Update Vaskuläre Protektion – Neue Leitlinien zum chronischen Koronarsyndrom und der pAVK

Die Arteriosklerose ist eine chronische obstruierende Gefäßentzündung, die häufig progredient verläuft, mit immer wiederkehrenden kardiovaskulären Ereignissen. Die Erkrankung muss daher konsequent behandelt werden, auch medikamentös. Vor dem Hintergrund gewinnt die vaskuläre Protektion zunehmend an Bedeutung. Das zeigen auch die Empfehlungen zur antithrombotischen Therapie beim chronischen Koronarsyndrom in der neuen Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC). Erstmals soll bei Patienten mit hohem Risiko für ischämische Ereignisse und ohne hohes Blutungsrisiko die Hinzunahme eines zweiten Antithrombotikums zu Acetylsalicylsäure (ASS) erwogen werden.

Ähnliche Empfehlungen für pAVK-Risikopatienten finden sich in der globalen Leitlinie zum Management der chronischen extremitätengefährdenden Ischämie mehrerer Vereinigungen für Gefäßmedizin weltweit ebenso wie in der Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Gefäßmedizin, die sich für eine bestmögliche antithrombotische Therapie mit Berücksichtigung der dualen Plättchenhemmung sowie der Kombination von Acetylsalicylsäure und dem Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban aussprechen.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709121008440013
Zeitraum 13.01.2021 - 12.01.2022
Zertifiziert in D, AT
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte Fortbildung abgelaufen
Zielgruppe Ärzte
Referent Univ.-Prof. Dr. E. Sebastian Debus, FEBVS, FEBS
Prof Dr. med. Ingo Ahrens
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Animierter Vortrag (Webcast)
Lernmaterial Vortrag (31:57 Min.), Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Bayer Vital GmbH
Bewertung 4.3 (1049)

Einleitung

Herz- und Gefäßkrankheiten zählen zu den häufigsten Erkrankungen in den Industrienationen. Neben der koronaren Herzerkrankung (KHK) ist auch die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) weitverbreitet und mit einem hohen Komplikationsrisiko für den jeweiligen Patienten behaftet. Ursache der KHK wie auch der pAVK sind atherosklerotische Gefäßveränderungen. Sie fördern thrombogene Prozesse und können einen akuten Gefäßverschluss – und damit z. B. einen Myokardinfarkt oder eine extremitätenbedrohende Ischämie – zur Folge haben. Das unterstreicht die Bedeutung der antithrombotischen Therapie im Bereich der vaskulären Prävention. In den aktuellen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (European Society of Cardiology, ESC) zum chronischen Koronarsyndrom sowie der Europäischen Gesellschaft für Gefäßmedizin (European Society for Vascular Medicine, ESVM) und der Europäischen Gesellschaft für Gefäßchirurgie (European Society for Vascular Surgery, ESVS) zur extremitätenbedrohenden Ischämie wurde daher die Empfehlung aufgenommen, dass in der Dauertherapie ein zweites Antithrombotikum in Kombination mit niedrig dosiertem Aspirin für Patienten mit hohem Risiko für ischämische Ereignisse, aber ohne hohes Blutungsrisiko bei bestimmten Konstellationen erwogen werden soll.

Chronisches Koronarsyndrom (CCS)

Im Jahr 2018 hat die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) erstmals den neuen Begriff „Chronic Coronary Syndrome“ (CCS; „chronisches Koronarsyndrom“) für die sogenannte „stabile“ koronare Herzkrankheit (KHK; Stable Coronary Artery Disease, CAD) eingeführt, um dem aktuellen Verständnis in Bezug auf Pathogenese, Verlauf und Management der Erkrankung Rechnung zu tragen. Die klinische Erfahrung zeigt, dass die KHK häufig nicht stabil ist. Sie ist vielmehr gekennzeichnet durch einen „dynamischen atherosklerotischen Prozess“ mit veränderter arterieller Funktion, der durch Lebensstil, Medikamente und Revaskularisierungen beeinflusst werden kann, was zur Stabilisierung der Erkrankung führt [1]. Risikofaktoren wie eine Mehrgefäß-KHK, ein Diabetes mellitus, ein Rezidiv-Myokardinfarkt, eine pAVK oder eine eingeschränkte Nierenfunktion führen zu einer deutlichen Erhöhung des CV-Risikos. Auch wenn das chronische Koronarsyndrom stabile Krankheitsphasen aufweist, kann es jederzeit in einen akuten/instabilen Zustand übergehen.

Behandlungsziele beim chronischen Koronarsyndrom

Ziel bei der Behandlung des chronischen Koronarsyndroms ist neben der Symptomlinderung, der Steigerung der Belastbarkeit und der Lebensqualität des Patienten insbesondere ein ereignisfreies Überleben sowie eine Progressionshemmung. Das Risiko für das Auftreten kardiovaskulärer Komplikationen steht im direkten Zusammenhang mit patientenindividuellen Komorbiditäten. Denn Begleiterkrankungen wirken sich bei Patienten mit chronischem Koronarsyndrom oftmals besonders gravierend aus: So haben Betroffene mit einer KHK und gleichzeitigem Vorliegen eines Diabetes mellitus ein deutlich erhöhtes atherothrombotisches Risiko. Die Daten des REACH-Registers zeigen dabei eindrucksvoll, dass bei Patienten mit kardiovaskulärer Erkrankung plus Diabetes zugleich ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie einen Myokardinfarkt sowie einen Schlaganfall, ein gesteigertes kardiovaskuläres Mortalitätsrisiko und auch eine erhöhte Gesamtmortalität vorliegen [2]. Das unterstreicht die Bedeutung der vaskulären Protektion bei Patienten mit CCS und Begleiterkrankungen. Wesentliche Behandlungsziele sind dabei die Hemmung des Überganges von einem chronischen in ein akutes Koronarsyndrom und ein möglichst effektiver Schutz vor thrombogenen Prozessen.

Therapieempfehlungen der neuen ESC-Leitlinie zum chronischen Koronarsyndrom

Die neue ESC-Leitlinie zum chronischen Koronarsyndrom macht vor diesem Hintergrund explizite Empfehlungen zur antithrombotischen Therapie beim CCS. Bei Patienten mit hohem Risiko für ein ischämisches Ereignis, jedoch ohne hohes Blutungsrisiko, spricht sich die Leitlinie bei der langfristigen Sekundärprävention für die Hinzunahme eines zweiten antithrombotisch wirksamen Medikamentes zusätzlich zu Acetylsalicylsäure (ASS) aus (Empfehlungsstärke IIa, Evidenzgrad A) [1]. Nach Leitliniendefinition liegt ein hohes Risiko vor bei Patienten mit diffuser Mehrgefäß-KHK und dem zusätzlichen Vorliegen einer der folgenden Faktoren: ein Diabetes mellitus, ein Rezidiv-Myokardinfarkt, einer pAVK oder einer Niereninsuffizienz [1]. Dabei ist zu beachten, dass entsprechend der vorliegenden Register- und Studiendaten vor allem Patienten mit mehreren Risikofaktoren ein besonders hohes Risiko für das Auftreten einer schweren kardialen Komplikation (MACE, Major Adverse Cardiac Event) haben. Patienten mit mehr als vier Risikofaktoren weisen ein sehr hohes Mortalitätsrisiko auf und dürften somit von einer vaskulären Protektion am stärksten profitieren.

Antithrombotische Medikation in Kombination mit ASS

Bei der antithrombotischen Therapie zusätzlich zu ASS öffnet sich in den ESC-Leitlinien ein weites Feld an Möglichkeiten: Die Leitlinien stellen zur Auswahl die Thrombozytenfunktionshemmer Clopidogrel, Prasugrel und Ticagrelor im Sinne einer dualen Plättchenhemmung (DAPT, Dual Antiplatelet Therapy) sowie den Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban in der vaskulären Dosierung von zweimal täglich 2,5 mg. Allerdings gibt es für Clopidogrel und Prasugrel in Ermangelung ausreichender Daten keine Zulassung für diese Indikation. Lediglich für den Thrombozytenhemmer Ticagrelor besteht in niedriger Dosierung aufgrund der PEGASUS-Studie [4] eine entsprechende Zulassung. Rivaroxaban konnte in der COMPASS-Studie [6] eine eindeutige Evidenz für eine effektive Wirksamkeit und Sicherheit zeigen.

COMPASS-Studie zu Rivaroxaban

Inwieweit eine vaskuläre Protektion durch die Hinzunahme einer zweiten antithrombotisch wirksamen Substanz wie Rivaroxaban die Prognose der Patienten mit CCS und hohem kardiovaskulären Risiko bessert, belegen die Ergebnisse der COMPASS-Studie. In dieser Phase-III-Studie wurden 27.395 Patienten mit einer chronischen KHK und/oder pAVK untersucht. Primärer Wirksamkeitsendpunkt war die Kombination aus Schlaganfall, kardiovaskulärem Tod und Myokardinfarkt. Der primäre Sicherheitsendpunkt war eine Modifikation der ISTH schweren Blutungen. Nach einem Follow-up von 23 Monaten wurde die Studie aufgrund der überzeugenden Wirksamkeit von Rivaroxaban 2,5 mg zweimal täglich in Kombination mit ASS 100 mg einmal täglich vorzeitig beendet. Bei 91 % der eingeschlossenen Patienten lag eine KHK vor, 62 % hatten bereits einen Myokardinfarkt erlitten und 27 % eine pAVK. Bei insgesamt 75 % der Patienten war eine Hypertonie manifest, bei 37 % ein Diabetes, bei 22 % eine Herzinsuffizienz und bei 23 % eine Einschränkung der Nierenfunktion. Ausgeschlossen waren u. a. Patienten, die bereits mit einem Antikoagulans behandelt wurden, z. B. wegen Vorhofflimmern (VHF). Das Ergebnis: Unter Rivaroxaban plus ASS traten signifikant seltener schwerwiegende kardiovaskuläre Komplikationen (MACE) auf als unter der ASS-Monotherapie. Die relative Risikoreduktion betrug 24 % (absolut 4,1 % versus 5,4 %, p < 0,001). Außerdem wurde die Häufigkeit von Schlaganfällen statistisch eindeutig um 42 % und die Rate kardiovaskulärer Todesfälle ebenfalls signifikant um 22 % vermindert. Die Rate an Herzinfarkten war numerisch um 14 % geringer. Schwere Blutungen traten unter Rivaroxaban plus ASS zwar signifikant häufiger auf als unter einer ASS-Monotherapie, waren aber insgesamt selten. Es kam insbesondere nicht zu signifikant vermehrten intrakraniellen Blutungen oder tödlichen Blutungen oder symptomatischen Blutungen in ein kritisches Organ [6]. Von hoher Relevanz waren insbesondere die Ergebnisse zur Gesamtsterblichkeit: diese wurde in einer Subgruppenanalyse der KHK Patienten von 4,1 % auf 3,2 % und somit um 23 % reduziert [7]. Die COMPASS-Studie hat damit erstmals die Reduktion der Gesamtsterblichkeit mittels eines Antithrombotikums bei Patienten mit chronischem Koronarsyndrom analog zur stabilen KHK gezeigt. Abbildung 3: Reduktion der Gesamtsterblichkeit bei Patienten mit chronischer KHK durch ASS-Monotherapie im Vergleich zur Kombination aus ASS plus Rivaroxaban; mod. nach [7] Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko profitieren absolut betrachtet stärker von einer zusätzlichen Gabe von Rivaroxaban in vaskulärer Dosierung zu ASS – jedoch ohne ein erhöhtes Risiko von schweren Blutungen gegenüber dem Gesamtkollektiv. Das heißt, der klinische Nettonutzen für diese besonders schutzbedürftigen Patienten, wie z. B. KHK-Patienten mit Diabetes oder einer zusätzlichen pAVK, ist größer. Fasst man COMPASS-Patienten, die ein Hochrisikomerkmal (nach REACH) tragen, zusammen, können durch die vaskuläre Dosierung plus ASS 36 schwere kardiovaskuläre- und Extremitätenereignisse auf 1000 Patienten verhindert werden. Dies entspricht einer NNT von 27, während nur drei zusätzliche schwerste Blutungsereignisse erwartet werden können, was einer NNH von 365 entspricht [5].

Fallbericht zum chronischen Koronarsyndrom

Die Praxisrelevanz der neuen ESC-Empfehlungen verdeutlicht die Kasuistik eines 67-jährigen Patienten, der sich Anfang 2017 mit charakteristischer Angina Pectoris-Symptomatik in der Notfallaufnahme vorstellte. Im EKG waren keine Zeichen einer akuten Ischämie erkennbar, laborchemisch wurde jedoch ein Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) dokumentiert. Es bestand eine Hypercholesterinämie mit einem Cholesterinwert von 183 mg/dl. In der Koronarangiografie zeigte sich das Bild einer hochgradigen Stenose der linken Herzkranzarterie im Bereich einer Bifurkationsstelle sowie eine Stenose im Ramus circumflexus und eine mittelgradige Stenose auf der rechtskoronaren Seite (Abb. 5). Dies führte zur Diagnose einer koronaren Dreigefäßerkrankung mit einem von der linken Herzkranzarterie ausgehenden NSTEMI. Der Patient wurde im Bifurkationsbereich mit einem Stent versorgt und konnte wenige Tage später die Klinik beschwerdefrei verlassen. Eine gezielte Behandlung der Stenose im Bereich der Seitenwandschlagader wurde zunächst nicht vorgenommen. Bei einer erneuten abklärenden Koronarangiografie erfolgt entsprechend den Leitlinienempfehlungen eine Druckdrahtmessung der Stenose. Die Messung ergab einen IFR von 0,99 maximal; eine hämodynamisch relevante Stenose lag augenscheinlich nicht vor. Daher wurde die konservative Behandlung mit ASS 100 mg plus Prasugrel 10 mg/Tag für zwölf Monate fortgeführt. Ferner wurde eine Behandlung mit Atorvastatin 80 mg plus 10 mg/Tag Ezetimib veranlasst, was zu einer guten Kontrolle des LDL-Cholesterins von 54 mg/dl führte und somit den neuen ESC-Leitlinien entspricht. Eineinhalb Jahre später wurde im Rahmen einer Nachuntersuchung ein Diabetes mellitus festgestellt und eine Behandlung mit Metformin (500 mg, 1-0-1) eingeleitet. Der Patient erklärte, ab und an ein anhaltendes thorakales „Ziehen“ zur verspüren. Aufgrund der bekannten RPLS-Stenose wurde ein Stress-MRT angeordnet, wobei sich jedoch nur ein Segment als auffällig erwies. Da der Patient beschwerdefrei war, fiel die Entscheidung zu einer maximalkonservativen Therapie entsprechend den neuen ESC-Leitlinien für das chronische Koronarsyndrom. Denn der Diabetes mellitus ist ein bekannter Risikofaktor bei CCS-Patienten und steigert das Risiko für die Entwicklung eines koronarvaskulären Ereignisses. Zur antithrombotischen Therapie erhielt der Patient daher ASS 100 mg und zusätzlich den Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban in einer Dosierung von zweimal täglich 2,5 mg. Die lipidsenkende Therapie wurde ebenso wie die antidiabetische Behandlung beibehalten.

Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK)

Die ESC hat zusammen mit der European Association for the Study of Diabetes (EASD) Empfehlungen für die Behandlung von Patienten mit Diabetes, Prädiabetes und kardiovaskulären Erkrankungen formuliert [8]. Für Patienten mit Diabetes und zusätzlicher pAVK wird die zusätzliche Gabe der vaskulären Dosierung von Rivaroxaban empfohlen (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad A). PAVK-Patienten mit zusätzlichen Komorbiditäten wie einem begleitenden Diabetes mellitus, einem Myokardinfarkt oder Schlaganfall haben ein hohes Risiko für ein weiteres kardiovaskuläres Ereignis wie einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder eine akute Extremitätenischämie oder Amputation [9]. Es besteht außerdem eine hohe Wahrscheinlichkeit für wiederholte Klinikaufenthalte und Maßnahmen zur Revaskularisation. Patienten nach Revaskularisation haben ihrerseits auch unter der aktuell empfohlenen evidenzbasierten Therapie ein anhaltend hohes Risiko für das Auftreten akuter kardiovaskulärer (MACE) und peripherer Extremitätenereignisse (MALE, Major Adverse Limb Events) [10]. Auch das Vorliegen von Begleiterkrankungen steigert das Risiko von Amputationen und ist mit einer Übersterblichkeit assoziiert [11]. Das bekräftigt die Bedeutung einer intensiven Einstellung der Risikofaktoren einschließlich einer medikamentösen vaskulären Protektion. Die notwendigen Maßnahmen umfassen eine Modifikation des Lebensstils, die Nikotinentwöhnung, die Gewichtskontrolle, eine psychologische Unterstützung sowie die medizinische Behandlung mit Kontrolle der Lipidwerte, des Blutdruckes, eines eventuell manifesten Diabetes mellitus sowie eine adäquate antithrombotische Behandlung [12, 13, 14].

Erste globale Leitlinie zur chronischen extremitätenbedrohenden Ischämie (CLTI)

Speziell für die Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) wurden 2019 zwei neue Leitlinien veröffentlicht. So sprechen sich die globale Leitlinie zum Management der chronischen extremitätengefährdenden Ischämie (CLTI, Chronic Limb-Threatening Ischemia) mehrerer Vereinigungen für Gefäßmedizin weltweit sowie die Leitlinie zur PAVK der europäischen Gesellschaft für Gefäßmedizin (ESVM, European Society for Vascular Medicine) für eine effektive antithrombotische Behandlung mit ASS plus Rivaroxaban aus, wenn eine chronisch kritische, extremitätenbedrohende Ischämie vorliegt [15, 16]. Auch die neue Praxisleitlinie zur akuten Extremitätenischämie der europäischen Gesellschaft für Gefäßchirurgie (ESVS, European Society for Vascular Surgery) und die von der europäischen kardiologischen Gesellschaft ESC zusammen mit der europäischen Diabetesgesellschaft EASD verfasste Leitlinie für Patienten mit Diabetes und Arterisklerose heben in Bezug auf die antithrombotische Therapie den dualen Ansatz aus ASS plus Rivaroxaban hervor [17, 8]. Die Empfehlungen berufen sich auf die Ergebnisse der COMPASS-Studie. In die Studie wurden 7470 Patienten mit pAVK eingeschlossen. Sie wurden wie das Gesamtkollektiv mit 2,5 mg Rivaroxaban zweimal täglich plus 100 mg ASS einmal täglich behandelt. Die Behandlung mit der vaskulären Dosierung von Rivaroxaban plus ASS führte zu einer signifikanten Reduktion der Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall um 28 %. Zusätzlich wurde in einer Subgruppenanalyse bei pAVK-Patienten erstmalig gezeigt, dass durch eine zusätzliche antithrombotische Therapie auch extremitätenbezogene Ereignisse (MALE) wie akute und chronische Extremitätenischämie sowie Amputationen jeglicher Genese um absolut 1,6 % im Vergleich zur ASS-Monotherapie reduziert werden können [5]. Die zusätzliche Gabe des Gerinnungshemmers bedingte erwartungsgemäß einen Anstieg der Rate schwerer Blutungen im Vergleich mit einer ASS-Monotherapie; die Häufigkeit von tödlichen, intrazerebralen oder kritischen Organblutungen war jedoch in beiden Regimen vergleichbar. Der klinische Nutzen bleibt demnach eindeutig erhalten. Die COMPASS-Studie wurde aus ethischen Gründen aufgrund der eindeutigen Überlegenheit der kombinierten Gabe von Rivaroxaban plus ASS vorzeitig beendet. Die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit lag zu diesem Zeitpunkt für Patienten mit pAVK bei 21 Monaten.

Fallbericht zur pAVK

Der Patient war bei der Erstvorstellung 54 Jahre alt und wies einen BMI von 30 kg/m2 auf. Es zeigte sich die charakteristische Patientenkonstellation in der täglichen vaskulären Praxis mit typischem Risikoprofil für einen Gefäßpatienten. So rauchte der Patient seit dem 15. Lebensjahr, hatte deutliches Übergewicht und war aufgrund einer peripheren Gefäßerkrankung vorbehandelt. Der Mann hatte zwei Jahre zuvor einen akuten Gefäßverschluss entwickelt mit der Symptomatik einer kompletten Ischämie, also mit Sensibilitätsverlust und auch einem Verlust an seiner Motorik. Es folgte eine komplexe interventionelle Revaskularisation mit Stentimplantation in die distale A. femoralis superficialis. Bereits nach einem Tag kam es zum Re-Verschluss, und es wurde erneut lysiert. Ferner wurde eine DAPT für vier Wochen angeordnet gefolgt von einer ASS-Monotherapie bei stabilem Verlauf. Außerdem wurden die Hypercholesterinämie sowie der Hypertonus des Patienten leitliniengerecht behandelt. Zwei Jahre später stellte sich der Patient erneut vor und berichtete nun über Schmerzen im behandelten Bein beim Gehen über eine Strecke von etwa 100 Meter. Entsprechend den aktuellen Leitlinien ist dieser Patient nunmehr ein Kandidat für eine antithrombotische Therapie mittels einer sogenannten „Dual Pathway Treatment Option“, also mit Umstellung der aktuellen ASS-Monotherapie auf eine Kombination von ASS und Rivaroxaban in vaskulärer Dosierung.

Fazit

Patienten mit chronischem Koronarsyndrom (CCS) wie auch Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) haben ein deutlich erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse. Die Patienten bedürfen einer intensiven Einstellung der Risikofaktoren einschließlich einer präventiv wirksamen Medikation. Die neue Behandlungsoption der Hinzunahme eines zweiten Antithrombotikums für Patienten mit hohem ischämischen Risiko, aber ohne erhöhtes Blutungsrisiko, hat mittlerweile Eingang in alle Leitlinien zum Management von Hochrisikopatienten mit chronischem Koronarsyndrom und/oder pAVK Eingang gefunden. Ziel der Empfehlung ist eine effektivere vaskuläre Protektion und damit verbunden eine Reduktion der Inzidenz von MACE und MALE.

Literatur

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