Einleitung
Die pulmonale Hypertonie (PH) jedweder Ursache ist weitverbreitet und betrifft etwa 1 % der Weltbevölkerung, wobei die Prävalenz bei Personen >65 Jahren bis zu 10 % erreicht. Die Unterform pulmonal arterielle Hypertonie (PAH) ist hingegen eine vergleichsweise seltene, aber häufig lebensbedrohliche Erkrankung. Die optimale Behandlung sollte, wenn möglich, in spezialisierten Fachzentren durchgeführt werden, in enger Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten. Die überarbeiteten Leitlinien zur PH der European Society of Cardiology (ESC) und der European Respiratory Society (ERS) von 2022 weisen im Vergleich zur vorherigen Version von 2015 viele neue Empfehlungen für das Management der Patienten mit PAH auf. In den vergangenen Jahren wurden signifikante Fortschritte in der Behandlung und Risikostratifikation der PAH sowie anderer Formen des pulmonalen Hochdruckes erzielt. Des Weiteren beinhalten die aktualisierten Leitlinien bedeutende Anpassungen hinsichtlich der hämodynamischen Definitionen von PH und aktualisierte Diagnose- sowie Therapieempfehlungen.
Hämodynamische Definition und Klassifikation
Die hämodynamische Definition der PH wurde überarbeitet. Sie basiert nun auf einer invasiven Rechtsherzkatheteruntersuchung, die einen pulmonal arteriellen Mitteldruck (PAPm) von >20 mmHg nachweist. Folglich wurde der Schwellenwert im Vergleich zu den vorherigen Leitlinien (≥25 mmHg) um 5 mmHg reduziert. Der Grenzwert des pulmonal arteriellen Wedge-Druckes (PAWP) zur Unterscheidung zwischen prä- und postkapillärer PH wurde bei 15 mmHg beibehalten. Allerdings wurde der Schwellenwert für die Definition einer präkapillären Komponente bei PH im Hinblick auf den pulmonal vaskulären Widerstand (PVR) gesenkt, von ≥3 Wood-Einheiten (WE) auf >2 WE. Diese Anpassungen basieren auf aktuellen Erkenntnissen aus umfangreichen Patientenstudien, die belegen, dass selbst ein moderat erhöhter pulmonal arterieller Mitteldruck (PAPm) in Bezug auf den pulmonal vaskulären Widerstand (PVR) mit einer erhöhten Sterblichkeitsrate einhergeht. Die aktualisierte Leitlinie führt auch eine neue Definition für Belastungs-PH ein, die nicht nur auf dem PAPm allein beruht, sondern auf dem Verhältnis von PAPm zum Herzzeitvolumen (HZV) unter Belastung basiert. Die klinische Klassifikation der PH bleibt weiterhin in fünf Hauptgruppen unterteilt: 1. PAH, 2. PH, assoziiert mit Linksherzerkrankungen 3. PH, assoziiert mit Lungenerkrankungen 4. PH, assoziiert mit pulmonalarteriellen Obstruktionen 5. Pulmonale Hypertonie mit unklarer und/oder multifaktorieller Genese. Die fünf Hauptgruppen lassen sich nach klinischen Kriterien weiter unterteilen. Die Berücksichtigung dieser Klassifikation sowie eine präzise differenzial diagnostische Abklärung sind von entscheidender Bedeutung, da die evidenzbasierten therapeutischen Ansätze bei den verschiedenen PH-Formen grundlegend variieren. Letztendlich sollten alle Formen von PH und die resultierende Rechtsherzinsuffizienz als systemische Krankheitsbilder betrachtet werden, die vielfältige Auswirkungen auf verschiedene Organsysteme haben.
Diagnostik
Es vergehen häufig Jahre, bis die Diagnose PH bei symptomatischen Patienten gestellt wird. Da es mittlerweile wirksame Therapieoptionen für viele Formen der PH gibt, ist eine schnellere Diagnosestellung von großer Bedeutung. Daher wurde der diagnostische Algorithmus für die PH in den aktualisierten Leitlinien grundlegend überarbeitet. Der Algorithmus ist sowohl für Patienten mit Verdacht auf PH als auch für solche mit anderweitig nicht erklärbarer Atemnot anwendbar. Die diagnostischen Schritte richten sich nach dem Weg des Patienten durch das medizinische System, einschließlich Hausarzt, Kardiologe/Pneumologe und Expertenzentren. Bei Personen, die ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer PAH aufweisen, wie Patienten mit Kollagenosen oder Sklerodermie sowie Familienangehörige von Patienten mit einer erblichen oder familiären Form von PAH, wird empfohlen, jährlich eine Echokardiografie zur Früherkennung durchzuführen. Die Echokardiografie ist die wichtigste nicht invasive diagnostische Methode zur Beurteilung der PH. Die ESC/ERS-Leitlinien verwenden den Begriff „echokardiografische Wahrscheinlichkeit für PH”, der in die Kategorien niedrig, intermediär und hoch unterteilt wird. Dies erfolgt anhand der maximalen Refluxgeschwindigkeit an der Trikuspidalklappe („peak tricuspid regurgitation velocity”, peak TRV, Schwellenwert >2,8 m/s) sowie anderer echokardiografischer Parameter, die den rechten Ventrikel, die Pulmonalarterie und die Anzeichen einer Rechtsherzinsuffizienz (Vena cava inferior [VCI], rechtes Atrium[RA]-Fläche) umfassen. Zusätzlich wird das Verhältnis von „tricuspid annular plane systolic excursion” (TAPSE) zum systolischen pulmonal arteriellen Druck („systolic pulmonary artery pressure”, sPAP, TAPSE/sPAP-Verhältnis) berücksichtigt, was eine sensiblere Erkennung der PH unter Berücksichtigung der aktualisierten hämodynamischen Definition ermöglicht. Im Rahmen der diagnostischen Untersuchung müssen potenzielle Ursachen für die PH identifiziert werden, einschließlich Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF), Herzinsuffizienz mit leicht reduzierter Ejektionsfraktion (HFmrEF), Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion (HFpEF), linksseitige Klappenerkrankungen sowie Lungenerkrankungen wie interstitielle oder obstruktive Lungenerkrankungen. Darüber hinaus ist es erforderlich, chronisch rezidivierende Lungenembolien mithilfe bildgebender Verfahren wie Ventilations-/Perfusionsszintigrafie und Dual-Energy-Computertomographie (CT) sicher auszuschließen. Die definitive Diagnosestellung der PH erfolgt durch eine Rechtsherzkatheteruntersuchung.
Pulmonal arterielle Hypertonie: Therapie und Risikostratifikation
Die PAH bleibt eine schwerwiegende und bislang unheilbare Erkrankung. Bislang galt die PAH als eine Erkrankung, die v. a. jüngere Personen, darunter hauptsächlich Frauen, betrifft. Allerdings zeigen neuere europäische und US-amerikanische Registerdaten, dass sich die demografische Verteilung der PAH wandelt und zunehmend ältere Patienten betroffen sind. Damit geht auch ein Anstieg der kardio-pulmonalen Komorbiditäten bei PAH-Patienten einher. Zusätzlich zur gezielten medikamentösen Therapie umfasst die Behandlung auch allgemeine Maßnahmen wie die Verabreichung von Diuretika, Sauerstofftherapie, psychosoziale Unterstützung und standardisiertes körperliches Training. Die medikamentösen Optionen umfassen eine Vielzahl von Wirkstoffen, die den Stickstoffmonoxid-(NO-)Signalweg (wie Phosphodiesterase-5-Inhibitoren [PDE5i] und lösliche Guanylatcyclase [sGC]-Stimulatoren), den Endothelin-Signalweg (durch Endothelinrezeptorantagonisten [ERA]) oder den Prostacyklin-Signalweg (mit Prostacyklin-Analoga [PCA] und Prostacyclin-Rezeptoragonisten [PRA]) beeinflussen. Bei einer kleinen Untergruppe von Patienten, den sogenannten akuten Vasorespondern, kann eine erfolgreiche Behandlung mit hochdosierten Calciumantagonisten in Erwägung gezogen werden. Der evidenzbasierte Therapiealgorithmus der Leitlinien der ESC/ERS von 2022 empfiehlt bei Patienten ohne bedeutsame Begleiterkrankungen eine auf das individuelle Risiko abgestimmte Behandlungsstrategie. Bei der Diagnosestellung erfolgt eine umfassende Evaluierung unter Verwendung verschiedener Untersuchungsmethoden; die Patienten werden gemäß 3-Strata-Modell in niedriges, intermediäres oder hohes Risiko eingestuft. Basierend auf Daten des COMPERA-Registers und einer externen Validierung durch das „French Pulmonary Hypertension Network”-(FPHN-)Register wurde eine zusätzliche Unterteilung in intermediär niedrig und intermediär hoch (4-Strata-Modell) vorgenommen, die im Follow-up einen festen Stellenwert hat. Dabei werden insbesondere die funktionelle Klasse gemäß der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die zurückgelegte Strecke im 6-Minuten-Gehtest und der „N-terminal pro-brain natriuretic peptide”-(NT-proBNP-)Spiegel berücksichtigt. Die Leitlinien der ESC/ERS von 2022 empfehlen die Anwendung dieses 4-Strata-Modells für die frühzeitige Neubewertung und die Entscheidung über das weitere therapeutische Vorgehen, gegebenenfalls unter Einbeziehung zusätzlicher Untersuchungsmethoden wie Echokardiografie, Rechtsherzkatheter und Spiroergometrie. Für Patienten ohne bedeutsame Komorbiditäten mit einem geringen oder mittleren Sterblichkeitsrisiko wird anfänglich eine duale orale Kombinationstherapie mit PDE5i und ERA empfohlen. Patienten mit einem hohen Mortalitätsrisiko sollten eine anfängliche Kombinationstherapie erhalten, die eine subkutane oder intravenöse Prostanoidtherapie einschließt. Im Rahmen der Re-Evaluation ist bei Patienten mit niedrigem Risiko, die bereits behandelt werden, in der Regel keine Änderung der aktuellen Therapie notwendig. Für Patienten mit intermediär niedrigem Risiko im Follow-up wird empfohlen, die Therapie entweder durch die Zugabe des PRA Selexipag zu erweitern (IIa-Empfehlung) oder von PDE5i auf den sGC-Stimulator Riociguat (IIb-Empfehlung) umzustellen. Die GRIPHON-Studie hat gezeigt, dass Selexipag eine 40%ige Verringerung des Risikos für den primären Endpunkt, bestehend aus Tod aus jeder Ursache oder einer mit pulmonaler arterieller Hypertonie zusammenhängenden Komplikation, bewirkt. In einer Post-hoc-Analyse wurde der Einfluss des Zeitpunktes für den Therapiebeginn mit Selexipag untersucht. Es wurde festgestellt, dass der Nutzen größer ist, wenn die Therapie innerhalb von sechs Monaten nach der Diagnose begonnen wird. Bei Patienten mit einem intermediär hohen oder hohen Risiko kann die Therapie durch subkutane oder intravenöse Prostacyklin-Gabe erweitert werden. Falls dies nicht möglich ist, kann eine ähnliche Vorgehensweise wie bei Patienten mit intermediär niedrigem Risiko angewendet werden, indem Selexipag hinzugefügt wird oder PDE5i auf Riociguat umgestellt werden. Wenn sich unter maximaler Therapie eine Verschlechterung der Erkrankung zeigt, sollten diese Patienten rechtzeitig in einem Transplantationszentrum vorgestellt werden, um die Indikation für eine Lungentransplantation zu überprüfen.
Pulmonal arterielle Hypertonie mit Komorbiditäten
Eine bedeutende Aktualisierung der ESC/ERS-Leitlinien von 2022 besteht in der Hervorhebung von PAH-Patienten mit Komorbiditäten. Diese Patienten, die in der Praxis eigentlich die überwiegende Mehrheit der diagnostizierten PAH-Patienten ausmachen, wurden in klinischen Studien zur PAH-Therapie lange Zeit systematisch ausgeschlossen. Daher gibt es nur eine begrenzte wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit und Sicherheit spezifischer PAH-Therapien. Diese Erkenntnisse wurden meist aus Beobachtungsstudien oder Post-hoc-Analysen großer randomisierter Studien gewonnen. Komorbiditäten betreffen u. a. häufig ältere Patienten. Es wird eine Unterscheidung zwischen einem pulmonalen Phänotyp (mit Faktoren wie Raucheranamnese und niedriger Lungendiffusionskapazität) und einem kardialen Phänotyp (mit Faktoren wie Hypertonie, Diabetes, Adipositas und koronarer Herzkrankheit) vorgenommen. Patienten mit pulmonalem Phänotyp ähneln hinsichtlich klinischer Merkmale, Ansprechen auf Therapie und Sterblichkeitsrate häufig denjenigen in der Gruppe 3 der PH. Aus Post-hoc-Analysen der AMBITION- und GRIPHON- Studien sowie Registerdaten (COMPERA) gibt es Hinweise darauf, dass auch Patienten mit mehreren Komorbiditäten von PAH-Kombinationstherapien profitieren können, wenn auch in der Regel in geringerem Maße. So zeigte die Post-hoc-Analyse der AMBITION-Studie, dass die Patienten mit <3 Komorbiditäten im Vergleich zu Patienten mit >3 Komorbiditäten unter einer Kombinationstherapie mit ERA und PDE5i eine größere Risikoreduktion erreichten. Auch die Daten der SERAPHIN-Studie lassen vermuten, dass PAH-Patienten mit kardialen Komorbiditäten von einer Kombinationstherapie mit PDE5i und ERA bezüglich körperlicher Belastbarkeit und verminderter Erkrankungsprogression profitieren. In der Post-hoc-Analyse der GRIPHON-Studie wurde die Wirkung von Selexipag bei PAH-Patienten mit kardiovaskulären Begleiterkrankungen untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass Selexipag das Risiko eines Morbiditäts-/Mortalitätsereignisses im Vergleich zu Placebo unabhängig vom Vorliegen von Begleiterkrankungen reduziert. Auch wenn es Hinweise gibt, dass Patienten mit kardialen Komorbiditäten von einer Kombinationstherapie profitieren können, wird allerdings eine reduzierte Wirksamkeit sowie eine eingeschränkte Verträglichkeit beobachtet. Die aktualisierten Leitlinien zur pulmonalen Hypertonie (PH) empfehlen für Patienten mit PAH und Komorbiditäten daher:
- Unabhängig von ihrem individuellen Risikostatus sollten sie eine vorsichtigere Einführung der Therapie durch eine anfängliche Monotherapie mit PDE5i oder ERA erhalten.
- Es sollten regelmäßige Verlaufskontrollen durchgeführt werden, um die Wirksamkeit und Verträglichkeit zu bewerten.
- Die Entscheidungen bezüglich einer Eskalation der Therapie oder einer Kombinationstherapie sollten individuell getroffen werden.
Eine nach der Veröffentlichung der Leitlinien im COMPERA-Register durchgeführte Studie zeigte, dass Patienten mit PAH und Komorbiditäten (kardialer Phänotyp) von einer gezielten PAH-Therapie profitieren, jedoch aufgrund ungünstiger Ausgangswerte die Schwellenwerte für ein niedriges Risiko nicht erreichen. Trotzdem stellt ein intermediär niedriges Risiko ein realistisches und prognostisch bedeutendes Therapieziel für diese Patienten dar. Um eine optimale Therapieentscheidung hinsichtlich Monotherapie versus Kombinationstherapie zu treffen, sind Zusatzkriterien erforderlich, die jedoch bisher noch nicht umfassend Eingang in die Leitlinien gefunden haben. Empfohlen wird die Berücksichtigung der folgenden Kriterien: Ein Linksherzphänotyp, da hier die Datenlage günstig ist, jüngeres Alter, das Vorhandensein weniger Begleiterkrankungen und eine gute Verträglichkeit der Medikamente sprechen eher für eine Kombinationstherapie.
Fazit
- Die überarbeiteten Leitlinien zur PH der European Society of Cardiology (ESC) und der European Respiratory Society (ERS) von 2022 bieten zahlreiche Neuerungen.
- Die aktuelle hämodynamische Definition der PH basiert auf der Rechtsherzkatheteruntersuchung.
- Die PAH stellt eine wichtige Unterform der PH dar, die mit einer hohen Mortalität einhergeht.
- Eine detaillierte Differenzialdiagnostik mit Risikostratifikation ist entscheidend, um eine jeweils individuell optimale Therapie zu ermöglichen.
- Patienten ohne Komorbiditäten mit initial niedrigem bis intermediärem Risiko sollten anfänglich eine duale orale Therapie bestehend aus ERA plus PDE5i erhalten.
- Patienten ohne Komorbiditäten mit initial hohem Risiko sollten eine initiale Triple-Therapie bestehend aus ERA plus PDE5i plus PCA (sc. oder iv.) erhalten.
- Bei PAH-Patienten mit Komorbiditäten ist häufig lediglich eine Monotherapie möglich. Patienten mit Komorbiditäten können jedoch von PAH-Kombinationstherapien profitieren, wenn auch in der Regel in geringerem Maße. Für die Monotherapie sprechen u. a. hohes Patientenalter, zahlreiche und schwere Komorbiditäten sowie eine geringe Medikamentenverträglichkeit.
- Patienten mit hohem Risiko im Follow-up sollten für eine Lungentransplantation evaluiert werden.
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