Ausgewählte Bewegungsstörungen und ihre Behandlungsoptionen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Unter dem Begriff Bewegungsstörungen (engl. „movement disorders“) werden verschiedene Erkrankungen und Syndrome zusammengefasst, die sich durch Störungen der Motorik auszeichnen. Nach Schlaganfällen und epileptischen Anfällen stellen Bewegungsstörungen die dritthäufigste Erkrankungsgruppe in der Neurologie dar. Bewegungsstörungen verursachen häufig einen erheblichen Leidensdruck.

Die intramuskuläre Injektion von Botulinumtoxin A hat sich als effektives, sicheres und nebenwirkungsarmes Therapieverfahren bei verschiedenen Bewegungsstörungen etabliert. Chancen und Grenzen dieser Therapieoption werden gemeinsam mit den entsprechenden fallbasierten Erfahrungen aus der Neurologie dargestellt. Zudem werden innovative Ansätze mit rekombinanten Neurotoxinvarianten sowie neuromodulatorische und neurostimulatorische Verfahren vorgestellt.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709124101650017
Zeitraum 09.12.2024 - 08.12.2025
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte 2 Punkte (Kategorie D)
Zielgruppe Ärzte
Referent PD Dr. med. Pawel Tacik
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Webinar
Lernmaterial Vortrag, Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Ipsen Pharma GmbH
Bewertung 4.2 (191)

Einleitung

Bewegungsstörungen (engl. „movement disorders”) stellen eine Gruppe neurologischer Erkrankungen und Syndrome dar, die mit einer Beeinträchtigung der Initiierung und Ausführung sowohl willkürlicher als auch unwillkürlicher motorischer Tätigkeiten einhergeht. Bewegungsstörungen rangieren nach Schlaganfällen und epileptischen Anfällen als die dritthäufigste Erkrankungsgruppe in der Neurologie. Die häufigste Erkrankungsgruppe innerhalb der Bewegungsstörungen ist der essenzielle Tremor, gefolgt von Parkinsonsyndromen und der Dystonie. Verallgemeinert können Bewegungsstörungen in Hypokinesien und Hyperkinesien unterteilt werden. Bewegungsstörungen verursachen häufig einen erheblichen Leidensdruck. Die ersten systematischen Bemühungen zur Beschreibung von Bewegungsstörungen reichen bis in die Zeit der Aufklärung zurück. Die wissenschaftliche Erforschung der Bewegungsstörungen, wie wir sie heute kennen, begann jedoch erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

Behandlungsoptionen

Die Behandlungsmethoden umfassen die Pharmakotherapie, invasive Verfahren und supportive Therapiestrategien. In dieser Fortbildung soll der Schwerpunkt auf die Behandlung mittels Botulinumtoxin (BoNT) gesetzt werden. Seit den frühen 1990er-Jahren bestehen Erfahrungen mit der Anwendung von BoNT-A zur Behandlung spastischer Bewegungsstörungen im Kindesalter. In Deutschland sind drei BoNT-A-Varianten zugelassen: Abo-BoNT-A, Ona-BoNT-A und Inco-BoNT-A. BoNT-A ist die bevorzugte Therapie zur Behandlung der zervikalen Dystonie. Heute wird die zervikale Dystonie nach dem „Col-Cap”-Konzept klassifiziert. „Col” steht für „Collis” (Hals) und „Cap” für „Caput” (Kopf). Dieses Konzept wurde von Professor Reichel aus Zwickau eingeführt. Zu den schwerwiegendsten und am schwierigsten zu behandelnden Formen der zervikalen Dystonie zählen Anterocaput und Anterocollis. Bei Anterocaput besteht seit Langem die Empfehlung, den Musculus longus colli und den Musculus longus capitis zu behandeln. Diese Muskeln gehören zur tiefen Halsmuskulatur. Bislang war der Zugang zu diesen Muskeln nur endoskopisch möglich und mit großem Aufwand verbunden. Im Jahr 2020 wurde jedoch ein neuer Zugang mittels Ultraschall veröffentlicht, der die Behandlung von Patienten mit diesen schweren Formen der zervikalen Dystonie erheblich vereinfacht hat.

Fallbeispiele

Fallbeispiel 1: Anterocaput

Die Patientin, 53 Jahre alt, präsentierte sich mit seit etwa sieben Monaten bestehendem Blepharospasmus, der sich im Verlauf auf den oromandibulären und zervikalen Bereich ausgedehnt hatte. Sie nahm in der Vergangenheit keine Neuroleptika oder Metoclopramid ein. Die Familienanamnese für neurologische Bewegungsstörungen war unauffällig. Die bisherige Therapie mit Trihexyphenidyl 6 mg täglich zeigte keine Besserung. Diagnostisch ergaben sich folgende Befunde: Kraniale Magnetresonanztomografie (cMRT) und MRT der Halswirbelsäule waren unauffällig. Liquoruntersuchung ergab keine pathologischen Befunde. Kupfer und Coeruloplasmin im Serum lagen im Normbereich. Klinisch neurologisch manifestierte sich eine segmentale Dystonie, konkret das Meige-Syndrom, sowie eine zervikale Dystonie mit Anterocaput und Torticaput nach rechts, begleitet von einem dystonen Kopftremor vom „Nein-Nein”-Typ. Der TWSTRS-Wert betrug 13 von 35 möglichen Punkten. Die Patientin wurde gemäß diesem Behandlungsschema mit BoNT-A behandelt. Insgesamt erhielt sie 1000 BoNT-A-Einheiten bilateral. Der Zustand der Patientin drei Wochen nach den Injektionen ist dokumentiert. Obwohl die Symptome sich nicht vollständig zurückbildeten, hat die Behandlung signifikant zur Verbesserung ihrer Lebensqualität beigetragen.

Fallbeispiel 2: Babinski-„2“-Zeichen

Joseph Babinski beschrieb das bekannteste neurologische Zeichen, bei dem die Streckung der Großzehe als Indikator für eine Schädigung der Pyramidenbahnen dient. Aber Babinski hat auch ein weiteres wichtiges Zeichen beschrieben (Babinski-„2”-Zeichen), das bei der Diagnosestellung des Spasmus hemifacialis verwendet wird. Ein positives Babinski-„2”-Zeichen besteht, wenn es beim Augenschluss zur Hebung der ipsilateralen Augenbraue kommt. Während der Augenschluss durch die Aktivierung des Musculus orbicularis oculi bedingt ist, verursacht die gleichzeitige Kontraktion des inneren Teiles des Musculus frontalis eine Hebung der Augenbraue. Dieses Phänomen kann willentlich nicht hervorgerufen werden. Bei einem Patienten mit Spasmus hemifacialis auf der rechten Seite zeigt sich in Ruhe ein Absinken der Augenbraue auf der betroffenen Seite. Beim maximalen Zusammenkneifen der Augen verändert sich dieses Muster: Das Absinken der Augenbraue ist auf der gesunden Seite zu beobachten, da der M. orbicularis oculi der stärkste Lidschließer ist, während auf der erkrankten Seite die Augenbraue leicht nach oben geht. Babinski zog aus dieser Konstellation die Schlussfolgerung, dass der Spasmus hemifacialis eine Erkrankung des peripheren Nervensystems (Nervus facialis) ist. Nachfolgende Untersuchungen haben als Ursache für den Spasmus hemifacialis ein Gefäß-Nerven-Konflikt aufgedeckt. Durch diesen Konflikt wird ein Kontakt zwischen dem N. facialis und einem zerebralen Gefäß, am häufigsten der Arteria cerebelli inferior posterior und der Arteria cerebelli inferior anterior, gemeint. Der Kontakt tritt meistens in einem bestimmten Abschnitt im Verlauf des N. facialis, der sogenannten Redlich-Obersteiner-Zone, am Übergang zwischen der Myelinscheide des zentralen und peripheren Nervensystems direkt nach Verlassen des Hirnstammes auf. Es handelt sich dabei um eine wenige Millimeter lange, marklose Übergangszone, wo die Oligodendrozyten des Hirnstammes durch die Schwann-Zellen der Myelinscheide des peripheren Nervensystems ersetzt werden, was sie besonders vulnerabel für mechanische Reize des Gefäßes macht. Das Babinski-„2”-Zeichen soll eine 100%ige Sensitivität und Spezifität in der Diagnosestellung des Spasmus hemifacialis zeigen. Die nächste Patientin ist 35 Jahre alt und litt seit 15 Jahren an zunehmenden Zuckungen und Verkrampfungen um das linke Auge sowie im Bereich des linken Mundwinkels. Auch das Babinski-„2”-Zeichen war vorhanden. Die cMRT zeigt ein diffuses Gliom vom WHO-Grad II. Dieses Krankheitsbild wird als Brissaud-Sicard-Syndrom zusammengefasst, ein klassisches alternierendes pontines Hirnstammsyndrom, das durch ipsilaterale fasziale Krämpfe und Abduzensparese sowie kontralaterale Hemiparese und gegebenenfalls Sensibilitätsstörungen gekennzeichnet ist. Die Patientin wurde mit BoNT-A im Bereich des linken M. orbicularis oculi behandelt, was zu einer deutlichen kosmetischen Verbesserung führte.

Fallbeispiel 3: Orofaziale Synkinesie

Synkinesie (griechisch: „syn” für zusammen, „kinesis” für Bewegung) bezeichnet das Phänomen gleichzeitiger Bewegungen. Dabei wird eine Bewegung durch die Aktivierung einer anderen, normalerweise unabhängigen, Bewegung ausgelöst. Dies tritt häufig in der Gesichtsmuskulatur auf und wird genauer als orofaziale Synkinesie bezeichnet. Das Marcus-Gunn-Syndrom oder -Phänomen ist gekennzeichnet durch eine Verbreiterung der Lidspalte beim Öffnen des Mundes. Das Marin-Amat-Syndrom oder -Phänomen hingegen beschreibt die Verengung der Lidspalte beim Öffnen des Mundes. Beide Syndrome gehören zur Gruppe der orofazialen Synkinesien und können als zulassungsüberschreitende Indikation mittels BoNT behandelt werden. Die 65-jährige Patientin berichtete von einem Zustand nach Zoster oticus mit peripherer Fazialisparese links im Alter von 62 Jahren und anschließender partieller Rückbildung der Fazialisparese. Sie litt unter Gesichtsasymmetrie und Synkinesien, einschließlich Verengung der linken Lidspalte beim Öffnen des Mundes. Die Patientin erhielt BoNT-Injektionen, wodurch sich das Marin-Amat-Syndrom teilweise zurückbildete.

Fallbeispiel 4: Hypertrophe oliväre Degeneration

Es handelt sich um einen zwölfjährigen Patienten. Im Alter von elf Jahren wurde bei ihm ein juveniles pilozytisches Astrozytom in der hinteren Schädelgrube entfernt. Postoperativ entwickelte er ein Posterior-Fossa-Syndrom, das aus Autismus, Gleichgewichtsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten bestand. Im weiteren Verlauf wandelte sich das Krankheitsbild zu Schwindel, Ataxie und palatalem Tremor. Im Rahmen der Diagnostik wurde eine cMRT durchgeführt, anhand derer sich die Resektionsstelle des Tumors darstellte. Dabei war die Hypertrophie der unteren Oliven in der Medulla oblongata deutlich zu erkennen. Dieses Syndrom wird als hypertrophe oliväre Degeneration (HOD) bezeichnet und kommt äußerst selten vor. Die Symptome bei einer HOD umfassen u. a. palatalen Tremor, Holmes-Tremor, Pendelnystagmus, Dysarthrie und Ataxie. Die Behandlungsoptionen beinhalten am häufigsten die Anwendung von BoNT-A, die jedoch gegenwärtig in Deutschland nicht zugelassen ist. Als weitere Therapieoptionen wurden in der Literatur u. a. Levodopa und Antiepileptika sowie die Tiefe Hirnstimulation diskutiert. Die Läsion, die die HOD auslöst, befindet sich im sogenannten Guillain-Mollaret-Dreieck, das durch den Nucleus ruber im Mesencephalon, den ipsilatealen Nucleus olivaris inferior in der Medulla oblongata und den kontralateralen Nucleus dentatus im Kleinhirn gebildet wird.

Fallbeispiel 5: Hemiballismus

Ein 73-jähriger Patient stellte sich in der Notaufnahme vor. Seit zwei Tagen zeigt er eine progrediente linksseitige Hemiparese, die plötzlich aufgetreten ist, begleitet von hyperkinetischen Bewegungen und psychomotorischer Unruhe. Aus der Anamnese ging hervor, dass er vor 25 Jahren eine links hemisphärische intrazerebrale Blutung erlitten hat, die zu einer Hemiparese auf der rechten Seite geführt hatte. Der Patient zeigte zum Zeitpunkt der Aufnahme Symptome eines linksseitigen Hemiballismus, wobei diese unwillkürlichen, schleudernden Bewegungen hauptsächlich die proximalen Abschnitte der linken oberen und unteren Extremität betrafen. Diagnostisch wurde eine kleine Blutung im rechten Nucleus subthalamicus nachgewiesen, der auch als Luys-Körper bekannt ist. Der Patient wurde mit Tiaprid behandelt, wobei er eine tägliche kumulative Dosis von 600 mg erhielt. Der Patient war in der Folge komplett beschwerdefrei.

Fallbeispiel 6: Paroxysmale Bewegungsstörung

Ein 41-jähriger Patient litt seit dem fünften Lebensjahr an Anfällen ohne nähere Zuordnung. Das klinische Bild zeigte paroxysmale Hyperkinesien, die durch Belastung ausgelöst wurden oder spontan auftraten. Die Anfallshäufigkeit lag zwischen ein und sechs Episoden pro Monat, mit einer Dauer von etwa fünf bis 30 Minuten. Der Patient war zwischen den Anfällen klinisch völlig unauffällig. In der Familienanamnese sind ebenfalls ähnliche Fälle dokumentiert. Bei dem Patienten wurde im Rahmen einer molekulargenetischen Untersuchung eine Mutation (p.S324S) im SLC2A1-Gen auf dem kurzen Arm des ersten Chromosoms festgestellt. Aufgrund dieser Erkenntnis und des klinischen Bildes erhielt der Patient die Diagnose einer paroxysmalen belastungsabhängigen Dystonie, die früher als DYT18 bekannt war. Diese Erkrankung stellt eine milde Form im Spektrum des Glukosetransporter-Defizienz-Syndroms (GLUT1-Syndrom) dar, das eine Schnittstelle zwischen Bewegungsstörungen und Epilepsie bildet. Die schwerere Form ist als De Vivo-Krankheit bekannt. Der Patient zeigte ein sehr gutes Ansprechen auf die Behandlung mit 5 mg Clonazepam pro Tag.

Fallbeispiel 7: Komplexe Bewegungsstörung

Der 30-jährige Patient zeigte im Alter von zwölf Jahren beginnende Tics und Koordinationsstörungen, gefolgt von später auftretenden kognitiven und Verhaltensstörungen. Im weiteren Verlauf entwickelte er einen erhöhten Muskeltonus, inklusive Retrocollis, Bradykinesie sowie Sprech- und Schluckstörungen. Es lag somit eine komplexe Dystonie vor. Die Eltern sowie ein älterer Bruder des Patienten sind gesund. Beim Patienten wurde eine cMRT durchgeführt, die Signalhyperintensitäten in zwei Sequenzen im Globus Pallidus zeigte, die an Tigeraugen erinnern. Aufgrund dieser Befunde wurde beim Patienten eine Pantothenatkinase-assoziierte Neurodegeneration diagnostiziert, früher bekannt als Hallervorden-Spatz-Syndrom. Für diese Erkrankung gibt es bislang keine wirksame Therapie. Die einzige Behandlung, die sich bei dem Patienten als wirksam erwies, war der Einsatz von BoNT-A-Injektionen gegen die Retrocollis-Symptomatik.

Fallbeispiel 8: Dystoner Kopftremor

Die 60-jährige Patientin leidet seit 40 Jahren an zervikaler Dystonie und seit 30 Jahren an dystonem Kopftremor. In den 1990er-Jahren wurde die Patientin mit BoNT behandelt, zuerst mit Serotyp A und später mit Serotyp B. Anfangs zeigte die Behandlung über drei Jahre hinweg eine gute Wirkung, danach ließ die Wirksamkeit nach. Im Jahr 1998 unterzog sich die Patientin einer dorsalen Rhizotomie, bei der die dorsalen sensorischen Nervenwurzeln durchtrennt wurden. Dies führte zu einer Abnahme des Kopftremors, die insgesamt fünf Jahre lang anhielt. Orale Medikamente, wie z. B. Trihexyphenidyl oder Tiaprid, erwiesen sich bei ihr als unwirksam. Der Kopftremor wurde schließlich so stark ausgeprägt, dass die Patientin Schwierigkeiten beim Essen hatte und deutlich an Gewicht verlor. Es wurde vermutet, dass die Patientin Antikörper gegen BoNT aufweist, die daraufhin bestimmt wurden. In einem Antikörpertest auf Botulinumtoxin-neutralisierende Antikörper zeigte sich ein niedriger Antikörpertiter gegen Serotyp A, jedoch keine nachweisbaren neutralisierenden Antikörper gegen Serotyp B. Daraufhin wurde die Patientin mit hohen Dosen von BoNT-A behandelt. Bei der Nachuntersuchung drei Wochen später ergab sich keine Verbesserung des Tremors und keine injektionsbedingte Muskelschwäche. Daraufhin wurde Rimabotulinumtoxin B aus den Vereinigten Staaten bestellt und ebenso in hoher Dosis verabreicht, jedoch ohne jegliche spürbare Wirkung. Letztendlich wurde bei der Patientin eine Tiefe Hirnstimulation im Zielgebiet Globus pallidus internus implantiert, die zu einer deutlichen klinischen Verbesserung mit nahezu vollständiger Rückbildung des Kopftremors führte.

Zukünftige Therapie der Bewegungsstörungen

Lang wirksames Botulinumtoxin

BoNT-A weist die längste Wirkdauer unter den sieben Toxinserotypen auf. Für die lange Wirkdauer ist das Vorhandensein eines Dileucin-Motivs in der leichten Kette sowie deren membranständige Lokalisierung im Axon entscheidend, da im Zytosol vermehrt Proteasen vorliegen, welche die Wirkdauer verkürzen können. Ebenfalls relevant ist die Größe des Toxinfragmentes nach Spaltung durch das Protein SNAP25: Je größer das Fragment nach der Spaltung ist, eine desto längere Wirkung weist das Toxin auf. In jüngerer Zeit gewinnen Hilfsstoffe und genetische Modifikationen des Toxins an Bedeutung. Ein Präparat, Daxibotulinumtoxin A, ist bereits auf dem US-amerikanischen Markt erhältlich. Es enthält BoNT-A sowie das über 100 Aminosäuren umfassende Peptid RTP004. Dieses Peptid unterstützt die Bindung und Aufnahme des BoNT in Nervenzellen, was zu einer verlängerten Wirkung führt.

IPN10200 und LANTIMA-Studie

IPN10200 ist ein rekombinantes modifiziertes Neurotoxin mit postuliert langanhaltender Wirkung. Es setzt sich aus der leichten Kette von BoNT-A und der Bindungsdomäne der schweren Kette von BoNT-B zusammen, was eine Kombination beider Toxine darstellt. Dieses Produkt wird bereits im Rahmen der LANTIMA-Studie getestet, deren Phase I und Phase II abgeschlossen sind. Die Wirksamkeit wurde an erwachsenen Patienten mit Spastik der oberen Extremität nach Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma untersucht.

MR-gesteuerter fokussierter Ultraschall (MRgFUS)

Diese Technologie kombiniert zwei Verfahren: Die Kernspintomografie zur präzisen Lokalisierung und zum Echtzeit-Temperatur-Monitoring und den hochintensiven fokussierten Ultraschall („high intensity focused ultra-sound”, HIFU), bei dem die Ultraschallenergie in einem gebündelten Strahl konzentriert wird, um das Zielgewebe zu erhitzen und zu inaktivieren. Durch die Erzeugung einer hohen Energiedichte am Zielort wird eine Temperatur von bis zu 60 °C erreicht, was zu einer Denaturierung von Proteinen und zur Koagulation des Gewebes führt. Die umliegenden Gewebe bleiben dabei unversehrt. Während des Verfahrens können vorübergehende Übelkeit, Missempfindungen und Druckgefühle am stereotaktischen Rahmen auftreten, insbesondere an den Stellen, an denen der Rahmen am Schädel befestigt ist. Nach der Prozedur können transiente oder selten dauerhafte Sensibilitätsstörungen, Paresen, Gleichgewichtsstörungen, Sprechstörungen und Dystonien vorkommen. Bei Patienten mit Parkinsontremor zeigen sich in der Folge rezidivierende Symptome in etwa 30 % der Fälle. Die Therapie kommt hauptsächlich für Patienten mit essenziellem Tremor oder Tremor-dominantem Parkinsontremor infrage. Diese Patienten sollten ausführlich über zwei alternative Verfahren aufgeklärt werden: die neurochirurgische Implantation einer Tiefen Hirnstimulation und das Verfahren der hochintensiven fokussierten Ultraschalltherapie. Zudem müssen die Patienten eine geeignete Schädelknochendicke aufweisen, wobei das Schädel-Dichte-Verhältnis („skull density ratio”, SDR; Verhältnis zwischen kortikalem und spongiösem Knochen anhand Computertomografie) >0,3 sein sollte. Absolute Kontraindikationen umfassen Zustände, die die Durchführung einer MRT-Untersuchung verbieten, oder Gerinnungsstörungen, die z. B. durch Antikoagulanzien verursacht werden. Die U.S. Food and Drug Administration (FDA) hat eine Zulassung für die Behandlung des bilateralen essenziellen Tremors (mit mindestens neunmonatigem Intervall zwischen den HIFU-Verfahren unilateral und kontralateral), des unilateralen Tremordominanten idiopathischen Parkinsonsyndroms sowie zur unilateralen Behandlung anderer motorischer Parkinsonsymptome wie Bradykinesie, Rigor und Dyskinesie ausgesprochen. In Deutschland werden die Kosten für die HIFU gemäß einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom Mai 2021 bei Patienten mit refraktärem essenziellen Tremor übernommen. Das häufigste Zielgebiet der HIFU ist der Nucleus ventralis intermedius, wenngleich der Nucleus subthalamicus, der Globus pallidus internus und der Tractus pallidothalamicus zunehmend an Bedeutung gewinnen. Neben dem idiopathischen Parkinsonsyndrom und dem essenziellen Tremor werden auch andere Bewegungsstörungen als zulassungsüberschreitende Indikation mit dieser Methode behandelt. Dazu gehören die fokale Dystonie, das X-chromosomale Dystonie-Parkinson-Syndrom sowie psychiatrische Erkrankungen wie schwer zu behandelnde Zwangsstörungen und refraktäre Depressionen.

Rückenmarkstimulation

Diese neurochirurgische Therapie wird bereits seit den 1960er-Jahren angewendet. Die Hauptindikation liegt in der Behandlung von refraktären Schmerzen. Es wird bei dem Eingriff eine Laminektomie durchgeführt, üblicherweise im unteren Thorakalbereich. Der Stimulator wird rechts lateral eingeführt, wobei die Elektrode epidural platziert wird. Diese Behandlungsmethode wird nun auch zur Therapie von Parkinsonpatienten eingesetzt. Das Phänomen der Gangblockade („freezing of gait”) ist bei Parkinsonpatienten ein bedeutendes Problem, das konservativ oft nur begrenzt behandelbar ist. Die Tiefe Hirnstimulation, insbesondere die Stimulation des Nucleus thalamicus, zeigt häufig ebenfalls nur eine begrenzte Wirksamkeit. Seit etwa zehn Jahren werden erste Versuche unternommen, das „freezing of gait” auch mittels Rückenmarkstimulation zu behandeln, wobei der genaue Wirkmechanismus noch nicht vollständig verstanden ist. Die Platzierung der Elektroden erfolgt dabei etwas höher im oberen Thorakalbereich.

Fazit

  • Bewegungsstörungen sind nach Schlaganfällen und epileptischen Anfällen die dritthäufigste Erkrankungsgruppe in der Neurologie.
  • Behandlungsmethoden umfassen Pharmakotherapie, invasive Verfahren und supportive Therapiestrategien.
  • Botulinumtoxin A (BoNT-A) ist eine wirksame Behandlungsoption für Bewegungsstörungen.
  • In Deutschland sind drei Varianten von BoNT-A zugelassen: Abo-BoNT-A, Ona-BoNT-A und Inco-BoNT-A.
  • BoNT-A ist die bevorzugte Therapie zur Behandlung der zervikalen Dystonie.
  • Lang wirksame BoNT-Präparate stehen derzeit im Fokus der Arzneimittelforschung und werden wahrscheinlich in Zukunft mehr an Bedeutung gewinnen.
  • Neue interventionelle Verfahren wie MR-gesteuerter fokussierter Ultraschall (HIFU) und Rückenmarkstimulation zeigen vielversprechende Ergebnisse bei anderweitig therapieresistenten Bewegungsstörungen.

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