Das zellbasierte Modell des Gerinnungssystems
Diese Vorstellung des Gerinnungsprozesses inkludiert sowohl die zellulären- als auch die plasmatischen Gerinnungsfaktoren sowie deren gegenseitige Beeinflussung. Der Ausgangspunkt dieser Kaskade stellt oft ein Endothelschaden dar, der zu einer Freisetzung des Tissue Factors führt. Dieser wiederum leitet die Umwandlung von Prothrombin zu Thrombin (Faktor IIa) ein. Thrombin gilt als stärkster Aktivator der Thrombozyten, die ihrerseits an ihrer Oberfläche Gerinnungsfaktorkomplexe bilden. Hier ist vor allem der Prothrombinasekomplex zu nennen, der Faktor Xa beinhaltet und somit zu einer vermehrten Bildung von Thrombin führt [1]. Die Kaskade perpetuiert sich und geht in die Amplifikationsphase über
Bei Betrachtung der Abbildung (Folie 2+3) lassen sich nun im Hinblick auf die antithrombotische Therapie mehrere potentielle targets ausmachen. Im Folgenden sollen vor allem Faktor IIa, Faktor Xa und die Thrombozyten im Vordergrund stehen
Die antithrombotische Therapie
Im klinischen Alltag wird nicht selten der Unterschied zwischen antithrombozytärer Therapie und Antikoagulation verkannt. Daher soll nun explizit darauf eingegangen werden.
Die antithrombozytäre Therapie greift in den zellulären Anteil der Gerinnung ein, indem sowohl die Thrombozytensynthese als auch deren Rezeptorbindung gehemmt werden kann. Das oral verfügbare ASS inhibiert die Thromboxansynthese, während die ebenfalls oral verfügbaren Substanzen Clopidogrel, Prasugrel und Ticagrelor den P2Y12-Rezeptor blockieren. Intravenös verfügbare Pharmaka sind: Cangrelor (P2Y12-Blocker) und Abciximab (GP IIb/IIa).
Die Antikoagulation beeinflusst die plasmatische Gerinnung. Dabei dienen unterschiedliche Gerinnungsfaktoren als Angriffspunkte. Zuerst seien die Vitamin K-Antagonisten genannt, die die Faktoren II, VII, IX und X hemmen. Auch die NOAKs sind Teil der Antikoagulation: Dabigatran ist ein direkter Thrombin-Inhibitor (Faktor IIa), Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban hemmen hingegen alle Faktor Xa.
Weiterhin zu nennen sind: Unfraktioniertes Heparin (UFH), niedermolekulares Heparin (LMWH), Fondaparinux, Bivalirudin, Agatroban).
Was sagen die diesjährigen ESC Leitlinien zur antithrombozytären Therapie beim NSTE-ACS?
Die Acetylsalicylsäure stellt die Basis dar und sollte nach einmaliger Bolusgabe (150-300mg) täglich als 100mg-Dosis eingenommen werden. Zusätzlich sollte der Patient über 12 Monate ein P2Y12-Inhibitor bekommen. Dabei sind Ticagrelor und Prasugrel dem Clopidogrel vorzuziehen, da sie die Thrombozytenaggregation stärker hemmen. Bei erhöhtem Blutungsrisiko kann man auf Clopidogrel zurückgreifen [2].
„Nach dem ACS ist vor dem ACS“ – gibt es weitere Therapieoptionen?
Das ASS ist – wie bereits erwähnt – als Basistherapie zur Thrombozytenhemmung „gesetzt“. Auch für die Dual Antiplatelet Therapy (DAPT) über einen längeren Zeitraum gibt es für alle drei Substanzen (Clopidogrel, Ticagrelor, Prasugrel) Studien [2].
Nun gibt es aber einen neuen Therapieansatz: die duale antihrombotische Therapie (DAT). Diese besteht aus einer Kombination von ASS+Rivaroxaban 2x 2,5mg/d. Im COMPASS trial konnte bereits gezeigt werden, dass diese Kombination im Vergleich zur ASS-Monotherapie zu einer stärkeren Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse führt. Von dieser Therapie profitieren insbesondere Patienten mit einem hohen kardiovaskulären Risiko, insbesondere wenn mehrere Risikofaktoren vorliegen [2]. Die kumulative Wahrscheinlichkeit ein major adverse cardiac event (MACE) zu erleiden, steigt mit der Anzahl der Komorbiditäten [3].
Die COMPASS-Studie und die VOYAGER PAD-Studie
In der COMPASS-Studie wurde eine pAVK-Subgruppe gesondert auf den Effekt der DAT untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Kombination aus ASS+Rivaroxaban 2x2,5mg/d die Ereignisrate deutlich reduziert und es insbesondere zu weniger ischämische Ereignissen beziehungsweise Amputationen kommt [4].
Die VOYAGER PAD-Studie schloss Patienten mit symptomatischer pAVK sowie mit einem Zustand nach Intervention ein [5].
In beiden Studien zeigte sich eine signifikante Reduktion von MACE, aber nur leicht erhöhte Blutungsereignisse [6,7]. Folglich sollte das Blutungsrisiko stets evaluiert werden, jedoch nicht über den positiven Effekt der Therapie hinwegtäuschen.
Diabetes, Vorhofflimmern und ACS
Die Trias aus Diabetes, Vorhofflimmern und ACS stellt eine durchaus häufige Krankheitskonstellation dar und erfordert ein gutes antithrombotisches Management. Das Problem: Nach einer Koronarintervention ist eine DAPT üblich, gleichzeitig ist durch das Vorhofflimmern eine orale Antikoagulation – häufig mit NOAKs – indiziert. Durch diese Dreichfachkombination steigt das Blutungsrisiko massiv an und verschlechtert dadurch das kardiovaskuläre outcome.
Wie könnte nun eine antithrombotische Therapie aussehen, die das ischämische Risiko zuverlässig senkt, aber gleichzeitig die Blutungswahrscheinlichkeit nicht stark in die Höhe treibt?
Die diesjährigen Leitlinien empfehlen in diesem Fall bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus eine Dreifachtherapie aus ASS, einem P2Y12 Inhibitor und einem NOAK. Clopidogrel ist hierbei Mittel der Wahl bei den P2Y12-Inhibitoren, da es die geringste antithrombozytäre Potenz aufweist.
Im niedergelassenen Bereich sollte die antithrombotische Therapie dann für 12 Monate mit einer Kombination aus NOAK+SAPT (Clopidogrel) fortgeführt werden. Nach Ablauf dieser Zeit kann gegebenenfalls nur noch ein NOAK gegeben werden [2].
NOAKs versus VKAs
Bei alleinigem Vorliegen von Vorhofflimmern sollte nach Einschätzung mittels CHA2DS2-VASc-Score eine orale Antikoagulation erfolgen. Hierbei sollten NOAKs den Vitamin K-Antagonisten vorgezogen werden [8].
Die ROCKET AF-Studie verglich die Wirksamkeit und Sicherheit von Rivaroxaban (NOAK) mit der von Warfarin (VKA) bei nicht valvulärem Vorhofflimmern (nvVHF) bei gleichzeitigem Vorliegen einer Diabetes-Erkrankung. Hierbei konnte gezeigt werden, dass das Rivaroxaban dem Warfarin nicht unterlegen ist und im Hinblick auf intrakranielle Blutungen sogar Vorteile bietet [9].
Ein weiterer Nachteil der Vitamin K-Antagonisten ist, dass sie offenbar die Kalzifizierung der Gefäße begünstigen. Unter physiologischen Bedingungen werden die sogenannten Matrix-Gla-Proteine (MGP) durch Vitamin K carboxyliert und hemmen so die Gefäßkalzifizierung. VKAs hemmen die Carboxylierung, sodass die MGPs nicht in ihre aktive Form umgewandelt werden können [10,11].
Wie verhält es sich bei moderater Niereninsuffizienz? Auch hier war das Rivaroxaban dem Warfarin in der ROCKET AF-Studie hinsichtlich Schlaganfällen und systemischen Embolien nicht unterlegen. Blutungsereignisse waren häufiger unter den Vitamin K-Antagonisten zu finden [12].
In diesem Kontext ist noch wichtig zu erwähnen, dass NOAKs nur bis zu einer definierten glomerulären Filtrationsrate appliziert werden dürfen. Faktor Xa-Inhibitoren dürfen bis zu einer GFR von 15 ml/min gegeben werden, bei Faktor IIa-Inhibitoren ist 30 ml/min der Grenzwert.
Diabetes und Nierenerkrankungen
Diabetes mellitus geht häufig mit chronischen Nierenerkrankungen einher und beide Morbiditäten erhöhen gemeinsam das Mortalitäts- [13] und Schlaganfallsrisiko [14,15]. Liegen sie gleichzeitig vor, liegt die Mortalitätsinzidenz bei kardiovaskulären Ereignissen bei 19,6% und insgesamt bei 31,1% [13].
Fazit
Für den klinischen Alltag ist die Unterteilung der antithrombotischen Therapie in antithrombozytäre Therapie und Antikoagulation essentiell. Für ein besseres Verständnis kann auf die Grafik zum zellbasierten Modell des Gerinnungssystems zurückgegriffen werden.
Patienten, die unter mehreren kardiovaskulären Risikofaktoren leiden, profitieren besonders von einer DAT mit ASS+Rivaroxaban 2x2,5mg/d.
Die Studiendaten legen nahe, dass NOAKs den Vitamin K-Antagonisten nicht unterlegen sind um im Hinblick auf intrakranielle Blutungen sogar Vorteile bieten. Einziger Nachteil: sie dürfen nur bis zu einer bestimmten GFR verabreicht werden.
Literatur
- Ahrens et al. Thrombosis and Haemostasis 2010;104: 49-60
- Collet JP et al. European Heart Journal 2020;0: 1-75
- Zeymer et al. Cardiology and Therapy 2017;6:273-280
- Anand et al. Lancet 2018;391:219-229
- Capell et al. American Heart Journal 2018;199:83-91
- Bonaca et al. ACC 2020, Abstract 402-10
- Eikelboom et al. Journal of the American College of Cardiology 2019;74(12):1519-1528
- Hindricks et al. European Heart Journal 2020;00:1-125
- Bansillal et al. American Heart Journal 2015;170(4):675-682
- Van Gorp et al. Nutrients 2015;7:9538-955711. Böhm et al. Journal of the American College of Cardiology 2015;65:2481-2493
- Fox et al. European Heart Journal 2011;32:2387-94
- Afkarian et al. American Society of Nephrology 2013;24:302-308
- Oelsen et al. New England Journal of Medicine 2012;367:625-635
- Stroke Risk in Atrial Fibrillation Working Group. Neurology 2007;69:546-54