingebunden sind. Der hedonische Impulsantrieb der Essensaufnahme orientiert sich dagegen am Appetit – der Lust auf ein bestimmtes Nahrungsmittel – nicht gezwungenermaßen in Kombination mit einem hungerbedingten Impulsantrieb – und damit möglicherweise auch unabhängig vom eigentlichen Energiebedarf. Hedonisches Essen stillt im Wesentlichen einen emotional vermittelten Wusch nach Beruhigung oder Entspannung. Das in diesem Zusammenhang wertungsfrei gebrauchte Wort „Lust” ist dabei geprägt von der altgriechischen Lehre des Hedonismus, die zur vollkommenen Seelenruhe und damit deren natürlichen Zustand führen soll (Aristippos von Kyrene, ca. 400 v. Chr.). Stresszustände oder depressive Zustände lösen daher konsequenterweise diesen unbeeinflussbaren Antrieb aus, sich beruhigen oder belohnen zu wollen (vollkommene Seelenruhe). Zentral repräsentiert ist das hedonische System – das nicht nur mit Essen, sondern auch mit anderen Impulsverhaltensweisen in Zusammenhang gebracht wird – im mesolimbischen System (N. accumbens; Amygdala). Vermittelnde Hormone sind Stresshormone wie das Cortisol; der korrespondierende Neurotransmitter ist Dopamin. Beide Kerngebiete der hier beschriebenen Regulierungswege der Nahrungsaufnahme stehen untereinander in Verbindung und nehmen den dominanten und kognitiv nicht beeinflussbaren Anteil der Regulierung der Nahrungsaufnahme ein. Eine Gewichtsabnahme führt zu einer reaktiven Beeinflussung dieses komplexen Steuerungssystems. Appetit und dessen hormonelle Mediatoren steigen an, und selbst ein Jahr nach erreichtem Gewichtsverlust bleibt deren Niveau erhöht und erreicht nicht wieder die Ausgangswerte. Auf diesem Weg begründet sich biologisch die rekurrente Gewichtszunahme (Anabolie). Viele Patienten berichten häufig schon unmittelbar nach Beginn einer Diät von verstärktem Appetit. Dies macht den sogenannten Jo-Jo-Effekt nach Diäten anschaulich biologisch verständlich und erklärt ebenfalls den chronisch „rezidivierenden” Charakter der Adipositas; wird die Behandlung eingestellt oder reduziert, kommt es unweigerlich zum Rezidiv. Nicht nur der gesteigerte Antrieb zur Nahrungsaufnahme, sondern auch der reduzierte Grundumsatz (das Gehirn begünstigend – die Körpersysteme benachteiligend) durch die Reduktion des Körpergewichtes trägt dazu bei, erneut Energiereserven durch eine Gewichtswiederzunahme zu generieren. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine Langzeittherapie der chronischen Erkrankung Adipositas unerlässlich ist.

Therapeutische Optionen zur Gewichtsreduktion

Die konservative Adipositastherapie steht auf drei Fundamenten: der Basistherapie aus Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie. Oft wird dieser therapeutische Ansatz noch irrtümlicherweise mit dem Begriff der „Lebensstilintervention” bezeichnet, voraussetzend, dass es sich bei der chronischen Adipositas um eine individuelle „Lifestyleerkrankung” handeln würde. Dies schließt automatisch – zumindest unbewusst – eine Wertung ein: Betroffene würden einen „falschen” und damit selbstverschuldeten Lebensstil folgen und in der Konsequenz dieser „Verfehlung” auch selbst in der Therapieverantwortung stehen. Erst durch die oben bereits erwähnte Anerkenntnis der Adipositas als chronische Erkrankung kann sich daran kurativ etwas verändern. Mit der Basistherapie lässt sich im Mittel allerdings nur eine Gewichtsreduktion von 3 bis 8 % erreichen. Zudem müsste sie nach deren Initialisierung – analog zu jeder anderen Therapie einer chronischen Krankheit – lebenslang mit therapeutischer Unterstützung angewendet werden. Ein Wegfall der therapeutischen Intervention würde erwartungsgemäß als Rezidiv der Grunderkrankung (progrediente Anabolie) zur erneuten Gewichtszunahme führen. Als Vergleich darf in diesem Zusammenhang das Absetzten der antihypertensiven Medikation gelten, sobald unter Therapie normotone Blutdruckwerte erreicht wurden. Die Gewichtsreduktion durch die Basistherapie ist oft nicht ausreichend, um angestrebte und definierte therapeutische Ziele zu erreichen (Gewichtsreduktion >5 % bei BMI 25 bis 35 kg/m² und >10 % bei BMI >35 kg/m²). Eine Eskalation der Therapie ist meist erforderlich. Als zusätzliche mögliche Therapiebausteine stehen hier medikamentöse und invasive (chirurgisch, endoskopisch) Maßnahmen zur Verfügung. Grundsätzlich kann diese Eskalation als Stufentherapie definiert werden. Dabei kann die medikamentöse Therapie die therapeutische Lücke zwischen zu geringer und erforderlicher Gewichtsreduktion schließen.

Medikamentöse Adipositastherapie

Die medikamentöse Adipositastherapie kann eine deutlichere Gewichtsreduktion als die Basistherapie erreichen. Bisher ist sie in Deutschland allerdings immer noch aufgrund der unterstellten therapeutischen Selbstverantwortung Betroffener nur auf Selbstkostenbasis verfügbar. Das sollte und muss sich nach Anerkenntnis der Adipositas als chronische Erkrankung und nach den entsprechenden Änderungen im Sozialgesetzbuch ändern. Als Argument muss gelten, dass der Benefit der medikamentösen Therapie auch in Bezug auf sogenannte „harte Endziele” (kardiovaskuläre Ereignisse) nachweisbar ist und damit nicht nur die medizinische Wertschöpfung offensichtlich ist, sondern auch der sozioökonomische Vorteil. Laut S3-Leitlinie der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG), der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM) 2014 zur „Prävention und Therapie der Adipositas” (befindet sich aktuell in Überarbeitung) ist eine medikamentöse Therapie ab einem BMI ≥28 kg/m² und zusätzlichen Risikofaktoren und/oder Komorbiditäten oder einem BMI ≥30 kg/m² indiziert. Vorausgesetzt ist dieser Indikation, dass eine Gewichtsabnahme von <5 % des Ausgangsgewichtes innerhalb von sechs Monaten unter Basistherapie nicht erreicht werden konnte. Gleiches gilt für das Rezidiv: eine Gewichtszunahme von >5 % der erreichten Gewichtsreduktion innerhalb von sechs Monaten. Die Medikation wird in diesem Zusammenhang als ein Additiv (adjuvante Therapie) zur Basistherapie gewertet. Aktuell zugelassen und überwiegend verfügbar sind in Deutschland zur Gewichtsreduktion folgende Medikamente:
  • Setmelanotid: Therapie von genetisch bedingten Adipositasformen (MC4R)
  • Orlistat: Lipase-Hemmer
  • Liraglutid und Semaglutid: GLP-1-Agonisten
Amfepramon war bis Anfang 2023 zugelassen für die maximal zwölfwöchige Behandlung von adipösen Erwachsenen und Kindern/Heranwachsenden (Altersuntergrenze zwölf Jahre). Dieses zentral wirkende Sympathomimetikum beeinflusst die Steuerung von Appetit und Sättigung. Nach einer Überprüfung Amfepramonhaltiger Arzneimittel im Juni 2022 hat die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) die Zulassung für Appetitzügler dieses Wirkstoffes aufgrund eines attestierten ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses widerrufen. Bis Mitte Februar 2023 wird die Zulassung von Appetitzüglern des Amfepramonen-Typs in allen EU-Ländern auslaufen. Setmelanotid ist ein Melanocortin-4-Rezeptor-(MC4R-)Agonist mit Zulassung zur Behandlung von genetisch bedingter Adipositas mit bestätigtem biallelischen Proopiomelanocortin-(POMC-)Mangel (einschließlich PCSK1) oder biallelischem Leptinrezeptor-(LEPR-)Mangel bei Erwachsenen und Kindern/Heranwachsenden (Altersuntergrenze sechs Jahre). Die Verschreibung von Setmelanotid und die anschließende Therapiebetreuung sollte in den Händen von Ärzten mit Erfahrung im Management von genetisch bedingter Adipositas verbleiben. Orlistat ist ein Lipase-Inhibitor, der die Hydrolisierung von Triglyceriden im Gastrointestinaltrakt hemmt und so deren Resorption um ca. 30 % reduzieren kann. Die verfügbare Studienlage ist limitiert; eine Auswertung von 783 Probanden nach zwölfmonatiger Anwendung des Medikamentes in einer Dosierung von 120 mg dreimal pro Tag zeigte eine überraschend gute Gewichtsreduktion von 9,7 % auf. Verglichen wurde mit einer Placebogruppe und außerdem mit einer Gruppe, die nur mit halber Dosierung behandelt wurde. Auch die Hälfte des Wirkstoffes erreichte mit 8,6 % – entsprechend 89 % – Therapieerfolg im Vergleich zur Interventionsgruppe. Interessanterweise konnte auch die Placebogruppe ihr Gewicht um hervorragende 6,6 % verringern. Eine weitere Studie untersuchte 220 Patienten mit komorbidem T2DM über 52 Wochen. In der Interventionsdosierung von dreimal 120 mg zeigte sich eine Gewichtsreduktion um 5 % des Körpergewichtes. Die Kontrollgruppe erreichte eine 1,8%ige Senkung des Gewichtes. Auswertungen zum kardiovaskulären Endpunktrisiko liegen nicht vor. Das Nebenwirkungsprofil schließt gastrointestinale Beschwerden wie Fettstühle, Flatulenzen und die möglicherweise gestörte Resorption anderer Medikamente wie Schilddrüsenpräparate ein. In Anbetracht der vor allem die Lebensqualität signifikant negativ beeinflussenden Beschwerden beenden viele Konsumenten regelmäßig die Therapie vorzeitig. Das Inkretinhormon Glucagonlike Peptide-1 (GLP-1) wird in den enteroendokrinen L-Zellen des Magen-Darm-Traktes (v. a. Ileum und Kolon) gebildet und spielt in der Adipositastherapie eine zunehmend große Rolle. Seine periphere Wirkweise steigert die glukoseabhängige Insulinproduktion der Betazellen im Pankreas und senkt gleichzeitig die Glukagonproduktion in der Leber. Diese Wirkungen wurden zunächst nur zur Therapie des Typ-2-Diabetes genutzt. Im Magen wird gleichzeitig die Säureproduktion gedrosselt und die Magenentleerung selbst verzögert. Die biologische Halbwertszeit des Hormons liegt bei zwei Minuten. Dessen schneller Abbau erfolgt über das Enzym Dipetidylpetidase-4 (DPP-4). Zentral resultiert simultan eine Steigerung des Sättigungs- und Völlegefühles; Hungergefühl dagegen wird reduziert. Die Gesamtheit dieser biologischen Wirkmechanismen führt zu einer Reduktion der Nahrungsaufnahme. Liraglutid und Semaglutid sind GLP-1-Analoga und Medikamente der neueren Generation mit einem therapeutischen Effekt, der zur Gewichtsreduktion genutzt werden kann. Liraglutid ist mit einer Erhaltungsdosierung von 1,8 mg pro Tag bereits 2009 zur Therapie des T2DM eingeführt worden. Dessen katabole Wirkung, die in einer hochrangig publizierten Studie im Vergleich zur Basistherapie bestätigt wurde, führte in Januar 2015 zu dessen Zulassung als Medikament zur Gewichtsreduktion zunächst durch die Amerikanische Food and Drug Administration (FDA), und schließlich folgte Ende März 2015 die European Medicines Agency (EMA). Für die Anwendung des Medikamentes zur Gewichtsreduktion wurde jetzt eine deutlich höhere Erhaltungsdosis von 3 mg pro Tag definiert. Liraglutid weist eine fast homologe Aminosäurensequenz zum natürlichen Hormon auf. Die therapeutische Nutzbarkeit erfolgte durch die Augmentation um nur eine Aminosäure – mit resultierender Albuminbindungsfähigkeit – sowie einer Fettsäure zur konsekutiven Stabilisierung gegen den Abbau durch DPP-4. Die resultierende Albuminbindung und die signifikante Reduktion des Abbaus verlängerten die Halbwertszeit auf zwölf Stunden und diktierten dadurch die täglich nur noch einmalige Applikation als subkutane Injektion. Wirksamkeit und Sicherheit des Medikamentes wurden im Rahmen des SCALE-Studienprogrammes in mehreren multinationalen, placebokontrollierten Phase-III-Studien bei Patienten mit Adipositas und Prädiabetes, mit Typ-2-Diabetes, mit Schlafapnoe sowie zur Aufrechterhaltung der Gewichtsreduktion untersucht. Liraglutid führte bei 3731 Erwachsenen mit Adipositas und Prädiabetes zu einer signifikant höheren Gewichtsreduktion im Vergleich zur Kontrolle. In der Therapiegruppe konnte eine Gewichtsreduktion von 8 % nach 56 Wochen erreicht werden (vs. 2,6 % in der Placebogruppe). Bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 zeigte sich am Ende einer 56-wöchigen Behandlung eine Gewichtsreduktion von durchschnittlich 6 % im Vergleich zu 2 % bei der Placebogruppe. In einer über drei Jahre laufenden Studie, in der Patienten mit Prädiabetes und einem BMI >30 kg/m² oder einem BMI >27 kg/m² mit manifesten Begleiterkrankungen untersucht wurden, entwickelten in der Liraglutid-Gruppe lediglich 2 % der Probanden einen Diabetes mellitus Typ 2, in der Kontrollgruppe hingegen 6 %. Der Gewichtsverlust betrug 6,1 % gegenüber 1,9 % in der Placebogruppe. Bei Patienten mit Schlafapnoe konnte unter Liraglutid 3,0 mg nach 32 Wochen eine Gewichtsreduktion von 5,7 % vs. 1,6 % in einer Vergleichsgruppe erreicht werden. Alle Teilnehmer der SCALE-Studien erhielten eine Lifestyleintervention als Basistherapie. In einer weiteren Studie erhielten Patienten nach einer zwölfwöchigen Basistherapie, in deren Verlauf sie 6 % an Gewicht verloren hatten, Liraglutid 3,0 mg bis zur Woche 56 oder ein Placebo. Die Probanden in der Liraglutid-Gruppe profitierten von einem zusätzlichen Gewichtsverlust von 6,2 % im Vergleich zu 0,2 % bei den mit Placebo behandelten Teilnehmern. Damit erreichte die Gruppe, die zusätzlich zur Basistherapie Liraglutid 3,0 mg erhielt, eine Reduktion von 12,2 %. Die erzielte Gewichtsreduktion konnte in einer weiteren Studie bei fortgeführter Therapie über drei Jahre im Wesentlichen beibehalten werden. Die Quantitäten der viszeralen Fettansammlung und des ektopen Fettdepots der Leber stellen – wie bereits erwähnt – wichtige pathologische Parameter der chronischen Adipositas dar. Eine weitere Studie konnte mittels Magnetresonanztomografiemessungen aufzeigen, dass Liraglutid in einer Dosierung von 3,0 mg den ektopen Fettgehalt der Leber um 12,5 % reduziert. Die Vergleichsgruppe erreichte nur 1,6 % nach 40 Wochen Therapie. Diese therapeutische Wertschöpfung führte dazu, dass Liraglutid mittlerweile auch zur Therapie der Adipositas bei Jugendlichen ab zwölf Jahren zugelassen wurde. Das Nebenwirkungsspektrum von Liraglutid wird überwiegend durch die grundsätzlich erwünschte Wirkweise generiert. So führt die verzögerte Magenentleerung hauptsächlich zu gastrointestinalen Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen. Nebenwirkungen treten fast ausschließlich zu Beginn der Therapie auf. Aus diesem Grund wird zur besseren Verträglichkeit und bis zum Erreichen der Erhaltungsdosis von 3,0 mg/Woche ein Auftitrieren der Dosierung von initial 0,6 mg um jeweils 0,6-mg-Schritte pro Woche empfohlen. Mit Semaglutid wird eine weitere Substanz aus der Familie der GLP-1-Analoga zur Gewichtsreduktion auch in Deutschland verfügbar sein. Im Vergleich zu Liraglutid hat Semaglutid mit fünf bis sechs Tagen eine nochmals deutlich verlängerte Halbwertszeit und muss daher nur noch einmal pro Woche subkutan verabreicht werden. Die Initialdosis liegt bei 0,25 mg pro Woche. Diese wird dann vierwöchentlich gesteigert bis zur angestrebten Erhaltungsdosis von 2,4 mg nach 16 Wochen. Die STEP-Studien evaluierten Effektivität und Sicherheit von Semaglutid bei Adipositas. In der STEP-1-Studie wurde die Wirksamkeit von 2,4 mg Semaglutid pro Woche bei 1961 Erwachsenen unter Berücksichtigung des Indikationsspektrums für eine medikamentöse Therapie, aber unter Ausschluss von T2DM, untersucht (BMI ≥30 kg/m2 oder BMI ≥27 kg/m2 – hierzulande >28 kg/m2 – plus mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung). Nach 68 Wochen Anwendungsdauer betrug die mittlere Gewichtsreduktion 14,9 % im Vergleich zu 2,4 % in der Placebogruppe. Die STEP-2-Studie schloss 1210 Patienten mit einem BMI über 27 und mit komorbidem T2DM ein. Nach 68 Wochen erreichte die Interventionsgruppe eine Gewichtsreduktion von 9,6 % vs. 2,4 % in der Placebogruppe. STEP 3 – eine verblindete, randomisierte Interventionsstudie – schloss 611 adipöse Erwachsene ohne T2DM ein, die einen BMI ≥27 kg/m2 mit wenigstens einer anderen Begleiterkrankung oder einen BMI ≥30 kg/m2 aufwiesen. Nach über 68 Wochen zeigte sich in Verbindung mit einer intensivierten Lebensstiländerung eine mittlere Gewichtsreduktion von 16 % in der Semaglutid-Gruppe gegenüber 5,7 % in der Vergleichsgruppe. STEP 4 eröffnete mit einer 20-wöchigen „Run-in-Phase”, während derer alle Patienten mit Semaglutid behandelt wurden. Diese Studie untersuchte den Effekt der fortgeführten Therapie mit Semaglutid 2,4 mg im Vergleich zu Placebo. Die Auswertung (Woche 68) ergab eine progrediente Gewichtsabnahme um 7,9 % in der Semaglutid-Gruppe vs. der erneuten Zunahme von 6,9 % in der Kontrollgruppe. Eine Gewichtsreduktion mit Semaglutid von bis zu 17 % nach 68 Wochen Anwendungszeit unter Studienbedingungen erscheint daher durchaus realistisch. Das Nebenwirkungsprofil ist sehr ähnlich zu Liraglutid und entspricht dem der GLP-1- Rezeptoragonistenklasse.

Ausblick

In der aktuellen Entwicklung neuer Pharmakotherapien zur Behandlung der Adipositas stehen derzeit sogenannte Co-Agonisten und Tri-Agonisten im Fokus der Forschung. Die therapeutischen Kombinationen des Wirkspektrums von Inkretinhormonen sollen deren korrespondierenden zentralen Rezeptoren ansprechen. Am weitesten fortgeschritten ist gegenwärtig die Entwicklung von Tirzepatid. Es handelt sich hierbei um einen dualen GIP-/GLP-Rezeptoragonisten, der die Wirkung der beiden Inkretinhormone Glucagon-like-Peptide-1 (GLP-1) und „glucose-dependent insulinotropic polypeptide” (GIP) miteinander kombiniert. Tierexperimentelle Studien untersuchten zunächst dessen dualen Wirkmechanismus an Mäusen. Eine Phase-II-Studie mit Tirzepatid ergab eine Gewichtsreduktion von 5,3 bis 5,7 kg bei Dosierung von 12 mg oder 15 mg nach zwölf Wochen im Vergleich zu nur 0,5 kg bei der Gabe von Placebo. In einer aktuellen Phase-III-Studie nahmen 2539 Erwachsenen, die das Indikationsspektrum zur medikamentösen Therapie aufwiesen, teil (BMI >30 kg/m2 oder BMI >27 kg/m2 plus Begleiterkrankung). Das durchschnittliche Ausgangsgewicht lag bei 104,8 kg Körpergewicht. Nach 72 Wochen Anwendung konnte mit Tirzepatid dosisabhängig (5 mg, 10 mg, 15 mg) ein Gewichtsverlust zwischen 15 % und 21 % des Ausgangsgewichtes erreicht werden. Eine Zulassung durch die EMA erfolgte für Tirzepatid bisher nur für die Behandlung des T2DM. Diese neuen Medikamente haben ihr therapeutisches Potenzial bewiesen und finden ihr Indikationsspektrum in der therapeutischen Lücke zwischen Basis- und invasiven Therapieoptionen.

Chirurgische Adipositastherapie

Nach wie vor die deutlichste und nachhaltigste Gewichtsreduktion lässt sich mit chirurgischen Eingriffen erreichen (Übergewichtsverlust >50 %). Abgesehen von der sogenannten Primärindikation zur bariatrischen Operation ist der chirurgischen Therapie immer eine konservative Therapie vorzuschalten. Ist diese Basistherapie erschöpft, kann bei einsprechenden Voraussetzungen und bestätigter Indikation ein adipositaschirurgischer Eingriff erwogen werden. Die konservativen Maßnahmen gelten dann als erschöpft, wenn nach kumulativ mindestens sechs Monaten umfassender Basistherapie während der letzten zwei Jahre eine Reduktion des Ausgangsgewichtes von ≥15 % (BMI von 35 bis 39,9 kg/m²) bzw. ≥20 % (BMI ≥40 kg/m²) nicht erreicht wurde. Wurde diese Gewichtsreduktion zwar erreicht, aber bestehen noch adipositasassoziierte Begleiterkrankungen, die durch einen bariatrischen Eingriff weiter gebessert werden können, so erfüllt dies ebenfalls die Indikation zur Operation, ebenso wie wenn es nach erfolgreicher Gewichtsreduktion zum Rezidiv der Grunderkrankung mit einer Gewichtszunahme von ≥10 % kommt. Bei Patienten mit einem BMI ≥50 kg/m² oder bei Patienten mit sehr schweren Begleiterkrankungen, die keinen zeitlichen Aufschub erlauben, kann die Indikation zur Operation auch ohne vorhergehende Basistherapie gegeben sein (Primärindikation). Gleiches gilt, wenn ein multidisziplinäres Team ein konservatives Therapievorgehen für erfolglos hält. Als Grundlage der beschriebenen Indikationsstellungen fungiert die „S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen” der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Adipositas und Metabolische Chirurgie der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) aus dem Jahr 2018, die sich gerade in Überarbeitung befindet. Entsprechend gilt: Jenseits der Primärindikation besteht grundsätzlich eine Indikation nach erschöpfter Basistherapie und ohne Begleiterkrankungen bei einem BMI ≥40 kg/m² sowie bei einem BMI ≥35 kg/m² mit wenigstens einer adipositas-assoziierten Begleiterkrankung und erschöpfter konservativer Therapie.

Wirkmechanismen operativer Interventionen

Dabei wird der Erfolg der operativen Intervention durch unterschiedliche Wirkmechanismen generiert. Die sogenannte Restriktion des Magenvolumens (Verringerung des Magenvolumens) führt über die schnelle Erhöhung der Wandspannung des Magens zu einem Vagusvermittelten, schnell einsetzenden Sättigungsgefühl. Die hierdurch ebenfalls modifizierte Magenentleerungsgeschwindigkeit zeigt zudem Wirkung auf die Ausschüttung von gastrointestinalen Hormonen. Neben der Restriktion das zweite Wirkprinzip ist die duodenale Exklusion der Bypassverfahren. Durch die Umleitung der Nahrung um das Duodenum und den unterhalb anschließenden – je nach Verfahren unterschiedlich langen Abschnitten – des Jejunums zeigt sich ein metabolischer Effekt, der als modifizierte, biphasische Insulinantwort beschrieben werden kann, basierend auf der Veränderung des ausgelösten Inkretineffektes. Dieser Effekt zeigt besondere Wirkung auf einen komorbiden Diabetes mellitus Typ 2 und die in der Folge zu beobachtende drastische Gewichtsreduktion auf viszerale und ektope Fettdepots. In der Schwedischen Adipositasstudie (SOS) hat sich gezeigt, dass die größte Gewichtsreduktion innerhalb des ersten Jahres erreicht wird. Die chirurgische Intervention führt wie jede andere Adipositastherapie zu einer Reduktion des Grundumsatzes. Deshalb ist auch nach bariatrischen Eingriffen eine fortwährende Langzeittherapie mit Evaluation des Gesundheitsstatus erforderlich; eine Gewichtsstabilisierung ist durch die chirurgische Manipulation des Magen-Darm-Traktes in den meisten Fällen aber sehr viel leichter zu erreichen als nach einer konservativen Therapie.

Chirurgische Standardverfahren der bariatrischen Chirurgie

Aktuell stehen drei verschiedene Standardoperationen zur Verfügung: der Schlauchmagen sowie zwei Bypassverfahren mit jeweils einer unterschiedlichen Rekonstruktion der Nahrungspassage. Schlauchmagen: Bei der Schlauchmagenresektion wird in der Längsachse des Magens das Volumen entlang eines Calibration-Bougies reduziert. Dies definiert den Eingriff als resezierende Operation, die ausschließlich am Magen ausgeführt wird. So resultiert ein schlauchförmiger Magen, der das ungefähre Volumen und die Größe einer Banane aufweist und daher im englischsprachigen Raum häufig als „Banana-Resection” bezeichnet wird. Das verbleibende Magenvolumen misst ungefähr 100 ml mit erhaltender Pylorus-Funktion in der Passage. Daher wird diese Operation bei gleichbleibender antraler Druckgeneration bei signifikant reduzierterem Durchmesser als intraluminales Hochdrucksystem bezeichnet. Bypassverfahren: Bei beiden Bypassverfahren wird nichts entfernt, sondern vom Magen ein kleines Nahrungsreservoir (Magen-Pouch) abgetrennt. Der Restmagen verbleibt blind verschlossen. Die Nahrungspassage wird durch eine Nahtneuverbindung direkt zum Dünndarm wiederhergestellt. Diese chirurgische Umgestaltung der Anatomie entspricht einer Umleitung (engl. Bypass) um den Restmagen, das Duodenum und verschieden lange Anteile des oberen Jejunums. Die Rekonstruktion kann in verschiedenen Formen erfolgen und ist namensgebend für die Bypassverfahren. Roux-Y-Magenbypass (RYGB): Bei dieser Operation ist der Pouch nur ca. 5 cm lang und hat ungefähr ein Volumen von 25 ml. Der Dünndarm wird zur Vervollständigung der Nahrungspasse 50 cm (klassische Form) bis 150 cm (modernere Form) unterhalb des Treitzschen Bandes durchtrennt und der aborale Jejunum-Anteil an den Magen-Pouch anastomosiert. Der orale Anteil des durchtrennten Dünndarmes – vom Duodenum herkommend und die Verdauungssäfte transportierend – wird 150 cm (klassische Form) bis 50 cm (modernere Form) unterhalb dieser ersten Anastomose (Poucho-Jejunostomie) mit einer weiteren Nahtneuverbindung in den Dünndarm eingeleitet. Hierdurch entsteht eine Rekonstruktion, die in weitesten Sinne an ein „Y“ erinnert und in Anerkenntnis des Erstbeschreibers Cèsar Roux namensgebend für den Roux-Y-Magenbypass ist. Die Strecke von Magen-Pouch bis zur Einleitung der Verdauungssäfte transportiert ohne die Beimischung von Galle und Pankreassaft exklusiv Nahrung und wird als alimentärer Schenkel bezeichnet (AL). Die duodenale Strecke mit anhängenden unterschiedlich langen Dünndarmabschnitten wird bis zu deren Einleitung in die Rekonstruktion als biliopankreatischer Schenkel bezeichnet (BPL), die Strecke unterhalb der Teilung, auf der sich schließlich die Nahrung mit Galle und Pankreassaft vermischen, nennt sich „Common Channel” (CC). Ein-Anastomosen-Magenbypass (One-Anastomosis Gastric Bypass (OAGB) (alternativ Minimagenbypass, Omega-Loop-Magenbypass): Alternativ kann die Rekonstruktion in Form einer Omegaschlinge erfolgen (Billroth-II-Rekonstruktion), benötigt zur Rekonstruktion nur eine Anastomose und setzt damit keine Durchtrennung des Dünndarmes voraus. Deshalb, und zur Vermeidung eines galligen Refluxes aus der anastomosierten Dünndarmschlinge, wird der Magen-Pouch für diese Rekonstruktion mit einer Länge von 12 cm gewählt und fasst damit ungefähr ein Volumen von 50 ml.

Verfahren individuell anpassen

Die Verfahrenswahl ist individuell auf den jeweiligen Patienten abzustimmen. Alle drei Verfahren wirken metabolisch – allerdings durch unterschiedliche Effekte – und erreichen praktisch vergleichbare, nachhaltige Gewichtsreduktionen von deutlich mehr als 50 % des Übergewichtes. So stellt u. a. Reflux eine anerkannte, aber keine absolute Kontraindikation für einen Schlauchmagen dar, während eine familiäre Belastung mit Magenkarzinom grundsätzlich ein Ausschlusskriterium für eine Bypassoperation bedeuten sollte, da der blind verschlossene Restmagen nicht mehr endoskopisch einsehbar ist. Alternativ kann der Restmagen in einer derartigen Situation reseziert werden. Dasselbe gilt für chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED), insbesondere M. Crohn, der alle Anteile des Magen-Darm-Traktes befallen kann, so auch den blind verschlossenen Restmagen. Grundsätzlich muss die Anamnese aller verfahrensrelevanten Begleiterkrankungen eines Patienten in die Auswahl des Operationsverfahrens mit einbezogen werden, auch solcher Komorbiditäten, die möglicherweise zunächst irrelevant für die Verfahrenswahl erscheinen. Ein weniger bekanntes, aber dennoch repräsentatives Beispiel hierfür ist die Thalassämie. Liegt eine solche vor, ist eine duodenale Exklusion mit der entsprechend resultierenden Hypoabsorption kontraindiziert. Endoskopische Gastroplastie: Seit wenigen Jahren sind als Intervention auch schonendere, organerhaltende Verfahren mit endoskopischem Zugang etabliert und können in die Therapiewahl mit einbezogen werden. Indikationsspektrum sind Adipositas Grad I und II. Hierzu zählen der Magenballon als temporäres Verfahren (sechs bis zwölf Monate), aber vor allem auch die endoskopische Gastroplastie („endoscopic sleeve gastroplasty”; ESG), die nach Publikation einer randomisierten kontrollierten Studie in Vergleich zur moderaten Basistherapie deutliche Therapievorteile bewiesen hat. Die 209 eingeschlossenen Teilnehmer wurden entweder in die Interventionsgruppe oder in die Kontrollgruppe randomisiert und konnten nach 52 Wochen an einem Cross-over teilnehmen. Dabei erreichte die Interventionsgruppe eine Gewichtsreduktion von 13,6 % im Vergleich zur Kontrollgruppe mit 0,8 %. Anschließend wurde das Verfahren durch die FDA zugelassen.

Mögliche Komplikationen bariatrischer Operationsverfahren

Postoperative Komplikationen werden grundsätzlich nach dem Zeitpunkt ihres Auftretens eingeteilt. Direkt postoperativ auftretende Komplikationen werden meist durch die Operation selbst generiert. So kann z. B. eine zu eng konfigurierte Resektionslinie beim Schlauchmagen zu einer funktionellen Stenose führen. Die resultierenden Symptome sind Erbrechen, Übelkeit, Schluckbeschwerden, epigastrische Schmerzen und Reflux (obstruktive gastrische Beschwerden). Im Extremfall resultiert in seltenen Fällen eine Schlauchmagen-Leckage. Als Langzeitkomplikation sowohl nach der Schlauchmagenbildung als auch nach dem OAGB gilt der gastroösophageale Reflux. Daher empfiehlt die Internationale Föderation der Chirurgie der Adipositas (IFSO), nach beiden Operationsverfahren alle zwei Jahre eine sogenannte Surveillance-Gastroskopie zum Ausschluss einer Barrett-Epithelbildung als Langzeitfolge eines möglichen – auch „stillen” – Refluxes durchzuführen. Weitere Langzeitkomplikationen nach Bypassoperationen umfassen insbesondere nutritive Mangelerscheinungen. Bei Bypassoperationen wird der Hauptresorptionsort für Mineralstoffe und Vitamine – das Duodenum und das obere Jejunum – aus der Nahrungspassage ausgeschlossen, sodass eine lebenslange Supplementation erforderlich wird. Am häufigsten nach RYGB kann ein sogenanntes Dumpingsyndrom auftreten. Dumping bedeutet „auskippen”. Entleert der Pouch die aufgenommene Nahrung zu schnell, können gastrointestinale und metabolische Symptome resultieren. Beim Frühdumping kommt es ungefähr 15 bis 30 Minuten nach der Nahrungsaufnahme zu Symptomen wie krampfartige Bauchschmerzen, Durchfall, Schwitzen, Palpitationen, Tachykardie, Hypotension und Müdigkeit. Das Spätdumping dagegen tritt erst etwa ein bis drei Stunden nach einer Mahlzeit als Unterzuckerung (postoperative hyperinsulinäme Hypoglykämie; PHH) auf. Die genaue Pathophysiologie ist weitgehend unklar. Symptome des Spätdumpings sind Schwitzen, Palpitationen, imperativer Süßhunger, Schwäche, Verwirrtheit, Tremor und können als Neuroglykopenie bis hin zur Synkope und zu Krampfanfällen führen. Klinisch relevant nach bariatrischen Operationen kommt das Dumpingsyndrom in 5 bis 7 % der Fälle vor. Seltenere Langzeitkomplikationen sind Anastomosen-Ulzerationen nach Bypassoperationen. Sie sind wahrscheinlich auf die (Gastrin-getriggerte) Säureproduktion des Pouches, aber möglichweise auch auf eine Minderdurchblutung der Anastomose zurückzuführen. Nicht steroidale Antiphlogistika (NSAR) sollen nach Bypassoperationen obligat nicht mehr eingenommen werden, um diesen Faktor der Ulkusgenese auszuschließen. In den meisten Fällen ist ein Anastomosenulkus („Marginal ulcer”; MU) mit Protonenpumpenhemmern erfolgreich therapierbar. Für alle drei Standardoperationen gilt, dass eine erneute Gewichtszunahme (rezidivierende Anabolie) als Rezidiv der Grunderkrankung eine mögliche Langzeitkomplikation darstellt. Insbesondere nach Schlauchmagen konterkariert eine Dilatation des Schlauches die restriktive Wirkung und damit das schnelle Sättigungsgefühl.

Langzeitbehandlung nach Chirurgie

Die operative Intervention allein ist nicht ausreichend zur Behandlung der zugrunde liegenden chronischen Erkrankung. Entscheidend für den Langzeiterfolg ist das Management unter Berücksichtigung der operationsspezifischen Besonderheiten. Gerade postoperativ ist die weiter geführte Basistherapie von Bedeutung. Die Kontrolle des Ernährungszustandes mit Laborbestimmungen der Vitamine und Mineralstoffe, die Surveillance des Glukosehaushaltes mit postoperativer Anpassung der Medikation und das Monitoring einer möglichen Refluxkrankheit und regelmäßige Ernährungsschulungen sind unerlässlich. Eine Schwangerschaft nach einem bariatrischen Eingriff stellt eine Herausforderung dar, die mit interdisziplinärer Betreuung gut geregelt werden kann. Studien fokussieren oftmals eine postoperativ unzureichende Gewichtsabnahme bzw. auf die Gewichtswiederzunahme und deren Vorbeugung oder Therapie. In Rahmen der Langzeittherapie nach bariatrischen Eingriffen kann eine Therapiekombination sinnvoll werden. Medikamente zur Gewichtsabnahme können in die Therapie zusätzlich adjuvant integriert werden. Eine randomisierte, prospektive Doppelblindstudie mit 132 Patienten, die sich einer Roux-en-Y-Bypassoperation unterzogen hatten und nach 18 bis 120 Monaten postoperativ wenigstens 10 % an Gewicht wieder zugenommen hatten, wurden mit Placebo und Basistherapie oder mit Liraglutid 3 mg täglich und Basisintervention behandelt. In der Liraglutid-Gruppe verloren 69 % der Teilnehmer über 5 % ihres Gewichtes zum Eintritt in die Studie, jeder Zweite reduzierte sein Gewicht um mindestens 10 %, und jeder vierte Teilnehmer verlor über 15 % im Vergleich zu 5 %, 0 % und 0 % in der Vergleichsgruppe. In einer weiteren Studie wurde die adjuvante Medikation mit Liraglutid mit einem operativen Re-Eingriff verglichen. Die pharmakologische Therapie erwies sich grundsätzlich als erfolgreich. Insbesondere wurde der Vorteil gegenüber den möglichen hohen Komplikationsraten eines Folgeeingriffes betont. Weitere Studien mit Liraglutid im postoperativen Setting belegen ebenfalls günstige Effekte der medikamentösen Vorgehensweise.

Fazit

Adipositas kann viele verschiedene Ursachen haben. Sie stellt eine pandemische, chronische Erkrankung dar, die zu Folgeerkrankungen und einer beträchtlichen Morbidität und Mortalität führt. Daher müssen alle Ressourcen und Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft werden, um betroffene Patienten in einem gut abgestimmten interdisziplinären Konzept effektiv zu therapieren.
  • Adipositas ist eine chronische Erkrankung pandemischen Ausmaßes.
  • Die Behandlung muss interdisziplinär erfolgen. Sie beinhaltet in jedem Fall – die Primärindikation zur Operation stellt eine Ausnahme dar – eine Basistherapie bestehend aus Ernährungs-, Bewegungs- oder Verhaltensmodifikation.
  • Die Erfolge der ausschließlichen Basistherapie sind sehr begrenzt.
  • Erste Eskalationsstufe in Deutschland ist aktuell die medikamentöse Selbsttherapie mit Orlistat, oder die verordnete und auditierte Therapie mit einem GLP-1-Agonisten.
  • Mit Semaglutid wird in Kürze noch eine weitere hocheffektive medikamentöse Option zur Verfügung stehen.
  • In einer fortgeschrittenen Entwicklungsphase sind bereits weitere medikamentöse Therapieoptionen – darunter Co-Analoga.
  • Als interventionelle Therapien stehen die bariatrische Endoskopie oder als höchste Eskalationsstufe die bariatrische Operation zur Verfügung.
  • Interventionelle Verfahren mit Organerhalt und endoskopischem Zugang sind der Magenballon oder die Gastroplastie (ESG).
  • Die metabolische und bariatrische Chirurgie bietet drei Standardoperationen: den Schlauchmagen und zwei Bypassoperationen.
  • Eine operative Therapie erfordert wie alle anderen Therapieformen eine Langzeitbehandlung.
  • Als chronische Erkrankung verlangt Adipositas grundsätzlich eine Langzeitbehandlung; aktuell besteht noch keine Aussicht auf kausale Heilung der Grunderkrankung.

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