Einleitung
Die diabetische Neuropathie stellt nach wie vor eine große Herausforderung in der Praxis dar – sowohl aus diagnostischer als auch aus therapeutischer Sicht. Definitionsgemäß umfasst sie eine Vielzahl von klinischen Manifestationen am peripheren oder autonomen Nervensystem, die im Rahmen des Diabetes mellitus auftreten und auf keine anderen Ursachen einer peripheren Neuropathie zurückzuführen sind. Die klinische Bedeutung der diabetischen Neuropathie wird nach wie vor unterschätzt. Verschiedene Daten weisen darauf hin, dass das Neuropathie-Screening in der allgemeinmedizinischen Praxis nicht hinreichend in Anspruch genommen wird. Daher wurde 2013 die nationale Aufklärungsinitiative „Diabetes! Hören Sie auf Ihre Füße?” (www.nai-diabetische-neuropathie.de) ins Leben gerufen und in diesem Rahmen die PROTECT-Studie durchgeführt, an der 1850 Personen mit und ohne Diabetes teilgenommen haben. Die Teilnehmer wurden von einem Podologen mithilfe von Screening-Tests wie der Stimmgabel zur Messung der Vibrationsempfindung, dem Monofilament zur Bestimmung der Druckempfindung und dem sog. TipTherm zur Messung der Temperatursensibilität auf das Vorliegen einer distal symmetrischen sensomotorischen Polyneuropathie (DSPN) untersucht, die die häufigste Form der diabetischen Neuropathie darstellt. Zusätzlich erfassten die Podologen typische neuropathische Symptome wie Schmerzen, Parästhesien oder Taubheitsgefühl. Von den Teilnehmern mit Typ-2-Diabetes, bei denen eine schmerzhafte DSPN festgestellt wurde, antworteten 57 %, bei ihnen sei bisher keine Neuropathie diagnostiziert worden. Bei Teilnehmern mit schmerzloser DSPN traf dies sogar auf 82 % zu. Es ergab sich demnach eine sehr hohe Dunkelziffer von 70 % einer zuvor nicht diagnostizierten DSPN bei Patienten mit Typ-2-Diabetes. Bei den Teilnehmern mit Typ-1-Diabetes war der Anteil jeweils etwas geringer. Die höchste Dunkelziffer ließ sich bei den Teilnehmern feststellen, bei denen kein Diabetes bekannt war. Ähnlich sah es bei der Therapie aus. Im Rahmen einer Nachbefragung der Teilnehmer der PROTECT-Studie berichtete ein Drittel der Befragten mit Typ-2-Diabetes und neuropathischen Symptomen, sie würden gegen diese Beschwerden keine Pharmakotherapie erhalten. Die DSPN wird demnach häufig nicht diagnostiziert und auch nicht hinreichend therapiert.
Erhöhte Morbidität und Mortalität
Die Unterdiagnose und Untertherapie der DSPN bestehen, obwohl neuropathische Defizite wie Reduktion oder Verlust der Berührungs-, Druck- oder Vibrationsempfindung eindeutige Prädiktoren für die Entstehung von neuropathischen Fußulzera darstellen. Diese wiederum sind für die massiv erhöhte Häufigkeit von Krankenhausaufenthalten, Pflegebedürftigkeit, Arbeitsunfähigkeit und deren Kosten und auch für die häufigeren Amputationen an den unteren Extremitäten bei Diabetespatienten verantwortlich. Somit erhöht die DSPN das Risiko für schwere und potenziell lebensbedrohliche Fußkomplikationen. Darüber hinaus erhöht die DSPN das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Myokardinfarkt oder koronare Herzkrankheit (KHK) und für die Mortalität der Betroffenen. So hatten in der NHANES-Untersuchung (NHANES: National Health and Nutrition Examination Survey) die Teilnehmer ohne Diabetes und ohne DSPN die beste Prognose. Bei alleinigem Vorliegen eines Diabetes verschlechterte sich die Überlebenswahrscheinlichkeit und bei alleiniger DSPN nahm sie noch stärker ab. Am höchsten war die Sterblichkeit bei Menschen mit Diabetes und DSPN.
Früherkennung ist wichtig
Aufgrund dieser alarmierenden Zahlen ist die Früherkennung der DSPN äußerst wichtig. Mithilfe einfacher Screening-Tests sollte bereits frühzeitig nach Hinweisen auf eine DSPN gesucht werden, um rechtzeitig eine Therapie einleiten zu können. Bei der Untersuchung kommt es vor allem darauf an, möglichst standardisiert vorzugehen und genau zu wissen, wie die gewonnenen Daten einzuordnen sind, um die DSPN klinisch korrekt zu diagnostizieren. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft empfiehlt in ihren Praxisleitlinien, diese einfache neurologische Untersuchung bei jeder Person mit Diabetes mindestens einmal jährlich vorzunehmen.
Distal symmetrische sensomotorische Polyneuropathie
Die DSPN ist die häufigste Form der diabetischen Neuropathie – sie ist etwa für drei Viertel aller Neuropathien bei Diabetespatienten verantwortlich. Gemäß der Definition der amerikanischen Diabetesgesellschaft ist vom Vorliegen einer DSPN auszugehen, wenn Menschen mit Diabetes Symptome und/oder Zeichen der peripheren Nervendysfunktion aufweisen und andere Ursachen ausgeschlossen wurden. Etwa 13 bis 26 % der Patienten mit Diabetes entwickeln eine schmerzhafte DSPN. Die Charakteristika der Schmerzen können sehr unterschiedlich sein. Sie werden von den Betroffenen beispielsweise als stechend, brennend oder einschießend beschrieben. Zu weiteren typischen Symptomen der DSNP gehören Missempfindungen in den Füßen wie Kribbeln oder Taubheitsgefühl. Bei bis zu 50 % der Betroffenen mit DSPN kann diese aber auch asymptomatisch sein. Bei der schmerzlosen Form besteht vor allem die Gefahr, dass sich durch unbemerkte Verletzungen Fußulzera oder auch Charcot-Füße ausbilden, was bis hin zur gefürchteten Amputation führen kann. Aufgrund der neuropathischen Schmerzen, aber auch aufgrund der schmerzlosen Fußulzera, kann die DSPN die Lebensqualität erheblich einschränken. Bestimmte Faktoren prädisponieren für die Entstehung der schmerzhaften Form. Diese tritt häufiger bei Frauen, bei bevorzugtem Befall der kleinen Fasern und in Verbindung mit höherem Schweregrad der DSPN auf. Auch inflammatorische Prozesse, Mutationen der Natriumkanäle und regenerative Vorgänge am Nerven können bei der Schmerzentstehung eine Rolle spielen.
Risikofaktoren und Ursachen
Zu den wichtigen Risikofaktoren für das Auftreten einer diabetischen Neuropathie gehören das Alter, die Diabetesdauer, eine unzureichende Diabeteseinstellung und Übergewicht/Adipositas. Hinzu kommen mangelnde Bewegung sowie Hypertonie im Rahmen des metabolischen Syndroms, Nervengifte wie Nikotin und Alkohol und die Dyslipidämie. Komorbiditäten wie die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) und weitere mikro- und makromuskuläre Folgeschäden erhöhen das Risiko ebenfalls. Eine Neuropathie kann jedoch auch bereits im Stadium des Prädiabetes vorliegen, das heißt bei gestörter Nüchternglukose (IFG) und/oder gestörter Glukosetoleranz (IGT). Mehrere Studien weisen darauf hin, dass im Vergleich zu Gesunden eine erhöhte Prävalenz sowohl der DSPN als auch einer kardiovaskulären autonomen Neuropathie bei Prädiabetes besteht, v. a. bei gleichzeitigem Vorliegen einer IFG und IGT. Zu weiteren wichtigen möglichen Ursachen einer DSPN gehören – neben dem Alkoholabusus und der Niereninsuffizienz – auch ein Vitamin-B12-Mangel, eine Hypothyreose, entzündliche Prozesse und Paraproteinämien. Hinzu kommen eine Reihe von Metallen und Toxinen (z. B. Blei oder Quecksilber) sowie Medikamente (wie Nitrofurantoin oder Amiodaron). Doch selbst wenn all diese potenziellen Ursachen mithilfe der entsprechenden Diagnostik ausgeschlossen würden, bliebe bei einem Drittel der Neuropathien die Ursache weiterhin ungeklärt.
Drei Säulen der Therapie
Die Therapie der DSPN basiert auf folgenden drei Säulen: kausale Therapie, pathogenetisch begründete Therapie und Schmerztherapie. Bei der kausalen Therapie steht im Vordergrund, den ätiologischen Faktor Hyperglykämie durch eine möglichst normnahe Diabeteseinstellung auszuschalten. Es besteht jedoch Konsens, dass bei allen Diabetestypen Risikofaktoren für die Neuropathie (Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum) und assoziierte Begleiterkrankungen (Nephropathie, Retinopathie, KHK, pAVK, Hypertonie, viszerale Adipositas, Dyslipidämie) erfasst und therapiert (initial durch Lebensstilmodifikation) werden müssen. Hinzu kommt die pathogenetisch begründete Therapie, die sich von der Pathogenese der Neuropathie ableitet. Diese kann sowohl der Nervenschädigung als auch den Symptomen entgegenwirken. Hier gehört zu den offenen Fragen, ob diese Therapie präventiv wirkt und wie lange sie erfolgen sollte. Bei der schmerzhaften Form der DSPN kommt häufig eine symptomatische Schmerztherapie zum Einsatz, die die Schmerzen reduzieren und so die Lebensqualität des Patienten erhalten soll. Bei den meisten hier verwendeten Pharmaka kommen Nebenwirkungen vor, insbesondere im Bereich des Zentralnervensystems wie Somnolenz oder Schwindel, die sich als therapielimitierend erweisen können.
Kausale Therapie
Typ-1-Diabetes
Für Patienten mit Typ-1-Diabetes zeigte die DCCT/EDIC-Studie präventive Effekte einer intensiven im Vergleich zur konventionellen Insulintherapie auf die DSPN. Am Ende der randomisierten Interventionsphase (DCCT) lag bei 9 % (intensivierte Therapie) vs. 17 % (konventionelle Therapie) der Teilnehmer eine bestätigte DSPN vor, nach einer Beobachtungsphase von 13 bis 14 Jahren (EDIC) war der Anteil in beiden Gruppen gestiegen (25 % vs. 35 %). Die Daten zeigen, dass sich die Entwicklung der DSPN zwar aufhalten, aber nicht vollständig verhindern lässt. Selbst bei sehr schwerer, fortgeschrittener DSPN kann eine kausale Therapie zu einer Besserung beitragen. Nach simultaner Pankreas-/Nierentransplantation nahm die Faserdichte der Hornhaut in der Kornea-Mikroskopie in der transplantierten Gruppe gegenüber Studienbeginn im Gegensatz zur Kontrollgruppe ohne Transplantation signifikant zu. Der Anstieg war bereits nach einem Jahr zu beobachten und hielt bis zu drei Jahren an. Nach zwei Jahren war in der transplantierten Gruppe zudem eine Besserung der Nervenleitgeschwindigkeit und nach drei Jahren eine Reduktion der neuropathischen Symptome zu beobachten.
Typ-2-Diabetes
Beim Typ-2-Diabetes sind die Daten zur Prävention der DSPN durch eine kausale Therapie nicht eindeutig. In der Look-AHEAD-Studie schnitten Typ-2-Diabetespatienten mit Übergewicht oder Adipositas, die eine intensive Lebensstilintervention erhielten, über einen Zeitraum von zwölf Jahren bei jährlichen Befragungen zu neuropathischen Symptomen mit dem MNSI-Fragebogen (MNSI: Michigan Neuropathy Screening Instrument) punktuell besser ab als die Gruppe ohne diese Intervention. Bei neuropathischen Defiziten (MNSI-Untersuchung) am Ende der Studie zeigte sich jedoch kein Unterschied zwischen beiden Gruppen bezüglich der Anteile der Teilnehmer mit DSPN (67,4 % bzw. 67,8 %). Ähnliches gilt für die Effekte der intensiven Diabetestherapie beim Typ-2- Diabetes. In den großen bekannten Studien, beispielsweise UKPDS, ADVANCE, ACCORD und Steno-Typ-2, zeigten sich bei klinischen Endpunkten, der Nervenleitgeschwindigkeit oder Vibrationsempfindung, von punktuellen Ausnahmen abgesehen, keine wesentlichen Effekte der intensiven Diabetestherapie.
Pathogenetische Therapie
Die zweite Säule der Therapie leitet sich aus der komplexen Pathogenese der diabetischen Neuropathie ab. Sie soll krankheitsmodifizierend in die verschiedenen Pathomechanismen eingreifen, um neuropathische Defizite und Symptome langfristig zu beheben. Bei der diabetischen Neuropathie spielen neben der Hyperglykämie weitere Faktoren eine ursächliche Rolle, etwa Dyslipidämie, Insulinresistenz, vor allem beim Typ-2-Diabetes, inflammatorische Prozesse und Carbonyl-Stress durch Methylglyoxal als hochreaktive Vorstufe der fortgeschrittenen glykierten Endprodukte (Advanced Glycation Endproducts, AGE). Ein zentraler Pathomechanismus ist nach diesem Konzept die Überproduktion von Superoxid durch die mitochondriale Elektronentransportkette. Sie führt zu oxidativem Stress, der über verschiedene Stoffwechselwege die Nerven schädigt. In diesen Pathomechanismus können mehrere Wirkstoffe eingreifen:
- Alpha-Liponsäure, ein Antioxidans, reduziert den oxidativen Stress.
- Benfotiamin, eine fettlösliche Vorstufe von Thiamin (Vitamin B1), hemmt pathogene Stoffwechselwege einschließlich der Bildung von AGE.
- Actovegin hemmt die Poly-Adenosindiphosphat-Ribose-Polymerase, ist jedoch in Deutschland nicht zugelassen.
Alpha-Liponsäure
Für Alpha-Liponsäure liegt die höchste Evidenz in Form von zahlreichen Metaanalysen vor. Eine Metaanalyse zeigte beispielsweise eine gute Wirksamkeit von oral und intravenös verabreichter Alpha-Liponsäure in verschiedenen Dosierungen (oral: 600, 1200 oder 1800 mg pro Tag; intravenös: 600 oder 1200 mg pro Tag), ermittelt anhand des Total Symptom Scores (TSS), der die wichtigsten Symptome wie Taubheitsgefühl, Parästhesien, Schmerzen und Brennen erfasst. In der NATHAN-1-Studie zeigten sich ebenfalls positive Effekte von Alpha-Liponsäure bei Patienten mit milder bis moderater, nahezu asymptomatischer DSPN. So hatte sich nach vier Jahren unter täglich 600 mg Alpha-Liponsäure im Vergleich zu Placebo bei deutlich mehr Patienten eine Verbesserung der neuropathischen Defizite eingestellt. Diese war definiert als eine Abnahme des Neuropathy Impairment Scores der unteren Extremitäten (NIS-LL) um mindestens zwei Punkte. Zugleich war der Anteil der Patienten, bei denen sich die Defizite verschlechtert hatten (Zunahme des NIS-LL um ≥2 Punkte), unter Placebo höher als unter Alpha-Liponsäure. Da der Unterschied nach zwei Jahren noch nicht nachzuweisen war, ist bei der Alpha-Liponsäure eine langfristige Anwendung notwendig, um neuropathische Defizite günstig zu beeinflussen. Gemäß einer Post-hoc-Analyse der Studie war die Wirksamkeit von Alpha-Liponsäure besonders gut bei Patienten, bei denen der Diabetes oder die DSPN bereits länger bestand und die Diabeteseinstellung schlechter war.
Benfotiamin
Auch zur Wirksamkeit von Benfotiamin liegen mehrere Studien vor. Die Gabe des fettlöslichen Thiamin-Prodrugs erzielt deutlich höhere Spiegel im Plasma, im Blut und in den Erythrozyten als die Gabe von Thiamin (Vitamin B1). Sowohl bei Patienten mit Typ-1- als auch bei denen mit Typ-2-Diabetes wurden aufgrund einer erhöhten Thiamin-Clearance erniedrigte Thiamin-Plasmaspiegel im Vergleich zu Gesunden nachgewiesen. Durch Gabe von Benfotiamin können über die Aktivierung des Thiamin-abhängigen Enzyms Transketolase pathogene Glukosestoffwechselwege, wie die Bildung von AGE, gehemmt werden. In der wichtigsten Studie, der BENDIP-Studie, konnten mit Benfotiamin in einer Dosierung von zweimal 300 mg täglich im Vergleich zu Placebo innerhalb von sechs Wochen die neuropathischen Symptome gebessert werden. Die Vorteile der Behandlung mit Benfotiamin und Alpha-Liponsäure liegen auch darin, dass sie nebenwirkungsarm sind und unter langfristiger Therapie ein gutes Sicherheitsprofil aufweisen.
Schmerztherapie
Die dritte Säule ist die symptomatische Schmerztherapie, die wie die anderen beiden Säulen nicht nur auf einen Rückgang der Schmerzintensität, sondern auch auf die Verbesserung der Lebensqualität und Funktionalität abzielt. Die Messung der Schmerzintensität erfolgt üblicherweise mit einer numerischen Schmerz- Rating-Skala (NRS) von 0 bis 10, wobei ein therapierelevanter Schmerz i. d. R. bei ungefähr 4 beginnt. Bei einem Score von 1 oder 2 ist hingegen in der Regel noch keine analgetische Therapie notwendig, es sei denn, es besteht eine Einschränkung der Lebensqualität. In der Therapie der schmerzhaften DSPN gibt es mehrere Herausforderungen: Erstens wird die Titration bis zur optimalen Wirkdosis häufig durch dosisabhängige Nebenwirkungen erschwert. Zweitens lässt sich nur bei etwa der Hälfte der Patienten mit einer Einzelsubstanz eine mindestens 50 %ige Schmerzreduktion erreichen, sodass häufig Kombinationstherapien nötig sind. Und drittens betrug die Therapiedauer in kontrollierten Studien zur Wirksamkeit von Analgetika bei schmerzhafter DSPN nicht länger als drei Monate, sodass kaum Daten zur Langzeitanwendung verfügbar sind. Zu den Mitteln der ersten Wahl gehören der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitor (SNRI) Duloxetin, die Antikonvulsiva Pregabalin und Gabapentin sowie trizyklische Antidepressiva. Allerdings berichtete ein umfassendes systematisches Review, die Evidenz für deren Wirksamkeit in dieser Indikation sei mit Ausnahme von Duloxetin relativ gering. Zur Wirksamkeit von Pregabalin, das zu den bei schmerzhafter DSPN am häufigsten eingesetzten Substanzen gehört, existieren beispielsweise gemäß einer Metaanalyse 15 placebokontrollierte Studien. Sieben dieser Studien zeigten eine Überlegenheit gegenüber Placebo, die übrigen acht jedoch nicht, sodass die Autoren von einer relativ niedrigen Evidenzstärke für Pregabalin ausgehen. Dass bei unzureichendem Ansprechen auf die Monotherapie eine Kombinationsbehandlung sinnvoll sein kann, zeigte eine randomisierte, doppelblinde Cross-over-Studie: Pregabalin kombiniert mit dem trizyklischen Antidepressivum Imipramin war effektiver als die beiden jeweiligen Monotherapien und als Placebo. Vor dem Hintergrund der teils unzureichenden Wirksamkeit der vorgestellten Substanzen stellen neue Ansätze für die Behandlung der schmerzhaften DSPN einen Fortschritt für die Betroffenen dar. So konnte in der STEP-Studie eine hochdosierte, lokale Therapie mit einem Capsaicin-Pflaster (8 %), das eine halbe Stunde einwirkte, im Vergleich zu einem Placebopflaster bei schmerzhafter DSPN den Schmerz in den Wochen zwei bis acht nach der Anwendung reduzieren. Der Effekt stellte sich bereits nach drei bis vier Wochen ein und hielt bis zu drei Monate an. Bei Persistenz der Schmerzen kann daher eine wiederholte Anwendung alle drei Monate notwendig sein.
Komorbiditäten berücksichtigen
Bei der Wahl der Wirkstoffe sind auch die Komorbiditäten und potenzielle Nebenwirkungen zu berücksichtigen. Haben Patienten mit schmerzhafter DSPN eine Depression, bieten sich beispielsweise Antidepressiva an. Das gilt ebenfalls bei komorbider generalisierter Angststörung, ergänzend zu den Gabapentinoiden. Ist der Patient hingegen adipös, sind andere, gewichtsneutrale Substanzklassen vorteilhafter. Bei Vorliegen einer koronaren Herzkrankheit oder einer autonomen Neuropathie sollten aufgrund ihrer Nebenwirkungen keine Trizyklika gegeben werden. Bei autonomer Neuropathie sind Opioide wegen der Verlangsamung der Magen-Darm-Passage ungünstig.
Therapiealgorithmus
Nach dem Therapiealgorithmus von Ziegler wird zunächst die klinische Diagnose der Neuropathie gestellt einschließlich der Abfrage von neuropathischen Symptomen und deren Ausprägung. Trotz der fehlenden Evidenz bei Typ-2-Diabetes, stellen die Lebensstilmodifikation und die Kontrolle insbesondere der kardiovaskulären Risikofaktoren die Basismaßnahmen in der Therapie der DSPN dar. Zudem sollten Komorbiditäten des Diabetes und potenzielle Arzneimittelinteraktionen berücksichtigt werden. Das weitere Vorgehen hängt von der Symptomatik ab. Bei asymptomatischer DSPN kann basierend auf den Ergebnissen der NATHAN-1-Studie eine pathogenetische Therapie mit Alpha-Liponsäure erfolgen. Bei Vorliegen von nicht schmerzhaften Symptomen wie Parästhesien oder Taubheitsgefühl sowie bei Vorliegen von Schmerzen kommen sowohl Alpha-Liponsäure als auch Benfotiamin in der pathogenetischen Therapie infrage. Eine symptomatische Schmerztherapie mit Analgetika ist lediglich bei schmerzhafter DSPN indiziert. Die analgetische Therapie der schmerzhaften DSPN erfolgt in drei Stufen: Mittel der ersten Wahl sind Duloxetin, Trizyklika und Gabapentinoide. Zu den Mitteln der zweiten Wahl gehören das Capsaicin-Pflaster (8 %) und schwache Opioide wie Tramadol. Wenngleich für Tilidin keine Studien bei schmerzhafter DSPN vorliegen, wird die Substanz in der Praxis eingesetzt, vor allem bei Unverträglichkeit von Tramadol. Starke Opioide werden u. a. aufgrund des Sucht- und Missbrauchpotenzials erst in der dritten Stufe und dann nur möglichst kurzfristig eingesetzt. Natriumkanalblocker wie Carbamazepin sind aufgrund der geringeren Wirksamkeit allenfalls nur Mittel der dritten Wahl. Bei unzureichendem Ansprechen der Monotherapie ist die Kombinationstherapie sinnvoll; die Ultima Ratio stellt die elektrische Rückenmarkstimulation dar. Auf jeder Stufe sollten ergänzend im Sinne eines multimodalen Ansatzes nicht pharmakologische Therapien berücksichtigt werden, da sie hilfreich sein können und in der Regel relativ wenig Nebenwirkungen haben. Hierzu gehören Nerven- oder Muskelstimulation, Koordinationstraining bei Paresen und Mononeuropathien, Akupunktur und eine psychologische Unterstützung.
Fazit
- Die DSPN ist keine Spät-, sondern eine Frühkomplikation des Diabetes, die häufig bereits beim Prädiabetes auftritt.
- Die Therapie der DSPN sollte immer im Rahmen eines multimodalen Konzeptes erfolgen.
- Sie beruht auf drei Säulen, bestehend aus der kausalen Therapie, der pathogenetisch begründeten Therapie und der symptomatischen Schmerztherapie.
- Die protektiven Effekte einer kausalen Therapie und normnahen Blutzuckereinstellung sind bei Typ-1-Diabetes bewiesen, bei Typ-2-Diabetes hingegen noch nicht.
- Die pathogenetisch orientierte Therapie hat zum Ziel, in die Pathomechanismen der DSPN einzugreifen und dadurch neuropathische Defizite und Symptome langfristig zu beheben.
- Bei der pharmakologischen Schmerztherapie kann bei unzureichendem Ansprechen der Monotherapie eine Kombinationstherapie sinnvoll sein.
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Bildnachweis
Marc Müller