Zusammenfassung des Live-Webinars vom 18.10.2022
Vortrag 1: Infektsteine – Diagnostik, Therapie, Metaphylaxe
Prof. Dr. med. Walter Ludwig Strohmaier
Definitionen
Eine infektinduzierte Urolithiasis beschreibt Harnsteine, die infolge eines Harnwegsinfektes (HWI) entstanden sind. Hier besteht ein eindeutiger kausaler Zusammenhang. Strukturell bestehen diese Konkremente meist aus Struvit oder Hydroxylapatit, in seltenen Fällen aus Ammoniumurat. Umgekehrt können auch Harnsteine einen Harnwegsinfekt induzieren, sodass auch von einem Harnstein-assoziierten Infekt gesprochen wird. Ein Kausalzusammenhang liegt jedoch nicht vor.
Infektinduzierte Urolithiasis
Epidemiologie
Infektinduzierte Harnsteine mit Struvit als Hauptkomponente sind in Industrieländern recht selten, ihr Anteil liegt im einstelligen Prozentbereich. Am häufigsten sind Ältere und Kinder betroffen. Auch besteht eine Diskrepanz zwischen den Geschlechtern: Frauen sind viermal öfter betroffen als Männer. Grundsätzlich ist ein Rückgang der Inzidenz in den letzten 30 Jahren sowohl in Industrie- als auch in Schwellenländern zu beobachten. In Schwellenländern macht Struvit in 45 % der Fälle die Hauptkomponente der Steine aus, was unter anderem auf schlechtere hygienische Bedingungen und eine konsekutiv höhere Anzahl von HWI zurückzuführen ist.
Pathogenese und Risikofaktoren
Bereits im frühen 20. Jahrhundert wurde erkannt, dass einige Bakterienstämme Steine verursachen, was maßgeblich auf die Urease zurückzuführen ist. Zu den Ureasebildnern gehören beispielsweise Proteus sp., Morganella sp. und Providencia sp. Seltener können auch Staphylokokken, Pseudomonaden und Klebsiellen über eine entsprechende Fähigkeit verfügen. Bei der Urease handelt es sich hingegen um ein Enzym, das Harnstoff in Ammonium- und Karbonationen spaltet. Infolgedessen kommt es zur Harnalkalisierung, was wiederum eine Übersättigung des Urins mit Ammonium- und Calciumphosphat begünstigt. Des Weiteren konnte in experimentellen Studien gezeigt werden, dass die Proteus-mirabilis-Urease auch inflammatorische Effekte besitzt. Neben der Urease begünstigen auch bestimmte Risikofaktoren die Entstehung von infektinduzierten Harnsteinen. Hierzu gehören neurogene Blasenentleerungsstörungen, dauerhafte Urinableitungen in Form von Conduits und Pouches sowie Harnabflussstörungen, zum Beispiel aufgrund einer subvesikalen Obstruktion im Rahmen einer Prostatahyperplasie.
Symptome, Klinik und Diagnostik
Die Klinik der infektinduzierten Harnsteine differiert nicht wesentlich von anderen Harnsteinen. Koliken treten seltener auf, da Infektsteine bei Diagnosestellung häufig schon so groß sind, dass sie nicht in den Ureter gelangen können. In 30 bis 50 % der Fälle kommt es zur Niereninsuffizienz, was nicht zuletzt auf die entsprechenden Risikofaktoren zurückzuführen ist. Diagnostisch kommen Sonografie, Röntgen und Computertomografie (CT) zum Einsatz. In der Röntgenuntersuchung sind die Konkremente schwach bis gut schattengebend. CT-morphologisch imponieren sie mit einer Strahlungsabschwächung von 400 bis 1000 Hounsfield-Einheiten. Eine zusätzliche Kontrastmittelgabe kann in Abhängigkeit von der Nierenfunktion für die weitere Therapieplanung sinnvoll sein. Obligatorisch ist eine Laboruntersuchung inklusive Urinstatus und Urinkultur.
Therapie
Auch die Therapie der infektinduzierten Urolithiasis ist grundsätzlich idem zu der von anderen Harnsteinen, jedoch gibt es auch hier Besonderheiten. Liegen Obstruktion und/oder Fieber vor, sollte zunächst der Harn, zum Beispiel mittels Doppel-J-Katheter, abgeleitet und eine Infekttherapie initiiert werden. Hierzu gehört auch eine perioperative Antibiotikaprophylaxe. Da die Steine häufig einen großen Durchmesser aufweisen, ist die perkutane Nephrolitholapaxie (PCNL) in der Regel die Therapie der Wahl und kann gegebenenfalls mit anderen Therapieoptionen kombiniert werden. Eine möglichst vollständige Steinentfernung ist essenziell, da diese Bakterien enthalten, die das Risiko für Rezidive respektive Residuen erhöhen. Die PCNL ermöglicht Steinfreiheitsraten von 60 bis 100 %, je nach Größe, Lage und Zusammensetzung des Steines. Die häufigsten Komplikationen der Intervention sind Perforationen (20 bis 30 %) und Fieber (10 bis 30 %). Transfusionspflichtigkeit und Sepsis treten wesentlich seltener auf (0 bis 14 % bzw. 0 bis 10 %). Eine Nephrektomie ist nur dann indiziert, wenn es durch steinbedingten Harnaufstau zu einem Funktionsverlust der Niere gekommen ist.
Infektiöse Komplikationen bei der Steintherapie
Infektionen als Komplikation der Therapie aller Steinentitäten – nicht nur der der Infektsteine – sind nicht selten. Bei der extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie (ESWL) ist die Studienlage eher schwach und teilweise nicht aktuell. In einigen Studien wurden Fieber und Harnwegsinfekte beschrieben. In den EAU-Guidelines wird eine antiinfektive Prophylaxe bei sterilem Urin nicht empfohlen. Für die Ureterorenoskopie (URS) konnte gezeigt werden, dass eine Antibiotikaprophylaxe das Risiko für eine postinterventionelle Bakteriurie und Pyurie reduziert. Im Hinblick auf fieberhafte HWI brachte sie keinen eindeutigen Vorteil, dennoch wurde in den europäischen Leitlinien eine schwache Empfehlung für die Prophylaxe ausgesprochen. Eine starke Empfehlung für eine präoperative Antibiotikagabe wurde indes für die PCNL formuliert, da hierunter Sepsis und Fieber deutlich seltener auftreten. Bei der Auswahl des Antibiotikums sollte insbesondere das Antibiogramm und die lokale Resistenzlage berücksichtigt werden, da kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Effektivität zwischen den üblicherweise verwendeten Substanzen gezeigt werden konnte. Hierzu gehören unter anderem Ampicillin-Sulbactam, Cefuroxim, Ceftriaxon und Cefazolin. Ciprofloxacin sollte aufgrund zahlreicher Nebenwirkungen nicht mehr verwendet werden.
Metaphylaxe
Aufgrund hoher Rezidivraten bei Infektsteinen (bis zu 70 %) ist eine spezielle Metaphylaxe obligat. Neben einer Erhöhung der Trinkmenge, kochsalzarmer Ernährung und körperlicher Aktivität inkludiert dies auch eine Antibiotikatherapie, beispielsweise mit Nitroxolin ein- bis zweimal 250 mg täglich. Ein Vorteil der Substanz ist, dass sie gleichzeitig als Ureaseinhibitor fungiert. Für Nitroxolin konnte im künstlichen Urin gezeigt werden, dass es den Urease-bedingten pH-Anstieg sowie den Präzipitat- und Ammoniumgehalt reduziert. Des Weiteren ist eine Harnansäuerung mit Methionin dreimal 250 bis 500 mg täglich empfehlenswert.
Urolithiasis-assoziierter Infekt
Harnwegsinfekte sind bei Calcium-Oxalat-Steinen deutlich seltener als bei Struvit-Steinen (28 vs. 88 %). Neben den üblichen Symptomen bei einer Urolithiasis findet sich oft Fieber. Auch sind Infektzeichen im Blut oder Urin detektierbar. Ursache des Infektes ist eine Stase des Urins, die in der Regel durch eine Steinobstruktion ausgelöst wird. Die Diagnostik und Therapie entspricht im Wesentlichen jener der infektinduzierten Harnsteine. Zusätzlich sind metabolische Untersuchungen und Metaphylaxe-Protokolle entsprechend der jeweiligen Harnsteinart sinnvoll. Für die Stein-Eradikation bei rezidivierenden HWI konnte indes gezeigt werden, dass 50 % der Patienten danach infektfrei bleiben.
Infektionen und Urolithiasis: Fazit
- Die infektinduzierte Urolithiasis ist heute relativ selten (ca. 3 bis 15 % aller Harnsteine in Industrienationen).
- Ursache ist ein HWI mit Ureasebildnern (Proteus).
- Häufig liegen große Steine vor, die aber weniger symptomatisch sind, weil sie nicht in den Ureter gelangen.
- Es besteht eine hohe Rezidivrate, daher ist eine spezielle Metaphylaxe obligat.
- Eine komplette Harnsteinsanierung mit anschließender Antibiotikatherapie (z. B. mit Nitroxolin) ist essenziell.
- Eine Harnansäuerung mit Methionin zur Reduktion des Rezidivrisikos kann erwogen werden.
- Urolithiasis-assoziierte Infekte sind nicht selten.
- Etwa 7 bis 35 % aller Harnsteinpatienten entwickeln einen entsprechenden Infekt.
- Zunächst ist eine Infekttherapie und Harnableitung wichtig.
- Steintherapie und Metaphylaxe sind entsprechend der Harnsteinart durchzuführen.
- 50 % der Patienten bleiben nach Stein-Eradikation infektfrei.
Vortrag 2: Urosepsis und Steine
Prof. Dr. med. Florian Wagenlehner
Definition, Epidemiologie, Pathophysiologie
Die Sepsis beschreibt eine akut lebensbedrohliche Organdysfunktion, hervorgerufen durch eine inadäquate Reaktion des Körpers auf eine Infektion. Eine hohe Sepsisinzidenz respektive Sepsismortalität besteht vor allem in Entwicklungsländern. Global ist eine Reduktion der Sepsisfälle zu beobachten, gleichzeitig steigt aber die Rate der Urosepsen. Dies ist unter anderem auf die demografische Entwicklung mit zunehmend älter werdenden Patienten, aber auch auf eine angespannte Antibiotikaresistenzlage zurückzuführen. Pathophysiologisch existieren bei der Sepsis zwei relevante Signalwege: Die exogenen Pathogen-associated molecular patterns (PAMP), zu denen auch die in der Wand von Gram-negativen Bakterien enthaltenen Lipopolysaccharide (LPS) gehören, und die endogenen Alarmine, die vom Körper selbst produziert werden. Hier ist unter anderem die mitochondriale DNA zu nennen. Beide Signalwege führen über Bindung an „Pattern Recognition Receptors” (PRR), wie zum Beispiel an Toll-like-Rezeptoren (TLR) zu einer Inflammation.
Diagnostik
Zum Nachweis einer Sepsis wird häufig der „Sequential Organ Failure Assessment”-(SOFA-)Score verwendet, der die Funktion unterschiedlicher Organsysteme bewertet. Lungenfunktion (Oxygenierungsindex), Kreislauffunktion (mittlerer arterieller Druck; MAP), Leberfunktion (Bilirubin), Blutbild (Thrombozytenzahl) und ZNS (Glasgow Coma Scale; GCS) fließen in die Beurteilung mit ein. Auch Procalcitonin (PCT) ist insbesondere als diagnostischer Marker für die durch Gram-negative Bakterien verursachte Sepsis geeignet. Es konnte gezeigt werden, dass LPS die Expression von PCT induziert. Dies soll im Folgenden an einem Patientenfall dargestellt werden:
Patientenfall 1: 23 Jahre alter Mann
- Paraplegisch
- Chronischer Blasenkatheter
- Zuweisung mit Sepsis
- In der CT-Abdomen zeigt sich ein oberer Ureterstein
- Leukozyten 4,9 Giga/l
- CRP 280 mg/l
- Procalcitonin 300 μg/l
Es wurde die Indikation zur renalen Dekompression mittels Doppel-J-Katheter gestellt. Blut- und Urinkulturen wurden abgenommen und danach eine empirische Antibiotikatherapie mit Piperacillin/Tazobactam initiiert. Nach Dekompression zeigte sich ein schneller Abfall der PCT-Konzentration im Blut des Patienten. In der Urinkultur konnte Klebsiella pneumoniae (Gram-negativ) festgestellt werden.
Ein weiterer diagnostischer Marker der Sepsis ist das Laktat. Laktat wird im Rahmen der anaeroben Glykolyse produziert und ist daher ein Zeichen eines Perfusionsdefizites. Eine Serum-Laktat-Konzentration >2 mmol/l zusammen mit der Notwendigkeit einer Katecholamingabe weist auf einen septischen Schock hin. In Studien konnte gezeigt werden, dass Laktat mit dem Schweregrad und der Mortalität der Sepsis assoziiert ist. Auch dies soll an einem Patientenfall verdeutlicht werden:
Patientenfall 2: 65 Jahre alt Frau
- Dialysepflichtig
- Von Notarzt eingewiesen
- Septischer Schock
- Leukozyten 34,7 Giga/l
- Procalcitonin 12,4 µg/l
- Laktat 7,5 mmol/l
- Cholinesterase 1790 U/l
- Quick 53, PTT 61, AT 53
- pH 7,30
In der Computertomografie konnte ein perirenaler Abszess mit Aszitesbildung nachgewiesen werden. Die Patientin wurde mit zwei Drainagen versorgt (perirenal, abdominell). Im Sekret konnte E. coli nachgewiesen werden. Es wurde eine antibiotische Therapie mit Imipenem eingeleitet. Unter der Therapie zeigte sich der Laktatspiegel im Serum deutlich regredient. In Studien konnte gezeigt werden, dass das Laktat durchaus als Marker für den Therapieerfolg geeignet ist. Eine Laktatkonzentration >10 mmol/l über 24 Stunden ist mit einer signifikant erhöhten Mortalität assoziiert. In den ersten zwölf Stunden sollte daher die Laktatkonzentration um mindestens ein Drittel reduziert werden.
Management der (Uro-)Sepsis
Für die Therapie der Sepsis und konsekutiv für das Outcome des Patienten ist die frühe Therapiephase entscheidend. Dies schließt unter anderem eine rasche Volumensubstitution und kalkulierte Antibiotikatherapie („Hit hard and early”) ein. Bereits vor der Antibiotikagabe sollten Blutkulturen abgenommen worden sein. Wichtig ist auch eine frühe Schnittbildgebung bei Verdacht auf einen Infektfokus im Urogenitaltrakt. Auf dieser Grundlage kann dann ein möglichst minimalinvasives Verfahren zur Steinextraktion evaluiert und so das Outcome der Urosepsistherapie verbessert werden.
Bakterielles Spektrum der Urosepsis und Resistenzlage
Das bakterielle Spektrum der Urosepsis ist heterogen. Neben Gram-negativen Vertretern wie E. coli und K. pneumoniae können auch die Gram-positiven Enterokokken eine Urosepsis nach sich ziehen. Global betrachtet nimmt die Antibiotikaresistenz für eine monoantibiotische Therapie immer weiter zu und hat bereits ein hohes Niveau erreicht. Einzig für die Carbapeneme liegt die Resistenzrate noch unter 10 %. Die aktuellen EAU-Guidelines empfehlen für die empirische Therapie der Urosepsis insbesondere den Gebrauch von Cephalosporinen, auch in Kombination mit β-Laktamase-Inhibitoren. Zur Verdeutlichung soll erneut ein Patientenfall dienen:
Patientenfall 3: 37 Jahre alter Mann
- Hirnschaden mit Tetraplegie
- Bilaterale Ureterstenosen
- Bilaterale Ureterschienen
- Suprapubischer Blasenkatheter
- Bilaterale Ausgusssteine
- Urosepsis
Computertomografisch konnte darüber hinaus eine beidseitige Kontrastmittelaussparung im Bereich der Nieren gesehen werden. Es wurde die Diagnose einer Pyelonephritis gestellt. In der Mikrobiologie konnten zwei hochgradig resistente Pseudomonas-aeruginosa-Stämme isoliert werden, die sich initial nur noch sensibel auf Colistin und Aminoglykoside zeigten. In diesen Fällen ist es ratsam, eine erweiterte Resistenztestung durchzuführen und dann gegebenenfalls den Einsatz von neueren Antibiotikakombinationen wie Ceftolozan/Tazobactam oder Ceftazidim/Avibactam zu evaluieren.
Fazit
- Zur Fokuskontrolle ist es essenziell, eine Obstruktion zu beseitigen und gegebenenfalls vorliegende Abszesse zu drainieren.
- Eine empirische Antibiotikatherapie in der Frühphase ist für das Outcome des Patienten entscheidend („Hit hard and early”). Hierbei sollte die lokale Resistenzlage berücksichtigt werden.
- Die supportive Therapie inkludiert insbesondere die frühzeitige Volumensubstitution. Bei weiterhin niedrigem mittleren arteriellen Druck (MAP) sollten Katecholamine verabreicht werden.
- Eine engmaschige und gegebenenfalls insulingesteuerte Einstellung des Blutzuckerspiegels ist dann z. B. Bestandteil der adjunktiven Therapie.
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