Die drei Säulen der medikamentösen Glaukomtherapie – ein Update

Das Glaukom ist eine hochkomplexe Erkrankung, der ein fortschreitendes Absterben der Sehnervenfasern zugrunde liegt und die unbehandelt bis zur Erblindung führen kann. Rechtzeitige und effiziente Therapiemaßnahmen sind daher von außerordentlicher Bedeutung, um den Betroffenen möglichst langfristig eine gute Seh- und Lebensqualität zu erhalten.

Warum neben einer effektiven Augeninnendrucksenkung auch eine gute okuläre Perfusion sowie Neuroprotektion für den langfristigen Erhalt der Sehkraft von Glaukompatienten wichtig sind, was bei der Therapieplanung berücksichtigt werden sollte und welche therapeutischen Möglichkeiten es gibt, erfahren Sie in dieser Fortbildung.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709121053250010
Zeitraum 02.07.2021 - 01.07.2022
Zertifiziert in D, A, CH
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte Fortbildung abgelaufen
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof. Dr. med. Ines Lanzl
PD Dr. med. Verena Prokosch-Willing
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Animierter Vortrag (eTutorial)
Lernmaterial Vortrag (22:17 Min.), Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Novartis Pharma GmbH
Bewertung 4.5 (181)

Volkskrankheit Glaukom – Patientenzahlen weltweit steigend

Nach wie vor ist das Glaukom weltweit eine der häufigsten Erblindungsursachen – mit steigender Tendenz. Fundierten Schätzungen zufolge wird sich die Zahl der Glaukompatienten (im Alter von 40 bis 80 Jahren) bis 2020 weltweit auf 76,0 Millionen und bis 2040 weiter auf 111,8 Millionen erhöhen. In deutschen Augenarztpraxen stellt das primäre Offenwinkelglaukom (POWG) die vierthäufigste behandelte ICD-kodierte Krankheit dar, wobei die Häufigkeit des Glaukoms mit zunehmendem Lebensalter steigt. So sind in Deutschland etwa 2 bis 4% der über 65-Jährigen von einem Glaukom betroffen.

Glaukom – fortschreitende Schädigung des Sehnervs

Die frühere Definition des Glaukoms über den Augeninnendruck (IOD) wurde mit zunehmendem Verständnis der Erkrankung aufgegeben. Heute definiert die European Glaucoma Society (EGS) das POWG als eine chronisch fortschreitende Augenerkrankung, die durch eine zunehmende Schädigung des Sehnervs charakterisiert ist. Somit sind charakteristische, morphologische Veränderungen am Sehnervenkopf und an der Nervenfaserschicht, die mit Ganglienzelltod und Gesichtsfeldverlust vergesellschaftet sind, wesentlich für das Vorliegen eines Glaukoms. Ein erhöhter IOD ist zwar der wichtigste Risikofaktor für ein Glaukom, trotzdem ist er nach neuerem Verständnis weder Teil der Definition des Glaukoms noch darf er mit der Erkrankung Glaukom gleichgesetzt werden. Die Glaukomerkrankung kann als fortschreitendes Kontinuum verstanden werden: Ausgehend vom Normalzustand der retinalen Nervenzellen kommt es -u.a. ausgelöst durch verschiedene Risikofaktoren- zu zellulären Veränderungen und einer beschleunigten Apoptose (programmierter Zelltod), die schließlich zu ersten Veränderungen der Nervenfaserschicht führen. Kommt es zu einem Verlust der Sehnervenfasern über das normale Maß hinaus, treten messbare Veränderungen der Nervenfaserschicht auf. Erst danach können frühe funktionelle Veränderungen festgestellt werden, die zu moderaten oder schweren Schäden bis hin zur Blindheit fortschreiten können. Im Umkehrschluss bedeutet das: Es wurde schon sehr viel neuronales Gewebe unwiederbringlich zerstört, bis erstmals Gesichtsfeldstörungen oder andere funktionale Schäden festgestellt werden können. Ziel der Glaukomtherapie ist es, das Sehvermögen zu stabilisieren oder zumindest eine weitere Verschlechterung hinauszuzögern. Dazu gilt es, die Erkrankung frühzeitig zu diagnostizieren - solange der entstandene Gewebeschaden noch gering ist - und durch effektive Maßnahmen den weiteren Verlust der Sehnervenfasern nach Möglichkeit wieder auf ein normales Maß einzudämmen, um so den betroffenen Patienten möglichst lange ein gutes Sehvermögen und damit verbunden auch eine gute Lebensqualität zu erhalten. Drei pathophysiologische Angriffspunkte Um ein Voranschreiten der Erkrankung einzudämmen, bieten sich aus heutiger Sicht drei pathophysiologische Ansatzpunkte an: So ist evidenzbasiert belegt, dass das Fortschreiten des Glaukoms durch eine effektive Augeninnendrucksenkung aufgehalten werden kann. Einen zweiten wichtigen therapeutischen Angriffspunkt stellt eine Verbesserung der okulären Durchblutungssituation dar, da auch eine schlechte okuläre Perfusion als wesentlicher Risikofaktor für eine Glaukomprogression gilt. Und drittens rückt zunehmend auch die Neuroprotektion wieder in den Fokus der Glaukomtherapie. Diese zielt darauf ab, durch pharmakologische oder molekularbiologische Methoden ein Absterben von Nervenzellen und Nervenfasern zu vermeiden. Ziel ist es also, möglichst so früh gegenzusteuern, dass kein weiteres neuronales Gewebe verloren geht. Im Folgenden werden rationale und therapeutische Möglichkeiten aller drei Ansätze erläutert.

Effektive Augeninnendrucksenkung – jeder mmHg zählt!

Langfristige Therapieerfolge in der Glaukombehandlung gehen mit einer dauerhaft konsequenten Senkung des Augeninnendrucks einher: Mehrere prospektive klinische Langzeitstudien haben überzeugend belegt, dass eine konsequente und effektive Senkung des Augeninnendrucks ein Fortschreiten des Glaukoms verhindert – und dies sowohl im frühen als auch im späten Stadium der Erkrankung. Dabei hängt der Schutzgrad davon ab, wie tief der Augeninnendruck gesenkt wird, das heißt jeder Millimeter niedriger im Follow-up reduziert die Glaukomprogression. Die Effektivität IOD-senkender Maßnahmen belegt auch die United Kingdom Glaucoma Study (UKGTS) sehr eindrücklich. Dabei handelt es sich um die erste placebokontrollierte, randomisierte, dreifachmaskierte Multicenterstudie, die den Effekt der IOD-Senkung auf den Gesichtsfelderhalt bei über 500 Patienten mit neu diagnostiziertem POWG untersucht hat. Zu diesem Zweck wurden innerhalb von zwei Jahren elf Gesichtsfelduntersuchungen vorgenommen und die Dauer bis zum Auftreten einer Verschlechterung ermittelt. Bereits nach zwölfmonatiger Therapie zeigten sich erste Unterschiede. Nach zwei Jahren war in der Wirkstoffgruppe im Vergleich zur Placebogruppe das Progressionsrisiko um 41% reduziert – und dies, obwohl die initialen IOD niedrig und damit die relativen Unterschiede in der IOD-Senkung gering waren. Dieses substanziell niedrigere Progressionsrisiko in der Behandlungsgruppe belegt die Effektivität IOD-senkender Maßnahmen und sollte dazu motivieren, Glaukompatienten sorgfältig zu überwachen und für eine effektive IOD-Senkung zu sorgen, hält auch Anders Heijl (Schweden) in einem entsprechenden Kommentar zu dieser Studie fest.

Zieldruck individuell festlegen – möglichst <18 mmHg anpeilen

Welche IOD-Senkung erforderlich ist, sollte zudem individuell mit dem dynamischen Zieldruckkonzept festgelegt werden. Als anzustrebender Zieldruck gilt der höchste, individuell tolerierbare IOD, bei dem die Progression der glaukomatösen Optikusneuropathie deutlich verlangsamt wird oder zum Stillstand kommt. Dabei werden auch wesentliche Risikofaktoren für ein Voranschreiten des Glaukoms berücksichtigt, wie u.a. der bereits vorliegende Glaukomschaden, die Progressionsrate bzw. vorliegende Risikofaktoren für eine weitere Progression und die am unbehandelten Auge vorliegenden IOD-Ausgangswerte. Auch Begleiterkrankungen, Nebenwirkungen der Behandlung und Patientenpräferenzen für bestimmte Therapien sollten bedacht werden. Die Lebenserwartung, die laut EGS-Richtlinien ebenfalls berücksichtigt werden sollte, lässt sich allerdings nur schwer verlässlich abschätzen. Denn selbst ein 80-jähriger Mensch kann heute noch mehr als 15 Jahre leben und profitiert somit ebenso von einer konsequenten Therapie. Entscheidend ist bei der Therapieplanung, den gesamten Menschen inklusive sämtlicher Risikofaktoren im Blick zu haben, ebenso Nebenwirkungen der Behandlung mit einzubeziehen und auch zu prüfen, ob der Patient die Behandlung tatsächlich durchhalten kann. Außerdem wichtig ist, dass das Zieldruckkonzept nicht starr ist, sondern der Zieldruck immer wieder auf die aktuelle Situation abgestimmt werden kann. Dies sieht die EGS in ihren aktuellen Leitlinien explizit vor. So kann bei stabilem Glaukom trotz eines nicht erreichten Zieldrucks auch wieder ein höherer Wert als neuer Zieldruck festgelegt werden. Vereinfacht gilt bei der Festlegung des Zieldrucks: je größer der bereits vorliegende Schaden und je schwerwiegender die zusätzlichen Risikofaktoren sind, desto niedriger sollte der anzupeilende Zieldruck gewählt werden. Langzeitstudien weisen darauf hin, dass der Grenzpunkt bei 18 mmHg liegt, um beim fortgeschrittenen Glaukom langfristig Therapieerfolge zu erreichen. So erzielten Patienten der Advanced Glaucoma Intervention Study (AGIS), bei denen der IOD bei tatsächlich jeder Visite unter 18 mmHg lag, die besten Ergebnisse ohne weitere Progression (Abb. 1). In der täglichen Praxis empfiehlt es sich dementsprechend, den IOD bei hohen Ausgangswerten konsequent auf möglichst unter 18 mmHg zu senken, bei fortgeschrittenem Glaukom sogar auf unter 15 mmHg. Ganz vereinfacht lässt sich in der Praxis gut mit der Faustregel "IOD um 30% vom Ausgangswert senken" arbeiten, um langfristige Therapieerfolge zu erzielen.

Therapiealgorithmus dynamisch gestalten – Adhärenz erleichtern

Derzeit stehen mit Prostaglandinanaloga, Betablockern, Alpha-2-Agonisten und Carboanhydrasehemmern vier verschiedene, sich ergänzende Substanzklassen zur Verfügung, mit denen im Auge unterschiedliche Wirkungen erzielt werden können: Während die Prostaglandinanaloga den stärksten drucksenkenden Effekt aufweisen, tragen Carboanhydrasehemmer neben einer effektiven IOD-Senkung zusätzlich auch zu einer Verbesserung der okulären Perfusion bei, und für Alpha-2-Agonisten liegen zusätzlich Hinweise für neuroprotektive Effekte vor. In der Regel werden die Wirkstoffe zunächst als Monotherapie eingesetzt. Wichtig ist es, regelmäßig zu kontrollieren, ob die Therapiemaßnahmen erfolgreich sind und die Behandlung gegebenenfalls anzupassen. Wird unter Monotherapie der Zieldruck nicht erreicht oder kommt es trotz erreichtem Zieldruck dennoch zu einem Voranschreiten der Erkrankung, sollen nach EGS-Guidelines sich ergänzende Wirkstoffkombinationen eingesetzt werden. Dabei sind fixe Kombinationstherapien zu bevorzugen, da sie für vereinfachte Therapieschemata und dementsprechend für eine verbesserte Therapieadhärenz sorgen. Generell gilt: Die Adhärenz ist umso besser, wenn der Patient nicht zu oft tropfen und nicht zu viele verschiedene Flaschen anwenden muss. Zudem ist es sehr hilfreich, den Patienten einen ausgedruckten, detaillierten Medikamentenplan mitzugeben, auf dem die Anwendung der Medikamente -auch von Familienangehörigen - immer wieder nachgelesen werden kann. Wird trotz maximaler medikamentöser Therapie der Zieldruck nicht erreicht, sind Laserbehandlungen oder chirurgische Verfahren zu erwägen.

Auf gute okuläre Perfusion achten

Ein zweiter und wichtiger therapeutischer Ansatzpunkt in der Glaukomtherapie ist eine Verbesserung der okulären Perfusion. Denn es ist bekannt, dass bei Glaukom die okuläre Durchblutung reduziert ist und das Ausmaß der Reduktion mit dem Schaden korreliert. Eine verminderte Perfusion ist sowohl in frühen als auch in späten Stadien des Glaukoms nachweisbar und tritt vermehrt bei progredienten Patienten sowie bei Patienten mit Normaldruckglaukom auf. Dabei ist vor allem die Durchblutung der kurzen hinteren Ziliararterien und des Zinn-Haller-Gefäßkranzes für die Durchblutung des Sehnervenkopfes und damit für das Glaukom relevant. Abbildunf 2 zeigt den Zinn-Haller-Gefäßkranz in einer OCT-Aufnahme.

Gestörte Autoregulation bei Glaukompatienten erschwert stabile Perfusion

In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass beim Glaukompatienten die Autoregulation gestört ist. Diese sorgt bei gesunden Menschen dafür, dass der Blutfluss im Gehirn und im Auge über einen weiten systemischen Blutdruckbereich konstant gehalten wird. So kann unter verschiedensten Blutdruckbedingungen wie z.B. beim Schlafen, Stehen, Liegen und beim Sport ein möglichst gleichmäßiger Blutfluss und damit eine gleichmäßige Versorgung der umliegenden Gewebe aufrechterhalten werden. Bei Glaukompatienten hingegen ist die Autoregulation gestört, sodass Druckschwankungen nicht mehr ausgeglichen werden können und sich direkt auf die okuläre Perfusion auswirken. So konnte gezeigt werden, dass bei gesunden Menschen die okuläre Durchblutung selbst bei einer Erhöhung des Augeninnendrucks über einen weiten Bereich stabil blieb. Bei Glaukompatienten hingegen führt ein IOD-Anstieg aufgrund der gestörten Autoregulation direkt zu einer Verschlechterung der Perfusion (Abb. 3). Auch aus diesem Grund ist eine konsequente IOD-Senkung wichtig für einen langfristigen Therapieerfolg bei Glaukom. Zudem sollten auch extreme Druckschwankungen vermieden werden, da diese sich aufgrund der gestörten Autoregulation der Glaukompatienten ebenfalls direkt auf die Perfusion des Sehnervenkopfes auswirken können. Dabei sind nicht nur Druckspitzen gefährlich für die Durchblutung des Auges, sondern auch extreme Blutdruckabfälle, die z.B. bei Bluthochdruckpatienten unter medikamentöser Behandlung während der Nacht auftreten können. So hat sich gezeigt, dass Patienten mit normalen Blutdruckwerten am Tag bei nächtlichem Over-Dipping (d.h. >20% Abfall des Blutdrucks) trotz eines gut eingestellten IOD die ausgeprägtesten Gesichtsfeldverluste aufwiesen, was auf die verschlechterte okuläre Durchblutungssituation zurückzuführen ist. Die Steuerung der Autoregulation erfolgt durch flache Bindegewebszellen, die Perizyten. Diese verfügen über kontraktile Zellfortsätze, die die Kapillargefäße umklammern und über ihre Kontraktion den Blutfluss regulieren können. Die Steuerung erfolgt über metabolische Faktoren. Bei einer Minderperfusion kommt es zu einer Abnahme von Sauerstoff und einer Zunahme von Stickoxid und Kohlendioxid. In der Folge weiten sich die Gefäße, und der Flusswiderstand nimmt ab. Diese Regulationsmechanismen können pharmakologisch mittels Carboanhydrasehemmern gesteuert werden: Die Carboanhydrase, eines der schnellsten bekannten Enzyme, baut Kohlendioxid ab. Eine Hemmung des Enzyms führt zu einem Anstieg von Kohlendioxid, wodurch wiederum eine Vasodilatation bewirkt und für eine verbesserte Durchblutung gesorgt wird.

Perfusionsverbesserung durch Carboanhydrasehemmer

Studien haben gezeigt, dass Carboanhydrasehemmer, wie beispielsweise Brinzolamid, auch die okuläre Perfusion am hinteren Pol verbessern können – und dies zusätzlich zu ihrem IOD-senkenden Effekt. So wurde in Studien unter Carboanhydrasehemmern eine Verbesserung der Mikrozirkulation in der Netzhaut, am Sehnervenkopf und in den kurzen hinteren Ziliararterien von Glaukompatienten gezeigt. Sie sind die einzige Substanzklasse, für die diese Verbesserung der okulären Durchblutung belegt werden konnte. Auch die Autoren einer Metaanalyse halten fest, dass topische Carboanhydrasehemmer die okuläre Blutflussgeschwindigkeit in der Netzhaut, der Zentralarterie und in den kurzen hinteren Ziliararterien steigern.

Neuroprotektion im Fokus

Ein weiterer therapeutischer Angriffspunkt, der in den letzten Jahren zunehmend wieder in den Fokus rückt, ist die Neuroprotektion. Wie bereits dargestellt, handelt es sich beim Glaukom um einen kontinuierlich fortschreitenden Prozess, an dessen Anfang primäre Schädigungen von Nervenzellen stehen. Diese können u.a. ausgelöst werden durch Risikofaktoren wie mechanischen Stress, gestörte Autoregulation, erhöhten Augeninnendruck oder Perfusionsstörungen. Sind die resultierenden intrazellulären Schädigungen zu stark, stirbt die Zelle in der Folge ab (Apoptose; programmierter Zelltod), setzt toxische Faktoren frei, und eine Art Dominospiel startet: Eine Zelle nach der anderen wird apoptotisch, und es kommt zu einem voranschreitenden Verlust von Nervenzellen. Die Neuroprotektion zielt nun darauf ab, bereits diesen primären zellulären Schädigungen entgegenzuwirken und so sehr früh in den Krankheitsverlauf einzugreifen, um die Apoptose-Kaskade aufzuhalten und ein weiteres Absterben von Nervenzellen und Nervenfasern zu vermeiden.

Verschiedene neuroprotektive Strategien denkbar

Da Apoptose ein äußerst komplexer Vorgang ist, sind theoretisch verschiedene Ansatzmöglichkeiten auf zellulärer Ebene denkbar, um eine Absterben der Nervenzellen zu vermeiden und Neuroprotektion zu fördern (Abb. 4): So kann über die Gabe eines TNF-alpha-Inhibitors wie beispielsweise Etanercept versucht werden, die Apoptose zu verhindern. Neurotrophe Faktoren wie z.B. BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor) oder CNTF (Ciliary Neurotrophic Factor), die essenziell für neuronales Wachstum sind, können supplementiert werden. Weiterhin können durch Gabe von Coenzym Q oder Vitamin E die freien Sauerstoffradikale vermindert werden, um den oxidativen Stress - der beim Glaukom erhöht ist - zu reduzieren. Als weitere Ansatzpunkte sind auch eine Blockade der NO-Synthase oder eine Inhibition der Mikrogliaaktivierung denkbar, da diese beim Glaukom Patienten zur Steigerung toxischer Mediatoren (TNF-alpha, NO oder Sauerstoffradikale) führen. Neben einer Blockade der Calciumkanäle, spielt auch Glutamat, für das bei Glaukom Patienten erhöhte Level gezeigt wurden, eine wichtige Rolle beim Thema Neuroprotektion. Es bindet an N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA)-Rezeptoren in bipolaren Zellen und Müllerzellen und kann dort zu einer andauernden Reizüberflutung und in der Folge zu einem Absterben der Zellen führen (Glutamat-induzierte Neurotoxizität bzw. Excitotoxizität). Daher ist auch die Reduktion der NMDA-Rezeptorfunktion ein neuroprotektiver Ansatz. Für viele dieser Ansätze wurden im Tiermodell bereits positive Effekte gezeigt, auch wenn sich die Ergebnisse selbstverständlich nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen lassen.

Neuroprotektive Effekte von Brimonidin

Brimonidin scheint über verschiedene dieser pathophysiologischen Signalwege eine neuroprotektive Wirkung zu entfalten und einer Apoptose von Nervenzellen entgegenzuwirken: So zeigen experimentelle Untersuchungen, dass Brimonidin die NMDA-Rezeptorfunktion über einen modulierenden Effekt reduziert und so die retinalen Ganglienzellen vor Glutamat-induzierter Neurotoxizität, oxidativem Stress und Hypoxie schützt. Zudem wurde im Tiermodell unter Brimonidin eine Hochregulation neurotropher Wachstumsfaktoren erzielt und nachgewiesen, dass Brimonidin sogar eine Regeneration von Axonen steigern kann (Abb. 5): In retinalen Zellkulturen der Ratte war unter Brimonidin -im Gegensatz zur Kontrolle- ein Nachwachsen der Axone nachweisbar, die zum Teil sogar Verknüpfungen bilden. Es entstand ein verflochtenes Netzwerk, das unter bestimmten Substanzen protektiver bzw. regenerationsfördernder ist als einzelne Axone.

Erste klinische Hinweise für neuroprotektive Effekte

Diese neuroprotektiven Effekte der verschiedenen Substanzen auch bei Glaukompatienten zu untersuchen, erweist sich bislang als schwierig, da die Gesichtsfeldmessung zum Nachweis der Neuroprotektion ein sehr unspezifischer Parameter ist und zudem ein sehr zeitaufwendiges, kostenintensives Studiendesign erfordert. Dennoch liegen für einige Substanzen allererste klinische Ergebnisse vor, die auf mögliche neuroprotektive Effekte hinweisen. So wurde u.a. bei drei Patienten mit fortgeschrittenem Glaukom unter topischer NGF-Gabe und bei gleichzeitig effektiver IOD-Kontrolle eine Verbesserung der Gesichtsfeldergebnisse gezeigt und die orale Gabe von Ginkgo biloba über mehrere Jahre führte bei 42 Patienten mit Normaldruckglaukom zu einer Verlangsamung der Glaukomprogression. Für Brimonidin liegt eine randomisierte, multizentrische, doppelt verblindete Studie mit 178 Patienten vor. Diese wurden jeweils etwa zur Hälfte mit einer topischen Gabe von Timolol bzw. mit Brimonidin versorgt und über vier Jahre nachverfolgt. Dabei zeigte sich bei vergleichbarem drucksenkenden Effekt bei 31 % der mit Timolol behandelten Patienten eine weitere Verschlechterung des Gesichtsfeldbefundes, während dies nur bei 9 % der mit Brimonidin Therapierten der Fall war – was auf eine Neuroprotektion hindeuten kann (Abb. 6). Somit liegen insgesamt zahlreiche Indizien aus experimentellen Untersuchungen und aus Tiermodellen vor, die übereinstimmend auf neuroprotektive Effekte von Brimonidin hinweisen. Auch wenn sich diese nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen lassen, so weisen sie doch alle in die gleiche Richtung wie auch die Ergebnisse der klinischen Studie und legen eine neuroprotektive Wirkung von Brimonidin nahe. Auch in Zukunft bleibt das Thema Neuroprotektion spannend: Derzeit laufen mehrere klinische Studien zur Evaluierung verschiedener Therapiemaßnahmen zur Förderung der Neuroprotektion.

Auf einen Blick - Drei Säulen der modernen medikamentösen Glaukomtherapie:

1. Konsequente IOD-Senkung anstreben:
  • Faustregel: 30% IOD-Senkung vom Ausgangswert anstreben
  • Bei hohen Ausgangswerten IOD konsequent auf möglichst unter 18 mmHg senken, bei fortgeschrittenem Glaukom auf unter 15 mmHg
  • Zieldruck individuell festlegen; Risikofaktoren beachten, Compliance bedenken
2. Auf gute okuläre Perfusion achten:
  • Autoregulation beim Glaukom Patienten gestört – Druckschwankungen verschlechtern Durchblutung
  • IOD-Schwankungen sowie Perfusionsschwankungen möglichst vermeiden, sind assoziiert mit höherem Progressionsrisiko
  • 24-h-Blutdruckprofile erstellen, v.a. bei progredientem Glaukom trotz eines gut eingestellten IOD!
  • Carboanhydrasehemmer wie z.B. Brinzolamid verbessern retinale Durchblutung
3. Neuroprotektion fördern:
  • Neuroprotektion zielt darauf ab, Nervenzellen vor Absterben zu bewahren
  • Neuroprotektive Effekte für verschiedene Substanzen im Tiermodell beschrieben
  • Für Alpha-2-Agonisten wie Brimonidin liegen Hinweise für neuroprotektive Effekte vor (Untersuchungen im Tiermodell; klinische Studie)
  • ==> Bei Therapieplanung unterschiedliche medikamentöse Effekte beachten:
  • Prostaglandinanaloga erreichen stärksten drucksenkenden Effekt
  • Carboanhydrasehemmer verbessern zusätzlich zur effektiven IOD-Senkung auch okuläre Perfusion
  • Alpha-2-Agonisten tragen zusätzlich zu effektiver IOD-Senkung möglicherweise zur Neuroprotektion bei
  • Fixkombination aus Brimonidin/Brinzolamid erwägen – sorgt für starke IOD-Senkung, verbessert retinale Durchblutung und kann zur Neuroprotektion beitragen