Einleitung
Harnwegsinfektionen (HWI) zählen zu den häufigsten Gründen für einen Arztbesuch und stellen ein relevantes Problem dar, nicht nur in der urologischen Praxis, sondern auch in der allgemeinen medizinisch-internistischen und gynäkologischen Praxis. Vor allem Frauen sind häufig von HWI betroffen. Gründe dafür sind unter anderem die kurze Harnröhre der Frau sowie die Nähe des Harnröhrenausganges zum After. Dabei sind es im Leben der Frau zwei Lebensphasen, in denen HWI verstärkt auftreten: zum einen die Aufnahme der sexuellen Aktivität, die zu einem kleineren Peak führt, sowie die postmenopausale Situation. Wie eine Analyse der BARMER GEK basierend auf den Daten von acht Millionen Versicherten zeigt, machen etwa 9 % aller Frauen ab zwölf Jahren pro Jahr einen Harnwegsinfekt durch. Von diesen wurden etwas mehr als die Hälfte mit Antibiotika therapiert. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Resistenzlage kommt einer umsichtigen Wahl des jeweiligen Antibiotikums allerdings eine große Bedeutung zu. Wie eine unkomplizierte HWI bei Erwachsenen leitliniengerecht diagnostiziert und behandelt werden sollte, kann der aktuellen S3-Leitlinie entnommen werden, die von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) und der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) publiziert wurde. In der Praxis wird sie allerdings oftmals zu vereinfacht nach dem Motto „Fosfomycin für alle HWI” umgesetzt, obwohl in der Leitlinie tatsächlich eine differenziertere Vorgehensweise empfohlen wird. Ein ganz wesentlicher Aspekt bei der Umsetzung der Leitlinie in der Praxis ist daher, deren Gültigkeitsbereich, d. h. den der unkomplizierten, bakteriellen HWI bei Erwachsenen, zu beachten und die Vorgehensweise je Risikogruppe anzupassen.
Was ist ein unkomplizierter Harnwegsinfekt?
Im Praxisalltag empfiehlt sich daher ein strukturiertes Vorgehen, bei dem zunächst zwischen kompliziertem oder unkompliziertem HWI zu unterscheiden ist. Gemäß Leitlinie handelt es sich um einen unkomplizierten HWI, wenn …
- keine funktionellen oder anatomischen Risikofaktoren vorliegen, wie z. B. Einzelniere, Nierenagenesie oder Nierenbeckenabgangsenge und/oder ,
- keine relevanten Störungen der Nierenfunktion vorliegen und/oder,
- eine relevanten Vor- oder Begleiterkrankungen vorliegen, wie z. B. ein nicht stabil eingestellter Diabetes mellitus.
Weiterhin ist laut Leitlinie ein unkomplizierter HWI nur innerhalb der sogenannten Niedrigrisikogruppen möglich:
Gruppen mit niedrigem Risiko:
- Nicht schwangere Frauen in der Prämenopause ohne relevante Begleiterkrankungen,
- Schwangere ohne relevante Begleiterkrankungen,
- Frauen in der Postmenopause ohne relevante Begleiterkrankungen,
- Jüngere Männer ohne relevante Begleiterkrankungen
- Patienten mit Diabetes mellitus und stabiler Stoffwechsellage ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen
Umgekehrt bedeutet dies für den Praxisalltag de facto, dass bei Vorlage einer der oben genannten Risikofaktoren von einem komplizierten HWI auszugehen ist und ein unkomplizierter HWI bei z. B. einem älteren Mann definitionsgemäß nicht vorliegen kann, da dieser nicht zur Niedrigrisikogruppe gehört. Weiterhin relevant zur Therapieplanung ist die Differenzierung nach der Lokalisation in eine untere HWI (Zystitis) und eine obere HWI (Pyelonephritis).
Untere HWI (Zystitis)
Symptome auf den unteren Harntrakt begrenzt:
- Schmerzen beim Wasserlassen
- imperativer Harndrang Pollakisurie
- Schmerzen oberhalb der Symphyse
Obere HWI (Pyelonephritis)
Symptome auf den oberen Harntrakt ausgeweitet:
- zusätzlichen Flankenschmerz
- klopfschmerzenhaftes Nierenlager
- und/oder Fieber (>38° C)
Von einer Zystitis ist auszugehen, wenn sich die Symptome nur auf den unteren Harntrakt begrenzen. Typische, von den Patienten häufig berichtete Beschwerden sind Schmerzen beim Wasserlassen, imperativer Harndrang, Pollakisurie und Schmerzen oberhalb der Symphyse. Liegt hingegen auch zusätzlich ein Flankenschmerz, ein klopfschmerzhaftes Nierenlager und/oder Fieber (>38 °C) vor, so ist von einer Pyelonephritis auszugehen. Zudem ist zwischen akuten und rezidivierenden HWI zu unterscheiden. Eine rezidivierende HWI wird angenommen, wenn bei einem Patienten bzw. einer Patientin zwei oder mehrere symptomatische Episoden pro Halbjahr oder drei oder mehr symptomatische Episoden pro Jahr auftreten. Klagen die Patienten bereits innerhalb von zwei Wochen nach der Behandlung einer HWI erneut über Beschwerden, so ist von einem Rezidiv auszugehen, meist aufgrund einer unvollständigen Beseitigung der Erreger. Manifestiert sich eine erneute Infektion nach mehr als zwei Wochen, handelt es sich um eine Neuinfektion.
Asymptomatische Bakteriurie nicht therapiebedürftig
Von der bisher beschriebenen, klinisch symptomatischen HWI unbedingt zu unterscheiden ist zudem die „asymptomatische Bakteriurie”, bei der die Harnwege mit Bakterien besiedelt sind, jedoch keine Infektion und keine Symptome vorliegen und somit kein Therapiebedarf besteht. Dieser Begriff ersetzt in der Leitlinie den bislang gebräuchlichen Begriff der „asymptomatischen Harnwegsinfektion” und wurde eingeführt, um stärker zu verdeutlichen, dass keine behandlungsbedürftige Infektion vorliegt. Eine asymptomatische Bakteriurie findet sich häufig bei Routineuntersuchungen und kann vorliegen bei beschwerdefreien Patienten, die kein weiteres Risikopotenzial aufweisen, das heißt …
- bei nicht schwangeren Frauen in der Prämenopause,
- bei Frauen mit stabil eingestelltem Diabetes mellitus,
- bei Älteren, die zu Hause oder in Heimen leben,
- bei Patienten mit Dauerkathetern nach Rückenmarksverletzungen.
Grundsätzlich ist bei einer asymptomatischen Bakteriurie weder eine Urinkultur zur Diagnostik noch eine Therapie erforderlich. Dies gilt auch für Patienten vor orthopädischen Eingriffen, wie z. B. einer Totalendoprothese der Hüfte, bei denen eine asymptomatische Bakteriurie vorliegen kann, die auch dann nicht behandlungsbedürftig ist. Wichtige Ausnahmen stellen Schwangere sowie Patienten vor Urothel-penetrierenden Eingriffen dar. Bei Schwangeren kann eine asymptomatische Bakteriurie das Risiko für Frühgeburt und Geburtskomplikationen erhöhen, während bei Urothel-penetrierenden Eingriffen eine Bakteriämie die Folge sein kann. In beiden Fällen sollte daher unbedingt eine Behandlung zur Elimination der Bakterien erfolgen.
Umsetzung der Leitlinie in die Praxis – verschiedene Fälle
Zur Umsetzung dieser Leitlinie in den Praxisalltag ist eine strukturierte Vorgehensweise unter Berücksichtigung sämtlicher Informationen sinnvoll. Dabei geht es darum abzuklären, ob der Patient oder die Patientin zu einer Niedrigrisikogruppe gehört oder ob mögliche Risikofaktoren für einen komplizierten Verlauf vorliegen.
Welche Diagnostik ist erforderlich?
Die Verdachtsdiagnose „unkomplizierter Harnwegsinfekt” sollte immer dann erwogen werden, wenn Patienten über klinische Symptome wie Dysurie, Pollakisurie, Nykturie oder imperativen Harndrang klagen. Liegen ein oder mehrere dieser Symptome vor, kann ein positiver Urinteststreifen (Nitrit oder Leukozytenesterase allein oder in Kombination) zwar potenziell die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Harnwegsinfektion weiter erhöhen. Allerdings sollte immer bedacht werden, dass vielfältige mögliche Störfaktoren wie u. a. eine Kontamination mit Vaginalflüssigkeit, die Einnahme von Vitamin C oder Antibiotika, langes Stehenlassen des Urins sowie stark verdünnter oder stark saurer Urin die Aussagekraft der Teststreifen deutlich begrenzen. So wurde in einer Studie mit über 2000 Patientinnen mit Symptomen einer überaktiven Blase, bei denen der Teststreifen ein negatives Ergebnis erbracht hatte, bei jeder fünften Frau im Katheterurin dennoch ein HWI nachgewiesen. Das entspricht einer Sensitivität von 0,44. Den Goldstandard der Diagnostik bei HWI stellt daher die Testung des Urins (Urinstatus), gegebenenfalls einschließlich einer Urinkultur im mikrobiologischen Labor dar. Gemäß Leitlinie darf darauf nur verzichtet werden bei nicht schwangeren prämenopausalen Frauen, die keinen Ausfluss, keinen Juckreiz vaginal, kein Fieber, keinen Flankenschmerz und keine weiteren Risikofaktoren für rezidivierende Infekte aufweisen. Vereinfacht und in anderen Worten bedeutet dies letztlich, dass nur beim unkomplizierten unteren HWI der prämenopausalen Frau auf Diagnostik verzichtet werden darf, während in allen anderen Fällen, wie z. B. bei Männern, Patienten mit Diabetes, bei rezidivierenden Infekten und weiteren Risikofaktoren, ein Urinstatus sowie gegebenenfalls eine Urinkultur unbedingt zu erheben ist.
Therapie der unkomplizierten Zystitis – muss es immer Antibiose sein?
Die Indikation zur antibiotischen Behandlung von Harnwegsinfektionen ist gemäß Leitlinie kritisch zu stellen – sowohl vor dem Hintergrund einer möglichen Resistenzentwicklung als auch um unnötige Behandlungen zu vermeiden. Bei nur leichten bis mittelgradigen Beschwerden kann auch eine rein symptomatische, nicht antibiotische Behandlung erwogen werden, sofern die Patientin damit einverstanden ist. Die Entscheidungsfindung sollte daher partizipativ erfolgen. Aufzuklären ist darüber, dass bei einer sofortigen antibiotischen Behandlung nach einer Woche deutlich mehr Patientinnen beschwerdefrei sind als bei einer primär symptomatischen Therapie, z. B. mit Ibuprofen. Allerdings bieten beide Therapieansätze keine absolute Sicherheit auf einen Therapieerfolg. Dies zeigt eine Studie mit knapp 500 Patientinnen mit typischen HWI-Symptomen, die in 42 Zentren in Deutschland durchgeführt wurde. Jeweils die Hälfte der Patientinnen wurde mit einer Einzeldosis Fosfomycin 3 g oder rein symptomatisch mit Ibuprofen 400 mg dreimal täglich über drei Tage behandelt. In der Ibuprofen-Gruppe waren etwa zwei Drittel der Frauen innerhalb von zwei Wochen beschwerdefrei. Allerdings gaben die Studienteilnehmerinnen der Ibuprofen-Gruppe mehr Beschwerden an, und es kam häufiger zu Komplikationen wie einer Pyelonephritis als in der Fosfomycin-Gruppe (fünf vs. eine). Zudem war die Ibuprofen-Therapie bei etwa einem Drittel der Frauen nicht ausreichend und eine zusätzliche antibiotische Therapie erforderlich. Allerdings reichte auch die Fosfomycin-Behandlung nicht in allen Fällen aus: Etwa ein Achtel der Frauen in der Fosfomycin-Gruppe benötigte ein weiteres Antibiotikum innerhalb von zwei Wochen. Insgesamt erscheint eine Einsparung von Antibiotika daher nur begrenzt möglich zu sein. Zudem sollten im Zusammenhang mit Antiphlogistika immer auch deren potenzielle Nebenwirkungen bedacht werden. So waren in dieser Studie unter Ibuprofen ein blutendes Magengeschwür, Herzrasen, eine Fehlgeburt und eine akute, möglicherweise durch Ibuprofen verschleierte, Appendizitis aufgetreten.
Antibiose: Lokale Resistenzlage berücksichtigen
Bei der Planung der Antibiotikatherapie sollte neben der Effektivität des Antibiotikums und dessen möglichen Nebenwirkungen auch das individuelle Risiko der Patienten, d. h. mögliche Allergien und Begleiterkrankungen, beachtet werden. Außerdem empfehlenswert ist – sofern möglich – eine Berücksichtigung des individuellen Keimspektrums. So kann es bei Patienten, die bereits vor einigen Wochen oder Monaten einen HWI durchgemacht hatten, lohnenswert sein, die Ergebnisse der damals erhobenen Urinkultur mit in die Therapieplanung einzubeziehen. Des Weiteren sollte auch die lokale Resistenzlage bedacht werden. Informationen hierzu können Auswertungen des betreuenden Labors, eigene Auswertungen sowie die RKI-Website liefern. Diese zeigen, dass für viele Antibiotika bereits vielfältige Resistenzen vorliegen, während die Resistenzlage für Fosfomycin und Nitrofurantoin noch recht gering ist. Ganz grundsätzlich gilt bei der Planung der Antibiotikatherapie: Eine Kurzzeittherapie ist einer Langzeittherapie vorzuziehen, und hochwirksame Antibiotika wie Chinolone oder Cephalosporine sollten im Rahmen einer Primärtherapie gar nicht eingesetzt werden, sondern unbedingt der Behandlung ernsthafter Infekte vorbehalten bleiben. Zur Behandlung des unkomplizierten Harnwegsinfektes der prämenopausalen Frau in der Niedrigrisikogruppe werden in der Leitlinie vier Antibiotika genannt: Fosfomycin, Nitrofurantoin, Nitroxolin und Pivmecillinam, die eine vergleichbare Wirksamkeit aufweisen und deren Reihenfolge in der Tabelle lediglich alphabetisch bedingt ist. Wesentlich ist, dass die entsprechenden Dosierungsanleitungen den Patientinnen erläutert und mögliche Kontraindikationen beachtet werden. So sollte Fosfomycin (3 g Granulat) als Einzeldosis unbedingt nach Dursten (drei bis vier Stunden nichts trinken) vor dem Schlafengehen eingenommen werden, weil dann die Substanz im Urin auch in hoher Konzentration anflutet. Ist die Flüssigkeitsaufnahme zuvor zu groß, wird der Wirkstoff im Urin zu stark verdünnt. Hinsichtlich Nitrofurantoin ist zu beachten, dass je Wirkstoffmenge zwei Dosierungsschemata möglich sind, die nicht verwechselt werden sollten. Zudem ist es bei einer glomerulären Filtrationsrate von unter 60 kontraindiziert. Nitroxolin ist ein Chinolinderivat, das dreimal täglich über fünf Tage verabreicht wird, während Pivmecillinam ein Betalactam-Antibiotikum ist, das dreimal täglich über drei Tage gegeben wird.
Therapie der rezidivierenden Zystitis
Bei Frauen stellt die rezidivierende Zystitis eine sehr häufige Erkrankung dar, wobei meist junge oder postmenopausale Frauen betroffen sind. Bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau sollte die Patientin ausführlich über Verhaltensmaßnahmen zur Vermeidung einer HWI beraten werden. So sollte auf eine gesunde Kost sowie eine normale, ausreichende Trinkmenge ebenso geachtet werden, wie auf das regelmäßige, eher frühzeitige Entleeren der Blase. Der Urin sollte weder eingehalten noch herausgepresst werden. Weiterhin ist darauf zu achten, die Schleimhäute ausreichend warm zu halten, um deren Unterkühlung und der damit einhergehenden Abwehrschwäche vorzubeugen. Auch die Einhaltung einer adäquaten Intimpflege, d. h. die Reinigung nach dem Stuhlgang von vorn nach hinten sowie die Verwendung medizinischer Lotionen kann hilfreich sein. Frauen, die festgestellt haben, dass ein HWI häufig nach dem Geschlechtsverkehr auftritt („Honeymoon-Zystitis”), können davon profitieren, die Blase nach dem Verkehr zu entleeren. Dadurch werden möglicherweise eingeschleppte Keime direkt wieder aus dem Introitus ausgespült. Da es sich bei den eingeschleppten Keimen in der Regel um coliforme Bakterien aus dem Darm der Frau handelt, ist eine Behandlung des Partners nicht notwendig. Zudem sollte auf die Anwendung von Spermiziden oder Scheidenspülungen verzichtet werden, da diese die natürliche Scheidenflora vernichten und so einer Zystitis Vorschub leisten. Gemäß Leitlinie kann bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau auch eine Behandlung mit D-Mannose, Phytotherapeutika, eine Immunisierung oder chemische Langzeitantibiose erwogen werden. Bei D-Mannose handelt es sich um einen Einfachzucker, der unverändert über den Urin ausgeschieden wird und an bakterielle Pili bindet. In der Folge werden die Bakterien an der Adhäsion und Invasion von uroepithelialen Zellen gehindert. Unter Einnahme von 2 g D-Mannose zweimal täglich konnte eine Reduktion der HWI gezeigt werden. Kritisch anzumerken ist allerdings, dass die Frauen der D-Mannose-Gruppe in dieser Studie angewiesen wurden, zweimal täglich 200 ml Wasser im Zusammenhang mit der D-Mannose-Aufnahme zu trinken. Dies führt zu vermehrter Diurese, sodass der in dieser Studie postulierte Effekt von D-Mannose auch auf der vermehrten Diurese in der D-Mannose-Gruppe beruhen könnte.
Bärentraubenblätterextrakt bei rezidivierenden Zystitiden
Phytotherapeutika aus Bärentraubenblätterextrakt, die gemäß Leitlinie ebenfalls zur Therapie der rezidivierenden Zystitis empfohlen werden, wirken über einen multimodalen Ansatz und durch das Zusammenspiel verschiedener Wirkstoffe: Während das als Prodrug fungierende Phenolglykosid Arbutin uropathogene E.-coli-Bakterien bekämpft, wirken Flavonoide und Tannine offenbar obendrein diuretisch und antiadhäsiv. Dabei wird Arbutin, ein Hydrochinon-Glykosid, nach dem Trojaner-Prinzip in die Blase eingeschleust, wo durch Bakterien die wirksame Substanz Hydrochinon freigesetzt wird. Hydrochinon ist antibakteriell wirksam und hat zusätzlich auch adstringierende und antiinflammatorische Effekte. Wesentlich ist, dass die Wirkung in alkalischem Urin stattfindet und eine gemeinsame Gabe mit ansäuernden Medikamenten daher vermieden werden sollte. Zudem wird eine ärztliche Konsultation empfohlen, sofern nach viertägiger Therapie mit Bärentraubenblätterextrakt keine Besserung eintritt. Es darf bei erwachsenen Frauen für eine Woche gegeben werden. In einer doppelblinden, prospektiven, randomisierten Studie wurden signifikante Effekte von Bärentraubenblätterextrakt bei rezidivierender Zystitis festgestellt. Insgesamt 57 Frauen, die im Jahr vor der Studie mindestens drei Episoden einer Zystitis erlitten hatten, eine davon innerhalb der letzten sechs Monate, wurden entweder mit Bärentraubenblätterextrakt (n = 30) oder Placebo (n = 27) einen Monat behandelt. Am Ende der 1-Jahres-Nachbeobachtung wurde ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen hinsichtlich der Anzahl der Rezidive festgestellt: Während in der Placebogruppe knapp ein Viertel der Frauen ein Rezidiv erlitten hatte, war dies in der Verumgruppe bei keiner Frau der Fall. Weiterhin wurde in Studien gezeigt, dass auch Präparate, die Kapuzinerkresse und Meerrettich enthalten, bei einer zweimal täglichen Gabe über drei Monate die Rezidivrate reduzieren konnten. Die wirksame Substanz in diesen Präparaten ist das Senföl, das antibakteriell, antientzündlich und antiadhäsiv wirkt.
Aktuell keine Leitlinienempfehlung für Cranberry
Hinsichtlich einer Therapie mit Cranberry zeigt ein Cochrane-Review, in dem 24 Studien mit über 4000 Patientendaten gemeinsam ausgewertet wurden, dass mit Cranberry keine besseren Effekte als mit Placebo erreicht werden. Auch in Subgruppenanalysen von Frauen mit rezidivierender HWI, bei Kindern, bei Querschnittspatienten oder bei Krebspatienten ergaben sich keine Vorteile von Cranberry. Die Autoren kommen daher zu dem Schluss, dass Cranberry derzeit nicht zur Vorbeugung von Harnwegsinfekten empfohlen werden kann. Allerdings halten sie fest, dass möglicherweise Präparate mit einer höheren Dosierung bessere Effekte erzielen könnten. Zudem ist im Zusammenhang mit einer Einnahme von Cranberry-Präparaten auch zu beachten, dass diese – wie Johanniskraut auch – zu den starken Zytochrom-Induktoren gehören und mit anderen Arzneimitteln interagieren können. So wurde beschrieben, dass Johanniskraut die Wirkung der Antibabypille aufheben kann. Auch mit Immunsuppressiva weisen Zytochrom-Induktoren ein relativ hohes Interaktionspotenzial auf, wie der Fall einer 40-jährigen Patientin unter Tacrolimus-Therapie zur Immunsuppression bei Zustand nach Nierentransplantation zeigt. Nach Einnahme von Cranberry-Extraktkapseln gegen ihre rezidivierende Zystitis kam es zu einem deutlichen Abfall des Tacrolimus-Serumspiegels bis unter den erforderlichen Grenzwert. Eine Erhöhung der Tacrolimus-Dosis hatte kaum Auswirkungen auf den Spiegel, und erst das Absetzen des Cranberry-Extraktes brachte die Spiegel wieder in den gewünschten Bereich.
Immunisierung und Langzeitantibiose zur Prophylaxe
Zur Prophylaxe rezidivierender HWI kann bei Frauen mit Hormonmangel auch eine Östrogenisierung erwogen werden und gute Effekte zeigen. Mit Estriol-Vaginalcreme oder Suppositorien, die über zwei Wochen täglich und danach zweimal täglich angewendet werden, kann das Scheidenmilieu deutlich verbessert werden. Da die Östrogene in dem Wirkstoff Estriol konjugiert vorliegen, ist auch bei längerer Anwendung keine systemische Wirkung zu befürchten. Hingegen sollte die Gabe von Estradiol auf maximal vier Wochen begrenzt werden, weil bei diesem Wirkstoff offensichtlich doch eine gewisse Resorption und daher ein gewisser systemischer Effekt auftreten kann. Eine Kontraindikation für eine Östrogenisierung besteht generell bei „hormonempfindlichen” Karzinomen der Brust oder des Uterus. In diesen Fällen stellen hormonfreie Präparate zur Scheidenpflege eine gute Alternative dar. Weiterhin ist bei häufig rezidivierender Zystitis gemäß Leitlinie eine Immunisierung zu erwägen. Dazu stehen zwei Präparate zur Verfügung, die oral oder intramuskulär verabreicht werden. Für das orale Immunstimulans OM-98 wurde in zwei Metaanalysen mit fünf respektive 17 Studien eine signifikante Reduktion der HWI-Rate gezeigt. Nach Versagen von Verhaltensänderungen und nicht antibiotischen Präventionsmaßnahmen wird in der Leitlinie empfohlen, bei häufig rezidivierender Zystitis und hohem Leidensdruck der Patientin eine kontinuierliche antibiotische Langzeitprävention über drei bis sechs Monate anzuwenden. Dazu werden in der Leitlinie verschiedene Wirkstoffe genannt, im Praxisalltag am gebräuchlichsten ist die Gabe von Nitrofurantoin 50 oder 100 mg abends. Allerdings sind im Zusammenhang mit einer Langzeitantibiose auch immer Resistenzbildungen sowie mögliche Nebenwirkungen wie etwa vaginale Candidosen oder die Veränderung des Mikrobioms zu bedenken. Gerade bei Frauen, die einen Zusammenhang zwischen Geschlechtsverkehr und dem Auftreten einer HWI beobachtet haben, kann daher auch eine lediglich postkoitale Antibiose mit z. B. Cotrimoxazol eine sehr gute Option darstellen, um das HWI-Risiko zu senken.
Therapie bei Pyelonephritis: Breitbandantibiotika
Bei Vorliegen einer Pyelonephritis ist generell eine antibiotische Therapie indiziert und sollte so früh wie möglich begonnen werden, um weitere Komplikationen möglichst zu vermeiden. Leichte Verläufe dürfen gemäß Leitlinie auch oral behandelt werden, bei schweren Verläufen sollte eine intravenöse antibiotische Infusionstherapie erfolgen. Zu den Risikofaktoren für schwere Verläufe zählen Kontakte mit dem Gesundheitssystem innerhalb der letzten drei Monate, rezidivierende Infekte oder mangelndes Ansprechen auf eine orale Therapie. In allen Fällen besteht die Gefahr, dass resistente Keime vorliegen. Bezüglich der Wahl des Antibiotikums zur Behandlung einer Pyelonephritis sollten in erster Linie Breitbandantibiotika wie Ciprofloxacin oder die Zweit- oder Drittgeneration Cephalosporine eingesetzt werden. Auch hier stellen Schwangere eine besondere Risikogruppe dar, weil Zusammenhänge mit Frühgeburtlichkeit, mit reduziertem Geburtsgewicht, mit Präeklampsie oder auch perinataler Mortalität für eine Pyelonephritis in der Schwangerschaft beschrieben sind. Daher sollten bei Schwangeren jegliche Harnwegsinfekte – wie bereits erwähnt auch einschließlich der asymptotischen Bakteriurie – unbedingt behandelt werden. Bei einer Pyelonephritis sollte eine stationäre Behandlung erfolgen, auch um eine gynäkologische Betreuung sicherzustellen.
Schwierige Fälle im Blick haben
Darüber hinaus gilt es, im Praxisalltag auch die schwierigen Fälle im Blick zu haben, rasch einzuordnen und richtig zu reagieren. So ist bei einem Mann, der über plötzlich aufgetretene Symptome wie Dysurie, Pollakisurie, starken Harndrang oder auch Harnverhalt in Kombination mit (hohem) Fieber, eventuell Schüttelfrost und einem starken Krankheitsgefühl klagt, fast immer von einer akuten Prostatitis auszugehen. Das prostataspezifische Antigen steigt innerhalb von wenigen Tagen rasch bis in den zwei- bis dreistelligen Bereich an, der digito-rektale Tastbefund ist weich und schmerzhaft, und häufig ist Restharn zu beobachten. In diesen Fällen sollte kein transurethraler Katheter gesetzt werden, da dadurch zusätzlicher Druck auf das erkrankte Organ ausgeübt wird. Dies wiederum induziert Bakteriämien; ein Abszess sowie Sepsis sind mögliche drohende Komplikationen. Bei Verdacht auf eine akute Prostatitis sollte der Patient daher möglichst rasch zum Urologen überwiesen werden. Generell sollte bei der Therapie eines HWI immer auch auf das Vorliegen von Restharn geachtet werden. Dieser sollte zunächst abgeleitet und erst danach die Therapie des Infektes eingeleitet werden. Bei rezidivierenden Fällen kann es zudem durchaus sinnvoll sein zu überprüfen, ob möglicherweise weitere Komplikationsherde wie etwa Divertikel oder Blasensteine für das stets erneute Aufflammen des Infektes verantwortlich sind. Zudem ist insbesondere bei Patienten, die Thrombozytenaggregationshemmer oder „neue orale Antikoagulanzien” (NOAK) erhalten, immer zu bedenken, dass auch eine hämorrhagische Zystitis auftreten kann, die eine längere und intensivere Therapie erfordert. Darüber hinaus sollte bei therapieresistenten HWI immer auch die Möglichkeit eines Blasentumors in Betracht gezogen werden. Leicht zu übersehen ist auch eine obstruktive Pyelonephritis, da die Patienten meist symptomarm und mit unklarem Fieber vorstellig werden. Hinweise darauf können eine zuvor durchgeführte Operation in Harnleiternähe, wie etwa eine Hemikolektomie oder eine Wertheim-Meigs-Operation, sowie auch eine Bestrahlung sein, die das Auftreten einer obstruktiven Pyelonephritis begünstigen. Gerade bei älteren Männern ist zudem zu bedenken, dass der HWI auch in den Nebenhoden verschleppt werden und dort eine Epididymitis verursachen kann.
Fazit
- HWI ist so individuell wie die betroffenen Patienten.
- Strukturiertes Vorgehen je Patientengruppe gemäß Leitlinie ist empfehlenswert.
- Antibiose sollte kritisch bedacht werden.
- Bei unkomplizierter Zystitis: Kurzzeit-Antibiose mit Fosfomycin, Nitrofurantoin, Nitroxolin und Pivmecillinam erwägen.
- Bei rezidivierender Zystitis der Frau können Phytotherapeutika erwogen werden, Bärentraubenblätterextrakte zeigen signifikante Effekte.
LITERATUR
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