Update: Antibiotika und das Mikrobiom – Die Praxis im Fokus

Antibiotika gehören zu den größten Errungenschaften der Medizin und retten jährlich unzählige Leben. Diese Fortbildung fokussiert sich auf einen oft übersehenen Teilaspekt: den Einfluss von Antibiotika auf das Darmmikrobiom, inkl. Nebenwirkungen und Resistenzen – Themen, die in der medizinischen Ausbildung bisher noch wenig Beachtung finden. Studien zeigen, dass selbst kurze Antibiosen die Mikrobiomfunktionalität nachhaltig verändern können, was besonders in der ambulanten Versorgung, in der die meisten Antibiotika verordnet werden, von Bedeutung ist. Durch diese Perspektive soll das Bild von Antibiotika nicht negativ gezeichnet, sondern ergänzt werden, um ihre Effektivität zu bewahren und Nebenwirkungen frühzeitig zu berücksichtigen.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709125038750010
Zeitraum 01.03.2025 - 28.02.2026
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte 4 Punkte (Kategorie D)
Zielgruppe Ärzte
Referent Dr. med. Klaus-Friedrich Bodmann
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Fachartikel
Lernmaterial Handout, Lernerfolgskontrolle (pdf)
Fortbildungspartner Weber & Weber GmbH
Bewertung 4.4 (469)

Einleitung

Stellen Sie sich Ihren Praxisalltag in der Ambulanz vor: Ein Patient nach dem anderen kommt mit unterschiedlichsten Beschwerden zu Ihnen. Bei einigen dieser Fälle verschreiben Sie vermutlich Antibiotika – eine oft notwendige und bewährte Behandlungsmethode. Von Nebenwirkungen wie Diarrhö oder Pilzinfektionen erfahren Sie vermutlich aber eher selten - auch deshalb, weil diese Beschwerden von den Patienten oft als unvermeidbare, vorübergehende Begleiterscheinungen gesehen werden. In Wirklichkeit spiegeln diese Beschwerden aber nur einen Bruchteil der möglichen Auswirkungen von Antibiotika wider. Denn deren Einfluss auf das Mikrobiom kann u. U. auch längerfristige, zunächst unbemerkte, Auswirkungen haben und die Selektion resistenter Bakterienstämme fördern. Dieser Perspektivwechsel erfordert, dass wir über die gängige Praxis hinausdenken und die Wirkung von Antibiotika auf das Mikrobiom in die Patientenversorgung einbeziehen. Aber worauf ist in der ambulanten Versorgung zu achten, um unnötige Verschreibungen zu vermeiden oder das Mikrobiom während einer Antibiose bestmöglich zu stabilisieren? Mit dieser Fortbildung soll ein tieferes Verständnis der Interaktionen zwischen Antibiotika und dem Mikrobiom vermittelt werden. Ziel ist es, Ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen Sie nicht nur die kurzfristige Verträglichkeit einer Antibiotikatherapie verbessern, sondern auch langfristigen Risiken wie Resistenzentwicklungen entgegentreten können.

Grundlagen der Antibiotikatherapie

Häufig vergessen wir, dass viele der ersten Antibiotika ursprünglich von Bodenbakterien der Gattung Streptomyces isoliert wurden – natürliche Substanzen, die den Bakterien als chemische Waffen gegen rivalisierende Mikroben oder als Kommunikationsmittel dienen. Ihr Erfolg in der Medizin beruht auf ihrer Fähigkeit, gezielt Bakterien anzugreifen, ohne dabei menschliche Zellen zu schädigen. Damit sind Antibiotika eine der wichtigsten Waffen im Kampf gegen bakterielle Infektionen.

Antibiotikaklassen

Antibiotika lassen sich anhand verschiedener Merkmale in unterschiedliche Klassen einteilen, was eine gezielte Anwendung in der Therapie erleichtert.

Einteilung nach Angriffspunkt

Antibiotika können nach ihrem spezifischen Angriffspunkt innerhalb der Bakterienzelle klassifiziert werden: Zellwandsynthese-Hemmer verhindern den Aufbau einer funktionsfähigen Zellwand, während Proteinsynthese-Hemmer die Produktion lebensnotwendiger Proteine stören. Einige Antibiotika können aber auch die DNA der Bakterien direkt beschädigen oder deren Transkription behindern und so die Vermehrung des Bakteriums verhindern.

Einteilung nach Absterbekinetik

Je nach der Geschwindigkeit, mit der bakterielle Erreger durch ein Antibiotikum gehemmt oder abgetötet werden, unterscheidet man: Bakteriostatische Antibiotika hemmen das Bakterienwachstum, sodass das Immunsystem die Erreger effektiv beseitigen kann und ihre Zahl langsam abnimmt (bis zu 90 % möglich). Bakterizide Antibiotika führen zu einer Abtötung der Bakterien. Dadurch können sie, abhängig von der verwendeten Dosis, innerhalb von 18 bis 24 Stunden mehr als 99,9 % der Bakterienpopulation eliminieren. Sie wirken schneller und werden oft in lebensbedrohlichen Situationen oder bei immungeschwächten Patienten bevorzugt. Bei einigen Antibiotika ist diese Einteilung nicht immer eindeutig, da ihre Wirkung vom Erreger abhängig ist (z. B. Linezolid).

Einteilung nach Wirkspektrum

Welches Antibiotikum gegen welchen Erreger wirkt, hängt stark vom Zellwandaufbau der jeweiligen Bakterien ab: Grampositive Bakterien: Dicke, aber für viele Antibiotika durchlässige Zellwand. Gramnegative Bakterien: Dünne Zellwand, aber eine zusätzliche äußere Membran, die den Zugang für Antibiotika erschwert und bei Zerstörung Endotoxine freisetzt. Zudem manchmal Bildung einer Kapsel zum Schutz vor dem Immunsystem. Antibiotika werden je nach Umfang ihrer Wirksamkeit gegen grampositive und/oder gram­negative Bakterien zu den Schmalspektrum- oder Breitbandantibiotika zugeordnet, wobei die Grenzen nicht eindeutig definiert sind. Breitbandantibiotika sollen möglichst viele Bakterien aus dem grampositiven und gram­negativen Bereich erfassen. Sie haben großes Potenzial, wenn der Erreger noch nicht identifiziert ist und mit einem schnellen Therapiebeginn die wahrscheinlichsten Pathogene eliminiert werden sollen, um das Risiko für Komplikationen zu verringern. Dieses Vorgehen nennt man kalkulierte Initialtherapie. Neben diesen Vorteilen bringt ihr Einsatz auch einige Nachteile mit sich: Mikrobiom: Das humane Mikrobiom kann erheblich gestört werden, da Breitbandantibiotika nicht nur Zielbakterien, sondern auch eine breite Palette nützlicher Bakterien angreifen. Resistenzen: Sie fördern die Verbreitung von Resistenzen, sowohl beim Erreger der behandelten Infektion als auch bei physiologischen Bakterien. Schmalspektrumantibiotika wirken gezielt gegen eine kleinere Gruppe von Bakterien, z. B. nur auf wenige grampositive oder wenige gramnegative Erreger. Sie werden bevorzugt eingesetzt, wenn der Erreger nachgewiesen wurde. Für die ambulante Versorgung spielen hier in der Regel nur Penicillin V, Flucloxacillin, Clindamycin und ggf. Metronidazol eine Rolle. Aber auch Schmalspektrumantibiotika haben Herausforderungen:
  • Präzise Diagnosen: Ihr Einsatz setzt eine schnelle, genaue und sensitive Diagnose des Erregers voraus, was zeit- und kostenintensiv sein kann.
  • Begrenzte Verfügbarkeit: Es gibt sehr wenige dieser Antibiotika auf dem Markt
  • Mikrobiom: Obwohl der Kollateralschaden geringer ist, greifen sie ebenfalls eine breite Palette an physiologisch nützlichen Bakterien (auch Darmflora oder Darmmikrobiota genannt) an.
Beispiel: Clindamycin und Penicillin zählen beide zu den Schmalspektrumantibiotika, unterscheiden sich jedoch: Penicillin wirkt primär gegen Streptokokken, während Clindamycin zusätzlich Staphylokokken und Anaerobier erfasst und mit einem erhöhten Risiko für dysbiosebedingte Sekundärinfektionen (v. a. Clostridioides difficile) assoziiert ist.

Einteilung nach Resistenzlage

Die Einteilung von Antibiotika nach ihrer Resistenzlage bildet die Grundlage für eine rationale und leitliniengerechte Therapie. Sie hilft, den Einsatz gezielt auf die wirksamsten Substanzen zu beschränken und weitere Resistenzentwicklungen zu vermeiden. Ein Schlüsselbegriff in diesem Kontext ist das „Reserveantibiotikum“. Allerdings wird dieser Begriff in Deutschland uneinheitlich definiert, was zu Missverständnissen führen kann. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) stuft z. B. nur neu entwickelte, gegen multiresistente Erreger (MRE) wirksame Antibiotika als Reserveantibiotika ein, unabhängig von anderen Faktoren. In der Praxis werden meist bestimmte Antibiotika, wie Carbapeneme, aufgrund der Gefahr einer Resistenzentwicklung als Reserveantibiotika bezeichnet. Ihr Einsatz sollte demnach ausschließlich als Alternative oder in eng definierten Indikationen erfolgen (also reserviert werden). Streng genommen gelten als Reserveantibiotika jedoch diejenigen Wirkstoffe, die als Ultima Ratio sowie nur bei Infektionen mit multiresistenten Bakterien zum Einsatz kommen und damit der stationären Versorgung vorbehalten sind. Andernfalls drohen neue Resistenzen, die diese wertvollen Behandlungsoptionen unwirksam machen könnten.

Verordnungsverhalten in Deutschland: Daten und Fakten

Antibiotika gehören weltweit zu den häufigsten verschriebenen Medikamenten. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland 2022 beim ambulanten Antibiotikaverbrauch im unteren Bereich, hinter Ländern wie den Niederlanden, Österreich und Schweden. Der Verbrauch zeigt weiterhin eine leicht rückläufige Tendenz, sowohl in der Human- als auch in der Tiermedizin. Trotz dieses Rückganges wurden 2022 in der medizinischen Versorgung in Deutschland noch rund 272 t bzw. über 250 Mio. Tagesdosen (DDD, Defined Daily Doses) Antibiotika eingesetzt.

Fakten

85 % werden im ambulanten Bereich verordnet
  • 2022: 31 Mio. ambulante Verordnungen. Tendenz seit 2013 leicht sinkend.
  • Nahezu jede 25. Verordnung in der GKV betrifft ein Antibiotikum.
  • Jeder zweite Erwachsene bekommt demnach einmal im Jahr ein Antibiotikum.
  • Pandemieeffekt 2020: Historischer Tiefstand bei Verordnungen, besonders bei 19- bis 65-Jährigen. 2022: Anstieg auf Vor-Corona-Niveau.
  • Besonders häufig werden Antibiotika bei Kleinkindern (2 bis 5 Jahre) und Senioren (>80 Jahre) eingesetzt.
  • Regionale Verordnungsunterschiede: West-Ost-Gefälle mit Faktor 1,8.

Top-5-Fachgruppen

Fast 90 % der ambulanten Verordnungen entfallen auf:
  • Hausärzte und hausärztlich tätige Internisten
  • Zahnärzte
  • Pädiater
  • HNO-Ärzte
  • Urologen

Wahl der Antibiotika

  • Fast 60 % der Antibiotikadosen entfallen auf Betalaktamantibiotika/Penicilline (J01C) und Cephalosporine (J01D). Gefolgt von Makroliden/Lincosamide (J01F) und Tetrazyklinen (J01A).
  • Amoxicillin, Cefuroxim und Amoxicillin + BLI machen 45 % der verordneten Antibiotika aus.
  • Fluorchinolone (z. B. Ciprofloxacin): Verordnungen sind gesunken, machen aber immer noch ca. 5 % aus. Ein relevanter Anteil (20 %) wird immer noch bei Menschen >65 Jahre verschrieben, obwohl hier Zurückhaltung geboten ist.
  • Hoher Anteil an Breitbandantibiotika bei Kindern (<14 Jahre): 40 bis 50 % Basispenicilline (Amoxicillin, Ampicillin), 30 bis 40 % Cephalosporine (v. a. Cefaclor; nicht leitlinienkonform!)

Top-10 der ambulant verordneten Antibiotika (inkl. ATC-Klassen):

  • 1. Amoxicillin (J01CA)
  • 2. Cefuroxim (J01DC0)
  • 3. Doxycyclin (J01A)
  • 4. Amoxicillin + BLI (J01CR)
  • 5. Clindamycin (J01F)
  • 6. Azithromycin (J01F)
  • 7. Penicillin V (J01CE02)
  • 8. Cotrimoxazol (J01E)
  • 9. Nitrofurantoin (J01X)
  • 10. Ciprofloxacin (J01M)

Weiterhin viele Reserveantibiotika verordnet

Trotz des allgemeinen Rückganges von Antibiotikaverordnungen werden ambulant noch häufig primär nicht indizierte Antibiotika wie Fluorchinolone und Cephalosporine verordnet (Verordnungsanteil stabil bei 42 %). Jede zweite Antibiotikaverordnung in der GKV betrifft Reserve- oder Alternativantibiotika mit enger Indikationsstellung. Lieferengpässe bei Antibiotika verschärfen vermutlich das Abweichen von Standardtherapien.

Stationärer Antibiotikaverbrauch

Stationäre Antibiotikaverordnungen machen nur 15 % des Gesamtvolumens aus, tragen aber erheblich zur Resistenzentwicklung bei, da häufig Breitbandantibiotika eingesetzt werden. Deutsche Krankenhäuser investieren deshalb erheblich in die Erfassung von Antibiotikaverbrauchs- und Resistenzdaten sowie in hausinterne Leitlinien, um einen verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika in ihren Einrichtungen sicherzustellen (Antibiotic Stewardship). Ziel ist nicht nur die Reduktion von Antibiotikaverordnungen, sondern auch die gezielte Auswahl des geeignetsten Antibiotikums. Antibiotic Stewardship (ABS-)Programme gibt es bislang nur stationär, obwohl es sicherlich auch im ambulanten Bereich sinnvoll wäre, da hier der Großteil der Antibiotikaverordnungen erfolgt:
  • Etwa 27 % der Klinikpatienten erhalten Antibiotika
  • Hoher Anteil an Antibiotika für perioperative Prophylaxe über den OP-Tag hinaus.
  • Hochverbrauchsbereiche: Intensiv- und hämatologisch-onkologische Stationen.
  • Etwa 63 % der Antibiotikabehandlungen erfolgen parenteral.
  • Pandemieeffekt: Anstieg der Verbrauchsdichte.

Das intestinale Mikrobiom und Antibiotika

Grundlagen und Bedeutung des Mikrobioms für die Gesundheit

Das intestinale Mikrobiom ist ein komplexes Ökosystem aus Bakterien, Pilzen und Viren, das entscheidend zur Homöostase im menschlichen Körper beiträgt. Es ist essenziell für Verdauung sowie Metabolismus und interagiert eng mit dem Immun- und Nervensystem, beeinflusst also sowohl darmnahe als auch -ferne Organe. Die Bedeutung des Mikrobioms für die Gesundheit lässt sich an seinen vielfältigen Funktionen verdeutlichen.

Entgiftung und Biotransformation von Xenobiotika

Das Mikrobiom spielt eine entscheidende Rolle bei der Entgiftung und Biotransformation von Xenobiotika, also körperfremden Substanzen wie Nahrungsbestandteile, Umweltgifte, Schadstoffe und Medikamente. Darmbakterien nutzen u. a. spezifische Enzyme, um diese Substanzen chemisch zu verändern und so ihre Toxizität oder Bioverfügbarkeit zu beeinflussen oder ihre Ausscheidung zu erleichtern. So müssen beispielsweise Polyphenole und Phytoöstrogene aus der Nahrung erst durch Darmbakterien umgewandelt werden, um vom Körper genutzt zu werden. Einige Medikamente, wie Metronidazol und Mesalazin, werden als Prodrugs verabreicht und erst durch mikrobielle Enzyme im Darm aktiviert. Digoxin und Levodopa können dagegen bei ungünstiger Mikrobiomzusammensetzung inaktiviert werden, was ihre Wirksamkeit beeinträchtigen kann. Ein weiteres Beispiel sind heterozyklische Amine, z. B. in stark erhitztem Fleisch, die in der Leber entgiftet und über die Galle in den Darm ausgeschieden werden. Diese können u. U. jedoch von Darmbakterien reaktiviert und dadurch wieder krebserregend werden.

Synthese von bioaktiven Molekülen

Das Mikrobiom produziert vielfältige bioaktive Substanzen und Metaboliten, die wichtige physiologische Funktionen beeinflussen, indem sie im Darm absorbiert und über das Nervensystem, das endokrine System, über die Lymphbahnen oder den Blutkreislauf an Organrezeptoren ferner Körperstellen gelangen und dort binden. Forscher beschreiben diese biochemischen Kommunikationswege als „Achsen" wie die Darm-Hirn-, Darm-Vagina- und Darm-Lungen-Achse. Sie können z. B. Stoffwechselwege wie die Energiehomöostase, den Glukose- und Lipidstoffwechsel sowie Entzündungsprozesse und Immunfunktionen regulieren. Beispiele für bioaktive Metabolite sind kurzkettige Fettsäuren (SCFA), Neurotransmitter und andere Botenstoffe. Sie dienen u. a. als Signalmoleküle für mikrobielle Interaktionen, sind aber auch essenziell für das „cross feeding" bei Bakterien (gegenseitiges Nutzen der Metabolite).

Beispiel: Modulation des Gallensäuremetabolismus

Primäre Gallensäuren aus der Leber sind zentral für den Fettstoffwechsel und die Emulgierung von Nahrungsfetten im Dünndarm. Etwa 95 % von ihnen werden im terminalen Ileum resorbiert und über den enterohepatischen Kreislauf zur Leber zurücktransportiert, während ca. 5 % von der Mikrobiota im Dickdarm in sekundäre Gallensäure umgewandelt werden. Dieses Verhältnis ist entscheidend für physiologische Vorgänge und wird i. d. R. durch ein funktionell gesundes Mikrobiom aufrechterhalten. Zu hohe Konzentrationen sekundärer Gallensäuren können zytotoxisch und entzündungsfördernd wirken und das Risiko für Fettleibigkeit, Gallensteine und Dickdarmkrebs erhöhen. Ein Mangel an sekundären Gallensäuren kann jedoch u. a. chronische Verdauungsstörungen (z. B. chologene Diarrhö) oder die Sporulation von C. difficile fördern.

Modulation des Immunsystems

Darmbakterien interagieren eng mit dem Immunsystem und helfen dabei die Immunantwort, wie Entzündungsprozesse, zu steuern. Dafür nutzen sie Signalmoleküle, z. B. Metabolite wie SCFA, oder stimulieren durch Bindung an Immunrezeptoren die Produktion von antimikrobiellen Peptiden und Zytokinen. Durch diese Mechanismen hilft das Mikrobiom eine Balance zwischen pro- und antiinflammatorischen Signalen aufrechtzuerhalten, wodurch es vor fehlregulierten Immunantworten und damit verbundenen Erkrankungen schützt.

Erhalt der Darmbarriere

Das Mikrobiom schützt durch mehrere Mechanismen vor der Überwucherung und dem Eindringen pathogener Mikroorganismen. Nützliche Bakterien besetzen ökologische Nischen im Darm, konkurrieren mit Krankheitserregern um Nährstoffe und Platz und verhindern so deren Wachstum. Sie produzieren antimikrobielle Substanzen wie Bakteriozine, H2O2 und SCFA, die Pathogene hemmen. Darüber hinaus regt die Mikrobiota die Schleimproduktion in Becherzellen und die Bildung von Tight Junctions an und liefert Energie für die Erneuerung der Darmepithelzellen. Zudem stimuliert das Mikrobiom die Produktion antimikrobieller Peptide (Defensine) und von sekretorischem Immunglobulin A (sIgA), die potenzielle Nahrungsantigene, Toxine und pathogene Mikroben neutralisieren – und trägt so zu einer starken Barrierefunktion des Darmepithels bei.

Unterstützung der Verdauung und Nährstoffaufnahme

Spezialisierte Darmbakterien sind für die Aufspaltung komplexer Kohlenhydrate und Ballaststoffe zuständig oder produzieren essenzielle Vitamine (Vitamin K und verschiedene B-Vitamine, z. B. Biotin, Folat, Vitamin B12). Durch diese vielfältigen Eigenschaften fördern sie die Aufnahme lebensnotwendiger Nährstoffe.

Definition eines funktionell gesunden Mikrobioms

Die Zusammensetzung des Mikrobioms ist ebenso individuell wie seine Widerstands- und Regenerationsfähigkeit (Resilienz) gegenüber äußeren Störfaktoren. Generell wird ein gesundes Mikrobiom jedoch als dynamisches, ausgewogenes und stabiles Ökosystem definiert, das sich flexibel an Einflüsse wie Ernährung, Lebensstil, körperliche Aktivität oder Stress anpassen kann und gleichzeitig seine metabolischen Funktionen effizient ausübt. Abweichungen von dieser Funktionalität (Dysbiose) werden mit zahlreichen Erkrankungen wie entzündlichen Darmerkrankungen, dem metabolischen Syndrom, aber auch neurologischen Störungen in Verbindung gebracht. Trotz der Fortschritte in der Mikrobiomforschung fehlen immer noch valide klinische Biomarker, um die Resilienz eines Mikrobioms oder um Dysbiosen diagnostisch und aussagekräftig bewerten zu können. Eine hohe mikrobielle Vielfalt scheint, wie in vielen Ökosystemen, in der Regel hilfreich zu sein. Denn mit ihr erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für funktionelle Redundanz im Mikrobiom und damit die Fähigkeit, für das physiologische Gleichgewicht essenzielle Funktionen selbst bei starken Störungen, wie etwa durch Antibiotika, aufrechtzuerhalten. Die Diversität kann bisher ebenfalls nicht klinisch valide gemessen werden, da keiner der Diversitätsindizes alle Aspekte der Realität abbildet und die Funktionalität des Mikrobioms unberücksichtigt bleibt. Ohne klare Verbindungen zu gesundheitlichen Parametern fehlt den Indizes die klinische Validierung und praktische Aussagekraft.

Unterschätzer Einfluss von Antibiotika

Das Mikrobiom biotransformiert Xenobiotika und produziert metabolische Endprodukte mit systemischen Effekten. Neuere Studien zeigen, dass Medikamente im Zusammenspiel mit dem Mikrobiom je nach funktionellem Zustand individuell unterschiedlich verstoffwechselt werden. Inzwischen ist bekannt, dass viele Medikamente, darunter Protonenpumpenhemmer (PPI), Metformin und nicht steroidale Antirheumatika (NSAR), das Mikrobiom signifikant beeinflussen können. Daher sollten bei vielen gängigen Medikamenten auch die möglichen Effekte auf das Mikrobiom beachtet werden. Besonders gut erforscht sind jedoch die Effekte von Antibiotika. Neben ihrer gewünschten Wirkung gegen Krankheitserreger können sie auch zum Verlust wichtiger physiologischer Bakterienarten beitragen und dadurch die menschliche Physiologie u. U. erheblich verändern. Studien bestätigen, dass eine einzige Antibiotikadosis auch bei gesunden Personen eine langfristige Störung des Mikrobioms hervorrufen kann, die mit dem Verlust funktioneller mikrobieller Stoffwechseleigenschaften einhergeht. Bei instabilen oder dysbiotischen Mikrobiomen, z. B. von Kindern oder kranken Personen, ist davon auszugehen, dass diese Effekte noch gravierender sein können.

Auswirkungen auf Zusammensetzung und Funktionalität

Phase 1: Akute Störung des Mikrobioms

Bereits mit der ersten Dosis eines Antibiotikums beginnt eine signifikante Reduktion der Alpha-Diversität des Darmmikrobioms (Anzahl der Arten und deren relative Häufigkeit). Deshalb haben auch kurze Antibiotikatherapien nachweislich tiefgreifende Auswirkungen auf das Mikrobiom. Diese Phase ist geprägt durch die schnelle Eliminierung antibiotikaempfindlicher Bakterien, während es zu einer Vermehrung resistenter oder weniger anfälliger Bakterienarten kommt, die die freigewordenen Nischen nutzen. In ungünstigen Fällen können das auch Krankheitserreger sein. Diese akute funktionelle Störung des Mikrobioms (akute Dysbiose) ist maßgeblich für viele antibiotikabedingte Nebenwirkungen verantwortlich, einschließlich Diarrhö und Pilzinfektionen.

Phase 2: Initiale Regeneration

Die menschliche Mikrobiota ist bemerkenswert resilient und strebt immer die Erhaltung oder Wiederherstellung eines homöostatischen Zustandes an, um seine Funktionalität zu sichern. Dies äußert sich in einer Phase der schnellen initialen Regeneration.

Phase 3: Individuelle Reaktionen

Studien belegen, dass die Regenerationszeit individuell stark variieren kann – von mehreren Wochen bis hin zu Jahren – und die individuelle Resilienz vermutlich stark von der Ausgangsstabilität des Mikrobioms und anderen Faktoren abhängig ist. Selbst resiliente Mikrobiome erreichen, nach der initialen Regeneration, meist nur eine annähernde Zusammensetzung wie zuvor – bleiben jedoch funktionell intakt. In einigen Fällen entwickelt sich, vermutlich dank funktioneller Redundanz, ein alternativ zusammengesetztes, aber ebenfalls funktionell stabiles Mikrobiom. Funktionelle Redundanz ist jedoch nicht unbegrenzt. Bei tiefgreifenden oder wiederholten Störungen oder einem bereits vorgeschädigten Mikrobiom kann die Resilienz überstrapaziert werden. Versagt die Resilienz, kann das Mikrobiom von alleine keinen funktionellen homöostatischen Zustand mehr herstellen. Dies begünstigt schwere Komplikationen wie C. difficile-Infektionen oder kann Krankheitsmanifestationen fördern, die nicht unmittelbar mit der Antibiose in Zusammenhang gebracht werden. Ein großer Teil der Mikrobiota ist für Stoffwechselfunktionen notwendig. Antibiotika können so indirekt verschiedene Stoffwechselprozesse im Körper beeinflussen, darunter:
  • Kohlenhydratstoffwechsel: Ein drastischer Verlust von Bakterien, die für den Abbau schwer verdaulicher Kohlenhydrate (sog. FODMAP) zuständig sind, kann zu einer Ansammlung osmotisch wirkender Moleküle im Dickdarm und zu einer verminderten SCFA-Produktion (wirken entzündungshemmend und sind wichtig für den Erhalt der Darmbarriere) führen.
  • Gallensäurestoffwechsel: Ein drastischer Verlust von Bakterien, die für den Umbau von primären in sekundäre Gallensäuren zuständig sind, kann das physiologische Gleichgewicht der Gallensäureanteile stören und Auswirkungen auf den Fettstoffwechsel haben oder zu Verdauungsbeschwerden führen.
  • Aminosäurenstoffwechsel: Bei Frühgeborenen, die Antibiotika erhielten, wurden reduzierte Expressionslevel intestinaler Neurotransmitter festgestellt.
  • Immunsystem: Antibiotikabedingte Veränderungen der Darmmikrobiota und deren Metaboliten können die Immunabwehr beeinträchtigen. Bakterielle SCFA binden u. a. an Rezeptoren von Monozyten und fördern so deren antibakterielle Aktivität. Ein Mangel an SCFA hemmt diese Signalwege, was die Immunabwehr schwächt und z. B. das Risiko für Sekundärinfektionen wie nosokomiale Pneumonien erhöhen kann.
  • Abhängig von der individuellen Ausgangssituation können Antibiotika also bereits in Phase 1 (akut) bis hin zu Phase 3 (also langfristig) tiefgreifende Auswirkungen auf verschiedene Stoffwechselfunktionen haben. Effekte können sich sofort in akuten Symptomen äußern, treten möglicherweise aber auch erst zeitlich verzögert oder gar nicht sofort offensichtlich auf.

Fazit

Aufgrund der interindividuellen Variabilität des Darmmikrobioms („mikrobieller Fingerabdruck“) ist es aktuell fast unmöglich vorherzusagen, wie das Mikrobiom eines bestimmten Patienten auf eine Antibiotikabehandlung reagieren wird. Kurz- oder langfristige Veränderungen im Mikrobiom führen nicht zwangsläufig gleich zu gesundheitlichen Problemen, doch das individuelle Risiko bleibt unvorhersehbar. Die mikrobielle Reaktion auf ein Antibiotikum ist sehr individuell und hängt neben der Antibiotikaklasse, Dauer und der Darreichungsform u. a. stark von der Ausgangsstabilität des Mikrobioms ab. Auch Resistenzgene, die bereits im Mikrobiom vorhanden sind, könnten ein Faktor sein, der die Anpassungsfähigkeit des Mikrobioms beeinflusst. Aktuell gibt es aber keine etablierten Methoden, um diese vor der Antibiotikagabe feststellen zu können, was die Vorhersage potenzieller Auswirkungen einer Antibiotikabehandlung erschwert. Sie wird jedoch von zahlreichen Faktoren beeinflusst, die sich möglicherweise im Rahmen einer Anamnese erfassen lassen:
  • Alter: Die Mikrobiome von Kindern und ältere Menschen (>65 Jahre) sind instabiler und daher potenziell anfälliger für Störungen durch Antibiotika.
  • Erkrankungen können die Resilienz des Mikrobioms beeinträchtigen.
  • Wiederholte Antibiotikabehandlungen können das Mikrobiom anfälliger machen und die Erholung verlangsamen.
CAVE: Darmfloraanalysen werden aktuell nicht empfohlen, da die Methodik weder ausreichend tiefgehend noch standardisiert ist und eine klinische Interpretation der Ergebnisse herausfordernd macht.

Mythos: Schmales Spektrum hat weniger Einfluss auf das Mikrobiom

Nicht alle Antibiotika wirken gleich stark auf das Mikrobiom. Den größten Impact haben:
  • Breitbandantibiotika und die Verabreichung mehrerer Antibiotika
  • Bakterizide Antibiotika
  • Nicht resorbierende Antibiotika
Aber auch Schmalspektrumantibiotika, wie Penicillin G/V, Clindamycin oder Metronidazol können das Mikrobiom nachhaltig stören – ein Blick in die Beipackzettel genügt. Trotz ihrer gezielten Wirkung dezimieren sie innerhalb ihres Wirkspektrums oft auch physiologisch wichtige Bakterien, wodurch Funktionsverluste entstehen können, die durch funktionelle Redundanz nicht ausreichend kompensiert werden. Dies begünstigt Nebenwirkungen wie antibiotikabedingte Diarrhöen, Pilzinfektionen oder Kolitiden.

Auswirkungen auf Resistom

Sowohl physiologische als auch pathogene Bakterien im Darm dienen als Reservoir für Antibiotikaresistenzgene (ARG), und damit spielt das Mikrobiom eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Verbreitung von Antibiotikaresistenzen. Diese Gene existieren seit Langem; Untersuchungen an 30.000 Jahre altem Permafrostboden haben gezeigt, dass Gene für Resistenzen gegen Glykopeptide, ß-Laktame und Tetracycline lange vor der klinischen Anwendung existierten. ARG verleihen Bakterien, egal in welchem Ökosystem, einen Überlebensvorteil, indem sie ihnen helfen, Angriffen durch antibiotikaproduzierende Organismen zu widerstehen (z. B. Konkurrenten, Pflanzen, Pilze). Daher finden sich ARG auch im Mikrobiom gesunder Menschen. Die Aufnahme von ARG beginnt nach der Geburt, wenn Säuglinge mit ARG-tragenden Bakterien besiedelt werden. Die Ansammlung wird dann durch die Muttermilch und die zunehmende bakterielle Besiedlung gefördert. Dass auch physiologische Bakterien Resistenzmechanismen haben, trägt zur Resilienz und zum Schutz der Stoffwechselfunktionen während einer Antibiose bei. Das Mikrobiom passt sich sozusagen an die Behandlung an und kann ihr besser standhalten. Die Gesamtheit aller Antibiotikaresistenzgene innerhalb eines Mikrobioms wird als Resistom bezeichnet, das ebenso individuell ist wie das Mikrobiom selbst.

Gelebte Evolution: So entwickeln sich Antibiotikaresistenzen

Die Entwicklung und Verbreitung einer mikrobiellen Antibiotikaresistenz ist ein ernstes Problem, da bisher zuverlässige Antibiotika heute oft versagen. Durch die Einnahme von Antibiotika steigt der Selektionsdruck, sodass vermehrt die unempfindlichen und resistenten Bakterien überleben und die freigewordenen Nischen nutzen. ARG können dann unter den verbliebenen Bakterien weitervererbt oder relevanter: an andere Spezies weitergeben werden. Mechanismen der Resistenzverbreitung:
  • Vertikaler Gentransfer: Resistenzmechanismen, oft natürliche Fähigkeiten, entstehen meist durch zufällige Mutationen im Chromosom, unabhängig von vorheriger Antibiotikaexposition (intrinsische Resistenz) und werden von einer Generation zur nächsten vererbt. Beispiel: Gramnegative Bakterien sind oft resistent gegen Penicilline, da diese die Zellmembran nicht durchdringen können oder durch Effluxpumpen aus der Zelle transportiert werden.
  • Horizontaler Gentransfer: Austausch von genetischem Material zwischen Bakterien­zellen, unabhängig vom Verwandtschaftsgrad. Dies erfolgt durch Transformation, Transduktion oder konjugierende Plasmide. Auf einem Plasmid können auch mehrere verschiedene Resistenzgene liegen (Multiresistenzen). Dadurch können sich auch Resistenzen anreichern, die nicht direkt mit dem eingesetzten Antibiotikum zusammenhängen.
Horizontaler Gentransfer ist die Hauptursache für die rasche Ausbreitung von Resistenzen in der medizinischen Versorgung. Signifikante Anstiege der ARG sind bereits nach wenigen Tagen einer Antibiotikagabe festzustellen. Chromosomal kodierte (also vererbte) ARG sind bereits etwa einen Monat nach Abschluss einer Antibiose weniger nachweisbar, während horizontal übertragbare ARG über Jahre im Mikrobiom persistieren.

Klinische Konsequenzen von Mikrobiomstörungen durch Antibiotika

Wird das Darmmikrobiom Antibiotika ausgesetzt, können die Veränderungen Wochen bis Jahre anhalten. Der Verlust empfindlicher und das Wachstum resistenter Bakterien stören meist akut die Stoffwechselfunktionen und die Kolonisierungsresistenz, was die Darmbarriere schwächt (z. B. verringerte Schleimproduktion, erhöhte Durchlässigkeit). Dies erleichtert nicht nur das Eindringen von Krankheitserregern, sondern auch die Induktion von Entzündungsreaktionen sowie Darm- oder systemische Pathologien. Eine Reihe von gastrointestinalen Nebenwirkungen von Antibiotika gehen darauf zurück. Diese werden häufig toleriert oder von den Patienten nicht gemeldet, da sie durch die Krankheit maskiert werden oder manchmal auch erst weit nach Behandlungsende auftreten. Störungen des Mikrobioms müssen sich auch nicht immer unmittelbar in Symptomen äußern. Unter Umständen können diese Veränderungen aber chronische Infektionen oder Erkrankungen begünstigen, die dann oft nicht mehr direkt mit der Antibiose in Verbindung gebracht werden.

Kurz- und mittelfristige Folgen

Antibiotikaassoziierte Diarrhö

Ein Blick in die Beipackzettel zeigt: Diarrhö ist eine häufige Nebenwirkung, die durch jedes Antibiotikum ausgelöst werden kann. Studien berichten von einer Inzidenz zwischen 5 bis 39 %, abhängig von der Behandlung und von individuellen Risikofaktoren. Die Diarrhö ist nicht infektiös bedingt, sondern entsteht durch einen drastischen Verlust funk­tionell relevanter Bakterien, was akute Störungen von Stoffwechsel­prozessen auslösen kann. Dies kann u. a. zu vermehrtem Wassereinstrom in den Darm und damit zu osmotischen Diarrhöen führen. Die antibiotikaassoziierte Diarrhö (AAD) kann während der Antibiotikabehandlung oder bis zu acht Wochen verzögert auftreten. Sehr junge und ältere Menschen sind häufiger betroffen, es gibt jedoch kaum bekannte Risikofaktoren, die vorhersagen, welcher Patient eine AAD entwickelt – vermutlich auch aufgrund hochindividueller Ausgangssituationen.

Sekundärinfektion mit Clostridioides difficile

Die fakultativ pathogene Bakteriumspezies Clostridioides (früher Clostridium) difficile ist bei etwa 5 bis 30 % der gesunden Kinder und Erwachsenen als Teil der Darmflora zu finden. Normalerweise wird die Ausbreitung von C. difficile durch die Konkurrenz mit anderen Bakterien und durch das darmassoziierte Immunsystem kontrolliert. Antibiotika können jedoch Nischen im Darmmikrobiom schaffen, die C. difficile ermöglichen, sich ungehindert zu vermehren, da klinische Varianten selbst gegen eine Vielzahl von Antibiotika resistent sind. Virulente Varianten produzieren zudem die Toxine Enterotoxin A und Cytotoxin B, die Darmepithelzellen schädigen und wässrige Diarrhöen mit fauligem Geruch verursachen (mindestens drei Stuhlgänge pro Tag für zwei oder mehr Tage). Hochvirulente Stämme, wie der Ribotyp 027, produzieren höhere Mengen dieser Toxine sowie zusätzlich ein binäres Toxin. Das klinische Bild einer C. difficile-Infektion ist sehr variabel: vom asymptomatischen Trägerstatus über verschieden stark ausgeprägte Diarrhöen bis zu sehr schweren Verläufen (krampfartige Schmerzen, Fieber, blutige Diarrhö, Bildung einer Pseudomembran, toxisches Megakolon). Erste Symptome treten meist innerhalb weniger Tage auf. Allerdings kann sich eine C. difficile­Infektion auch erst bis zu drei Monate nach Abschluss einer Antibiotikatherapie entwickeln. Studien zufolge werden etwa 15 bis 20 % der mit Antibiotikagabe in Zusammenhang stehenden Diarrhöen von C. difficile verursacht. Zu den wichtigsten Risikofaktoren für eine C. difficile-Infektion zählen:
  • Antibiose: Nahezu jedes Antibiotikum kann das Risiko für eine C. difficile-Infektion erhöhen. Besonders häufig sind Clindamycin, Breitbandpenicilline, Cephalosporine und Fluorchinolone beteiligt. Auch die Kombination mehrerer Antibiotika und ein längerer oder wiederholter Einsatz erhöhen das Risiko.
  • ≥65 Jahre: Ein fortgeschrittenes Alter gilt zudem als Risikofaktor, der mit einer erhöhten Mortalität durch C. difficile assoziiert ist.
  • Protonenpumpenhemmer (PPI)
  • Komorbiditäten: u. a. Infektionen, Nieren- und Lebererkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Darmentzündungen (z. B. CED, Divertikulitis), Diabetes, Anämie, Flüssigkeits- und Elektrolytstörungen sowie Gerinnungsstörungen und Immunsuppression.
  • Längerer Aufenthalte im Krankenhaus oder in geriatrischen Pflegeeinrichtungenxxxxx
In den vergangenen Jahren wurde in Deutschland vermehrt auch von C. difficile-Infektionen berichtet, die unabhängig von diesen Risikofaktoren auftraten. Als Ursachen kommen u. a. kontaminierte Lebensmittel in Betracht.

C. difficile – Hygienerisiko und Kostenfalle in Gesundheitseinrichtungen

Gängige Desinfektionsmittel wirken nicht gegen C. difficile-Sporen, was ihm einen Selektionsvorteil verschafft. Besonders hochvirulente Stämme sind häufig in Krankenhäusern zu finden. Über infizierte Personen können Oberflächen kontaminiert und durch Kontakt auf andere Menschen übertragen werden. Die wirtschaftlichen Herausforderungen, die damit für Kliniken einhergehen, sind erheblich. Ein einzelner Fall verursacht für eine Klinik durchschnittlich Kosten von bis zu ca. 30.000 €, die zum großen Teil ungedeckt sind. Diese Mehrkosten resultieren vor allem aus verlängerten Krankenhausaufenthalten, speziellen Therapien und verstärkten Hygienemaßnahmen. Hochgerechnet auf die knapp 90.000 stationären Patienten mit dieser Diagnose in Deutschland, entstehen dem Gesundheitssystem geschätzte jährliche Mehrkosten von etwa 1,6 Mrd. €.

Fakten

Immer mehr ambulante Fälle

C. difficile-Infektionen stellen in Deutschland weiterhin ein ernstes Gesundheitsproblem dar. Besonders herausfordernd sind schwere Verlaufsformen, hohe Therapiekosten und häufige Rezidive, die mit höheren Kosten und erhöhter Morbidität einhergehen. Entgegen der weitläufigen Meinung sind C. difficile-Infektionen nicht nur ein Problem in Krankenhäusern, sondern treten auch zunehmend im ambulanten Bereich auf. Surveillance-Daten aus deutschen Kliniken zeigen, dass 2023 ca. 42 % der Fälle in die Kliniken mitgebracht wurden.

Sekundärinfektion mit Candida albicans

Eine durch Antibiotika verursachte Dysbiose kann komplexe Folgen haben und nicht nur das intestinale Mikrobiom, sondern auch Mikrobiome anderer Körperbereiche beeinflussen. Sekundärinfektionen mit Candida-Hefen, insbesondere C. albicans (Candidosen), können von oberflächlichen Schleimhautinfektionen, wie Vulvovaginalcandidose und oralem Soor, bis hin zu lebensbedrohlichen systemischen Infektionen wie Candidämie reichen. Ob eine Candida-Besiedlung symptomlos bleibt oder zu einer Infektion führt, hängt dabei – wie bei C. difficile – von der Balance zwischen dem Erreger, Mikrobiom und dem Immunsystem ab. Die Wahrscheinlichkeit für eine vaginale Candidose durch Antibiotika liegt bei bis zu 35 %, was bedeutet, dass ungefähr jede dritte Frau betroffen sein kann. In den ersten drei Wochen ist das Risiko signifikant erhöht, mit einem Höhepunkt in der zweiten Woche, in der das Risiko mehr als zehnfach ansteigt. Weitere Faktoren, die das Risiko erhöhen, sind u. a.:
  • Individuelle Ausgangsfunktionalität des Mikrobioms und Immunsystems
  • Diabetes mellitus
  • Einnahme von hormonellen Verhütungsmitteln oder Kortikosteroiden

Langfristige Folgen

Antibiotikaresistenzen: Die „stille“ Pandemie

Antibiotika üben einen erheblichen Selektionsdruck auf die mikrobielle Gemeinschaft aus. Neben einer Dysbiose begünstigt dies das Wachstum resistenter Bakterien, die die Darmflora dominieren können. Jede Antibiotikabehandlung trägt so zu einer weiteren Anreicherung von ARG im Mikrobiom bei.
  • Der Anteil antibiotikaresistenter Erreger hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen und stellt eine erhebliche Herausforderung für das deutsche Gesundheitswesen dar.
  • Besorgniserregende Zunahme multiresistenter Erreger (MRE).
  • In Deutschland gibt es jährlich geschätzt bis zu 600.000 nosokomiale Infektionen, von denen ca. 54.500 Menschen an Infektionen durch MRE erkranken.
  • Jährlich sind es 45.700 Todesfälle, die im Zusammenhang mit resistenten Keimen stehen, und weitere 9.650, die direkt darauf zurückzuführen sind. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 gab es 2.839 Verkehrstote.
Zu den häufigsten Todesfolgen durch Antibiotikaresistenzen zählen weltweit Infektionen der unteren Atemwege, Sepsis und intraabdominelle Infektionen.

Fakten

Immer mehr Resistenzen im ambulanten Bereich

Hohen Selektionsdruck findet man besonders im stationären Bereich. Antibiotikaresistenzen sind aber auch in der Ambulanz zunehmend ein Problem. Etwa drei Viertel der niedergelassenen Ärzte in Deutschland haben bereits Erfahrung mit MRE gemacht. Eine Hauptursache für die Resistenzzunahme ist der irrationale und übermäßige Einsatz von Antibiotika. Aber auch andere Faktoren spielen eine Rolle:
  • Reisen und Migration: Resistente Bakterien kennen keine Landesgrenzen. Durch den weltweiten Personenverkehr und Flüchtlingsbewegungen können sie sich rasch über große Entfernungen verbreiten.
  • Unzureichende Hygiene und Infektionsprävention: Schätzungen zufolge könnten 20 bis 30 % aller infektionsbedingten Todesfälle durch konsequentere Einhaltung stationärer Hygieneregeln vermieden werden.
  • Massentierhaltung: Antibiotika zur Wachstumsförderung und Krankheitsprophylaxe tragen ebenfalls zur Resistenzentwicklung bei.

Chronische Erkrankungen

Studien deuten auf eine mögliche Assoziation zwischen wiederholtem Antibiotikaeinsatz und einem erhöhten Risiko für Erkrankungen wie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Reizdarmsyndrom oder Typ-2-Diabetes hin. Zentrale Mechanismen dahinter könnten chronischen Entzündungen sein, die durch eine Dysbiose und deren möglichen Folgen (veränderte Genexpression, durchlässigere Darmbarriere, Bildung von Biofilmen sowie Probleme in der Immunregulation) entstehen. Diese Beobachtungen betonen die Bedeutung eines gezielten und verantwortungsvollen Einsatzes von Antibiotika, um mögliche unerwünschte Langzeiteffekte zu minimieren, insbesondere bei wiederholten oder längeren Anwendungen.

Auswirkungen auf die Mikrobiota-Immunhomöostase im frühen Leben

Die Darmmikrobiota ist entscheidend für die Reifung des kindlichen Immunsystems. In den ersten drei Lebensjahren ist ihre Resilienz noch gering, wodurch Antibiotika das Zusammenspiel mit dem Immunsystem empfindlich stören und das Risiko für spätere Erkrankungen erhöhen, z. B. für:
  • Asthma
  • Neurodermitis
  • Diabetes
  • Zöliakie
  • Chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED)
  • Psychische Störungen
Alarmierend ist, dass Kinder in Deutschland noch sehr häufig mit Breitbandantibiotika behandelt werden und dass fast 65 % der Frauen während Schwangerschaft und Geburt Antibiotika erhalten. Denn erste Untersuchungen legen nahe, dass auch das mütterliche Mikrobiom das Immunsystem des Fötus und das Risiko für spätere Allergien und Asthma womöglich beeinflussen kann. Diese hohe Exposition unterstreicht die Notwendigkeit von ABS-Programmen in der Pädiatrie und Perinatalmedizin, um den Antibiotikaeinsatz zu optimieren und unerwünschte Folgen zu minimieren.

Antibiotika: Strategien für die Hausarztpraxis

Der Einsatz von Antibiotika kann also mehrere Herausforderungen für die Praxis mitbringen. Leider existieren im ambulanten Bereich bislang keine strukturierten ABS-Programme, wie sie im stationären Bereich etabliert sind. Ein sorgfältiger und verantwortungsvoller Umgang im ambulanten Bereich ist daher essenziell, um den Einfluss auf das Mikrobiom der Patienten und das Risiko für Nebenwirkungen gering zu halten. In diesem Kapitel werden praxisnahe Strategien vorgestellt, die dabei helfen können, Antibiotika rational zu verschreiben und gleichzeitig das Mikrobiom der Patienten zu schützen.

Sachgerechte und rationale Antibiotikaverwendung

Schätzungen zufolge sind etwa 30 bis 50 % aller Antibiotikaverschreibungen in der Medizin unnötig, und Umfragen bei niedergelassenen Ärzten zeigen, dass ca. 60 % schon einmal Antibiotika verschrieben haben, obwohl sie dies lieber vermieden hätten. Die wesentlichen Gründe dafür sind:
  • Angst vor Verschlechterung oder Komplikationen
  • Unsicherheit bei der Diagnose
  • Zeitmangel um zu erklären, dass ein Antibiotikum zunächst nicht notwendig ist und Patienten bei Verschlechterung der Symptome erneut vorstellig werden sollen.
  • Der Wunsch, die Patientenbeziehung zu erhalten: Einige Patienten fordern ein Antibiotikum zwar sehr energisch ein. Eine aktuelle deutsche Studie zeigt jedoch, dass die meisten Patienten seltener ein Antibiotikum erwarten, als Ärzte annehmen. Stattdessen wünschen sie sich in der Regel eher Informationen oder eine Rückversicherung – Aspekte, die nachweislich stärker mit der Patientenzufriedenheit verknüpft sind als die Verschreibung eines Antibiotikums. Viele Verordnungen könnten daher möglicherweise aufgrund eines gefühlten Druckes beruhen, der die tatsächlichen Erwartungen der Patienten nicht widerspiegelt.
Antibiotika sollten immer als wertvolle, nicht erneuerbare Ressourcen betrachtet werden, deren Einsatz sorgfältig abgewogen werden muss. Der potenzielle Nutzen muss gegen das Risiko kurz- und langfristiger Folgen abgewogen werden. Sie sollten also nur bei klarer Indikation eingesetzt und sorgsam ausgewählt werden. Um Antibiotika verantwortungsvoll zu verschreiben, können sich Ärzte bei jeder Verordnung folgende Fragen stellen:

1. Frage: Ist eine Antibiotikagabe überhaupt nötig?

Die effektivste Methode zur Verhinderung der Verbreitung von Antibiotikaresistenzen ist der Verzicht auf unnötige Antibiotikaverschreibungen. Vor allem bei akuten Atemwegs- (AWI) und Harnwegsinfekten (HWI) – den häufigsten Gründen für Antibiotikaverordnungen in der ambulanten Praxis – gibt es klare Leitlinien:

Leitlinienempfehlungen

HWI: Die Diagnose einer HWI und die Indikation zu einer Antibiotikatherapie sollen kritisch gestellt werden, um unnötige Therapien und Resistenzentwicklungen zu vermeiden. Eine asymptomatische Bakteriurie sollte nicht antibiotisch behandelt werden. Bei akuten, unkomplizierten Zystitiden sollte bei nicht geriatrischen Patienten erwogen werden, ohne Antibiotika zu behandeln. Der Patient sollte in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. HNO: Die Indikation für eine Antibiotikatherapie soll kritisch gestellt werden, unter individueller Abwägung eines ggf. geringen Nutzens (verkürzter Krankheitsverlauf, Vermeidung seltener Komplikationen) und möglicher Risiken (Nebenwirkungen, Resistenzentwicklung, Kosten). Leichte akute bakterielle Infektionen bei immunkompetenten Patienten sollten in der Regel nicht antibiotisch behandelt werden. Zur Minimierung des Selektionsdruckes ist ein Antibiotikum mit schmalem Wirkspektrum zu wählen und die empfohlene Therapiedauer strikt einzuhalten.

Praxistipps

  • Wenn möglich auf Antibiotika verzichten: Im ambulanten Bereich können laut Leitlinien viele gängige Erkrankungen oft primär ohne Antibiotika behandelt werden, sofern die Patienten ansonsten gesund sind, nur eine milde oder bereits besser werdende Symptomatik aufweisen und kein Nachweis bzw. hochgradiger Verdacht auf Erreger wie A-Streptokokken besteht.
  • In unklaren Fällen kann eine verzögerte Verschreibung sinnvoll sein, bei der ein Rezept nur bei einer Verschlechterung der Symptome eingelöst wird.
  • Erste Wahl – so schmal wie möglich, so breit wie nötig: In Fällen, die eine antibiotische Therapie erfordern, sind Penicillin V oder Aminopenicilline wie Amoxicillin vielfach ausreichend.
  • Penicillinallergie – hinterfragen statt ausweichen: Studien zeigen, dass der Großteil der Patienten, die eine Penicillinallergie angeben, keine echte Allergie haben. Ihre Einschätzung beruht meist auf antibiotikabedingten Nebenwirkungen (Magen-Darm-Beschwerden, Juckreiz). Dies hat u. a. einen großen Einfluss auf die Behandlungsqualität sowie die Kosten für die Allgemeinheit. Ärzte sollten diese Angaben kritischer hinterfragen, um unnötiges Ausweichen auf 2. Wahl- und Reserveantibiotika zu vermeiden. Um eine in der Krankenakte vermerkte Penicillinallergie zu entfernen, wäre eine allergologische Abklärung empfehlenswert.
2. Frage: Ist ein Cephalosporin, Makrolid oder Clindamycin wirklich notwendig? Neben tatsächlichen Reserveantibiotika werden in Deutschland auch bestimmte Antibiotika mit ungünstigem Nebenwirkungsprofil und/oder problematischer Resistenzentwicklung als bedenklich eingestuft. Sie sollten in der ambulanten Versorgung möglichst nicht als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden. Dennoch zeigen Daten, dass Cephalosporine (insbesondere Cefuroxim), Makrolide und Clindamycin weiterhin häufig verschrieben werden – entgegen den Leitlinien, die ihren Einsatz auf schwere Infektionen oder spezifische Alternativfälle beschränken. Eine sorgfältige Abwägung ist daher unerlässlich, um sowohl das Mikrobiom als auch das Resistom zu schonen.

CAVE:

  • Cefuroxim: Oral-Cephalosporine werden zwar sehr häufig verordnet, sind jedoch in keiner deutschen Leitlinie als Mittel der ersten Wahl für unkomplizierte Infektionen empfohlen und sollten daher im ambulanten Bereich vermieden werden. Durch die stark eingeschränkte orale Bioverfügbarkeit (ca. 40 %) werden oft keine ausreichenden Wirkspiegel erreicht, was die Resistenzentwicklung fördert. Für die meisten ambulanten Indikationen gibt es bessere Alternativen mit schmalerem Wirkspektrum und besserer Bioverfügbarkeit.
  • Makrolide: Die Verschreibungen von Makroliden, obwohl rückläufig, sind ambulant weiterhin auf weit oben. Ihre Stärke liegt jedoch v. a. in der Wirksamkeit gegen atypische Keime wie Chlamydien, Legionellen und Mykoplasmen, als Alternativpräparat bei Penicillinallergien oder speziellen Fällen wie Pertussis.
  • Clindamycin wird in der Zahnmedizin mit 56 % der Verordnungen am häufigsten eingesetzt, birgt jedoch, trotz schmalem Wirkspektrum, ein erhöhtes Risiko für C. difficile-Infektionen und weist eine problematische Resistenzlage auf. Daher empfiehlt die Leitlinie für odontogene Infektionen, Clindamycin als First-Line-Antibiotikum in der Ambulanz zu vermeiden und nur bei Penicillinallergien einzusetzen. Alternativ sollte auf ebenfalls effektive, aber besser verträgliche Antibiotika wie Penicillin oder Amoxicillin, ggf. in Kombination mit BLI, zurückgegriffen werden.
  • Fosfomycin ist aufgrund der Einmalgabe bei Zystitiden beliebt. Trotz guter Resistenzlage ist der Einsatz des bakterizid wirkenden Breitbandantibiotikums bei unkomplizierten Infek­tionen umstritten, da es oral eine geringe Bioverfügbarkeit hat (ca. 40 %) und i. v. als Reserveantibiotikum für schwere Infektionen dient. In Leitlinien steht es alphabetisch an erster Stelle, jedoch ohne Priorisierung. Schmalspektrumantibiotika wie Pivmecillinam gelten laut Daten sogar als besser geeignet.

Mikrobiom-Modulation zur Vermeidung von Dysbiose-bedingten Begleiterscheinungen während einer Antibiose

In der Praxis sind nicht nur ABS-Programme und die Reduktion unnötiger Verordnungen von Bedeutung, Ärzte sollten sich auch der möglichen Wechselwirkung zwischen Antibiotika, Mikrobiom und den möglichen Störungen des Stoffwechsels, des Immunsystems und der Verdauung bewusst sein. Zudem sollten Mikrobiom-stabilisierende Strategien zur Minimierung negativer kurz-, aber auch langfristiger Effekte Beachtung finden.

Ernährung

Unsere Ernährung hat enormen Einfluss auf die Struktur und Funktionalität des Mikrobioms. Ihr Einfluss während und nach einer Antibiose ist jedoch kaum untersucht.

Probiotika

Die derzeit vielversprechendste Strategie für die Stabilisierung des Mikrobioms während einer Antibiose sind evidenzbasierte Probiotika. Unterschiedliche Ausgangszustände und Reaktionen des Mikrobioms auf Antibiotika erschweren es jedoch, die individuellen Effekte vorherzusagen, und erklären u. a. auch, warum manche Probiotika in Studien nicht immer einen klaren Nutzen gezeigt haben. Einige probiotische Bakterienstämme oder -kombinationen sind zudem effektiver als andere, was die Bedeutung einer präzisen Auswahl und Dosierung der Probiotika in der klinischen Praxis unterstreicht. Cochrane-Analysen bestätigen, dass bestimmte probiotische Stämme die Inzidenz und Dauer von AAD und C. difficile-assoziierter Diarrhö (CDAD) signifikant reduzieren können. Die World Gastroenterology Organisation (WGO) betont daher den Einsatz von evidenzbasierten Probiotika, deren Wirksamkeit durch klinische Studien belegt ist.

Fakten

Wichtige Aspekte zur Auswahl und Anwendung von Probiotika

  • Stammspezifität: Die Wirksamkeit von Probiotika ist stammabhängig, d. h. viele Eigenschaften eines Stammes lassen sich nicht auf andere übertragen, weshalb eine präzise Zuordnung entscheidend ist.
  • Therapiebeginn: Geeignete Probiotika sollten ab dem ersten Tag der Antibiotikabehandlung verabreicht werden, um die Mikrobiota frühzeitig zu stabilisieren und die Kolonisation pathogener Keime effektiv zu verhindern.
  • Resistenzen: Seriöse Hersteller wählen probiotische Stämme aus, die nachweislich keine übertragbaren Resistenzgene aufweisen und laut europäischer Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als sicher gelten.

Hat Joghurt eine probiotische Wirkung?

Naturjoghurt wird wegen seiner verdauungsfördernden Eigenschaften geschätzt. Industriell hergestellte Joghurts unterscheiden sich jedoch erheblich von hochwertigen, evidenzbasierten Probiotika, die für die Bedürfnisse von bestimmten Patientengruppen entwickelt und klinisch validiert wurden. Bei der Joghurtproduktion werden industrielle Hochleistungsstämme von Streptococcus thermophilus und Lactobacillus bulgaricus eingesetzt, die v. a. zur Verbesserung der Ausbeute und Textur gezüchtet wurden. Jedoch nicht, um den sauren Bedingungen im Magen standzuhalten oder gesundheitlich vorteilhafte Eigenschaften mitzubringen. Deshalb enthalten evidenzbasierte Probiotika nur speziell ausgewählte überlebensfähige Bakterienstämme, die in einer validierten Dosierung nachweislich gesundheitliche Vorteile bieten.

Probiotika zur Prophylaxe von antibiotikabedingten Dysbiosen

Aktuelle Metaanalysen zeigen für Probiotika eine signifikante, aber stammspezifische Reduktion der AAD-Inzidenz bei Kindern, Erwachsenen und älteren Menschen. Die WGO-Guideline hebt z. B. eine spezifische Bakterienkombination aus Lactobacillus acidophilus NCFM®, L. paracasei Lpc-37™, Bifidobacterium lactis Bi-07™ und B. lactis Bl-04™ hervor. Mehrere Studien haben gezeigt, dass diese spezifische Kombination das Mikrobiom während einer Antibiotikatherapie stabilisiert, eine schnellere Regeneration fördert und so auch antibiotikabedingte Nebenwirkungen reduziert: Stabilisierung des Mikrobioms und schnellere Regeneration:
  • Die Einnahme des Probiotikums ermöglichte im Vergleich zum Placebo einen Erhalt der Mikrobiotazusammensetzung während der Antibiotikabehandlung.
  • Die vier Bakterienstämme können nützliche Bakteriengattungen fördern und so die Butyratproduktion stimulieren, was entzündungshemmend wirkt und die Darmbarriere stärkt. Zudem reduziert das Probiotikum die Produktion ungünstiger Metaboliten (z. B. verzweigtkettige Fettsäuren, Ammonium) signifikant.
  • Durch die Stabilisierung der Mikrobiota kann sich das Mikrobiom nach der Antibiose schneller regenerieren. Dies soll das Risiko für Funktionsstörungen, für die Vermehrung pathogener Bakterien und für Langzeitfolgen wie Reizdarmsyndrom reduzieren.

Weniger antibiotikabedingte Nebenwirkungen:

  • Eine placebokontrollierte Studie mit 503 Patienten zeigte, dass die Einnahme des Probiotikums (17x109 KBE/Tag, ab dem ersten Tag der Antibiose) das Auftreten von AAD signifikant reduzierte.
  • Zudem kam es zu einer signifikanten Verringerung anderer antibiotikabedingter Nebenwirkungen wie Blähungen, Bauchkrämpfe und Übelkeit.

Prophylaxe statt „Darmaufbau“?

Auch wenn der positive Effekt nicht bei jedem Patienten unmittelbar sichtbar wird, können ausgewählte evidenzbasierte Probiotika also sinnvoll sein, um das Mikrobiom zu stabilisieren und potenzielle Langzeitfolgen vorzubeugen. Es gibt keine Studien, die den Wiederaufbau eines "gesunden" Mikrobioms nach einer Antibiose nachweisen, da es schwierig ist, ein gesundes Mikrobiom eindeutig zu definieren und somit kein klares Studienziel definiert werden kann. Stattdessen liegt der Fokus in der Praxis auf der Prophylaxe: Durch die frühzeitige Verabreichung von ausgewählten Probiotika ab Beginn der Antibiotikatherapie wird das Mikrobiom bestmöglich stabilisiert und damit u. a. die Kolonisation durch pathogene Keime verhindert.

Probiotika zur Prophylaxe von C. difficile-Infektionen

Zur Prophylaxe von C. difficile-Infektionen wird in kanadischen Kliniken seit über 20 Jahren erfolgreich die Kombination aus Lactobacillus acidophilus CL1285, L. casei LBC80R und L. rhamnosus CLR2 eingesetzt und durch Langzeitstudien begleitet. Besonders Patienten, die einem oder mehreren Hochrisikoantibiotika ausgesetzt sind, eingeschlossen Chemotherapie- und Intensivpatienten, profitieren von der Probiotikaprophylaxe. Die Integration des Probiotikums in den klinischen Alltag basiert auf einer placebokontrollierten Studie, die eine signifikante und dosisabhängige Reduktion der CDAD-Inzidenz zeigte. Bei einer Dosierung von 10x1010 KBE/Tag ab dem ersten Tag der Antibiotikabehandlung konnte eine Reduktion um 95 % erreicht werden. In vitro-Studien zeigen, dass diese 3 Bakterienstämme vermutlich u. a. durch aktive Wachstumshemmung und Verringerung der Toxinproduktion zur Reduzierung der C. difficile-Virulenz beitragen.

Wirtschaftlichkeit:

Eine Wirtschaftlichkeitsanalyse zeigt, dass der prophylaktische Einsatz dieses spezifischen Probiotikums im stationären Bereich erhebliche Kosteneinsparungen ermöglichen kann. Angesichts der hohen ungeplanten Kosten eines C. difficile-Falles übersteigen die Einsparungen durch die Reduktion des Risikos die Anschaffungskosten des Probiotikums bei Weitem.

Fäkaler Mikrobiomtransfer (FMT)

Ist „das Kind bereits in den Brunnen gefallen“, d. h. konnte eine C. difficile-Infektion trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nicht verhindert werden, kommt es bei bis zu 65 % der Patienten im Verlauf zu mehrfachen Rezidiven. In diesen Fällen bietet der FMT eine vielversprechende Möglichkeit, das gestörte intestinale Mikrobiom wiederherzustellen. Die Heilungsraten durch einen FMT liegen bei über 80 %. In Deutschland kann er – nach Ausschöpfung aller anderen Behandlungsoptionen – im Rahmen von klinischen Studien oder als individueller Heilversuch durchgeführt werden

Rolle von Probiotika bei der Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen

Das Mikrobiom wird als Reservoir für ARG betrachtet, die zwischen physiologischen und pathogenen Bakterien übertragen werden können. Daher wird zunehmend erforscht, ob ausgewählte Probiotika das Potenzial haben, durch die Kolonisationshemmung multi­resistenter Erreger nicht nur die Funktionalität und Resilienz des Mikrobioms wiederherzustellen, sondern auch die Ausbreitung von ARG zu verlangsamen. Dieses Konzept wird bereits erfolgreich in der Massentierzucht eingesetzt, um Antibiotika zu reduzieren und die Krankheitsresistenz und die Leistung der Tiere zu verbessern. Erste Humanstudien zeigten bereits, dass bestimmte probiotische Stämme Vancomycin-resistente Enterokokken und Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) dekolonisieren können. In einer weiteren Studie konnte die Gabe eines Probiotikums die Menge der ARG bei Antibiosepatienten tatsächlich signifikant reduzieren. Diese Ergebnisse eröffnen vielversprechende Perspektiven für den Einsatz ausgewählter probiotischer Strategien, um sowohl die Resistenzproblematik bei Menschen als auch in der Tierhaltung nachhaltig zu adressieren.

Fazit

  • Jede unnötige Antibiotikaverschreibung kann zur Selektion von Resistenzen und zur Schädigung des Mikrobioms führen, unabhängig vom Wirkspektrum oder der Einnahmedauer.
  • Der Einsatz von Antibiotika fördert die Entstehung und Verbreitung resistenter Bakterienstämme. Es ist wichtig, Antibiotika nur bei klarer Indikation zu verschreiben.
  • Die Verordnungszahlen sind rückläufig, doch es besteht weiterhin Verbesserungspotenzial in der Wahl des Antibiotikums, insbesondere bei Kindern. Breitbandantibiotika sollten ambulant vermieden und nicht als erste Wahl eingesetzt werden.
  • Ein gesundes Mikrobiom unterstützt das Immunsystem, schützt vor Infektionen und spielt eine Rolle bei der Verdauung und der Nährstoffaufnahme.
  • Antibiotika können die komplexe Mikrobiotagemeinschaft stark beeinträchtigen, was zur Dysbiose und damit verbundenen kurz-, mittel- und langfristigen Folgen führen kann.
  • Ausgewählte evidenzbasierte Probiotika können dabei unterstützen, das Mikrobiom während der Antibiose zu stabilisieren, Nebenwirkungen zu vermeiden und die Regeneration nach Behandlungsende zu fördern.
  • Probiotika sollten immer bereits ab dem ersten Tag der Antibiotikabehandlung eingenommen werden.
  • Patienten sollten über die Risiken und Nebenwirkungen von Antibiotika, die Bedeutung der Einnahme gemäß der Verschreibung und die Rolle des Mikrobioms aufgeklärt werden.
  • Ärzte sollten sich über aktuelle Leitlinien und wissenschaftliche Erkenntnisse zur Antibiotikaanwendung und der Rolle des Mikrobioms auf dem Laufenden halten und diese in ihrer Praxis berücksichtigen.

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