Einführung
Historisch ging die Medizin davon aus, dass der Diabetes mellitus eine reine Stoffwechselerkrankung darstellt; eine klassische Trennung zwischen Typ-1- oder Typ-2- Diabetes gab es noch nicht. Vielmehr wurde zwischen nicht insulinpflichtigem und insulinpflichtigem Diabetes unterschieden, mit einem Anteil von Patienten, der kein eigenes Insulin produzieren kann. Erst nach Entdeckung der ersten Inselautoantikörper veränderte sich diese Sichtweise und damit die Typisierung des Diabetes ganz entscheidend. Seither erfolgte ein Paradigmenwechsel: In Leitlinien wird der T1D nun als Autoimmunerkrankung betrachtet, die auf einer zellulär vermittelten Zerstörung der pankreatischen β-Zellen zurückzuführen ist und mit dem Auftreten von einem oder mehreren Autoimmunmarkern einhergeht. So lautet die Definition der American Diabetes Association gemäß den „Standards of Medical Care in Diabetes” aus dem Jahr 2024, dass der T1D auf einer zellulär vermittelten autoimmunen Zerstörung der β-Zellen der Bauchspeicheldrüse beruht. Das Auftreten von T1D-spezifischen Inselautoantikörpern lange vor einer klinischen Manifestation der Krankheit erlaubt heute eine effiziente Frühdiagnostik und eröffnet dadurch die Möglichkeit eines frühen Screenings auf einen T1D. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass auch mit den großen Fortschritten in der T1D-Behandlung insbesondere durch den Einsatz der kontinuierlichen Glukosemessung und den damit gekoppelten Insulinpumpen die Akut- und Langzeitkomplikationen weiterhin bedeutend bleiben.
Pathogenese und Immunologie des Typ-1-Diabetes
Neben seinen vielfältigen Funktionen für die Verdauung beherbergt das Pankreas die Langerhans-Inseln, in denen insulinproduzierende β-Zellen und die für den Insulinantagonisten Glucagon zuständigen α-Zellen lokalisiert sind. Die pankreatischen β-Zellen fungieren als wichtige Glukosesensoren und -regulatoren, indem sie bei steigendem Blutzuckerspiegel entsprechend Insulin abgeben. Dadurch wird der Glukosespiegel im Blut in einem sehr engen Normalbereich gehalten.
Prädiabetische Exposition von Inselzellantigenen
Die Genese des T1D ist maßgeblich durch erbliche Risikoparameter geprägt, während Umweltfaktoren wie Virusinfektionen oder Ernährung als mögliche Trigger die Autoimmunreaktion auslösen können. Dabei kommt es bereits Jahre vor der klinischen T1D-Manifestation zu einer Autoreaktion gegen spezifische Antigene aus den β-Zellen der Langerhans-Inseln. Zu diesen Inselzellantigenen zählen das Insulin, Glutaminsäure-Decarboxylase-65 (GAD-65), Insulinoma-assoziiertes Protein 2 (IA-2) und Zinktransporter 8 (ZnT8).
Auftreten von Inselautoantikörpern
Infolge der Inselzellantigenexposition kann es zur Bildung von gegen diese Antigene gerichteten Inselautoantikörper im Blut kommen, die bereits frühzeitig nachweisbar sind und als diagnostische Biomarker zur Vorhersage eines sich klinisch erst deutlich später manifestierenden T1D dienen können. Der gleichzeitige Nachweis von ≥2 verschiedenen Inselautoantikörpern im Blut gilt dabei als sicherer Erkrankungsprädiktor, mit einer fast 100%igen Wahrscheinlichkeit, dass sich ein klinisch overter T1D in den Folgejahren entwickeln wird. Bei genetisch prädisponierten Menschen erreicht die Inselautoantikörper-Serokonversion ihren Höhepunkt zwischen dem neunten Lebensmonat und dem zweiten Lebensjahr. Zwar ist die Anzahl der Inselautoantikörper prädiktiv für einen T1D, der Reihenfolge des Auftretens einzelner Inselautoantikörperspezies kann jedoch keine prognostische Aussagekraft zugeschrieben werden. Allerdings wurde berichtet, dass sich gegen Insulin gerichtete Inselautoantikörper tendenziell früher als GAD-65-, IA-2- oder ZnT8-Autoantikörper entwickeln, wobei insbesondere der gegen IA-2 gerichtete Autoantikörper einen sehr guten prädiktiven Marker darstellt. Ist dieser vorhanden, kann von einem höheren Progressionsrisiko hin zu einem klinisch manifesten T1D ausgegangen werden.
Zellulär vermittelte Autoimmunprozesse
Letztendlich liegt dem T1D eine Fehlsteuerung des Immunsystems zugrunde. Die eigentliche Pathogenese des autoimmunen T1D wird dabei durch eine spezifische Aktivierung von T-Lymphozyten vermittelt, die zu einer Schädigung der inselzellantigenexponierenden β-Zellen führt. Dieser Schädigungsprozess verläuft so progredient, dass die β-Zellen schließlich kein Insulin mehr produzieren können und es schließlich zu einer klinischen Ausprägung des Diabetes kommt. Antigenpräsentierende Zellen (APC), wie Dendritische Zellen und B-Lymphozyten nehmen β-zellspezifische Inselzellantigene (β-Zell-Antigene) auf, prozessieren und präsentieren diese Antigennaiven CD4+-T-Zellen in den peripheren Lymphknoten über MHC-Klasse-II-Moleküle. Infolgedessen werden diese CD4+-T-Zellen aktiviert und expandieren in Richtung eines Typ-1-T-Helferzellen-(TH1-)Phänotyps. Dabei übernehmen ausgeschütteten TH1-Zytokine wichtige Funktionen: Sie inhibieren regulatorische T-Zellen (Treg), die maßgeblich die Selbsttoleranz modulieren und so Autoimmunerkrankungen und Allergien vermeiden helfen. Zudem stimulieren Zytokine autoreaktive CD8+-T-Zellen, die die Inselzellantigenpeptide erkennen. Die so aktivierten autoreaktiven zytotoxischen CD8+-T-Zellen zerstören schließlich über Granzym B und Perforine die Inselzellantigen-exponierenden β-Zellen des Pankreas. Die β-zellspezifischen Inselautoantikörper werden im Laufe dieser Prozesse von aktivierten B-Lymphozyten produziert und können als diagnostische T1D-Marker durch ein Frühscreening nachgewiesen werden.
Stadien des Typ-1-Diabetes und der β-Zellfunktion
Infolge der durch T-Zellen vermittelten Autoimmunprozesse werden die β-Zellen der Langerhans-Inseln zunehmend zerstört und sind nicht mehr in der Lage, Insulin zu produzieren. Zunächst führt der Autoimmunprozess zu leichten Veränderungen des Zuckerstoffwechsels (Dysglykämie) und mündet durch weiteres Fortschreiten schließlich in der Hyperglykämie des nun auch klinisch manifesten T1D. Einhergehend mit dem Auftreten jeweils spezifischer Merkmale erlaubt dieser progressive Verlauf des autoimmunen T1D eine Einteilung in distinkte Erkrankungsstadien. Der bestätigt positive Nachweis von Autoantikörpern im Blut, die gegen zwei oder mehr β-Zell-Antigene gerichtet sind (multiple Inselautoantikörper), kennzeichnet bei Personen ohne diabetesspezifische Symptome das Vorliegen eines T1D im Frühstadium. Das Frühstadium kann mit Normoglykämie (Stadium 1) oder Dysglykämie (Stadium 2) verbunden sein. Personen mit einem präsymptomatischen Frühstadium entwickeln über einen individuell variablen Zeitraum hinweg einen klinischen Typ-1-Diabetes (Stadium 3), der unbehandelt zum Auftreten von Diabetessymptomen führt. Dabei kann die Progressionsrate vom Frühstadium zum klinischen Typ-1-Diabetes durch immunologische und metabolische Tests eingeschätzt werden. Einige Patienten im frühem Stadium 3 können dabei noch asymptomatisch sein und haben nur aufgrund eines OGTT Kenntnis von einer bestehenden Hyperglykämie. Zudem können bei einigen Patienten Inselautoantikörper auch gänzlich fehlen.
Stadium 1
- Normoglykämie.
- ≥2 Inselautoantikörper nachweisbar, die die β-zellspezifische Autoimmunität widerspiegeln
- Die American Diabetes Association empfiehlt ein Screening auf T1D im Frühstadium (Stadien 1 und 2) durch Tests auf Autoantikörper gegen Insulin, GAD-65, IA-2 oder ZnT8.
Stadium 2
- Dysglykämie: Nüchternplasmaglukose (NPG) 100 bis 125 mg/dl, 2-Stunden-Plasmaglucose (PG) während des oralen Glukosetoleranztests (OGTT) 140 bis 199 mg/dl, Hämoglobin-(Hb-)A1c-Wert 5,7 bis 6,4 % oder ≥10 % Anstieg des HbA1c-Wertes.
- Klinische Diabetessymptome (z. B. Polydipsie, Polyurie, Fatigue, verschwommenes Sehen, Gewichtsverlust).
- ≥2 Inselautoantikörper nachweisbar.
Stadium 3 (klinische Manifestation des Typ-1-Diabetes)
- Hyperglykämie: NPG ≥126 mg/dl, 2-Stunden-PG während OGTT ≥200 mg/dl, HbA1c ≥6,5 % oder zufällige PG ≥200 mg/dl.
- Klinische Diabetessymptome (z. B. Polydipsie, Polyurie, Fatigue, verschwommenes Sehen, Gewichtsverlust).
- Exogenes Insulin erforderlich.
- Schwerwiegende Stoffwechselentgleisung Diabetische Ketoazidose möglich
Stadium 4 (etablierter Typ-1-Diabetes)
- Langfristige Etablierung der physiologischen Stadium-3-Parameter.
- Blutzuckerschwankungen.
- Komplikationen wie Retino-, Nephro- und Neuropathien, kardiovaskuläre Erkrankungen.
- Erhöhte Infektionsanfälligkeit.
Risikofaktoren für einen Typ-1-Diabetes
Genetische und familiäre Faktoren
Einem T1D liegen ausgeprägte genetische Risikofaktoren zugrunde. Bestimmte Allele des humanen Leukozytenantigens (HLA), die für die Haupthistokompatibilitätskomplex(MHC)-Klasse-II-Proteine kodieren, sind für ca. 50 % des genetischen T1D-Risikos verantwortlich, wobei das größte Risiko bei Vorliegen des heterozygoten DR3/DR4-Genotyps besteht. Verwandte von Menschen mit T1D haben zwar ein erhöhtes Erkrankungsrisiko (familiärer T1D), jedoch treten ca. 85 % der T1D-Fälle bei Personen ohne Familienanamnese auf (sporadischer T1D). Betroffene mit familiärem vs. sporadischem T1D weisen vergleichbare Inselautoantikörperprofile auf, was auf ähnliche immunologische Krankheitsmechanismen hindeutet. Allerdings ist bei einer langsamen Krankheitsprogression das Auftreten von IA-2-Autoantikörpen verzögert. Groß angelegte Populationsstudien haben keinen signifikanten Unterschied in der zugrunde liegenden Pathophysiologie zwischen familiärem vs. sporadischem T1D gezeigt. Zusätzlich beeinflussen mehrere T1D-spezifische Suszeptibilitätsallele vom Nicht-HLA-Typ, die häufig in die Regulation der Immunantwort involviert sind, ein rasches vs. langsames Fortschreiten der Krankheit. Dazu zählen u. a. Interleukin-(IL-)2, CD25, IL10, „interferon induced with helicase C domain“-(IFIH-)1, „insulin variable number of tandem repeats polymorphism located in the insulin gene promoter“ (INS VNTR), „IL-18 receptor accessory protein“ (IL18RAP) und „protein tyrosine phosphatase non-receptor type 22“ (PTPN22).
Risikostratifizierung des familiären Typ-1-Diabetes
- Das Risiko für T1D liegt bei Neugeborenen ohne Beachtung der Familienanamnese bei jeweils ca. 0,3 %.
- Wurde bei der Mutter ein T1D diagnostiziert, verzehnfacht sich dieses Risiko auf ca. 3 %.
- Das Risiko ist deutlich erhöht, wenn der Vater T1D hat.
- Bei einem von T1D betroffenen Kind erhöht sich das Diabetesrisiko für ein Geschwisterkind.
- Noch höher ist dieses Risiko bei einem identischen Zwilling.
Ein weiterer Anstieg des Risikos besteht, wenn mehrere Verwandte ersten Grades einen T1D haben. Ist dieses Szenario zusätzlich mit dem Vorhandensein eines Risiko-HLA-Allels gepaart, besteht ein nochmals signifikant erhöhtes und damit sehr hohes Risiko für einen T1D. Nur ca. 10 bis 15 % der Kinder, die einen T1D entwickeln, haben bereits einen nahen Verwandten mit dieser Krankheit. Dies bedeutet im Umkehrschluss jedoch auch, dass die meisten Betroffenen keine Verwandten ersten Grades mit T1D haben. Die Erkrankung ist in solchen Familien daher weitgehend unbekannt, sodass die Symptome häufig erst spät wahrgenommen werden. Auf der anderen Seite muss selbst bei einem eineiigen Zwilling mit T1D das andere Zwillingsgeschwisterkind nicht zwingend einen T1D entwickeln.
Umweltbedingte Risikofaktoren für einen Typ-1-Diabetes
Neben einer genetischen Prädisposition wird zunehmend auch die Rolle von Umweltfaktoren in der Pathogenese des T1D diskutiert. Zu diesen Faktoren zählen u. a. mütterliche Faktoren und die intrauterine Umgebung, die Art der Entbindung, Virusinfektionen, Einflüsse des Mikrobioms, die Einnahme von Antibiotika, Rauchen und bestimmte Nahrungsmittel/Ernährungsformen.
Früherkennung des Typ-1-Diabetes
Der T1D stellt die häufigste Stoffwechselerkrankung auf Basis einer Autoimmunerkrankung im Kindes- und Jugendalter dar. Dabei nimmt die Inzidenz des T1D in Deutschland und weltweit stetig zu. Auch war während der COVID-19-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 ein weiterer Anstieg der Inzidenz zu verzeichnen, die deutlich über der zu erwartenden Rate lag. Ein zu spät erkannter T1D bringt erhöhte Akut- oder Langzeitkomplikationen mit sich. Da die meisten der von T1D betroffenen Kinder keine bereits an T1D erkrankten Verwandten haben, ist das Bewusstsein für T1D in den Familien in der Regel entsprechend gering. Symptome werden daher häufig erst spät wahrgenommen. Dadurch erhöhte sich das Risiko für das Auftreten einer Diabetischen Ketoazidose, die mitunter lebensbedrohlich sein kann. Darüber hinaus wurde bei Personen, die eine Diabetische Ketoazidose zeitgleich mit der initialen klinischen Diabetesmanifestation aufweisen, eine deutlich schlechtere Langzeitstoffwechselkontrolle beobachtet. Laut einer Studie, für die Langzeit-Follow-up-Daten der Studien BABYDIAB, DIPP und DAISY, also drei verschiedene Kohorten aus Deutschland, Finnland und den USA, zusammengeführt wurden (n = 13.000), entwickelten 51 % der Kinder bzw. jungen Erwachsenen bis zu fünf Jahre nach dem Nachweis von ≥2 Inselautoantikörper einen T1D. Nach zehn Jahren lag der „positive predictive value” (PPV) bei 75 %, und das Lifetime-Risiko lag bei knapp 100 %. Dies entspricht einer Spezifität des inselautoantikörperbasierten Screenings von 100 %.
Die Fr1da-Studie: Frühes Monitoring des Typ-1-Diabetes
Zum frühzeitigen und flächendeckenden Bevölkerungsscreening auf präsymptomatischen T1D wurde die Fr1da-Studie ins Leben gerufen und startete ursprünglich in Bayern als Früherkennungsprogramm für T1D bei Kindern im Alter von zwei bis zehn Jahren. Inzwischen wurde das Programm auf Niedersachsen, Hamburg und Sachsen ausgeweitet. Ergänzend bietet die Studie zudem deutschlandweit eine T1D-Früherkennungstestung für erstgradige Verwandte von Personen an, die bereits einen T1D haben. Die Fr1da-Studie wird vom Helmholtz Munich in Kooperation mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. (Landesverband Bayern) und dem PaedNetz Bayern e. V. durchgeführt. Bei Fr1da handelt es sich um ein Pilotprojekt, an dem über 600 Kinderärzte in Bayern beteiligt sind. So wurde seit dem Jahr 2015 das Kapillarblut von >200.000 Kindern im Alter von zwei bis zehn Jahren im Rahmen regulärer Vorsorgeuntersuchungen (U7 bis U11) auf Inselautoantikörper getestet und 580 Kinder im Frühstadium T1D diagnostiziert (Prävalenz 0,3 %). Ein zweimaliges Screening hat die beste Sensitivität und den besten Vorhersagewert, wenn das erste Screening im Alter von drei Jahren (U7a-Untersuchung) und das zweite Screening im Alter von neun Jahren (U11-Untersuchung) durchgeführt wird. Zudem wird allen ein bis 21 Jahre alten erstgradigen Verwandten von Personen mit T1D deutschlandweit angeboten, an einem kostenlosen Screening teilzunehmen (zwei Testungen in einem Abstand von drei bis vier Jahren). Die Studienteilnahme ist kostenlos. Kinder, bei denen ein Frühstadium diagnostiziert wird, werden eingeladen, an einem metabolischen Staging (Durchführung eines oralen Glukosetoleranztests und Messung des HbA1c) und an einem Schulungsprogramm in einer pädiatrischen Diabetesklinik in der Nähe des Wohnortes der Familie teilzunehmen. Die Inhalte der Schulung umfassen die Themen Bedeutung der Diagnose Frühstadium T1D, welche Symptome können auftreten, was ist dann zu beachten, und wie wird der Blutzucker gemessen. Darüber hinaus haben Eltern und Kinder die Möglichkeit, an weiteren innovativen Präventionsstudien teilzunehmen. Für Familien und Kinderärzte gibt es auf der Webseite der Fr1da-Studie umfangreiche Informationen zum Screening und zur Teilnahme. Weitere regionale Angebote zu einer Studienteilnahme gibt es für Bayern, Niedersachsen und Hamburg sowie für Sachsen. Anmeldungen können auch über die E-Mail erfolgen.
Fragestellungen der Fr1da-Studie
- Kann ein bevölkerungsweites Inselautoantikörperscreening zur Früherkennung des T1D durchgeführt werden?
- Können schwere Stoffwechselentgleisungen wie Ketoazidosen durch die Früherkennung verhindert werden?
- Kann der Krankheitsverlauf langfristig durch eine frühe Behandlung positiv beeinflusst werden?
- Können Ängste und Unsicherheiten in den betroffenen Familien bzgl. des T1D durch eine frühe Diagnose und eine gute Schulung gemindert werden?
Ablauf des Fr1da-Screenings und der anschließenden Schulung und der Verlaufskontrollen
Exemplarisch für Bayern wurden 18 Schulungs- und Versorgungszentren etabliert, um eine gute Erreichbarkeit für alle Kinder im gesamten Bundesland zu gewährleisten. Nach der Diagnose Frühstadium T1D wird beim Erstbesuch des Kindes in einem der Zentren zunächst ein OGTT durchgeführt und der HbA1c-Wert bestimmt. So wird festgestellt, ob die Kinder noch normoglykämisch (Stadium 1) sind oder bereits eine Dysglykämie (Stadium 2) vorliegt. Entsprechend der Ergebnisse des OGTT bzw. des HbA1c-Wertes werden planmäßige Verlaufskontrollen und das weitere Vorgehen festgelegt und nach Bedarf engmaschig durchgeführt. Weiterhin werden die Eltern über die häusliche Durchführung von Blutzuckermessungen informiert und angeleitet. Zusätzlich erhalten die Familien eine intensive Schulung zum Thema T1D und speziell dafür zusammengestellte Schulungsunterlagen. Mittels des „Patient Health Questionnaire”-(PHQ-)9-Fragebogens wird außerdem die psychische Belastung der Eltern bestimmt. So soll die direkte Einleitung einer angemessenen Betreuung gewährleistet werden.
Bisherige Ergebnisse der Fr1da-Studie
Primäres Ziel der Fr1da-Studie ist es herauszufinden, welche Vorteile ein Screening zur Frühdiagnose des T1D mit sich bringt. Bisherige Daten der Fr1da-Studie zeigen, dass Kinder, die an dem Frühscreening teilgenommen haben, eine drastisch reduzierte Ketoazidoserate aufweisen. Die Ketoazidoserate zum Zeitpunkt der klinischen T1D-Manifestation betrug bei Kindern, die in den Jahren 2015 bis 2023 innerhalb des Fr1da-Programmes die Diagnose Frühstadium T1D erhielten (n = 140 Kinder), 4,3 % und lag bei den Kindern, deren Familie am Fr1da-Schulungsprogrammes teilnahmen, bei 2 %. Zum Vergleich hierzu lag die Ketoazidoserate im deutschen Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentations-(DPV-)Register ohne vorhergehendes Screening bei 24 % im Jahr 2019, während der COVID-19-Pandemie bei 44 % und gemäß der Sächsischen Kinder-Diabetes-Registerdaten der Jahre 2013 bis 2023 bei 37 %.
β-Zellfunktionen
Kinder, die am Fr1da-Früherkennungsprogramm teilnahmen und die Diagnose Frühstadium T1D erhielten, zeigten verbesserte Parameter der β-Zellfunktion zum Zeitpunkt der klinischen Diagnose auf. Dies zeigte sich bei einem Vergleich der Daten von Fr1da-Kindern mit denen aus der „diabetes mellitus incidence cohort registry”-(DiMelli-)Studie. DiMelli wurde als Bayerische Diabetesregisterkohorte etabliert, um Häufigkeit und Charakteristika der Diabetestypen bei Kindern und Jugendlichen in Bayern zu untersuchen, wobei kein Screening auf das T1D-Frühstadium stattfand. Im Vergleich zu DiMelli weisen Kinder der Fr1da-Studie einen besseren Allgemeinzustand und einen geringeren Gewichtsverlust zum Zeitpunkt der klinischen Diagnose eines T1D auf. Im Rahmen der Fr1da-Studie konnte zudem festgestellt werden, dass die psychische familiäre Belastung zum Zeitpunkt der Diagnose Frühstadium T1D deutlich geringer war als die Belastung für Eltern, die die T1D-Diagnose ihres Kindes erst bei klinischer Manifestation erhielten. Die Belastung nahm über die Zeit ab: Sie war am höchsten bei Mitteilung der Diagnose im Frühstadium, sank in den folgenden sechs bis zwölf Monaten deutlich ab und lag schließlich nach einem Jahr auf dem Level von Kontrollkindern und -eltern, die keine Diabetesdiagnose erhalten hatten. Aus der Fr1da-Studie lassen sich die folgenden signifikanten Vorteile einer Früherkennung des T1D ableiten:
- Drastische Reduktion der Diabetischen Ketoazidoserate zum Zeitpunkt der klinischen Manifestation,
- verbesserte β-Zellfunktion zum Zeitpunkt der klinischen Manifestation,
- geringerer Gewichtsverlust und kürzere stationäre Verweildauer im Krankenhaus zum Zeitpunkt der klinischen Manifestation,
- bessere Lebensqualität der Familien bei geringerer psychischer Belastung,
- reibungslose Übergangsphase hin zu einer optimal terminierten Insulintherapie,
- erleichterter Zugang für Familien zu präventiven Therapien, die das Ziel verfolgen, die Progression zur klinischen Manifestation zu verzögern.
Relevanz der Erkenntnisse aus Fr1da
Aus den bisherigen Erkenntnissen der Fr1da-Studie können vorausschauende Annahmen abgeleitet werden, die für die Einführung eines deutschlandweiten, populationsbasierten Screenings von Relevanz sind. Auf Basis der Annahme, dass etwa 90 % der Kinder an einem bevölkerungsweiten zweistufigen Screening im Rahmen der U7a- und U11-Untersuchungen teilnehmen werden, ist damit zu rechnen, dass innerhalb von 20 Jahren bei insgesamt 21.000 Kindern die Diagnose T1D im Frühstadium gestellt werden wird. Dadurch wird es zu einer Zunahme der Anzahl der Kinder in der pädiatrischen Versorgung um ca. 60 % kommen. Es ist daher erforderlich, die dafür notwendige Infrastruktur rund um die Diagnose des T1D im Frühstadium, einschließlich dedizierter Schulungs- und Monitoringprogramme, zu etablieren. Diesem Mehrbedarf an Versorgungsleistungen stehen im Gegenzug gesellschaftlich relevante Vorteile gegenüber. Projiziert auf das Jahr 2044, ergibt sich durch die Früherkennung des T1D und den präventiven Maßnahmen (Monitoring und Schulung) eine Reduzierung der Komplikationen bei klinischer T1D-Manifestation, einhergehend mit einem besseren Allgemeinzustand zum Zeitpunkt der klinischen Manifestation.
Leitliniengerechtes Monitoring des frühen Typ-1-Diabetes
Um ein leitliniengerechtes Monitoring für T1D-Autoantikörper-positive Menschen festzulegen, bei denen sich noch kein klinischer T1D manifestiert hat, hat „Breakthrough T1D”, die führende globale Organisation zur Forschung und Interessenvertretung für Typ-1-Diabetes, 73 internationale Experten aus vier Kontinenten und elf Partnerorganisationen zusammengerufen. Dazu wurde im Jahr 2024 eine Konsensusleitlinie zur optimalen Versorgung von Kindern mit positiven Inselautoantikörperbefunden – beginnend mit der Erstuntersuchung bis über die Diagnose des Stadiums 3 hinaus – verfasst. Die Leitlinie beschreibt die Beurteilung von Diabetesantikörperbefunden, die notwendige Unterstützung, Schulung und Betreuung sowie Empfehlungen zum stadien- und altersgerechten Follow-up bei Personen mit nachgewiesenen Autoantikörpern, um z. B. das Auftreten einer diabetesbedingten Ketoazidose zu verhindern. Die Leitlinie besagt u. a., dass nach dem durch einen zweiten Labortest bestätigten Nachweis von ≥2 Inselautoantikörpern der verantwortliche Kinderarzt eine spezialisierte Diabetesversorgung empfehlen soll. Flankiert durch eine psychosoziale Bewertung und Unterstützung sollen für die betroffenen Familien damit einhergehend Beratungs- und Schulungsmaßnahmen eingeleitet und Hinweise zur Teilnahme an geeigneten Studien oder eventuell zugelassenen Therapien gegeben werden. Weiterhin sollen für das metabolische Monitoring zu Hause Blutzuckermessgeräte zur Verfügung gestellt werden, um das Auftreten von Dysglykämien rechtzeitig und vor Auftreten einer Diabetischen Ketoazidose zu erkennen. Abhängig vom jeweiligen Befund und dem Alter der betroffenen Kinder werden die Intervalle für ärztliche Kontrolluntersuchungen festgelegt, da sich bei jüngeren Kindern im Allgemeinen ein schnellerer Verlauf des T1D zeigt als bei älteren. Die Entwicklung des Diabetes zum Stadium 2 sollte durch eine spezialisierte Diabetesversorgung unter Einbeziehung eines Diabetologen oder Endokrinologen erfolgen – nicht zuletzt, um mit einer notwendigen Insulintherapie möglichst frühzeitig beginnen zu können.
Fazit
- T1D ist eine komplexe Autoimmunerkrankung. Die β-Zellen der Langerhans-Inseln werden dabei zunehmend zerstört und sind nicht mehr in der Lage, Insulin zu produzieren.
- Der T1D stellt ein Krankheitskontinuum dar. Er beginnt ohne Symptome und kann frühzeitig mit der Messung von Inselautoantikörpern diagnostiziert werden. Anhand des Nachweises von mehreren bestätigt positiven T1D-assoziierten Inselautoantikörpern wird eine klinisch relevante Stadieneinteilung des T1D möglich.
- Früherkennungsprogramme können das klinische Outcome bei Kindern und Jugendlichen zum Zeitpunkt der klinischen Manifestation maßgeblich verbessern – mit einer signifikanten Reduktion der Diabetischen Ketoazidoserate und einer Verbesserung des gesundheitlichen Allgemeinzustandes zum Zeitpunkt der klinischen Manifestation des T1D.
Bildnachweis
Vladislav – stock.adobe.com