Prävalenz des Schlaganfalles
In Deutschland beträgt der Anteil der Erwachsenen, die einen Schlaganfall überlebt haben, ca. 2,5 %. Insbesondere bei Personen >75 Jahre sind >6 % von den chronischen Folgen betroffen. Jährlich treten in Deutschland etwa 200.000 erstmalige Schlaganfälle und 70.000 Rückfälle auf. Dank kontinuierlicher Fortschritte in der Prävention wird allerdings ein stetiger Rückgang der Neuerkrankungs- und Sterberaten verzeichnet. Trotzdem steigt die absolute Anzahl an Schlaganfällen aufgrund des demografischen Wandels europaweit weiter an. In den nächsten 50 Jahren wird Europa einen Rückgang der Geburtenraten, eine alternde Bevölkerung und viele Länder eine Verringerung der Gesamtbevölkerung erleben. Vor allem die Anzahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter wird bis 2040 voraussichtlich deutlich sinken. Infolge des demografischen Wandels ist es sehr wahrscheinlich, dass die Anzahl der Menschen, die einen Schlaganfall erleiden, zunehmen wird, ebenso wie die damit verbundenen wirtschaftlichen Kosten. Im Jahr 2017 verursachten Schlaganfälle in den 32 europäischen Volkswirtschaften Kosten von insgesamt 60 Milliarden Euro. Da das Alter der größte, nicht modifizierbare Risikofaktor für einen Schlaganfall ist, ist mit einem erheblichen Anstieg der Anzahl neuer Schlaganfälle und der Anzahl von Menschen, die mit den Schlaganfallfolgen leben müssen, zu rechnen. Die Schlaganfallinzidenz wird bis 2035 um 32 % und bis 2040 um 41 % ansteigen. Für das Jahr 2030 wird erwartet, dass der Schlaganfall in den untersuchten 32 europäischen Volkswirtschaften Gesamtkosten in Höhe von 75 Milliarden Euro verursachen wird. Im selben Jahr werden die direkten Behandlungskosten voraussichtlich 33 Milliarden Euro erreichen.
Folgen des Schlaganfalles
Schlaganfälle stellen die führende Ursache für Behinderungen im Erwachsenenalter dar. Im Jahr 2017 führten Schlaganfälle in Europa zu einem Verlust von 7,06 Millionen gesunden Lebensjahren („disability-adjusted life years”, DALY). Im Verlauf der letzten Jahrzehnte hat sich die Geschwindigkeit der diagnostischen Verfahren zunehmend erhöht, hauptsächlich aufgrund der Fortschritte in der Bildgebung, insbesondere der computertomografischen Perfusions- und Gefäßdarstellung. Dadurch ergeben sich verbesserte Möglichkeiten für die Akutbehandlung mittels Lysetherapie und Thrombektomie, deren Effektivität in der Akutphase durch große Studien bestätigt wurde. Dennoch sind ca. 40 % der Schlaganfallpatienten von bleibenden Behinderungen betroffen. Ebenso benötigen rund 40 % der Betroffenen nach einem Schlaganfall infolge ihrer Beeinträchtigungen langfristige Unterstützung im Alltag.
Spastische Bewegungsstörung nach Schlaganfall
Eine spastische Bewegungsstörung („spastic movement disorder”, SMD) kann als Konsequenz zahlreicher neurologischer Erkrankungen auftreten. In der klinischen Praxis kommt SMD besonders häufig nach einem Schlaganfall vor. Bei vielen Schlaganfallpatienten tritt eine SMD bereits frühzeitig auf, d. h. bereits innerhalb der ersten Wochen nach dem Ereignis. Bis zu 43 % der Patienten, die einen Schlaganfall erlitten haben, entwickeln im Verlauf eine SMD. Ohne angemessene Behandlung können Komplikationen wie Kontrakturen und Schmerzen auftreten. Es ist wichtig, das chronische Stadium der SMD zu verhindern und geeignete Maßnahmen zur Therapie und Rehabilitation frühzeitig einzuleiten. Patienten durchlaufen verschiedene Phasen während der Behandlung eines Schlaganfalles. In der Akutphase sterben viele Neurone und andere Zellen ab. Anschließend beginnt eine Entzündungsreaktion. Nach der hyperakuten Phase kann eine Besserung der Symptome eintreten, begleitet von einer möglichen Wiederherstellung der Funktionen, was auf endogene Plastizität zurückzuführen ist. Die Patienten durchlaufen drei Behandlungsstufen: die Akutbehandlung, gefolgt von der Rehabilitation und schließlich der langfristigen ambulanten Betreuung. Viele Patienten zeigen ein charakteristisches Gangbild, das häufig auf eine Hemiparese zurückzuführen ist. Dieses Gangbild wird oft als Wernicke-Mann-Gangbild beschrieben, das in vielen neurologischen und internistischen Lehrbüchern abgebildet ist. Es ist durch eine Beugefehlhaltung der oberen Extremität und eine Zirkumduktion-Fehlhaltung der unteren Extremität gekennzeichnet. Es ist wichtig, dass Patienten frühzeitig in spezialisierte Ambulanzen zur BoNT-A-Therapie überwiesen werden, um solche Gangmuster zu behandeln.
Wann sollte die SMD-Behandlung beginnen?
Bei der Behandlung von Patienten nach einem Schlaganfall gibt es mehrere kritische Zeitpunkte. Einer dieser Punkte ist der Übergang von der Akutbehandlung zur Rehabilitation; ein weiterer ist der Übergang von der Rehabilitation zur ambulanten Betreuung. Die aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) geben klare Empfehlungen zur Therapie des spastischen Syndroms. Insbesondere bei fokaler SMD, wie sie häufig bei Patienten nach einem Schlaganfall auftritt, wird die Injektionsbehandlung mit BoNT-A gegenüber einer Behandlung mit oralen Antispastika wie Baclofen bevorzugt. Dies liegt daran, dass die Injektionsbehandlung mit BoNT-A ein besseres Verhältnis zwischen Wirksamkeit und Nebenwirkungen bietet sowie ein insgesamt geringeres Risiko für Nebenwirkungen aufgrund der lokalen Anwendung anstelle einer systemischen Gabe.
Prädiktoren der SMD nach Schlaganfall
Es wurde eine Reihe von Studien veröffentlicht, die Prädiktoren für die Entwicklung einer SMD nach einem Schlaganfall untersucht haben. Dabei wurden fünf Hauptfaktoren identifiziert: das Infarktvolumen, ein niedriger Barthel-Index, eine niedrige Lebensqualität, eine hohe „modified Ashworth scale” (MAS) und eine schwere Parese der oberen Extremität. Es ist jedoch zu beachten, dass diese Studien größtenteils retrospektiv waren, was bedeutet, dass ihre Aussagekraft im Vergleich zu prospektiven Studien begrenzt ist. Es liegen auch Metaanalysen zur Behandlung der SMD mit BoNT-A vor, wie die von Rosales und Kollegen aus dem Jahr 2016, die sieben verschiedene Studien einschloss. Diese Metaanalysen zeigen generell eine deutliche Überlegenheit von BoNT-A in Bezug auf die Behandlung der SMD, wie in den Grafiken von Rosales et al. dargestellt. Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass in diesen Metaanalysen verschiedene Extremitäten untersucht sowie unterschiedliche Messmethoden und Untersuchungszeitpunkte verwendet wurden. Diese Metaanalysen retrospektiver Auswertungen sind daher in der Regel nicht so aussagekräftig wie hochwertige prospektive Studien. Eine prospektive Studie konzentrierte sich auf Patienten, die frühzeitig nach einem Schlaganfall mit BoNT-A behandelt wurden. Die Studie zeigte, dass Patienten, die mit BoNT-A behandelt wurden, bereits nach vier Wochen eine Verbesserung in der MAS erfahren hatten. Diese Verbesserung hielt über einen Zeitraum von drei Monaten an, obwohl sie nach diesem Zeitraum im Vergleich zu Placebo etwas abnahm. Das primäre Ziel der Studie war jedoch nicht diese Verbesserung, sondern die Bestimmung des optimalen Zeitpunktes für eine Reinjektion nach der Erstinjektion von BoNT-A. Viele Behandler, die mit BoNT-A arbeiten, wissen, dass Patienten oft nach zwölf Wochen zur Nachinjektion einbestellt werden. Die Studie legte Reinjektionskriterien fest, wonach Patienten reinjiziert werden sollten, wenn ihre MAS >2 betrug oder bei einer MAS >1 plus Vorliegen zusätzlicher Symptome einer SMD wie Schmerzen, unwillkürliche Bewegungen, beeinträchtigte Aktivität der Extremität oder eingeschränkte passive Funktion. Erst wenn eines dieser Kriterien erfüllt war, wurden die Patienten zur Reinjektion eingeladen. Eine prospektive Studie aus Berlin hat 145 Patienten untersucht, nachdem insgesamt 203 Patienten eingeschlossen wurden. Von den 145 untersuchten Patienten entwickelte etwa ein Viertel eine SMD nach Schlaganfall. Alle diese Patienten wiesen eine SMD an der oberen Extremität auf, über die Hälfte der Betroffenen wies auch eine SMD an der unteren Extremität auf. Dies spiegelt das typische Verteilungsmuster im klinischen Alltag wider. Etwa 70 % der Patienten waren von Ellenbogenflexionsproblemen betroffen, >80 % wiesen Probleme im Schulterbereich auf. Auch eine Pronation des Handgelenkes trat häufig auf. Die identifizierten Prädiktoren für die Entwicklung einer SMD nach Schlaganfall erweisen sich im klinischen Alltag als sehr praktikabel. Wenn Patienten einen „National Institutes of Health Stroke Scale”-(NIHSS-)Wert >2 und einen „modified rankin score” (mRS) >2 aufweisen, besteht eine hohe Vorhersagekraft mit einer sehr hohen Sensitivität für die Entwicklung einer SMD im Verlauf. Die Durchführung einer „minimental state examination” (MMSE) mit einem Ergebnis <27 erhöhte ebenfalls die Sensitivität. Die Kombination eines mRS-Wertes >2, eines NIHSS-Wertes >2 und eines MMSE-Wertes <27 erreichte einen positiven prädiktiven Wert von 95,2 % für die Vorhersage einer SMD nach Schlaganfall bei einer Sensitivität von 94,4 % und einer Spezifität von 93,3 %. Selbst wenn die MMSE nicht durchgeführt wird, sind allein schon die NIHSS zusammen mit dem mRS, die zumeist routinemäßig auf Schlaganfallstationen durchgeführt werden, sehr aussagekräftig. Mithilfe dieser Werte können Ärzte und Pflegekräfte relativ einfach Patienten identifizieren, die wahrscheinlich eine SMD nach einem Schlaganfall entwickeln werden. Eine zentrale Herausforderung liegt darin, sicherzustellen, dass Patienten nach einem Schlaganfall nicht in der Nachsorge verloren gehen. Es gibt verschiedene Initiativen, die darauf abzielen, die Nachsorge nach einem Schlaganfall zu verbessern. Ein Beispiel für solche Bemühungen ist das Positionspapier zur Schlaganfallnachsorge der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft. Diese Initiativen konzentrieren sich v. a. auf die Rolle der ambulanten Schlaganfallspezialisten. Im Positionspapier wird auch die Behandlung mit BoNT-A thematisiert. Um eine ausreichende Nachsorge und Behandlung mit BoNT-A sicherzustellen, sind die Patienten auf niedergelassene Ärzte angewiesen. Die kritische Frage ist jedoch, ob Ärzte in der Lage sind, alle Aspekte der Nachsorge angemessen zu bewältigen. Hierfür kommt es auf die Bereitstellung adäquater Rahmenbedingungen an. Es besteht ein Bestreben, die Vergütung zu verbessern und möglicherweise ein Disease-Management-Programm für SMD einzuführen, ähnlich wie bei anderen Erkrankungen wie der koronaren Herzkrankheit. Dies erfordert jedoch entsprechende gesetzliche Vorgaben und einen umfassenden Prozess. Betrachtet man die Zahlen der Uniklinik Essen im Zeitraum von 2017 bis 2021 und die Prädiktoren für die Entwicklung von SMD bei Patienten mit Schlaganfällen, zeigt sich, dass insgesamt >5200 Fälle von Schlaganfällen, sowohl ischämischer als auch hämorrhagischer Genese, behandelt wurden. Von diesen erfüllten etwa 55 % die Kriterien eines NIHSS >2 und eines mRS >2 (eigene Daten). Zwischen 2017 und 2021 hätte die Uniklinik Essen somit theoretisch etwa 500 Schlaganfallpatienten mit SMD pro Jahr behandeln müssen. Ein Blick auf die Patientenzahlen in den BoNT-A-Ambulanzen zeigt jedoch, dass die Zahl der dort behandelten Patienten weit unterhalb der erwarteten Werte liegt. Dies ist als Hinweis für eine deutliche Unterversorgung zu werten, obwohl die BoNT-A-Therapie eigentlich eine Erstlinientherapie darstellt. Die Frage lautet nun: Können wir Lösungen für dieses Problem finden?
Konsensusempfehlungen
Eine Konsensusgruppe, bestehend aus acht Experten aus verschiedenen medizinischen Zentren in Deutschland, wurde gebildet, um Verbesserungen in der Versorgung von Patienten mit spastischer Bewegungsstörung nach einem Schlaganfall zu erarbeiten. Der Artikel, der aus den Diskussionen und Ergebnissen der Gruppe resultiert, wurde mittlerweile veröffentlicht.
Gründe für die Unterversorgung der spastischen Bewegungsstörung
Die Gründe für die Unterversorgung der spastischen Bewegungsstörung (SMD) sind vielfältig und betreffen sowohl den ambulanten als auch den stationären Bereich. Im ambulanten Bereich besteht oft ein mangelndes Bewusstsein für das Problem der SMD und ihrer Komplikationen wie Kontrakturen und Schmerzen. Zudem gibt es eine geringe Akzeptanz der BoNT-A-Behandlung, wobei orale Antispastika bevorzugt werden. Ein weiteres Hindernis ist das Fehlen von qualifizierten BoNT-A- Behandelnden, was zu langen Wartezeiten für Termine führt. Die fehlende zusätzliche Vergütung für BoNT-A-Injektionen bietet keinen Anreiz, die erforderliche Zeit für die Behandlung aufzuwenden, und es bestehen Bedenken bezüglich eines möglichen Off-Label-Einsatzes. Im Krankenhauswesen sind Kapazitäten aufgrund von Personalmangel in Spezialambulanzen der Universitätskliniken begrenzt, und die Ermächtigungsambulanzen sind unterfinanziert. Das Screening auf SMD-Risiko wird auf Schlaganfallstationen kaum durchgeführt, die Informationsübermittlung zwischen Akutkliniken, Rehabilitationskliniken und weiterbehandelnden niedergelassenen Ärzten ist unzureichend. Es mangelt auch an interdisziplinären Konzepten, die angrenzende Fachgebiete wie beispielsweise Neurochirurgie, Physiotherapie, Traumatologie mit einbeziehen. Insgesamt besteht eine ungenügende lokale Vernetzung zwischen den verschiedenen Behandlungssektoren, einschließlich Schlaganfallstationen und BoNT-A-Ambulanzen, Schlaganfallstationen und Rehabilitationskliniken sowie zwischen Schlaganfallstationen und niedergelassenen Neurologen/Allgemeinmedizinern, Rehabilitationskliniken und BoNT-A-Ambulanzen sowie zwischen Neurologen/Allgemeinmedizinern und BoNT-A-Ambulanzen. Dies resultiert aus einer fehlenden Förderung der Kommunikation über die Sektorengrenzen hinweg. Es mangelt an Wissen über Therapieoptionen für SMD, insbesondere bei Allgemeinmedizinern und teilweise auch bei niedergelassenen Neurologen. Des Weiteren sind Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Orthopädietechniker und Redressionsspezialisten nicht ausreichend in die Versorgung eingebunden. Das Entlassungsmanagement bezüglich des SMD-Risikos und der Weiterbehandlung der Patienten ist unzureichend ebenso wie die Aufklärung von Patienten und Angehörigen über die SMD. Zudem fehlt es an Unterstützung für intersektorale Versorgungsforschung im Bereich SMD.
Diskussion der Lösungswege und des Konsensus
Aufgrund der häufigen Fehl- und Unterversorgung entlang des bisherigen Patientenpfades für die Behandlung von SMD schlagen die konsentierenden Mitwirkenden einen neuen Behandlungspfad vor, um die Versorgung zu verbessern. Das Ziel besteht darin, sicherzustellen, dass Patienten mit SMD bei entsprechender Indikation bessere Chancen haben, eine BoNT-A-Therapie zu erhalten.
Allgemein
Im Allgemeinen sollte eine neurologische Betreuung für alle Schlaganfallpatienten gewährleistet sein, innerhalb derer sämtliche Folgesymptome in der Schlaganfallnachsorge berücksichtigt werden müssen. Ein aussagekräftiges Screening zur frühzeitigen Identifizierung von Patienten mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer SMD sollte durchgeführt werden, gefolgt von einer frühzeitigen Behandlung bei positivem Befund.
Risiko-Assessment
Das Risiko-Assessment für die Entwicklung und Erfassung einer SMD kann mithilfe einer Risikoampel durchgeführt.
Diagnose einer SMD
Zu Beginn und am Ende der neurologischen Rehabilitation sollte die Erhebung der „resistance to passive movement scale” (REPAS) durchgeführt werden. Die überweisenden Ärzte sollten das Niveau der geschwindigkeitsabhängigen Tonuserhöhung (Ashworth-Skala oder MAS) prüfen, um eine gezielte Überweisung an Praxen oder Spezialambulanzen zu ermöglichen, die eine BoNT-A-Therapie anbieten können. Durch eine frühzeitige BoNT-A-Therapie bei signifikanter spastischer Tonuserhöhung (Ashworth-Skala oder MAS ≥2) können Sekundärkomplikationen nachweislich verhindert werden.
Schlaganfallstation
Das Screening und Risiko-Assessment bezüglich SMD sollte auch hier gemäß einem Ampelsystem erfolgen (siehe Abschnitt Ampelsystem mit Prädiktoren für das Risiko der Entwicklung einer SMD). Patienten, bei denen bereits auf der Stroke Unit oder innerhalb der ersten sieben Tage nach Entwicklung einer behandlungsbedürftigen SMD gemäß den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) eine solche festgestellt wird, sollten unmittelbar einer physikalischen und medikamentösen Behandlung zugeführt werden. Das Ergebnis des SMD-Screenings mit entsprechenden Handlungsempfehlungen sollte im Entlassungsbrief an die weiterbehandelnden
Ärzten gut erkennbar festgehalten werden
Ampelsystem mit Prädiktoren für das Risiko der Entwicklung einer SMD
Das Screening auf SMD sollte bereits während der Akutversorgung auf der Schlaganfallstation innerhalb der ersten sieben Tage nach dem Schlaganfall und erneut während der neurologischen Rehabilitation durchgeführt werden, basierend auf den veröffentlichten Prädiktoren für die Entwicklung von SMD. Die bei stationärer Aufnahme und Entlassung erhobenen Parameter, allen voran NIHSS und mRS, sollten im ärztlichen Bericht dokumentiert werden. Dies gilt sowohl beim Übergang von der Akutklinik in eine Rehabilitationsklinik als auch bei der Überweisung an die Hausärzte oder Fachärzte für die Bereiche Neurologie, physikalische Medizin und Rehabilitation. Des Weiteren sollte das individuelle Risiko für die Entwicklung einer SMD nach einem Schlaganfall aus Gründen der Übersicht mittels eines Ampelsystems dargestellt werden.
Rehabilitationseinrichtung
Auch im Rehabilitationssetting ist es wichtig, Hinweise auf die Entwicklung einer SMD zu beachten, die zu einer gezielten physikalischen sowie einer leitliniengerechten medikamentösen Therapie führen sollten. Diese Informationen sollten ebenfalls im Entlassungsbrief der Rehabilitationseinrichtung dokumentiert sein. Zudem sollten den Angehörigen und Patienten eine Liste von spezialisierten Zentren für die Behandlung der SMD sowie eine Liste von BoNT-A-Behandlern ausgehändigt werden. Im Falle einer positiven Re-Evaluation bezüglich einer lokalisierten SMD sollte eine direkte Empfehlung im Rahmen des Entlassungsmanagements erfolgen, um eine umgehende Vorstellung bei einem BoNT-A-Behandler zu ermöglichen.
BoNT-A-Therapie
Die multiprofessionelle physikalische und medikamentöse Therapie der SMD erfordert in der Regel eine wiederholte Behandlung. Es ist erforderlich, die Kapazitäten in den BoNT-A-Ambulanzen zu erhöhen oder neue BoNT-A-Behandler auszubilden. Zudem sollte in allen Bundesländern eine spezifische Leistungsziffer im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) eingeführt werden, über die qualifizierte Ärzte die BoNT-A-Therapie pro Behandlung bei Patienten mit SMD nach einem Schlaganfall abrechnen können.
Ausblick
Die Behandlung der SMD sollte eine umfassende Versorgung beinhalten und im Rahmen eines multiprofessionellen Behandlungskonzeptes innerhalb eines Netzwerkes umgesetzt werden. Es sollte eine bundesweite Leistungsziffer im EBM für die Koordination eines multiprofessionellen Teams (einschließlich Physio- und Ergotherapeuten) für die SMD-Behandlung geschaffen werden, die beispielsweise einmal im Quartal von Hausärzten und Neurologen abgerechnet werden kann. Die Zusammenarbeit mit bestehenden neurovaskulären Netzwerken oder die Entwicklung eines Versorgungskonzeptes für Patienten mit SMD nach einem Schlaganfall sind mögliche Ansätze für eine flächendeckende Versorgung und sollten in Innovationsfondprojekten evaluiert werden. Zur Überbrückung der aktuellen personellen Unterversorgung wären digitale Hilfsmittel wie eine SMD-App oder eine Post-Stroke-Checkliste von großem Nutzen. Es besteht die Notwendigkeit, die intersektorale Versorgungsforschung im Bereich SMD besser zu fördern.
Fazit
- Die Behandlung von SMD gemäß den Leitlinien der DGN erfolgt mit BoNT-A bei fokaler, multifokaler oder segmentaler funktions- oder alltagsrelevanter SMD oder dem Risiko für Komplikationen durch SMD.
- Um eine höhere Rate an leitliniengerechter Behandlung von SMD-Patienten zu erreichen, werden Versorgungslücken durch einen strukturierten Patientenpfad reduziert.
- Ein frühzeitiges Screening auf SMD-Risiko innerhalb von sieben Tagen nach dem Schlaganfall gewährleistet eine zeitnahe leitliniengerechte Behandlung.
- Das SMD-Risiko wird anhand von Cut-off-Werten im Ampelsystem basierend auf den Parametern mRS, NIHSS und MAS bewertet.
- Die Dokumentation und Weitergabe des SMD-Risikos erfolgt im Entlassungsbrief an die weiterbehandelnden Ärzte.
- Es wird eine leistungsspezifische EBM-Ziffer in allen Bundesländern für die Abrechnung der BoNT-A-Therapie pro Behandlung bei SMD-Patienten der oberen und/oder unteren Extremität nach einem Schlaganfall benötigt sowie eine bundesweite EBM-Ziffer für die Koordination eines multiprofessionellen Behandlungsteams.
- Es besteht die Notwendigkeit, die intersektorale Versorgungsforschung im Bereich SMD zu unterstützen.
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