Praxisorientiertes Update zur Reizdarm-Leitlinie

Das Reizdarmsyndrom gehört zu den häufigsten gastrointestinalen Fällen in der ambulanten Versorgung. Im Jahr 2021 erschien nun nach 10 Jahren eine aktualisierte S3-Leitlinie, die bestehende und neue Diagnosekriterien, -verfahren und therapeutische Optionen evaluiert, um praxisrelevante Empfehlungen zu geben.

Zentrale Änderungen sind im diagnostischen Vorgehen zu finden sowie in einem neuen multimodalen Therapiekonzept, welches Maßnahmen aus Akutmedikation, Mikrobiommodulation, Ernährung und psychische Entspannung umfasst.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709124049880015
Zeitraum 27.04.2024 - 26.04.2025
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte 4 Punkte (Kategorie D)
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof. Dr. Heiner Krammer
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Fachartikel
Lernmaterial Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Microbiotica GmbH
Bewertung 4.4 (574)

Einleitung

Das Reizdarmsyndrom gehört zur Gruppe der funktionellen Darmerkrankungen und spiegelt darin die wichtigste Entität wider. Funktionelle Darmerkrankung haben ein heterogenes Krankheitsbild in Bezug auf Art und Schwere der Symptome, klinischen Verlauf und Beeinträchtigung im Alltag. Das Reizdarmsyndrom äußert sich in chronisch abdominellen Beschwerden und Schmerzen, die auf den Darm bezogen werden. Typische Symptome sind krampfartige Abdominalschmerzen, Diarrhö, Obstipation, Flatulenzen und Meteorismus (abdominelle Distension), ohne dass eine eindeutige organische Ursache auszumachen ist. Die Beschwerden gehen häufig mit Veränderungen des Stuhlganges einher (Stuhlfrequenz, -konsistenz) und führen zu einer stark beeinträchtigten Lebensqualität der Betroffenen.

Die wichtigsten Änderungen in der Diagnosestellung

Paradigmenwechsel in der Definition des Reizdarmsyndroms

Neue Erkenntnisse zur Pathophysiologie führen zu einem Paradigmenwechsel in der Leitliniendefinition des Reizdarmsyndroms. Damit wird den Ergebnissen der Rom-IV-Konsensuskonferenz gefolgt, die das Krankheitsbild als „Störung der Darm-Hirn- Interaktion“ definiert. Die heterogenen Ausprägungen und Symptome reflektieren die individuell betroffenen Elemente der Darm-Hirn-Achse. Um die klinische Realität besser abzubilden, wird das Reizdarmsyndrom in der Leitlinie abweichend von den Rom-IV-Kriterien definiert. Für ein Reizdarmsyndrom müssen drei Kriterien erfüllt sein: Es bestehen länger als drei Monate anhaltende oder rezidivierende Darmbeschwerden (z. B. Abdominalschmerzen, Flatulenzen, Meteorismus, Gefühl unvollständiger Entleerung), die in der Regel mit Stuhlgangveränderungen einhergehen: a) Stuhlfrequenz (<3 Stuhlgänge pro Woche oder >3 Stuhlgänge pro Tag), b) Stuhlkonsistenz (hart/klumpig oder breiig/wässrig). Die Lebensqualität ist dadurch stark beeinträchtigt. Es liegen keine anderen Krankheitsbilder vor, die für die Symptome verantwortlich sind.

Koordination von PatientInnen

Hausärztlich tätige Ärztinnen und Ärzte begleiten PatientInnen meist langjährig und übernehmen daher eine wichtige Funktion in der Koordination weiterführender Diagnostik und Therapien. Eine interdisziplinäre Versorgung sollte zudem durch eine fachdisziplinübergreifende Kommunikation gewährleistet sein (u. a. Gastroenterologie, Gynäkologie, Psychosomatik). Für eine rationale und praktikable Koordination in der Diagnosesicherung erscheint laut aktualisierter Leitlinie die nachfolgende Aufteilung der Aufgaben sinnvoll:
  • Basisuntersuchungen: Hausärztin/Hausarzt
  • Diagnosesicherung: Hausärztin/Hausarzt und Fachärztin/Facharzt
  • Diagnosemitteilung: Hausärztin/Hausarzt oder Gastroenterologin/Gastroenterologe

Strukturiertes diagnostisches Vorgehen

Die aktualisierte Reizdarm-Leitlinie hat die bisherigen diagnostischen Maßnahmen evaluiert und einige ihrer Empfehlungen aktualisiert. Aufgrund fehlender Validität und Aussagekraft gibt es derzeit keine spezifischen Biomarker, mit deren Hilfe die Diagnose sichergestellt werden kann (LS 3–9). Eine Differenzialdiagnostik ist beim Reizdarmsyndrom daher unumgänglich. Um zu vermeiden, dass mehrere Jahre bis zur Erstdiagnose vergehen (Stand 2019: bis zu acht Jahre), legt sie ihren Schwerpunkt auf die wichtigsten Differenzialdiagnosen, um eine möglichst frühe und verlässliche Diagnose zu ermöglichen (LS 3–3). Der Verdacht auf ein Reizdarmsyndrom wird zunächst durch eine kompatible Beschwerdekonstellation und -schwere sowie durch weitere anamnestische Kriterien geäußert. Eine gesicherte Diagnose kann erst nachfolgenden Punkten gestellt werden (LS 3–1, 3–4, 3–5):
  • Nach einer ausführlichen Anamnese
  • Nach Ausschluss relevanter Krankheiten oder Störungen, die sich ebenfalls mit Symptomen eines Reizdarmsyndroms äußern, jedoch kausal behandelt werden können (z. B. Nahrungsmittelintoleranzen).
Bereits die initiale Aufklärung der PatientInnen über die einzelnen Diagnoseschritte sowie der darauf folgende überzeugende Ausschluss relevanter organischer Erkrankungen tragen zu einer verbesserten Akzeptanz einer Erkrankung ohne nachweisbare organische Ursachen bei. Darüber fördert dieser wichtige Schritt ein positives Verhältnis zwischen Ärztin/Arzt und PatientIn und trägt durch die damit verbundene Beruhigung (Reassurance) auch zum Therapieerfolg bei (LS4–1). Wenn nach sorgfältiger initialer Diagnosestellung im weiteren Management keine neuen Aspekte oder Warnzeichen auftauchen, ist die Diagnose „Reizdarmsyndrom“ sehr stabil und eine erneute Diagnostik soll vermieden werden (LS3–2). Eine rasche Diagnosestellung vermeidet:
  • Diagnose- und Therapieverschleppung anderer, womöglich schwerwiegender Ursachen
  • Gesundheitsökonomisch ineffiziente Wiederholungsdiagnostik

Wichtigste Differenzialdiagnosen

Die Diagnose Reizdarmsyndrom ist eine Ausschlussdiagnose. Daher müssen organisch verursachte Erkrankungen, die zu einem ähnlichen Symptomkomplex führen können, zügig ausgeschlossen werden. Der Ausschluss richtet sich nach den individuell auftretenden Leitsymptomen Diarrhö, Obstipation, Abdominalschmerzen und Meteorismus/Flatulenzen. Zentral: Relevante Aspekte in der Anamnese beachten
  • Die ausführliche Anamnese stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik des Reizdarmsyndroms dar. Dazu gehört v. a. die gezielte Abfrage
  • des typischen Symptomkomplexes (Leitsymptome) und der Dauer
  • der subjektiven Einschätzung der PatientInnen zu Schwere und Auswirkung (u. a. Darminfektionen, Antibiotikabehandlungen, Operationen, stark belastende Lebensereignissen),
  • von anderen funktionellen Störungen (z. B. Reizmagen),
  • von psychischen Komorbiditäten (z. B. Ängstlichkeit, Depression),
  • von individuell feststellbaren Triggerfaktoren, u. a.: Nahrungsmittel, Medikamente, psychische Belastung (z. B. Beruf, persönlicher Verlust, Trauma),
  • von Warnzeichen.
Um ein Verständnis der Erkrankung und ihrer Bedeutung für die PatientInnen zu gewinnen, ist die objektive Erfassung der Symptomschwere sowie der beeinträchtigten Lebensqualität notwendig (LS 4–11). Dies sollte möglichst standardisiert erhoben werden, um die Behandlung auf die wichtigsten Beschwerden auszurichten und den Verlauf zu beurteilen (LS 3–20, 4–2A). Aspekte, die sich aus der Anamnese ergeben, können zwar auf ein Reizdarmsyndrom hinweisen, reichen zur Diagnosesicherung jedoch nicht aus. Sogenannte Warnzeichen haben dagegen eine hohe Spezifität für das Vorliegen entzündlicher oder maligner Grundkrankheiten und schließen die Arbeitsdiagnose eines Reizdarmsyndroms für das weitere diagnostische Vorgehen zunächst aus.

Methoden zum Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen

Neben der Anamnese und Erfassung der Leitsymptome, wird eine einmalige gründliche Basisdiagnostik empfohlen (LS 3–6A). Dies ermöglicht oft schon den Einstieg in eine Behandlung.

Weiterführende individuelle Diagnostik

Bei Diarrhö, familiären Risiken oder klarem Verdacht aus der Anamnese oder den Basisuntersuchungen wird eine weiterführende Diagnostik individuell und je nach führendem Symptom angeschlossen (LS 3–6B). Besteht Diarrhö als wesentliches Symptom, soll grundsätzlich eine umfassende diagnostische Abklärung durchgeführt werden, da häufig eine behandelbare Ursache zugrunde liegt (LS 3–8). NEU! Bei Verdacht empfiehlt die Leitlinien nun u. a. den Nachweis von Glutensensitivität und Histaminintoleranz, v. a. mittels ernährungsmedizinischer Betreuung (LS 3–15B, 3–16). CAVE! Immunglobulin-G-(IgG-)Tests für Nahrungsmittelunverträglichkeiten werden nicht empfohlen. Dies betrifft genauso kommerzielle Mikrobiomanalysen, da sie klinisch nicht interpretierbar sind (LS 3–11). Auch aus der Labordiagnostik können sich wichtige Warnzeichen ergeben, die auf eine organische Pathologie oder Erkrankung hindeuten. Das Fehlen hat jedoch auch hier nur einen geringen prädiktiven Wert. Schon bei der Diagnose ist es hilfreich, unter Nutzung der Bristol-Stuhlformen-Skala den Reizdarmtyp zu beurteilen. Dies erleichtert es, hinsichtlich der heterogenen Symptomatik, Ausprägung und Beeinträchtigungen im Alltag ein zielführendes therapeutisches Konzept zu erstellen (LS 4–10):
  • RDS-O (Obstipation dominant)
  • RDS-D (Diarrhö dominant)
  • RDS-M (gemischt, Diarrhö und Obstipation alternierend)

Die Rolle des Mikrobioms beim Reizdarmsyndrom

Neue Erkenntnisse zu Risikofaktoren

In den letzten Jahren gab es relevante Fortschritte und neue Erkenntnisse hinsichtlich der Pathophysiologie des Reizdarmsyndroms. Diese wurden im Leitlinien-Update berücksichtigt und sind nun in der Definition sowie den Empfehlungen zur und Therapie integriert. Die Genese und Aufrechterhaltung des Beschwerdebildes wird multifaktoriell begünstigt und ist oft komplex. Dennoch sind einige Risikofaktoren als initiale Auslöser bekannt, die auch den Verlauf eines Reizdarmsyndroms ungünstig beeinflussen können. Dazu gehören u. a.:
  • Enterale Infekte
  • Antibiotikatherapien
  • Psychische Faktoren (akut sowie chronisch) - Zu beachten ist, dass psychische Belastungen auch sekundär als Folge der chronischen gastrointestinalen Beschwerden auftreten können (LS 2–9).

Die Darm-Hirn-Achse und das Mikrobiom gewinnen an Bedeutung

Die neue Definition des Reizdarmsyndroms als „Störung der Darm-Hirn-Interaktion“ basiert auf einer Vielzahl neuer Erkenntnisse zur Pathophysiologie. Dabei spielt das intestinale Mikrobiom eine zentrale Rolle, da es verschiedene Bereiche der humanen Physiologie stark beeinflusst. Zu den diversen molekulare und zellulären Pathomechanismen beim Reizdarmsyndrom gehören:
  • Motilitätsstörungen und veränderter intestinaler Reflex
  • Verändertes Darmmikrobiom
  • Gestörter Gallensäuremetabolismus
  • Veränderte Schleimhautfunktionen mit gestörter intestinaler Barriere und Sekretion
  • Viszerale Hypersensitivität
  • Veränderte enterale Immunantworten
  • Veränderte Signalverarbeitung in verschiedenen Hirnarealen
  • Veränderte Dichte und Funktion enteroendokriner Zellen
  • Änderungen der Protease-vermittelten Funktionen
  • Verändertes Fettsäuremuster im Stuhl
  • Veränderungen der extrinsischen Innervation und im enterischen Nervensystem
  • Veränderter hormoneller Status
  • Mögliche genetische Prädisposition
  • Veränderte epigenetische Faktoren

Dysfunktionales Mikrobiom

In der aktualisierten Leitlinie wird hervorgehoben, dass das Reizdarmsyndrom durch ein verändertes (dysbiotisches) Darmmikrobiom gekennzeichnet ist. Trigger für ein dysbiotisches Mikrobiom sind neben einem ungünstigen Lebensstil oder einer ungünstigen Ernährung auch die erwähnten Risikofaktoren der Reizdarmgenese. Verändert sich die Zusammensetzung der Darmmikrobiota, verändern sich auch funktionelle Abläufe im Mikrobiom sowie Muster mikrobieller Stoffwechselprodukte. Beispiele: 1. Verringerte mikrobielle Biotransformation von primären Gallensäuren in sekundäre Gallensäuren bei RDS-D-PatientInnen. Die damit verbundene Malabsorption primärer Gallensäuren kann die veränderte Sekretion mit antreiben. 2. Auffälligkeiten in der mikrobiellen Synthese von kurzkettigen Fettsäuren wie u. a. Propionsäure und Buttersäure. Veränderte Spiegel oder Muster können die immunologische und epitheliale Aktivität stark beeinflussen.

Darmbarrierestörung

Die Darmmikrobiota ist auch ein essenzieller Regulator intestinaler Permeabilität und Homöostase. Neben ihrer Schutzfunktion vor Pathogenen (Kolonisationsresistenz), liefert sie u. a. Energiequellen für die Regeneration von Epithelzellen und regt Becherzellen zur Schleimproduktion an. Eine intakte Darmbarriere verhindert die ungewollte Schleimhautpassage von Antigenen und Pathogene, die eine Aktivierung des enterischen Immunsystems auslösen würde. Bei einem signifikanten Anteil der ReizdarmpatientInnen liegt eine Barrierefunktionsstörung vor. Diese erhöhte intestinale Permeabilität ist nachweislich mit einer unterschwelligen Immunaktivierung, einer viszeralen Hypersensitivität, Veränderungen der Darmfunktion sowie Abdominalschmerzen assoziiert.

Mukosale Immunaktivierung

Die Darmmikrobiota weist normalerweise einige immunmodulatorische Funktionen auf, um die Homöostase im Körper aufrecht zu erhalten. Einige der kommensalen Bakterien können direkten Kontakt mit Zellen des darmassoziierten Immunsystems aufnehmen und so die Immunabwehr beeinflussen. Bei ReizdarmpatientInnen wird eine erhöhte Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine nachgewiesen, die sich in einer unterschwelligen, also nur histopathologisch nachweisbaren Entzündung äußert.

Dysregulation des enterischen Nervensystems

Chemosensoren und sensorische Nervenfasern bilden ein dichtes Netzwerk in der Lamina propria und koordinieren intestinale Reize, die über extrinsische Nervenbahnen an das zentrale Nervensystem (ZNS) weitergeleitet werden. Physiologisch reagieren diese Sensoren nur auf starke Reize. Bei ReizdarmpatientInnen scheint die Aktivierungsschwelle stark herabgesetzt zu sein, sodass physiologische Reize als schmerzhaft wahrgenommen werden (viszerale Hypersensitivität). Neben ihrem Einfluss auf die Verdauung, den Metabolismus oder auf das Immunsystem interagiert die Mikrobiota direkt und indirekt mit dem enteroendokrinen System und dem enterischen Nervensystem. Mikrobielle Botenstoffe sind z. B. an der Aktivierung oder Sensibilisierung afferenter Schmerzrezeptoren beteiligt. Des Weiteren können Hormon- bzw. Neurotransmitterspiegel beeinflusst werden, die auf die Darmmotilität, aber auch das ZNS einwirken. Dazu gehört u. a. Gamma-Aminobuttersäure (GABA), Dopamin, Noradrenalin, aber auch Serotonin, das bis zu 90 % in enterochromaffinen Zellen im Darm gebildet wird. Aufgrund einer Dysbiose abweichende Konzentrationen können so u. a. zu viszeraler Hypersensitivität sowie heterogen veränderter Darmmotilität und Transitzeit beitragen (RDS-O, RDS-D).

Neues Konzept für verbesserten Therapieerfolg

Basismaßnahme: Aufklärung und Stärkung der Eigenverantwortung

Nachdem die Diagnostik abgeschlossen ist, ist ein zentraler Baustein der Therapie die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit durch Edukation der PatientInnen, u. a. auf Basis der Vertrauensbeziehung zwischen Ärztin bzw. Arzt und PatientInnen und durch unterstützende Broschüren (LS 4–1). Diese positive Beziehung führt zu einer geringen Zahl an Rekonsultationen, u. a. aufgrund einer besseren Therapieadhärenz und eines höheren Therapieerfolges. Neben einer guten Vertrauensbeziehung können Informationsmaterialien, Selbsthilfegruppen, der normale zeitliche Krankheitsverlauf und der Placeboeffekt Faktoren sein, die zu einer symptomatischen Beschwerdebesserung beitragen (LS 4–1).

Individueller multimodaler Therapieansatz

Aufgrund der Heterogenität des Reizdarmsyndroms gibt es keine kausale Behandlung oder Standardtherapie. Auf Basis der individuell zugrunde liegenden pathophysiologischen Störungen kann es zudem zu einem unterschiedlichen Therapieansprechen kommen. Das Leitlinien-Update berücksichtigt die neuen Erkenntnisse zum Reizdarmsyndrom und die neue Definition (Störung im Bereich der Darm-Hirn-Achse) und verweist darauf, dass mehrere Behandlungsstrategien kombiniert werden sollten, um eine möglichst effiziente und schnelle Linderung der Beschwerden zu erzielen (LS 4–7). Ein realistisches Therapieziel bei einem Reizdarmsyndrom ist die Linderung der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität. Das multimodale Therapiekonzept verbindet die symptomorientierte medikamentöse Therapie in Kombination mit anderen Therapieverfahren aus den pathophysiologischen Bausteinen Mikrobiom, Ernährung und Psyche. Dieser multimodale Ansatz ermöglicht einen möglichst großen Therapieerfolg, sodass Betroffene nicht zum „Ärzte-Hoppern“ werden und in einer Behandlung ankommen können.

Akut: Symptomorientierte medikamentöse Therapie

Eine medikamentöse Therapie sollte stets symptomorientiert, d. h. anhand des Hauptsymptoms erfolgen (Abdominalschmerzen, Diarrhö, Obstipation, Flatulenzen). Die empfohlenen Therapien werden in der Leitlinie detailliert vorgestellt. Bei unzureichendem Therapieerfolg sollten, wenn nötig, sukzessiv unterschiedliche Medikamente probiert werden (LS 4–4A). Auch eine Kombination verschiedener Medikamente oder unterschiedlicher Therapieverfahren kann zum Einsatz kommen (LS 4–7).

Generelle Behandlungsdauer

Da es keine einheitliche Standardtherapie gibt, hat jede Therapie zunächst einen probatorischen Charakter. Die Dauer sollte a priori mit den Betroffenen besprochen werden. Ein medikamentöser Therapieversuch ohne Ansprechen sollte nach spätestens drei Monaten abgebrochen werden. Eine erfolgreiche symptomatische Therapie sollte, je nach Verlauf, langfristig und kontinuierlich fortgeführt werden. Für nicht medikamentöse Behandlungsansätze können abweichende Zeiträume gelten (LS 4–6).

Die Darm-Hirn-Achse als therapeutischer Ansatz

Wie beschrieben, verweisen die neuen Erkenntnisse zur Pathophysiologie auf eine Störung der Darm-Hirn-Interaktion, in der das intestinale Mikrobiom eine zentrale Rolle spielt. Die aktualisierte Leitlinie trägt der Erkenntnis Rechnung und widmet dem intestinalen Mikrobiom erstmals ein eigenes Kapitel. Die wissenschaftliche und klinische Forschung konzentrierte sich in den letzten Jahren auf die Mikrobiommodulation als therapeutischen Ansatz, um so Einfluss auf Stoffwechselvorgänge, Immunreaktionen und neuromuskuläre Funktionen des Darms zu nehmen. Dafür bieten sich verschiedenen Interventionen an, die das Mikrobiom modulieren können.

Angemessene Bewältigungsstrategien

Einfache psychoedukative Elemente wie angeleitete Selbsthilfestrategien sowie komplementärmedizinische Strategien zur Stressreduktion haben positive Effekte auf die Beschwerden und Lebensqualität von ReizdarmpatientInnen. Sie sollten daher als Teil des multimodalen Behandlungskonzeptes angeboten werden (LS 4–15). Falls indiziert oder auf Wunsch der PatientInnen sollen psychotherapeutische Verfahren als Teil des Behandlungskonzeptes angeboten werden (LS 6–3). Diese können mit einer Psychopharmakotherapie kombiniert werden. Gleichzeitig sollte aber die allgemein- und fachärztliche Betreuung weitergeführt werden. Geeignete psychotherapeutische Verfahren bei Reizdarm sind:
  • Kognitive Verhaltenstherapie
  • Psychodynamische Psychotherapie
  • Verfahrensmischformen (multi-component psychotherapy)

Fäkaler Mikrobiomtransfer

Das Leitlinien-Update gibt keine Empfehlungen für den fäkalen Mikrobiomtransfer (LS 7–4). Denn obwohl einige Fallberichte und inzwischen mehrere kontrollierte Studien moderate therapeutische Effekte für den fäkalen Mikrobiomtransfer belegen konnten, bleibt eine Vielzahl technischer, ethischer und sicherheitsrelevanter Fragen noch ungeklärt.

Antibiotika

Neu ist, dass beim therapierefraktären Reizdarmsyndrom ohne Obstipation das Antibiotikum Rifaximin zur Off-Label-Behandlung erwogen werden sollte (LS 7–1). Die Ergebnisse einer Metaanalyse von fünf randomisierten kontrollierten Studien (RCT, randomised controlled trial) belegen, dass die Gabe von Rifaximin zur signifikanten Besserung sowohl der globalen Symptome als auch einzelner Beschwerden wie Blähungen, abdominelle Schmerzen und ungeformter Stuhl beiträgt. In einer weiteren Studie führte Rifaximin bei PatientInnen vom Diarrhö-/Schmerztyp zu einer signifikanten Verringerung der abdominellen Schmerzen, jedoch nicht zu einer Verbesserung der Stuhlkonsistenz.

Ernährung

Die Ernährung, insbesondere langfristige Essgewohnheiten, beeinflusst nicht nur direkt die Zusammensetzung, sondern auch die Funktion des Mikrobioms und damit die Gesundheit. Auf diese Weise können beim Reizdarmsyndrom Ernährungsfaktoren Symptome direkt triggern oder modulieren, d. h. sowohl exazerbieren als auch lindern. Das Leitlinien-Update sieht daher eine therapeutische Modulation der Darmmikrobiota durch die Ernährung als sinnvollen Bestandteil eines Therapiekonzeptes für ReizdarmpatientInnen. Eine allgemeine ernährungsbezogene Empfehlung zur „Prävention des Reizdarmsyndroms“ kann nicht gegeben werden (LS 5–5). Auch einheitliche Ernährungsempfehlungen, die für alle ReizdarmpatientInnen gleichermaßen gelten, können nicht gegeben werden. Als Basisernährung bei funktionellen Darmbeschwerden eignet sich die „angepasste Vollkost“ (ausgewogene Vollkost, in der individuell unverträgliche Lebensmittel vermieden werden), um Verdauungsorgane und -prozesse zu entlasten. Es stehen jedoch individuelle Empfehlungen zur Verfügung, die sich an den jeweiligen Symptomen orientieren (LS 5-1). CAVE! Bei Verdacht auf Reizdarmsyndrom sollten Nahrungsmittelunverträglichkeiten immer abgeklärt werden. Die richtige Diagnose ermöglicht es, eine adäquate (ernährungsmedizinische) Therapie einzuleiten, um die Symptome und die Lebensqualität zu verbessern.

Der Reizdarmspezialist: Die Low-FODMAP-Diät

Die Low-FODMAP-Diät ist derzeit die einzige evidenzbasierte Eliminationsdiät, die in einigen Studien einen Rückgang gastrointestinaler Beschwerden bei ReizdarmpatientInnen gezeigt hat. Die höchste Wirksamkeit zeigte sich bei RDS-D-Typen mit Abdominalschmerzen und Flatulenz sowie ggf. auch bei RDS-O-Typen (LS 5–9). Zu fermentierbaren Oligo-, Di-, Monosacchariden und (and) Polyolen (FODMAP) gehören vor allem Fructose und Galactose, Lactose, Fructane, Inulin und Galacto-Oligosaccharide sowie Sorbit und Mannit. Sie stehen im Verdacht, besonders bei ReizdarmpatientInnen zu den Symptomen beitragen zu können. Eine FODMAP-arme Ernährungsumstellung ist komplex und langwierig (drei Phasen: Elimination, Toleranzfindung, finaler Ernährungsplan). Zudem sind in allgemein als gesund geltenden Nahrungsmitteln oft mehrere FODMAP in unterschiedlichen Mengen enthalten. Daher sollte laut aktualisierter Leitlinie eine begleitende medizinische Ernährungsberatung empfohlen werden, um zu starke oder unnötige Einschränkungen und eine Mangelernährung zu vermeiden (LS 5–2, 5–3, 5–4) sowie um orthorektische oder anorektische PatientInnen zu identifizieren (LS 5–9C). Die Ernährungsumstellung sollte außerdem nur dann längerfristig angewendet werden, wenn eine deutliche Verbesserung des Beschwerdebildes feststellbar ist.

Präbiotika

Für spezifische Präbiotika wird in der Behandlung des Reizdarmsyndroms keine Empfehlung abgegeben (LS 7–3). Die Begründung basiert darauf, dass das Wirkprinzip von Präbiotika nicht vollständig verstanden ist und — selbst für das am häufigsten untersuchte Präbiotikum Inulin — die Studienlage bei diesem Krankheitsbild noch unzureichend ist.

Probiotika

Erstmals gibt die neue Leitlinie eine klare positive Empfehlung für ausgewählte Probiotika (LS 7–2). In den S3-Leitlinien aus dem Jahr 2011 wurden Probiotika in der Behandlung des Reizdarmsyndroms mit dem Empfehlungsgrad 0 („Kann“-Empfehlung) ausgezeichnet. Die stark vorangeschrittene Forschung der letzten Dekade lieferte eine Vielzahl an Erkenntnissen, dass probiotische Bakterienstämme relevante Symptome des Reizdarmsyndroms (u. a. Schmerzen, Flatulenzen, Diarrhö und Obstipation) sowie die Lebensqualität verbessern können. Aufgrund dessen erlangen ausgewählte Probiotika nun im aktuellen Leitlinien-Update den Empfehlungsgrad B („Sollte“-Empfehlung).

Stammspezifität einfach erklärt

Bei einem Bakterienstamm handelt es sich um eine genetische Variante einer Bakterienspezies. Wie stark sich Bakterienstämme in ihren Eigenschaften unterscheiden können, lässt sich sehr gut anhand des Bakteriums Escherichia coli feststellen. Diese Spezies ist ein wichtiger natürlicher Bestandteil des intestinalen Mikrobioms (kommensal) und übernimmt dort vielfältige Aufgaben, wie z. B. die Regulation der Sauerstoffkonzentrationen. Forscher der LMU München veröffentlichten 2021 eine Studie, die zeigte, dass diese kommensalen Varianten von E. coli dazu beitragen, pathogenen Salmonellenarten die Nahrungsquelle zu entziehen und so vor Infektionen schützen. Doch neben den kommensalen Stämmen hat E. coli auch Stämme mit genetischen Variationen, die pathogene Eigenschaften mit sich bringen. In der Klinik spielen z. B. E. coli-Vertreter eine Rolle, die enterohämorrhagische Eigenschaften (EHEC) haben und Shiga-ähnliche Toxine produzieren können. Andere Stämme haben wiederum enteroinvasive Eigenschaften (EIEC), können also in intestinale Zellen eindringen, um sich dort rasch zu vermehren.

Konsequenzen für die indikationsspezifische Mikrobiommodulation

Verschiedene probiotische Stämme haben dementsprechend auch unterschiedliche Eigenschaften. Ein Beispiel für spezifische Eigenschaften ist Lactobacillus plantarum 299v, ein Stamm der beim Reizdarmsyndrom sowohl klinisch als auch präklinisch sehr gut untersucht ist. Er bringt u. a. folgende für das Reizdarmsyndrom relevante Wirkmechanismen mit:
  • Spezifische Modulation des dysbiotischen Mikrobioms
  • Inhibierung der Anheftung von Krankheitserregern an Wirtszellen
  • Antimikrobielle Metabolite, die spezifische Krankheitserreger direkt hemmen
  • Stärkung der intestinalen Barrierefunktion und Mukusbildung
  • Regulation der viszeralen Sensitivität und gastrointestinalen Motilität
  • Regulation der unterschwelligen mukosalen Immunaktivierung
Nicht alle probiotischen Stämme haben jede dieser Fähigkeiten und auch nicht im gleichen Ausmaß. Dies kann erklären, warum verschiedene Stämme der gleichen Spezies bei einer bestimmten Indikation unterschiedlich effektiv wirken. Bei einer anderen Indikation können wiederrum abweichende Mechanismen erforderlich sein, sodass Stämme benötigt werden, die entsprechende Eigenschaften mit sich bringen. CAVE! Die spezifischen Eigenschaften von Bakterienstämmen führen zu ihrer stamm- und indikationsspezifischen Wirkung.

Klinische Studien zu Probiotika beim Reizdarmsyndrom

Die AutorInnen der Leitlinie folgen den aktuellen Kenntnissen zur Stamm- und Indikationsspezifik von Probiotika. Es werden unterschiedliche probiotische Stämme erwähnt, die in randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studien (RCT) signifikante positive Effekte bei ReizdarmpatientInnen gezeigt haben. Verwiesen wird darauf, dass relevante Unterschiede in der Wirksamkeit bestehen und die Ergebnisse nur für die in den Studien verwendeten Bakterienstämme, Dosierung und Einnahmedauer gelten. In der Konsequenz empfehlen die AutorInnen des Leitlinien-Updates derzeit, Behandlungsversuche mit einem Probiotikum zunächst probatorisch zu konzipieren (mind. vier Wochen sind sinnvoll) und bei überzeugender Beschwerdelinderung nach diesem Zeitraum fortzuführen oder ggf. zu wechseln.

Detaillierte Studienlage der Bakterienstämme

Der Vollständigkeit halber wird die umfängliche Studienlage der erwähnten Bakterienstämme beschrieben und damit auch auf aktuellere oder schwächere Studien hingewiesen (alphabetisch sortiert). Bifidobacterium animalis DN173010
  • Bei Betroffenen vom Obstipationstyp (RDS-O) zeigte der Trinkjoghurt im Vergleich zur Placebogruppe lediglich in der Subgruppe mit weniger als drei Stuhlgängen⁄Woche nach sechs Wochen eine signifikant erhöhte Stuhlfrequenz, jedoch keine Verbesserung der Lebensqualität.
  • Bei 32 Frauen mit RDS-O stellte man nach vierwöchigem Verzehr eine beschleunigte Transitzeit und reduzierte Abdominalschmerzen fest. Keine signifikante Wirkung zeigte sich bei den Symptomen Blähbauch, Blähungen, Stuhlkonsistenz, -frequenz und dem Gefühl unvollständiger Entleerung.
  • Eine aktuellere Studie aus dem Jahr 2013 über vier Wochen mit 76 ReizdarmpatientInnen (RDS-O und RDS-M) zeigte keine signifikanten Unterschiede zwischen der Interventions- und Placebogruppe.

Bifidobacterium bifidum MIMBb75

Die vierwöchige Studie zeigte bei ReizdarmpatientInnen auf einer 7-Punkte-Skala eine signifikante Reduktion des Allgemeinbefindens um -0,88 Punkte. Verbesserte sekundäre Endpunkte umfassten die Symptome „Schmerz/Unwohlsein“ (-0,82 Punkte), „Aufblähung/Völlegefühl“ (-0,92 Punkte), „Dringlichkeit“ (-0,67 Punkte) sowie die Verbesserung der Lebensqualität (von 45,53 auf 51,11 Punkte). Für die Häufigkeit des Stuhlganges und für das Gefühl unvollständiger Darmentleerung konnten keine Effekte festgestellt werden.

Bifidobacterium bifidum HI-MIMBb75

Nach achtwöchiger Einnahme wurde eine geringfügige bis wesentliche Verbesserung der Gesamtsymptomatik bei 60 % der PatientInnen festgestellt. Auf einer 10-Punkte-Skala konnte beim sekundären Endpunkt „Abdominalschmerzen“ im Vergleich zu Placebo ein leichter, aber rechnerisch signifikanter Unterschied erfasst werden (-1,29 Punkte vs. -0,93 Punkte). Ähnliches wurde auf einer 7-Punkte-Skala für Symptome wie Blähungen (Verum -0,69; Placebo -0,5 Punkte) und dem Gefühl dringlicher Entleerung (Verum -0,69; Placebo -0,52 Punkte) festgestellt.

Bifidobacterium infantis 35624

  • Eine erste Studie zeigte, dass der Verzehr eines Malzgetränkes mit 1 x 1010 KbE über acht Wochen die Werte für Bauchschmerzen, Blähbauch und dem Gefühl der dringlichen/unvollständigen Entleerung signifikant verringerte. Stuhlfrequenz und -konsistenz wurden hingegen nicht beeinflusst.
  • In einer vierwöchigen Studie aus dem Jahr 2006 wurden drei Tagesdosierungen getestet. Lediglich die Dosierung mit 1 x 108 KbE zeigte Verbesserungen gegenüber dem Ausgangswert bei Abdominalschmerzen, Allgemeinbefinden, Blähbauch, dem Gefühl unvollständiger Entleerung und der subjektiven Stuhlgangzufriedenheit. Das Gefühl dringlicher Entleerung wurde nicht signifikant verbessert.
  • Zwei Studien aus den Jahren 2013 und 2017 zeigen für die Tagesdosis von 1 x 109 KbE ebenfalls keinen Effekt.

Escherichia coli DSM 17252

Eine im Jahr 1988 durchgeführte Studie schloss PatientInnen ein, die nach unbekannten Kriterien die Diagnose Reizdarmsyndrom erhalten hatten. Die Anzahl der ResponderInnen (definiert als beschwerdefreie PatientInnen) war in der Gruppe, die über acht Wochen das Bakterienlysat einnahm, signifikant höher als in der Placebogruppe. Zwar wurde auch in der Placebogruppe ein Ansprechen festgestellt, dieses stagnierte jedoch nach 42 Behandlungstagen. Abdominalschmerzen, Stuhlkonsistenz und -frequenz sowie Blähbauch verbesserten sich signifikant. Neuere Studien nach aktuelleren Kriterien stehen allerdings noch aus.

Lactobacillus casei Shirota

  • Eine erste Studie untersuchte die Kolontransitzeit bei Frauen mit chronischer Verstopfung. Der vierwöchige Verzehr des Trinkjoghurts führte zu einer signifikanten Abnahme der Kolontransitzeit.
  • Eine weitere Studie zeigte über acht Wochen eine signifikante Verbesserung der Werte für Unwohlsein, Blähungen und des Beschwerdegesamtscores.

Lactobacillus plantarum 299v (DSM 9843, LP299V)

  • In einer Studie verringerte die Einnahme signifikant die Blähungen der ReizdarmpatientInnen. Die Abnahme der Abdominalschmerzen war in der Behandlungsgruppe schneller und ausgeprägter. Im Vergleich zu Placebo war die gastrointestinale Gesamtfunktion auch zwölf Monate nach Behandlungsende noch besser.
  • In einer weiteren Studie wurde in der Interventionsgruppe ein signifikant größerer Anteil an PatientInnen mit verbesserter Gesamtsymptomatik und signifikanter Schmerzlinderung festgestellt.
  • Eine kleinere RCT-Studie untersuchte bei PatientInnen u. a. die Gasproduktion nach vierwöchiger Einnahme. Nach einem Lactulose-Provokationstest reduzierte sich der H2-Gehalt in der Atemluft in der LP299V-Gruppe signifikant. Dies deutet auf eine Modulation des Mikrobioms und damit des intestinalen Stoffwechsels durch LP299V hin.
  • Eine Studie aus dem Jahr 2012 mit 214 ReizdarmpatientInnen zeigte, dass die Einnahme von 1 x 1010 KbE sowohl den Schweregrad als auch die Häufigkeit der typischen Reizdarmsymptome wie Schmerzepisoden, Blähungen, dem Gefühl unvollständiger Entleerung und Stuhlgangveränderungen signifikant verringerte. Eine signifikante Anzahl an PatientInnen (78 % LP299V; 8 % Placebo) gab eine ausgezeichnete oder gute Wirkung des Präparates an.
  • Demgegenüber steht eine Studie mit 81 PatientInnen, welche über acht Wochen keine signifikanten Unterschiede und einen hohen Placeboeffekt aufwies. Die AutorInnen vermuteten, dass die hohe Drop Out-Rate und die dadurch nicht ausbalancierte Gruppengrößen (27 vs. 54) mögliche signifikante Effekte verschleierten

Effekte von Probiotika unter Praxisbedingungen

Viele Faktoren, die in der Praxisroutine eine Rolle spielen, wie Begleiterkrankungen, gleichzeitige Einnahme weiterer Arzneimittel, Selbstmedikation oder Adhärenz, können in streng regulierten klinischen Studien häufig nicht berücksichtigt werden. Daher sind Studien unter Alltagsbedingungen als Ergänzung zu RCT sehr wünschenswert. Zuletzt wurde in einer multizentrischen, nicht interventionellen Studie z. B. die Verträglichkeit und Wirksamkeit des Bakterienstammes Lactobacillus plantarum 299v unter deutschen Praxisbedingungen untersucht. Zusätzlich wurde analysiert, inwieweit die Behandlungsdauer Einfluss auf die Wirksamkeit hat. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte (Gastroenterologie und Allgemeinmedizin) dokumentierten den Therapieerfolg einer mindestens vierwöchigen, maximal zwölfwöchigen Behandlung von insgesamt 243 ReizdarmpatientInnen mit der RCT-konformen Tagesdosis von 1 x 1010 KbE LP299V. Die Daten zeigten eine kontinuierliche und signifikante Reduktion des Schweregrades und der Häufigkeit von typischen Beschwerden (Abdominalschmerzen, Flatulenz/Meteorismus, Diarrhö) über den zeitlichen Verlauf der Studie in der Gesamtkohorte und eine signifikante Reduktion des Obstipationsschweregrades in der RDS-O-Subgruppe. Diese Ergebnisse spiegeln sich auch im psychischen Wohlbefinden der PatientInnen wider. Nach zwölf Wochen hatte sich dieses im Durchschnitt um 110 % verbessert. Die Gesamtsymptomatik der ReizdarmpatientInnen besserte sich ebenfalls signifikant mit der Dauer der Einnahme — von einer „mäßigen Verbesserung“ nach vier Wochen zu einer „deutlichen Verbesserung“ nach zwölf Wochen. Die subjektive Sichtweise der PatientInnen wurde durch die medizinische Einschätzung der Ärztinnen und Ärzte bestätigt, die innerhalb der Studienzeit ebenfalls eine signifikante Gesamtverbesserung der Reizdarmsymptome dokumentierten. Alle Reizarmtypen (RDS-D, RDS-O, RDS-M) profitierten dabei in gleichem Maße. LP299V war demnach auch abseits von RCT-Studien wirksam, wobei eine längerfristige Einnahme die Effektivität steigert.

Fazit

  • Nach derzeitigem Verständnis liegt dem Reizdarmsyndrom eine Störung der Darm-Hirn-Achse zugrunde.
  • Eine gründliche Anamnese sowie empathische und aufklärende Kommunikation sind zentrale Maßnahmen, um eine schnelle Diagnosesicherung zu ermöglichen und Wiederholungsdiagnostik zu vermeiden.
  • Es gibt keine einheitliche Standardtherapie. Ein multimodales Therapiekonzept sollte individuell auf Basis der Leitsymptome (RDS-O, RDS-M, RDS-D) durchgeführt werden und mit Maßnahmen aus symptomorientierter Medikation, Mikrobiommodulation, Ernährung und Psyche kombiniert werden.
  • Psychoedukative Elemente und Bewältigungsstrategien sollten angeboten werden (u. a. Yoga, bauchgerichtete Hypnose). Falls indiziert oder auf Wunsch der PatientInnen auch psychotherapeutische Verfahren.
  • Eine einheitliche Ernährungsempfehlung steht nicht zur Verfügung, wohl aber einige Optionen, die sich an den jeweiligen Symptomen und an individuellen Unverträglichkeiten orientieren.
  • Ausgewählte Probiotika sollten in der Therapie des Reizdarmsyndroms eingesetzt werden.

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