Zyklusmonitoring 2.0: schneller schwanger durch „Fertility Awareness“

Paare mit unerfülltem Kinderwunsch versuchen häufig, zunächst mithilfe der Kalendermethode den optimalen Empfängniszeitraum zu bestimmen. Diese Methode bietet angesichts der häufigen Variationen von Zyklus- und Lutealphasenlänge allerdings für viele Frauen keine ausreichende Vorhersagekraft. Diese lässt sich deutlich verbessern durch serielle Hormonmessungen im Urin oder durch Nutzung der Zervixschleimveränderungen, als estrogenabhängiger Parameter, und der Körperkerntemperatur, als Marker einer stattgehabten Ovulation („symptothermale“ Methode). Allerdings sind diese Methoden nicht ganz trivial und nicht für alle Frauen praktikabel.

Heute stehen weitere Methoden des Zyklusmonitorings zur Verfügung: So kommt es zyklusabhängig bei Frauen nicht nur zu den bekannten Veränderungen der Hormonkonzentrationen, auch weitere, nicht invasiv messbare Parameter korrelieren mit den verschiedenen Zyklusphasen. So unterliegen z. B. der Anstieg der peripheren Hauttemperatur, die Veränderung der Herz- und auch der Atemfrequenz den typischen, zyklusabhängigen Veränderungen, und diese können mittels kontinuierlicher Messung zur Bestimmung des fertilen Fensters genutzt werden.

Mithilfe der kontinuierlichen Registrierung dieser Parameter während des Nachtschlafes können große Datenmengen (Big Data) gespeichert und im Rahmen selbstlernender Algorithmen (maschinelles Lernen und artifizielle Intelligenz) analysiert und zur Bestimmung des Empfängnisfensters genutzt werden.


Kursinfo
VNR-Nummer 2760709122096600013
Zeitraum 29.12.2022 - 28.12.2023
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte Fortbildung abgelaufen
Zielgruppe Ärzte
Referent Univ.-Prof. Dr. med. Christian J. Thaler
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Vortrag (Webcast)
Lernmaterial Vortrag, Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Aristo Pharma GmbH
Bewertung 4.2 (371)

Mangelnde Aufklärung über Fertilität und Zyklusmonitoring

Infertilität ist global ein bedeutendes medizinisches Problem und betrifft etwa jedes zehnte Paar weltweit. Die Familienplanung hat sich insbesondere in westlichen Gesellschaften in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert. Einer ersten Schwangerschaft geht heute nicht selten eine Zeitspanne von etwa 20 Jahren unter Empfängnisverhütung voraus. Daher fällt der altersbedingte Rückgang der Fertilität heute stärker ins Gewicht und erfordert häufiger eine Optimierung der Empfängniswahrscheinlichkeit. Paare mit unerfülltem Kinderwunsch suchen meist bereits nach kurzer Zeit nach Informationen über den weiblichen Zyklus und der Phase der optimalen Fruchtbarkeit. In einer Befragung unter Frauen im reproduktiven Alter und mit unerfülltem Kinderwunsch gab jede zweite Teilnehmerin an, ihre Informationen primär aus dem Internet zu beziehen, rund ein Viertel informierte sich primär bei Freunden (Mehrfachnennung möglich). Nur 30 % der Betroffenen nahmen eine Beratung beim Frauenarzt wahr, und nur jede fünfte Frau ließ sich schließlich in einer Fertilitätsklinik beraten. Letztlich konnten lediglich 12 % der Befragten gängige Methoden zur Ermittlung des optimalen Fertilitätsfensters korrekt anwenden. Dies weist darauf hin, dass ein Großteil der Paare mit unerfülltem Kinderwunsch sich beim Sex tatsächlich auf die falschen Zyklustage konzentriert, was nicht nur wenig hilfreich, sondern womöglich abträglich für die Konzeptionsrate sein kann. Für die gynäkologische Praxis ist eine gründliche Kenntnis der aktuellen, von modernen Frauen genutzten Methoden des Zyklusmonitorings, einschließlich der kompetenten Beratung der Patientin zur Validität und Praktikabilität der verschiedenen Methoden, eine wichtige Aufgabe und eine Chance zugleich. Im Folgenden werden das Konzept des Fertilitätsfensters, die klassische Ovulationsdiagnostik, bedeutende zyklusabhängige physiologische Messgrößen und die wichtigsten Neuerungen im Bereich der Zykluskontrolle vorgestellt. Zudem wird der Nutzen älterer mobiler Applikationen zur Zykluskontrolle der Effektivität neuerer Apps, die eine breitere Datenbasis nutzen, gegenübergestellt.

Das Konzept des fertilen Fensters

Das Heranreifen ovarieller Follikel und die Ovulation resultieren in zyklischen Abläufen des weiblichen Reproduktionstraktes, die mit einer periodischen Vorbereitung auf Empfängnis und Schwangerschaft einhergehen. Das äußerlich auffälligste Merkmal des weiblichen Zyklus ist die periodische Vaginalblutung (Menstruation). Ein Zyklus beträgt durchschnittlich 28 Tage, gezählt vom Beginn einer Menstruation bis zum Beginn der nächsten. Die Länge eines einzelnen Zyklus kann sowohl inter- als auch intraindividuell deutlich variieren. In den 1920er-Jahren haben der japanische Frauenarzt Kyusaku Ogino und der Wiener Gynäkologe Hermann Knaus unabhängig voneinander ihre wegweisenden Ergebnisse über den weiblichen Fruchtbarkeitszyklus veröffentlicht. Während Ogino seine Ergebnisse eher für die Empfängnishilfe nutzen wollte, verfolgte Knaus primär eine Nutzung zur Empfängnisverhütung. Die Ergebnisse weisen ein „fertiles Fenster” von durchschnittlich sechs bis acht Tagen aus, wobei zur Identifikation dieses Fensters unter Berücksichtigung der physiologischen Schwankung der Zykluslänge zunächst der kürzeste und der längste Zyklus bestimmt wird:
  • Die Dauer des kürzesten Zyklus (in Tagen) minus 18 Tage ergibt den ersten Tag des fertilen Fensters.
  • Die Dauer des längsten Zyklus minus elf Tage entspricht dem letzten Tag des Fertilitätsfensters.
Diese Kalendermethode beruht ausschließlich auf der Beobachtung des Menstruationszyklus und geht von einer konstanten Lutealphasenlänge aus, einer Annahme, die tatsächlich für viele Frauen nicht zutrifft. Auf physiologischer Ebene beruht die Phase der Fruchtbarkeit aus der Funktionsfähigkeit männlicher und weiblicher Gameten: Einerseits aus dem Zeitraum der Befruchtungsfähigkeit von Spermien im weiblichen Reproduktionstrakt – etwa fünf Tage –, andererseits der Befruchtungsbereitschaft der Metaphase-II-Oozyte von etwa zwölf bis 24 Stunden, was also ein fertiles Fenster von maximal fünf bis sechs Tagen ergibt. Nach Ovulation folgt die luteale Phase (Tag 15 bis 28) mit Transformation des Follikels zum Corpus luteum (Gelbkörper). Diese Phase ist durch Veränderungen der Gebärmutterschleimhaut gekennzeichnet, die die Einnistung der Eizelle fördern. Die Identifikation dieses Fertilitätsfensters ist Aufgabe des Zyklusmonitorings, die im Folgenden vorgestellt wird.

Klassische Ovulationsdiagnostik

Die klassische Ovulationsdiagnostik stellt verschiedene Methoden zur Verfügung.

Vaginalsonografie

Die transvaginale Sonografie kann den ovulationsbereiten Follikel sehr sicher identifizieren und gilt, ggf. unter Zuhilfenahme der Hormonbestimmung (Estradiol, LH, Progesteron), als Referenzmethode zur Identifikation einer Ovulation. Mittels serieller Ultraschalluntersuchungen kann der Zeitpunkt des Eisprunges gut vorhergesagt werden. Die folgenden sonografischen Zeichen sprechen für eine Ovulation:
  • Verschwinden des Follikels oder plötzliche Abnahme der Follikelgröße
  • Erhöhte Echogenität im Follikel, was auf die Bildung eines Gelbkörpers hinweist
  • Freie Flüssigkeit im Becken (oder Douglasraum)
  • Verschwinden des trilaminären (dreischichtigen) endometrialen Erscheinungsbildes (und Übergang in ein homogen echoreich kontrastiertes („luteinisiertes”) Endometrium (Gebärmutterschleimhaut)
Das sonografische Zyklusmonitoring stellt für ausgebildete Gynäkologen im Regelfall ein Routineverfahren mit hoher Treffsicherheit dar. Dennoch kommt die trans-vaginale Sonografie zum Zyklusmonitoring in der Frauenarztpraxis eher selten zum Einsatz. Anders ist dies in spezialisierten Kinderwunschzentren, die logistisch und organisatorisch meist optimal auf die Abläufe des seriellen vaginalsonografischen und endokrinen Zyklusmonitorings eingestellt sind. Im Regelfall sind derartige Monitorings aber der kontrollierten ovariellen Hyperstimulationsbehandlung und den Methoden der assistierten Fortpflanzung vorbehalten, denn zur alleinigen Identifikation des fertilen Fensters sind diese Methoden für die allermeisten Paare zu aufwendig und zu unpraktikabel.

Hormondiagnostik aus Urin

Charakteristische Veränderungen der Gonadotropine (follikelstimulierendes Hormon, FSH, und luteinisierendes Hormon, LH) steuern und kontrollieren die zyklische Heranreifung der menstruellen Kohorte sowie die Selektion und Ovulation des dominanten Follikels. Die wichtigsten follikulären Hormone sind Estradiol und Progesteron. Ihre Bestimmung im Blut oder Urin kann zur Identifikation des fertilen Fensters genutzt werden. Da sich die Ovulation zwischen 34 und 36 Stunden nach Beginn des sprunghaften LH-Anstiegs (LH-Peak) ereignet und LH im Urin nachweisbar ist, kann der urinäre LH-Nachweis zur Festlegung der unmittelbar bevorstehenden Ovulation genutzt werden. Schon mehrere Tage vor dem LH-Peak lässt sich ein deutlicher Anstieg des Estradiols bzw. seines urinären Metaboliten Estriol-Glukuronid nachweisen, das vom präovulatorischen Follikel produziert wird. Um die für den LH-Peak erforderliche kritische Estradiolkonzentration zu erzeugen, kann bereits ein Follikel mit einem Durchmesser von >15 mm genügen. Der serielle Nachweis von Estriol-Glukuronid und LH im Morgenurin ist für die Identifikation des fertilen Fensters recht valide und praktikabel. Zudem stehen für den (semiquantitativen) Nachweis dieser Hormone handliche Kits und Geräte zur Verfügung, die frei verkäuflich sind. Die Patientinnen werden angewiesen, mehrere Menstruationszyklen aufzuzeichnen, um den möglichen Zeitpunkt des Eisprunges abzuschätzen. Hochempfindliche Urin-LH-Kits erkennen bereits geringe Konzentrationen von etwa 22 mIU/ml; die natürliche LH-Anstiegskonzentration im Urin beträgt zwischen 20 und 100 mIU/ml. Trotz der positiven Korrelation des LH-Peaks mit der Ovulation weist die Literatur klar auf die Grenzen dieser Methode hin. So zeigt eine Beobachtungsstudie, dass der LH-Anstieg interindividuell sehr variabel und die Interpretation des Tests damit erschwert sein kann. Ein Cochrane Review aus dem Jahr 2015 kam zu dem Schluss, dass mithilfe der Urinhormonüberwachung geplanter Geschlechtsverkehr zu einer signifikant gesteigerten Schwangerschaftsrate führt (relatives Risiko [RR] 1,36, 95%-Konfidenzintervall 1,06–1,73, n = 1370). Allerdings zeigt die nur moderate Effektstärke, dass effektivere Methoden zum Fertilitätsmonitoring benötigt werden. Weitere Methoden basierend auf hormoneller Urinmessung sind vorgestellt worden. Ecochard et al. konnten zeigen, dass die Urinkonzentration des Progesteronmetaboliten Pregnandiol-3-Glucuronid den Eisprung mit einer Sensitivität von 92,2 % und Spezifität von 100 % voraussagen kann. Li und Kollegen berichteten, dass in 97 % der Menstruationszyklen der FSH-Peak im Urin mit dem Zeitpunkt ±1 Tag des sonografisch festgestellten Follikelkollaps zusammenfällt. Jedoch fehlen zu diesen Methoden weitere belastbare Daten, und entsprechende Point-of-Care-Geräte sind selten verfügbar.

Temperaturmethode

Im Jahr 1906 bemerkte Theodoor Hendrik van de Velde bei geschlechtsreifen Frauen einen zweiphasigen Verlauf der basalen Körpertemperatur (gemessen nach dem morgendlichen Aufwachen), und er vermutete bereits damals einen Zusammenhang mit Eierstockaktivität und Menstruationszyklus. Die Überwachung der basalen Körpertemperatur zählt heute zu den einfachsten und populärsten Methoden zur Erkennung des Eisprunges. Der Anstieg der basalen Körpertemperatur resultiert aus der thermogenen Wirkung von Progesteron und seiner Metabolite. Der Temperaturnadir (tiefster Punkt) wird etwa einen Tag vor Eisprung erreicht. Nach dem Eisprung beginnt der Gelbkörper mit der Ausschüttung von Progesteron, die Temperatur steigt plötzlich deutlich an. Sie bleibt über die Dauer der Lutealphase erhöht und fällt mit Progesteronabfall und dem Beginn der nächsten Menstruation wieder ab. Zur Bestimmung der Ovulation wird jeden Tag nach dem morgendlichen Aufwachen die orale, vaginale oder rektale Temperatur gemessen, wobei diese Methode durch zahlreiche Faktoren beeinflusst werden kann, die ihre Genauigkeit einschränken. Dazu gehören beispielsweise Fieber, Alkohol, emotionaler oder körperlicher Stress, Veränderungen der Umgebungstemperatur, unregelmäßiger Schlaf-wach-Rhythmus und Medikamente wie die orale Kontrazeption oder Antipyretika. Diese und andere Faktoren erschweren die Interpretation der Temperaturmethode. Die Schwächen der Temperaturmethode zeigten auch Bauman und Kollegen. In ihrer Untersuchung kamen sie zu dem Ergebnis, dass der durch die Temperaturmethode bestimmte Zeitpunkt des Eisprunges in nur 17 von 77 Zyklen (22,1 %) mit dem Zeitpunkt des LH-Anstiegs ±1 Tag zusammenfällt. Eine besondere Schwäche der Temperaturmethode zur Bestimmung des fertilen Fensters liegt darin, dass mit der hierdurch identifizierbaren Ovulation allenfalls das Schließen des fertilen Fensters angezeigt wird und damit im aktuellen Zyklus die Schwangerschaftschancen deutlich abnehmen (siehe unten: „Optimierung der Fekundität”). Die alleinige Temperaturmethode zur Bestimmung des Fertilitätsfensters wird heute von vielen Autoren nicht mehr empfohlen.

Veränderungen des Zervixschleimes

Der Zervixschleim (auch Zervikalsekret genannt) bildet den Schleimpfropfen des Zervikalkanals und wird von den Zervixdrüsen produziert. Es handelt sich um ein leicht alkalisches Sekret, dessen Konsistenz und Menge ebenfalls zyklische Veränderungen aufweist. In der späten Follikelphase wird unter dem Einfluss steigender Estradiolspiegel vermehrt Zervixschleim gebildet, er wird zudem klar und nimmt eine elastischere Konsistenz an. Die zunehmende Menge und Spinnbarkeit des Zervixschleimes ist Symptom der ansteigenden Estradiolkonzentration und damit Zeichen für die zunehmende Empfängnisfähigkeit. Die Beurteilung des Zervixschleimes ist die kostengünstigste Methode, um das Öffnen des fertilen Fensters und den herannahenden Eisprung zu erkennen. Der Zervixschleimbefund weist in klinischen Studien eine Korrelation von mindestens 48 bis 76 % zur sonografisch detektierten Ovulation auf.

Optimierung der Fekundität

Eine der besten, hochrangig publizierten Studien zum Einfluss des Timings von Geschlechtsverkehr und Eisprung auf die Empfängniswahrscheinlichkeit stammt von Wilcoxon und Weinberg: Sie konnten zeigen, dass bei gesunden Paaren fast alle Schwangerschaften aus einem Geschlechtsverkehr maximal sechs Tage vor dem Eisprung resultierten. Mit dem Ovulationstag gingen die Empfängnischancen innerhalb kurzer Zeit auf null zurück. Dabei ist die Empfängniswahrscheinlichkeit bei Verkehr innerhalb von zwei bis maximal drei Tagen vor der Ovulation am höchsten. Diese Verläufe der Schwangerschaftschancen im Zyklusverlauf sind mittlerweile von zahlreichen Autoren und an vielfältigen Kollektiven immer wieder bestätigt worden. Diese Dynamik der Empfängniswahrscheinlichkeit ist insbesondere für Paare mit eingeschränkter Fertilität von Bedeutung, denn auch hier finden sich die höchsten Schwangerschaftschancen zwei bis maximal drei Tage vor der Ovulation, das heißt, wenn hier eine Schwangerschaft auf natürlichem Weg angestrebt werden sollte, dann ist die Nutzung dieses optimalen Timings ganz besonders relevant. Genau dies konnte eine größere prospektive Studie der Arbeitsgruppe um Petra Frank-Herrmann zeigen: Bei 187 Paaren, die seit zwei bis acht Jahren erfolglos versucht hatten, schwanger zu werden, wurde ein „Fertility-Awareness-Training”, also die selbstständige Ermittlung des Fertilitätsfensters mittels Zervixschleim- und Temperaturmethode, eingeübt. Allein durch Nutzung dieser Methode waren nach acht Monaten 38 % des Gesamtkollektivs und von den prognostisch günstigen Paaren sogar 54 % schwanger geworden – gegenüber einer Vergleichsquote von 21,6 % ohne Fertility Awareness.

Zyklusmonitoring 1.0: Apps mit klassischen Parametern

Schon heute gibt es unzählige digitale Anwendungen zur Ermittlung des Fertilitätsfensters. Solche Services machen etwa jede zehnte App aus, die in den marktführenden Onlinestores angeboten werden. Die Mehrzahl dieser Apps basiert allein auf der Kalendermethode. In Anbetracht ihrer Verbreitung und einfachen Verfügbarkeit sollten Gynäkologen über eine Orientierung bezüglich solcher Apps verfügen, um die Patientin kompetent vor allem auch über die erheblichen Limitationen dieser Apps beraten zu können. Ein Vorteil kalenderbasierter Apps ist sicherlich die einfache Handhabbarkeit: Meist muss jeweils nur Anfang und Ende der Menstruationsblutung in die App eingetragen werden, und die App zeigt dann in den folgenden Zyklen die wahrscheinlichsten Tage einer Empfängnis an, wobei man hier stets von einer unveränderlichen Lutealphasenlänge von 14 Tagen ausgeht. Grundsätzlich kann diese Aussagekraft mit der Anzahl registrierter Zyklen zunehmen, vor allem bei relativ stabiler Zykluslänge, also einer Variation von lediglich plus/minus ein bis drei Tagen. Tatsächlich trifft diese Grundannahme allerdings für einen Großteil geschlechtsreifer Frauen nicht zu, und bei fast der Hälfte der Frauen ist eine Variabilität der Zyklusdauer von mehr als sieben Tagen zu beobachten. Somit sind kalenderbasierte Apps für viele Paare ungeeignet. Sogenannte kalkulothermale Apps erfassen neben der Zykluslänge zusätzlich die basale Körpertemperatur. Die Temperatureingaben können direkt in die App eingetragen oder per geeigneten Sensoren via Bluetooth in das Smartphone eingespeist werden. Solche Sensoren können beispielsweise in Form eines Ringes vaginal platziert werden, was eine kontinuierliche nokturnale Temperaturmessung ermöglicht. Die kalkulothermalen Apps haben den grundsätzlichen Vorteil, dass diese mit dem Temperaturanstieg ein Signal der tatsächlichen Ovulation aufnehmen können. Die App wird damit unabhängig von der Annahme einer fixen Lutealphase, hat aber immer noch den Nachteil, dass mit dem Temperaturanstieg im aktuellen Zyklus lediglich das Schließen des fertilen Fensters registriert wird. Die optimalen Tage, die zwei bis drei Tage vor der Ovulation vorliegen, können nicht diagnostiziert werden, sondern sind wiederum nur prospektiv abzuschätzen. Sowohl bei den kalenderbasierten als auch bei den kalkulothermalen Applikationen ist als wesentliche Limitation zu nennen, dass sie lediglich den wahrscheinlichen Ovulationszeitpunkt aus zurückliegenden Zyklen prognostizieren. Dies setzt allerdings sehr stabile Zyklusverläufe voraus. Bei den häufigen signifikanten Variationen der Zyklusverläufe können solche Methoden durchaus irreführend und letztlich sogar kontraproduktiv sein. Dies umso mehr, als viele Kinderwunschpaare sich zunehmend auf die per App ermittelten „optimalen” Tage konzentrieren – und damit die anderen, womöglich in Wahrheit günstigeren Zyklustage, ungenutzt verstreichen lassen. Symptothermale Apps ermitteln das fertile Fenster mittels Beurteilung des Zervixschleimes (Estrogenparameter) und der Basaltemperatur (Progesteronparameter). Damit gelingt es am besten, fertile Fenster im aktuellen Zyklus zu bestimmen. Dadurch sind symptothermale Apps weniger fehleranfällig durch natürliche Schwankungen der Zykluslänge. Eine Limitation für einzelne Paare kann darin bestehen, dass es sich um ein relativ aufwendiges Verfahren handelt, das die adäquate Wahrnehmung und korrekte Interpretation körperlicher Symptome seitens der Patientinnen voraussetzt.

Zyklusmonitoring 2.0: Apps mit neuen Parametern

Neben den oben beschriebenen „klassischen” Parametern finden zunehmend weitere physiologische Größen Beachtung, die mit dem Zyklus korrelieren. Dazu gehören unter anderem
  • endexspiratorisches CO2,
  • periphere Hauttemperatur,
  • Ruhepuls,
  • Herzfrequenz,
  • Atemfrequenz,
  • Hautdurchblutung.
Der CO2-Partialdruck in der Ausatemluft fällt parallel zum zyklusabhängigen Anstieg des Estradiols ab. Damit ist ein Parameter verfügbar, der frühzeitig mit dem dominant werdenden Follikel die Öffnung des fertilen Fensters anzeigt. Ein handliches Device, das mit dem Smartphone verbunden werden kann, erlaubt eine einfache Bestimmung des CO2 in der Ausatemluft. Obgleich die Methode vielversprechend erscheint, fehlen bisher allerdings belastbare klinische Daten. Auch ist der Einfluss auf die Atemtestergebnisse durch weitere Faktoren mit respiratorischer Relevanz unklar. Dazu gehören beispielsweise der Body-Mass-Index, Rauchen, körperliche Belastung oder Temperaturanstieg. Die heutige Verfügbarkeit großer Datenmengen (Big Data) verändert die moderne Medizin rasant und ermöglicht zunehmend eine personalisierte Patientenbetreuung. Diese Entwicklung hat mittlerweile auch die Fertilitätsmedizin erreicht. Eine neue Anwendung misst automatisiert während der gesamten Nacht zahlreiche Parameter über ein Armband, das mit mehreren Sensoren ausgestattet ist – ähnlich einer Smartwatch. Die Sensoren erfassen zeitgleich Hauttemperatur, Ruhepuls, Herzfrequenzvariabilität, Atemfrequenz und Hautdurchblutung. Tatsächlich zeigt eine Vielzahl aktueller Studien, dass jeder dieser Parameter innerhalb des Zyklus charakteristische Veränderungen durchläuft. Nach Bluetooth-Synchronisation mit einer Smartphone-App an jedem Morgen erfolgt die Datenanalyse mittels eines selbstlernenden Algorithmus. Unter Bewertung der erfassten Parameter mittels dieses Algorithmus (Random Forest), erhält die Nutzerin in übersichtlichem Display das Read-out in Form der Kategorien „hohe” und „höchste” Fruchtbarkeit, wobei dieses fertile Fenster in einer Studie der Klinik für Gynäkologie am Universitätsspital Zürich mit einer Präzision von 90 % aller analysierten Menstruationszyklen korrekt vorhergesagt wurde, mit einer Spezifität und Sensitivität von 93 bzw. 81 %. Einschränkend erscheint die Auswahl an Teilnehmerinnen dieser Studie, denn bisher wurden lediglich Frauen mit einer konstanten Zykluslänge von im Mittel 28 Tagen mit einer Standardabweichung von vier Tagen analysiert. Zudem wurden hier nur Daten von Patientinnen mit hoher Adhärenz bewertet, also solchen, die das Armband an mindestens 80 % der Tage in einem bestimmten Zyklus mit dem Smartphone synchronisiert hatten. Zu einer endgültigen Bewertung dieser „Wearables” stehen jetzt noch randomisierte kontrollierte Studien aus, um verlässlich zu zeigen, welches Kollektiv von diesem Verfahren profitiert und wie hoch der konkrete Nutzen ist. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint die Nutzung von artifizieller Intelligenz ein vielversprechender Ansatz, um fertile und subfertile Paare bei der natürlichen Familienplanung zu unterstützen.

Optimale Dauer der selbstständigen Zykluskontrolle

Eine wichtige praxisrelevante Frage betrifft die Auswahl der Paare, die von der Identifikation des fertilen Fensters am ehesten profitieren können, und die sinnvolle Anwendungsdauer für dieses Verfahren. Am ehesten sollte man sich hier an den Rahmenbedingungen orientieren, die von der Arbeitsgruppe um Frau Frank-Herrmann festgelegt wurde (2017): Ausschluss von Tubenfaktor, Amenorrhö bzw. Anovulation und höhergradigem andrologischen Faktor. Nach den Daten dieser Arbeitsgruppe kann man davon ausgehen, dass durch Nutzung der Fertility-Awarness-Methode innerhalb von sechs Zyklen 81 % aller konservativ erreichbaren Schwangerschaften eingetreten sind, nach zwölf Zyklen sogar 92 %. Wenn hiermit allerdings nach sechs Menstruationszyklen keine Schwangerschaft erreicht werden konnte, ist nach sechs Monaten in fast 60 % keine Schwangerschaft mehr auf natürlichem Weg zu erwarten, nach zwölf Monaten sogar in über 80 %, das heißt, dass nach sechs bis spätestens zwölf Monaten eine Überweisung in das Kinderwunschzentrum erfolgen sollte.

Fazit

  • Während eines ovulatorischen Menstruationszyklus kann ein Geschlechtsverkehr (GV) an maximal fünf bis sechs Tagen zu einer Schwangerschaft führen. Man nennt diesen Zeitraum fertiles Fenster.
  • Die höchsten Schwangerschaftsraten bestehen etwa zwei Tage vor der Ovulation.
  • Zuverlässige und wirksame Verfahren zur Identifikation des fertilen Fensters erfordern direkte oder indirekte estrogenabhängige Marker (z. B. den Zervixschleim) für den dominanten Follikel sowie progesteron-abhängige Parameter (z. B. die Körperkerntemperatur) für die Ovulation.
  • Bei korrekter Nutzung erprobter Methoden von Fertility Awareness lassen sich die Konzeptionschancen für viele Kinderwunschpaare deutlich erhöhen.
  • Paare mit unerfülltem Kinderwunsch versuchen sehr häufig, selbstständig eine Optimierung der Schwangerschaftschancen durch Konzentration des GV auf die „fruchtbaren Tage” zu erreichen – wobei die meisten dieser Paare über kein ausreichendes Wissen zur Ermittlung der fruchtbaren Tage verfügen.
  • Von den zahlreich angebotenen Apps zum Zyklusmonitoring und zur Fertility Awareness ist ein Großteil unzuverlässig und irreführend.
  • Etablierte Verfahren des Zyklusmonitorings nutzen Zervixschleim und Basaltemperaturbestimmung und/oder den semiquantitativen Nachweis von Estrogen- und Progesteronmetaboliten im Urin.
  • Neuartige Verfahren mittels kontinuierlicher Analyse nokturaler zyklus-abhängiger Veränderungen von peripherer Hauttemperatur, von Ruhepuls, Herzfrequenz, Atemfrequenz und Hautdurchblutung versprechen eine präzise und gleichzeitig komfortable Vorhersage der Zyklustage mit hoher und höchster Fruchtbarkeit. Der definitive Nachweis der klinischen Validität dieser Verfahren steht derzeit noch aus.
  • Nach sechs erfolglosen „Fertility-Awareness-Zyklen” sollten etwa 90 % der konservativ erreichbaren Schwangerschaften eingetreten sein. Andernfalls sollte die Überweisung an ein kompetentes Kinderwunschzentrum erfolgen.

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