Neue Androgenrezeptor-Antagonisten beim Prostatakarzinom: Stellenwert von Wirksamkeit, Verträglichkeit und Pharmakologie für die Lebensqualität

Zur Behandlung von Hochrisikopatienten mit nicht-metastasiertem kastrationsresistenten Prostatakarzinoms (nmCRPC) stehen mit Apalutamid, Enzalutamid und Darolutamid drei Substanzen zur Verfügung, die nicht nur das metastasenfreie Überleben der Patienten deutlich verlängern können, sondern auch einen positiven Einfluss auf das Gesamtüberleben haben.

Unter klinisch pharmakokinetischen Gesichtspunkten ist bei Darolutamid hervorzuheben, dass der Wirkstoff nicht nur eine relativ geringe ZNS-Gängigkeit aufweist, sondern sich auch durch ein geringes Wechselwirkungsrisiko mit anderen Arzneimitteln auszeichnet, was bei dem hohen Anteil von nmCRPC-Patienten mit umfangreicher Begleitmedikation von besonderer Bedeutung ist. Klinisch relevante Wechselwirkungen werden vom Arzt und Patienten oft als unerwünschte Begleiterscheinung des Arzneimittels interpretiert, sodass die richtige Einordnung eines Nebeneffektes und die Vermeidung von Interaktionen sehr wichtig ist. Auffällige Nebenwirkungsinzidenzen können somit auch durch Wechselwirkungen bedingt sein.

Alle drei neuen Androgenrezeptor-Antagonisten leisten einen signifikanten Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität der Patienten mit einem nmCRPC, indem sie nicht nur das Gesamtüberleben, sondern auch die Zeit bis zum Auftreten von Metastasen verlängern, die sehr häufig mit starken Knochenschmerzen assoziiert sind. Darolutamid weist im Vergleich zu Placebo kaum relevante Nebenwirkungen auf und hat ein geringeres Wechselwirkungsrisiko als die anderen in dieser Indikation zugelassenen Substanzen.


Kursinfo
VNR-Nummer 2760709121091690011
Zeitraum 26.11.2021 - 25.11.2022
Zertifiziert in D, A
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte Fortbildung abgelaufen
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof. Dr. med. Tilman Todenhöfer, FEBU
Prof. Dr. Hans-Peter Lipp
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Webcast
Lernmaterial Vorträge, Lernerfolgskontrolle (pdf); Bearbeitungsdauer: 90 Minuten
Fortbildungspartner Bayer Vital GmbH
Bewertung 4.1 (438)

Einleitung

Bei der Erstdiagnose eines Prostatakarzinoms beschränkt sich der Tumor bei einem Großteil der Patienten lokal auf die Prostata. 75 % der Patienten haben ein nicht metastasiertes Prostatakarzinom, während 25 % der Patienten bei Erstdiagnose bereits Fernmetastasen aufweisen. Bei den meisten Patienten mit einem lokal begrenzten Prostatakarzinom wird eine kurativ intendierte Lokaltherapie durchgeführt. Ein Teil der Patienten, der bei der Erstdiagnose noch keine Fernmetastasen hat, erhält zusätzlich oder alternativ zur Lokaltherapie eine Androgendeprivationstherapie (ADT). Von diesen Patienten entwickelt ein Großteil im Verlauf der Erkrankung unter der ADT einen PSA-Progress und damit einen Übergang in ein kastrationsresistentes Stadium (CRPC). Die CRPC-Patienten, bei denen in der konventionellen Bildgebung mit Szintigrafie und CT keine Metastasen nachgewiesen werden können, werden der Gruppe der Patienten mit einem nicht metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom (nmCRPC) zugeordnet. Hiervon sind die Patienten zu differenzieren, die zum Zeitpunkt des PSA-Anstieges bereits in der konventionellen Bildgebung Metastasen aufweisen. Sie werden der Patientengruppe mit einem metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom (mCRPC) zugeordnet. Für die Patienten mit einem nmCRPC gab es bis vor wenigen Jahren keine zufriedenstellenden Therapieoptionen. Eine Behandlung wurde erst mit dem Nachweis von Metastasen eingeleitet, obwohl bereits bekannt war, dass vor allem Patienten mit einer kurzen PSA-Verdopplungszeit unter ADT ein sehr hohes Risiko für das Auftreten von Metastasen haben.

Patientenorientierte Therapieziele beim nmCRPC

Die Therapieziele bei diesen Patienten sind vielfältig. Zunächst gilt es, die Entwicklung von Metastasen zu verzögern sowie die Überlebenszeit zu verlängern und damit den onkologischen Verlauf der Erkrankung positiv zu beeinflussen. Ein weiteres Ziel ist die Erhaltung der Lebensqualität, zumal die meisten Patienten im Stadium eines nmCRPCs oft keine Symptome durch ihre Erkrankung und in der Regel noch eine sehr hohe Lebensqualität haben. Die Serumkonzentration des prostataspezifischen Antigens (PSA) und damit in Zusammenhang stehende Ängste haben einen sehr großen Einfluss auf das tägliche Leben der Patienten. Viele Patienten sind sehr auf den PSA-Wert fokussiert, und dementsprechend hängt ihre Lebensqualität und die psychische Belastung oft direkt mit dem PSA-Verlauf zusammen. Substanzen, die einen deutlichen PSA-Abfall erreichen, führen bei den Patienten häufig zu einer mentalen Erleichterung und damit zu einer Steigerung der Lebensqualität.

Therapeutische Optionen beim nmCRPCn

Mit den Androgenrezeptor-Antagonisten der zweiten Generation steht eine vielversprechende neue Option zur Behandlung von Patienten mit einem nmCRPC zur Verfügung. Die Zulassungsstudien mit Apalutamid, Enzalutamid und Darolutamid waren vom Studiendesign sehr ähnlich. Es wurden Patienten behandelt, die unter ADT eine PSA-Verdopplungszeit von kleiner als zehn Monate hatten und in der konventionellen Bildgebung keine Fernmetastasierung aufwiesen. Patienten, bei denen im PET-CT Metastasen nachweisbar waren, und Patienten mit Lymphknotenmetastasen konnten in die Studien eingeschlossen werden. Die Patienten wurden in den Studien zusätzlich zur ADT entweder mit den jeweiligen Androgenrezeptor-Antagonisten oder mit Placebo behandelt. Primärer Endpunkt aller Studien war das metastasenfreie Überleben; sekundäre Endpunkte waren unter anderem das Gesamtüberleben, aber auch je nach Studie andere Endpunkte, wie zum Beispiel die Zeit bis zum Auftreten einer Schmerzprogression oder bis zum Auftreten eines symptomatischen skelettbezogenen Ereignisses. Der Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Metastasen, den damit verbundenen Schmerzen und einer Abnahme der Lebensqualität ist gut dokumentiert. In allen Zulassungsstudien wurden deshalb geeignete Fragebögen zur Erfassung der Lebensqualität eingesetzt.

Apalutamid beim Hochrisiko-nmCRPC

Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Apalutamid wurden in der SPARTAN-Studie untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass Apalutamid im Vergleich zu Placebo das metastasenfreie Überleben mit einer Hazard Ratio von 0,28 um 72 % verlängert, das heißt, das Risiko für das Auftreten von Metastasen wurde signifikant um 72 % reduziert, und damit wurde der primäre Endpunkt der Studie erreicht. Die Gesamtüberlebensdaten der Studie wurden ein Jahr später veröffentlicht, und es zeigte sich, dass auch das mediane Gesamtüberleben durch den Einsatz von Apalutamid im Vergleich zu Placebo mit einer Hazard Ratio von 0,78 signifikant verlängert werden konnte. Apalutamid reduziert also das Sterberisiko um 22 %. Weitere sekundäre Endpunkte der Studie wurden ebenfalls erreicht, wie die Zeit bis zur Detektion der ersten Metastase, das progressionsfreie Überleben und die Zeit bis zur symptomatischen Progression der Erkrankung. Bei der Auswertung der Daten zu den unerwünschten Ereignissen dominierte die Fatigue, die unter Apalutamid bei 30,4 % der Patienten in der Studie registriert wurde im Vergleich zu 21,1 % der Patienten im Placeboarm. Ein Hautausschlag trat besonders unter Apalutamid häufig auf, in der Studie bei knapp einem Viertel der Patienten, wobei aber bei den meisten Patienten nur eine leichte Form zu beobachten war und mit lokalen Maßnahmen gut behandelt werden konnte. Bei den unerwünschten Ereignissen von besonderem Interesse fielen Frakturen auf. Patienten unter einer ADT haben bekannterweise ein erhöhtes Osteoporoserisiko und somit auch ein erhöhtes Risiko für osteoporoseassoziierte Frakturen. Interessanterweise war die Rate an Frakturen mit 11,7 % im Apalutamid-Arm höher als im Placeboarm mit 6,5 %. Bei den Patienten sollte also im Laufe der Behandlung regelmäßig die Knochendichte überwacht und allgemeine Maßnahmen zur Senkung des Frakturrisikos empfohlen werden. Zusammenfassend weist Apalutamid eine gute Verträglichkeit auf. Die Daten der SPARTAN-Studie zeigen eindeutig, dass diese Substanz nicht nur das metastasenfreie Überleben deutlich verlängert, sondern auch das Gesamtüberleben der Patienten positiv beeinflusst. Eine Subgruppenanalyse von Daten aus der SPARTAN-Studie ergab keine Hinweise auf eine Verschlechterung der Lebensqualität unter der Behandlung mit Apalutamid im Vergleich zu Placebo.

Enzalutamid beim Hochrisiko-nmCRPC

Als zweite Substanz wurde Enzalutamid auf der Grundlage der Ergebnisse der PROSPER-Studie für die Behandlung von Patienten mit Hochrisiko-nmCRPC zugelassen. Die PROSPER-Studie hatte fast identische Einschlusskriterien wie die SPARTAN-Studie, das heißt, es wurden auch Patienten mit einer kurzen PSA-Verdopplungszeit und ohne Metastasen in der konventionellen Bildgebung eingeschlossen. Das Ergebnis der Studie fiel auch hier bezüglich der Wirksamkeit eindeutig zugunsten des Androgenrezeptor-Antagonisten aus: Enzalutamid konnte mit einer Hazard Ratio von 0,29 das metastasenfreie Überleben signifikant verlängern. Diese Hazard Ratio bedeutet, dass das Risiko des Auftretens von Metastasen um 71 % reduziert werden konnte. Die Ergebnisse unterscheiden sich somit bezüglich dieses Endpunktes nicht wesentlich von den Ergebnissen der SPARTAN-Studie. Auch für die PROSPER-Studie wurden inzwischen die Daten zum Gesamtüberleben publiziert, und es zeigt sich, dass auch durch den Einsatz von Enzalutamid das Gesamtüberleben signifikant verlängert werden kann (Hazard Ratio von 0,73), das heißt, dass Risiko zu versterben wurde um 27 % reduziert. Bei den sekundären Endpunkten wurde gezeigt: Die Zeit bis zur PSA-Progression und die Zeit bis zur nächsten Systemtherapie wurden in der Studie signifikant verlängert. Bei der Auswertung der Verträglichkeitsdaten zeigte sich auch bei Enzalutamid im Vergleich zu Placebo mit 33 % gegenüber 14 % eine höhere Rate an Fatigue. Auch die Fall- oder Sturzrate der Patienten war unter Enzalutamid mit 11 % der Patienten gegenüber 4 % im Placeboarm erhöht. Insgesamt zeigt die PROSPER-Studie in Analogie zur SPARTAN-Studie, dass auch die klinische Wirksamkeit und Verträglichkeit positiv zu bewerten sind. Eine relevante negative Veränderung der Lebensqualität unter der Behandlung mit Enzalutamid ergab sich in der Auswertung der Lebensqualitätsparameter nicht, in einzelnen Domänen ergab sich sogar eine Verbesserung. Weiterhin zeigte sich ein Vorteil in Bezug auf Symptome des unteren Harntraktes und des GI-Traktes.

Darolutamid – ein neuer Androgenrezeptor-Antagonist mit geringer ZNS-Gängigkeit

Darolutamid unterscheidet sich in seiner Molekülstruktur von Apalutamid und Enzalutamid u. a. durch eine polare Gruppe. Diese strukturelle Besonderheit ist der Grund dafür, dass Darolutamid die Blut-Hirn-Schranke relativ schlecht passieren kann. In präklinischen Untersuchungen wurde gezeigt, dass Darolutamid sich im Vergleich zu Apalutamid und Enzalutamid im Gehirn deutlich weniger anreichert. Mittlerweile liegen auch Neuroimaging-Daten aus einer Phase-I- Studie mit gesunden Probanden vor, die die in präklinischen Modellen gezeigte geringe Anreicherung von Darolutamid unterstützen. Enzalutamid führt im für die Kognition relevanten temporo-occipitalen Cortex zu einer im Vergleich zu Placebo oder Darolutamid signifikanten Reduktion des Blutflusses um 5,2 % bzw. 5,9 %. Ob dieses Ergebnis als Hinweis auf unerwünschte zentralnervöse Ereignisse zu werten ist, bedarf noch weitergehender Untersuchungen.

Darolutamid beim Hochrisiko-nmCRPC – Wirksamkeit

Die Studie, die zur Zulassung von Darolutamid bei Hochrisikopatienten mit einem nicht-metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom geführt hat, ist die ARAMIS-Studie. Auch in diese Studie wurden analog zur PROSPER- und zur SPARTAN-Studie Patienten mit einer PSA-Verdopplungszeit von weniger als zehn Monaten unter einer bestehenden ADT eingeschlossen. Als primärer Endpunkt wurde auch hier das metastasenfreie Überleben festgelegt. Sekundäre Endpunkte waren die Gesamtüberlebenszeit, die Zeit bis zur Schmerzprogression, die Zeit bis zur Einleitung einer zytotoxischen Chemotherapie und die Zeit bis zum Auftreten eines skelettbedingten Ereignisses. Ausgeschlossen wurden Patienten, die in der konventionellen Bildgebung eine Fernmetastasierung aufwiesen. Patienten, bei denen lediglich eine lymphonodale Metastasierung im Becken dokumentiert wurde, konnten in der Studie mitbehandelt werden. Weitere Ausschlusskriterien waren eine vorherige Behandlung mit einem Androgenrezeptor-Antagonisten der zweiten Generation oder eine stattgehabte Chemotherapie. Ähnlich wie bei der SPARTAN- und bei der PROSPER-Studie wurde auch in der ARAMIS-Studie ein eindeutiges Ergebnis beim primären Endpunkt erreicht: Mit einer Hazard Ratio von 0,41 konnte das Risiko für das Auftreten von Metastasen um 59 % reduziert werden. Das mediane metastasenfreie Überleben wurde um 22 Monate verlängert. Damit ist auch Darolutamid eine Substanz, die in diesem Setting hocheffektiv ist. Bei einer Analyse der Subgruppen zeigte sich, dass der Vorteil bezüglich des primären Endpunktes unabhängig von der PSA-Verdopplungszeit der Patienten, vom Baseline-PSA-Wert, dem Alter, dem Gleason-Score oder dem ECOG-Performance-Score war. Darolutamid + ADT verlängert auch das Gesamtüberleben signifikant mit einer Hazard Ratio von 0,69. Das Risiko zu versterben, wird damit um 31 % reduziert. Ein weiterer für die Patienten auch im Hinblick auf die Lebensqualität wichtiger Endpunkt ist die Zeit bis zur klinischen Progression, die sich häufig in einer Schmerzprogression widerspiegelt. Auch hier konnte durch den Einsatz von Darolutamid ein wesentlicher Vorteil mit einer knapp 15-monatigen Verlängerung der Zeit bis zum Auftreten einer Schmerzprogression im Vergleich zu ADT allein erreicht werden.

Darolutamid beim Hochrisiko-nmCRPC – Lebensqualität

Die Lebensqualität hat für Patienten mit einem nmCRPC eine besondere Bedeutung. Die meisten Patienten haben nur wenige krankheitsbedingte Symptome. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die wesentlichen Lebensqualitätsscores durch eine Behandlung mit Androgenrezeptor-Antagonisten nicht negativ beeinflusst werden. Unter Apalutamid kam es in der SPARTAN-Studie im Vergleich zu Placebo zu keiner signifikanten Veränderung des FACT-G-Scores. In der ARAMIS-Studie konnte gezeigt werden, dass im Darolutamid-Arm nicht nur die Lebensqualität erhalten blieb, die mit verschiedenen Subdomänen von Lebensqualitätsfragebögen erfasst wurde, sondern dass die Patienten Darolutamid im Hinblick auf die die Lebensqualität beeinträchtigenden Symptome im Bereich des Gastrointestinaltraktes und des Harntraktes signifikant besser beurteilten als Placebo. Bei den gastrointestinalen Symptomen sind dies unter anderem Blut im Stuhl oder auch der Einfluss von gastrointestinalen Symptomen auf die tägliche Aktivität. Bei den harntraktassoziierten Symptomen geht es vor allem um die Miktionsfrequenz, um die Drangsymptomatik, sowie um den Einfluss auf die tägliche Aktivität.

Darolutamid beim Hochrisiko-nmCRPC – Verträglichkeit

Bei der finalen Auswertung der unerwünschten Ereignisse unter der Behandlung mit Darolutamid im Vergleich zu ADT alleine im Rahmen der ARAMIS-Studie konnten keine wesentlichen Unterschiede dokumentiert werden. Dies galt für das gesamte Spektrum der für diese Substanzgruppe charakteristischen Nebenwirkungen oder unerwünschten Ereignisse und betraf auch das Auftreten von Knochenfrakturen mit 5,5 % versus 3,6 % oder von Stürzen mit 5,2 % versus 4,9 %, die bei anderen Substanzen im jeweiligen Vergleich zu Placebo häufiger beobachtet wurden. Fatigue als ein ganz wesentliches unerwünschtes Ereignis unter neuen Androgenrezeptor-Antagonisten trat unter Darolutamid mit 13,2 % versus 8,3 % nicht relevant häufiger auf als unter ADT allein. Die Unterschiede wurden noch geringer, wenn die Rate an unerwünschten Ereignissen an die Zeit der Behandlung mit Darolutamid oder Placebo angeglichen wurden. Auch Wechselwirkungen können die Lebensqualität negativ beeinflussen. Darolutamid weist damit ein sehr gutes Verträglichkeitsprofil auf – und das bei gleichzeitig hohem Anteil an Begleitmedikationen.

Pharmakodynamik und Pharmakokinetik der neuen Androgenrezeptor-Antagonisten

Für die pharmakologische Differenzierung von Wirkstoffen sind grundsätzlich pharmakodynamische und pharmakokinetische Parameter zu unterscheiden. Pharmakodynamik heißt in einfachen Worten, was macht das Arzneimittel mit dem Körper, Pharmakokinetik bedeutet umgekehrt, was macht der Körper mit dem Arzneimittel. Ein klassischer pharmakodynamischer Parameter ist zum Beispiel die Inhibitionskonstante an der Bindungsstelle eines Rezeptors. Apalutamid, Enzalutamid und Darolutamid hemmen den Androgenrezeptor sehr effektiv mit Inhibitionskonstanten im Nanomolarbereich mit dem Ziel, die Wirkung des Testosterons auf mehreren Ebenen auf ein Minimum zu reduzieren. Im Rahmen der Pharmakokinetik wird untersucht, wie die Wirkstoffkonzentration nach der Einnahme im Körper anflutet, in welchen Geweben sich der Wirkstoff verteilt oder anreichert, wie er metabolisiert oder biotransformiert wird und welche Mechanismen beteiligt sind, damit der Wirkstoff aus dem Körper wieder eliminiert werden kann. Hier gibt es eine Reihe von Ansatzpunkten, bei denen es zu klinisch relevanten Wechselwirkungen kommen kann, wenn zum Beispiel gleichzeitig im Körper vorhandene Wirkstoffe um den gleichen Metabolisierungsweg konkurrieren oder wenn ein Wirkstoff die Funktion von relevanten Enzymen für die Metabolisierung des anderen Wirkstoffes entweder hemmt (Inhibition) oder stimuliert (Induktion). Alle drei neuen Androgenrezeptor-Antagonisten unterscheiden sich strukturell etwas voneinander, wobei Darolutamid durch eine polare Gruppe im Molekül auffällt. Diese Unterschiede können eine Ursache dafür sein, dass zum Beispiel die Arzneimittelinteraktionen mit Apalutamid und mit Enzalutamid stärker ausgeprägt sind als mit Darolutamid.

Pharmakokinetische Parameter der der neuen Androgenrezeptor-Antagonistens

Apalutamid ist nach oraler Einnahme mit einer Bioverfügbarkeit von ca. 100 % im Blut verbunden. Bei Enzalutamid liegt die Bioverfügbarkeit bei etwa 84%, bei Darolutamid bei etwa 30 %. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Bioverfügbarkeit keine hohe inter- und intraindividuelle Variabilität aufweisen sollte, was bei allen drei Wirkstoffen der Fall ist. Die Verteilungsvolumina von Apalutamid, Enzalutamid und Darolutamid sind hoch. Bei der Verteilung in das Zentralnervensystem im Vergleich zum Blut fällt auf, dass Apalutamid und Enzalutamid im Gehirn deutlich nachweisbar sind, was in präklinischen Studien bestätigt wurde. Die unterschiedliche Wirkung von Enzalutamid und Darolutamid auf den zerebralen Blutfluss in bestimmten Hirnarealen wurde auch in einer Phase I Studie an gesunden Probanden dokumentiert. Die Plasmaproteinbindung (PPB) ist bei allen drei Substanzen relativ hoch. Die Metabolisierung läuft in der Regel über das Cytochrom-P450-System. Beim Apalutamid ist mit dem CYP3A4 das quantitativ wichtigste Enzym in Darm und Leber beteiligt. Das gilt auch in gewissem Umfang für Darolutamid. Bei der Metabolisierung von Enzalutamid spielt mit CYP2C8 ein anderes, konstitutiv geringer exprimiertes Cytochrom-P450-Isoenzym in der Leber eine wichtige Rolle, das auch beim Apalutamid beteiligt ist, bei Darolutamid jedoch praktisch nicht in Erscheinung tritt. Dafür sind bei der Metabolisierung von Darolutamid Glucuronosyltransferasen und Aldo-Keto-Reduktasen eingebunden. Die drei neuen Androgenrezeptor-Antagonisten werden also nicht identisch verstoffwechselt, sondern es gibt Abbauwege, die von Substanz zu Substanz etwas unterschiedlich sind. Aus Apalutamid, Enzalutamid und Darolutamid entstehen aktive Metaboliten, die bei allen in der pharmakokinetischen/pharmakodynamischen Gesamtbeurteilung zu berücksichtigen sind. Die Elimination der drei Wirkstoffe und deren Metabolite erfolgt zu etwa zwei Dritteln über die Nieren und etwa zu einem Drittel über Galle und Faeces. Darolutamid weist mit etwa 20 Stunden die kürzeste Halbwertszeit auf, bei Apalutamid beträgt sie etwa drei Tage und ist mit 5,8 Tagen bei Enzalutamid am längsten. Eine lange Halbwertszeit korreliert nicht nur mit der Wirkungsdauer einer Substanz, sondern auch mit der Dauer unerwünschter Wirkungen und Wechselwirkungen.

Wie beeinflussen andere Substanzen den Stoffwechsel der Androgenenrezeptor-Antagonisten?

Durch die Inhibition oder Induktion von Enzymen, die an der Metabolisierung der Androgenrezeptor-Antagonisten beteiligt sind, kann das Ausmaß an erwünschten und unerwünschten Wirkungen direkt beeinflusst werden. Wenn beispielsweise ein Wirkstoff die Metabolisierung von Apalutamid deutlich verlangsamt, kommt es zu einem Anstieg der Apalutamid-Konzentration und zu einer Vergrößerung der Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (AUC). Zu den potenten Inhibitoren des Cytochrom-Systems zählen beispielsweise Triazol-Antimykotika wie Voriconazol, Posaconazol oder auch Itraconazol. Bei den HIV-Therapeutika sind es zum Beispiel Ritonavir und Cobicista, bei den Antibiotika u. a. das Makrolid-Antibiotikum Clarithromycin. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass nicht nur Arzneimittel relevante Inhibitoren sein können, sondern auch Nahrungsmittelbestandteile, wie zum Beispiel Grapefruitsaft. Er ist zwar kein starker Inhibitor, aber die Einnahme von 1000 ml Grapefruitsaft kann bereits zu relevanten klinischen Wechselwirkungen führen. Wenn die Metabolisierung von Apalutamid durch einen Induktor beschleunigt wird, kommt es zu einem Abfall der Plasmakonzentration und zu einer Verkleinerung der AUC mit dem Risiko einer Unterdosierung und einer unzureichenden therapeutischen Abdeckung. Zu den bekanntesten Cytochrom-P450-Induktoren zählen das Rifampicin sowie einige ältere Antiepileptika wie Phenytoin, Carbamazepin oder Oxcarbazepin. Auch das nicht rezeptpflichtige Johanniskraut muss als starker Induktor eingestuft werden. In Abbildung 8 werden die gerade beschriebenen Zusammenhänge noch etwas anders dargestellt. Itraconazol hemmt die Metabolisierung von Apalutamid; in der Folge steigt die Plasmakonzentration von Apalutamid rasch an. Die AUC könnte sich um 50 % vergrößern. Wird der Inhibitor wieder abgesetzt, sinkt die Apalutamid-Konzentration nach vier bis fünf Halbwertszeiten des Itraconazols wieder in den Normbereich ab. Bei Darolutamid würde bei gleichzeitiger Verabreichung von Itraconazol als Inhibitor die AUC um ca. 70 % ansteigen. Bei Enzalutamid würde die AUC nur um ca. 30 % ansteigen, da bei Enzalutamid CYP2C8 eine größere Rolle spielt, das von Itraconazol nicht gehemmt wird. Würde hingegen der Wirkstoff Gemfibrozil, ein spezifischer Inhibitor von CYP2C8, parallel zu Enzalutamid verabreicht, käme es zu einer Verdopplung der AUC von Enzalutamid. Signifikant höhere Plasmakonzentrationen der Androgenrezeptor-Antagonisten bei gleichzeitiger Behandlung mit Itraconazol oder Gemfibrozil können das Nebenwirkungsrisiko erhöhen, wenn keine Dosisanpassung erfolgt. Die rechte Grafik in Abbildung 8 veranschaulicht neben der klassischen Wirkung eines CYP-Induktors noch zwei weitere klinisch relevante Effekte. Die AUC von Darolutamid würde bei gleichzeitiger Verabreichung des Induktors Rifampicin um etwa 72 % abnehmen. Um der Interaktion aus dem Weg zu gehen, müsste man entweder den Wirkstoff gegen die Tuberkulose wechseln oder die Dosierung von Darolutamid erhöhen. Bei Enzalutamid reduziert sich die AUC unter Rifampicin um etwa 37 %; in diesem Fall wäre keine Dosisanpassung erforderlich. Wichtig und klinisch relevant ist, dass der volle Effekt eines Induktors auf andere Arzneimittel unter Steady-state-Bedingungen erreicht wird (d. h. nach ca. vier bis fünf Halbwertszeiten). Der Grund dafür ist, dass der Induktor zu einer Neubildung von Enzymen oder Pumpen führt, die erst nach einigen Tagen wirksam werden. Wird der Induktor abgesetzt, verschwindet seine induzierende Wirkung zwar auch nach vier bis fünf Halbwertszeiten, aber die Wirkung der neu produzierten Enzyme oder Pumpen kann noch deutlich länger andauern (ca. fünf bis sieben Tage). Es bleibt also festzuhalten, dass Wechselwirkungen durch einen Induktor zeitlich verzögert auftreten und wieder langsam zurückgehen, während der Effekt eines Inhibitors ohne Verzögerung seiner Kinetik folgt. Dieses Prinzip gilt auch dann, wenn Androgenrezeptor-Antagonisten die Rolle eines Induktors oder Inhibitors einnehmen und die Metabolisierung anderer Wirkstoffe beeinflussen.

Wie beeinflussen Androgenenrezeptor-Antagonisten den Stoffwechsel anderer Substanzen?

Enzalutamid selbst ist wie Rifampicin oder Johanniskraut ein potenter Induktor und kann zum Beispiel die Metabolisierung des Antihypertensivums Amlodipin (CYP3A4-Substrat) deutlich beschleunigen. Angenommen, ein Patient nimmt wegen seiner Hypertonie Amlodipin ein und sein Blutdruck ist damit gut eingestellt. Wenn dieser Patient ein Prostatakarzinom entwickelt und mit Enzalutamid behandelt würde, kann es dazu kommen, dass durch den deutlich beschleunigten Abbau nur noch 10 bis 20 % des Amlodipins im Blut nachweisbar sind und der Blutdruck dadurch wieder ansteigt. In diesem Fall sollte natürlich die antihypertensive Medikation gewechselt werden. Bestimmte Betablocker, ACE-Hemmer oder Candesartan sind hier nicht interaktionsanfällig. Abbildung 9 stellt den Einfluss von Enzalutamid auf CYP-450-Substrate dar. Enzalutamid reduziert die AUC von Midazolam um 86 % und ist damit per definitionem ein potenter Induktor des Cytochrom-3A4-Systems. Das gilt auch für das Apalutamid. Inwieweit es durch die potente CYP3A-induktion auch zu einem kritischen Abfall der Vitamin-D3-Konzentration und damit zu einem erhöhten Frakturrisiko kommen kann, ist bisher nicht weiter untersucht worden. Die AUC von Omeprazol, ein CYP2C19-Substrat, nimmt unter Enzalutamid um 70 % ab, was als moderate Induktion bezeichnet wird, und bei Apalutamid sogar um 85 %. Hier wären kompensatorische Dosiserhöhungen oder ein Wechsel auf weniger interaktionsauffällige Arzneistoffe angezeigt, um die erwünschten Effekte aufrechtzuerhalten. Bei einem CYP2C9-Substrat, wie Warfarin, wird die AUC fast halbiert, was eine Überprüfung der gerinnungshemmenden Wirkung nach sich ziehen sollte. Bei Cytochrom P450 2C8 hat man für Enzalutamid praktisch keinen Effekt gefunden, die AUC von Pioglitazon bleibt unverändert. In die große Gruppe der CYP3A- und CYP2C19-Substrate fallen auch nicht Vitamin-K-abhängige Antikoagulanzien (NOAK), wie Rivaroxaban und Apixaban, die bereits erwähnten Antihypertensiva Amlodipin oder Lercanidipin, Schmerzmittel wie Fentanyl und Oxycodon sowie Zytostatika wie Docetaxel und Cabazitaxel. Zu diesen Substanzen gibt es zwar keine direkten Interaktionsstudien, aber nach den Erkenntnissen mit potenten Induktoren wie Rifampicin und Enzalutamid muss auch für die oben genannten Wirkstoffe bei gleichzeitiger Verabreichung von Induktoren mit einer klinisch relevanten AUC-Reduktion gerechnet werden. Um der zunehmenden Bedeutung von NOAK bei Tumorpatienten Rechnung zu tragen, sollten die sehr wahrscheinlichen Wechselwirkungen mit Enzalutamid und Apalutamid beachtet werden. Obwohl es keine klinisch pharmakokinetischen Studien mit den neuen Androgenrezeptor-Antagonisten gibt, können die vorhandenen Erfahrungen aus Studien mit dem potenten CYP-Induktor Rifampicin und den verschiedenen NOAKs übertragen werden. Eine gleichzeitige Anwendung von Apixaban, Dabigatran und Rivaroxaban mit Enzalutamid oder Apalutamid sollte vermieden werden. Bei Edoxaban bietet sich eine Anti-Xa-Kontrolluntersuchung an. Hingegen kann Darolutamid mit allen NOAKs ohne Dosisbeschränkung kombiniert werden. Bei den Interaktionsstudien mit Darolutamid zeigte sich bei Midazolam nur ein leichter induktiver Effekt; bei Omeprazol, Warfarin und Dextromethorphan, einem CYP2D6-Substrat, war kein induktiver Effekt nachweisbar.

Wirkung der neuen Androgenrezeptor-Antagonisten auf Pumpensysteme

Neben den Interaktionsmöglichkeiten durch Inhibition und Induktion verschiedener Cytochrom-P450-Enzymsysteme können Arzneimittel zusätzlich noch auf eine Reihe von Influx- und Effluxpumpen einwirken und deren Aktivität oder Anzahl verändern. Substanzen, die zum Beispiel in eine Leberzelle eingedrungen sind, werden nicht über passive Diffusion in die Galle ausgeschieden, sondern diese Aufgabe übernimmt eine Vielzahl von Transportern, wie ABCB1 (P-Glykoprotein), ABCG2 (BCRP), MRP2, MATE1, BSEP etc. Influx- und Effluxpumpensysteme gibt es nicht nur in der Leber, sondern auch in der Niere, im Darm und im Zentralnervenystem und vielen anderen Organen. Sie haben unterschiedliche Substrataffinitäten, was eine Vielzahl an Interaktionen möglich macht. Darolutamid hemmt die ABCG2-Pumpe, über die die biliäre Ausscheidung von Rosuvastatin läuft. Bei gleichzeitiger Verabreichung kann sich die AUC von Rosuvastatin um den Faktor 5 erhöhen. Hier sollte vorzugsweise auf ein anderes Statin mit geringerer AB-CG2-Affinität (z. B. Pravastatin) gewechselt werden.

Stellenwert von Wechselwirkungen und Nebenwirkungen für die Lebensqualität

Auch wenn es keine direkten klinischen Vergleichsstudien zwischen den neuen Androgenrezeptor-Antagonisten gibt, wurden aufgrund der in den einzelnen Zulassungsstudien beobachteten unterschiedlichen Inzidenzen von unerwünschten Wirkungen vergleichende Darstellungen zu den Nebenwirkungsraten publiziert. Fatigue wurde in SPARTAN und PROSPER als häufigste unerwünschte Wirkung dokumentiert. In der ARAMIS-Studie mit Darolutamid lag die Inzidenz von Fatigue mit 12,1 % hingegen nur leicht über dem Placeboniveau. Eine Hypertonie und Stürze wurden unter Apalutamid und Enzalutamid häufiger im Vergleich zu Placebo beobachtet als unter Darolutamid, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass hier möglicherweise auch Wechselwirkungen mit der Komedikation eine Rolle spielten. In der ARAMIS-Studie mit Darolutamid sind im Vergleich zu ADT allein keine signifikant höheren Nebenwirkungsraten dokumentiert worden, obwohl in beiden Behandlungsarmen ein hoher Anteil von Patienten Begleitmedikationen hatte. Klinisch relevante Wechselwirkungen werden vom Arzt und Patienten oft als unerwünschte Arzneimittelwirkungen interpretiert. Auffällige Nebenwirkungsinzidenzen können somit auch durch Wechselwirkungen bedingt sein, und Nebenwirkungen werden intuitiv mit einer Verschlechterung der Lebensqualität assoziiert, insbesondere wenn Patienten aufgrund ihres Alters und bestehender Komorbiditäten mehrere Medikamente einnehmen. Darolutamid leistet deshalb durch seine vorteilhafte Verträglichkeit und sein geringes Interaktionspotenzial einen Beitrag zur Stabilisierung der Lebensqualität von Patienten mit einem Prostatakarzinom.

Fazit

  • Alle drei neuen Androgenrezeptor-Antagonisten verlängern sowohl das metastasenfreie Überleben (MFS) als auch das Gesamtüberleben (OS) von Patienten mit nmCRPC.
  • Die durch eine polare Gruppe im Molekül von Darolutamid bedingte geringere Penetration der Blut-Hirn-Schranke wurde in einem präklinischen Modell nachgewiesen und dessen mögliche klinische Relevanz durch Daten zum Einfluss auf den Blutfluss in bestimmten Hirnregionen bei gesunden Probanden bestätigt.
  • Darolutamid hat ein geringeres Wechselwirkungspotenzial als Apalutamid und Enzalutamid, was bei Patienten mit Begleitmedikation auch als Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität gewertet werden kann.
  • Alle drei neuen Androgenrezeptor-Antagonisten leisten durch ihre Wirksamkeit einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten mit nmCRPC, wobei Darolutamid zusätzlich durch eine sehr gute Verträglichkeit punktet.

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