Herausforderung Antikoagulation in der Praxis

Die Evidenz zur Antikoagulation hat sich in den letzten zehn Jahren mit der Einführung der Nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAK) enorm erweitert. Trotzdem gibt es in den verschiedenen Leitlinien immer noch Wissenslücken, die bei bestimmten Risikopatienten in der täglichen Praxis individuelle Entscheidungen für die Antikoagulation notwendig machen.

Insbesondere die kombinierte Antikoagulation in Form der Dual- und Tripeltherapie bietet in Anbetracht der unvollständigen Evidenz noch Spielräume bei der Entscheidung für die richtige Therapie, um das individuelle Risiko möglichst optimal zu reduzieren.

In dieser Fortbildung soll an verschiedenen Patientenfällen aus der kardiologisch-interventionellen, angiologischen und hausärztlichen Praxis verdeutlicht werden, wo genau Unsicherheiten bei der Antikoagulation bestehen, welche Entscheidungsspielräume bestehen und wie mögliche Lösungen aussehen können. Die Darstellung der Einflussfaktoren auf Adhärenz und Persistenz bei der Antikoagulation rundet das Bild ab.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709124027030013
Zeitraum 17.02.2024 - 16.02.2025
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte 4 Punkte (Kategorie D)
Zielgruppe Ärzte
Referent Dr. med. Thomas Schramm
Dr. med. Petra Sandow
Dr. med. Markus Pfistner
Redaktion CME-Verlg
Veranstaltungstyp Interaktiver Videovortrag
Lernmaterial Vorträge, Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Bayer Vital GmbH
Bewertung 4.3 (602)

Einleitung

Ist die Antikoagulation in der Praxis mittlerweile ein einfaches Unterfangen? Ein Blick in die aktuellen europäischen Leitlinien weist nicht nur auf die zahlreichen Risikofaktoren hin, die zum Vorhofflimmern (VHF) beitragen, wie zum Beispiel Bluthochdruck oder exzessiver Ausdauersport, sondern zeigt auch, mit welchen zusätzlichen Risikofaktoren ein Patient mit Vorhofflimmern im Laufe seines Lebens konfrontiert werden kann, die seine Prognose unmittelbar beeinflussen. Zusätzliche Komorbiditäten verstärken die Komplexität der Behandlung von Patienten mit Vorhofflimmern. Bis zu 40 % der VHF-Patienten haben bei Diagnosestellung bereits einen gesicherten Diabetes mellitus und 65 % eine eingeschränkte Nierenfunktion. Alle drei Krankheitsbilder beeinflussen sich gegenseitig und potenzieren das Mortalitätsrisiko für die Patienten. Diabetes beschleunigt das Auftreten von Vorhofflimmern, eine chronische Niereninsuffizienz erhöht das Blutungs- und Schlaganfallrisiko. Ein Drittel der Patienten mit einem Typ-2-Diabetes entwickelt im Verlauf der Erkrankung eine Niereninsuffizienz. Diabetes mellitus ist damit die häufigste Ursache für Nierenversagen. Neben diesen Komorbiditäten sind aber auch Faktoren wie Ablation, Kardioversion, Stentimplantation oder einfach nur das zunehmende Lebensalter der Patienten relevant. Die Evidenz zur Wirksamkeit einer Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern, zusätzlichen Risikofaktoren und Komorbiditäten ist in den letzten Jahren enorm gewachsen. Subgruppenanalysen großer klinischer Studien zur Antikoagulation oder einzelne Studien mit einer definierten Risikoklientel haben dazu beigetragen. Trotzdem gibt es immer noch Wissenslücken in den Leitlinien, die bei einigen Patienten eine wirksame und sichere Antikoagulation zu einer Herausforderung machen. Ein weiterer Aspekt, der die Betreuung von antikoagulierten Patienten in der Praxis beeinflusst, ist das zunehmende Monitoring durch Gesundheits-Apps und implantierte Devices, die der Patient selbst anwendet und auslesen kann und deren Daten auf der einen Seite helfen können, die Therapie sinnvoll zu modifizieren, auf der anderen Seite aber zu häufigen und aus ärztlicher Sicht nicht immer notwendigen Anfragen der Patienten in der Praxis führen. Ein weiterer Aspekt beeinflusst die Antikoagulation: Nimmt der Patient seine Medikation auch wirklich so ein, wie sie verordnet wird? Die Basis für eine gute Adhärenz und Persistenz ist die Einsicht des Patienten in die Notwendigkeit der Behandlung. Antikoagulation ist trotz Evidenz, trotz neuer Antikoagulanzien und trotz ausführlicher Leitlinien in der Praxis nicht einfach geworden. Fest steht allerdings, dass das Screening nach Risikofaktoren ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik sein muss, um die Patienten gezielt behandeln zu können. In dieser Fortbildung werden einige komplexe Fälle vorgestellt und Lösungsmöglichkeiten diskutiert.

Was die orale Antikoagulation mit NOAK einfach macht

Die Leitlinienempfehlungen sind in der Tat einfach: Patienten mit einem Vorhofflimmern werden antikoaguliert. Nicht-Vitamin-K-abgängige orale Antikoagulanzien (NOAK) sind gegenüber Vitamin-K-Antagonisten (VKA) zu bevorzugen und sollen bei allen männlichen Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score über 1 und bei allen weiblichen Patienten mit einem Score 2 eingesetzt werden. Nur bei Patienten mit mechanischen Klappenprothesen oder einer höhergradigen Mitralstenose gilt nach wie vor die Antikoagulation mit VKA als gesetzt. Die Subgruppenanalyse einer Studie mit Edoxaban zeigte, dass das NOAK in allen Altersgruppen gleich wirksam und sicher ist, und eine Subgruppenanalyse der RE-LY-Studie mit Dabigatran lieferte den Beleg, dass der Nutzen des NOAK gegenüber Warfarin auch bei Patienten mit einer symptomatischen Herzinsuffizienz erhalten bleibt. Bei der ARISTOTLE-Studie mit Apixaban versus Warfarin wurden Untergruppen mit Patienten analysiert, die eine unterschiedliche Anzahl von Begleitmedikamenten zusätzlich zur Antikoagulation eingenommen hatten. Auch bei mehr als neun Begleitmedikamenten bleibt der Nutzen des NOAK erhalten. Rivaroxaban ist Warfarin auch bei den Patienten überlegen, die eine moderate Niereninsuffizienz haben. Metaanalysen bestätigen die Wirksamkeit und Anwendungssicherheit bei Patientengruppen mit den genannten Risikofaktoren. Ein wichtiger Aspekt ist allerdings die korrekte Dosierung der verschiedenen NOAK, bei der je nach Substanz Nierenfunktion, Körpergewicht, Alter und Begleitmedikation zu berücksichtigen sind. Die Leitlinien empfehlen deshalb eine regelmäßige Bestimmung der GFR. Das Untersuchungsintervall in Monaten kann nach einer Faustregel ermittelt werden, indem die aktuelle GFR durch 10 dividiert wird: Eine GFR von 60 ml/min sollte also alle sechs Monate überprüft werden.

Patientenfall: Antikoagulation bei einem Patienten mit nvVHF und Verdacht auf KHK

77-jähriger Patient mit permanentem nicht-valvulärem Vorhofflimmern bei ausreichender Frequenzkontrolle und mit ausgeprägtem kardiovaskulären Risikoprofil. Seit Jahren zufriedenstellend mit Phenprocoumon antikoaguliert, aktueller INR (International normalized Ratio) 2,5. In den letzten ein bis zwei Wochen zunehmende Luftnot und reduzierte Alltagsbelastbarkeit. Im Langzeit-EKG vermehrte ventrikuläre Extrasystolen. Überweisung zum Kardiologen zum Ausschluss einer koronaren Herzerkrankung (KHK). Troponin T und Brain Natriuretic Peptide (BNP) unauffällig. Die Koronarangiografie ergab eine filiforme RCA-Stenose mit Thrombus, die erfolgreich mit einem Drug-eluting Stent (DES) versorgt wurde. Die Empfehlung für die Antikoagulation im Anschluss an die perkutane Koronarintervention (PCI) lautete Rivaroxaban 15 mg, ASS 100 mg und Clopidogrel 75 mg für vier Wochen, anschließend ein Jahr lang Rivaroxaban 15 mg und Clopidogrel 75 mg, danach nur noch Rivaroxaban 15 mg.

Leitlinienempfehlungen zur differenzierten Antikoagulation nach PCIxxxxx

Dieser Patientenfall zeigt mit Blick auf die Leitlinien von 2017, dass die getroffene Entscheidung zur Antikoagulation mit einer Dreifachkombination abhängig vom individuellen Ischämie- und Blutungsrisiko durchaus kontrovers diskutiert werden kann. Bei der Leitlinienempfehlung von 2017 wurde berücksichtigt, dass Patienten mit Vorhofflimmern, die einen Stent benötigen, nach der Implantation sehr häufig bluten. Für die Antikoagulation wurden dann abhängig vom Blutungsrisiko verschiedene Optionen zur Antikoagulation vorgeschlagen. Bei dem oben genannten Patienten hätte die Antikoagulation nach der Stentimplantation auch ohne ASS, also nur mit einem NOAK und Clopidogrel, erfolgen können. Für die Tripeltherapie für vier Wochen hat man sich bei diesem Patienten deshalb entschieden, weil bei der Koronarangiografie noch ein Thrombus sichtbar war. Je nach Größe des Thrombus hätte diese Tripeltherapie leitlinienkonform durchaus noch für einen Zeitraum von mehr als vier Wochen fortgeführt werden können. Inzwischen liegen für alle NOAK Studien vor, die gezeigt haben, dass das Blutungsrisiko durch die Kombination mit einem Thrombozytenaggregationshemmer niedriger ist und damit auch nicht mehr Restenosen entstehen. In den Leitlinien von 2019 zur Antikoagulation von KHK-Patienten mit VHF und einer perkutanen Koronarintervention (PCI) wurde deshalb mit einer Ia-Evidenz empfohlen, bevorzugt mit NOAK zu behandeln und mit einer Antiplättchentherapie zu ergänzen. In den Leitlinien zur antithrombotischen Therapie von 2020 wird empfohlen, eine Tripeltherapie möglichst zu vermeiden, ohne dabei das Risiko einer Stentthrombose aus dem Blick zu verlieren.

Wichtig für die Zusammenarbeit zwischen Fach- und Hausarzt

Damit der Patient nach einer fachärztlichen Intervention und der manchmal komplexen medikamentösen Einstellung seine Therapie auch kontinuierlich fortsetzt, ist eine gute Kommunikation zwischen Fach- und Hausarzt unerlässlich. Der Hausarzt kennt das Umfeld seiner Patienten meist besser als der Facharzt und muss die Entscheidungen des Facharztes nachvollziehen können, um sie dem Patienten nach der Intervention nochmals zu erklären. Gerade bei älteren Patienten ist diese nochmalige Aufklärung erforderlich, weil viele Fragen sich erst im Nachgang ergeben. Wenn der Patient nicht verstanden hat, warum er seine Medikamente nehmen soll, hat das Konsequenzen für die Adhärenz und damit letzten Endes auch für die Prognose. Oft findet sich im Arztbrief des Facharztes an den Hausarzt keine ausreichende Begründung für die Wahl der Antikoagulation. Der Hinweis auf die Leitlinien reicht nicht aus. Wenn der Hausarzt nicht nachvollziehen kann, warum der Facharzt sich für eine Mono-, Dual- oder Tripeltherapie entschieden hat, kann er das auch den Patienten nicht hinreichend erklären.

Patientenfall: Antikoagulation bei einem Hochrisikopatienten mit NSTEMI nach mehrfacher PCI

70-jähriger Patient mit koronarer Dreigefäßerkrankung mit zuletzt NSTEMI (ST-Hebungsinfarkt) und PCI/DES bei subtotaler Hauptstammstenose und perkutaner transluminaler Koronarangioplastie (PTCA) einer RCA-In-Stent-Stenose (Ramus circumflexus anterior) 2020 bei Zustand nach PTCA und DES-Implantation einer kritischen proximalen „Left-anterior descending”-(LAD-) Stenose 2016 bei diffuser Gefäßsklerose mit deutlich dilatativ veränderter LAD und retrograd versorgtem kleinen RCA-Endastverschluss und Zustand nach RCA-Intervention 2012. Herzinsuffizienz mit mittelgradig eingeschränkter Pumpfunktion (Ejektionsfraktion ca. 40 %) ohne Hinweis auf kardiale Dekompensation bei Akinesie inferior. Ventrikuläre Extrasystolie bei guter Leistungsfähigkeit von 200 Watt in der Fahrradergometrie, Hypercholesterinämie mit einem Low-density Lipoprotein (LDL) von aktuell 77 mg/dl (noch unter dem Zielwert von <55 mg/dl), arterielle Hypertonie, diabetogene Stoffwechsellage und PAVK im Stadium I ohne Einschränkung der Gehstrecke. Die aktuelle Herzinsuffizienzmedikation entspricht den Leitlinienvorgaben. Zusätzlich erhält der Patient Pantoprazol 40 mg, Rosuvastatin 20 mg, Bempedoinsäure 180 mg, Ezetimib 10 mg sowie zur Antikoagulation Rivaroxaban 2,5 mg zweimal täglich und ASS 100 mg.

Leitlinienempfehlungen zur Antikoagulation bei Sinusrhythmus und KHK

Bei koronarkranken Patienten im Sinusrhythmus mit einem hohen Risiko für eine erneute Thrombose oder einen Reinfarkt haben die positiven Ergebnisse der COMPASS-Studie die Leitlinien zur Antikoagulation erheblich beeinflusst. Die COMPASS-Studie hat gezeigt, dass die niedrige Dosis von 2,5 mg Rivaroxaban zweimal täglich in Kombination mit 100 mg ASS das Risiko von schweren Beinereignissen einschließlich Majoramputationen deutlich verringert. Unter der alleinigen Therapie mit 100 mg ASS einmal täglich waren Mortalität, Amputationsrate und die Inzidenz für schwere kardiovaskuläre Ereignisse deutlich höher als unter der Kombinationstherapie mit ASS und Rivaroxaban. Noch vor einigen Jahren lautete die Empfehlung, nach einem akuten Koronarsyndrom zur Ereignisprävention eine duale Plättchenhemmung mit Clopidogrel und ASS durchzuführen und diese nach zwölf Monaten zu beenden. Mittlerweile wird bei Risikopatienten mit einer KHK neben einer strengen Einstellung der LDL-Zielwerte eine lebenslange, niedrig dosierte duale antithrombotische Therapie mit einem NOAK und ASS empfohlen, wenn das Blutungsrisiko niedrig ist. Daten aus Studien mit Prasugrel, Ticagrelor und Clopidogrel stützen ebenfalls die Option einer langfristigen, wenn nicht sogar lebenslangen Antikoagulation.

Patientenfall: Patient mit Thromboserezidiv und Blutung unter Tripeltherapie

70-jähriger Patient mit einer oberen gastrointestinalen Blutung aus einer Angiodysplasie des Duodenums bis auf einen Hb von 6,9 g/dl im Juni 2015 unter einer Tripeltherapie mit Rivaroxaban 15 mg, Clopidogrel 75 mg und ASS 100 mg jeweils einmal täglich nach PCI mit DES-Implantation im Mai 2015 bei koronarer Zweigefäßerkrankung. Zustand nach TVT rechts mit Lungenembolie im März 2015, arterielle Hypertonie, Hyperlipoproteinämie, infrarenales asymptomatisches Bauchaortenaneurysma und PAVK I mit Zustand nach Stentimplantation der Arteria femoralis superficialis rechts. Nach Behandlung der gastrointestinalen Blutung wurde die Tripeltherapie fortgeführt mit Empfehlung zur regelmäßigen Kontrolle von Nierenretentionsparameter, Elektrolyte, Blutbild und Blutdruck, zielgenauer Einstellung der kardiovaskulären Risikofaktoren sowie sonografischer Verlaufskontrolle des Bauchaortenaneurysmas.

Evidenz und Empfehlungen zur Antikoagulation von Risikopatienten

Eine Subgruppenanalyse der COMPASS-Studien hat gezeigt, dass die Patienten von einer präventiven niedrig dosierten Therapie mit Rivaroxaban 2,5 mg zweimal täglich und 100 mg ASS einmal täglich umso mehr profitieren, je mehr Risikofaktoren sie haben. Der zuvor geschilderte Patientenfall zeigt aber auch, dass das individuelle Blutungsrisiko beachtet werden muss. Es kommt in jedem Fall darauf an, die richtige Balance zwischen einem ausreichenden Schutz vor einer erneuten Thrombose oder einem Reinfarkt und einem niedrigen Blutungsrisiko zu finden. In diese Entscheidung fließen zahlreiche intrinsische und extrinsische Faktoren ein. Welche Bedeutung die Ergebnisse der COMPASS-Studie für die antithrombotischen Strategien der interventionellen Kardiologie hatten, wurde bereits geschildert. Für die Angiologen hatte diese Studie vergleichbare Konsequenzen; das hat sich allerdings noch nicht in einer aktualisierten Leitlinie niedergeschlagen. Die mit einer venösen Thromboembolie (VTE) assoziierte Mortalitätsrate ist sehr hoch. Über eine halbe Million Todesfälle pro Jahr in Europa stehen in einem Zusammenhang mit einer VTE. Eine geeignete VTE-Prophylaxe hat demnach eine hohe Priorität.

Leitlinienempfehlungen zur Diagnostik und Therapie der venösen Thromboembolie

Die in der alten S2-Leitlinie von 2015 festgelegten diagnostischen Prozesse zur Diagnose einer venösen Thromboembolie (VTE) oder einer tiefen Venenthrombose (TVT) sind Routine in der angiologischen Praxis. Erste Anlaufstelle von Patienten mit einer TVT ist meistens der Hausarzt, der mit einer einfachen Strategie den Verdacht auf eine Thrombose abklären und die Antikoagulation bereits einleiten soll. Für die Einschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer Thrombose eignet sich z. B. der Wells-Score; es reichen aber auch eigene und in der Praxis bewährte Schemata aus. Ist die Wahrscheinlichkeit gering, sollten die D-Dimere bestimmt werden. Ist der Test auf D-Dimere negativ, ist eine Thrombose ausgeschlossen. Ein positiver D-Dimer-Test gilt allerdings nicht als Thrombosenachweis. Hierzu ist eine Kompressionsultraschalluntersuchung notwendig. Die Höhe der D-Dimer-Konzentration korreliert nicht mit dem Schweregrad der Thrombose oder der Größe des Thrombus. Wenn eine tiefe Beinvenenthrombose dokumentiert wurde, gibt es laut Leitlinie mehrere medikamentöse Optionen für die Antikoagulation. Das Spektrum reicht von verschiedenen Heparinen über NOAK bis zu den Vitamin-K-Antagonisten. Letztere werden zwar in der Leitlinie noch aufgeführt, sind aber aufgrund der guten Erfahrungen mit den NOAK und der erdrückenden Evidenz eigentlich keine Option mehr, weil eine wirksame Einstellung mit VKA viel zu lange dauert. Es gilt aber die dringende Empfehlung an den Hausarzt, die Antikoagulation in therapeutischen Dosierungen bereits bei Verdacht auf eine Thrombose einzuleiten, noch bevor ein Kompressionsultraschall die Diagnose bestätigt. Das Risiko von Blutungen ist in den ersten drei bis vier Tagen nach Beginn der Antikoagulation sehr gering. Wenn bei dem Patienten zusätzlich zum Thromboseverdacht eine Dyspnoe oder eine Tachykardie besteht, sollte eine stationäre Einweisung erfolgen, weil sich eine Lungenembolie entwickelt haben könnte.

Patientenfall: Patient mit unkontrollierter Antikoagulation nach TVT

63-jähriger Patient mit Varikosis stellt sich Ende September 2022 zur regulären Kontrolluntersuchung vor. Der Patient berichtete, dass er wegen einer heftigen Divertikulitis Anfang August 2022 mehrere Tage im Bett gelegen habe und sich dann in der rechten Wade eine zunehmende Schwellung mit Wadenschmerzen entwickelt habe. In der Klinikambulanz sei eine TVT diagnostiziert worden und er sei dann ohne weitere Empfehlungen auf Rivaroxaban 15 mg zweimal täglich eingestellt worden. Zwischenzeitlich hätten der Hausarzt und sein Orthopäde die Antikoagulation mit unveränderter Dosierung weiter rezeptiert. Die Antikoagulation wurde nach unauffälligem sonografischen Kontrollbefund auf Rivaroxaban 20 mg einmal täglich umgestellt.

Wichtig für die hausärztliche Versorgung von Patienten mit venöser Thromboembolie

In dem oben genannten Fall wurde die Rivaroxaban-Dosierung nach der Entlassung aus der Klinikambulanz in unveränderter Höhe weiterverordnet, ohne dies zu hinterfragen. Im Arztbrief fehlten offensichtlich klare Angaben, wann genau eine Dosisreduktion erfolgen oder die Antikoagulation abgesetzt werden kann. Auch der Patient war darüber nicht informiert. In der Hausarztpraxis kann es vorkommen, dass Folgerezepte im täglichen Routinebetrieb unterzeichnet werden, ohne die Dosierungsangaben zu überprüfen. Wenn eine Antikoagulation erfolgt, muss sichergestellt werden, dass Patient und Hausarzt über die weitere Vorgehensweise informiert werden.

Empfehlung zur Dauer der Antikoagulation bei venöser Thromboembolie

Wann eine Antikoagulation angezeigt ist, ist in den meisten Fällen klar. Unsicherheiten bestehen aber noch bei der Höhe der Dosierung und der Dauer der Antikoagulation. Hier bietet ein Ampelsystem für die Praxis eine gute Orientierung. Bei dem zuvor beschriebenen Patienten gibt es für die TVT als Ursache oder Trigger eine längere Immobilisierungsphase wegen einer heftigen Divertikulitis. Hier kann die Antikoagulation bereits nach wenigen Monaten beendet werden. Patienten mit einer aktiven Tumorerkrankung, persistierenden Risikofaktoren oder einer schweren Thrombophilie werden langfristig antikoaguliert. Längere Flug- oder Busreisen gelten als relativ weiche Trigger und sind keine eindeutige Indikation für die Antikoagulation. Es gibt keinerlei Evidenz dafür, ab welcher Flugdauer eine Antikoagulation sinnvoll ist. Wenn ein Patient aber ein hohes Thromboserisiko oder vielleicht sogar schon eine Thrombose während einer Flugreise entwickelt hat, kann nach entsprechender Aufklärung des Patienten eine verlängerte Antikoagulation erwogen werden. In diesen Fällen kommen meist niedermolekulare Heparine als Fertigspritzen zum Einsatz.

Venöse Thromboembolien und Tumorerkrankungen

Patienten mit einer aktiven Tumorerkrankung haben nicht nur ein vier- bis siebenfach erhöhtes Thromboserisiko, sondern auch ein zweifach erhöhtes Blutungsrisiko unter einer Antikoagulation. Bei vielen Tumorpatienten unter einer Chemotherapie sind Thrombosen und Embolien häufig die Todesursache. Die Risikofaktoren für eine VTE bei Tumorpatienten können in vier Gruppen eingeteilt werden. Zu den patientenassoziierten Faktoren gehören Komorbiditäten, Varikosis, VTE in der Vorgeschichte sowie das Vorliegen einer hereditären Thrombophilie. Neben Chemotherapie oder antiangiogener Therapie zählen zu den therapieassoziierten VTE-Risikofaktoren u. a. Operationen, Bestrahlung, Hormontherapie, Bluttransfusionen, Katheter sowie Hospitalisierung und Immobilität. Tumorassoziierte Risikofaktoren umfassen die Tumorentität, den Differenzierungsgrad des Tumorgewebes sowie das Stadium der Tumorerkrankung. Zu den Tumoren mit dem höchsten Thromboembolierisiko gehören das Pankreaskarzinom, Karzinome von Leber und Gallenblase, Karzinome des Ovars, des Magens und des Ösophagus sowie Lungenkarzinome. Zu den häufigsten hämatologischen Neoplasien, die mit einem erhöhten VTE-Risiko assoziiert sind, zählen das Multiple Myelom sowie Lymphome.

NOAK und NMH (Niedermolekulares Heparin) zur Antikoagulation bei tumorassoziierter VTE

Mit Apixaban und Rivaroxaban stehen zwei orale Substanzen zur Verfügung, die nach Diagnosestellung einer VTE direkt ohne vorausgehende parenterale Antikoagulation eingesetzt werden können. Im Rahmen der Sekundärprophylaxe ist ab dem siebten Monat eine Dosisreduktion bei Apixaban vorgesehen, für Rivaroxaban ist diese fakultativ. Der Einsatz von Edoxaban erfordert initial eine mindestens fünftägige parenterale Antikoagulation. Für Dabigatran gibt es bislang keine Evidenz zur Antikoagulation bei Patienten mit einer tumorassoziierten VTE. Die Leitlinien empfehlen den Einsatz von Dalteparin gleichwertig zu den NOAK. Während der Therapie kann bei den Patienten mit einer tumorassoziierten VTE jederzeit zwischen einer oralen Therapie mit NOAK und einer parenteralen Gabe von Dalteparin gewechselt werden, wenn Erbrechen, Diarrhö oder eine Mukositis die Resorption eines NOAK behindern. Bei Patienten mit einer Thrombozytopenie gibt es in den Leitlinien keine Empfehlung für den Einsatz von NOAK. Ein NMH wie Dalteparin kann in voller Dosierung verabreicht werden, solange die Thrombozytenzahl >50.000 liegt. Bei Thrombozytenzahlen zwischen 25.000 und 50.000 kann eine Antikoagulation mit NMH in halber Dosierung erwogen werden. Während einer aktiven Tumorerkrankung kann die Antikoagulation auf mehr als sechs Monate verlängert werden.

Antikoagulation bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK)

Patienten mit einer PAVK haben ein erhöhtes Mortalitätsrisiko. Mit der bereits erwähnten COMPASS-Studie konnte dokumentiert werden, dass eine duale Gerinnungshemmung mit Rivaroxaban 2,5 mg zweimal täglich und ASS 100 mg einmal täglich sowohl das Risiko von kardialen Ereignissen (MACE) als auch von Beinereignissen (MALE) reduziert. Die MALE-Reduktion um 50 % ist dabei besonders eindrucksvoll. Das hohe Risiko der Patienten mit einer PAVK im Anschluss an eine Revaskularisation war der Hintergrund für die VOYAGER-PAD-Studie. Bei insgesamt 6564 Patienten mit einer symptomatischen PAVK wurde spätestens zehn Tage nach Revaskularisation und erfolgter Hämostase die antithrombotische Behandlung begonnen mit entweder 2,5 mg Rivaroxaban zweimal täglich plus 100 mg ASS oder nur mit 100 mg ASS. Der kombinierte primäre Wirksamkeitsendpunkt setzte sich aus fünf Komponenten zusammen: akute Beinischämie (ALI), gefäßbedingte Majoramputation, Herzinfarkt, ischämischer Schlaganfall und kardiovaskulär bedingter Tod. Der primäre Sicherheitsendpunkt waren schwere Blutungen nach der „Thrombolysis in Myocardial Infarction”-(TIMI-)Klassifikation. Die demografischen Ausgangsmerkmale waren in beiden Behandlungsgruppen ausgeglichen und typisch für Patienten mit PAVK. Etwa ein Drittel der Patienten hat geraucht, 40 % hatten einen Diabetes mellitus, ein Fünftel der Patienten hatte eine eingeschränkte Nierenfunktion mit einer GFR von unter 60 ml/min, ein knappes Drittel der Patienten hatte zusätzlich noch eine KHK und 11 % hatten bereits einen Myokardinfarkt. Auch die klinischen Merkmale zu Studienbeginn waren in beiden Behandlungsgruppen ausgeglichen. Der mediane Knöchel-Arm-Index lag bei 0,56, was für eine schwere PAVK spricht, zwei Drittel der Patienten wurden endovaskulär und ein Drittel gefäßchirurgisch behandelt. Fast 30 % hatten eine kritische Extremitätenischämie. Die Basisbehandlung der Patienten war gut, 80 % erhielten ein Statin und über 60 % einen ACE-Hemmer oder einen Angiotensin-Rezeptorblocker. 50 % der Patienten hatten zusätzlich noch Clopidogrel. Für den praktischen Einsatz ist von Bedeutung, dass die antithrombotische Behandlung bei über 25 % der Patienten schon am Tag 2 oder früher begonnen wurde. Bei den chirurgisch behandelten Patienten bewirkte die Kombination aus Rivaroxaban in vaskulärer Dosierung plus ASS im Vergleich zu ASS allein eine signifikante Reduktion des Risikos für den kombinierten primären Endpunkt um absolut 2,8 %. Der Effekt von Rivaroxaban plus ASS setzte bereits sehr früh nach Randomisierung ein. Die NNT über den Zeitraum von drei Jahren war mit 24 niedrig. Der primäre Sicherheitsendpunkt, die schweren Blutungen gemäß TIMI, war zwar mit 62 gegenüber 44 Patienten mit diesem Ereignis in der Rivaroxaban-plus-ASS-Gruppe numerisch höher; dieser Unterschied war aber mit einer Hazard Ratio von 1,43 (95%-KI 0.97–2.10; p = 0.07) nicht signifikant. Bei den sehr schweren, intrakraniellen oder tödlichen Blutungen zeigte sich kein Unterschied in den Behandlungsgruppen bei gleichzeitig niedrigen Ereignisraten in beiden Gruppen. Schwere Blutungen gemäß International Society of Thrombosis and Haemostasis (ISTH), einem sensitiveren Parameter, waren mit einer Hazard Ratio von 1,42 in der Rivaroxaban-plus-ASS-Gruppe signifikant häufiger. Aus der Darstellung des zeitlichen Verlaufes der verhinderten oder verursachten Ereignisse ergibt sich, dass das Risiko für schwere Blutungen gemäß TIMI initial nach dem Eingriff etwas erhöht war und dann annähernd gleich blieb, während der Benefit initial schon sehr groß war und sich über die Zeit weiter verbesserte. Dies spricht für eine klinisch relevante vaskuläre Protektion durch die Kombination von Rivaroxaban und ASS.

Patientenfall: Patientin mit PAVK und Umstellung der Antikoagulation

59-jährige Patientin mit arteriellen femoralen, poplietealen und kruralen Verschlüssen in beiden Beinen. Zustand nach Typ-1-Diabetes, Pankreas- und Nierentransplantation. Adhärenz mangelhaft, Patientin verweigert Statintherapie bei einem LDL von 180 mg/dl und einem Lp(a) von 200 nmol/l. Im Mai 2022 hat sich nach einer Prellung am Fuß innerhalb von zehn Tagen eine Gangrän D4 entwickelt mit Rötung und Schwellung des gesamten Fußes, die durch eine notfallmäßige Bypass-OP stationär versorgt wurde. Nach der Entlassung erhielt die Patientin eine duale Therapie mit Rivaroxaban 2,5 mg zweimal täglich und zusätzlich ASS 100 mg. Anfang September stellte sich die Patientin zur Kontrolluntersuchung vor, der Bypass war offen, keine Ulzerationen und Beschwerden. Die Antikoagulation wurde zwischenzeitlich durch den Nephrologen auf Apixaban 2,5 mg zweimal täglich und zusätzlich ASS 100 mg umgestellt.

Austausch von Antikoagulanzien in der hausärztlichen Praxis

Bei der oben genannten Patientin wurde das in der VOYAGER-PAD-Studie untersuchte duale Antikoagulationsschema von Rivaroxaban 2,5 mg zweimal täglich plus ASS auf Apixaban 2,5 mg zweimal täglich plus ASS umgestellt. Für diese Entscheidung gibt es weder Evidenz noch Zulassung. Für die Hochrisikopatientin kommt es aber darauf an, die Extremitäten zu erhalten, und hier gibt die vorhandene Evidenz für die duale Antikoagulation aus der VOYAGER-PAD-Studie ein hohes Maß an Sicherheit. In der Hausarztpraxis sind Zulassungssituation und Leitlinienempfehlungen mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Dosierungen nicht immer präsent. Auch hier ist eine klare Begründung der Verordnung im Arztbrief hilfreich.

Demografische Entwicklung und Polypharmazie als Herausforderung

Die demografische Entwicklung in Deutschland sagt in den nächsten 40 Jahren eine erhebliche Zunahme von älteren, alten und hochbetagten Patienten voraus, die auch ärztlich versorgt werden müssen. Bereits jetzt stellt die Polypharmazie bei älteren Patienten eine Herausforderung dar. Eine Untersuchung von 1937 zu Hause lebenden Menschen der getABI (Epidemiological Trial of Ankle-Brachial-Index)-Studienkohorte mit einem mittleren Alter von 78 Jahren (53 % Frauen) dokumentierte eine durchschnittliche Zahl von sechs verschiedenen Arzneimitteln, die pro Tag eingenommen werden. Es besteht seit Langem Konsens darüber, dass unabhängig von der Indikation die Zuverlässigkeit der Einnahme und damit der beabsichtigte therapeutische Effekt mit der Zahl der täglich einzunehmenden Medikamente abnimmt

Definition von Compliance, Adhärenz und Persistenz

Als Begriff für die Therapietreue der Patienten wird sehr oft die Compliance angeführt. Dieser Begriff ist allerdings nicht präzise und setzt sich aus der Adhärenz und der Persistenz zusammen. Die Adhärenz beschreibt das Ausmaß, in dem das Verhalten einer Person mit den zusammen mit dem Therapeuten vereinbarten Empfehlungen übereinstimmt, wie zum Beispiel Anzahl und Einnahmezeitpunkt der verordneten Tabletten in einer bestimmten Dosierung pro Tag. Die Persistenz beschreibt die Dauer der tatsächlichen regelmäßigen Einnahme im Verhältnis zur verordneten Therapieperiode. Sie definiert zum Beispiel, wie groß der Anteil von Patienten ist, die die verordneten Medikamente in der richtigen Dosierung ein Jahr lang eingenommen haben.

Mangelnde Adhärenz als unterschätztes Problem

Nach Untersuchungen der WHO nehmen nur noch 50 % der Patienten mit chronischen Erkrankungen nach einem Jahr ihre Medikamente ein. Selbst nach einschneidenden Ereignissen, wie zum Beispiel einem Myokardinfarkt, lässt die Adhärenz bereits 30 Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus erheblich nach. Bei der Plättchenhemmung mit nur einem Medikament ist die Adhärenz noch relativ gut, bei der dualen Plättchenhemmung (DAPT) wird sie schon deutlich schlechter. Bei Statinen ist eine gute Adhärenz wahrscheinlicher als bei Antihypertensiva, aber bei einer Kombinationstherapie, die aus drei oder mehr Wirkstoffen am Tag besteht, nimmt die Adhärenz dramatisch ab. Die Notwendigkeit von Aufklärung und Überzeugungsarbeit durch den behandelnden Arzt steht in der täglichen Praxis allerdings in krassem Gegensatz zum tatsächlich vorhandenen Zeitbudget für die Beratung eines Patienten.

Einflussfaktoren auf die Adhärenz bei der Antikoagulation

Auch bei der oralen Antikoagulation mit NOAK und VKA gibt es Unterschiede bei der Adhärenz, die durch die Anzahl der täglich einzunehmenden Tabletten verursacht werden. Rivaroxaban und Warfarin werden einmal täglich eingenommen, bei Apixaban und Dabigatran ist eine zweimal tägliche Gabe vorgegeben. Bei den Wirkstoffen, die nur einmal täglich einzunehmen sind, ist der Anteil der Patienten mit der richtigen Dosisfrequenz ihres Antikoagulans deutlich größer. Auch der Anteil der Patienten, die die Einnahme ihres Antikoagulans in der letzten Woche überhaupt nicht oder ein- bis maximal zweimal vergessen haben, ist bei den Antikoagulanzien mit nur einmal täglicher Einnahme deutlich niedriger als bei den zweimal täglich einzunehmenden. Eine Real-Life-Untersuchung der Persistenz bei Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern unter einer Antikoagulation mit Rivaroxaban im Vergleich zu VKA hat gezeigt, dass die Persistenz mit der Zeit zwar bei beiden Wirkstoffen abnimmt, dass aber der Anteil der persistenten Patienten unter Rivaroxaban nach einem Jahr signifikant höher ist als unter VKA. Nicht nur die Anzahl der täglich einzunehmenden Tabletten beeinflusst die Adhärenz, auch der Einnahmezeitpunkt spielt eine Rolle. Eine morgendliche Einnahme wird weniger vergessen als eine Einnahme am Abend. Weitere für die Adhärenz aus der Sicht des Patienten wichtige Punkte sind Einschränkungen bei der Ernährung oder dem Alkoholkonsum durch eine Therapie und die Notwendigkeit von Kontrolluntersuchungen, wie zum Beispiel die INR-Messungen bei der Behandlung mit VKA. Auch unerwünschte Wirkungen und Veränderungen der kognitiven Leistungsfähigkeit verschlechtern die Adhärenz. Zwei Fälle aus der hausärztlichen Praxis verdeutlichen diesen Zusammenhang.

Patientenfall: Patient setzt Antikoagulation eigenverantwortlich ab

Männlicher Patient, der seit einem Apoplex vor zwei Jahren antikoaguliert ist. Bei einer routinemäßigen Kontrolluntersuchung berichtet der Patient, dass er die Antikoagulation aufgrund von Nasenbluten bereits seit drei Monaten eigenverantwortlich abgesetzt hat. Nach ausführlicher Aufklärung über die möglichen Folgen seines Handelns setzte der Patient die Antikoagulation fort. Empfehlung: Der Patient konnte erstens den Schweregrad der aufgetretenen Blutung nicht richtig einschätzen und hatte zweitens kein Verständnis für das große Risiko, dem er sich durch das Absetzen der Antikoagulation ausgesetzt hat. Trotz routinemäßiger Aufklärung über das Blutungs- und Rezidivrisiko fehlt den Patienten oft eine konkrete Entscheidungshilfe, welche Blutungen den sofortigen Kontakt mit dem Hausarzt oder einer Klinikambulanz notwendig machen und welche eher harmlos sind. Viele Patienten geben diesen Informationsmangel im Arztgespräch nicht zu oder vergessen auch wichtige Hinweise. Deshalb ist es empfehlenswert, bei jedem Kontrolltermin den Nutzen der Therapie und das richtige Verhalten bei auftretenden Blutungen kurz anzusprechen.

Patientenfall: Wunsch nach Absetzen der Antikoagulation wegen progredienter Demenz

Eine 85-jährige Patientin hatte aufgrund eines Vorhofflimmerns vor sieben Jahren einen Apoplex und ist seitdem antikoaguliert. Nach dem Apoplex hat sich eine langsam progrediente Demenz entwickelt. Die Patientin lebt noch in ihrer eigenen Wohnung, wird aber durch die Tochter betreut. Die Tochter bat jetzt um das Absetzen der Medikation aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes der Mutter. Als Grund wurde die Gefährdung durch Schnittverletzungen in der Küche oder durch eventuelle nächtliche Stürze aufgeführt, die das Nutzen- Risiko-Verhältnis der Antikoagulation verschlechtern würden. Die Demenz ist bei der Patientin aktuell noch nicht so weit fortgeschritten, dass sie bettlägerig ist. Empfehlung: Mit der Patientin und ihrer Tochter wurde vereinbart, erst dann über die Antikoagulation weiter zu entscheiden, wenn es tatsächlich zu einem Ereignis gekommen ist. Bis dahin sollte die Antikoagulation unverändert fortgeführt und regelmäßig kontrolliert werden.

Fazit

  • Die Antikoagulation bleibt in der Praxis trotz bestehender umfangreicher Leitlinien für verschiedene Indikationen in vielen Fällen eine Herausforderung, die eine individuelle Vorgehensweise erfordert.
  • Für die Zusammenarbeit zwischen Fach- und Hausarzt oder Klinik und Praxis ist die Begründung der gewählten Antikoagulation und der Dauer der Antikoagulation im Arztbrief sehr hilfreich.
  • Ein antikoagulierter Patient muss verstehen, warum er antikoaguliert wurde, für wie lange er welches Medikament in welcher Dosierung einnehmen soll und was bei welchen Blutungen zu tun ist.
  • Adhärenz und Persistenz werden durch zahlreiche Faktoren beeinflusst. Eine einmal tägliche Gabe möglichst am Morgen bietet beste Voraussetzungen für gute Adhärenz und Persistenz.

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