Dekompensation bei chronischer HFrEF – der Beginn einer Abwärtsspirale?

Die Mortalität von Patienten mit einer chronischen Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (HFrEF) ist hoch und mit der von vielen Karzinomarten vergleichbar. Auch die Herzinsuffizienz ist eine progrediente Erkrankung und bei über 65-jährigen Menschen der häufigste Grund für eine Krankenhauseinweisung. Nach einer Dekompensation verstirbt die Hälfte der HFrEF-Patienten innerhalb von fünf Jahren. Mit jeder weiteren Dekompensation verschlechtert sich die Prognose der Patienten deutlich.

In den neuen ESC-Leitlinien zur Behandlung der HFrEF wird eine frühe und gleichberechtigte Kombination aller evidenzbasierten Therapieprinzipien innerhalb von vier Wochen empfohlen, wobei auch niedrige Dosierungen möglich sind. Das Ziel ist die Verhinderung von Krankenhausaufenthalten, eine Senkung der Mortalität und eine Verbesserung der Lebensqualität.

Vericiguat verringert bei HFrEF-Patienten nach einer Dekompensation zusätzlich zur Standardtherapie das Risiko für den kombinierten Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod oder erster Herzinsuffizienz-bedingter Hospitalisierung im Vergleich zur alleinigen Standardtherapie. Die Stimulation der löslichen Guanylatcyclase durch Vericiguat ergänzt die bisher genutzten Signalwege bei der leitliniengerechten Behandlung der Herzinsuffizienz.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709123087430014
Zeitraum 02.11.2023 - 01.11.2024
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte 2 Punkte (Kategorie D)
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof Dr. med. Johannes Ruef
Prof. Dr. med. Christoph Liebetrau
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Fachartikel
Lernmaterial Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner Bayer Vital GmbH
Bewertung 4.3 (489)

Einführung

Der demografische Wandel mit einer immer älter werdenden Bevölkerung führt dazu, dass die Anzahl der Patienten mit einer Herzinsuffizienz immer weiter zunimmt. Die Herzinsuffizienz ist bei Patienten im Alter über 65 Jahre bereits die häufigste Aufnahmediagnose in der Klinik. Trotz zahlreicher evidenzbasierter Therapieoptionen ist das Mortalitätsrisiko dieser Patienten nach wie vor hoch. Die Herz-Kreislauf-Erkrankungen liegen in der Statistik der Todesursachen noch vor den malignen Erkrankungen, und bei jedem dritten Fall handelt es sich um eine Herzinsuffizienz. Die Hälfte der Patienten mit einer HFrEF verstirbt innerhalb von fünf Jahren nach Diagnosestellung. Die Herzinsuffizienz ist eine progrediente Erkrankung, und trotz leitlinienbasierter Therapie treten bei den Patienten immer wieder kardiovaskuläre Dekompensationsereignisse auf, die einen Krankenhausaufenthalt notwendig machen. Das Risiko einer erneuten Hospitalisierung steigt im Krankheitsverlauf immer weiter an, und die Abstände zwischen den Krankenhausaufnahmen werden immer kleiner. Das Wissen um eine effektive Behandlung der Herzinsuffizienz hat in den letzten zehn Jahren rasant zugenommen. Die praktische Umsetzung stellt die Gesundheitssysteme allerdings vor große Herausforderungen.

Progrediente Erkrankung: Das Risiko steigt mit jeder Dekompensation

Nach der ersten Dekompensation erhöht jede weitere Dekompensation mit Krankenhauseinweisung und/oder einer notwendigen Gabe von intravenösen Diuretika das Risiko der Patienten und verschlechtert deren Prognose trotz einer leitliniengerecht durchgeführten Therapie. Betrug das mediane Überleben von Herzinsuffizienzpatienten nach der ersten durch eine Herzinsuffizienz bedingten Hospitalisierung (HFH) noch knapp 2,5 Jahre, lag es nach dem vierten Dekompensationsereignis nur noch bei gut einem halben Jahr. 56 % der Patienten wurden innerhalb von 30 Tagen nach der Verschlechterung einer Herzinsuffizienz erneut hospitalisiert, die Anzahl der durch eine Herzinsuffizienz bedingten Hospitalisierungen stieg im Zeitverlauf weiter an. Ein weiterer Punkt ist, dass neben der Mortalität auch die Lebensqualität der Patienten mit der Herzinsuffizienz deutlich eingeschränkt wird. Mit der zunehmenden Belastungsdyspnoe nimmt die Mobilität immer weiter ab.

Abwärtsspirale: Je kürzer der Abstand zur letzten Dekompensation, desto höher das Risiko

Eine Post-hoc-Analyse der PARADIGM-HF-Studie hat gezeigt, dass vor allem die Patienten mit einer HFrEF ein besonders hohes Risiko für einen kardiovaskulären Tod oder eine erneute durch Herzinsuffizienz bedingte Hospitalisierung haben, deren letzte stationäre Rekompensation erst kurze Zeit zurückliegt. Neuere Daten aus der DAPA-HF-Studie bestätigen diese Erkenntnisse eindrucksvoll. Von 4.744 Patienten in dieser Studie waren 2.251 (47,4 %) bereits zuvor wegen einer Herzinsuffizienz hospitalisiert und 1.301 (27,4 %) innerhalb der letzten zwölf Monate vor Studieneinschluss. Es kommt also darauf an, möglichst jede weitere Dekompensation zu verhindern. Dazu ist es notwendig – am besten bereits nach der ersten Dekompensation –, möglichst schnell eine effektive Therapie mit wirksamen Dosierungen einzuleiten.

Problem mit vielen Ursachen: Die Behandlung der HFrEF ist in vielen Fällen unzureichend

Trotz der Vorteile einer leitliniengerechten medikamentösen Therapie erhalten die meisten Patienten in der realen Welt keine optimale medizinische Therapie. Neueste Daten aus dem schwedischen Herzinsuffizienzregister zeigen, dass 7 % der insgesamt 17.809 ambulanten Patienten im Zeitraum zwischen 2000 und 2018 weder mit einem ACE-Hemmer, einem Angiotensin-Rezeptorblocker noch mit einem Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor (ARNI) behandelt wurden. Auch bei der Betablockade, der Medikation mit der breitesten Evidenzbasis zur Behandlung der Herzinsuffizienz, lag der Anteil der nicht behandelten schwedischen Registerpatienten bei 7 %. Bei vielen Patienten mit einer bekannten HFrEF unter Real-World-Bedingungen ist das Dekompensationsrisiko nach wie vor hoch, weil sie nicht leitliniengerecht behandelt werden.

Selbst mit vier Basismedikamenten bleibt ein Restrisiko

Die sogenannten „fantastic four” zur Basistherapie der Herzinsuffizienz, also Betablocker, Natrium-Glucose-Cotransporter-2-Inhibitor (SGLT2i), Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor (ARNI) und Mineralokortikoid-Rezeptorantagonist (MRA) sind in den Leitlinien etabliert. Alle Wirkstoffe sprechen unterschiedliche pharmakologische Signalwege an, was ein hohes synergistisches Potenzial für die Kombinationstherapie mit sich bringt. Dennoch zeigen klinische Studien, wie zum Beispiel die DAPA-HF-Studie, dass selbst bei einer Vierfachkombination immer noch ein Restrisiko bei 14,3 % der Patienten bleibt, die im Beobachtungszeitraum ein primäres Ereignis erleben. Auch die EMPEROR-Reduced-Studie zeigte mit einer Vierfachkombination einen großen Effekt bei der Senkung der durch eine Herzinsuffizienz bedingten Hospitalisierung, dennoch blieb auch hier ein Restrisiko bestehen. In beiden Studien wurden allerdings nicht exklusiv HFrEF-Patienten nach einer vorherigen Dekompensation eingeschlossen, die somit ein besonders hohes Dekompensationsrisiko haben. Wie kann die Therapie weiter verbessert werden? Ein neuer Ansatz besteht darin, diese Hochrisikopatienten zu identifizieren und die Therapie mit einem neuen, fünften Signalweg zu optimieren.

Vericiguat: Eine neue Behandlungsoption bei Patienten mit HFrEF und hohem Dekompensationsrisiko

Durch die endotheliale Dysfunktion bei der Herzinsuffizienz wird NO nicht in ausreichender Menge zur Verfügung gestellt. Dadurch kommt es zu einer unzureichenden Aktivierung der löslichen Guanylatcyclase, was negative Auswirkungen auf die Konzentration des für viele Funktionen im Körper wichtigen Botenstoffes zyklisches Guanosin-Monophosphat (cGMP) hat. Weiterhin kommt es zu einer Reihe von pathologischen Veränderungen wie der Versteifung und Verdickung des Herzmuskels, zum Remodeling und zur Arterienverengung. Vericiguat stimuliert die lösliche Guanylatcyclase, wodurch die intrazelluläre cGMP-Konzentration wieder ansteigt. Dadurch hat Vericiguat das Potenzial, die pathophysiologischen Mechanismen bei der Herzinsuffizienz günstig zu beeinflussen. Die Wirksamkeit dieses neuen Therapieansatzes konnte in mehreren Phase-I- und Phase-II-Studien erfolgreich bestätigt werden und wurde anschließend in der VICTORIA-Studie an einer größeren Hochrisikopopulation nach einer kürzlichen Dekompensation geprüft, deren Herzinsuffizienz bereits leitlinienbasiert behandelt wurde. Die Anfangsdosierung von Vericiguat beträgt 2,5 mg/Tag und sollte im Verlauf alle zwei Wochen bis auf die Zieldosis von 10 mg/Tag verdoppelt werden, sofern der Patient dies verträgt. Vericiguat ist unabhängig von der bereits bestehenden Herzinsuffizienzmedikation wirksam.

xVICTORIA-Studie: Neue Evidenz bei Patienten mit HFrEF und hohem Dekompensationsrisiko

In die VICTORIA-Studie wurden insgesamt 5.050 Patienten mit einer chronischen Herzinsuffizienz (NYHA II bis IV) und einer linksventrikulären Ejektionsfraktion <45 % eingeschlossen, die innerhalb der letzten sechs Monate wegen einer Dekompensation („worsening heart failure event”) entweder hospitalisiert oder innerhalb der letzten drei Monate intravenös mit Diuretika behandelt wurden. Die Studie wurde von Anfang an so konzipiert, dass HFrEF-Patienten mit einem besonders hohen Dekompensationsrisiko eingeschlossen wurden. Alle Patienten waren vor Studienbeginn leitliniengerecht therapiert, hatten einen systolischen Blutdruck von mindestens 100 mmHg, für mindestens 24 Stunden keinerlei i. v. Behandlungen, eine eGFR von mindestens 15 ml/min/1,73 m2, NT-proBNP-Spiegel von mindestens 1.000 pg/ml (bei Vorhofflimmern mindestens 1.600 pg/ml) und wurden 1 : 1 auf Vericiguat oder Placebo randomisiert. Es gab keine Run-in-Phase, und die Vericiguat-Dosis wurde stufenweise von 2,5 mg auf maximal 10 mg pro Tag erhöht. Ein relevanter Anteil der Patienten hatte eine sehr schlechte Nierenfunktion. Die in der VICTORIA-Studie untersuchte Klientel unterscheidet sich von den chronisch stabilen Patienten in anderen Herzinsuffizienzstudien wie PARADIGM-HF, DAPA-HF, EMPEROR-Reduced und GALACTIC-HF dadurch, dass hier vor Einschluss in die Studie ein Dekompensationsereignis mindestens innerhalb der letzten sechs Monate vorliegen musste. Das Patientenkollektiv der VICTORIA-Studie unterscheidet sich somit von anderen genannten Endpunktstudien. Die rekrutierten Patienten waren schwerer krank und hatten ein sehr hohes Dekompensationsrisiko. 83 % der Patienten hatten im letzten Quartal vor der Rekrutierung eine durch Herzinsuffizienz bedingte Hospitalisierung oder eine intravenöse Diuretikatherapie; der mediane NT-proBNP-Wert lag bei 2.816 pg/ml (im Vergleich dazu bei DAPA-HF 1428 pg/ml und bei EMPEROR-Reduced 1.887 pg/ml). Der kombinierte primäre Endpunkt der VICTORIA-Studie war die Zeit bis zum ersten Auftreten von kardiovaskulärem Tod (CV-Tod) oder durch Herzinsuffizienz bedingter Hospitalisierung (HFH). Sekundäre Endpunkte waren CV-Tod, HFH, Gesamtzahl der HFH, Tod jeglicher Ursache und die Kombination aus HFH oder Tod jeglicher Ursache. Die Zieldosis wurde nach etwa zwölf Monaten bei 89,2 % der mit Vericiguat behandelten Patienten und bei 91,4 % der mit Placebo behandelten Patienten erreicht. Die mediane Behandlungsdauer für die Beurteilung des primären Endpunktes betrug 10,8 Monate. Die absolute Risikoreduktion (ARR) des primären Endpunktes durch Vericiguat im Vergleich zu Placebo on top zu einer leitliniengerechten Basistherapie war statistisch signifikant und lag bei 4,2 %/100 Patientenjahre (p = 0,02). Die jährliche NNT betrug 24. Bei der Auswertung der sekundären Endpunkte war die Reduktion der Gesamtzahl der HFH und der Kombination aus erster HFH oder Tod jeglicher Ursache durch Vericiguat signifikant. Im Vergleich zu den Outcome-Daten anderer neuer Herzinsuffizienzstudien befindet sich die VICTORIA-Studie in einem sehr guten Umfeld: PARADIGM-HF mit Sacubitril-Valsartan erreichte eine ARR von 2,7 % und eine NNT von 39, die SGLT2i-Studien DAPA-HF und EMPEROR-Reduced waren mit ARR 4,0 und 5,2 sowie NNT von 25 und 19 erfolgreich, und in der GALACTIC-HF-Studie mit dem Myosin-Aktivator Omecamtiv-Mecarbil wurde eine ARR von 2,1 % und mit 48 die höchste NNT dokumentiert. Bei den unerwünschten Wirkungen waren die Inzidenzraten in der VICTORIA- Studie bis auf eine Anämie (7,6 % unter Vericiguat und 5,7 % unter Placebo) zwischen Vericiguat und Placebo vergleichbar. Auch bei den Profilen der unerwünschten Wirkungen gab es keine Unterschiede. Ein sehr wichtiges Kriterium bei den Hochrisikopatienten mit einer fortgeschrittenen HFrEF ist die Veränderung des systolischen Blutdruckes, weil eine zu starke Senkung den therapeutischen Spielraum deutlich einschränkt. Vor allem die Basismedikamente Betablocker, Sacubitril/Valsartan und ACE-Hemmer führen zu einer Blutdrucksenkung. In der VICTORIA-Studie kam es zum frühen Zeitpunkt der Titrationsphase sowohl unter Vericiguat als auch unter Placebo zu einer geringfügigen Blutdrucksenkung im Bereich von 1 bis 1,5 mmHg. Der Unterschied war nicht signifikant. Mit zunehmender Beobachtungsdauer wurden keine weiteren relevanten Blutdrucksenkungen mehr beobachtet. Das gilt auch für besonders vulnerable Patienten mit einem Alter über 75 Jahre, einem systolischen Blutdruck unter 110 mmHg oder einer gleichzeitigen Behandlung mit Sacubitril/Valsartan. Vericiguat führt weder zu einem signifikanten Anstieg von symptomatischen Hypotonien noch zu Veränderungen der Herzfrequenz. Die Ergebnisse in Bezug auf Synkopen waren bei den Patienten in der Verum- und der Placebogruppe vergleichbar. Auch bei der Entwicklung der geschätzten glomerulären Filtrationsrate gab es in der VICTORIA-Studie keine Unterschiede zwischen den zusätzlich mit Vericiguat und Placebo behandelten Patienten. Patienten bis zu einer eGFR von 15 ml/min/1,73 m2 können mit Vericiguat behandelt werden, ohne dass es zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion oder relevanten Veränderungen der Serumnatrium- und Kaliumspiegel kommt.

VICTORIA-Studie: Outcome in Abhängigkeit vom NT-proBNP-Wert

Bei den Patienten der VICTORIA-Studie, die innerhalb der letzten drei Monate vor Randomisierung eine durch Herzinsuffizienz bedingte Hospitalisierung hatten, lag der mittlere NT-proBNP-Wert bei Randomisierung bei 3.111 pg/ml in der Vericiguat-Gruppe und bei 3.029 pg/ml in der Placebogruppe. Diese Werte waren höher als in anderen Studien, in denen Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz untersucht wurden, 41 % der Patienten hatten eine Herzinsuffizienz mit der NYHA-Klasse III und IV, 67 % hatten eine durch Herzinsuffizienz bedingte Hospitalisierung (HFH) innerhalb der letzten drei Monate vor Studienbeginn; 53 % hatten eine eGFR <60 ml/min/1,73 m2. Alle drei Subgruppen der Index-Hospitalisierung, also HFH innerhalb von drei Monaten, HFH vor drei bis sechs Monaten und HF-Verschlechterung bei ambulanten Patienten, profitierten signifikant von der zusätzlichen Gabe von Vericiguat zur bestehenden leitlinienbasierten Herzinsuffizienztherapie. Die Post-hoc-Auswertung des primären kombinierten Endpunktes – abhängig von den Baseline-Konzentrationen für NT-proBNP – zeigte jedoch Unterschiede auf. Bei Patienten mit einem NT-proBNP von unter 8.000 pg/ml bei Einschluss in die Studie betrug die absolute Risikoreduktion 5,4 % (HR = 0,85; KI: 0,76–0,95). Bei dieser Subgruppe war auch die Risikoreduktion für den sekundären Endpunkt kardiovaskulärer Tod signifikant. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass die Behandlung mit Vericiguat Grenzen hat. Bei „end stage”-Patienten mit einer schweren Herzinsuffizienz mit einem NT-proBNP von >8.000 pg/ml sind die Erfolgsaussichten deutlich geringer.

Update der Guidelines zur Therapie der Herzinsuffizienz

Die wichtigste Änderung in den neuen ESC-Leitlinien betrifft die Therapie der Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion. Es geht jetzt nicht mehr nur darum, wenige Basismedikamente in historischer Reihenfolge und in möglichst hoher Dosis zu nehmen, sondern darum, alle evidenzbasiert prognoseverbessernden Medikamente möglichst von Anfang an gleichzeitig einzusetzen und dabei gegebenenfalls auch mit niedrigen Dosierungen zu arbeiten. Durch den parallelen Einsatz mehrerer gleichberechtigter Wirkmechanismen werden mehrere Signalwege gleichzeitig blockiert. Dadurch kann das Therapieziel schneller erreicht werden. Ziel ist eine individualisierte Therapie der Herzinsuffizienz. ACE-Hemmer, ARNI, Betablocker, Mineralokortikoid-Rezeptorantagonist und SGLT2-Inhibitor sind deshalb in den neuen Leitlinien gleichberechtigte Medikamente der ersten Therapielinie. Diuretika haben einen rein symptomverbessernden Stellenwert, Ivabradin ist eine Option für Patienten mit Sinusrhythmus und hoher Herzfrequenz ≥70/min. Bei Eisenmangel wird die Behandlung mit Eisencarboxymaltose empfohlen, bei Vorhofflimmern Antikoagulation und Pulmonalvenenisolation, bei Unverträglichkeiten gegenüber ACE-Hemmer oder ARNI können Angiotensin-Rezeptorblocker eingesetzt werden. Wenn die Patienten eine signifikante Mitralklappeninsuffizienz haben, können diese zum Beispiel eine MitraClip-Intervention bekommen; haben sie eine Aortenstenose, kann bei diesen Patienten eine Transkatheter-Aortenklappenintervention (TAVI) in Betracht gezogen werden. Die Empfehlungen für die kardiale Resynchronisationstherapie (CRT) sind etwas heruntergestuft worden, und eine klare Indikation besteht erst ab einer QRS-Breite von 150 ms. Neu in die Leitlinie aufgenommen worden ist auch eine Empfehlung für den löslichen Guanylatcyclase-Stimulator Vericiguat. Vericiguat kann für Patienten mit einer Herzinsuffizienz in der NYHA-Klasse II bis IV in Betracht gezogen werden, die trotz einer bislang leitliniengerechten Therapie mit ACE-Hemmer oder ARNI, Betablocker und MRA kürzlich ein Herzinsuffizienzdekompensationsereignis gehabt haben, um das Risiko eines kardiovaskulären Todes oder einer erneuten Hospitalisierung zu reduzieren. Entsprechend ist das eine IIb/B-Empfehlung in der aktuellen Leitlinie. In den aktuellen Leitlinien der Canadian Cardiovascular Society (CCS) und der Canadian Heart Failure Society (CHFS) wird Vericiguat als Zusatz zu einer optimalen Herzinsuffizienztherapie bei HFrEF-Patienten mit sich verschlechternden Symptomen und einer durch Herzinsuffizienz bedingten Hospitalisierung innerhalb der letzten sechs Monate zur Senkung des Risikos für eine weitere durch Herzinsuffizienz bedingte Hospitalisierung empfohlen. Mittlerweile ist der Begriff der sich verschlechternden Herzinsuffizienz („worsening heart failure”) auch ein zentraler Begriff in den amerikanischen Leitlinien, in die Vericiguat für das Stadium C auch mit einer IIb-Empfehlung aufgenommen wurde, um das Risiko für die erneute Hospitalisierung aufgrund von Herzinsuffizienz und kardiovaskulären Tod zu reduzieren. Für die Kollegen aus dem niedergelassenen Bereich ist wichtig, dass es eine neue Empfehlung für ein frühes Follow-up nach der Entlassung der Patienten mit Herzinsuffizienz gibt. Es wird empfohlen, dass die Patienten, die wegen einer Dekompensation stationär aufgenommen wurden, innerhalb von ein bis zwei Wochen nach der Entlassung von einem Arzt untersucht werden. Es gilt, darauf zu achten, ob noch Zeichen einer Überwässerung bestehen und ob die Therapie noch optimiert werden kann.

Praktische Umsetzung der Leitlinien

Um Zeit zu gewinnen, empfehlen die Leitlinien die Kombination aller vier evidenzbasierten Basismedikamentenklassen von Anfang an, statt stufenweise zu eskalieren. Dabei soll auch auf eine individuelle Anpassung je nach vorhandenen Komorbiditäten und Kontraindikationen geachtet werden. Die klinische Erfahrung hat gezeigt, dass es sinnvoll sein kann, die Behandlung der HFrEF zunächst mit Betablocker und SGLT2i zu beginnen, weil beide Substanzen sehr gut verträglich sind. Dann sollen innerhalb von vier Wochen ARNI und zuletzt MRA ergänzt werden. Die Gefahr einer Hyperkaliämie durch die Gabe des MRA wird durch die bereits bestehende Therapie mit ARNI und SGLT2i deutlich abgemildert. Alternativ können auch alle vier Basismedikamentenklassen zu Beginn verabreicht werden. Mit Ausnahme des SGLT2i, der nicht titriert wird, sollen die Substanzen zunächst in niedriger Dosis verabreicht und dann individuell verträglich hoch titriert werden. Wenn trotz individuell eingestellter Basistherapie noch ein hohes Dekompensationsrisiko besteht, kann zusätzlich Vericiguat gegeben werden. Die Anfangsdosis beträgt 2,5 mg einmal täglich für zwei Wochen. Wenn keine symptomatische Hypotonie und kein systolischer Blutdruck <90 mmHg besteht, kann aufdosiert werden auf 5 mg einmal täglich für weitere zwei Wochen und danach auf die Zieldosis von 10 mg einmal täglich. Die gleichzeitige Anwendung von PDE-5-Inhibitoren (z. B. Sildenafil) wird nicht empfohlen. Es ist sehr wichtig, die Patienten in der Einstellungsphase gut zu betreuen, die Prognose der Erkrankung zu verdeutlichen und ihnen die Wirkung und Nebenwirkung der einzelnen Medikamente gut verständlich zu erklären.

Schneller wirksam behandeln: Gründe für die Leitlinienanpassung

Bei antihypertensiven Substanzen ist seit Langem bekannt, dass sie keine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung haben. Wenn die halbe Tagesdosis einer Substanz eingesetzt wird, werden damit etwa 80 % der blutdrucksenkenden Wirkung bereits erreicht. Wenn die Dosis dann verdoppelt wird, kommt nur noch wenig mehr blutdrucksenkende Wirkung hinzu. Mit einer Substanz beträgt die Chance auf Blutdruckkontrolle 30 %, mit zwei Substanzen 60 bis 80 %. Deshalb war es nur konsequent, die Empfehlungen in den Hypertonie-Leitlinien entsprechend anzupassen und bereits zu Therapiebeginn zwei Antihypertensiva zu kombinieren. Das Hinzufügen einer neuen Wirkstoffklasse auch in niedriger Dosierung bringt Vorteile, die die Dosisanpassung der bestehenden Basismedikation überwiegen. Aktuelle Daten aus dem bereits zitierten schwedischen Herzinsuffizienzregister zeigen, dass zwei gleichzeitig verabreichte Basismedikamente in niedriger Dosierung die Endpunkte deutlicher reduzieren, als wenn nur eine Substanz in halber oder voller Dosierung gegeben wird. Ein deutlicher Hinweis auf die Sinnhaftigkeit der initialen Kombination in niedriger Dosierung. Die Gründe für die Leitlinienänderungen zur Therapie der HFrEF sind vielfältig und basieren auf der immer noch hohen Mortalität trotz leitlinienbasierter Basistherapie, den Ergebnissen neuer Endpunktstudien und auf klinischen Erfahrungen bei der Umsetzung der alten Leitlinienempfehlungen in der täglichen Praxis. In den ESC-Leitlinien von 2016 wurde der Ansatz verfolgt, ACE-Hemmer und Betablocker zuerst zu geben und diese langsam zu den Zieldosierungen aufzutitrieren. Wenn dann die Patienten immer noch symptomatisch sind, sollte der Mineralokortikoid-Rezeptorantagonist ergänzt werden, und bei weiter fortbestehenden Symptomen wären dann zusätzliche Optionen wie Sacubitril-Valsartan, Ivabradin oder andere Therapien infrage gekommen. In der klinischen Praxis zieht sich dieser Prozess der schrittweisen Kombination und Auftitration über bis zu sechs Monate hin, was angesichts des hohen Risikos der Patienten nicht akzeptabel ist. Bei den meisten Patienten können die Zieldosen nicht erreicht werden. Es ist aber bekannt, dass viele Therapien schon in den ersten Tagen auch in niedriger Dosis wirken, dass zum Beispiel ein SGLT2-Inhibitor oder Sacubitril-Valsartan schon innerhalb der ersten 30 Behandlungstage das Mortalitätsrisiko der Patienten reduziert, wenn sie wegen einer Herzinsuffizienz hospitalisiert werden.

Hürden bei der Umsetzung der Leitlinien in der Praxis

Unter Real-World-Bedingungen gibt es bei der Umsetzung der neuen Leitlinien zahlreiche Hürden. In den Leitlinien wird neben einer effektiven individualisierten medikamentösen Behandlung auch betont, die Patienten nach einer Dekompensation zunächst richtig zu rekompensieren, bevor sie aus dem Krankenhaus entlassen werden, und in den ersten 14 Tagen nach der Entlassung ärztlich zu untersuchen. Diese Empfehlung wird aufgrund des Kosten- und Bettendruckes im deutschen Klinikalltag oft nicht erfüllt. Außerdem ist in vielen Fällen nicht geklärt, wer sich um eine Therapieanpassung nach der Entlassung kümmert – Hausarzt oder Facharzt? In vielen Entlassbriefen von HFrEF-Patienten, im Anschluss an den stationären Aufenthalt, fehlt eine dezidierte Anleitung des Kardiologen zur Fortführung der Therapie durch den Hausarzt. Eine regelmäßige engmaschige Betreuung der Patienten durch den Kardiologen ist in vielen Fällen aus Termingründen nicht möglich oder auch ökonomisch nicht abbildbar. Beim Kenntnisstand zu Leitlinien und Studiendaten gibt es in der Ärzteschaft große Unterschiede, und obwohl es seit 2017 keine offiziellen Medikamentenbudgets im niedergelassenen Bereich mehr gibt, haben viele Ärzte immer noch wegen der möglichen Regressgefahr Angst davor, neue Medikamente einzusetzen. Es gibt auch seitens der Patienten Ängste vor Medikamentennebenwirkungen vor allem bei der Polypharmakotherapie, die bei einer fortgeschrittenen Herzinsuffizienz häufig vorliegt und die Adhärenz stark belastet. Ein besonderer Punkt ist die richtige Einschätzung des individuellen Risikos und der Prognose, um den Patienten den zukünftigen Verlauf ihrer Erkrankung erklären zu können. Die Patienten müssen verstehen, warum sie welches Medikament nehmen sollen. Es muss ein Bewusstsein für die Schwere der Erkrankung geschaffen werden, damit Ärzte und HFrEF-Patienten die Ernsthaftigkeit der Lage erkennen und damit die Abwärtsspirale verhindert werden kann. Hier gibt es noch großen Nachholbedarf: Eine Untersuchung bei 161 Patienten mit fortgeschrittener HFrEF hat gezeigt, dass ein hohes Risiko von 69 % der behandelnden Ärzte wahrgenommen wird, aber nur von 14 % der betroffenen Patienten. 86 % der Patienten schätzen ihr individuelles Risiko als niedrig ein.

Fazit

  • Bei Patienten mit einer HFrEF steigt nach der ersten Dekompensation das Risiko mit jedem weiteren Ereignis deutlich an, auch wenn sie bislang leitliniengerecht behandelt wurden
  • Ziel ist es, die Patienten möglichst schnell optimal zu behandeln, um den Drehtüreffekt von weiteren Hospitalisierungen aufgrund von Dekompensationen in rascher Folge zu vermeiden.
  • Die ESC-Leitlinien von 2021 zur Therapie der HFrEF empfehlen die schnelle Kombination aller Basismedikamente auch mit niedrigen Dosierungen anstelle einer langsamen schrittweisen Aufdosierung in historischer Reihenfolge.
  • Vericiguat ist eine neue Option für die zusätzliche Behandlung von Hochrisikopatienten nach einer Dekompensation.
  • Die zusätzliche Gabe von Vericiguat führt auch bei Risikopatienten nicht zu einer signifikanten Blutdrucksenkung, einer Verschlechterung der Nierenfunktion oder zu relevanten Veränderungen der Serumnatrium- und Kaliumspiegel.
  • Neben der leitliniengerechten medikamentösen Therapie sind multidisziplinäre Nachsorge und effektive Kommunikation mit den Patienten wichtig, damit das Risiko wahrgenommen wird.

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Literatur

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