Einleitung
Nach wie vor ist die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) eine der häufigsten Erblindungsursachen in der älteren Bevölkerung. In Deutschland sind derzeit knapp sieben Millionen Menschen von Frühstadien einer AMD betroffen wie die Gutenberg-Gesundheitsstudie, ein international renommiertes Forschungsprojekt der Universitätsmedizin Mainz, ergeben hat. Zudem ist aufgrund der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren eine weitere Zunahme der Fallzahlen zu erwarten. Um dieser steigenden Zahl an Patienten mit AMD möglichst langfristig ein gutes Sehvermögen zu erhalten, sind effiziente Therapien gefragt. Für die neovaskuläre Form der Erkrankung (nAMD), die für die überwiegende Mehrheit der Sehverluste verantwortlich ist, stehen mit intravitrealen operativen Medikamentengaben (IVOM) von Anti-VEGF-Medikamenten (VEGF: Vascular Endothelial Growth Factor) effektive Therapien zur Verfügung
Unübertroffen bei nAMD: Anti-VEGF-Therapie
Bereits vor über zehn Jahren hat die intravitreale Anti-VEGF-Therapie ihren Siegeszug angetreten und ist bis heute unübertroffen in der Behandlung der nAMD. Sie hat dazu beigetragen, die Zahl der Erblindungen oder Sehbehinderungen infolge einer AMD erheblich zu reduzieren und die nAMD von der Liste der unheilbaren Krankheiten zu streichen. Wegweisende klinische Studien haben gezeigt, dass eine intravitreale Hemmung von VEGF-A den pathophysiologischen Prozess der AMD effizient blockieren, die retinale Morphologie wiederherstellen und bei den meisten nAMD-Patienten das Sehvermögen verbessern oder erhalten kann.
Hochaffine Bindung – die Wirkstoffe im Vergleich
Derzeit sind mit Aflibercept und Ranibizumab zwei Wirkstoffe zur intravitrealen Anti-VEGF-Therapie zugelassen, wohingegen Bevacizumab off Label angewendet wird. Grundsätzlich weisen alle drei Wirkstoffe das gleiche Wirkprinzip auf: Sie binden VEGF-A und supprimieren so die Wirkung des Wachstumsfaktors. Dennoch gibt es Unterschiede zwischen den Wirkstoffen: So bindet Aflibercept als einziger Wirkstoff VEGF-A und den Plazentawachstumsfaktor (PlGF) mit höherer Affinität als deren natürliche Rezeptoren. Zudem weist es als einziger Wirkstoff neben der Bindestelle für VEGF-A zusätzlich auch eine Bindestelle für den PlGF auf, der bei pathologischen angiogenen Prozessen, wie etwa retinalen Gefäßerkrankungen, ebenfalls verstärkt exprimiert wird. Der daraus resultierende multimodale Wirkmechanismus führt dazu, dass Aflibercept die vaskuläre Durchlässigkeit pathologischer Gefäße bei nAMD minimieren und gleichzeitig auch den im Rahmen der Erkrankung ebenfalls auftretenden inflammatorischen Veränderungen entgegenwirken kann. Auch wenn die Studienlage nicht völlig einheitlich ist, so haben Papadopoulos et al. für Aflibercept doch eine deutlich höhere Bindungsaffinität zu VEGF-A im experimentellen Studienmodell gezeigt als für die beiden anderen Wirkstoffe. Zudem haben sie gezeigt, dass Aflibercept selbst bei niedrigen Wirkstoffkonzentrationen noch eine große Menge an VEGF-Molekülen abfangen kann.
Individuelle Suppressionszeiten – rationale für individuelle Therapie
Weiterhin scheinen Anti-VEGF-Wirkstoffe je nach Patient unterschiedliche und individuell verschiedene Suppressionszeiten zu entfalten. So ergab eine Analyse von 27 Vorderkammerproben, die direkt vor einer erneuten Injektion bei nAMD-Patienten entnommen wurden, dass Aflibercept die wässrigen VEGF-A-Konzentrationen mit einer mittleren Dauer von 71 ± 18 Tagen bis unter das untere Detektionslimit (<4 pg/ml) supprimiert, wobei sich individuell deutliche Unterschiede zeigten. In einer vergleichenden, prospektiven Untersuchung mit sieben Augen bei Patienten mit persistierender choroidaler Neovaskularisation wurde eine mittlere Suppressionsdauer von etwa zehn Wochen für Aflibercept gemessen und im Vergleich dazu für Ranibizumab eine mittlere Suppressionsdauer von 34 ± 5 Tagen mit ebenfalls individuellen Unterschieden. Vergleichbare Ergebnisse wurden für Ranibizumab auch in einer weiteren Untersuchung mit über 800 Kammerwasserproben von 83 Augen ermittelt. Allerdings muss im Zusammenhang mit diesen Untersuchungen festgehalten werden, dass es trotz anhaltender VEGF-Suppression in der Vorderkammer dennoch zu morphologischen Rezidiven in der Netzhaut kommen kann. Die individuelle Erkrankungsaktivität kann sich also trotz stabiler Suppression ändern. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass VEGF nicht der einzige Faktor für eine Erkrankungsaktivität bei nAMD ist, sondern gewissermaßen als „Benzin” die Erkrankung zwar aufrechterhält, wohingegen der „Anlasser”, der für ein Wiederaufflammen der Erkrankungsaktivität sorgt, bislang noch nicht bekannt ist. Doch auch wenn die in experimentellen Untersuchungen erfassten, unterschiedlichen Suppressionszeiten daher explizit nicht mit einer klinischen Wirkdauer der Substanzen im Auge gleichzusetzen sind, kann dennoch festgehalten werden, dass individuelle Suppressionszeiten den Ansatz eines Therapiekonzeptes mit individualisierten Intervallen unterstützen.
Individualisiertes, proaktives Therapiekonzept: Treat and Extend (T&E)
Eine derartige Möglichkeit zur individualisierten Behandlung mit verlängerten Therapieintervallen bietet das proaktive T&E-Therapiekonzept. Dabei erhält der Patient bei jedem Besuch eine Injektion. Gleichzeitig wird basierend auf funktionellen sowie morphologischen OCT-Befunden entschieden, ob der Abstand zwischen zwei IVOM schrittweise verlängert oder – bei einem Rezidiv – wieder verkürzt werden sollte. So wird ein individuell auf den Patienten zugeschnittenes Therapieintervall ermittelt. Der wesentliche Vorteil dieses Konzeptes liegt in der proaktiven Vorgehensweise, die darauf abzielt, bei einem trockenen Makulabefund zu injizieren und diesen langfristig zu erhalten. Auch die Vision Academy, ein internationales Expertenkomitee, ist von der Leistungsfähigkeit des T&E-Konzeptes überzeugt und nennt als fundamentale Grundpfeiler eines idealen Therapieplanes bei nAMD: individuell auf den Patienten abgestimmte Therapieintervalle, eine OCT-basierte Entscheidung, wann (nicht ob) als Nächstes behandelt werden sollte, sowie Behandlungen bei je-dem Kontrollbesuch, um so möglichst eine Visusmaximierung und einen langfristigen Visuserhalt für alle nAMD-Patienten zu erreichen.
Evidenz der individuellen nAMD-Therapie mittels T&E
Die Wirksamkeit von zwei verschiedenen T&E-Behandlungskonzepten mit Aflibercept bei nAMD belegen die Ergebnisse der prospektiven, groß angelegten ALTAIR-Studie mit 247 Patienten. In dieser multizentrischen, randomisierten, offenen Studie wurden therapienaive Patienten nach einer Aufsättigungsphase mit drei aufeinanderfolgenden monatlichen Injektionen in zwei Behandlungsgruppen randomisiert, in denen die Behandlungsintervalle um jeweils zwei oder vier Wochen angepasst werden konnten. Bei einem trockenen Befund konnte das Intervall verlängert, im Fall eines Rezidivs verkürzt werden. Ausschlaggebend für die Entscheidung zur Intervallanpassung waren visuelle und/oder anatomische, durch ein Protokoll definierte Kriterien, wobei das Intervall zwischen zwei intravitrealen Aflibercept-Injektionen nicht kürzer als acht und nicht länger als 16 Wochen sein durfte.
Visusgewinne und deren Erhalt bis zu zwei Jahren
Nach einem Jahr hatten die Patienten beider Gruppen im Mittel signifikante und mit den Ergebnissen der Zulassungsstudien vergleichbare Visusgewinne erzielt. Im zweiten Jahr der Studie konnte die Wirksamkeit im Allgemeinen bis einschließlich der letzten Bewertung weitestgehend aufrechterhalten werden. Eine vierwöchige Intervallanpassung war der zweiwöchigen nicht unterlegen: So gewannen Patienten mit zweiwöchiger Anpassung nach zwei Jahren im Mittel 7,6 Buchstaben, bei vierwöchiger Anpassung waren es 6,1 Buchstaben. Ganz wesentlich bei der Beurteilung der klinischen Relevanz dieser Ergebnisse ist, dass Patienten subjektiv bereits einen Gewinn von etwa sechs Buchstaben als eine deutliche Verbesserung ihres Sehvermögens wahrnehmen. Letztlich bedeutet dies, dass nAMD-Patienten unter dem individualisierten T&E-Behandlungskonzept mit Aflibercept subjektiv wahrnehmbare und somit klinisch relevante Verbesserungen ihres Sehvermögens erreichen können. Etwa ein Drittel der Patienten erreicht sogar noch bessere Visusergebnisse und erzielt sowohl nach einem als auch nach zwei Jahren Visusgewinne von 15 Buchstaben und mehr. Auch morphologische Parameter haben sich entsprechend positiv entwickelt: Innerhalb der ersten acht Wochen war eine signifikante Abnahme der zentralen Netzhautdicke festzustellen, die bis zu zwei Jahre erhalten blieb.
Verlängerte Behandlungsintervalle – reduzierte Therapielast
Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse beider Gruppen, dass bereits zum Ende des ersten Beobachtungsjahres mit Aflibercept nach einem T&E-Konzept die Intervalle zwischen zwei intravitrealen Injektionen bei fast 60 % der Patienten auf drei Monate und mehr ausgedehnt werden konnten. Dies setzt sich im zweiten Behandlungsjahr fort: So betrug auch zu Woche 96 das letzte Behandlungsintervall bei bis zu 60 % der Patienten drei Monate und länger. Bei genauerer Analyse zeigt sich zudem, dass für die meisten dieser Patienten tatsächlich erst nach vier Monaten die nächste Injektion geplant war. Diese verlängerten Therapieintervalle resultieren – insbesondere im zweiten Behandlungsjahr – in deutlich reduzierten Injektionszahlen: So lag die durchschnittliche Injektionszahl im zweijährigen Verlauf der Studie bei insgesamt 10,4 Injektionen, womit im zweiten Jahr in der Gruppe mit zweiwöchiger bzw. vierwöchiger Anpassung im Schnitt gerade einmal 3,6 bzw. 3,7 Injektionen verabreicht werden mussten. Für den einzelnen Patienten kann dies eine erhebliche Verringerung der Therapielast bedeuten.
Proaktives T&E mit Aflibercept nun bereits im ersten Behandlungsjahr zugelassen
Diese Ergebnisse haben eine neue Dosierungsempfehlung für Aflibercept ermöglicht. Nun ist es mit Aflibercept möglich, schon im ersten Jahr nach erfolgter Aufsättigungsphase – d. h. initial drei aufeinanderfolgende monatliche Injektionen, gefolgt von einer Verlängerung des Behandlungsintervalls auf zwei Monate – auf das T&E-Konzept umzustellen. Bei stabilem funktionellen und/oder morphologischen Befund können die Behandlungsintervalle, anschließend um zwei oder vier Wochen verlängert werden, wobei bislang keine Daten vorliegen für Intervalle die über vier Monate hinausgehen. So kann mit dem T&E-Behandlungskonzept die Zahl der Praxisbesuche deutlich reduziert und gleichzeitig für eine angemessene Anzahl von Injektionen gesorgt werden. Beides kann dazu beitragen, die Krankheit für Patient und Arzt besser beherrschbar zu machen.
Wie lässt sich das T&E-Behandlungskonzept im Praxisalltag erfolgreich umsetzen?
Entscheidend für gute Therapieerfolge im Praxisalltag ist, eine gute Adhärenz der Patienten sicherzustellen. Wesentliche Faktoren, die dazu beitragen, das Vertrauen der Patienten in die Therapie und ihre Adhärenz zu verbessern, sind eine sorgfältige Patientenaufklärung, effiziente Praxisabläufe, eine geringe Behandlungslast, ein realistisches Erwartungsmanagement und vor allem gute Visusergebnisse. Weiterhin sollten sowohl Patienten als auch Angehörigen die Möglichkeiten moderner Therapien aufgezeigt und die Bedeutung einer guten Kooperation verdeutlicht werden: Während die Erkrankung früher aufgrund fehlender Behandlungsmöglichkeiten häufig bis zur Erblindung führte, stehen heute effektive Anti-VEGF-Therapien zur Verfügung. Diese können individuell auf den Patienten angepasst werden und bieten gute Chancen auf Visuserhalt und -verbesserung – sofern sie tatsächlich konsequent umgesetzt werden. Wichtig in diesem Zusammenhang ist sowohl Patienten als auch Angehörigen zu vermitteln, dass der Erfolg der Therapie ganz entscheidend von ihrer Kooperation abhängt. Auch die Stärken des proaktiven T&E-Konzeptes können bei der Besprechung moderner Therapieoptionen verdeutlicht werden. Dabei kann das Bild eines Kartenhausspieles hilfreich sein, um die Vorteile eines proaktiven Therapiekonzeptes gegenüber einer reaktiven Strategie zu veranschaulichen. Bei reaktiven Therapiekonzepten erfolgt eine erneute Behandlung erst dann, wenn das Kartenhaus gewissermaßen zusammengebrochen ist, sodass wieder mit einem Neuaufbau begonnen werden muss. Im Gegensatz dazu soll bei einer proaktiven Therapie das Kartenhaus mit allen Mitteln stabil gehalten werden. Sie zielt daher darauf ab, möglichst dauerhaft eine trockene Makula zu erhalten und ein Wiederaufflammen der Erkrankungsaktivität zu unterbinden. Zudem sorgt die Festlegung des nächsten Behandlungsintervalls im Voraus für mehr Planungssicherheit, reduziert so den Aufwand für Patienten und Angehörige erheblich – insbesondere bei verlängerten Intervallen – und bietet gleichzeitig die Chance auf Visusverbesserung. Dabei ist ein realistisches Erwartungsmanagement wesentlich für langfristiges Vertrauen in die Therapie. Konkrete Injektionszahlen sollten daher möglichst nicht genannt werden, um im Fall höherer Injektionszahlen unnötige Enttäuschungen und einen Vertrauensverlust in die Therapie zu vermeiden. Vielmehr empfiehlt es sich, dem Patienten zu verdeutlichen, dass die Therapie individuell auf seine Bedürfnisse abgestimmt und er solange behandelt wird, wie es in seinem Fall erforderlich ist – unter Umständen auch längerfristig.
Auch der Arzt und sein Team müssen umdenken
Auch von Seiten des Arztes erfordert die Umstellung auf das T&E-Konzept ein Umdenken: Das traditionelle Denkmuster, ein trockener Makulabefund sei Zeichen einer gesunden Netzhaut, muss überwunden werden. Denn eine konsequente Umsetzung des proaktiven T&E-Konzeptes erfordert Injektionsgaben bei trockenem Makulabefund. Ebenso sollte das gesamte Praxisteam umfassend weitergebildet werden und das T&E-Konzept vollständig verstanden haben, um auf Nachfragen der Patienten angemessen und korrekt antworten zu können. Weiterhin sollten auch Praxismanagement und Praxisabläufe so umgestaltet bzw. angepasst werden, dass eine effiziente Umsetzung des T&E-Konzeptes im Praxisalltag möglich ist.
Praxisabläufe effizient gestalten
Aufgrund der guten Planbarkeit von Behandlungsterminen ermöglicht das T&E-Konzept die Implementierung effizienter Praxisabläufe. Dies gilt vor allem dann, wenn eine sogenannte „Ein-Stopp-Strategie” verfolgt wird, bei der OCT-Kontrolle und Behandlung in einer Hand liegen. Aber auch ein „Zwei-Stopp-System”, bei dem OCT-Kontrollen und Injektionen zu unterschiedlichen Zeitpunkten in unterschiedlichen Zentren durchgeführt werden, kann erfolgreich umgesetzt werden, wenn der Zeitraum zwischen Befundung und Injektion minimiert wird. In diesem Fall kommt einer qualitativ hochwertigen OCT-Aufnahme vom zuweisenden Augenarzt eine besondere Rolle zu, und die Implementierung einer geeigneten Infrastruktur kann förderlich sein, um diese Daten mit dem Kollegen unmittelbar teilen zu können. Während in Kliniken perioperative Untersuchungen, die Befundung und Injektion meist von verschiedenen Ärzten übernommen werden können, liegt dies im niedergelassenen Bereich meist in einer Hand. Für eine reibungslose Durchführung empfiehlt es sich, möglichst viele Abläufe zu standardisieren. Auch die Einführung eines oder zweier spezieller „IVOM-Tage” kann zu effizienteren Praxisabläufen bei der Umsetzung des T&E-Konzeptes beitragen.
OCT-Befundung und Patientenführung
Im Praxisalltag erfolgt die Festlegung des nächsten Therapieintervalls in erster Linie basierend auf morphologischen Kriterien. Um dies effizient zu gestalten, sollte die OCT-Untersuchung standardisiert durch geschultes Personal durchgeführt werden. Die Auswertung sollte die Gesamtheit der OCT-Scans inkludieren (nicht nur ein Schnittbild!) und von geschulten und erfahrenen Ärzten durchgeführt werden. Hierdurch lassen sich Fehlinterpretationen mit konsekutiven Diskrepanzen in der Befundung und in der Therapieentscheidung vermeiden. Zudem empfiehlt es sich, die OCT-Aufnahmen bereits vor dem Injektionstermin auszuwerten und das nächste Therapieintervall entsprechend festzulegen. Denn sofern kein Vorgespräch stattfindet, fragen Patienten, die das T&E-Konzept vollständig verinnerlicht haben, in der Regel während der Injektion nach dem Ergebnis ihres OCT-Befundes und dem nächsten geplanten Therapieintervall. Darauf sollte man vorbereitet sein. Gleichzeitig können diese Gelegenheiten auch genutzt werden, um erneut die Vorteile des T&E-Konzeptes zu veranschaulichen und auf die langfristige Bedeutung der Mitarbeit des Patienten hinzuweisen. So kann Patienten mit stabilen Befunden erläutert werden, dass dank ihrer guten Kooperation und der effektiven Therapie eine Stabilisierung erreicht werden konnte, die aufgrund des individualisierten Behandlungskonzeptes nun eine Verlängerung der Therapieintervalle und somit Therapieentlastung ermöglicht. Aber auch im Fall eines Rezidivs kann – und sollte – dem Patienten der Vorteil einer individualisierten Therapie vermittelt werden: Es kann betont werden, dass mit dem T&E-Konzept einer erneuten Erkrankungsaktivität mit verkürzten Therapieintervallen begegnet werden kann, um so die wiederaufgeflammte Aktivität möglichst rasch wieder in den Griff zu bekommen. Diese Vorgehensweise kann dazu beitragen, dass der Patient das Vertrauen in die Therapie nicht verliert und kann so wiederum eine bessere Adhärenz fördern.
Intervallanpassung und effiziente Terminplanung
Weiterhin empfiehlt es sich, den nächsten Injektionstermin bereits am Tag der Injektion zu vereinbaren. Dies kann zu einer besseren Planbarkeit für den Patienten und seine Angehörigen und so auch zu einer besseren Therapieadhärenz beitragen. Das geplante Intervall sollte mit dem Patienten besprochen und möglichst sofort in ein digitales Praxismanagementsystem eingegeben werden, sodass auch das Praxispersonal bei der Terminvergabe sofort weiß, welches Intervall zu wählen ist. Sofern dem Personal ohne weitere Rückfragen gestattet ist, den nächsten Termin – falls erforderlich – auch um eine Woche anzupassen (z. B. bei Urlaub des Patienten), trägt dies zu deutlich effizienteren Praxisabläufen bei. Unterstützt wird diese Vorgehensweise durch Ergebnisse wie die der ALTAIR-Studie, die zeigen, dass Patienten unter Aflibercept sowohl mit vierwöchiger als auch mit zweiwöchiger Anpassung vergleichbare Ergebnisse erzielen. In der Regel wird im Praxisalltag eine zweiwöchige Intervallanpassung bevorzugt, auch weil dann bei Krankheit oder Ferien, wenn der Patient dieses Intervall nicht halten kann, der nächste Behandlungstermin meist problemlos um ein bis zwei Wochen verschoben werden kann. Sofern verfügbar und mit dem Patienten vereinbart, kann auch ein Wiedereinbestell-System (Recall-System) in der Praxissoftware aktiviert werden. Dies kann erheblich zu einer zuverlässigen Einhaltung der Behandlungstermine beitragen.
Wann sollte eine Funduskopie durchgeführt werden?
Wie beschrieben basiert im Praxisalltag die Planung des nächsten Therapieintervalls in der weitaus überwiegenden Zahl der Patienten meist auf dem OCT-Befund. Eine standardmäßige Funduskopie bei jeder Kontrolle ist im Praxisalltag sehr aufwendig und in der Regel nur schwer umsetzbar. Gestützt wird diese vorwiegend OCT-gestützte Therapieplanung durch Ergebnisse der CATT-Studie. Diese hat gezeigt, dass 98 % der Wiederbehandlungen aufgrund von Flüssigkeitsansammlungen in der Netzhaut veranlasst wurden, die im OCT sichtbar waren. Nur in 1,8 % der Fälle war eine Wiederbehandlung aufgrund einer im Fundusbefund sichtbaren Blutung vorgenommen worden. Gleichwohl müssen auch diese Fälle im Praxisalltag zuverlässig erkannt werden. Eine mögliche praxis- und bedarfsorientierte Vorgehensweise kann es sein, den Patienten während der Injektion nach seiner subjektiven Wahrnehmung seines Sehvermögens zu befragen – ohnehin ein wichtiger Parameter, der erfasst werden sollte, denn schließlich ist es das wesentliche Ziel der Anti-VEGF-Therapie, das Sehvermögen des Patienten zu erhalten oder zu verbessern. Hat der Patient eine Verschlechterung seines Sehvermögens festgestellt, so lässt sich eine Funduskopie unkompliziert durchführen, da sich der Patient für die Injektion ohnehin in Mydriasis befindet. Sie sollte in diesem Fall auch unbedingt erfolgen, um zuverlässig mögliche Blutungen zu identifizieren, die wiederum die Planung des nächsten Therapieintervalls erheblich beeinflussen können. Optional kann eine Funduskopie – standardisiert oder bedarfsorientiert – perioperativ nach erfolgter IVOM erfolgen (indirekte Funduskopie). Es sei angemerkt, dass die OCT-Bildgebung aufgrund der Wellenlänge für die Identifikation einer Blutung nicht geeignet ist, sodass bei Verdacht eine Funduskopie unverzichtbar ist. Auch eine solche – im OCT oft unsichtbare Blutung – fordert als Aktivitätskriterium eine Anpassung des Therapieintervalls im Sinne einer Reduktion des IVOM-Abstandes. Hier liegt es in Ermessen des Arztes zu entscheiden, wie stark das Intervall wieder verkürzt wird.
Wie wichtig ist der Visus?
Auch wenn im Praxisalltag mit einer vorwiegend auf morphologischen Kriterien beruhenden Therapieplanung gute Ergebnisse erzielt werden, so ist der Visus selbstverständlich dennoch ein äußerst wichtiger Parameter, der keinesfalls außen vorgelassen werden sollte. Schließlich sind der Visusgewinn und Visuserhalt für Patienten die entscheidenden Aspekte in der Therapie. Zwar ermöglicht eine präzise Refraktionierung eine exakte Erfassung von Visusveränderungen und ist im Rahmen von klinischen Studien sinnvoll und gefordert. Allerdings ist dies bei nAMD-Patienten meist sehr zeitintensiv in der Umsetzung, generiert aber im Praxisalltag nur selten einen entsprechenden Mehrwert wie etwa eine Änderung des Therapieplanes. Eine praxisorientierte Vorgehensweise kann sein, bei jedem Besuch den Visus mit einem Autorefraktometer zu erfassen. Dabei ist unbedingt zu berücksichtigen, dass die erfassten Werte keine zuverlässige Aussage über den Visus zulassen, aber erste Hinweise auf Visusverschlechterungen liefern können. Wesentlich ist auf eine standardisierte, immer gleiche Vorgehensweise (gleiches Gerät, gegebenenfalls gleiche Brille) zu achten. So können zumindest Veränderungen des Sehvermögens rasch erfasst werden, um bei Verschlechterungen eine genauere Ursachensuche und weiterführende Diagnostik (Funduskopie, Fluoreszenzangiografie, gegebenenfalls OCT-Angiografie) einzuleiten. Zudem kann es auch sinnvoll sein, subjektive Veränderungen des Patienten zu erfragen, um keine Verschlechterung zu übersehen. Ganz wesentlich wird der Visus bei der Entscheidung zum Therapieabbruch: Hier sollte der bestkorrigierte Visus äußerst präzise erhoben werden, um zu entscheiden, ob gemäß der Stellungnahme der DOG, der Retinologischen Gesellschaft und des BVA ein Visuspotenzial von 0,05 Dezimal noch gegeben ist. Messungen mit dem Autorefraktometer sind bei dieser Fragestellung nicht ausreichend präzise.
Exit-Strategie
Auch das Therapieende sollte – wie schon die gesamte Therapie – bei T&E ebenfalls möglichst individualisiert durchgeführt und genau mit dem Patienten besprochen werden. Einheitliche und verbindliche Empfehlungen zur Exit-Strategie wurden bislang noch nicht verabschiedet. Eine Möglichkeit sieht in Anlehnung an die ALTAIR-Studie vor, die Injektionsintervalle von zwölf Wochen über 14 Wochen immer weiter bis auf 16-wöchige Injektionsintervalle auszudehnen, aber auch andere Vorgehensweisen sind denkbar. Wichtig ist, immer im Blick zu haben, dass auch bei Patienten, die mit stabilen Befunden aus der Therapie entlassen wurden, die zugrunde liegende chronische Erkrankung noch besteht. Daher sollte auch nach dem Therapieende ein adäquates und engmaschiges Monitoring sichergestellt werden, um gegebenenfalls eine Therapie rechtzeitig wiederaufnehmen zu können.
Fazit
- Anti-VEGF-Therapien ermöglichen eine erfolgreiche nAMD-Behandlung und sorgen bei den meisten Patienten für eine Visusstabilisierung oder Verbesserung.
- Aflibercept weist einen multimodalen Wirkmechanismus, eine hohe Bindungsaffinität und lange intraokulare VEGF-Suppressionszeiten auf.
- Aktuelle Daten aus klinischen Studien zeigen, dass eine proaktive T&E-Dosierung mit Aflibercept beginnend im ersten Jahr in der klinischen Praxis mit hohen Visusgewinnen assoziiert ist, die in der Folge mit geringerer Behandlungslast erhalten werden können.
- Entscheidend für eine erfolgreiche Umsetzung dieses Therapiekonzeptes sind eine konsequente Aufklärung der Patienten und ihrer Angehörigen, eine realistisches Erwartungsmanagement sowie effiziente Praxisabläufe und Terminplanung.
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