Altersabhängige Makuladegeneration – erforderliche Diagnostik und individuelle Therapieplanung in der klinischen Praxis

Nach wie vor gilt die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) als Hauptursache für schwere Sehbehinderungen bis hin zur Erblindung in der älteren Bevölkerung – infolge des demografischen Wandels mit steigender Tendenz. Die intravitreale operative Medikamentengabe von Anti-VEGF-Medikamenten kann bei den meisten Patienten mit neovaskulärer AMD das Sehvermögen verbessern oder erhalten. Da der Therapiebedarf allerdings sehr unterschiedlich ist, gilt es, die Behandlung individuell auf den Patienten abzustimmen. Eine präzise Diagnostik liefert dabei die grundlegende Basis – sowohl zur initialen Diagnosestellung als auch zur individuellen Therapieplanung und deren Anpassung im weiteren Verlauf.

Erfahren Sie hier, ob sich der individuelle Behandlungsbedarf bereits zu Therapiebeginn abschätzen lässt und welche Erfolge mit individualisierten Behandlungskonzepten erzielt werden können. Lernen Sie außerdem die neue Nomenklatur zur Dokumentation der neovaskulären AMD (nAMD) kennen und erfahren Sie, welche Untersuchungen im Praxisalltag helfen, die Diagnose zu sichern und den individuellen Verlauf der Erkrankung zu kontrollieren und adäquat zu behandeln.


Kursinfo
VNR-Nummer 2760709122089620010
Zeitraum 30.10.2022 - 29.10.2023
Zertifiziert in D, A, CH
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte Fortbildung abgelaufen
Zielgruppe Ärzte
Referent PD Dr. med. Christoph R. Clemens
Prof. Dr. med. Horst Helbig
Prof. Dr. med. Armin Wolf
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Webinar-Aufzeichnung
Lernmaterial Vorträge, Lernerfolgskontrolle (pdf); Bearbeitungsdauer: 45 Minuten
Fortbildungspartner Bayer Vital GmbH
Bewertung 4.3 (372)

Einleitung

Die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) ist die Hauptursache für irreversible Sehbehinderungen bis hin zur Erblindung bei älteren Menschen in industrialisierten Ländern. In Deutschland sind derzeit bereits knapp sieben Millionen Menschen von den Frühstadien der Erkrankung betroffen, wie die Gutenberg-Gesundheitsstudie der Universität Mainz gezeigt hat. Außerdem ist zukünftig – unter anderem aufgrund der demografischen Entwicklung – mit einem weiteren Anstieg der Fallzahlen zu rechnen. Effiziente Diagnose- und Therapiestrategien sind daher gefragt, um allen Betroffenen möglichst lange ein gutes Sehvermögen erhalten zu können.

Anti-VEGF-Therapie: Goldstandard bei nAMD

Die Einführung der intravitrealen operativen Medikamentengabe (IVOM) von Anti-VEGF-Medikamenten (VEGF: Vascular Endothelial Growth Factor) im Jahr 2005 markierte den entscheidenden Durchbruch in der Behandlung der neovaskulären AMD (nAMD). Seither hat sie Therapieerfolge ermöglicht, die mit früheren Optionen nicht erzielbar waren. So wurde die Wahrscheinlichkeit für eine Sehverschlechterung als Folge einer nAMD bis hin zur Erblindung seit der Einführung der VEGF-Inhibitoren in der klinischen Praxis signifikant um 41 % reduziert, wie eine aktuelle systematische Literaturanalyse zeigt. Auch zahlreiche prospektive klinische Studien belegen die Effektivität verschiedener Anti-VEGF-Medikamente und zeigen, dass bei der Mehrheit der Patienten eine Verbesserung ihres Sehvermögens erzielt und über einen Zeitraum von 24 Monaten hinweg erhalten werden kann.

Individuell unterschiedlicher Therapiebedarf

Während die ersten Zulassungsstudien für Anti-VEGF-Medikamente zunächst mit fixen Schemata durchgeführt wurden, zeigen mittlerweile Erfahrungen aus dem Praxisalltag wie auch verschiedene klinische Studien übereinstimmend, dass der Therapiebedarf von Patienten mit nAMD sehr unterschiedlich und eine individualisierte Behandlung daher äußerst sinnvoll ist. So wurde etwa in den Aflibercept-Zulassungsstudien VIEW-1 und VIEW-2 nach einem Upload mit drei aufeinanderfolgenden monatlichen Injektionen im ersten Jahr zunächst ein fixes Behandlungsschema mit zweimonatlichen Intervallen durchgeführt. Im zweiten Jahr konnten die Therapieintervalle je nach funktionellem und/oder morphologischem Befund auf maximal drei Monate verlängert werden. Mit diesem Therapieregime konnte fast die Hälfte der Patienten am Ende des zweiten Jahres mit verlängerten Injektionsintervallen von zwölf Wochen behandelt werden – wobei die im ersten Jahr erzielten Visusgewinne weitestgehend erhalten blieben.

Kann der Bedarf vorab abgeschätzt werden?

Wünschenswert wäre es natürlich, den individuellen Therapiebedarf schon zu Behandlungsbeginn abschätzen zu können, um dies in die Therapieplanung einfließen zu lassen und mit den Patienten besprechen zu können. Allerdings konnten bislang keine zuverlässigen prädiktiven Marker zur Vorhersage des individuellen Therapiebedarfes identifiziert werden. So wurde in einer Subgruppenanalyse der CATT-Studie (Comparison of Age-Related Macular Degeneration Treatments Trials) untersucht, ob möglicherweise das Vorliegen einer retinalen angiomatösen Proliferation (RAP) mit einem erhöhten Therapiebedarf einhergeht. Während sich im Praxisalltag bei Patienten mit RAP zwar häufig ein eher ungünstiger Verlauf zeigt, bei dem in den meisten Fällen nach zwei Jahren beide Augen betroffen sind, liefert die Subgruppenanalyse der CATT-Studie hingegen Hinweise für einen eher günstigeren Verlauf und ergab für Patienten mit RAP bessere Visusgewinne bei gleichzeitig weniger Injektionen als bei Patienten ohne RAP. Auch die Analyse der Patienten, die in der CATT-Studie eine besonders gute Visusentwicklung aufwiesen und zudem im dritten bis fünften Therapiejahr keine weiteren Injektionen benötigten, lieferte keinerlei Hinweise auf bestimmte Charakteristika, die mit diesem günstigen Verlauf in Verbindung gebracht werden können. Das Vorliegen retinaler Flüssigkeiten stellt einen wichtigen Parameter zur Therapiesteuerung dar und kann zur Abschätzung der funktionellen Ergebnisse herangezogen werden. So scheint das Vorliegen subretinaler Flüssigkeiten (SRF) mit guten visuellen Ergebnissen und das Vorliegen intraretinaler Flüssigkeiten (IRF) mit schlechten Visusergebnissen verbunden zu sein. Zur Abschätzung des zu erwartenden Therapiebedarfes kann das Vorliegen von intra- oder subretinalen Flüssigkeiten allerdings nicht herangezogen werden, wie auf künstlicher Intelligenz (KI) basierte Analysen zeigen. Auch die Netzhautdicke oder das Ansprechen auf die erste Injektion stellen keinen prädiktiven Wert zur Abschätzung des weiteren Injektionsbedarfes dar. Möglicherweise können KI-basierte Ansätze zukünftig zur Identifizierung prädiktiver Biomarker beitragen. Bis diese Optionen in der klinischen Praxis etabliert sind, gilt es, für jeden Patienten individuell das passende Intervall zu ermitteln. Diesbezüglich stellt das Treat & Extend-Konzept (T&E) eine sehr gute Option dar.

Treat & Extend schon im ersten Jahr zur individualisierten Therapie

So zeigen u. a. die beiden prospektiven, randomisierten Phase-IV-Studien ALTAIR und ARIES, in denen Aflibercept im T&E-Behandlungsschema eingesetzt wurde, dass mit dieser Vorgehensweise die individuell jeweils geeigneten Therapieintervalle ermittelt und schon im ersten Jahr bei sehr vielen Patienten auf zwölf Wochen und mehr ausgedehnt werden können. In beiden Studien erfolgte zunächst ein initialer Upload aus drei monatlichen Aflibercept-Injektionen gefolgt von einer weiteren Injektion in Woche 16. In der ALTAIR Studie wurden anschließend bereits im ersten Behandlungsjahr nach Woche 16 zwei T&E-Konzepte miteinander verglichen: ein Regime mit zweiwöchigen Intervallanpassungen und eines, bei dem die Anpassung in 4-Wochen-Schritten erfolgte. Dabei betrug das kürzeste mögliche Intervall acht Wochen, das maximale lag bei 16 Wochen. Im Mittel wurden bis zur Woche 96 in beiden Studienarmen 10,4 Injektionen benötigt, wobei im zweiten Jahr nur 3,7 (4-wöchige-Anpassung) bzw. 3,6 (2-wöchige-Anpassung) Injektionen erforderlich waren. Insgesamt erreichten rund zwei Drittel der Patienten der ALTAIR-Studie zu Woche 96 ein Intervall von zwölf Wochen und mehr, 43,9 % erreichten sogar 16-wöchige Intervalle. In der ARIES-Studie wurde die Nichtunterlegenheit einer frühzeitigen T&E-Behandlung bereits im ersten Jahr im Vergleich zu einem späten Start des T&E-Regimes im zweiten Jahr (ab Woche 52) untersucht und keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Behandlungsarmen festgestellt. Insgesamt konnten nach zwei Jahren (Woche 104) rund 50 % der Patienten mit nAMD mit einem Intervall von zwölf Wochen oder länger behandelt werden, und 28,6 % erreichten sogar ein Intervall von 16 Wochen. Auch hier blieben die in der Upload-Phase erzielten Visusgewinne weitestgehend bis zum Ende des zweiten Behandlungsjahres erhalten. Insgesamt lässt sich somit mit dem T&E-Schema die Behandlung individuell auf den Bedarf des jeweiligen Patienten anpassen und ermöglicht eine deutliche Verringerung der Therapiebelastung für eine große Patientenzahl.

Präzise Diagnostik als Basis der Therapieplanung

Wesentliche Grundlage für eine erfolgreiche Anti-VEGF-Therapie ist der Einsatz moderner bildgebender diagnostischer Verfahren und die sorgfältige Auswertung der Ergebnisse – sowohl zur Erstdiagnose als auch zur effizienten Therapieplanung. Gemäß der aktuellen Stellungnahme der Fachgesellschaften sind zur Absicherung der Erstdiagnose einer nAMD eine Fluoreszenzangiografie (FLA), Visusbestimmung, Funduskopie in Mydriasis sowie eine SD-OCT-Aufnahme der Makula erforderlich, um die Diagnose einer nAMD zu sichern. Im Rahmen der FLA lassen sich anhand von Hyperfluoreszenzen Gefäßleckagen sowie „Staining” (Ablagerung von Fluoreszein im Gewebe) detektieren und beurteilen, während sich mittels Hypofluoreszenz vaskuläre Füllungsdefekte und Blockadephänomene erfassen lassen. Zudem bietet es sich im Rahmen der FLA auch an, die Fundusautofluoreszenz zu beurteilen. Ziel der initialen Diagnostik ist es, den morphologischen und funktionellen Status vor Therapiebeginn möglichst detailliert zu erfassen.

Einheitliche, richtungsweisende Nomenklatur für nAMD

Im Sinne einer standardisierten Vorgehensweise ist es dabei wichtig, die Charakteristika und Phänotypen der nAMD anhand einheitlicher Definitionen zu beschreiben. Diesbezüglich wurde in einem Konsensuspapier einer Expertengruppe eine richtungsweisende Nomenklatur vorgestellt, in der viele Merkmale der nAMD neu definiert werden. Sie basiert auf einem multimodalen Ansatz zur Bewertung der nAMD und berücksichtigt zusätzlich zu den Kriterien der FLA und der OCT auch Kriterien und Erkenntnisse aus der OCT-Angiografie (OCTA). Diese liefert eine hochaufgelöste, schichtweise Visualisierung des Mikrogefäßsystems von Netzhaut und Aderhaut und ermöglicht so eine präzise Zuordnung der Neovaskularisationen zu bestimmten retinalen Schichten. So können die häufig vorkommenden Mischformen der Neovaskularisationen oftmals präziser erfasst werden, als dies in der FLA möglich ist. Allerdings ist die OCTA derzeit noch ein dynamisches Feld und wird in der aktuellen Stellungnahme als additives Instrument angesehen, während für die Basisdiagnostik der AMD die Fluoreszenzangiografie weiterhin den Goldstandard darstellt. Gemäß der vorgeschlagenen, neuen Nomenklatur werden makuläre Neovaskularisationen (MNV) Typ 1, 2 und 3 unterschieden, wobei Typ 1 Gefäßproliferationen unterhalb des retinalen Pigmentepithels (RPE) liegen und Typ 2 Gefäßproliferationen oberhalb des RPE beschreiben. Für den MNV Typ 3 wurde mittels OCTA ein Ursprung im tiefen retinalen Gefäßplexus belegt – und nicht wie bislang angenommen in der Aderhaut.

Engmaschige Kontrolle bei „double-layer sign”

Auch hinsichtlich subklinischer MNV, einer stummen Neovaskularisationsmembran, hat die OCTA neue, wichtige Erkenntnisse geliefert. Erste Hinweise auf diese Entität sind auch im SD-OCT anhand des „double-layer sign” zu erkennen. Dabei handelt es sich um eine flache Abhebung des retinalen Pigmentepithels ohne Hinweise für intra- und subretinale Flüssigkeit. In der OCTA zeigt sich in diesem Bereich eine Proliferationsmembran, die sich im Verlauf von zwölf Monaten vergrößern kann – zunächst ohne Hinweise auf Exsudation und Therapiebedürftigkeit. Allerdings entwickelt etwa ein Fünftel aller Patienten mit subklinischer MNV innerhalb eines Jahres eine behandlungsbedürftige nAMD. Das Auftreten eines „double-layer sign” im SD-OCT ist daher durchaus relevant für den Praxisalltag. Bei dessen Auftreten sollten die Patienten möglichst engmaschig kontrolliert werden, um den rechtzeitigen Beginn einer Anti-VEGF-Therapie sicherzustellen.

Flüssigkeitskompartimentierung beachten

Zum Management und zur Therapieplanung der nAMD ist derzeit die SD-OCT die wesentliche Modalität in der klinischen Praxis, wobei sehr unterschiedliche Protokolle zur Verfügung stehen. Während ein Stern-Scan insbesondere die Evaluierung des vitreomakulären Grenzbereiches erleichtert, werden zur Beurteilung von Flüssigkeitskompartimenten in der Netzhaut häufig Macular Cubes, z. B. das 12-128-Linienraster, herangezogen. Die Evaluierung des Vorliegens retinaler Flüssigkeiten im SD-OCT ist zur Beurteilung der Krankheitsaktivität und daher zur Therapiesteuerung entscheidend. Dabei sind retinale Flüssigkeiten unterschiedlicher Kompartimente durchaus differenziert zu bewerten. So ist das Vorliegen von IRF, die sich innerhalb der neurosensorischen Netzhaut ansammelt, mit einem schlechteren Visus assoziiert und sollte weiter therapiert werden. Hingegen kann SRF, die sich unterhalb der neurosensorischen Netzhaut ansammelt, bei Stabilität in gewissem Umfang toleriert werden, wie verschiedene Langzeitanalysen, darunter u. a. die Ergebnisse der FLUID-Studie, zeigen. Diese Erkenntnisse sind auch in die aktuelle Stellungnahme der Fachgesellschaften eingeflossen, in der festgehalten wird, dass bei Persistenz von SRF nach längerer, intensiver Therapie und Kontrolle nur eine SRF-Zunahme als relevant anzusehen ist.

Anzeichen für degenerative Prozesse erfassen

Weiterhin gilt es, die SD-OCT-Aufnahmen auch auf degenerative Anzeichen hin zu untersuchen, um eine mögliche Progression hin zu einer Atrophie oder degenerative Veränderungen zu detektieren – auch um die Sinnhaftigkeit einer Fortführung der Anti-VEGF-Therapie zu bewerten. Diesbezüglich liegt ebenfalls ein Konsensuspapier einer weiteren Expertengruppe vor, in dem wesentliche degenerative Merkmale einer AMD definiert und beschrieben werden. Darin wird eine differenzierte Nomenklatur zur Beschreibung von Atrophieanzeichen vorgeschlagen, in die einfließt, welche Netzhautschichten betroffen sind und ob die Atrophieanzeichen vollständig oder unvollständig sind. Dementsprechend werden unterschieden: „cRORA” und „iRORA”, die eine Atrophie des RPE und der äußeren Netzhautschichten beschreiben (RORA = RPE and outer retinal atrophy; c = complete; i = incomplete) sowie „cORA” und „iORA”, bei denen die Atrophie lediglich die äußere Netzhaut betrifft (ORA = outer retinal atrophy; c = complete; i = incomplete). Ein weiteres Merkmal, das auf atrophische Prozesse hindeutet, ist die „nascent geographic atrophy” („aufkommende geografische Atrophie”). Hier kommt es im Bereich über Drusen zu einem Zusammensintern der retinalen Strukturen mit hyperreflektiven Bereichen, die sich im Verlauf zu einer Atrophiezone entwickeln können. Zu den degenerativen Veränderungen zählen u. a. „outer retinal tubulation” (ORT), die in der äußeren Körnerschicht auftreten und sich als kreisrunde Veränderungen mit einem hyperreflektiven Band zeigen. Sie korrelieren sehr gut mit den klinischen und histologischen Bildern und sind mit Fibrose assoziiert. Im Verlauf einer PRN-Behandlung wurde eine Zunahme dieser Merkmale festgestellt. Auch subretinales hyperreflektives Material (SHRM) liefert Hinweise für degenerative Prozesse, ist allerdings nicht mit Fibrose assoziiert. Insgesamt empfiehlt sich eine möglichst genaue Beurteilung der SD-OCT-Aufnahmen, um wesentliche Charakteristika zuverlässig zu erkennen und bei der Therapieplanung zu berücksichtigen. Zusätzliche Informationen und einen guten Überblick bietet u. a. auch die Nahinfrarotaufnahme, die daher gerade in einem oftmals eng getakteten Praxisalltag eine gute Option darstellt, um rasch möglichst viele Informationen zu erhalten.

Polypoidale choroidale Vaskulopathie

Auch die Möglichkeit einer polypoidalen choroidalen Vaskulopathie (PCV) sollte bei der nAMD-Diagnostik immer im Hinterkopf behalten werden, auch wenn die Prävalenz dieses Phänotyps in Europa nur auf 8 bis 13 % geschätzt wird. Zur differenzialdiagnostischen Abklärung einer PCV ist eine Indocyaningrün-(ICG-)Angiografie erforderlich. In dieser zeigen sich bei PCV typische Gefäßnetzwerke und polypenartige Erweiterungen der Gefäße. Es gab bereits zahlreiche Bemühungen, die doch recht aufwendige ICG-Angiografie durch einfachere Verfahren zu ersetzen. Nun hat eine Expertengruppe zahlreiche Fundus- und OCT-Charakteristika der PCV untersucht und drei Merkmale identifiziert, die eine besondere Bedeutung für die PCV-Diagnostik haben: Dazu zählt erstens eine spitz verlaufende Pigmentepithelabhebung, zweitens eine ringähnliche Läsion unterhalb des retinalen Pigmentepithels mit einem hyporeflektiven Zentrum und einer hyperreflektiven äußeren Bande, und drittens zeigt sich in der En-face-OCT-Aufnahme eine multilobuläre Pigmentepithelabhebung. Nun bleibt abzuwarten, ob sich diese drei OCT-Kriterien am hohen Standard der diagnostischen ICG-Angiografie in Zukunft messen lassen können.

Welche Fallstricke sind zu beachten?

Einen wesentlichen „Fallstrick” in der nAMD-Diagnostik stellen drusenoide Pigmentepithelabhebungen (dPED) dar, die sich ausweichen, konfluierenden Drusen entwickeln. Der Phänotyp geht in der Regel ohne intra- und subretinale Flüssigkeit einher. In einigen Fällen zeigt die OCT und Nahinfrarotaufnahme hyperreflektive Veränderungen, die migrierte, intraretinale RPE-Zellen darstellen. Es wird postuliert, dass dieser Umbauprozess ursächlich ist für Flüssigkeitsakkumulationen, die in wenigen Fällen im Apexbereich der dPED zu beobachten sind. Diese Flüssigkeit steht typischerweise nicht in Assoziation zu einer sekundären Neovaskularisation. Eine Anti-VEGF-Therapie ist nicht indiziert. Die Prognose dieser Erkrankung ist schlecht: 54 % der Patienten entwickeln innerhalb von fünf Jahren eine geografische Atrophie (GA). Im Rahmen der Fallstricke ist weiterhin zu beachten, dass die Typ-3-MNV im Spätstadium oftmals als Typ-1-MNV oder Typ-2-MNV fehldiagnostiziert wird. Dies ist bedeutsam, da die Typ-3-MNV mit einer Prävalenz von 30 % recht häufig und zudem spätestens nach drei Jahren bilateral auftritt – eine engmaschige Verlaufskontrolle des Partnerauges sollte daher unbedingt erfolgen, da ein möglichst frühzeitiges Erkennen und eine frühzeitige Therapie am Partnerauge ganz entscheidend für eine möglichst gute Visusprognose ist. Letztlich ist zu bedenken, dass retinale Flüssigkeit nicht zwangsläufig nur durch Neovaskularisationen hervorgerufen werden kann, auch vitreomakuläre Traktionen (VMT) können zu Zystenbildung führen und bedürfen selbstverständlich keiner Anti-VEGF-Therapie.

Fazit

  • Der Therapiebedarf von Patienten mit nAMD ist sehr unterschiedlich – eine individualisierte Behandlung ist daher sinnvoll.
  • Prädiktive Marker, mit denen sich der Behandlungsbedarf bereits zu Therapiebeginn vorhersagen lässt, sind bislang nicht bekannt.
  • Das T&E-Konzept bietet sich an, um für jeden Patienten das passende Intervall zu ermitteln, und trägt dazu bei, dass viele Patienten schon heute lange Behandlungsintervalle erreichen.
  • Mit T&E-Aflibercept erreichen etwa zwei Drittel der nAMD-Patienten ein Intervall von zwölf Wochen oder länger.
  • Zur Erstdiagnose einer nAMD sind Fluoreszenzangiografie, Visusbestimmung, Funduskopie sowie SD-OCT-Aufnahmen der Makula erforderlich.
  • Multimodale Bildgebung wird von Experten zur Beurteilung der nAMD empfohlen.
  • Neue, einheitliche Klassifikation der nAMD unter Berücksichtigung von Kriterien der FLA und der OCTA: unterschieden werden MNV Typ 1, 2 und 3
  • Zur Therapieplanung ist die SD-OCT derzeit die wesentliche Modalität in der klinischen Praxis.
  • Die Beurteilung der Krankheitsaktivität erfolgt u. a. anhand retinaler Flüssigkeiten, wobei unterschiedliche Kompartimente differenziert zu betrachten sind.
  • Bei stabilem Befund kann eine gewisse Menge subretinaler Flüssigkeit toleriert werden.
  • Die Detektion von ORT und SHRN liefert Hinweise auf eine Progression zur Atrophie.
  • Ein „double-layer sign” in der SD-OCT ist nicht behandlungsdürftig, liefert aber Hinweise auf eine subklinische MNV – engmaschige Kontrollen sind erforderlich (ein Fünftel Patienten entwickelt nAMD).
  • Drusenoide PED zeigen in einigen Fällen intra-/subretinale Flüssigkeit ohne Hinweis auf eine aktive Neovaskularisation → keine Anti-VEGF-Therapie angezeigt, aber schlechte Prognose.
  • Auch VMT kann zur retinalen Flüssigkeitseinlagerungen führen, bedarf keiner Anti-VEGF-Therapie.

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