Epidemiologie
Harnwegsinfekte (HWI) zählen weltweit zu den häufigsten Infektionen. Die genaue Prävalenz ist schwer zu ermitteln. Gründe hierfür sind, dass Betroffene teilweise keine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen oder aber dies in unterschiedlichen Fachdisziplinen und Behandlungssettings tun. Nach einer Datenanalyse der Barmer GEK Krankenkasse erleiden etwa 9 % aller Mädchen und Frauen ab zwölf Jahren innerhalb eines Jahres einen HWI. Auch das geriatrische Patientenkollektiv ist von hohen HWI-Inzidenz- und Prävalenzraten belastet
Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Urologie zu HWI
Die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DUG) ist federführend für die S3-Leitlinie „Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten” verantwortlich. Diese Leitlinie (Aktualisierungsstand 2017) rangiert in ihrer Kurzfassung mit etwa 3,3 Millionen Zugriffen unter den am häufigsten aufgerufenen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Aktuell ist die Leitlinie überarbeitet worden. Im März 2024 wurde hierzu die Konsultationsphase abgeschlossen. Die Finalfassung der Leitlinie ist verfügbar. Die aktualisierte Leitlinie enthält einige Neuerungen: Unter anderem werden nicht antibiotische Behandlungsmöglichkeiten von unkomplizierten akuten und rezidivierenden HWI stärker betont. Der kritische Einsatz von Reserveantibiotika (insbesondere Fluorchinolone) wird angemahnt mit dem Hinweis auf mögliche „Kollateralschäden”. Die Datenlage zum Umgang mit einer Bakteriurie bei Schwangeren wurde aktualisiert. Für das Kollektiv der geriatrischen Patienten mit und ohne Katheter wurden spezifische relevante Informationen zusammengetragen und bewertet. Kinder und Jugendliche wurden bei der Suchstrategie ausgeschlossen. Die entsprechenden Empfehlungen zum Antibiotikaeinsatz basieren auf aktuellen Daten zur Resistenzlage unterschiedlicher Regionen. Die oben genannte Leitlinie bezieht sich explizit auf unkomplizierte HWI. Eine S3-Leitlinie zu komplizierten HWI bei Frauen und Männern ist durch die DGU bereits angemeldet mit geplanter Fertigstellung im Juni 2026. Im Folgenden liegt der Fokus auf unkomplizierten, bakteriellen, ambulant erworbenen HWI.
Begriffsklärung
Symptomatische Infektionen der ableitenden Harnwege durch Erreger werden allgemein als HWI bezeichnet. In der Leitlinie werden HWI nach definierten Kriterien unterteilt und spezifiziert. Anatomisch werden untere (Zystitis) und obere HWI (Pyelonephritis) unterschieden. Letztere resultieren in der Regel aus aufsteigenden Infektionen aus dem unteren Harntrakt. Treten im Zeitraum von sechs Monaten mindestens zwei HWI auf oder mindestens drei in zwölf Monaten, spricht man von einem rezidivierenden Verlauf. Unterschieden wird beim HWI zudem die Zugehörigkeit der Betroffenen zu bestimmten Risikogruppen: nicht schwangere prämenopausale Frauen ohne relevante Begleiterkrankungen (Standardgruppe), schwangere Frauen, postmenopausale Frauen, jüngere Männer, Diabetiker mit stabiler Stoffwechsellage, alle jeweils ebenfalls ohne relevante Begleiterkrankungen. Zusätzlich werden erstmals in der neuen Leitlinie auch geriatrische Patienten als gesonderte Risikogruppe definiert. Dies sind alle Patienten von über 80 Jahren sowie Patienten ab 70 Jahren, mit mehr als zwei Systemerkrankungen und daraus resultierenden Beeinträchtigungen von Körperstrukturen und Funktionen. Des Weiteren können HWI kompliziert oder unkompliziert sein. Ein unkomplizierter HWI liegt vor, wenn keine funktionellen oder anatomischen Risikofaktoren, keine Niereninsuffizienz und keine relevanten Nebenerkrankungen oder Differenzialdiagnosen bestehen, die HWI oder schwere Komplikationen begünstigen. Anatomische Risikofaktoren sind beispielsweise: Nierenbeckenabgangsenge, Harnröhrenenge mit Restharnbildung, Harnröhrendivertikel und eine Prostatavergrößerung mit Restharnbildung. HWI beim jüngeren Mann, einem instabil eingestellten Diabetiker und einem geriatrischen Patienten können per se als kompliziert eingestuft werden. Abzugrenzen von den HWI ist die sogenannte Bakteriurie. Dabei handelt es sich um die Anwesenheit von Bakterien im Urin, ohne dass bei dem Betroffenen HWI-typische Symptome bestehen.
Pathogenese und Risikofaktoren
Am häufigsten werden unkomplizierte HWI verursacht durch Escherichia coli (E. coli), gefolgt von Staphylococcus saprophyticus, Klebsiella pneumoniae und Proteus mirabilis. Voraussetzungen für die Uropathogenität von Bakterien sind folgende Fähigkeiten: das Adhärenzvermögen an Oberflächengewebe des Harntraktes und die dortige Überlebens- und Vermehrungsfähigkeit. Einer der wichtigsten Pathogenitätsmechanismen von E. coli ist es, an mannosylierten Proteinen, sogenannten Uroplakinen des Blasenepithels, anzuhaften. In der Regel entstammen uropathogene Keime der körpereigenen analen bzw. anovaginalen Flora des betroffenen Individuums und nicht etwa der einer anderen Person.
Besonderheiten bei Frauen
Die enge anatomische Nähe zwischen Anus und Introitus vaginae mit der Harnröhrenmündung prädisponieren Frauen für HWI. Als Risikofaktoren für HWI bei Frauen gelten: zeitnaher Geschlechtsverkehr, Gebrauch von Diaphragmen oder Spermiziden, HWI in der Anamnese, jugendliches Alter bei erstem HWI (jünger als 15 Jahre) und HWI in der Familienanamnese. Zudem nimmt durch den Östrogenmangel in der Postmenopause die Schutzfunktion der Döderlein-Flora ab, die für eine Ansäuerung des vaginalen Milieus verantwortlich ist. Der vaginale pH-Wert steigt dann häufig von etwa 4,4 bis 4,7 in der Prämenopause auf über 5,0 an, und es kann zu Fehlbesiedlungen kommen. Ebenso bestehen altersabhängig vermehrt Problematiken wie Genitalsenkungen, Restharn und Inkontinenz. Die Schwangerschaft stellt in Bezug auf HWI ebenfalls eine vulnerable Phase dar. Durch die Zunahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR) kommt es zu einer Harndilution mit der Folge einer geringeren Konzentration HWI-präventiver Uromukide. Zudem ist durch eine Progesteron-bedingte Weitstellung des oberen Harntraktes eine Erreger-Aszension begünstigt, und mechanische Obstruktionen durch den Uterus erschweren den Urinabfluss. Es bestehen auch Hinweise auf vermehrte Komplikationen bei Bakteriurie.
Besonderheiten bei Männern
Der bei Männern trockene Meatus urethrae, die lange Urethra und die Distanz vom Anus zum Meatus erschweren beim Mann die Entstehung von HWI. Kommt es dennoch zu einem HWI, muss auch das mögliche Vorliegen einer Prostatitis berücksichtigt werden. Bei Beschwerden des unteren Harntraktes muss auch eine Urethritis als sexuell übertragbare Infektion erwogen werden. Risikofaktoren für einen HWI bei jungen Männern ohne besondere Begleiterkrankungen sind unter anderem eine Phimose und Geschlechtsverkehr.
Besonderheiten bei geriatrischen Patienten
Geriatrische Patienten stellen eine besonders vulnerable Patientengruppe dar. Häufig bestehen Multimorbidität und mehrere Risikofaktoren für HWI und deren Komplikationen. HWI-Symptome können sich in dieser Gruppe atypisch äußern, und unter Umständen ist die Erhebung der Eigenanamnese deutlich eingeschränkt. Zudem kommen suprapubische oder transurethrale Dauerkatheter öfter vor. In manchen Situationen kann auch die korrekte Uringewinnung zur Diagnostik schwierig sein.
HWI-Symptome
Klinisch äußert sich ein unterer HWI typischerweise durch Schmerzen und Brennen beim Wasserlassen (Algurie), Pollakisurie, durch imperativen Harndrang und Schmerzen oberhalb der Symphyse. Tritt zudem Fieber über 38 °C und/oder ein Flankenschmerz/klopfschmerzhaftes Nierenlager auf, muss von einem oberen HWI ausgegangen werden. Bei geriatrischen Patienten gilt es auch, atypische und indirekte Symptome zu beachten, wie die Veränderung der Vigilanz und der Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme. Zudem muss bereits bei geringeren Temperaturerhöhungen eine Pyelonephritis erwogen werden.
Diagnose und Behandlung
Allgemein
Eine Maximaldiagnostik an unselektierten Patienten ist weder ökonomisch noch praktikabel, zudem ist der unkritische Einsatz von Antibiotika mit sogenannten „Kollateralschäden” für das Individuum und die Gesellschaft verbunden, vor allem hinsichtlich der Beförderung von Resistenzen. Die Leitlinie sieht daher unterschiedliche diagnostische Maßnahmen und Behandlungsstrategien vor, je nach Art des vorliegenden HWIs und der Risikogruppe, der der Patient zugeordnet ist. Der Goldstandard zur Diagnose eines HWIs stellt die Anamnese und eine Urinuntersuchung mit quantitativer Urinkultur dar, wobei in gewissen Konstellationen eine Anamnese ausreichend sein kann. Urinstreifentests sind insgesamt störanfällig und daher in ihrer Aussagekraft beschränkt. Der Untersucher muss sich dieser Limitationen im Klaren sein. Zur Probengewinnung bei indizierter Urindiagnostik gelten folgende Empfehlungen: Mit Wasser den Meatus urethrae der Frau bzw. Glans penis des Mannes waschen, bei Frauen Labien spreizen und Mittelstrahlurin verwenden. Bei Urinkatheterträgern ist der Urin auf keinen Fall aus dem Ablaufbeutel, sondern an einem speziell dafür vorgesehenen Punktionsfeld oberhalb des Urinbeutels steril abzunehmen. Eine weitere Option ist es, einen neuen Katheter zu legen und den frisch ablaufenden Urin zu gewinnen oder – besonders bei fieberhaften Infekten – auf Blutkulturen auszuweichen. Nach Probengewinnung ist der Urin bis zu 24 Stunden verwendbar, sofern eine direkte Kühlung (2 bis 8 °C) erfolgt ist. Die nachgewiesene Erregerzahl kann dann jedoch verändert sein.
Unkomplizierte Zystitis der prämenopausalen Frau
Präsentiert sich eine prämenopausale Frau ohne funktionelle oder anatomische Risikofaktoren, ohne Niereninsuffizienz und relevante Nebenerkrankungen oder Differenzialdiagnosen (Standardgruppe) mit Symptomen einer Zystitis (ohne Fieber und Flankenschmerz), kann von einem unkomplizierten unteren HWI ausgegangen werden. Nach Leitlinie muss in diesem Fall eine Anamnese durchgeführt werden. Abgefragt werden: HWI-typische Symptome (Schmerzen beim Wasserlassen, Pollakisurie, Nykturie, vorhandene oder vermehrte Inkontinenz/imperativer Harndrang, Makrohämaturie, suprapubischer Schmerz, Trübung des Urins, Geruch des Urins), Fieber/Schüttelfrost, allgemeines Krankheitsgefühl, die eigene Vermutung, an einem HWI zu leiden, aber auch zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung von gynäkologischen Krankheitsbildern, vaginale Beschwerden (auffälliger Fluor vaginalis, vaginales Brennen oder Jucken). Werden Letztere verneint, ist keine weitere Diagnostik notwendig. Bei Erstmanifestation oder Erstvorstellung der Patientin kann ggf. eine symptombezogene ärztliche Untersuchung erfolgen. Die Behandlung zielt auf das Abklingen der klinischen Symptome in kurzer Zeit ab. In Bezug auf die Therapieoptionen sollte die Patientin aufgeklärt werden, dass HWI selbstlimitierend sein können. Es sollte eine antibiotische Therapie empfohlen und als Alternative dazu eine nicht antibiotische Strategie erwogen werden. Durch eine partizipative Entscheidungsfindung sollte das weitere Prozedere festgelegt werden. Präparate, die bei einer nicht antibiotischen Therapie jeweils zum Einsatz kommen können, sind: Ibuprofen, Diclofenac oder die Phytopräparate Uva Ursi (Bärentraubenblätterextrakt), BNO 1045 (Kombination aus Rosmarin, Tausendgüldenkraut und Liebstöckel). Antibiotika der ersten Wahl sind (alphabetisch gelistet): Fosfomycin-Trometamol, Nitrofurantoin, Nitrofurantoin RT, Nitroxolin, Pivmecillinam, die sehr niedrige Resistenzraten u. a. für E. coli aufweisen. Die Wahl des Antibiotikums sollte vor allem die zu erwartenden Eradikationsraten, Kollateralschäden, unerwünschten Arzneimittelwirkungen, klinisch relevanten Endpunkte und das Risiko der Patientengruppe berücksichtigen. Nicht als Mittel der ersten Wahl gelten: Fluorchinolone, Cefpodoxim-Proxetil und Cotrimoxazol. Wird eine Symptomfreiheit erreicht, ist keine Kontrolle erforderlich. Ist dies innerhalb von zwei Wochen jedoch nicht der Fall, sind eine mangelnde Adhärenz, resistente Erreger oder unerkannte Risikofaktoren mögliche Gründe. Vor einer weiteren Therapie sind daher eine Aufklärung und Untersuchung der Patientin, eine Urinuntersuchung mit Kultur und ggf. ein Wechsel des Antibiotikums notwendig.
Charakteristika der Antibiotika der ersten Wahl
Fosfomycin
Fosfomycin ist chemisch gesehen ein Analogon des Phosphoenolpyruvates, das ein essenzielles Substrat der bakteriellen Zellwandsynthese ist. Ohne zur Gruppe der Penicilline zu gehören, ist Fosfomycin somit ebenfalls ein Inhibitor der Zellwandsynthese. Resistenzen gegen Fosfomycin sind möglich, aber selten. Zur HWI-Behandlung wird Fosfomycin 3 g als Einmalgabe verwendet. Fosfomycin sollte in ausreichendem Abstand zu Mahlzeiten eingenommen werden. Es gilt auch zu beachten, dass eine übermäßige Trinkmenge das Präparat verdünnt und in seiner Wirkung abschwächen kann. Das Nebenwirkungsprofil von Fosfomycin ist günstig. Vor allem können aufgrund intestinaler Wirkungen Übelkeit und Diarrhö auftreten. Auch Kopfschmerzen und Schwindel sind möglich. Eine Überempfindlichkeit auf Fosfomycin und eine eingeschränkte Nierenfunktion mit einer Kreatinin-Clearance unter 20 ml/min stellen Kontraindikationen dar.
Nitrofurantoin
Das Nitrofurantoin gehört zur Stoffgruppe der Nitrofurane. In Bakterien entstehen Metabolite von Nitrofurantoin, die diverse zelltoxische Wirkungen in Bakterien bedingen, u. a. DNA-Strangbrüche. Es besteht nur eine geringe Resistenzentwicklung gegen das Antibiotikum. Einige Bakterien wie z. B. Pseudomonas aeruginosa sind bekanntlich resistent gegen Nitrofurantoin. Zur HWI-Behandlung wird retardiertes Nitrofurantoin zweimal täglich 100 mg über fünf Tage oder bei nicht retardierter Formulierung viermal täglich 50 mg über sieben Tage verabreicht. Die Einnahme sollte zur Vermeidung einer zu schnellen Anflutung mit vermehrt unerwünschten Wirkungen wie Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit während oder nach einer Mahlzeit mit etwas Flüssigkeit erfolgen. Die meisten Nebenwirkungen, insbesondere Nebenwirkungen an der Lunge, wie die interstitielle Pneumonie und Lungenfibrose, sind in der Regel nur mit einer längeren Therapiedauer assoziiert. Bei Patienten mit anamnestisch bekannter Lebererkrankung ist eine Kontrolle der Transaminasen durchzuführen. Eine Überempfindlichkeit gegen Nitrofurantoin, eine Niereninsuffizienz mit einer GFR unter 45 ml/min, Oligurie, Anurie, pathologische Leberenzymwerte, ein Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel, eine Polyneuropathie und das dritte Schwangerschaftstrimester (Gefahr einer hämolytischen Anämie des Kindes) sind laut Fachinformation Kontraindikationen für Nitrofurantoin.
Nitroxolin
Nitroxolin gehört zur Gruppe der Hydroxychinoline. Es ist ein Chelator, der mit verschiedenen zweiwertigen Ionen stabile Komplexe bildet. Der antibakterielle Wirkmechanismus beruht wahrscheinlich auf der Bildung von Komplexen mit Ionen, die für Mikroorganismen essenziell sind. Vor allem Magnesium und Mangan stehen dadurch dem bakteriellen Stoffwechsel nicht mehr zur Verfügung. Nitroxolin hat ein breites Wirkspektrum, das Mykoplasmen und Candida Spezies einschließt. Klinisch sehr bedeutsam ist, dass Nitroxolin Biofilme degradieren kann. Gerade in der Urologie kann dies bei Vorhandensein von Kathetern, Doppel-J-Schienen und Nierenfistelkathetern eine wichtige Rolle in der Infektbehandlung spielen. Die übliche Dosierung besteht aus drei Kapseln von 250 mg täglich über fünf Tage. Ein ausreichender Essabstand ist einzuhalten. Ziel ist es, dadurch eine schnelle Resorption und hohe initiale Wirkstoffkonzentrationen im Urin zu erreichen. Aufgrund des Wirkmechanismus ist eine gleichzeitige Magnesiumsubstitution nicht sinnvoll. Das Nebenwirkungsspektrum von Nitroxolin ist ausgesprochen günstig. Es bestehen keine „sehr” häufigen Nebenwirkungen. Häufig können Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö auftreten und gelegentlich bis selten Müdigkeit und Kopfschmerzen. Nitroxolin ist kontraindiziert bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff Nitroxolin und Sojaöl. Letzteres wird für die Weichkapselformulierung verwendet. Weitere Kontraindikationen sind schwere Leber- oder Nierenfunktionsstörungen (GFR <30 ml/min).
Pivmecillinam
Pivmecillinam ist ein Penicillin. Es stellt ein Prodrug dar, das besser resorbiert werden kann als der daraus entstehende Wirkstoff, das Mecillinam. Mecillinam ist ein Inhibitor der Zellwandbiosynthese und wirkt vor allem gegen gramnegative Keime. Dies ist der wesentliche Grund, weshalb es in der Urologie zur Behandlung der unkomplizierten Zystitis verwendet werden kann. Das Nebenwirkungsprofil ist günstig; es können aber vor allem gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit und Diarrhö auftreten. Dies ist auf den nicht resorbierten Anteil und dessen Wirkung auf das gastrointestinale Mikrobiom zurückzuführen. Es kann zu vaginalen Pilzinfektionen und zu seltenen Nebenwirkungen, wie anaphylaktischen Reaktionen und Allergien, kommen. Hervorzuheben ist, dass bei einer eingeschränkten GFR keine Dosisanpassung nötig ist. Pivmecillinam wird dreimal täglich in einer Dosierung von 400 mg über drei Tage verabreicht. Alternativ sind auch dreimal 200 mg über sieben Tage möglich. Die Einnahme zu den Mahlzeiten ist möglich und muss in aufrechter Position mit mindestens einem halben Glas Flüssigkeit erfolgen. Kontraindikationen sind die Überempfindlichkeit gegen Penicilline und Chephalosporine, Stoffwechselstörungen, wie Carnitin-Transporter-Defekte oder eine organische Azidurie. Zudem sind auch Grunderkrankungen zu beachten, die die Passage durch die Speiseröhre beeinträchtigten könnten, da Penicilline bei zu langer Einwirkzeit schleimhauttoxisch wirken.
Unkomplizierte Pyelonephritis der prämenopausalen Frau
Zur Diagnose der akuten unkomplizierten Pyelonephritis bei nicht schwangeren Frauen ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen erfolgt die Anamnese wie oben beschrieben. Darüber hinaus ist eine körperliche Untersuchung und Urindiagnostik (Mittelstrahlurin) mit Kultur durchzuführen. Je nach klinischem Befund sind laborchemische Untersuchungen im Blut erforderlich (Blutbild, Kreatinin/eGFR [geschätzte GFR] und CRP [C-reaktives Protein]). Zur Abklärung, ob komplizierende Faktoren vorliegen, sollte auch eine weitergehende Diagnostik (z. B. mittels Sonografie) durchgeführt werden. Für die weitere Therapie ist es wichtig, einzuschätzen, ob es sich um eine milde, mittelschwere oder schwere Verlaufsform handelt. Systemische Begleiterscheinungen, wie Übelkeit, Erbrechen oder Kreislaufinstabilität, und stark veränderte Laborparameter sprechen für einen schweren Verlauf. Milde und mittelschwere Verläufe sollten mit einer oralen Antibiose behandelt werden. Bei schweren Infektionen hingegen ist eine parenterale Antibiose mit einer hohen Startdosis angezeigt. Bei der Wahl des Antibiotikums sollten auch hier vor allem die zu erwartenden Eradikationsraten, Kollateralschäden, unerwünschte Arzneimittelwirkungen, klinisch relevante Endpunkte und das Risiko der Patientengruppe berücksichtigt werden. Bei unkompliziertem klinischen Verlauf einer milden oder mittelschweren Pyelonephritis sollte sich die antibiotische Behandlung über fünf bis zehn Tage erstrecken. Als Antibiotika können dabei (alphabetische Reihenfolge) Cefpodoxim, Ciprofloxacin und Levofloxacin eingesetzt werden. Liegt eine schwere Verlaufsform mit systemischen Begleiterscheinungen vor, kommen folgende Präparate als erste Wahl infrage (alphabetische Reihenfolge): Cefotaxim, Ceftriaxon, Ciprofloxacin, Levofloxacin; als Mittel der zweiten Wahl (in alphabetischer Reihenfolge): Amikacin, Cefepim, Ceftazidim, Ertapenem, Gentamicin, Imipenem/Cilastatin, Meropenem, Piperacillin/Tazobactam, Temocillin. Die Reserveantibiotika Ceftazidim/Avibactam, Ceftolozan/Tazobactam, Cefiderocol, Imipenem/Relebactam sollen nur in begründeten Ausnahmefällen verwendet werden. Bei der akuten unkomplizierten Pyelonephritis gilt es, eine wirksame Antibiotikatherapie zügig zu beginnen.
Rezidivierende HWI bei prämenopausalen nicht schwangeren Frauen
Bei nicht schwangeren Patientinnen in der Prämenopause ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen mit rezidivierenden HWI ist eine Urinkultur und eine Sonografie durchzuführen. Auf eine invasive Diagnostik sollte verzichtet werden. Vor jeder medikamentösen Langzeitprophylaxe sollte eine eingehende Beratung der Betroffenen mit Aufklärung über Risikofaktoren und Verhalten erfolgen. Das Risiko für HWI kann erhöht werden durch eine Flüssigkeitszufuhr unter 1,5 l pro Tag, Adipositas mit einem BMI über 30, Obstipation, eine sitzende Tätigkeit von über 2 Stunden pro Tag, Urineinhalten, sexuelle Aktivität, Analverkehr, der Gebrauch von Intravaginal-Ovula bzw. mit Spermiziden (Nonoxynol-9) beschichtete Diaphragmen oder von Kondomen und Intrauterinspiralen, Unterkühlung und übertriebene Intimhygiene. Auch das Pressen bei der Blasenentleerung, eine falsche Abwischtechnik und das nicht zeitnahe Urinieren nach Geschlechtsverkehr werden als Risikofaktoren diskutiert. Vor dem Ansetzen einer antibiotischen Prophylaxe sollte zudem ein Behandlungsversuch mit dem oralen Immunprophylaktikum OM-89 über drei Monate angeboten werden (Ia-Evidenzlevel in der Leitlinie). Eine weitere alternative prophylaktische Therapieoption ist D-Mannose, das als Nahrungsergänzungsmittel eingenommen werden kann. Als Wirkmechanismus wird vermutet, dass die zugeführte Mannose Bindungsstellen an den Fimbrien von E. coli besetzt, sodass die Adhäsion des Erregers an mannosylierten Oberflächenproteinen des Urothels reduziert ist und dieser leichter aus der Blase ausgespült wird. Die klinische Studienlage ist allerdings schwach. Fraglich ist auch die Effektivität von Cranberry und Moosbeeren. Zudem ist zu beachten, dass Cranberry als Cytochrom-Induktor wirken kann und damit den Abbau einer Fülle von Cytochrom-Substraten beschleunigt und deren Wirksamkeit daher abschwächt. Eine weitere Substanz ist Methenamin Hippurat, das im sauren Urin Formaldehyd abspaltet und dadurch antibakteriell wirken kann. Inwieweit die Substanz sicher zur Langzeitprophylaxe eingesetzt werden sollte, ist noch unklar. Es besteht auch die Möglichkeit, den Harn mit Methionin anzusäuern. Die Behandlung wird von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen. Zu bedenken ist hierbei, dass eine Behandlung mit Methionin zu einem Anstieg von Homocystein führen kann, das als möglicher Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse, Depression und Demenz diskutiert wird. Sollten eine Verhaltensänderung nach Beratung und weitere nicht antibiotische Behandlungsversuche fehlgeschlagen sein, sollte der Patientin bei hohem Leidensdruck eine durchgängige antibiotische Langzeitprävention über drei bis sechs Monate angeboten werden. Stehen die rezidivierenden Zystitiden im zeitlichen Zusammenhang mit Geschlechtsverkehr, kann auch eine postkoitale Einmalprävention versucht werden. Eine weitere Alternative ist bei guter Adhärenz auch die selbstinitiierte leitliniengerechte Antibiotikatherapie. Zur antibiotischen Langzeitprävention sind insbesondere folgende Präparate und Regimes geeignet: Fosfomycin-Trometamol 3 g alle zehn Tage, Nitrofurantoin 50 mg einmal täglich, Nitrofurantoin 100 mg einmal täglich, Trimethoprim 100 mg einmal täglich, Cotrimoxazol 40/200 mg einmal täglich, Cotrimoxazol 40/200 mg dreimal/Woche, Cefaclor 250 mg einmal täglich.
Unkomplizierter unterer HWI in der Schwangerschaft
Eine akute unkomplizierte Zystitis bei Schwangeren ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen wird durch eine Anamnese und darüber hinaus mit einer Urinuntersuchung einschließlich Kultur festgestellt. Die Anamnese richtet sich nach den Empfehlungen, die bei prämenopausalen, nicht schwangeren Frauen beschrieben sind (siehe oben). Aufgrund der durch die Schwangerschaft begünstigten Erreger-Aszension mit Gefahr einer Pyelonephritis ist die Zystitis antibiotisch zu behandeln. Das Erregerspektrum ist vergleichbar mit dem von nicht schwangeren Frauen mit unkomplizierter Zystitis. Zur Behandlung können Penicilline, Cephalosporine oder Fosfomycin-Trometamol zum Einsatz kommen (siehe auch Informationen auf www.Embryotox.de). Der Erfolg der Behandlung, im Sinne einer Eradikation der Erreger, ist im Anschluss durch eine Urinkultur zu kontrollieren.
Pyelonephritis in der Schwangerschaft
Die Diagnose der akuten unkomplizierten Pyelonephritis bei Schwangeren ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen kann nach den Maßgaben für die Standardgruppe erfolgen. Unabdinglich ist eine körperliche Untersuchung, die Bestimmung eines Blutbildes, von Kreatinin/eGFR und CRP sowie eine Urinuntersuchung mit Kultur. Zudem müssen die Nieren und Harnwege durch eine Ultraschalluntersuchung beurteilt werden. Eine kalkulierte Antibiose bei Pyelonephritis sollte bei Schwangeren mit Cephalosporine der Gruppe 3 erfolgen. Der Erfolg der Behandlung ist auch hier im Anschluss durch eine Urinkultur zu kontrollieren.
Rezidivierende HWI in der Schwangerschaft
Insgesamt erfolgt die Diagnose und Behandlung von rezidivierenden HWI von Schwangeren ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen wie bei prämenopausalen Frauen der Standardgruppe mit rezidivierenden HWI. Eine wichtige Einschränkung besteht darin, dass lediglich Maßnahmen zulässig sind, die nicht fruchtschädigend und mit der Schwangerschaft vereinbar sind.
Unkomplizierter unterer HWI der postmenopausalen Frau
In Bezug auf Anamnese, Diagnostik und Behandlung kann bei der akuten unkomplizierten Zystitis der postmenopausalen nicht geriatrischen Frau ohne relevante Begleiterkrankungen wie in der Standardgruppe vorgegangen werden. Eine symptombezogene ärztliche Untersuchung sollte ggf. bei Erstmanifestation und bei der Erstvorstellung einer unbekannten Patientin erfolgen.
Pyelonephritis der postmenopausalen Frau
Bei Verdacht auf eine unkomplizierte Pyelonephritis erfolgt die Anamnese nach der Richtlinie für die Standardgruppe. Es sollen ebenfalls eine körperliche Untersuchung und Urindiagnostik mit Kultur erfolgen, darüber hinaus auch nach klinischem Befund eine Bestimmung des Blutbildes, von Kreatinin/eGFR, CRP und ein Ausschluss komplizierender Faktoren z. B. mittels Ultraschalluntersuchung. Es ist einzuordnen, ob eine milde, mittelschwere oder schwere Verlaufsform vorliegt. Aufgrund des Mangels an Studien mit dem Fokus auf Pyelonephritis in dieser Patientengruppe orientiert sich die Behandlung an den Empfehlungen aus der Standardgruppe.
Rezidivierende HWI in der Postmenopause
Postmenopausale Patientinnen ohne relevante Begleiterkrankungen sollten bei rezidivierenden HWI diagnostisch eine Urinkultur und eine Ultraschalluntersuchung erhalten. Eine invasive Diagnostik sollte nicht durchgeführt werden. Die Präventionsstrategien können aus der Standardgruppe übernommen werden. Darüber hinaus sollte bei der postmenopausalen Frau mit Nachweis einer vaginalen Atrophie z. B. durch eine Scheiden-pH-Wertmessung jedoch auch eine hormonelle vaginale Behandlung mit 0,5 mg Estriol/Tag angeboten werden, bevor eine antibiotische Langzeitbehandlung angesetzt wird.
Jüngere Männer und HWI
Eine HWI-Diagnostik bei jüngeren Männern ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen sieht neben der Anamnese eine routinemäßige körperliche Untersuchung und eine Urinuntersuchung mit Kultur vor. Differenzialdiagnostisch sind eine Urethritis und Prostatabeteiligung zu bedenken und ggf. entsprechend abzuklären. Eine orale antibiotische Therapie der akuten Zystitis bei jüngeren Männern sollte mit Pivmecillinam oder Nitrofurantoin erfolgen.
Pyelonephritis jüngerer Männer
Insbesondere bei fieberhaften Harnwegsinfekten muss bei Männern neben einer Pyelonephritis an eine Prostatitis gedacht werden, da in über 90 % der Fälle die Prostata beteiligt ist. Klinisch entspricht dies einem Anstieg des Prostata-spezifischen Antigens (PSA) und einer Prostataschwellung in der digital rektalen Untersuchung. Anamnestisch sind daher Beschwerden wie Beckenschmerzen und Blasenentleerungsstörungen mit Harnträufeln und Harnstottern zu berücksichtigen. Eine gefährliche Komplikation einer Prostatitis ist ein Prostataabszess. Es sollte eine fachärztliche Abklärung erfolgen. Bei der empirischen oralen Therapie der milden und mittelschweren akuten unkomplizierten Pyelonephritis bei jüngeren Männern sind Fluorchinolone wie z. B. Ciprofloxacin einzusetzen, wenn eine lokale E. coli-Resistenzrate von unter 10 % angenommen werden kann. Die Therapie sollte abhängig vom Antibiotikum und dem klinischen Verlauf zwei Wochen dauern.
Rezidivierende HWI jüngerer Männer
Rezidivierend verlaufende HWI erfordern bei jüngeren Männern eine ausführliche urologische Abklärung. Die Studienlage zu nicht antibiotischen und antibiotischen Präventionsstrategien für diese Patientengruppe ist mangelhaft, und evidenzbasierte Empfehlungen sind daher nicht abzuleiten.
Diabetes mellitus, stabile Stoffwechsellage und Zystitis
Bei Frauen mit Diabetes mellitus ohne relevante Begleiterkrankungen und einer stabilen Stoffwechsellage sollte bei typischen Hinweisen auf eine akute Zystitis eine unkomplizierte Infektion angenommen werden. Männer mit einem Diabetes mellitus mit stabiler Stoffwechsellage ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen sollten bei Zystitis wie ihre männliche Vergleichsgruppe ohne Diabetes mellitus untersucht und behandelt werden. Voraussetzung ist, dass eine Pyelonephritis und ein komplizierter HWI unwahrscheinlich sind.
Diabetes mellitus, stabile Stoffwechsellage und Pyelonephritis
Bei einer akuten unkomplizierten Pyelonephritis bei Frauen mit Diabetes mellitus ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen mit stabiler Stoffwechsellage erfolgt die Anamnese, eine körperliche Untersuchung und laborchemische Urin- und Blutuntersuchung und apparative Diagnostik in Anlehnung an die Empfehlungen für Frauen der entsprechenden Altersgruppe ohne Diabetes mellitus. Für Männer gilt Entsprechendes. Ein Screening auf eine asymptomatische Bakteriurie sollte nicht erfolgen.
Rezidivierende HWI bei Diabetes mellitus mit stabiler Stoffwechsellage
Bei weiblichen Patientinnen mit Diabetes mellitus kann sich die Behandlung an den Maßnahmen orientieren, die für prämenopausale Frauen oder ggf. postmenopausale Frauen ohne relevante Begleiterkrankungen etabliert sind. Für Männer gilt Entsprechendes.
Geriatrische Patienten und HWI
Die Diagnose eines HWIs sollte bei geriatrischen Patienten nicht allein auf einem Urinstreifentest basieren. Das Vorliegen einer HWI-typischen Symptomatik, unspezifischer Symptome, mikrobiologischer und laborchemischer Befunde sollen berücksichtigt werden. In Abwesenheit von komplizierenden Faktoren können akute Zystitiden wie in anderen Patientengruppen des gleichen Geschlechtes behandelt werden. Zur Pyelonephritis erteilt die Leitlinie in dieser Patientengruppe keine Empfehlungen.
Rezidivierende HWI bei geriatrischen Patienten
Die präventiven Strategien für Zystitiden können sich für geriatrische Frauen im Wesentlichen an denen von postmenopausalen Frauen ohne wesentliche Begleiterkrankungen orientieren. Trimethoprim, Trimethoprim/Sulfamethoxazol oder Nitrofurantoin können in niedriger Dosierung geriatrischen Patientinnen zur Langzeitprävention verordnet werden. Dabei sind Kontraindikationen zu berücksichtigen und unerwünschte Arzneimittelwirkungen regelmäßig zu evaluieren. Für geriatrische Männer bestehen keine verlässlichen Daten. Eine Antibiotikaprophylaxe bei Blasendauerkatheterträgern ist nicht empfohlen.
Asymptomatische Bakteriurie
Wie bereits erwähnt, wird die beschwerdefreie Bakteriurie nicht zu den Harnwegsinfekten gezählt. Eine Keimeradikation ist nur dann empfohlen, wenn die Bakteriurie per se einen bedeutenden Risikofaktor für bestimmte Komplikationen darstellt. Dies ist der Fall bei Schwangeren und geplanten Urothel-penetrierenden Eingriffen. Ein generelles Screening von Schwangeren wird jedoch nicht empfohlen. Bei bekannter Bakteriurie von Schwangeren ist eine Keimeradikation mit schwangerschaftskompatiblen Antibiotika durchzuführen. Im Zusammenhang mit penetrierenden urologischen Eingriffen besteht das Risiko einer Bakteriämie und Sepsis. Eine Keimeradikation nach Antibiogramm ist hier daher ebenfalls angezeigt.
Arzneimittelnebenwirkungen am Harntrakt
Gerade bei geriatrischen Patienten ist eine Polypharmazie häufig. Die Verschreibungsindikationen sind manchmal zu wenig hinterfragt, und Wechselwirkungen und unerwünschte Wirkungen der Präparate oft schwer nachzuvollziehen und einzuschätzen. Häufig besteht auch eine „Multiiatrogenität”, bei der verschiedene Fachärzte einen geriatrischen Patienten medikamentös ohne exakte Kenntnis der Interaktionen ihrer Medikation mit der der Kollegen behandeln. In der Beurteilung und der Behandlung von HWI sollte jedoch berücksichtigt werden, dass auch eine harntraktferne Medikation erhebliche Nebenwirkungen am Harntrakt entfalten kann und der Patient ggf. von einer medikamentösen Anpassung profitiert. Auf www.harntrakt.de (auch als freie App zugänglich) ist eine Zusammenstellung auf Basis von Datenbankrecherchen von Präparaten zu finden, die zu bestimmten Symptomen am Harntrakt führen können, einschließlich einer Risikobewertung durch eine Expertengruppe auf einer Skala von 1 bis 7 (1 : minimales Risiko, 7 : höchstes Risiko). Unter Restharn sind beispielsweise 110 Substanzen gelistet, die diesen begünstigen können, mit zugehöriger Risikobewertung. Andernorts stehen auch Listen zur Verfügung, die in Bezug auf Harntrakteffekte gewisser Substanzgruppen wie Anticholinergika eingehen, jedoch mit weniger klarer Risikobewertung der Einzelpräparate.
Fallbeispiele
Rezidivierender HWI bei 50-jähriger Frau
Vorinformation
Eine 50-jährige Patientin stellt sich erneut ärztlich vor mit Symptomen eines unteren HWIs, einhergehend mit einem klaren Leidensdruck. Bereits vor drei Monaten litt sie unter einem HWI und dann wieder vor 14 Tagen. In beiden Episoden erhielt die Patientin eine Einmalgabe Fosfomycin 3 mg. Nach der zweiten Gabe wurde nur noch eine Beschwerdelinderung erzielt, jedoch keine Beschwerdefreiheit. Die Beschwerden sind aktuell wieder zunehmend. Als Vorerkrankung besteht ein Typ-2-Diabetes. Unter Metformin ist der Blutglukosespiegel gut eingestellt. Es liegen keine weiteren Vorerkrankungen vor.
Beurteilung und Prozedere
Für das weitere Vorgehen wird der HWI der Patientin zunächst auf Basis der Vorbefunde eingeordnet: Es handelt sich am ehesten um einen ambulant erworbenen rezidivierenden unteren HWI, der einer weiteren diagnostischen Abklärung bedarf. Sonografisch lässt sich bei dieser Patientin ein Harnstein als komplizierender Faktor nachweisen. Therapeutisch ist nun zunächst eine Steinsanierung indiziert, gefolgt von einer antibiotischen Behandlung nach Antibiogramm.
Bakteriurie bei 75-jähriger Heimbewohnerin
Vorinformation
Aufgrund eines übelriechenden Urins und eines Nitrit-positiven Streifentests wurde eine 75-jährige Heimbewohnerin 14 Tage lang mit Cotrimoxazol behandelt. HWI-typische Beschwerden lagen nicht vor, auch keine weiteren wesentlichen Auffälligkeiten. Insbesondere bestanden keine Pollakisurie, keine Dysurie und keine Hämaturie. Nach dieser Therapie persistierte der üble Uringeruch, und auch der Streifentest war weiter Nitrit-positiv. Es erfolgte eine erneute Antibiose, diesmal mit dem Breitbandantibiotikum Ciprofloxacin. Daraufhin normalisiert sich der Uringeruch.
Beurteilung und Prozedere
Der Urinbefund der Patientin in Abwesenheit von HWI-typischen Symptomen sollte als asymptomatische Bakteriurie eingestuft werden. Es sind bei der Patientin des Weiteren keine Harnwegsanomalien bekannt, und es bestehen keine Hinweise auf ein Delir oder atypische Beschwerden. Gemäß der Leitlinie sollte die Bakteriurie in diesem Fall nicht behandelt werden. Es kann auch auf weitere Diagnostik, wie das Anlegen einer Urinkultur, verzichtet werden.
Erster HWI einer jungen Frau
Vorinformation
Eine junge Frau stellt sich ärztlich vor mit erstmals aufgetretenen typischen Symptomen eines HWIs: Unterleibsschmerzen, Pollakisurie und Schmerzen beim Wasserlassen. Die Beschwerden begannen nach dem Besuch eines Musikfestivals. Die Patientin hat keine wesentlichen Vorerkrankungen. Es erfolgte bereits eine Selbstbehandlung mit einem frei verkäuflichen „Nierentee“.
Beurteilung und Prozedere
Die Patientin ist prämenopausal, nicht schwanger und hat keine besonderen Risikofaktoren. Die Infektion ist ambulant erworben. In diesem Fall kann man sich auf eine Anamnese beschränken. Eine weitere Diagnostik ist nicht notwendig.
Im Rahmen einer partizipativen Entscheidungsfindung sollte die Patientin darüber aufgeklärt werden, dass manche HWI selbstlimitierend sind. Es kann eine symptomatische Behandlung angeboten werden, ein Behandlungsversuch mit Bärentraubenblätterextrakt oder dem Kombinationspräparat BNO 1045 oder eine antibiotische Behandlung mit einem der vier Präparaten der ersten Wahl: Fosfomycin, Nitrofurantoin, Nitroxolin oder Pivmecillinam.
Alternative Fallkonstellation
Sollte diese junge Frau auch Flankenschmerzen (mit klopfschmerzhaftem Nierenlager) und Fieber über 38 °C haben, muss von einem zusätzlichen oberen HWI ausgegangen werden. Die Anamnese allein ist in diesem Fall nicht ausreichend. Es muss eine Urindiagnostik mit Kultur durchgeführt werden. Des Weiteren muss der Allgemeinzustand beurteilt und die Leukozytenzahl und das CRP bestimmt werden, zur Abschätzung des Schweregrades des Infektes. Je nach Schwere der Infektion und nach dem Allgemeinzustand muss entschieden werden, ob eine ambulante orale antibiotische Behandlung mit einem Cephalosporin oder einem Chinolon ausreichend ist oder eine intravenöse stationäre Behandlung mit Ceftriaxon, Cefotaxim oder einem Gyrasehemmer nötig ist.
75-jähriger Mann mit HWI-typischen Symptomen und Fieber
Vorinformation
Ein 75-Jähriger leidet unter den Symptomen eines HWIs. Das Wasserlassen ist ihm nur schwer möglich, und er hat den Eindruck, seine Blase werde nicht mehr ganz leer. Der Allgemeinzustand des Patienten ist reduziert, er hat Fieber und Schmerzen. Es bestehen folgende Vorerkrankungen: KHK, COPD, ein metastasiertes, antiandrogen behandeltes Prostatakarzinom.
Beurteilung und Prozedere
Es handelt sich um einen multimorbiden geriatrischen Patienten mit Fieber. Es bestehen HWI-typische, aber auch atypische Symptome. Differenzialdiagnostisch muss bei HWI-Symptomen in Kombination mit Fieber beim Mann immer auch an eine Prostatitis gedacht werden. Bei der digitalen rektalen Untersuchung ist die Prostata auffällig weich und druckdolent. Der PSA-Wert liegt im dreistelligen Bereich hinweisend auf eine Prostatitis. Eine rektale Sonografie ergibt einen Prostataabszess. Der Abszess muss operativ behandelt werden, es sind eine parenterale Antibiose und ein suprapubischer Katheter notwendig. Ein transurethraler Katheter könnte durch Druck auf den Infektionsherd eine lebensbedrohliche Bakteriämie mit Sepsis begünstigen.
Geriatrische Heimbewohnerin mit Fieber
Vorinformation
Eine geriatrische Heimbewohnerin leidet unter hohem Fieber (40 °C). Nach einem Sturz im Treppenhaus wurde sie von einem Nachbarn aufgefunden. Sie ist exsikkiert, verwirrt und der Blutdruck niedrig. Die Patientin wurde vom Rettungsdienst in die Notaufnahme gebracht.
Beurteilung und Prozedere
Diese Patientin hat mutmaßlich nicht nur eine Pyelonephritis, sondern es könnte bereits eine Urosepsis vorliegen. Das Kollabieren im Treppenhaus, die Hypotonie und das Delir deuten auf eine Sepsis hin. In diesem Fall wurde eine Obstruktion des rechten Harnleiters durch einen Harnstein gefunden. Die exakte Diagnose lautet damit obstruktive Pyelonephritis mit Urosepsis. Ziel der Behandlung ist es, den Abfluss mit einer Harnleiterschiene wiederherzustellen und die Sepsis mit einer Breitbandantibiose zum Abklingen zu bringen.
Junge Frau mit rezidivierenden HWI
Vorinformation
Eine junge Frau erleidet drei- bis viermal pro Jahr Zystitiden im Zusammenhang mit Geschlechtsverkehr. Selbstbehandlungsversuche mit Phytopharmaka und D-Mannose waren nicht zielführend. Es erfolgten daher mehrmals Behandlungen mit Fosfomycin ohne Urindiagnostik.
Beurteilung und Prozedere
Es handelt sich um rezidivierende Zystitiden einer prämenopausalen Frau ohne Begleiterkrankungen. Es sind nun eine Anamnese, eine Urindiagnostik mit Kultur und eine Ultraschalluntersuchung erforderlich. Zunächst gilt es nun, einen akuten HWI gänzlich und nachweislich mit antibiotischer Keimeradikation nach Antibiogramm zum Abklingen zu bringen. Zudem muss das Vorliegen von Risikofaktoren geprüft werden. In manchen Fällen kann eine gewöhnliche Ultraschalluntersuchung nicht weitreichend genug sein, dann sind beispielsweise auch über die Empfehlung der Leitlinie hinausgehend eine Untersuchung der Harnblasenfunktion oder eine Zystoskopie notwendig. Bei Letzterer könnte sich das Bild einer sogenannten Cystitis cystica zeigen, das am ehesten auf eine chronische Entzündung hinweist. In diesem Fall wurde ein infiziertes Harnröhrendivertikel entdeckt, das operativ erfolgreich behandelt wurde.
Fazit
- Harnwegsinfekte zählen zu den häufigsten Infektionskrankheiten und betreffen vor allem Frauen und geriatrische Patienten.
- In der neuen S3-Leitlinie erhält die nicht antibiotische Behandlung unkomplizierter Harnwegsinfekte einen höheren Stellenwert.
- Bei nicht rezidivierenden, unkomplizierten Harnwegsinfekten prämenopausaler, ansonsten gesunder Frauen sind eine Anamnese ausreichend und eine weiterführende Diagnostik nicht erforderlich.
- Eine Bakteriurie wird in der Regel nicht weiter abgeklärt oder behandelt. Ausnahmen hierzu sind das Vorliegen einer Schwangerschaft oder geplante invasive Eingriffe mit dem Risiko einer Urothel-Penetration.
- Bei Harnwegsbeschwerden und Fieber muss bei männlichen Patienten eine Prostatitis erwogen werden.
- Medikationsnebenwirkungen sollten als potenzielle Risikofaktoren für Harnwegsbeschwerden berücksichtigt werden.
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