Anaphylaxiemanagement und Diagnostik
Definition und Epidemiologie
Die Anaphylaxie ist definiert als akute systemische Reaktion mit Symptomen einer allergischen Reaktion vom Soforttyp, die den ganzen Organismus betreffen kann und potenziell lebensbedrohlich ist. Sie wurde zuerst 1902 von Richet und Portier beschrieben, als die beiden Forscher versuchten, ein Antiserum gegen das Gift der Seeanemone zu gewinnen. Aktuelle Studien aus den USA, Australien und Großbritannien legen eine zunehmende Inzidenz der Anaphylaxie in den letzten Jahrzehnten nahe, die mit sieben bis 50 pro 100.000 Einwohner pro Jahr angegeben wird. Die Lebenszeitprävalenz in Europa liegt bei etwa 3 %. Die genaue Erfassung epidemiologischer Daten gestaltet sich jedoch schwierig aufgrund unterschiedlicher Klassifikationssysteme und einer wahrscheinlich hohen Dunkelziffer.
Ursachen und Risikofaktoren
Die Auslöser für Anaphylaxien unterscheiden sich in ihrer Häufigkeit je nach Lebensalter. Bei Kindern unter sechs Jahren sind oft Hühnerei und Milcheiweiß ursächlich, während Kinder älter als sechs Jahre häufig auf Baum- und Erdnüsse reagieren. Insektengifte von Bienen und Wespen sowie Arzneimittel induzieren in der Gruppe der Erwachsenen häufig schwere allergische Reaktionen. Hier sind vor allem ß-Lactam-Antibiotika und nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) zu nennen. Darüber hinaus können bestimmte Faktoren die Wahrscheinlichkeit für einen schweren Verlauf erhöhen. Dazu gehören sogenannte Augmentationsfaktoren wie Alkohol, psychischer oder emotionaler Stress, Infektionen oder gleichzeitige Exposition gegenüber anderen Allergenen oder Einnahme von Arzneimitteln, die eine Anaphylaxie begünstigen. Insbesondere die Einnahme von Betablockern ist mit einem erhöhten Risiko (Odds Ratio [OR]: 1,86) für schwere Anaphylaxien assoziiert. Auch kardiale und pulmonale Begleiterkrankungen, wie z. B. Asthma bronchiale, führen häufig zu gefährlicheren Verläufen.
Pathophysiologie
Was passiert bei der Anaphylaxie auf zellulärer und molekularer Ebene? Eine zentrale Rolle spielt meist das Immunglobulin E (IgE). Dieses induziert nach Allergenexposition die Kreuzvernetzung von Fc-ε-RI-Rezeptoren. Hierbei handelt es sich um hochaffine IgE-Rezeptoren, die sich auf Mastzellen und basophilen Granulozyten befinden. Konsekutiv kommt es zur Degranulation, wodurch Mediatoren wie Histamin, Prostaglandine, Leukotriene, Tryptase, plättchenaktivierender Faktor, Heparin, Proteasen, Serotonin und verschiedene Zytokine freigesetzt werden. Es wird außerdem angenommen, dass neben den „klassischen” IgE-Antikörpern auch Immunglobuline der Klasse G (IgG) allergische Reaktionen auslösen oder zumindest verstärken können. Zudem ist bekannt, dass auch sogenannte „Pseudoallergien” existieren, bei denen es zu einer IgE-unabhängigen Freisetzung der genannten Mediatoren kommt.
Klinisches Bild der Anaphylaxie
Das klinische Bild der Anaphylaxie ist vielfältig und kann sich in unterschiedlichen Organsystemen manifestieren. Betroffen sind zumeist Haut, Atemwege, der Gastrointestinaltrakt sowie das Herz-Kreislauf-System. Bei 80 % der Betroffenen finden sich kutane Reaktionen. Hierzu gehören Urtikaria, Angioödem und Juckreiz. Im Bereich der oberen Atemwege wird zu Beginn oft ein Kribbeln oder Brennen verspürt. Infolge der Histaminbedingten erhöhten Gefäßpermeabilität kann sich ein Larynxödem bilden, was eine lebensbedrohliche Hypoxie zur Folge haben kann. Insbesondere Patienten mit Asthma bronchiale haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Bronchokonstriktion, was eine Dyspnoe, eine erschwerte und verlängerte Exspiration bedingt. Klinisch ist hierbei ein Giemen zu hören. Kardiovaskulär führt der erniedrigte periphere Widerstand und die Permeabilitätsstörung (Capillary-Leak-Syndrom) zur intravasalen Hypovolämie, die mit einer arteriellen Hypotension sowie einer reflektorischen Tachykardie einhergeht. Etwas seltener können sich auch im Bereich des Gastrointestinaltraktes Symptome manifestieren. Patienten berichten dann meist von Übelkeit, Erbrechen und kolikartigen Bauchschmerzen. Kinder mit nahrungsmittelinduzierter Anaphylaxie neigen zu Erbrechen und können periorale Rötungen aufweisen. ZNS-Symptome wie Ruhelosigkeit, Rückzugsverhalten, Kopfschmerzen, zerebrale Krämpfe, Bewusstseinsstörungen oder Bewusstlosigkeit können vorkommen. Bei Kindern wird häufig eine Verhaltensänderung beobachtet, die sich als Angst oder manchmal auch Aggressivität äußert. Je nach Ausprägung der klinischen Symptomatik erfolgt die Einteilung in vier Schweregrade. Grad I schließt dabei lediglich die Beteiligung der Haut ein, während bei Grad IV ein Atem- und Kreislaufstillstand eintritt.
Akutdiagnostik und Differenzialdiagnostik der Anaphylaxie
Anaphylaxie ist eine klinische Diagnose, deren Behandlung nicht auf eine Laborbestätigung warten kann. Die diagnostischen Kriterien der Anaphylaxie wurden von Sampson et al. entwickelt und sind weitgehend akzeptiert. Folgende Symptome gehören dazu: Gleichzeitiges Auftreten von Symptomen der Haut (z. B. akute Urtikaria, Flush) und respiratorischen Beschwerden (z. B. Dyspnoe, Stridor) oder von systemischen Manifestationen wie plötzlicher Blutdruckabfall beziehungsweise dessen Manifestationen (z. B. Kollaps, Herzrasen, Inkontinenz); plötzliches Auftreten von Symptomen an zwei oder mehr der im Abschnitt „Klinisches Bild der Anaphylaxie” genannten Organsysteme nach Exposition gegenüber einem wahrscheinlichen Allergen oder Trigger; Blutdruckabfall nach Kontakt mit einem für die Betroffenen bekannten Allergen oder einem anderen Anaphylaxie-Trigger. Sampsons Diagnosekriterien stellen einen wichtigen Bestandteil der Basisdiagnostik dar. Dennoch sollten auch weitere Differenzialdiagnosen berücksichtigt werden.
Anamnese und In-vitro-Diagnostik
Die klinische Diagnose kann manchmal retrospektiv durch die Dokumentation erhöhter Konzentrationen von Serum- oder Plasma-Gesamttryptase oder Plasma-Histamin gestützt werden, obwohl die Ergebnisse dieser Tests dem behandelnden Arzt in der Akutsituation nicht sofort zur Verfügung stehen. Es ist wichtig, Blutproben kurz nach Einsetzen der Symptome zu entnehmen, da die Erhöhungen vorübergehend sind. Die Bestimmung der Tryptase kann Aufschluss darüber geben, ob es aktuell oder kurz zuvor zu einer Aktivierung von Mastzellen gekommen ist, da es sich um einen recht spezifischen Mastzellmediator handelt. Ein Anstieg der Tryptasekonzentration lässt sich am besten wenige Stunden nach einem anaphylaktischen Ereignis detektieren, ein unveränderter Tryptasespiegel schließt eine Anaphylaxie jedoch nicht aus. Der normale Basiswert liegt bei <11,4 μg/l. Bei Patienten mit erhöhter basaler Serumtryptase und/oder Mastozytose kann die Anaphylaxie besonders schwer verlaufen. Serielle Messungen der Gesamttryptase in Serum oder Plasma über mehrere Stunden können die Sensitivität und Spezifität der Tests erhöhen. Die Messung von Plasma-Histamin kann bei Anaphylaxie in einer Krankenhausumgebung hilfreich sein, in der Blutproben kurz nach Einsetzen der Symptome entnommen werden können. In vielen Fällen von Anaphylaxie im Community-Setting ist es jedoch nicht praktikabel, Histamin zu messen, da die Werte oft, wenn der Patient die Notaufnahme erreicht, wieder zum Ausgangswert zurückgekehrt sind. Patienten, bei denen eine Anaphylaxie (oder Verdacht auf Anaphylaxie) aufgetreten ist, bedürfen nach Akutgeschehen weiterer Untersuchungen, um die Diagnose zu bestätigen und um die Ursache und mögliche beitragende Faktoren zu bestimmen. Eine ausführliche Anamnese ist entscheidend. Jede Anaphylaxieepisode sollte sorgfältig evaluiert werden, beginnend mit dem 24-Stunden-Zeitraum vor dem Einsetzen der Symptome und mit einem besonderen Augenmerk auf die ein bis zwei Stunden unmittelbar vor dem Einsetzen der Symptome. Wichtige Informationen können von Familienmitgliedern, Betreuern, Freunden oder anderen Zeugen, medizinischem Notfallpersonal sowie den Aufzeichnungen der Notaufnahme und des Krankenhauses eingeholt werden. Bei Verdacht auf eine Nahrungsmittelallergie ist auch ein Symptom-Nahrungsmittel-Tagebuch sinnvoll, in dem der Patient seine Ernährungsgewohnheiten dokumentiert. In der Routinediagnostik etabliert ist die Bestimmung des Gesamt-IgE und des allergenspezifischen IgE im Serum. Hierzu wird ein gebundenes Allergen im Patientenserum inkubiert. Enthält das Serum allergenspezifische Antikörper, binden diese an das Allergen und die restlichen IgE-Antikörper können ausgewaschen werden. Zuletzt kann ein fluoreszenzmarkierter Anti-IgE-Antikörper hinzugegeben werden, der so einen Farbumschlag induziert und eine Aussage über die Anzahl der vorhandenen Allergen-IgE-Komplexe erlaubt. Diese Analyse ist insbesondere bei Patienten mit unklarer Anaphylaxie oft ein wertvolles Diagnostikum.
In-vitro-Diagnostik
Die Hauttestung mit Allergenextrakten ist die traditionelle Methode zum Nachweis einer Sensibilisierung. Hierzu gehören der Prick- und der Intrakutantest. Der schmerzhaftere Intrakutantest weist eine höhere Sensitivität auf als der Pricktest und hat vor allem dann seine Berechtigung, wenn der Pricktest unauffällig ist. Das beiden Tests zugrunde liegende Prinzip besteht in der Einbringung des Allergens in die Dermis, wo sich IgE-tragende Mastzellen befinden. Hierzu eignet sich zum Beispiel die Palmarseite des Unterarmes (Pricktest) oder der Rücken (Intrakutantest). Lege artis ist die Verwendung von standardisierten Allergenlösungen. Wenn die Mastzellen allergenspezifische IgE-Antikörper besitzen, kommt es zur Degranulation der Mastzellen und es sind 15 bis 20 Minuten nach Applikation kutane Reaktionen sichtbar. Typisch ist die sogenannte Lewis-Trias: An der Punktionsstelle führt die Vasodilatation zu einem Erythem, gefolgt von einem Ödem, und final entsteht ein Erythemhof. Zur besseren Bewertung des Testergebnisses sollte stets auch eine Positiv- (z. B. Histamin) und Negativkontrolle (z. B. NaCl) durchgeführt werden. Auch wenn systemische Reaktionen im Rahmen der Testung selten sind, muss eine Notfallversorgung verfügbar sein. Relative Kontraindikationen für die Durchführung sind unter anderem ein stark reduzierter Allgemeinzustand sowie ein schlecht eingestelltes Asthma bronchiale. Besteht nach Abschluss des diagnostischen Algorithmus ein konkreter Verdacht auf ein Allergen, ist eine Expositionstestung möglich. Im Fall der Nahrungsmittelallergiediagnostik gilt die doppelblinde, placebokontrolliert durchgeführte orale Nahrungsmittelprovokation als Goldstandard. Hierzu wird der Patient einer titrierten Menge des vermuteten Allergens exponiert.
Therapeutische Maßnahmen im Notfall
Bei einer Anaphylaxie sind eine sofortige Untersuchung und Behandlung von entscheidender Bedeutung, da Atem- oder Herzstillstand und der Tod innerhalb von Minuten eintreten können
- Beseitigung der auslösenden Ursache, wenn möglich (z. B. die Infusion eines verdächtigen Medikaments abbrechen)
- Es folgt eine Basisuntersuchung gemäß dem ABCDE-Schema, um den Schweregrad der Anaphylaxie zu evaluieren und auf Grundlage dessen weitere Maßnahmen veranlassen zu können.
- Hilferuf (Rufen Sie ein Reanimationsteam in einem Krankenhaus an oder wählen Sie die Notrufnummer!)
- Lagerung des Patienten in Rückenlage mit angehobenen unteren Extremitäten, es sei denn, es liegt eine ausgeprägte Schwellung der oberen Atemwege vor, die den Patienten dazu veranlasst, aufrecht zu bleiben (und sich oft nach vorne zu beugen). Wenn der Patient erbricht, kann eine halbliegende Lagerung des Patienten mit erhöhten unteren Extremitäten vorzuziehen sein. Schwangere Patientinnen auf die linke Seite legen.
- Intramuskuläre (IM) Injektion von Adrenalin zum frühestmöglichen Zeitpunkt, gefolgt von zusätzlichem Adrenalin durch IM- oder intravenöse (IV) Injektion nach Bedarf. Die Adrenalinapplikation kann bei ausbleibender Wirkung alle fünf bis zehn Minuten wiederholt werden.
- Eine bronchiale Obstruktion kann zunächst mit ß2-Sympathomimetika behandelt werden, bei Verschlechterung der Symptomatik (z. B. inspiratorischer Stridor) sollte aber der additive Einsatz eines inhalativen Adrenalinpräparates erwogen werden.
- Volumengabe mit IV-Flüssigkeiten. Unabhängig vom Stadium empfiehlt sich ein großlumiger intravenöser Zugang, um im Bedarfsfall Flüssigkeit substituieren zu können.
- Sollte sich die Anaphylaxie auch systemisch manifestieren und im schlimmsten Fall zum Herz-Kreislauf-Stillstand (Grad IV nach Ring) führen, muss mit einer kardiopulmonalen Reanimation (CPR) begonnen werden.
- Zudem kann hierüber im Anschluss an die stadiengerechte Therapie die Gabe von H1-Anithistaminika der ersten Generation (z. B. Dimetinden 0,1 mg/kg KG) und Glukokortikoiden (bei Erwachsenen 500 bis 1000 mg) erfolgen.
Im Anschluss muss der Patient überwacht werden, um der Gefahr eines biphasischen Verlaufes Rechnung zu tragen. Das Entlassmanagement nach der ersten Anaphylaxie schließt die Verordnung eines Notfallsets sowie die dringende Empfehlung einer allergologischen Diagnostik ein.
Allergiemanagement
Wurde ein Auslöser detektiert, stellt sich die Frage nach dem weiteren Vorgehen. Zunächst stehen Präventionsmaßnahmen im Vordergrund, die abhängig vom Allergen sind. Besteht eine Insektengiftallergie, steht sowohl für Kinder als auch für Erwachsene eine subkutane spezifische Immuntherapie zur Verfügung. Individuelle Eliminationsdiäten unter Berücksichtigung von Kreuzallergien finden bei der Nahrungsmittelallergie Anwendung. Liegt eine Arzneimittelallergie vor, wird ein Notfallpass mit Hinweisen zur Alternativmedikation ausgestellt, der stets am Körper getragen werden sollte. Eine weitere wichtige Säule stellen die Notfallmedikamente dar. Hierzu gehört auch ein schriftlicher Plan zur Selbstmedikation („Anaphylaxiepass“). Bestandteil des Notfallsets ist ein Adrenalin-Autoinjektor (AAI) zur intramuskulären Applikation, ein H1-Antihistaminikum, ein Glukokortikoid sowie ein ß2-Rezeptoragonist bei bekanntem Asthma bronchiale oder vorheriger Reaktion mit Bronchospasmus. Ist ein Larynxödem zu erwarten, kann zusätzlich ein inhalatives Adrenalinpräparat verordnet werden. Die Applikation des Adrenalins mittels AAI erfolgt gewichtsadaptiert in den lateralen Oberschenkel. Bei dem H1-Histaminikum stehen je nach Patientenalter und -präferenz sowohl Tabletten als auch Tropfen zur oralen Gabe zur Verfügung. Hier kann die Dosis bis auf das Vierfache der Einzeldosis erhöht werden. Das Glukokortikoid kann oral (Flüssigkeit oder Tablette) oder rektal (Suppositorien oder als Rektiole) verabreicht werden und sollte einem 50 bis 100 mg Prednisolonäquivalent entsprechen.
Kriterien für die Verordnung eines Notfallsets
Die neue S2k-Leitlinie empfiehlt die Verordnung eines Notfallsets inklusive AAI, wenn
- Patienten eine schwere systemische allergische Reaktion und Asthma bronchiale in der Anamnese aufzeigen, auch ohne Anaphylaxie in der Vorgeschichte,
- progrediente Schwere der Symptomatik der systemischen allergischen Reaktion besteht,
- der Vorgeschichte bereits frühere anaphylaktische Reaktionen gegen nicht sicher vermeidbare Auslöser gab,
- systemische Allergie mit extrakutanen Symptomen auf potente Allergene wie Erdnüsse, Baumnüsse, Milch, Sesam vorliegt,
- hoher Sensibilisierungsgrad mit erhöhtem Anaphylaxierisiko zu erwarten ist – vor allergischer Provokationstestung oder
- Erwachsenen eine Mastozytose detektiert wurde.
Die Patienten sollen umfassend auf einen selbstständigen Einsatz der Notfallmedikamente vorbereitet werden. Insbesondere der Einsatz des Adrenalin-Autoinjektors muss eingeübt werden. Es wurde gezeigt, dass lediglich 50 % der Patienten Adrenalin selbstständig einsetzen. Schulungen, zum Beispiel durch die Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie Training und Edukation (AGATE), können dabei helfen, die Akutmedikation stadiengerecht einzusetzen. Betroffene und Angehörige sind in diesem Bereich oft recht unsicher. Genaue Handlungsanweisungen für das Verhalten bietet ein Anaphylaxie-Notfallplan. Für Schulen und Kitas kann eine entsprechende Vorlage auf der Website des Deutschen Allergie- und Asthmabund e. V. heruntergeladen werden. Des Weiteren sollten beide Gruppen dafür sensibilisiert werden, eine anaphylaktische Reaktion frühzeitig zu erkennen, eine symptomorientierte Lagerung des Betroffenen durchzuführen sowie den Notruf zu tätigen.
Allergien versus Unverträglichkeiten bei Nahrungsmitteln
Kuhmilchallergie versus Laktoseintoleranz – Pathophysiologie
Annähernd 15 % der Europäer vertragen keine Laktose. Eine Kuhmilchallergie ist im Kindesalter der zweithäufigste Auslöser für eine Anaphylaxie und kann bei circa 0,5 bis 3,0 % der Einjährigen detektiert werden. Beide Krankheitsentitäten können ähnliche Symptome verursachen und daher verwechselt werden, die Pathophysiologie ist jedoch unterschiedlich. Bei der Kuhmilchallergie kommen sowohl IgE-abhängige als auch IgE-unabhängige Formen vor. Ungefähr 60 % der Patienten mit Kuhmilchallergie haben die IgE-vermittelte Form, obwohl die Schätzungen je nach Studienpopulation und Alter variieren. Es handelt sich also um eine immunologische Reaktion. Daneben existieren auch nicht IgE-vermittelte Formen wie die nahrungsmittelproteininduzierte Proktitis oder das Heiner-Syndrom. Die Laktoseintoleranz beschreibt einen Mangel des Laktaseenzyms, welches das Disaccharid Laktose zu Glukose und Galaktose hydrolysiert. Infolge des Enzymmangels gelangt Laktose in das Kolon und wird dort durch Bakterien in CO2, H2 und kurzkettige Fettsäuren gespalten, was mit Meteorismus, Diarrhö und abdominellen Schmerzen einhergeht. Die Laktoseintoleranz kann in eine primäre und sekundäre Form eingeteilt werden. Ursache der primären Form sind Mutationen im Bereich des langen Armes des Chromosoms 2 im Regulator des Laktasegens. Die sekundäre Form ist erworben und entwickelt sich auf dem Boden einer Darmschädigung infolge von beispielsweise Infektionen, Nahrungsmittelallergie, Zöliakie, bakterieller Überwucherung des Dünndarmes, Morbus Crohn oder Enteritis induziert durch Bestrahlung oder Chemotherapie.
Diagnostisches Vorgehen
Wie kann man nun zwischen Allergie und Intoleranz unterscheiden? Hierbei gilt es, einige Charakteristika der beiden Formen zu beachten. Das Manifestationsalter kann bereits einen Hinweis geben: Während die Allergie bereits oft im ersten Lebensjahr in Erscheinung tritt, kommt es bei der Laktoseintoleranz erst im frühen Kindesalter zu Symptomen. Zudem kann der Patient mit Enzymmangel entsprechend der Restkapazität noch geringe Mengen an Laktose (Dimension: Gramm) vertragen, der Allergiker hingegen reagiert bereits auf kleinste Mengen Milch (Dimension: Nanogramm bis Milligramm) mit Beschwerden. Diese Beschwerden sind bei der Kuhmilchallergie, anders als bei der Laktoseintoleranz, nicht nur abdomineller Natur. Aufgrund der IgE-vermittelten Reaktion können auch beispielsweise die Haut (Pruritus, Urtikaria) oder die Atemwege (Niesen, Rhinorrhoe) betroffen sein. Daher sollte bei Verdacht auf Nahrungsmittelallergie eine IgE-Bestimmung durchgeführt werden, flankiert von Prick- und Provokationstests respektive Eliminationsdiät. Zum Nachweis der Laktoseintoleranz bietet sich beispielsweise der H2-Atemtest an.
Weizenallergie versus Glutenunverträglichkeit
Kommt es nach dem Verzehr von weizenhaltigen Produkten zu gastrointestinalen Beschwerden, sollte sowohl an eine Weizenallergie als auch an eine Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) gedacht werden. Die Weizenallergie ist, ähnlich wie die Kuhmilchallergie, eine Allergie des Kindesalters, die in Europa 0,3 % der Kinder unter fünf Jahren betrifft. Dennoch ist Weizen im Erwachsenenalter das Nahrungsmittel, das am häufigsten eine Anaphylaxie auslöst. Pathophysiologisch liegt dem eine IgE- und/oder T-Zell-vermittelte Reaktion gegen Weizenproteine zugrunde. Die primäre Form der Weizenallergie tritt nach Allergenkontakt mit der Darmschleimhaut auf. Auch die Inhalation von Mehl („Bäckerasthma”) kann eine Allergie induzieren. Ähnlich wie bei der Kuhmilchallergie kann es neben Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall auch zu extraintestinalen Symptomen kommen. Davon abzugrenzen ist die Zöliakie, die als eine nicht allergische, immunologisch vermittelte, glutenabhängige Multiorganerkrankung definiert ist. Von der Zöliakie betroffen sind in erster Linie der Darm, zudem können aber auch die Haut, Leber und andere Organsysteme beteiligt sein. Die Prävalenz der Zöliakie liegt in Europa bei etwa 1 % der Bevölkerung. Die Krankheit manifestiert sich zumeist entweder im Säuglingsalter oder im vierten Lebensjahrzehnt. Es besteht eine Unverträglichkeit gegenüber Gliadin, einem Klebereiweiß aus Getreide. Darüber hinaus gibt es eine Assoziation mit dem Vorhandensein der Antigene HLA-DQ2 und HLA-DQ8. Bei 98 % aller Betroffenen sind diese Antigene nachweisbar, jedoch auch bei 30 % der Allgemeinbevölkerung. Das typische Beschwerdebild umfasst Diarrhöen, Gewichtsverlust sowie Gedeihstörungen im Kindesalter. Der diagnostische Algorithmus bei Verdacht auf Weizenallergie entspricht weitgehend dem der Kuhmilchallergie, weshalb im Folgenden die Zöliakie im Vordergrund stehen soll. Bei der Glutenunverträglichkeit lassen sich im Serum positive Zöliakie-Antikörper nachweisen. Der spezifischste Antikörper ist dabei die IgA-anti-Transglutaminase 2 (Anti-Tg2-IgA) mit einer Spezifität von 95 %. Darüber hinaus kann durch eine Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD) mit tiefen Duodenalbiopsien eine von Lymphozyteninfiltraten begleitete Kryptenhyperplasie oder Zottenatrophie detektiert werden. Kommt es zusätzlich zu einer klinischen Besserung unter glutenfreier Diät (GFD), ist die Diagnose Zöliakie sehr wahrscheinlich. Die GFD entspricht auch gleichzeitig der Therapie der Zöliakie. Kartoffeln, Mais, Reis, Hirse oder Soja sind mögliche Alternativnahrungsmittel.
Fazit
Die Anaphylaxie stellt einen absoluten Notfall dar mit potenziell letalem Ausgang und muss aufgrund der rasch progredienten Symptomatik frühzeitig und stadiengerecht behandelt werden. Wichtiger Bestandteil einer Intervention ist der Adrenalin-Autoinjektor zur intramuskulären Applikation. Daher ist es notwendig, dass Patienten und Angehörige angehalten werden, sich mit dem Einsatz des Injektors vertraut zu machen. Antihistaminika, Glukokortikoide und gegebenenfalls ß2-Sympathomimetika sowie inhalative Adrenalinpräparate vervollständigen das Notfallset. Die anschließende allergologische Diagnostik umfasst sowohl In-vivo- als auch In-vitro-Untersuchungen, um das auslösende Allergen detektieren zu können. Bei einer Insektengiftallergie ist eine spezifische Immuntherapie möglich, im Fall einer Nahrungsmittel- oder Arzneimittelallergie ist eine Allergenkarenz zwingend erforderlich. Differenzialdiagnostisch sollte bei Verdacht auf eine Allergie auch eine Unverträglichkeit in Betracht gezogen werden. Bereits das Manifestationsalter und die Symptomkonstellation geben erste wichtige Hinweise. Zudem stehen sowohl bei der Laktoseintoleranz als auch bei der Zöliakie aussagekräftige diagnostische Methoden zur Verfügung, die eine sichere Differenzierung erlauben.
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