Diabetes und Auge – ein Update zur Anti-VEGF-Therapie bei diabetischem Makulaödem

Diabetes mellitus stellt weltweit eine der größten Herausforderungen für die heutigen Gesundheitssysteme dar und hat auch für die Augenheilkunde weitreichende Folgen. Die Häufigkeit von Netzhautveränderungen im Sinne einer Retinopathie ist dabei stark abhängig von der Dauer der Erkrankung. So weisen nach mehr als 20 Jahren über 85 % der Menschen mit Typ-1-Diabetes und die Hälfte derer mit Typ-2-Diabetes retinopathische Veränderungen auf.

Das diabetische Makulaödem (DMÖ) ist eine der häufigsten Ursachen für eine schwerwiegende Sehbeeinträchtigung und Erblindung bei Menschen im Erwerbsalter. Die empfohlene Therapie eines klinisch signifikanten DMÖ mit fovealer Beteiligung erfolgt mit der intravitrealen operativen Medikamentengabe von Anti-VEGF-Medikamenten (VEGF: Vascular Endothelial Growth Factor).

Erfahren Sie hier, welche Auswirkungen ein DMÖ auf die Lebensqualität und Erwerbsfähigkeit der Patienten haben kann, was laut neuer Stellungnahme der Fachgesellschaften hinsichtlich Therapiestart und langfristiger Durchführung einer DMÖ-Therapie zu beachten ist und wie Sie die Adhärenz im Praxisalltag verbessern.


Kursinfo
VNR-Nummer 2760709121008540010
Zeitraum 07.01.2021 - 06.01.2022
Zertifiziert in D, A, CH
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte Fortbildung abgelaufen
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof. Dr. med. Focke Ziemssen, Tübingen
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Animierter Vortrag (Webcast)
Lernmaterial Vortrag (16:50 Min.), Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Bayer Vital GmbH
Bewertung 4.3 (498)

Diabetes – eine „globale Bedrohung“

Diabetes mellitus stellt weltweit eine der größten Herausforderungen für die Gesundheitssysteme dar. Die Erkrankung wurde von der WHO bereits als eine „globale Bedrohung“ eingestuft. Nach Angaben der WHO waren im Jahr 2016 über 420 Millionen Menschen weltweit von einem Diabetes mellitus betroffen – das entspricht etwa jedem elften Erwachsenen [1]. Zudem ist die Tendenz steigend: So rechnet die International Diabetes Federation in Europa bis zum Jahr 2045 mit einem weiteren Anstieg der Diabeteserkrankungen auf 700 Millionen [2]. Typ-2-Diabetes ist eng mit Adipositas und Bewegungsmangel assoziiert [3]. Zunehmend wird diese Form bereits bei Kindern und Jugendlichen beobachtet [4]. In Deutschland sind 9,8 % der Menschen von einem Diabetes mellitus betroffen [5]. Zudem gibt es eine hohe Dunkelziffer: Etwa ein Viertel der Betroffenen in Deutschland weiß nichts von seiner Erkrankung [6]. Das Risiko von Komplikationen und Folgeerkrankungen wird unter schlechter Stoffwechsellage erhöht [8]. Auch im Auge manifestieren sich mikroangiopathische Veränderungen gehäuft mit einem erhöhten Blutdruck und einer unzureichenden Kontrolle des Blutzuckers.

Diabetisches Makulaödem – meist beide Augen betroffen

Leider ist die diabetische Retinopathie die häufigste mikrovaskuläre Komplikation und somit weltweit eine der häufigsten Erblindungsursachen im erwerbsfähigen Alter [8, 9, 10]. In jedem Stadium kann es zu einem diabetischen Makulaödem (DMÖ) kommen, das sich durch eine Leckage der Kapillaren, Flüssigkeitsansammlungen und eine Zunahme der Netzhautdicke auszeichnet. Ist das Sehzentrum (das heißt die Fovea und damit das Sehvermögen) durch die Ausdehnung und Lage des Ödems gefährdet oder bereits direkt betroffen, so liegt ein klinisch signifikantes DMÖ vor. Die „Wisconsin Epidemiologic Study of Diabetic Retinopathy“ hat gezeigt, dass etwa jeder fünfte Patient mit Typ-1-Diabetes und jeder vierte Patient mit Typ-2-Diabetes im Verlauf von zehn Jahren ein DMÖ entwickelt [11]. Insgesamt sind weltweit etwa 4 bis 7,5 % aller Diabetespatienten von einem DMÖ betroffen, das damit eine der häufigsten Ursachen schwerwiegender Sehbeeinträchtigung und Erblindung bei Menschen im Erwerbsalter in der westlichen Welt darstellt [6, 9, 12]. Dabei tritt ein DMÖ sehr häufig (bei etwa 60 % der Patienten) in beiden Augen auf [13]. Daher beinhaltet die Behandlung des einen Auges unbedingt auch die Kontrolle des Partnerauges, meist sogar eine beidseitige Therapie.

Erhebliche Folgen für Sehvermögen, Erwerbsfähigkeit und Lebensqualität

Die Auswirkungen eines DMÖ können beträchtlich sein, wie auch die aktuelle, globale Diabetic Retinopathy Barometer Study (Barometer-Studie) zeigt, in der Daten von 4.340 Menschen mit Diabetes aus 41 Ländern erfasst wurden [14]. Je nach Ausprägung kann ein DMÖ ein Verzerrtsehen oder ein deutlich herabgesetztes Sehvermögen verursachen. In der Barometer-Studie hatten 60 % der Patienten bereits eine Sehverschlechterung infolge eines DMÖ erlebt. Diese Beeinträchtigungen können gravierende Auswirkungen auf den Alltag und die Erwerbsfähigkeit haben: Ab einer Minderung des besseren Auges auf eine Sehkraft von unter 0,5 besteht keine Fahrtüchtigkeit mehr. Die Lesefähigkeit ist ab 0,4 erheblich eingeschränkt [12]. Ebenso berichteten in der Barometer-Studie 85 % der Patienten mit DMÖ, in mindestens einer Alltagsaktivität eingeschränkt zu sein; die Hälfte der Betroffenen hatte Probleme, Auto zu fahren oder Reisen zu unternehmen. Zudem ist zu bedenken, dass ein DMÖ häufig bei jungen Erwachsenen und Menschen mittleren Alters auftritt, die sich meist noch mitten im Berufsleben befinden. Die Sorge, dass die Sehverschlechterungen ihre Berufsausübung gefährden könnte, belastet daher viele DMÖ-Patienten. In der Barometer-Studie gab jeder dritte Patient an, Angst um seinen Arbeitsplatz zu haben. Besonders gravierend ist auch die Tatsache, dass das Sehvermögen infolge einer diabetischen Augenerkrankung bei jedem fünften Patienten das Management und die Selbstkontrolle des zugrunde liegenden Diabetes mellitus beeinträchtigt und somit die Gefahr einer weiteren Verschlechterung mit sich bringt [14]. Um daher die Seh- und damit auch die Erwerbsfähigkeit der betroffenen Patienten möglichst langfristig zu erhalten, sind eine rechtzeitige Diagnose und der Einsatz effektiver Therapieoptionen von entscheidender Bedeutung. Je frühzeitiger die Therapie eines DMÖ erfolgt, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, ein absolut besseres Niveau der Sehfunktion zu erhalten.

Anti-VEGF-Therapie zeigt gute Wirksamkeit bei DMÖ

Die empfohlene Therapie eines klinisch signifikanten DMÖ mit fovealer Beteiligung ist die intravitreale operative Medikamentengabe von Anti-VEGF-Medikamenten (VEGF: Vascular Endothelial Growth Factor), da sie sich gegenüber den Steroiden vor allem durch das günstigere Sicherheitsprofil auszeichnen [13]. Derzeit sind in Deutschland mit Aflibercept und Ranibizumab zwei Medikamente zugelassen, deren Wirksamkeit und Sicherheit in mehreren prospektiven, randomisierten Studien gut dokumentiert sind [15, 16]. Bevacizumab kommt als Off-Label-Therapie zum Einsatz. Mittlerweile liegen einige Daten zu den verschiedenen Präparaten vor. Das Diabetic Retinopathy Clinical Research Network (DRCR.net) hat unter anderem in der Protokoll-T-Studie die Wirksamkeit und Sicherheit der drei Anti-VEGF-Wirkstoffe Aflibercept, Bevacizumab und Ranibizumab (n = 660) verglichen [17, 18]. Anzumerken ist dabei, dass Ranibizumab in dieser Studie entsprechend seiner US-Zulassung in einer Dosierung von nur 0,3 mg/Injektion eingesetzt wurde und nicht mit einer Dosierung von 0,5 mg/Injektion entsprechend der europäischen Zulassung. Bereits nach der ersten Injektion hatte sich der Visus in allen drei Wirkstoffgruppen der Gesamtkohorte um durchschnittlich etwa eine Zeile verbessert. Nach zwei Jahren wurde mit allen drei Anti-VEGF-Wirkstoffen in der Gesamtkohorte eine relevante Verbesserung erzielt (Abb. 1). Etwa 30 bis 40 % der Patienten erreichten eine Verbesserung um 3 Zeilen oder mehr [18]. Dabei war in der Gesamtkohorte kein klinisch relevanter Unterschied zwischen den drei Wirkstoffen feststellbar: So gewannen Patienten im Mittel nach zwei Jahren unter Aflibercept 12,8 Buchstaben, unter Ranibizumab 12,3 und unter Bevacizumab 10,0 Buchstaben.

Unterschiedliche Effektivität der Wirkstoffe bei schlechtem Ausgangsvisus

Eine Post-hoc-Analyse zeigte einen möglichen Einfluss des Ausgangsvisus auf die Wirksamkeit der Anti-VEGF-Wirkstoffe: In der Subgruppenanalyse konnten mit Bevacizumab in der Kohorte mit einem Ausgangsvisus ≤0,4 signifikant schlechtere Visusergebnisse erzielt werden als mit den beiden zugelassenen Wirkstoffen Aflibercept und Ranibizumab [18]. Eine aktuelle niederländische Studie bestätigte die Daten. Die BRDME-Studie beobachtete, dass Patienten mit schlechterem Ausgangsvisus unter Bevacizumab im Verlauf der ersten sechs Behandlungsmonate signifikant weniger Visusgewinn erzielten als unter dem zugelassenen Wirkstoff Ranibizumab [19]. Betrachtet man den Visus über die Studiendauer (Area Under the Curve, Post-hoc-Analyse), sprechen die Auswertungen dafür, dass Augen mit schlechtem Ausgangsvisus am frühesten und ausgeprägtesten von Aflibercept über einen Zeitraum von zwei Jahren profitierten (Abb. 2) [20, 21]. Post-hoc-Analysen müssen allerdings wegen des möglichen Verzerrungspotenzials mit Vorsicht betrachtet werden. Die Stellungnahme der deutschen Fachgesellschaften hält diesbezüglich fest, dass es Hinweise auf einen möglichen Wirksamkeitsunterschied der Präparate zuungunsten von Bevacizumab für Patienten mit DMÖ und einem Visus von ≤0,4 gibt [13].

Intensiven Behandlungsstart sicherstellen

Eine wachsende Anzahl von Studien unterstreicht die Bedeutung, gleich zu Beginn der Anti-VEGF-Therapie auf eine konsequente, monatliche Behandlung zu achten. Der Charakter einer trägen, aber lang anhaltenden Visusbesserung unter kontinuierlicher Therapie wird unter anderem an den Daten der VIVID- und VISTA-Studien deutlich [22]: Die meisten Patienten verzeichneten bereits nach der ersten Injektion einen Visusgewinn von mindestens 5 Buchstaben. Für jede weitere Injektion war die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Visusgewinns von ≥5 Buchstaben jeweils deutlich größer als die Wahrscheinlichkeit einer Verschlechterung oder Stagnation (Abb. 3). Die oben beschriebene Protokoll-T-Studie, in der die Mehrheit der Patienten einen intensiven – nicht vorgeschriebenen – Upload von zunächst sechs monatlichen Behandlungen erhielt, liefert ebenfalls Hinweise darauf, dass sich eine intensive und konsequente Anfangstherapie positiv auf die Visusergebnisse auswirkt. Es gibt Anzeichen, dass der Behandlungsbedarf im zweiten Behandlungsjahr und den nachfolgenden Jahren deutlich abnimmt [18]. Auch die neue Stellungnahme zur Therapie des diabetischen Makulaödems der DOG, der Retinologischen Gesellschaft und des BVA (August 2019), der eine systematische Bewertung klinischer Studien in Medline und der Cochrane-Bibliothek zugrunde liegt, empfiehlt hinsichtlich einer Anti-VEGF-Therapie bei klinisch signifikantem Makulaödem mit fovealer Beteiligung eine intensive Anfangstherapie mit sechs aufeinanderfolgenden monatlichen Injektionen – sowohl bei Erstindikationsstellung als auch nach mindestens zwei Jahren Therapiepause [13]. Wichtig ist dabei eine Sicherheitskontrolle z. B. zwischen der vierten und fünften Injektion, um nicht zu verpassen, dass selbst unter medikamentöser Therapie neue Proliferationen auftreten können.

Nicht zu schnell wechseln

Die Entscheidung eines Therapiewechsels ist nicht einfach. Angesichts einer geringen Anzahl qualitativ aussagekräftiger Switch-Studien sollte die Entscheidung mit Bedacht getroffen werden. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass im Vergleich zur altersbedingten Makuladegeneration (AMD) das Ansprechen eines DMÖ auf die Anti-VEGF-Therapie etwas verzögerter erfolgt. Während bei der feuchten AMD im Durchschnitt ein steiles Ansprechen innerhalb von drei Anti-VEGF-Injektionen gesehen wird, wird beim DMÖ über den gesamten Verlauf des ersten Therapiejahres eine kontinuierliche Verbesserung beobachtet. So nähern sich die Kurven zur bestkorrigierten Sehschärfe und der zentralen Netzhautdicke bei einem DMÖ unter Anti-VEGF-Therapie ihren Maximalwerten langsamer und erreichen erst gegen Ende des ersten Therapiejahres ein Plateau, das es gilt, im zweiten und dritten Jahr zu erhalten. Dementsprechend erfordert die Entscheidung über ein Ansprechen bzw. Therapieversagen eine konsequente Vorbehandlung (Abb. 3). Etwa die Hälfte der Patienten, die nach zwölf Wochen nur ein suboptimales Ansprechen aufweisen, erreichen nach zwei Jahren im Mittel eine für den Patienten signifikante Sehverbesserung (das heißt: ≥2 Zeilen Gewinn). Somit können selbst Augen, bei denen sich innerhalb der ersten drei Monate nur eine geringe Besserung des Sehvermögens zeigt, auch ohne einen Therapiewechsel nach zwei Jahren oft gute Visusergebnisse aufweisen [23]. Noch relevanter als die relative Änderung ist für viele Patienten im täglichen Leben meist ihr absoluter Visus. Diesbezüglich hat die Protokoll-T-Studie gezeigt, dass nach einer zweijährigen Anti-VEGF-Therapie etwa 80 % der Patienten einen absoluten Visus von 0,5 oder darüber erreichten – und zwar sowohl in der Gruppe mit verzögertem Ansprechen (Visusgewinn <5 Buchstaben) als auch in der Gruppe mit einem schnellen Ansprechen (Visusgewinn ≥10 Buchstaben) innerhalb der ersten zwölf Wochen (Abb. 4). Auch Anzeichen für intra- oder subretinale Flüssigkeit (Ödempersistenz) in den ersten Monaten sollten nicht zu einem zu schnellen Therapieabbruch oder -wechsel verleiten. Zwar sind Reste von Flüssigkeit mit bildgebenden Verfahren unter Anti-VEGF-Therapie häufig noch nachweisbar. Dennoch ergibt sich daraus keine Konsequenz, zumal die Korrelation zwischen Netzhautdicke und Visus gering ist [13].

Bislang kein eindeutiger Beleg für Vorteile einer Kombinationstherapie

Die Kombination einer Kortikosteroidtherapie mit der Anti-VEGF-Therapie bietet für Patienten mit DMÖ keine Aussicht auf einen zusätzlichen Nutzen [13]. Dies zeigen auch die Ergebnisse einer weiteren prospektiven, multizentrischen Studie (Protokoll-U) des DRCR.net. Eingeschlossen wurden 129 Augen mit einem persistierenden DMÖ, von denen die Hälfte zusätzlich zu einer Anti-VEGF-Therapie noch mit einem intravitrealen Steroidimplantat versorgt und bis zu sechs Monate nachbeobachtet wurde. Zwar wurde unter der Kombinationstherapie eine deutlich stärkere Reduktion der Netzhautdicke erreicht – allerdings zeigten sich hinsichtlich des erzielten Visusgewinns keine signifikanten Vorteile für die Kombinationstherapie [24]. Die OCT-Befunde sind zwar eine wesentliche Grundlage der Therapiesteuerung, bieten jedoch nur einen geringen Informationsgehalt in Bezug auf die funktionelle Prognose.

Langfristige Aussichten: bessere Lebensqualität und geringere Behandlungslast

Die multizentrische, offene Phase-IV-AQUA-Studie untersuchte die visusabhängige Lebensqualität bei 553 DMÖ-Patienten während des ersten Jahres einer Aflibercept-Behandlung [25, 26]. Es zeigte sich, dass die Patienten über einen Zeitraum von 52 Wochen mit im Mittel 8,8 Aflibercept-Injektionen klinisch bedeutsame Verbesserungen ihrer visusbezogenen Lebensqualität erreichten. So war der Gesamtwert der Lebensqualität auf der standardisierten VFQ-25-Skala um 6,3 Punkte gestiegen. Die Einzelwerte für Aktivitäten in der Ferne bzw. Nähe besserten sich um durchschnittlich 7,3 bzw. 11,4 Punkte. Im Anschluss an die AQUA-Studie konnten die Patienten in die nachfolgende Violet-Studie eingeschlossen werden. Diese untersuchte die Wirksamkeit und Sicherheit einer intravitrealen Aflibercept-Behandlung beim DMÖ im zweiten Behandlungsjahr unter Anwendung unterschiedlicher Therapiekonzepte. Nachdem die Patienten im ersten Jahr initial fünf Aflibercept-Injektionen mit anschließenden zweimonatlichen Injektionen gemäß Fachinformation erhalten hatten, wurde im zweiten Jahr randomisiert auf a) feste zweimonatige Behandlungsintervalle (fixes Schema), b) eine Behandlung gemäß pro re nata (PRN) sowie c) eine Behandlung mit Anpassung der Behandlungsintervalle (Treat and Extend, T&E). Hinsichtlich der Visusergebnisse wurden keine ausgeprägten Unterschiede gefunden: In allen drei Behandlungsgruppen konnten die im ersten Jahr erzielten Visusgewinne in gleichem Maß bis zum Ende des zweiten Behandlungsjahres erhalten werden (Abb. 5). Deutliche Unterschiede zeigten sich allerdings bezüglich der erforderlichen Arztvisiten trotz vergleichbarer Injektionszahlen: So waren im Mittel in der PRN-Behandlungsgruppe 14,4 Kontrollvisiten und 6,3 Injektionen erforderlich, in der T&E-Behandlungsgruppe waren es hingegen nur acht Kontrolluntersuchungen für 5,6 Injektionen (Abb. 6). Somit kann eine Umstellung der intravitrealen Aflibercept-Therapie auf das T&E-Konzept ab dem zweiten Behandlungsjahr die Besuchslast erheblich senken und gleichzeitig die vorab erzielten Visusgewinne erhalten. Vereinfacht bedeutet dies wiederum, dass nach konsequenter Therapie im ersten Jahr die erforderliche Anzahl von Besuchen für die Patienten ab dem zweiten Behandlungsjahr erheblich reduziert werden kann.

Wie sieht es im klinischen Alltag aus?

Leider wird im klinischen Alltag die in klinischen Studien beobachtete Injektionszahl selten erreicht. Die Unterbehandlung hat weitreichende Folgen auf die Visusergebnisse. Dies belegen verschiedene Real-World-Untersuchungen übereinstimmend. So beobachteten Ehlken et al., dass 44 % der Freiburger Patienten bereits im ersten Behandlungsjahr keine ausreichende Adhärenz aufwiesen [27]. Auch die OCEAN-Studie mit 1.226 DMÖ-Patienten unter Anti-VEGF-Therapie hat ergeben, dass im Verlauf von zwei Jahren 40 % der Patienten „verloren gehen“ [28]. Somit gibt es Hinweise, dass die Adhärenz der Patienten mit DMÖ geringer ist als die der AMD-Patienten. Welche Konsequenzen dies für den Therapieerfolg hat, zeigt die internationale POLARIS-Studie, die die Wirksamkeit einer Anti-VEGF-Therapie zur DMÖ-Behandlung unter Real-World-Bedingungen untersuchte [29]: Die Patienten der POLARIS-Studie erreichten im ersten Behandlungsjahr im Mittel einen Visusgewinn von 4,4 Buchstaben, während es z. B. im Rahmen der Protokoll-T-Studie im Mittel etwa 10 Buchstaben waren. Vermutet wurde, dass der geringere Therapieerfolg unter anderem auf die unzureichende Anzahl Injektionen im Praxisalltag zurückzuführen sei. Doch es gibt auch positive Beispiele, die zeigen, dass eine effiziente DMÖ-Therapie im Praxisalltag gelingen und den Patienten zu einem verbesserten Sehvermögen verhelfen kann. So erhielten die Patienten der APOLLON-Studie im Mittel 7,6 Anti-VEGF-Injektionen im ersten Jahr und erreichten dann auch einen ausgeprägten Visusgewinn [30]: Behandlungsnaive Patienten gewannen im Mittel 7,8 Buchstaben im ersten Behandlungsjahr, knapp ein Drittel zeigte einen Anstieg um mehr als 3 Zeilen. Wesentlich für eine erfolgreiche Anti-VEGF-Therapie scheint somit auch deren konsequente Durchführung im Praxisalltag zu sein.

Adhärenz unterstützen

Nicht nur aufgrund des Wissens um die tatsächlich verabreichte Therapie liegt es auch in der Verantwortung des behandelnden Arztes, Maßnahmen zu ergreifen, um die Adhärenz der Betroffenen zu verbessern. Es erscheint essenziell, die Einhaltung vereinbarter Kontroll- bzw. Behandlungstermine im Auge zu halten. Denn gerade Patienten mit DMÖ sind aufgrund ihrer Grunderkrankung Diabetes oft ohnehin schon mit zahlreichen Arztbesuchen belastet. Eine weitere wesentliche Grundlage der Adhärenz ist eine sorgfältige Patientenaufklärung. Wenn das Verständnis der Patienten für ihre Erkrankung gefördert wird, kann die Motivation für die längerfristige Therapie steigen. Eine wesentliche Voraussetzung einer guten Adhärenz ist die sorgfältige und individualisierte Patientenaufklärung. Wenn das Verständnis der Patienten für ihre Erkrankung gefördert wird, kann die Motivation für die längerfristige Therapie steigen. Patienten, die ihre Erkrankung besser verstehen und die Folgen einer ausbleibenden oder ausgesetzten Behandlung kennen, werden besser auf die Einhaltung der konsequenten Therapie achten.

Bewusstsein für die Erkrankung in der Bevölkerung steigern

Wie groß der Handlungsbedarf ist, verdeutlicht eine aktuelle Untersuchung von Jandorf et al. [31]. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Patienten mit retinalen Erkrankungen einen geringen Kenntnisstand haben. In Bezug auf die Gesundheitskompetenz schnitten Patienten mit DMÖ besonders schlecht ab: Nur 27 % wiesen ausreichende Kenntnisse hinsichtlich ihrer Erkrankung auf. Ohne ein grundlegendes Wissen sind das Bewusstsein für eine Erkrankung und die Bereitschaft für gemeinsame Therapieentscheidungen mangelhaft. Bereits für die Früherkennung und den rechtzeitigen Behandlungsbeginn sind Informationen und Aufklärung entscheidend für den Erfolg der Therapie. Die Initiativgruppe „Früherkennung diabetischer Augenerkrankungen“ (IFDA), in der sich Augenärzte, Internisten, praktische Ärzte und Kinderärzte zusammengefunden haben, hat es sich daher zum Ziel gesetzt, die diabetischen Augenerkrankungen einer breiten Öffentlichkeit bekannter zu machen und verständlich zu erklären. In Zusammenarbeit mit weiteren Unterstützern wurde nun die neue Informationskampagne „Das diabetische Auge“ entwickelt, die im Internet unter https://www.das-diabetische-auge.de/ eingesehen werden kann und die zusätzlich über soziale Netzwerke verbreitet wird, um auch die bei DMÖ meist jüngeren Patienten zu erreichen. Die Kampagne erfüllt die Transparenzkriterien des „Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem“ (afgis), das für hochwertige Gesundheitsinformationen im Internet steht. Die Seite enthält in für Patienten verständlicher Sprache u. a. umfassende Informationen und Videos zum Thema Diabetes, erläutert die möglichen Auswirkungen auf das Auge sowie die Bedeutung und Häufigkeit erforderlicher Kontrollen. Zudem werden auch für Ärzte zahlreiche Informationsmaterialien – von PowerPoint-Vorträgen bis hin zu Videos – zur Verfügung gestellt, die kostenlos heruntergeladen werden können. Dies kann eine sorgfältige und umfassende Patientenaufklärung erheblich erleichtern und in der Folge zu einer verbesserten Therapieadhärenz beitragen.

Fazit

  • Aufgrund des demografischen Wandels steigt die Prävalenz des Diabetes mit erheblichen Folgen auch für die Häufigkeit einer beeinträchtigten Seh- und Lebensqualität.
  • Das DMÖ ist die wesentliche Ursache für einen Verlust der Sehkraft und für ausgeprägte Sehbehinderungen bei Menschen mit Diabetes.
  • Wirksame Therapie des DMÖ mit fovealer Beteiligung ist die intravitreale operative Medikamentenapplikation (IVOM) von Anti-VEGF-Präparaten.
  • Gemäß den aktuellen Empfehlungen der deutschen Fachgesellschaften ist ein intensiver Behandlungsstart mit sechs IVOM angezeigt. In den nachfolgenden Behandlungsjahren sind weniger Behandlungen mit individualisierten Therapieschemata (PRN/T&E) erforderlich.
  • Wichtig für den langfristige Therapieerfolge sind eine gute Kommunikation mit den Patienten sowie eine Nachverfolgung der Termine.