Prävalenz der pädiatrischen Adipositas
Adipositas bei Kindern und Jugendlichen, juvenile Adipositas, stellt eines der größten Probleme überhaupt in der Kinder- und Jugendmedizin dar. Sie ist die häufigste chronische Erkrankung in diesen Altersgruppen. Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) spricht daher von einer „stillen Pandemie”. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht bei Erwachsenen von einer Adipositas bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 kg/m2 und darüber. Bei Kindern und Jugendlichen ist die Definition schwieriger, da der BMI sich in Abhängigkeit von Geschlecht und Entwicklung bzw. während des Wachstums verändert. Deshalb empfiehlt die Arbeitsgemeinschaft für Adipositas im Kinder- und Jugendalter (AGA) die Nutzung eines Perzentilsystems. Dieses basiert auf der Analyse des BMI aus den Körpergrößen- und Körpergewichtsdaten von insgesamt 17.147 Jungen und 17.275 Mädchen im Alter von null bis 18 Jahren. Auf dieser Basis wurden von Kromeyer-Hauschild und Kollegen Perzentilkurven erstellt. Als übergewichtig gilt ein Kind, wenn der BMI die 90. Perzentile, und als adipös, wenn er die 97. Perzentile übersteigt. Aus Tabellen oder Perzentilkurven kann der BMI alters- und geschlechtsbezogen ermittelt werden. Der BMI-SDS-Wert wird zur Einordnung des BMI-Wertes in Bezug auf Alter und Geschlecht angewendet. Die Abkürzung steht für den Standard Deviation Score, das heißt die Relation zum bzw. Abweichung vom Mittelwert. Im Jahr 2022 waren weltweit 37 Millionen Kinder unter fünf Jahren übergewichtig. Über 390 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter von 5 bis 19 Jahren waren übergewichtig, darunter 160 Millionen mit Adipositas. Im Jahr 1965 waren lediglich 1 % der Kinder und Jugendlichen adipös. Um die Jahrtausendwende nahm die Zahl der Adipösen deutlich zu. Bedingt durch veränderte Lebensstil- und Ernährungsbedingungen steigen die Zahlen im weltweiten Trend weiter deutlich an, während die Zahl Untergewichtiger kontinuierlich leicht sinkt. Die Prävalenz der Adipositas bei Kindern und Jugendlichen wird für 2050 auf 9 % und für 2100 auf 13 % geschätzt, wobei Jungen stärker betroffen sind als Mädchen. Die COVID-19-Pandemie hat zu einer weiteren Verschärfung dieser Problematik bei Kindern beigetragen. Darüber hinaus hatten Kinder und Jugendliche mit Adipositas während der COVID-19-Pandemie ein höheres Risiko für schwere COVID-19-Verläufe, die eine Hospitalisierung und mechanische Beatmung erforderten. Schon nach dem ersten Lockdown 2020 zeigten die Schuleingangsuntersuchungen bei 2300 Kindern in der Region Hannover einen Anstieg der Kinder mit Adipositas von 9,5 % auf 13,4 %. Etwa 55 % der Kinder mit Adipositas bleiben bis in das Jugendalter adipös, etwa 70 % der betroffenen Jugendlichen sind auch als Erwachsene adipös. Die KIGGS-Studie des Robert Koch-Institutes (RKI), eine Langzeitstudie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland im Alter zwischen drei und 17 Jahren ergab, dass etwa 15 % der Kinder und Jugendlichen, insgesamt 2 Mio., übergewichtig und 5,9 % adipös sind. Statistisch signifikante Geschlechtsunterschiede wurden nicht gefunden. Die Werte im Vorschulalter lagen mit ca. 10 % niedriger. Mit dem Eintritt in das Schulalter und der damit einhergehenden geringeren Mobilität steigt der Anteil der Übergewichtigen auf nahezu 20 %. Jungen und Mädchen repräsentierten jeweils etwa 50 % der Untersuchten.
Ursachen
Sicherlich ist das Ess- und Bewegungsverhalten eine wesentliche Ursache für das Entstehen einer Adipositas. Adipositas stellt aber kein reines Problem der Energiebilanz im Sinne von zu viel Kalorienaufnahme versus zu wenig Kalorienverbrauch dar.
Viele Einflussfaktoren sind für die Gewichtsentwicklung des Kindes wichtig:
Pränatal sind das demografische Faktoren, der BMI sowie Rauchgewohnheiten und mütterliche Ernährung sowie mentale Gesundheit der Mutter. Während der Schwangerschaft beeinflussen insbesondere das Essverhalten der Mutter, da so Nährstoffe an die Feten gelangen, sowie körperliche Aktivität der Schwangeren und eine zu hohe Gewichtszunahme in der Schwangerschaft die Entwicklung von Übergewicht und Adipositas des Kindes. Früh-postnatal sind emotionale Einflüsse und die kindliche Ernährung wichtig. Die Dauer des Stillens und die mütterliche Ernährung haben nach der ROLO Kids Study aus Irland Einfluss auf das kindliche Essverhalten und damit die mögliche Ausbildung von Übergewicht und Adipositas. Ehemals gestillte Säuglinge sind im späteren Kindes- oder Erwachsenenalter seltener übergewichtig und haben ein geringeres Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) empfiehlt, Säuglinge im ersten Lebenshalbjahr zu stillen, mindestens bis zum Beginn des 5. Monats ausschließlich – also mindestens 4 Monate. Auch nach Einführung der Beikost, spätestens ab dem 7. Monat, soll das Stillen fortgesetzt werden. Die Gesamtdauer des Stillens legen Mutter und Kind fest. Allerdings stillen nur 68 Prozent der Mütter ihr Kind nach der Geburt ausschließlich, und diese Zahl nimmt in den folgenden Monaten deutlich ab. Kinder aus sozial benachteiligten Familien werden dabei seltener und kürzer gestillt. Im späteren Verlauf tragen das Essverhalten, die körperliche Aktivität und das Ausmaß des sedentären Verhaltens zur Gewichtsentwicklung bei. Eine Metaanalyse, die 79 Studien einschloss, ergab, dass schon der mütterliche BMI vor der Konzeption für die spätere Entwicklung einer Adipositas des Kindes relevant ist. Ist die Mutter präkonzeptionell übergewichtig, wird das Kind mit 89 %iger Wahrscheinlichkeit eine Adipositas entwickeln. Ist die Mutter selbst adipös, steigt die Wahrscheinlichkeit auf 264 %. Hier muss die Prävention bereits ansetzen. Ganz wesentlich ist auch das mütterliche Essverhalten während der Schwangerschaft. Epidemiologische Studien legten einen engen Zusammenhang zwischen intrauteriner Ernährung und späteren Erkrankungen im Erwachsenenalter nahe. Es wurde die Theorie des „fetal origins of adult disease” (FOAD) entwickelt. Diese basiert auf der Annahme einer „developmental plasticity”, einer gewissen Formbarkeit während der Entwicklung. Das beschreibt das Phänomen, dass ein Genotyp unter verschiedenen Umwelteinflüssen verschiedene Phänotypen ausbilden kann. Es gibt unterschiedliche Perioden, in denen Organe und Systeme formbar sind. Während des intrauterinen Lebens spielt insbesondere die Ernährung eine Rolle bei der „metabolischen Programmierung”. Die KIGGS-Studie wie auch internationale Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Adipositas. Bei Kindern aus sozial schlechter gestellten Gruppen zeigt sich eine höhere Prävalenz und ein weiterer Anstieg, während die Prävalenz bei Kindern aus besser gestellten sozioökonomischen Schichten stagniert und insgesamt niedriger liegt. Kinder und Jugendliche mit einem Migrationshintergrund sind ebenfalls stärker von Übergewicht und Adipositas betroffen. Hier spielen nicht nur sozioökonomische, sondern teilweise auch kulturelle Faktoren wie andere Essgewohnheiten eine Rolle. Bildung hat ebenfalls einen wesentlichen Einfluss auf die Häufigkeit der Adipositas, wie Daten der KIGGS-Studie, aber auch zum Beispiel eine Untersuchung der Sporthochschule Köln im Jahr 2009 zeigten. Bei den Schülern, die ein Gymnasium besuchten, betrug die Prävalenz 10 %, bei Hauptschülern waren 40 % übergewichtig und adipös.
Folgen der Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Bei Erwachsenen führt die Adipositas zu den bekannten metabolischen, kardiovaskulären, gastrointestinalen, pulmonalen und psychischen Erkrankungen, die nahezu alle Organe betreffen können. Auch bei Kindern und Jugendlichen sind Begleit- und Folgeerkrankungen der Adipositas beschrieben. Bei Jugendlichen mit Adipositas trat bei ca. 1 bis 2 % ein manifester Typ-2-Diabetes auf. Die Anzahl der Typ-2-Diabetes-Neuerkrankungen, die in der DPV-Datenbank (Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation) erfasst werden, hat sich in den letzten zehn Jahren verfünffacht. Sogar die Endothelfunktion kann schon bei Kindern gestört sein. Damit steigen die Risiken aller Konsequenzen für das kardiovaskuläre System mit allen möglichen Folgeerkrankungen. Als metabolisches Syndrom bezeichnet man den Symptomenkomplex aus viszeraler Adipositas, Dyslipidämie, Insulinresistenz/Typ-2-Diabetes und arterieller Hypertonie. Es prädestiniert für die Entwicklung einer Arteriosklerose und des Typ-2-Diabetes. Eine Veröffentlichung von 2019 hat 52 Studien mit mehr als 1,5 Mio. Patienten berücksichtigt und beweist beeindruckend den Anstieg des metabolischen Syndroms, aber auch der metabolische Dysfunktion-assoziierte steatotische Lebererkrankung (MASLD) bei Übergewichtigen und mehr noch bei Adipösen. Wenn auch weniger stark, aber doch signifikant steigt auch die Prävalenz bei Dyslipidämien und Hypertonus. Ebenso treten Asthmaerkrankungen und Senkfuß häufiger auf. Bereits bei manchen Kindern mit Übergewicht kann eine entsprechende Konstellation von Risikofaktoren gefunden werden. Eine einheitliche Definition des metabolischen Syndroms für das Kindes- und Jugendalter gibt es bisher nicht. Im Jahr 2016 wurde geschätzt, dass weltweit bis 2025 die Adipositas im Kindesalter zu 12 Millionen Kindern im Alter von 5 bis 17 Jahren mit Glukoseintoleranz, 4 Millionen mit Typ-2-Diabetes, 27 Millionen mit Bluthochdruck und 38 Millionen mit Fettlebererkrankungen führen wird. Zentraler Parameter für die Beschreibung einer Adipositas ist der BMI, da dieser durch Messung der Körpergröße und des Gewichtes leicht zu bestimmen ist. Ein zunehmender BMI korreliert stark mit einer Zunahme der Fettmasse im gesamten Körper und den mit der Adipositas assoziierten metabolischen Störungen. Voraussetzung ist, dass der steigende BMI nicht durch eine Zunahme der Muskelmasse zu erklären ist. Die eigentlichen pathogenen Faktoren sind die hormonelle Dysregulation, allen voran die Insulinresistenz, die Zunahme des viszeralen Fettgewebes und die damit verbundene immunologische Dysfunktion. Untersuchungen an 628 Jungen und 591 Mädchen im Alter zwischen acht und 18 Jahren haben ergeben, dass sich der prozentuale Fettanteil in den Dekaden von 1960 bis 1999 kontinuierlich erhöht hat. Während bei Jungen die Körperfettmasse mit steigendem Alter in jeder Dekade zunächst ansteigt, dann aber wieder sinkt, zeigen die Ergebnisse bei Mädchen einen linearen Anstieg. Insgesamt ist aber von Dekade zu Dekade eine Zunahme zu verzeichnen. Im Vergleich zweier Untersuchungen in den Jahren 1975/1976 und 2006 bei Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren beiderlei Geschlechtes konnte eine Zunahme des subkutanen Fettgewebes unterhalb der Scapula statistisch signifikant von 43 % bei Jungen und 60 % bei Mädchen und über dem Trizeps von 63 % bei Jungen und 67 % bei Mädchen nachgewiesen werden, wenn ihr BMI oberhalb der 90. Perzentile lag. Die Ergebnisse wurden durch die Messung der Hautfaltendicke ermittelt. Wesentlich für die weiteren pathophysiologischen Mechanismen im Rahmen der Adipositas ist aber nicht so sehr das subkutane, sondern das viszerale Fettgewebe mit seinen inflammatorischen Prozessen. Dieses viszerale Fettgewebe ist ein eigenes endokrines Organ, dessen Adipozyten inflammatorische Zytokine, verschiedene Hormone und prothrombotische Proteine bilden. Es kann einfach näherungsweise durch die Messung des Bauchumfanges bestimmt werden. Verschiedene Studien, die Geburtsjahrgänge bis in die 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts berücksichtigen, belegen, dass die Lebenserwartung von Kindern mit Adipositas um 40 bis 60 % verkürzt ist. Somit geht es nicht nur darum, kostspielige Folgekrankheiten zu vermeiden, sondern selbst die Lebenserwartung dieser Patienten zu verbessern. Über die reine Lebensspanne hinaus ist ein weiterer wesentlicher Faktor, der Berücksichtigung finden muss, die Lebensqualität. Wir müssen uns die psychosozialen Auswirkungen für die jungen Patienten vor Augen führen. Kinder und Jugendliche mit Adipositas leiden unter Minderung ihres Selbstwertgefühles, erleiden Mobbing und entwickeln eine Reihe verschiedener psychischer Erkrankungen. Die Lebensqualität von Kindern mit Übergewicht und besonders von Kindern mit Adipositas ist vergleichbar mit der von Kindern mit einer Tumorerkrankung. Wir haben es bei Übergewicht und Adipositas bei Kindern mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun. Das heißt, ein holistischer Ansatz ist erforderlich. Interventionsmaßnahmen müssen die Beeinflussung der Ernährungsgewohnheiten schon der Eltern und der Kinder, die Motivation zu vermehrter sportlicher Aktivität und die Schaffung von Möglichkeiten dazu, die schulischen Rahmenbedingungen und die Schaffung eines gesunden Umfeldes einschließen. Dazu sind verschiedenste Interventionsprogramme entwickelt worden. Diese reichen von individuellen Beratungen, strukturierten Programmen, die ambulant angeboten werden, bis hin zu stationären Therapieformen. Lebensstilinterventionen sind wichtig und möglich, aber leider nur begrenzt erfolgreich. Zudem werden in Deutschland die Therapieangebote in Beratungsstellen zurückgeschraubt. Es gab einmal 200 solcher Angebote. Heute gibt es nur noch etwa 30 zertifizierte Programme.
Therapiekonzept
Die Behandlung sollte individuell und ohne Stigmatisierung erfolgen, mit dem Ziel, das Übergewicht zu reduzieren, die assoziierten Komorbiditäten zu lindern sowie das allgemeine Gesundheitsverhalten zu verbessern. Besonders relevante Aspekte bei der Festlegung der Therapie sind das Alter, der Schweregrad sowie das Vorhandensein von Begleiterkrankungen. Der Goldstandard bleibt die multidisziplinäre Lebensstilintervention, die sowohl eine Erhöhung der körperlichen Aktivität als auch Ernährungsumstellungen umfasst. Für die Lifestyleintervention gibt es verschiedenste Möglichkeiten, die von Informationsbeschaffung in Eigeninitiative über strukturierte Beratungen und Schulungen bis hin zum sogenannten „Vollprogramm” reichen. Damit ist die Integration von medizinischen Maßnahmen, Ernährung, Bewegung, psychosozialen Aspekten und der Eltern gemeint. Das entspricht auch den Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Adipositas. Demzufolge bilden die Lebensstilinterventionen die Basis einer sogenannten „eskalierenden Therapie”. Hier ist das gesamte soziale Umfeld, das Eltern, die Schule und auch Hausärzte und Pädiater einschließt, zu berücksichtigen. Interventionen, die ausschließlich Eltern schulen, führen zu einer vergleichbaren Reduktion des BMI wie solche, die sowohl Eltern als auch Kinder im Alter von 5 bis 11 Jahren einbeziehen. Bei Kindern und Jugendlichen mit schweren Formen der Adipositas stellt heute die pharmakologische Therapie die nächste „Eskalationsstufe” dar, die sich immer in Kombination mit der Lifestyleintervention für bestimmte Patientengruppen anbietet. Die höchste Eskalationsstufe bildet dann die bariatrische Chirurgie. Diese bleibt wegen der Risiken, aber auch der begrenzten Ressourcen, den Patienten mit dem höchsten Schweregrad der Adipositas vorbehalten.
Erfolgsbeurteilung
Wie erfolgreich sind die heute angebotenen Therapieformen, und wie lässt sich dieser Erfolg messen? Den Abstand des BMI einer Person oder Gruppe von der Mittellinie, der 50. Perzentile, bezeichnet man als BMI-SDS (standard deviation score). Als Erfolg wird eine Reduktion des BMI-SDS um 0,2 bis 0,5 angesehen. Es geht also darum, das Gewicht des Kindes der Mittellinie anzunähern und nicht zwingend ein Normalgewicht zu erreichen. Sowohl zur Prävention als auch zur Therapie von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen liegen Studien zu Lebensstilinterventionen vor. In beiden Bereichen gibt es umfangreiche Metaanalysen, die Studienergebnisse zusammenfassen. Die Evidenzlage dieser Untersuchung zeigt, dass eine Vielzahl schulbasierter Bewegungsprogramme für Kinder im Alter von 5 bis 11 Jahren, alleine oder in Kombination mit Ernährungsmaßnahmen, kurzfristig und mittelfristig einen geringen positiven Effekt auf die Prävention von Adipositas haben kann. Bei langfristiger Betrachtung zeigt sich jedoch kein Effekt. Bei Jugendlichen im Alter von 12 bis 18 Jahren zeigen Ernährungsmaßnahmen kaum Auswirkungen auf die Prävention von Adipositas. Die Evidenz ist schwach, dass Bewegungsprogramme langfristig einen geringen positiven Effekt auf den BMI haben können. Kombinationen aus Ernährung und Bewegung bewirken wahrscheinlich kaum einen Unterschied. Cochrane-Datenbankanalysen zur Behandlung von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen zeigen, dass Maßnahmen für eine gesunde Ernährung nur geringe oder keine Auswirkungen auf BMI und zBMI haben. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Implementierungsstrategien zwar die Umsetzung von Richtlinien, Praktiken oder Programmen in der Kinderbetreuung verbessern, aber kaum Einfluss auf Ernährung, Bewegung oder Gewicht der Kinder nehmen. Über diese begrenzten Effekte muss die Familie aufgeklärt werden, um die Akzeptanz von Therapiemaßnahmen zu fördern. Es muss kommuniziert werden, dass zeitlich begrenzte therapeutische Lifestyleinterventionen häufig nicht zu einer ausreichenden und nachhaltigen Gewichtsreduktion führen, sondern eine lebenslange Aufgabe bleiben. Obgleich Lifestyleinterventionen dennoch stets die Basis der Behandlung darstellen, gilt es eine realistische Erwartungshaltung zu vermitteln. Als Erfolg sollte gewertet werden, dass das Kind oder der Jugendliche mobiler wird, seine kardiovaskuläre Fitness steigert, sich in der Schule verbessert, die Zahl der Krankheitstage mit Abwesenheit von der Schule vermindert wird, weniger Mobbing erfahren wird, die Lebensqualität sich verbessert und die Zahl der Begleit- und Folgeerkrankungen reduziert wird. Bei Mädchen kann auch die Regulierung unregelmäßiger Menstruationen als Erfolg gewertet werden. So schätzten Eltern die gesundheitsbezogene Lebensqualität ihrer Kinder nach Abschluss eines einjährigen interdisziplinären Schulungsprogrammes unabhängig von der Gewichtsabnahme signifikant besser ein. Durch die Intervention glich sie sich in mehreren Teilbereichen derjenigen einer repräsentativen Vergleichsgruppe an. Die wirksamsten Interventionen umfassten Ernährungs- und Bewegungskomponenten sowie Peer-Support-Gruppen und wurden persönlich durchgeführt. Lebensstilinterventionen scheinen am wenigsten wirksam bei Jugendlichen mit den schwersten Formen von Adipositas zu sein.
Pharmakologische Therapiemöglichkeiten
Vor dem Hintergrund dieser eher begrenzten Erfolge der Lifestyleintervention kann zusätzlich die schon auf der zweiten Stufe der „eskalierenden Therapie” erwähnte medikamentöse Unterstützung angeboten werden. Nur zwei GLP-1- Analoga (Glucagon-like Peptid 1), Liraglutid und Semaglutid, sind für die Behandlung von Adipositas bei Jugendlichen ab 12 Jahren zugelassen. Der Zugang zu diesen Therapien ist jedoch aktuell stark eingeschränkt, da die Kosten in Deutschland in der Regel nicht von den Krankenkassen übernommen werden. Da in vielen Familien mehrere Kinder betroffen sind, sind die privat zu tragenden Kosten oft unerschwinglich. Die Ergebnisse der Zulassungsstudien, die eine stärkere Gewichtsreduktion als bei Erwachsenen zeigen, sind jedoch sehr vielversprechend. Setmelanotid und Amfepramon sind zwei weitere Substanzen, die von der European Medicines Agency (EMA) für die Therapieunterstützung der Adipositas bei Kindern und Jugendlichen in Europa zugelassen wurden, jedoch sind die Indikationen sehr eingeschränkt. Setmelanotid ist zugelassen für die Anwendung bei Erwachsenen und Kindern ab sechs Jahren zur Behandlung von Adipositas mit genetisch bestätigtem biallelischen Proopiomelanocortin-(POMC-)Mangel (einschließlich PCSK1) oder genetisch bestätigtem biallelischen Leptinrezeptor-(LEPR-)Mangel. Es ist ein Melanocortin-4-Rezeptor-(MC4R-)Agonist. Da es nur sehr wenige Patienten gibt, für die das Medikament indiziert ist, sind auch die Zahlen der Probanden in den Zulassungsstudien extrem gering. Bei 74 pädiatrischen Patienten im Alter von sechs bis 17 Jahren, von denen 14 eine Adipositas hatten, die durch den genetisch verursachten POMC- oder LEPR-Mangel bedingt war, kam es zu einer signifikanten Senkung des BMI im Verlauf der Studie. Die Häufigkeit, Art und Schwere der Nebenwirkungen waren in den erwachsenen und pädiatrischen Populationen ähnlich. Es kam bei 51 % der Probanden zu Hautverfärbungen, die rückbildungsfähig waren. 31 % klagten über Reaktionen an der Injektionsstelle, 33 % über Übelkeit und 12,4 % über Erbrechen. In einer Studie mit zehn Patienten mit Bardet-Biedl-Syndrom (BBS) konnte eine Gewichtsreduktion von 5,5 % nach drei Monaten, von 11,3 % nach sechs Monaten und von 16,3 % nach zwölf Monaten beobachtet werden. Amfepramon ist zugelassen für die maximal zwölfwöchige Behandlung von Erwachsenen und Kindern >12 Jahren mit Adipositas. Dieses zentral wirkenden Sympathomimetikum beeinflusst die Steuerung von Appetit und Sättigung. Als Nebenwirkung kommt es häufig zu Mundtrockenheit und gelegentlich zu Verwirrtheit und Reizbarkeit sowie zu Obstipation und Übelkeit. Allerdings ist bekannt, dass es bei Einnahme von Appetitzügler, wie es Amfepramon darstellt, auch zu kardialen Problemen und tödlichem pulmonalen Hochdruck kommen kann. Im Februar 2021 hat die EMA eine Überprüfung Amfepramonhaltiger Arzneimittel eingeleitet. Liraglutid stellt ein modifiziertes GLP-1 dar. GLP-1 ist ein aus 31 Aminosäuren aufgebautes Peptid, das als Inkretinhormon in den L-Zellen des Darms, aber auch im Gehirn gebildet und sekretiert wird. GLP-1 reagiert mit GLP-1-Rezeptoren im Gehirn, Endothelium, Myokard, im Magen-Darm-Trakt, im Pankreas und in den Nieren. Nach einer Mahlzeit ist das Sättigungsgefühl hoch und das Hungergefühl niedrig. Danach sinkt das Sättigungsgefühl kontinuierlich und das Hungergefühl steigt. Man hat Probanden mit Normalgewicht nach der Mahlzeit GLP-1 infundiert. Danach kommt es bei einer weiteren Mahlzeit zu einer signifikanten Steigerung des Sättigungsgefühls und einer Verringerung des Hungergefühls. GLP-1 hat weitere verschiedene metabolische Wirkungen: Die Insulinsekretion wird gesteigert und die Glukagonproduktion vermindert. Außerdem wird die Magensäureproduktion gemindert und die Magenentleerung verzögert. Damit reduziert sich die Energieaufnahme. Die tägliche Injektion von Liraglutid über eine Woche bei Menschen mit Typ-2- Diabetes verbesserte signifikant Glukosewerte, die Alpha- und Betazellfunktion und verminderte die endogene Glukoseausschüttung. Das endogene GLP-1 hat eine sehr kurze Halbwertzeit von zwei Minuten und eignet sich daher natürlich nicht für die Therapie. Das GLP-1-Molekül wurde an zwei Stellen modifiziert. Eine Aminosäure wurde ersetzt, und durch Anfügen einer Fettsäure kommt es zu einer höheren Albuminbindung und Stabilität gegenüber dem Abbau durch Dipeptidylpeptidase-4 (PDD-4). Das so veränderte Molekül wird langsam durch die Subkutis absorbiert, kann somit subkutan verabreicht werden, und die Halbwertzeit im Plasma wird auf 13 Stunden gesteigert. Das Gleichgewicht zwischen Hunger- und Sättigungsgefühl wird im Nucleus arcuatus im Hypothalamus über Neuropeptid Y (NPY) und Agouti-ähnlichem Pepsin (AgRP), die den Hunger beeinflussen, und Proopionmelanocortin (POMC) und CART, die die Sättigung steigern, reguliert. Um zu sehen, wo Liraglutid tatsächlich am stärksten wirkt, hat man im Tierversuch bei einer Gruppe die GLP-1-Rezeptoren im peripheren Nervensystem und bei einer anderen Gruppe die im Gehirn blockiert und dann die Tiere gefüttert. Appliziert man dann Liraglutid, so ist die Gewichtsabnahme bei der Gruppe, bei der die GLP-1-Rezeptoren im peripheren Nervensystem geblockt wurden, mit der bei der Kontrollgruppe vergleichbar, während die Gruppe mit den im Gehirn geblockten Rezeptoren keine Gewichtsabnahme aufwiesen. Liraglutid wirkt demnach zentral. Injiziert man fluoreszenzmarkiertes Liraglutid Mäusen, dann wird dieses an Neurone hauptsächlich im Nucleus arcuatus, aber auch diskret in anderen Arealen des Hypothalamus gebunden. Es wirkt also nachweislich in Hirnregionen, die den Appetit und die Nahrungsaufnahme regulieren.
Liraglutid-Studie bei Kindern und Jugendlichen
Eine Phase-I-Studie zur Pharmakokinetik bei Jugendlichen mit einem BMI >95. Perzentile zeigte, dass das Dosierungsregime in diesem Alter vergleichbar sein kann. Eine randomisierte, kontrollierte Studie zur Untersuchung der Wirksamkeit und Sicherheit von Liraglutid bei Jugendlichen mit Adipositas schloss in der Interventionsgruppe 125 und in der Placebogruppe 126 Probanden mit Adipositas im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren ein. Bei Studienbeginn waren der BMI mit 35,3 ± 5,1 und 35,8 ± 5,7 und der BMI-SDS mit 3,14 ± 0,65 und 3,20 ± 0,77 in beiden Gruppen nahezu gleich. Auch bei den Parametern HbA1c, FPG, Dysglykämie, Gesamtcholesterin, HDL, LDL und Triglyceride waren beide Gruppen nahezu identisch. Nach dem Screening und einer vierwöchigen Phase der wöchentlichen Dosiserhöhung von jeweils 0,6 mg, um die Nebenwirkungen gering zu halten, wurde über 52 Wochen 3,0 mg Liraglutid täglich subkutan verabreicht. Die Vergleichsgruppe erhielt eine Placeboinjektion. Parallel erfolgte für beide Gruppen eine Lifestyleberatung. Am Ende der Intervention nach 56 Wochen wurde die Veränderung des BMI und des BMI-SDS gegenüber dem Ausgangswert beim Screening erfasst. Während sich der BMI-SDS in der Placebogruppe kaum änderte, verringerte er sich bei der Liraglutid-Gruppe kontinuierlich und erreichte am Studienende nach 56 Wochen einen Wert von –0,25. Im Verlauf der Studie konnten in der Liraglutid-Gruppe 43,3 % ihren BMI um 5 % oder mehr und 26,1 % sogar um mehr als 10 % senken. In der Placebogruppe waren das immerhin 18,7 % und 8,1 %, da diese Gruppe ebenfalls eine Lifestyleintervention erhielt. Was geschieht nun aber nach Beendigung der Studie? Erweitert man den Beobachtungszeitraum bis zur 82. Woche, dann kommt es wieder zu einer Gewichtszunahme in beiden Gruppen, die aber in der Therapiegruppe signifikant geringer ausfällt als in der Placebogruppe.
Unerwünschte Ereignisse (AE) – Nebenwirkungen
Wie fast jede medikamentöse Therapie hat auch Liraglutid Nebenwirkungen. Insgesamt waren von Nebenwirkungen in der Therapiegruppe 111 Probanden (88,8 %) im Vergleich zu 107 Probanden (84,9 %) in der Placebogruppe betroffen. Diese sind hauptsächlich gastrointestinaler Art und traten bei 81 Probanden (64,8 %) in der Liraglutid- und bei 46 (36,5 %) in der Vergleichsgruppe auf. In drei Fällen (2,4 %) in der Therapiegruppe bzw. fünf (4,0 %) in der Placebogruppe waren die Nebenwirkungen schwerwiegend, und bei 13 (10,4 %) in der Interventionsgruppe im Vergleich zu null in der Placebogruppe führten Nebenwirkungen zum Abbruch. Am häufigsten treten Übelkeit und Erbrechen unter der Liraglutid-Medikation auf, die aber meistens erlaubten, die Therapie fortzuführen. Bei 8 % der Probanden führten diese beiden Nebenwirkungen jedoch zum Abbruch der Intervention. In der Placebogruppe waren keine Studienabbrüche zu verzeichnen. Alle anderen unerwünschten Ereignisse, die zum Abbruch führten, traten vereinzelt auf. Wenn Nebenwirkungen auftreten, dann treten diese früh im Verlauf der Therapie auf, im Wesentlichen bis zur sechsten oder achten Woche, und nahmen mit der Zeit ab. Die einschleichende Therapie dient dazu, diese Nebenwirkungen zu minimieren, und man kann bei auftretenden Nebenwirkungen auch die Dosissteigerung, die um 0,6 mg pro Woche empfohlen wird, dann etwas verlangsamen.
Neuropsychiatrische Nebenwirkungen
Schließlich ist die neuropsychiatrische Sicherheit einer solchen Therapie zu berücksichtigen. Es ist bekannt, dass Jugendliche mit Adipositas eine erhöhte Suizidrate haben. Eine Analyse der Daten von Jugendlichen in den Jahren 2007/2009 in den USA aus dem Youth Risk Behavior Survey (YRBS) ergab, dass etwa 3,5 % der Jungen und 7 % der Mädchen mit Adipositas schon wenigstens einmal einen Selbstmordversuch unternommen hatten. Es konnte aber auch ein Zusammenhang der Suizidrate mit der Wahrnehmung des eigenen Übergewichtes und dem tatsächlich gemessenen Übergewicht (Übergewicht/Adipositas/extreme Adipositas) gefunden werden. In der vorliegenden Studie kam es zu einem Suizid während des 56-wöchigen Studienverlaufes bei einem Patienten, bei dem in der Vorgeschichte eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diagnostiziert worden war, und zu zwei weiteren Suiziden in der Nachbeobachtungsphase. Diese beiden Patienten litten an einer Depression. Die Studienärzte schätzten alle drei Ereignisse als unwahrscheinlich mit der Studientherapie zusammenhängend ein. Insgesamt kam es während der Studie zu Nebenwirkungen, die mit psychiatrischen Erkrankungen zusammenhingen, bei 10,4 % der Probanden in der Placebogruppe und bei 14,3 % in der Liraglutid-Gruppe. Die Ergebnisse zur mentalen Gesundheit zeigten keinen klinisch relevanten Unterschied zwischen beiden Gruppen.
Indikation
Liraglutid kann zusätzlich zu einer Lebensstilintervention, die eine gesunde Ernährung und verstärkte körperliche Aktivität einschließt, zur Gewichtsreduktion bei Kindern und Jugendlichen mit Adipositas ab dem zwölften Lebensjahr oder älter eingesetzt werden. Der BMI sollte dem BMI 30 kg/m2 eines Erwachsenen entsprechen. Für die Indikationsstellung hinsichtlich des BMI kann eine Tabelle genutzt werden, die den BMI in unterschiedlichem Alter, der dem eines Erwachsenen entspricht, angibt. Das Körpergewicht sollte wenigstens 60 kg betragen. Hat der Patient nach zwölfwöchiger Therapie nicht den BMI oder BMI-SDS um mindestens 4 % gesenkt, sollte die Therapie abgesetzt werden.
Dosierung
Die Dosierung sollte mit einer täglichen subkutanen Injektion in das Abdomen, den Oberschenkel oder Oberarm von 0,6 mg für eine Woche begonnen werden. Die Dosis kann dann pro Woche um 0,6 mg täglich bis zu einer Maximaldosis von 3,0 mg gesteigert werden. Wenn Nebenwirkungen auftreten, steigert man die Dosis zunächst nicht, wartet den klinischen Effekt ab und entscheidet dann, ob eine weitere Erhöhung der Dosis notwendig ist. Als Ergebnis der Studie kann festgehalten werden, dass Liraglutid 3 mg verbunden mit einer Lebensstiltherapie zu einer signifikant größeren Abnahme des BMI, des BMI-SDS und des Körpergewichtes als Placebo mit einer Lebensstiltherapie allein führt. Unter Liraglutid-Therapie wurden häufiger gastrointestinale Nebenwirkungen beobachtet, die in einigen Fällen dann auch zum Abbruch führten. Neue Sicherheitssignale wurden nicht festgestellt.
Bariatrische Chirurgie bei Jugendlichen
Chirurgische Eingriffe bei Jugendlichen werden aufgrund der begrenzten Datenlage zu Langzeitfolgen, der eingeschränkten Einwilligungsfähigkeit und möglichen Auswirkungen auf das Restwachstum und die Reifung zurückhaltend indiziert. Die Entscheidung für eine Operation erfolgt nur im Einzelfall und nach sorgfältiger Abwägung durch ein interdisziplinäres Team. Die Kriterien der S3-Leitlinie orientieren sich an denen für Erwachsene. Ein aktuelles Cochrane-Review identifizierte nur eine einzige randomisierte Studie zur bariatrischen Chirurgie bei Jugendlichen. Diese zeigte, dass die laparoskopische Magenband-Operation im Vergleich zu einem mehrstufigen Lebensstilprogramm zu einem größeren Gewichtsverlust führte. Allerdings hatte diese Studie nur 50 Teilnehmer, und die Ergebnisse sind kaum verallgemeinerbar, da neuere Beobachtungsstudien von Magenbandoperationen bei Jugendlichen wegen hoher langfristiger Reoperationsraten abraten
Liraglutid bei Jugendlichen mit Adipositas nach Sleeve-Gastrektomie
Bis zu 50 % der Jugendlichen, die einen bariatrischen chirurgischen Eingriff erhalten, leiden drei Jahre nach der Operation erneut oder weiterhin an Adipositas. In einer offenen, 16-wöchigen Pilotstudie wurde die Wirksamkeit von Liraglutid bei Jugendlichen mit Adipositas nach Sleeve-Gastrektomie (SG) untersucht. Insgesamt erhielten 34 Teilnehmer die Behandlung (Ausgangs-BMI 41,2 ± 7,7 kg/m²), und 31 (91 %) schlossen die Studie vollständig ab. Der BMI verringerte sich durchschnittlich um 4,3 % unter Liraglutid. Jugendliche, die anfänglich nur ein geringes Ansprechen auf die SG zeigten (<20 % BMI-Reduktion beim BMI-Nadir), verloren unter Liraglutid weniger Gewicht. Die Nüchternblutzucker- und HbA1c-Werte sanken signifikant. Es wurden keine schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen berichtet.
Semaglutid
Semaglutid wurde im Januar 2022 zugelassen zur Gewichtsregulierung und ist seit Juli 2023 auf dem deutschen Markt verfügbar. Semaglutid ist außerdem bereits seit 2018 zugelassen zur Behandlung des Typ-2-Diabetes. Semaglutid ist zur Gewichtsregulierung in einer Dosis von 2,4 mg/Woche zugelassen. Der Gewichtsverlust bei Jugendlichen war dem von Erwachsenen vergleichbar. Es kann bei Jugendlichen ab 12 Jahren mit Adipositas (gemäß geschlechts- und altersspezifischen Wachstumstabellen) und einem Körpergewicht über 60 kg eingesetzt werden. Eine klinisch bedeutsame Verbesserung der Lebensqualität ist durch die Zulassungsstudien nicht belegt. In einer randomisierten klinischen Studie mit 201 Teilnehmern im Alter von 12 bis 18 Jahren zeigte sich im Vergleich zur Placebo-Gruppe ein durchschnittlicher Behandlungseffekt auf den BMI von −16,7 % (95 % CI, −20,3 % bis −13,2 %). Nach 68 Wochen erreichten 73 % der mit Semaglutid behandelten Teilnehmer eine BMI-Reduktion von >5 %, und 62 % eine Reduktion von >10 %. Im Vergleich dazu hatten 18 % der Placebo-Gruppe eine BMI-Reduktion von >5 % und 8 % eine Reduktion von >10 %. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, die durch langsames Essen, kleinere Mahlzeiten und Vermeidung von fettreichen und zuckerhaltigen Lebensmitteln gemindert werden können. Eine Dosisreduktion kann ebenfalls erforderlich sein.
Fazit
- Übergewicht und Adipositas stellen eines der Hauptprobleme der Kinder- und Jugendmedizin dar.
- Der BMI bei Kindern und Jugendlichen wird alters- und geschlechtsspezifisch nach Perzentilen ermittelt.
- Die Mehrzahl der Kinder mit Adipositas bleibt auch bis in das Erwachsenenalter hinein adipös.
- Juvenile Adipositas ist kein reines Problem der Energiebilanz, sondern wird durch zahlreiche psychische, soziale und biologische Faktoren beeinflusst.
- Adipositas bei Kindern hat in der Coronapandemie signifikant zugenommen.
- Kinder und Jugendliche mit Adipositas entwickeln häufiger metabolische Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes und MASLD
- Die Lebenserwartung von Kindern mit Adipositas ist deutlich reduziert. Lifestyleinterventionen stellen die Basis der Therapie der Adipositas bei allen Kindern und Jugendlichen dar, haben aber als Monotherapie häufig einen begrenzten Erfolg
- Die GLP-1-Analoga Liraglutid und Semaglutid sind in Deutschland für Jugendliche ab 12 Jahren mit Adipositas zugelassen.
- In den Zulassungsstudien erreichte die Mehrzahl der behandelten Jugendlichen mit GLP-1-Analoga in Kombination mit Lebensstilmaßnahmen eine Gewichtsreduktion von >5 – 10 %.
- Bariatrische Chirurgie wird bei Jugendlichen nur in Ausnahmefällen angewendet.
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