Venöse Thromboembolien bei onkologischen Patienten – Herausforderungen zwischen Leitlinien und klinischem Alltag

Bei Tumorpatienten besteht ein erhöhtes Risiko für das Auftreten venöser Thromboembolien (VTE). Zur Akuttherapie und Sekundärprophylaxe ist eine konsequente Antikoagulation indiziert, obwohl diese das bei Krebspatienten allgemein erhöhte Blutungsrisiko weiter verstärkt. Die Regime zur Antikoagulation der VTE sind dabei im Fluss. Bei Nichttumorpatienten empfehlen die Leitlinien inzwischen den bevorzugten Einsatz von nicht Vitamin-K-abhängigen direkten oralen Antikoagulanzien (NOAK/DOAK) gegenüber Vitamin-K-Antagonisten (VKA). Eine ähnliche Entwicklung könnte sich bei Tumorpatienten ergeben, bei denen – anders als bei Nichttumorpatienten – bisher leitliniengemäß ein niedermolekulares Heparin (NMH) für mindestens 3 bis 6 Monate eingesetzt wird; meist wird jedoch die Antikoagulation darüber hinaus verlängert.

Diese Strategie führte zu einer deutlichen Reduktion der VTE-Rezidivhäufigkeit durch NMH im Vergleich zu VKA, ohne relevante Erhöhung des Blutungsrisikos. Erste publizierte Studien mit Edoxaban und Rivaroxaban zeigen eine tendenziell bessere Wirksamkeit von NOAK/DOAK im Vergleich zu NMH bei diesem Patientenkollektiv, mit erhöhtem Blutungsrisiko – insbesondere im oberen Gastrointestinaltrakt –, jedoch ohne vermehrtes Auftreten lebensbedrohlicher Blutungen unter NOAK/DOAK.

Noch nicht abschließend geklärt sind die Indikationsstellung und Dauer einer medikamentösen VTE-Primärprophylaxe bei ambulanten Tumorpatienten. Eine entsprechende Behandlung erfordert eine sorgfältige individuelle Nutzen-Risiko-Abschätzung. Die Anwendung von NOAK/DOAK in dieser Indikation wäre gegenwärtig „Off Label“.

Prof. Dr. Hanno Riess
Wir haben gelernt, dass die dauerhafte Gabe von subkutanen Medikamenten nichts ist, was sich der Patient wünscht.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709120050790010
Zeitraum 30.04.2020 - 29.04.2021
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte Fortbildung abgelaufen
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof. Dr. Hanno Riess
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Animierter Vortrag (eTutorial)
Lernmaterial Vortrag (21:11 Min.), Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Bayer Vital GmbH
Bewertung 4.2 (493)

Einleitung

Die Inzidenzen von Krebserkrankungen wie auch die Rate venöser Thromboembolien (VTE), also tiefer Venenthrombosen (TVT) und Lungenembolien (LE), nehmen mit dem Lebensalter zu. Somit steigt zwangsläufig auch die Häufigkeit tumorassoziierter venöser Thromboembolien. Eine Assoziation zwischen einem Tumorleiden und dem Auftreten von VTE wurde bereits vor mehr als 150 Jahren beschrieben, und seit den 80er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts ist ein praktisch kontinuierlicher Anstieg der Inzidenz symptomatischer VTE zu verzeichnen. Aufgrund der sich verändernden Altersstruktur, der Assoziation zwischen Tumoren und VTE und nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zunehmenden Lebenserwartung von Tumorpatienten ist eine weitere relative und absolute Zunahme von VTE bei Krebskranken zu erwarten. Auch Thrombosen der oberflächlichen Hautvenen (oberflächliche Venenthrombose, OVT) treten bei Patienten mit einem Malignom überproportional häufig auf [1, 2].

Malignom und VTE

Die Assoziation von Tumorerkrankungen und VTE wird im klinischen Alltag oft zu einer medizinischen Herausforderung. Rund 20 % aller VTE entwickeln sich bei Krebspatienten. Bei VTE mit nicht bekannter Ursache und somit ohne erkennbaren Hinweis auf den Auslöser ist daher unter anderem auch an ein okkultes Malignom zu denken, denn die Thromboembolie kann durchaus die Erstmanifestation eines Tumorleidens darstellen [3]. Umgekehrt erleiden etwa 20 % aller Krebspatienten im Krankheitsverlauf eine VTE. Das VTE-Risiko ist somit bei Tumorpatienten etwa vier- bis siebenmal höher als bei Nichttumorpatienten [3]. Hinsichtlich der Inzidenz bestehen deutliche Unterschiede bei den verschiedenen Tumorentitäten und auch abhängig vom Tumorstadium sowie weiteren Faktoren. Obwohl das Entität-spezifische VTE-Risiko bei Frauen mit Brust- und Männern mit Prostatakrebs – im Vergleich zu Patienten mit Bauchspeicheldrüsen- oder Magenkrebs – eher gering ist, sind aufgrund der Häufigkeit dieser Tumorentitäten bei diesen beiden Malignomen VTE zahlenmäßig am häufigsten zu beobachten. Venöse Thromboembolien sind insgesamt betrachtet eine häufige Komplikation bei einem Krebsleiden. Sie sind lebensbedrohend und zudem gefürchtet, da sie die Prognose und die Lebensqualität der betroffenen Patienten verschlechtern [4].
Das Auftreten einer VTE birgt für Krebspatienten in mehrfacher Hinsicht Risiken:
  • Es steigert das Mortalitätsrisiko: Thromboembolien sind nach dem Tumorprogress die zweithäufigste Todesursache bei Tumorpatienten [5].
  • Tritt eine Thromboembolie auf, so besteht die Indikation zur Antikoagulation. Dadurch steigt bei Tumorpatienten das vorbestehend erhöhte Blutungsrisiko. Blutungen gehen ebenfalls mit einer gesteigerten Mortalität einher, auch wenn sie nur bei rund 1 % der Malignompatienten die Todesursache darstellen [6].

Entstehung von Thrombosen bei Tumorpatienten

Das gesteigerte VTE-Risiko bei Krebspatienten basiert wesentlich auf einer durch die Tumorerkrankung gestörten Blutgerinnung. Hämostasestörungen können sich dabei auf zwei Ebenen manifestieren:
  • Auf lokaler Ebene drohen eine Thrombophlebitis, eine tiefe Venenthrombose (TVT), eine Lungenembolie und eine arterielle Thromboembolie.
  • Auf systemischer Ebene drohen eine disseminierte intravasale Gerinnung, eine Verbrauchskoagulopathie, eine thrombotische Mikroangiopathie, eine Hyperfibrino(geno)lyse und eine unspezifische Proteolyse.
Die Hämostasestörung kann durch mehrere unterschiedliche Faktoren verursacht sein, beispielsweise durch die immunologische Auseinandersetzung des Organismus mit Tumor und Metastasen, die zu einer massiven inflammatorischen Reaktion mit Veränderungen der Hämostase führt [7]. Konsequenzen sind häufig unter anderem ein erhöhtes CRP (C-reaktives Protein), eine Zunahme der Thrombozytenzahl (Thrombozytose) und erhöhte Fibrinogenplasmaspiegel. Aus Tumorzellen und der geschädigten Gefäßwand in deren Umgebung sowie aus aktivierten Monozyten werden zudem häufig Mikropartikel freigesetzt, die aktive Mediatoren wie beispielsweise den Tissue-Factor (TF) als wichtigen physiologischen Aktivator der Gerinnung verfügbar machen. Der venöse Blutstrom kann außerdem aufgrund einer Tumorinfiltration oder durch die Kompression größerer Gefäße durch den Tumor oder dessen Metastasen, aber auch durch zentrale Venenverweilkatheter gestört sein, was die Entstehung von Gerinnseln begünstigt [7]. Ein erhöhtes VTE-Risiko kann ferner dadurch bedingt sein, dass bei chirurgischen Eingriffen, Bestrahlungen und/oder einer Chemotherapie gerinnungsaktive Substanzen freigesetzt werden und das Gefäßendothel schädigen können [7]. Außerdem führen ein reduzierter Allgemeinzustand und/oder tumorspezifische Therapien und/oder Komplikationen häufig zu einer Reduktion der Patientenmobilität mit VTE-Risikozunahme. Das VTE-Risiko wird bei Malignompatienten generell beeinflusst von der Thrombogenität der Tumorentität, vom Stadium der Erkrankung, von der Tumortherapie, von Thrombosen in der Vorgeschichte und von anderen vorbestehenden oder begleitenden (begleitend auftretenden) Krankheiten [1, 8].
Bekannte aggravierende Risikofaktoren für eine VTE sind bei Krebspatienten
  • vorbestehende Thromboembolien in der Anamnese,
  • bestimmte Tumorarten wie ein Pankreaskarzinom, Magenkrebs, Nierenkrebs, ein maligner Hirntumor, ein Lungenkarzinom, ein Ovarialkarzinom sowie ein Lymphom,
  • ein fortgeschrittenes Tumorstadium,
  • die jeweilige Tumortherapie sowie
  • eine reduzierte Mobilität.

Primärprophylaxe und Therapie

Hospitalisierte Tumorpatienten sind laut Leitlinie grundsätzlich als Hochrisikopatienten hinsichtlich venöser Thromboembolien anzusehen und bedürfen einer medikamentösen VTE-Prophylaxe. Die Dauer sollte den gesamten Krankenhausaufenthalt umfassen [9]. Es ist ferner im individuellen Fall – regelhaft nach größeren malignomchirurgischen Operationen – eine poststationäre Fortführung der Thromboseprophylaxe mit NMH abhängig von weiteren Risikofaktoren und insbesondere vom Ausmaß der Mobilitätseinschränkung zu erwägen. Die Leitlinien empfehlen zur Thrombosetherapie akut und prolongiert den Einsatz eines NMH. Diese Empfehlung basiert auf Daten mehrerer Studien. Dazu gehört beispielsweise die CLOT-Studie, in der die verlängerte Gabe eines NMH (Dalteparin) zu einer signifikanten Halbierung der Rate symptomatischer VTE-Rezidive bei zudem vergleichbarem Blutungsrisiko führte im Vergleich zum Konzept einer initialen NMH-Gabe gefolgt von einem VKA. Trotz der Vorteile dieses Regimes sind die Rezidiv- und Blutungsraten auch unter NMH hoch. Zudem stellt die langfristige tägliche subkutane Applikation von NMH für die Patienten eine deutliche Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität dar, mit dem Risiko einer eingeschränkten Persistenz; zudem ist sie ein relevanter Kostenfaktor.

Verlängerte Antikoagulation

Anders als bei Nichttumorpatienten empfehlen die internationalen Leitlinien bei Krebspatienten eine fortgeführte Antikoagulation mit NMH für zunächst 3 bis 6 Monate und bei aktiver Tumorerkrankung auch eine Antikoagulation darüber hinaus. Für diese über 6 Monate hinausgehende Antikoagulation werden – aufgrund fehlender Studienevidenzen – keine Empfehlungen für bestimmte Medikamente oder ihre Dosierung gegeben. NOAK/DOAK hatten bislang keinen Eingang in die internationalen Leitlinien erlangt, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass dezidierte, gegen NMH randomisierte Studien zur VTE-Therapie bei Tumorpatienten mit diesen Antikoagulanzien an größeren Kollektiven bislang fehlten.

NMH versus NOAK – Kriterien der Therapiewahl

Bei Nichttumorpatienten hat sich das Management der Behandlung von VTE und der Rezidivprophylaxe in den letzten Jahren bereits geändert. Es sollen bevorzugt die modernen NOAK/DOAK eingesetzt werden. Diese in den aktuellen Leitlinien formulierte Empfehlung basiert auf den Ergebnissen großer klinischer Studien und Metaanalysen, die eine mindestens gleichwertige Wirksamkeit zur früheren Standardtherapie bei jedoch signifikant weniger schweren Blutungen, signifikant weniger intrakraniellen Blutungen und auch signifikant weniger klinisch relevanten nicht schweren Blutungen zeigten [10]. In den großen Zulassungsstudien der NOAK/DOAK waren nur vergleichsweise wenig Tumorpatienten eingeschlossen. Subgruppenanalysen und eine zusammenfassende Metaanalyse von mehr als 1000 wenig charakterisierten Tumorpatienten deuteten jedoch darauf hin, dass die Situation ähnlich sein könnte wie bei den Nichttumorpatienten, dass also unter NOAK/DOAK bei mindestens vergleichbarer Wirksamkeit etwas seltener schwere und klinisch relevante Blutungen auftreten [11]. Adäquat untersucht wurde die klinische Wirksamkeit und Sicherheit von NOAK/DOAK mit Hemmung der Faktor-Xa-Aktivität bei Tumorpatienten in der Hokusai-VTE-Cancer-Studie, in die mehr als 1.000 Tumorpatienten mit objektiv bestätigter VTE eingeschlossen wurden. Die Studienteilnehmer wurden prospektiv randomisiert 5 Tage lang mit NMH gefolgt von Edoxaban oder über den gesamten Zeitraum von 12 Monaten mit NMH (Dalteparin, analog der CLOT-Studie) behandelt [12]. Bei der Hokusai-VTE-Cancer-Studie handelt es sich um eine Nichtunterlegenheitsstudie. Primärer Endpunkt war ein kombinierter Endpunkt aus venösen Thromboembolien und schweren Blutungen. Das Ergebnis war eindeutig: Die Behandlung mit NMH/Edoxaban war Dalteparin nicht unterlegen. Es traten unter diesem Regime tendenziell sogar weniger Rezidive auf als unter Dalteparin bei allerdings häufigeren Blutungen. Bei der Beurteilung der Studiendaten und insbesondere des in der Hokusai-VTE-Cancer-Studie ermittelten Blutungsrisikos ist auch zu berücksichtigen, dass im Verlauf der 12-monatigen Studie mehr Patienten unter Dalteparin die Therapie vorzeitig beendeten als unter Edoxaban. Zudem waren bei insgesamt häufigeren schweren Blutungen unter dem direkten Faktor-Xa-Inhibitor Edoxaban fatale und intrakranielle Blutungen zahlenmäßig unter Dalteparin häufiger. Subgruppenanalysen zeigten, dass das Risiko oberer gastrointestinaler Blutungen bei Patienten mit Tumoren des Magen-Darm-Trakts abweichend von anderen Patientensubgruppen unter Edoxaban im Vergleich zu Dalteparin deutlich erhöht war. Keinen Unterschied gab es hinsichtlich des Auftretens schwerer Blutungen bei Patienten mit einer Tumorlokalisation außerhalb des Gastrointestinaltrakts. Auch die Wirksamkeit und Sicherheit von Rivaroxaban, ebenfalls ein direkter Faktor-Xa-Inhibitor, wurde bereits im Rahmen einer offenen, prospektiv randomisierten Studie getestet und mitgeteilt. In der Select-D-Pilotstudie wurden 406 Patienten mit aktiver Krebserkrankung und symptomatischer VTE randomisiert und entweder 21 Tage lang mit 15 mg Rivaroxaban zweimal täglich gefolgt von 20 mg Rivaroxaban einmal täglich oder mit NMH (CLOT-Regime: 200 IE/kg Dalteparin einmal täglich während der ersten 30 Tage gefolgt von 150 IE/kg einmal täglich) [13] über 6 Monate behandelt. Die VTE-Rezidivrate (primärer Studienendpunkt) innerhalb von 6 Monaten war mit 4 % versus 11 % unter Rivaroxaban niedriger als unter Dalteparin. Tiefe Venenthrombosen und/oder eine Lungenembolie traten bei 7 versus 16 Patienten seltener auf. Mit 13 % versus 4 % war die Rate klinisch relevanter nicht schwerer Blutungen unter Rivaroxaban höher als unter dem NMH, allerdings gab es bei den schweren Blutungen mit 6 % versus 4 % keinen signifikanten Unterschied [13]. Auch in der Select-D-Pilotstudie kam es zu zahlenmäßig mehr schweren Blutungen im Gastrointestinaltrakt unter Rivaroxaban. Blutungen mit Todesfolge waren in beiden Studienarmen sehr selten und zahlenmäßig identisch. Die Ergebnisse der beiden Studien sind somit sehr konsistent und werden durch eine Metaanalyse bestätigt [14]. Weitere Erkenntnisse sind durch laufende Studien zu erwarten, wie sie derzeit zum Beispiel mit der Caravaggio-Studie zu Apixaban durchgeführt werden, für die bereits mehr als 1000 der geplanten 1200 Tumorpatienten rekrutiert wurden. Die Ergebnisse einer randomisierten Studie zum Thrombininhibitor Dabigatran bei tumorassoziierter VTE sind in den kommenden 2 Jahren nicht zu erwarten.

Therapiewahl – Entscheidungskriterien

Vor dem Hintergrund der verfügbaren Daten empfiehlt sich bei der Antikoagulationstherapie der VTE bei Tumorpatienten ein pragmatisches Vorgehen. Welche Medikation nach Diagnosestellung zunächst gewählt wird, sollte dabei abhängig vom Rezidivrisiko und auch abhängig vom Blutungsrisiko und speziell vom Risiko für klinisch relevante Blutungen entschieden werden. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang auch die Lokalisation von Tumor oder Metastasen, die Art der Tumortherapie und für die längerfristige Medikamentenwahl ebenfalls der zeitliche Abstand von dem VTE-Ereignis. Bei Patienten mit einem hohen Blutungs- und vergleichsweise niedrigen Rezidivrisiko und insbesondere bei einem Tumor oder bei Metastasen im Gehirn, im Gastrointestinal- sowie im Urogenitaltrakt empfiehlt sich in den ersten Wochen eher ein NMH. Bei mittlerem Blutungs- und Rezidivrisiko kann bis zu 4 Wochen sowohl mit einem NMH als auch einem NOAK/DOAK behandelt werden, um dann bevorzugt oral weiter zu behandeln. Bei eher geringem Blutungs-, jedoch hohem Rezidivrisiko ist eine frühzeitige und fortgeführte Behandlung mit einem Faktor-Xa-Inhibitor ratsam. Unbedingt zu berücksichtigen ist bei der Therapieentscheidung stets auch die Praktikabilität der Behandlung sowie die Patientenpräferenz und somit letztlich die Lebensqualität. Sie ist eine wesentliche Voraussetzung für die Adhärenz und Persistenz. Zu bedenken ist in dieser Hinsicht außerdem, dass es sich bei der Frage, ob ein NMH oder ein NOAK/DOAK eingesetzt wird, nicht um eine Entweder-oder-Entscheidung handelt, sondern in aller Regel problemlos zwischen den beiden Regimen gewechselt werden kann. Je länger die Antikoagulation durchgeführt wurde, umso eher wird man die Behandlung oral fortführen. Wenn beispielsweise Übelkeit und/oder Erbrechen als Nebenwirkung der Krebstherapie auftreten oder Medikamenteninteraktionen mit dem verwendeten NOAK/DOAK zu vermuten sind, kann passager auf ein NMH gewechselt werden.

Risikoabschätzung und Primärprophylaxe

Sinnvoller als die Behandlung und Rezidivprophylaxe einer VTE wäre eine effektive Primärprophylaxe auch im ambulanten Bereich. Dabei gibt es jedoch noch offene Fragen hinsichtlich der Risikostratifizierung. Etabliert ist bisher insbesondere der sogenannte Khorana-Score zur VTE-Risikoeinordnung. Der Khorana-Score umfasst verschiedene verfügbare Faktoren wie die Tumorlokalisation, die Thrombozyten- sowie die Leukozytenzahl und den Body-Mass-Index des Patienten bei Einleitung einer medikamentösen Therapie. Liegt der Khorana Score bei 3 und höher, so besteht ein vergleichsweise hohes VTE-Risiko. Inwieweit eine primäre VTE-Prophylaxe mit Faktor-Xa-Inhibitoren effektiv und sicher ist, wurde kürzlich in der AVERT-Studie geprüft, in der 575 Patienten randomisiert 6 Monate lang mit Apixaban oder Placebo behandelt wurden [14]. Die Patienten wiesen dabei einen Khorana-Score von 2 oder mehr auf. Durch die 6-monatige Behandlung mit Apixaban wurde die Rezidivhäufigkeit signifikant von 10 % im Placeboarm auf 4,2 % reduziert. Allerdings traten auch signifikant häufiger schwere Blutungen auf. Problematisch bei der Bewertung der Daten ist, dass mehr als 60 % der untersuchten Patienten nur einen Khorana-Score von 2 aufwiesen, lediglich symptomatische venöse Thromboembolien erfasst wurden und kein Screening mit Ultraschall erfolgte. In einer weiteren Studie, der CASSINI-Studie, wurde die Wirksamkeit und Sicherheit einer VTE-Primärprävention mit dem Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban geprüft. Ursprünglich sollten an der Studie 700 Tumorpatienten teilnehmen. Bei der vor dem Studieneinschluss geplanten/geforderten Ultraschalluntersuchung der proximalen Beinvenen zeigten 4,5 % der klinisch unauffälligen Tumorpatienten eine inzidentelle Thrombose. Sie wurden im weiteren Verlauf therapeutisch antikoaguliert und konnten nicht randomisiert werden. Die Fallzahlen mussten entsprechend nach oben korrigiert werden. Letztlich wurden mehr als 1000 Patienten untersucht, um mehr als 840 Patienten in die Studie zu randomisieren. Die Studie dokumentiert am Ende der 6-monatigen Studiendauer eine nicht signifikante Reduktion der venösen Thromboembolien unter Rivaroxaban (6,0 % versus 8,8 %) und eine nicht signifikante Zunahme schwerer Blutungen (2,0 % versus 1,0 %) im Vergleich zum Placeboarm [15]. Die durchschnittliche Dauer der Tabletteneinnahme war mit 5 Monaten deutlich kürzer als die geplanten 6 Monate. In der „On-Treatment-Analyse“ resultierte mit 2,6 % versus 6,4 % eine signifikante Reduktion der VTE-Häufigkeit unter Rivaroxaban gegenüber Placebo. Bemerkenswert war darüber hinaus eine tendenzielle, wenn auch nicht signifikante Reduktion arterieller Ereignisse unter Rivaroxaban.

Fazit

VTE treten überproportional häufig bei Tumorpatienten auf, und es bedarf in solchen Fällen unbedingt einer effektiven Antikoagulationstherapie. Zur Behandlung der VTE empfehlen die derzeit noch gültigen Leitlinien primär die prolongierte Anwendung von niedermolekularen Heparinen, doch zeichnet sich auch für tumorassoziierte VTE als orale Alternative die Behandlung mit Faktor-Xa-Inhibitoren ab. Zwei große randomisierte klinische Studien belegen die zu NMH gleichwertige Nutzen-Risiko-Relation für Edoxaban und für Rivaroxaban. Für VTE-Primärprophylaxe bei ambulanten Tumorpatienten fehlen überzeugende Kriterien zur effektiven Patientenselektion. Es ist daher vorerst ein individuelles Vorgehen mit sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abschätzung anzuraten. Bei einem Khorana-Score =3 oder anderweitig anzunehmendem hohen VTE-Risiko – wie Patienten mit palliativ zu behandelndem Pankreaskarzinom oder mit multiplem Myelom oder mit VTE in der Vorgeschichte – sollten NMH in Betracht gezogen werden. Für NOAK/DOAK liegen bereits vielversprechende Daten zur VTE-Primärprävention von CAT (cancer-associated thrombosis) vor, jedoch besteht gegenwärtig noch keine Zulassung. Eine entsprechende Anwendung ist daher aktuell Off-Label.

Referenzen

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