Die neue ESMO GEP-NEN Leitlinie 2020

Seit Jahren ist ein Anstieg der Inzidenz gastroenteropankreatischer Neoplasien (GEP-NEN) zu verzeichnen. GEP-NEN stellen mittlerweile die zweithäufigsten Verdauungstumoren nach dem kolorektalen Adenokarzinom dar. Im Juli 2020 erschien das Leitlinien-Update der European Society for Medical Oncology (ESMO) für die klinische Praxis mit Empfehlungen zum Management der GEP-NEN.

In dieser Fortbildung werden die wichtigsten Empfehlungen der ESMO-Leitlinie 2020 besprochen und Neuerungen sowie Unterschiede zu Empfehlungen von Leitlinien anderer Fachgesellschaften herausgestellt.

Prof. Dr. Marianne Pavel
Wissenschaftliche Leitung


Kursinfo
VNR-Nummer 2760709120093690011
Zeitraum 23.11.2020 - 22.11.2021
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte Fortbildung abgelaufen
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof. Dr. Marianne Pavel
Prof. Dr. med. Aurel Perren
Prof. Dr. med. Dieter Hörsch
Prof. Dr. med. Markus Essler
Assoc.-Prof. Univ.-Doz. Dr. Alexander Haug
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Webcast
Lernmaterial Vorträge, Lernerfolgskontrolle (pdf); Bearbeitungsdauer: 90 Minuten
Fortbildungspartner Ipsen Pharma GmbH
Bewertung 4.2 (580)

Neuroendokrine Neoplasien – ein kurzer Überblick

Neuroendokrine Neoplasien (NEN) stellen eine relativ seltene, äußerst heterogene Gruppe von Malignomen neuroendokrinen Ursprungs dar. Anders als andere maligne Erkrankungen können NEN sich in nahezu jedem Organ des Körpers entwickeln. In etwa 70 % der Fälle sind die Tumoren gastroenteropankreatischen (GEP) Ursprungs. Pankreas und Dünndarm sind die häufigsten Primärtumorlokalisationen der GEP-NEN. In etwa jedem fünften Fall sind die Tumorzellen funktionell aktiv, das heißt, sie sezernieren Hormone oder hormonartige Botenstoffe. Darüber hinaus unterscheiden sie sich hinsichtlich der molekularen Anomalien, der biologischen Aktivität und des malignen Potenzials. Diese Variabilität zeigt sich nicht nur zwischen verschiedenen Entstehungsorten, sondern auch innerhalb von Tumoren desselben anatomischen Ortes. NEN exprimieren neuroendokrine Marker wie Synaptophysin, neuronenspezifische Enolase und Chromogranin A sowie Somatostatinrezeptoren (SSTR), die als diagnostische und therapeutische Zielstrukturen dienen. In vielen Fällen erfolgt die Diagnose im fortgeschrittenen Stadium, wenn bereits Metastasen – am häufigsten in Leber, Lymphknoten und Knochen – bestehen. Die Behandlung von GEP-NEN erfordert eine exakte Klassifizierung und Risikostratifizierung, da es für einzelne Entitäten verschiedene Therapieoptionen gibt. Die einzige Therapieform mit kurativem Ansatz ist die komplette Resektion des Tumors; alle systemischen Behandlungen sind palliativ. Die 5-Jahres-Überlebensrate der GEP-NEN insgesamt betrug bei der letzten Auswertung des deutschen NET-Registers 88 %; das mittlere Gesamtüberleben lag bei 285 Monaten.

Zunahme der NEN-Inzidenz

Kliniker werden zunehmend mit NEN konfrontiert, da in den letzten Jahrzehnten eine steigende Inzidenz zu beobachten ist: 1973 lag die jährliche altersbereinigte Inzidenz von NEN in den USA bei ca. einer pro 100.000 Personen und stieg bis 2012 auf fast sieben pro 100.000 Personen an. In der Altersgruppe der über 65-Jährigen wurde der dramatischste Anstieg der NEN-Inzidenz auf etwa 25 pro 100.000 Personen verzeichnet. GEP-NEN sind mittlerweile die zweithäufigsten Verdauungstumoren nach dem kolorektalen Adenokarzinom. Auch in Europa wurde ein starker Inzidenzanstieg beobachtet. Vermutlich ist die Zunahme auf eine vermehrte Diagnose von Tumoren im Frühstadium zurückzuführen.

Begrifflichkeiten: NEN, NET und NEC

Der Begriff NEN umfasst gut differenzierte neuroendokrine Tumoren (NET) und schlecht differenzierte neuroendokrine Karzinome (NEC). Letztere machen nur 10–20% aller NEN aus. Die meisten NEN sind gut differenzierte NET und treten sporadisch auf. GEP-NET der Bauchspeicheldrüse, des Duodenums, des Magens und seltener NET der Thymusdrüse und der Lunge können auch im Rahmen eines familiären Syndroms auftreten. Zu solchen genetisch bedingten Syndromen gehört die Multiple Endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN1), das von Hippel-Lindau-Syndrom, die Tuberöse Sklerose und Neurofibromatose Typ 1.

Das ESMO-Leitlinien Update 2020

Das Leitlinien-Update 2020 der European Society for Medical Oncology (ESMO) widmet sich schwerpunktmäßig den häufigsten Tumorentitäten Pankreas-NEN (Pan-NEN) und Dünndarm-NEN (SI-NEN; small intestinal NEN). Um die aktuelle Studienlage in die evidenzbasierten Empfehlungen einzubeziehen, war eine Überarbeitung der ESMO-Leitlinie aus dem Jahr 2012 dringend erforderlich. Im Idealfall basieren die neuen Leitlinienempfehlungen auf mindestens einer großen randomisierten, kontrollierten Studie von guter methodischer Qualität oder auf Metaanalysen gut durchgeführter randomisierter, nicht heterogener Studien. In den Fällen handelt es sich um das Evidenzlevel I. Wurden kleine randomisierte Studien herangezogen oder große randomisierte Studien von geringerer methodischer Qualität oder Metaanalysen solcher Studien, liegt Evidenzlevel II vor. Viele Empfehlungen basieren auf prospektiven Kohortenstudien (Level III) und retrospektiven Kohorten- oder Fall-Kontroll-Studien (Level IV). Level V bedeutet, dass den Empfehlungen lediglich Studien ohne Kontrollgruppe, Fallberichte oder Expertenmeinungen zugrunde liegen. Darüber hinaus werden die Empfehlungen graduiert. Mit „A” werden dringende Empfehlungen bezeichnet, da ein erheblicher klinischer Nutzen zu erwarten ist. „B” entspricht einer allgemeinen Empfehlung mit begrenztem klinischen Nutzen. „C” ist eine optionale Empfehlung, „D” bedeutet „allgemein nicht empfohlen” und „E” „wird auf keinen Fall empfohlen”.

Weitere NEN-Leitlinien

Einige weitere wichtige Leitlinien und Konsensusstatements, die aktuell ebenfalls überarbeitet wurden, sind u. a. die des National Comprehensive Cancer Networks (NCCN) und die der North American Neuroendocrine Tumor Society (NANETS). Im Jahr 2018 erschien erstmals die konsensbasierte S2-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Die Konsensusleitlinien der European Neuroendocrine Tumor Society (ENETS) wurden zuletzt 2016/17 angepasst.

Generelle Leitlinienempfehlungen

Wichtige generelle Empfehlungen der neuen ESMO-Leitlinie betreffen u. a. die Grundlagen der diagnostischen und therapeutischen Entscheidungsfindung: Diese basieren auf Schlüsselmerkmalen der NEN, wie proliferativer Aktivität, Somatostatinrezeptor-(SSTR-)Expression, Tumorwachstumsrate und -ausdehnung. An der Erhebung dieser Parameter sind in der Regel mehrere Spezialisten beteiligt, u. a. Pathologen, Radiologen und Nuklearmediziner. Die Ganzkörper-SSTR-Bildgebung sollte Teil des Tumor-Staging, der präoperativen Bildgebung und des Restaging sein. Ein SSTR-PET-CTa wird dringend empfohlen. Falls dieses Verfahren nicht verfügbar sein sollte, kann auch eine Szintigrafie durchgeführt werden, obwohl diese wesentlich weniger empfindlich ist. Zumindest sollte diese dann eine SPECT-CTb einschließen. Für den Nachweis von Läsionen an Leber, Bauchspeicheldrüse, Gehirn und Knochen sollte die Magnetresonanztomografie (MRT) gegenüber der Computertomografie (CT) bevorzugt werden, während die CT für die Bildgebung der Lunge geeigneter erscheint. Die FDG-PETc wird bei NEN optional vorgeschlagen und sollte auf individueller Basis vorgenommen werden. Da das Verfahren hierzulande keine Kassenleistung ist, sind die potenziellen Vorteile gegenüber den Kosten abzuwägen.

Erste Leitlinie mit neuer WHO-Klassifikation

In der Klassifikation von Tumoren des Verdauungssystems der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2010 wurden alle GEP-NEN als potenziell maligne definiert, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Nach der aktuellen WHO-Klassifikation werden die GEP-NEN nach ihrer histologischen Differenzierung und dem Proliferationsgrad in folgende Kategorien unterteilt: Gut differenzierte neuroendokrine Tumoren (GEP-NET, G1, G2 und G3), schlecht differenzierte neuroendokrine Karzinome (GEP-NEC, immer G3) und gemischte neuroendokrine/nicht neuroendokrine Neoplasien (MiNEN). Diese Klassifikation wird ergänzt durch ein GEP-NEN-spezifisches TNM-Staging. Klinisch bedeutsam zur Einschätzung der Prognose und für die Therapieplanung ist das Grading, das mithilfe des Proliferationsmarkers Ki-67 bestimmt wird. G1-Tumoren weisen einen Ki-67-Index von ≤2 % auf, das heißt, sie proliferieren kaum, während G3-Tumoren hoch proliferativ sind (Ki-67-Index >20 %). G2-Tumoren liegen dazwischen mit einem Ki-67-Index von 3 bis 20 % und einer moderat erhöhten Proliferationsrate. Das Grading korreliert jedoch nicht automatisch mit guter und schlechter Differenzierung der Neoplasien. Eine wichtige Änderung in der neuen WHO-Klassifikation betrifft die Feststellung, dass gut differenzierte NET zwar hochgradig (G3) sein können, jedoch genetisch gut differenziert sind und sich von schlecht differenzierten NEC unterscheiden. Insofern spiegeln NET G3 und NEC G3 zwei biologisch und genetisch verschiedene Krankheiten wider. Den größten Anteil haben NET G1- und G2-Tumoren, während NET G3 sehr selten sind. NET G3-Tumoren finden sich meist im Pankreas, können aber im gesamten Gastrointestinaltrakt auftreten. NEC sind definitionsgemäß immer G3-Tumoren, werden aber weiter in kleinzellige und großzellige Formen unterteilt. Klinische Anamnese, Histomorphologie und Genetik (DAXX/ATRX/MEN1-Mutation in Pan-NET G3, p53-Mutation oder RB-Verlust in NEC G3) helfen bei der Unterscheidung der beiden Tumorarten.

Aktuelle therapeutische Empfehlungen

Die wichtigsten Therapiesäulen bei GEP-NEN sind die operative Resektion, die Biotherapie mit Somatostatinanaloga (SSA), die Peptidrezeptor-Radionuklidtherapie (PRRT), molekular zielgerichtete Therapien wie Sunitinib und Everolimus, die zytotoxische Chemotherapie und lokal ablative Maßnahmen. Außerdem steht mit dem selektiven Tryptophan-Hydroxylase-Inhibitor Telotristatethyl eine Therapieoption für die Behandlung von Diarrhöen, die im Zusammenhang mit dem Karzinoidsyndrom auftreten, zur Verfügung. Keine der verfügbaren systemischen Behandlungsoptionen bietet eine Heilung, sondern vielmehr eine Stabilisierung der Krankheit mit variabler Dauer, die von verschiedenen prognostischen Faktoren wie Grad, Tumorausdehnung und Progressionsneigung abhängt. Im Folgenden werden die wichtigsten Therapieempfehlungen der neuen ESMO-GEP-NEN-Leitlinie vorgestellt:

1. Chirurgische Tumorresektion

Die einzig kurative Behandlungsoption bei GEP-NET ist die Resektion des Tumors, insbesondere wenn es sich um einen lokal oder lokoregional begrenzten NET G1 oder G2 handelt. Generell wird ein lokal radikales Vorgehen bei gleichzeitigem maxi malen Funktionserhalt angestrebt, insbesondere für Pan-NET. Für kleine (≤2 cm), nicht funktionelle Pan-NET ohne Hinweis auf eine Metastasierung kann eine Watch-and-Wait-Strategie in Betracht gezogen werden, wenn auch mit Vorsicht aufgrund fehlender prospektiver Studien. Bei größerem Primärtumor steigt das Metastasierungsrisiko, sodass in diesem Fall der Patient kurativ operiert werden sollte. Eine Operation ist immer auch im Fall eines endokrin aktiven Pankreas tumorsindiziert. Bei limitierter metastatischer Aussaat, d. h. nur auf Lymphknoten oder Leber beschränkte Metastasen, wird eine Tumorresektion empfohlen, sofern die Proliferationsrate unter 10% liegt. Trotz fehlender Evidenz kann bei ausgewählten Patienten mit Hochrisikomerkmalen eine neoadjuvante Behandlung in Betracht gezogen werden. Bei Vorliegen eines fortgeschrittenen NEC ist eine Tumorresektion kontraindiziert, wohingegen eine Operation bei NET G3 nicht a priori ausgeschlossen werden sollte.

2.Therapie des Kariniodsyndroms

Das Karzinoidsyndrom wird durch vasoaktive Substanzen wie Serotonin, Histamin und Kinine verursacht, die von einem typischerweise metastasierten intestinalen NET sezerniert werden. Charakteristisch sind vor allem kutane Flush-Episoden, Diarrhö, Abdominalschmerzen, Bronchospasmus und – bei hohen Serotoninspiegeln – rechtsseitige Herzerkrankungen. Meist liegt eine hohe Somatostatinrezeptor-(SSTR-)Expression vor, sodass in erster Linie eine Behandlung mit lang wirksamen Somatostatinanaloga (SSA), z. B. Lanreotid oder Octreotid, zur Symptomlinderung mit höchstem Evidenzgrad (I, A) empfohlen wird. Um die Tumor last zu reduzieren, sollten frühzeitig lokoregionale Therapien eingesetzt werden. Dadurch können Komplikationen verhindert und die hormonellen Symptome weiter verbessert werden. Erstmals wird bei Patienten mit refraktärer Karzinoidsyndrom-assoziierter Diarrhö an erster Stelle Telotristatethyl als Add-on-Behandlung zu SSA empfohlen (I, A). Telotristatethyl ist ein Tryptophanhydroxylase-Inhibitor, der die Serotoninspiegel im peripheren Gewebe, nicht aber zentralnervös, reduziert. Die Wirksamkeit und (Langzeit-)Verträglichkeit von Telotristatethyl in der Behandlung des Karzinoidsyndroms wurde in zwei Phase-III-Studien sowie im Praxisalltag nachgewiesen. Die häufig angewandte Dosiseskalation von SSA stellt lediglich eine alternative Behandlung dar, zu der entsprechende prospektive Studiendaten fehlen (IV, C). Auch die amerikanischen NANETS-Leitlinien sehen den Einsatz von Telotristat vor der Dosiserhöhung der SSA. Eine weitere Option ist Interferon-alpha (II, B), das in der Praxisrealität jedoch wegen seiner Nebenwirkungsrate eine untergeordnete Rolle spielt. Bei Tumorprogression wird eine Peptidrezeptor-Radionuklidtherapie (PRRT) empfohlen, die mit einer Standarddosis von SSA kombiniert wird (II, B). Neben interventionellen und lokoregionalen Verfahren kann bei fehlender Symptomkontrolle ein Behandlungsversuch mit Everolimus (off Label) erfolgen (IV, B). Eine Lebertransplantation kann im Einzelfall bei jungen erwachsenen Patienten in Betracht gezogen werden, die früh refraktär sind, keine extrahepatische Metastasierung zeigen und bei denen der Primärtumor entfernt wurde (IV, B).

3.Systemische Therapien bei Dünndarm-NET (SI-NET)

Bei asymptomatischen Patienten mit geringgradigen Tumoren (NET G1/G2) und stabiler Erkrankung oder geringer Proliferation (Ki-67 <10%) kann eine Watch-and-Wait-Strategie angewendet werden, vorzugsweise in SI-NET mit langfristig günstiger Prognose (IV, A). SSA werden als Erstlinientherapie zur Kontrolle des Tumorwachstums bei fortgeschrittenen, langsam wachsenden, SSTR-positiven SI-NET bis zu einem Ki-67 von 10% empfohlen (I, A). Diese Empfehlung stützt sich u. a. auf zwei prospektive, randomisierte, placebokontrollierte Phase-III-Studien, die gezeigt haben, dass sowohl Lanreotid als auch Octreotid antiproliferativ wirksam sind, wobei Lanreotid mittels der ESMO-Magnitude of Clinical Benefit Scale (MCBS) einen etwas besseren klinischen Nutzen zugeschrieben bekam. Darüber hinaus sollten frühzeitig auch lokoregionale Therapien in Betracht gezogen werden. Manche Patienten ziehen diese einer Dauertherapie oder anderen, potenziell toxischeren Therapien vor. Bei Krankheitsprogression unter SSA wird die PRRT als Zweitlinientherapie empfohlen [I, A]. Als Drittlinientherapie nach PRRT kann der mTOR-Inhibitor Everolimus eingesetzt werden. Da vergleichende Studien zu Everolimus versus PRRT noch fehlen, handelt es sich dabei um eine Empfehlung der Kategorie V, A. Im Gegensatz zur ENETS-Guideline von 2016 wird jetzt erstmals in der ESMO-Leitlinie die Therapieabfolge bei den SI-NET in dieser Klarheit festgelegt. Aufgrund mangelnder prospektiver Studiendaten wird die Kombination von SSA mit PRRT bei Patienten mit nicht funktionellen NET nicht empfohlen [IV, C] und es bleibt unklar, ob SSA nach PRRT als Erhaltungstherapie fortgesetzt werden sollte. Auch sollten SSA nicht mit Everolimus kombiniert werden (II, D). Während in der DGVS-Leitlinie keine Erstlinienempfehlung für Everolimus ausgesprochen wird, empfiehlt die ESMO-Leitlinie bei progredienten SI-NET G2 mit einer Proliferationsrate >10 bis 15 % den mTOR-Inhibitor als zielgerichtete Therapie in der Erstlinie. Die Wirksamkeit von Everolimus bei fortgeschrittenen, nicht funktionellen extrapankreatischen NET mit schlechter Prognose wurde in der Phase-III-Studie RADIANT-4 nachgewiesen. Für die Zweitlinie wird PRRT und in der Drittlinie ein chemotherapeutisches Regime empfohlen. Bei den SSTR-negativen SI-NET wird zunächst die lokoregionale Therapie empfohlen, in zweiter Linie Everolimus. Falls eine lokoregionale Therapie nicht möglich ist, kann Everolimus hier auch in der ersten Linie angewendet werden. Die Behandlung mit Interferon-alpha kann als antiproliferative Therapie in Betracht gezogen werden, wenn andere Behandlungsoptionen ausgeschöpft wurden oder nicht durchführbar sind (IV, B).

4.Systemische Therapien bei Pankreas-NET und –NEC

Bei Patienten mit niedrig proliferativen, SSTR-positiven PAN-NET G1 und stabiler Erkrankung wird der frühe Einsatz von SSA mit höchstem Evidenzgrad (I, A) empfohlen, wobei Lanreotid mit einem höheren ESMO-MCBS-Wert besser gegenüber Octreotid abschneidet. Bei Progress sollten entweder Chemotherapie oder eine zielgerichtete Therapie zur Anwendung kommen und erst in dritter Linie die PRRT. Bei den PAN-NET G2, insbesondere bei denen mit >10%iger Proliferationsrate, ist eine Chemotherapie mit einer Kombination aus Streptozotocin (STZ) und 5-Fluorouracil (5-FU) indiziert (II, A). Als Alternative wird Temozolomid (TEM) allein oder in Kombination mit Capecitabin (CAP) empfohlen (II, B). Die PRRT wird hier für die Zweitlinie und bei NET G3 für die Drittlinie empfohlen, da noch prospektive Studien fehlen (III, A). Bei NEC sollten Cisplatin oder Carboplatin zusammen mit Etoposid als Standarderstlinienchemotherapie angewendet werden [III, A]. Es gibt keine etablierte Second-Line-Therapie, aber verschiedene Schemata, z. B. 5-FU/Leucovorin/Irinotecan (FOLFIRI), 5-FU/Leucovorin/Oxaliplatin (FOLFOX) oder CAPTEM ± Bevacizumab, können in Betracht gezogen werden [IV, B].

Empfehlungen zur Kombination von SSA mit PRRT (Die Kombination SSA mit PRRT ist noch nicht zugelassen)

Die Wirkung der SSA wird ebenso wie die der PRRT über die Somatostatinrezeptoren Typ 2 (SST2R) vermittelt, die als Zielstrukturen bei bis zu 95 % aller NET auf der Zelloberfläche nachweisbar sind. Aus der Überlegung, dass beide Therapien um den SST2R konkurrieren könnten, wird in der deutschen S2k-Leitlinie empfohlen, die kurz wirksamen SSA für mindestens sechs bis zwölf Stunden vor einer geplanten PRRT abzusetzen und die SSA-Depotpräparate sogar vier bis sechs Wochen vorher zu pausieren. Demgegenüber steht die Empfehlung der neuen ESMO-Leitlinie, bei Patienten mit funktionellen Tumoren die SSA mit der PRRT zu kombinieren, um eine Zunahme der Symptome wie Durchfall und/oder Flush und eine hormonelle Krise kurz nach der PRRT zu verhindern [II, A]. Hierbei handelt es sich um eine starke Empfehlung mit dem Evidenzgrad II, die u. a. auf folgenden Studien beruht: Die Evidenz auf molekularbiologischer und histologischer Ebene liefern In-vitro- und tierexperimentelle Studien: Demnach kommt es nach einer kurzen Exposition von SSA, wie dies bei einer physiologischen, hormonellen Stimulation mit Somatostatin der Fall ist, rasch zu einer Internalisation der Somatostatinrezeptoren (SSR), die jedoch innerhalb von 24 Stunden komplett wiederhergestellt wurden. Im Tierversuch wurde nachgewiesen, dass eine Exposition mit kurz wirksamen SSA nach drei Tagen zu einer deutlichen Reduktion der Rezeptorexpression führte und diese auch nach sieben Tagen noch anhielt. Interessanterweise ergab sich ein völlig anderes Bild im Tiermodell bei einer kontinuierlichen Exposition entsprechend einer Therapie mit langwirksamen SSA. In diesem Fall erfolgte nach drei Tagen keine signifikante Reduktion der Somatostatinrezeptoren; nach sieben Tagen kam es sogar zu einer Hochregulierung der Rezeptoren im Vergleich zum Ausgangsbefund. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass ein frühzeitiges Absetzen der SSA-Therapie nicht erforderlich ist.

Evidenzen für einen synergetischen Effekt von SSA und PRRTn

In einer retrospektiven Studie wurde untersucht, ob es einen Überlebensvorteil bringt, SSA als Kombinationstherapie und/oder Erhaltungstherapie zur PRRT einzusetzen. Die Studie umfasste 168 Patienten mit inoperablen GEP-NET, die an der Universitätsklinik Bonn behandelt wurden. Gruppe 1 (n = 81) wurde mit einer PRRT-Monotherapie behandelt, Gruppe 2 (n = 87) hatte SSA in Kombination mit PRRT und/oder als Erhaltungstherapie nach PRRT erhalten. Das progressionsfreie Überleben (PFS; Progression-free Survival) betrug im Median 27 Monate in Gruppe 1 gegenüber 48 Monaten in Gruppe 2 (p = 0,012). Das mediane Gesamtüberleben (OS; overall Survival) betrug 47 Monate in Gruppe 1 und 91 Monate in Gruppe 2 (p < 0,001). Die Sterbefallraten waren in Gruppe 2 (26 %) niedriger als in Gruppe 1 (63 %). Die Kombinationstherapie zeigte gegenüber der Monotherapie eine signifikant höhere klinische Nutzenrate (objektives Ansprechen oder stabile Erkrankung) von 95 % vs. 79 %. Die PRELUDE-Studie, eine retrospektive, nicht vergleichende Analyse von Krankenakten von 40 Patienten mit GEP-NET G1/G2 (n = 39) und Lungen-NET (n = 1), die mit einer Kombination aus dem SSA Lanreotid und PRRT behandelt worden waren, lieferte ebenfalls Hinweise auf einen synergistischen Effekt der Kombination.

Symptombehandlung mit Telotristatethyl

Zu den klinischen Manifestationen des Karzinoidsyndroms gehören typischerweise Flushs sowie bei fast 80 % der Patienten Durchfälle, die gekennzeichnet sind durch ein großes Stuhlvolumen und eine erhöhte Elektrolyt- und Wassersekretion in das Darmlumen. Die wässrigen Durchfälle gehen oft mit schmerzhaften Krämpfen einher und können die Lebensqualität der Betroffenen stark beeinträchtigen. Telotristatethyl, der erste und einzige zugelassene orale Inhibitor der Tryptophanhydroxylase (TPH), hemmt die intrazelluläre Serotoninproduktion in den Tumorzellen. Damit unterscheidet sich der Wirkmechanismus von dem der SSA, die die Serotoninhypersekretion über Bindung an die Somatostatinrezeptoren auf den Tumorzellen blockieren. Telotristatethyl ist indiziert zur Behandlung der Karzinoidsyndrom-bedingten Diarrhö in Kombination mit einer SSA-Therapie bei Erwachsenen mit unzureichender Kontrolle unter SSA-Therapie. Die Zulassung basiert auf zwei randomisierten, placebokontrollierten Phase-III-Studien, TELESTAR und TELECAST, die u. a. auch der starken Empfehlung (I, A) in der ESMO-Leitlinie zugrunde liegen. Telotristatethyl zeigte in der TELESTAR-Studie bei Patienten mit refraktärer Karzinoidsyndrom-bedingter Diarrhö und ≥4 Stuhlgängen pro Tag trotz SSA-Therapie (n = 135) im Vergleich zu Placebo eine signifikante Verbesserung der Stuhlgangfrequenz. Außerdem führte die Therapie mit Telotristatethyl im Vergleich zu Placebo zu einer signifikanten Reduktion der Ausscheidung von 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES), einem Abbauprodukt des Serotonins im Urin. Ein dauerhaftes Ansprechend war bei 44 % bzw. 42 % der Patienten zu beobachten, die dreimal täglich mit 250 mg bzw. 500 mg Telotristatethyl behandelt wurden im Vergleich zu 20 % unter Placebo. Patienten mit dauerhaftem Ansprechen zeigten signifikante oder deutliche Verbesserungen der globalen Lebensqualität sowie Linderung von Übelkeit, Schmerzen, Durchfall und anderen gastrointestinalen Symptomen. Die Überlegenheit von Telotristatethyl ließ sich in der TELECAST-Studie bestätigen.

Fazit

In das aktuelle ESMO-Leitlinien-Update wurden zahlreiche neue evidenz-basierte Empfehlungen aufgenommen und erstmals die neue WHO-Klassifikation einbezogen. Demnach werden NET G3 und NEC G3 als zwei biologisch und genetisch verschiedene Krankheiten betrachtet. Zur Therapie des Karzinoidsyndroms wird eine Behandlung mit lang wirksamen Somatostatinanaloga (SSA) mit höchstem Evidenzgrad (I, A) empfohlen. Ebenfalls eine IA-Empfehlung wird für Telotristatethyl als Add-on-Behandlung zu SSA bei refraktärer Karzinoidsyndrom-assoziierter Diarrhö ausgesprochen. SSA sollen frühzeitig auch bei Patienten mit niedrig proliferativen, SSTR-positiven PAN-NET G1 und stabiler Erkrankung zum Einsatz kommen, ebenso bei fortgeschrittenen, langsam wachsenden, SSTR-positiven SI-NET. Bei den PAN-NET G2 ist eine Chemotherapie indiziert, während bei progredienten SI-NET G2 in der Erstlinie Everolimus der Vorzug gegeben wird. Die Kombination SSA plus PRRT ist zwar nicht zugelassen, wird aber bei Patienten mit funktionellen Tumoren aufgrund synergistischer Effekte empfohlen.

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