Was sollte der Schmerztherapeut über suchtmedizinische Behandlungskonzepte wissen?

Die Suchtabhängigkeit ist eine chronische Erkrankung, deren Therapie ein langfristig angelegtes Behandlungskonzept erfordert. Das Ziel der modernen Suchtmedizin ist daher die Behandlung des Verlangens nach dem Suchtmittel. Therapie der Wahl ist die Substitution.

Die Substitution kann auch für Schmerzmittelabhängige eine geeignete Alternative zur Entgiftung darstellen. In den folgenden Kapiteln erfahren Sie, welche klinischen Erfahrungen hinsichtlich der Substitution der Schmerzmittelabhängigkeit vorliegen, wie diese in der Praxis umgesetzt wird und welche rechtlichen Rahmenbedingungen dabei zu beachten sind.

Prof. Klaus Weckbecker
Das Ziel der modernen Suchtmedizin ist die Behandlung des Verlangens nach dem Suchtmittel.

Kursinfo
VNR-Nummer 2760709119029780011
Zeitraum 01.02.2019 - 31.01.2020
Zertifiziert in D
Zertifiziert durch Akademie für Ärztliche Fortbildung Rheinland Pfalz
CME-Punkte Fortbildung abgelaufen
Zielgruppe Ärzte
Referent Prof. Dr. Klaus Weckbecker, Bonn
Redaktion CME-Verlag
Veranstaltungstyp Animierter Vortrag (eTutorial)
Lernmaterial Vortrag (20:55 Min.), Handout (pdf), Lernerfolgskontrolle
Fortbildungspartner
Bewertung 4.3 (2755)

Substitution

In der Suchtmedizin ist die Substitution die Therapie der Wahl. Hierüber besteht ein breiter Konsens, der sich nicht zuletzt in der S-3 Leitlinie „Therapie der Opiatabhängigkeit“ niederschlägt. Das Verlangen nach dem Suchtmittel kann schnell kontrolliert werden. Zudem können die Patienten häufig sehr gut in der Therapie gehalten werden. Dies ist eine notwendige Voraussetzung, um ein auf Dauer angelegtes Behandlungskonzept umsetzten zu können, ohne dass es zu Arztwechseln oder einer Unterbrechung der Therapie kommt. Neben der hohen Haltequote ist die Sicherheit der Therapie trotz hoher Opioiddosen ein weiterer Grund für die Substitutionstherapie. Bei der Substitution geht es nicht um Therapie von Schmerzen, sondern um die Behandlung einer Abhängigkeit von Opiaten. Oberstes Ziel ist es, das Verlangen nach dem Suchtmittel zu dämpfen. Dabei kommen in der Suchtmedizin sehr viel höhere Opiat-Dosierungen zur Anwendung als es in der Schmerzmedizin der Fall ist. Man kann das vergleichen mit einem Herzinfarktpatienten, der 100mg Aspirin zur Sekundärprophylaxe z.B. nach einem kardioembolischen Ereignis bekommt. Hätte dieser Patient Kopfschmerzen, würde er 500mg oder sogar 1000mg derselben Substanz einnehmen. Die Dosierung ein und desselben Medikamentes hängt entscheidend von der Diagnose / von der Indikation ab. Mittlerweile gibt es erste Publikationen zur Substitution bei Schmerzmittelabhängigkeit, doch gibt es hier noch einen hohen Forschungsbedarf, insbesondere zur Frage, wo es Unterschiede in der Behandlung von Schmerzmittelabhängigen gibt, im Vergleich zur Therapie der Abhängigkeit von illegalen Opiaten. Aus klinischer Sicht lässt sich feststellen, dass Opiatabhängige von illegalen Opiaten von der Substitution stark profitieren. Die Therapie wirkt sich positiv auf eine Vielzahl von Faktoren aus: die Mortalität sinkt, die Co-Morbidität nimmt ebenfalls ab. Die Therapieform, die bereits seit den 70er Jahren genutzt wird, ist sehr gut evaluiert und bietet dem Patienten viele Vorteile.

Substitutionsmittel

Heute stehen in der Suchtmedizin eine Reihe von Medikamenten zur Verfügung. Weitgehend bekannt ist das Methadon, ein Vollagonist. Seit kurzem ist auch Morphin in der Substitution zugelassen. Mit Buprenorphin, als partiellem Agonisten am µ-Rezeptor und Antagonisten am k-Rezeptor, und der Kombination aus Buprenorphin und Naloxon stehen weitere, wirksame Arzneimittel zur Verfügung. Bei der letztgenannten Kombination ist Buprenorphin die aktive Substanz, während Naloxon dazu dient, den Missbrauch zu vermeiden. Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch, d.h. bei sublingualer Anwendung, wird Naloxon nicht resorbiert und Buprenorphin entfaltet seine opioide Wirkung, während eine intravenöse Verabreichung oder die nasale Einnahme zu Entzugssymptomen führt, weil nicht nur das Opioid (Buprenorphin) sondern auch der Opioidantagonist Naloxon ins Blut gelangt. Wie wirken die heute verfügbaren Substitutionsmittel am Rezeptor? Methadon, Morphin und jeder andere Vollagonist vermitteln über den µ-Rezeptor Analgesie und Atemdepression, aber auch Euphorie. Es sind vor allem diese psychotrophen Effekte, die Suchtpatienten suchen. Über den k-Rezeptor werden vor allem Dysphorie und Sedierung vermittelt. Hingegen vermittelt Buprenorphin als partieller Agonist am µ-Rezeptor vor allem Analgesie. Die Substanz zeigt einen sogenannten Ceiling-Effekt für die Atemdepression. Somit lässt sich die Dosis steigern, ohne dass es zu einer Erhöhung des Risikos von Atemdepressionen kommt. Dies ist vor allem für den Einsatz in der Substitutionsmedizin äußerst wichtig. In der Literatur finden sich keine Beschreibungen tödlicher Atemdepressionen unter Buprenorphin als Monosubstanz. Erst die missbräuchliche Kombination mit Alkohol, Diazepam und/oder Morphin kann zur lebensbedrohlichen oder tödlichen Atemdepression führen. Ein weiterer Vorteil des Buprenorphins ist seine antagonistische Wirkung am k-Rezeptor. Hierdurch kommt es nicht zur unerwünschten Sedierung. Zur Erinnerung: Naloxon, als Antagonist, blockiert alle vier Bauteile des Rezeptors.

Buprenorphin in der Substitution

Die klinische Wirkung von Buprenorphin in der Substitution ist:
  • Keine tödliche Atemdepression,
  • keine Sedierung,
  • keine Dysphorie.
Dieses spezielle pharmakologische Profil von Buprenorphin hat dazu geführt, dass die Substanz in einigen Ländern als first choice Medikation gilt. Also vor allem in Skandinavien, aber auch in der australischen Leitlinie wird empfohlen, in der Substitution zunächst Buprenorphin zu verwenden. In anderen Ländern wird hingegen Methadon bevorzugt eingesetzt, vor allem aufgrund der längeren Erfahrungen mit der Substanz.

Einstellung auf Methadon

Bei der Ersteinstellung im Rahmen der Substitution mit einem Vollagonisten wie Methadon ist es wichtig, die Dosis sehr langsam zu steigern. Entsprechend der gültigen Leitlinie erhält der Patient zunächst eine adäquate Startdosis von 10-40mg und zwar unabhängig davon, was er vorher genommen hat. Anschließend wird die Dosis alle 2 bis 3 Tage um 5mg bis 10mg gesteigert. Die meisten Patienten in der Substitution, unabhängig davon ob sie aus der illegalen Opiatabhängigkeit oder aus der Schmerzmittelabhängigkeit kommen, werden sich zwischen 60mg und 120mg Methadon einfinden.

Einstellung auf Buprenorphin

Bei der Ersteinstellung auf Buprenorphin gibt es eine Besonderheit zu beachten: der Patient muss zunächst eine Pause machen. Hat er zuvor langwirksame Opioide eingenommen sollte er 24 Stunden pausieren. Ist er hingegen von kurzwirksamen Opioiden abhängig geworden reicht meist eine Unterbrechung von einer Nacht. Eine Opioidpause sollte in der Regel erfolgen! Der Patient sollte sich am Tag der Einstellung zudem möglichst entzügig in der Praxis vorstellen, d.h. er sollte tachykard sein, er sollte unruhig sein und er sollte schwitzen. Für Schmerzmittelabhängige stellt dies in der Regel eine ungewohnte Situation dar. Daher sollte diese Patientengruppe im Rahmen eines Vorgesprächs besonders sorgfältig eingewiesen werden. Die Behandlungsunterbrechung vor Therapiebeginn ist notwendig, damit möglichst viele Rezeptoren frei sind. Anderenfalls würden die Patienten Entzug verspüren, wenn die Opiat-Rezeptoren durch einen Vollagonisten belegt sind und letzterer vom Partialagonisten Buprenorphin verdrängt wird. Wenn der Rezeptor hingegen leer ist, verspürt der Patient eine deutliche Besserung, sobald der Partialagonist andockt. Je schlechter es dem Patienten zunächst geht, umso besser verläuft die Einstellung. Buprenorphin kann bereits initial hoch dosiert werden. 4mg bis 8mg am ersten Tag sind möglich. Die meisten Schmerz-mittelabhängigen benötigen eine Zieldosis von 16mg. Dies entspricht auch dem, was andere Opiatabhängige benötigen. Die Maximaldosis beträgt bis zu 24mg pro Tag. In einigen Ländern Nordeuropas wird sogar noch höher aufdosiert. Dort werden bis 32mg verabreicht. Dies lässt die Zulassung in Deutschland nicht zu.

Substitution in Deutschland

Für die Substitutionstherapie in Deutschland gibt es umfangreiche Regelungen. In keinem anderen Land der Welt, sind die Vorgaben bei der Behandlung von Suchtkranken so restriktiv. Zunächst einmal gibt es umfassende rechtliche Vorgaben. Dann bedarf es einer speziellen Qualifikation, um Substitution durchführen zu dürfen. Darüber hinaus müssen die Betäubungsmittelvergabeverordnung sowie die Richtlinien der Bundesärztekammer genau befolgt werden. Schließlich müssen alle Patienten, die in eine Substitutionstherapie aufgenommen werden, bei der Bundesopiumstelle angemeldet werden. Eine Erleichterung bietet die neue Konsiliarregelung: Seit dem 2.10.2017 dürfen Schmerztherapeuten gemeinsam mit einem Suchtmediziner bis zu zehn Patienten auch ohne spezielle Qualifikation behandeln. Zudem wurde die Take-Home-Verordnung erweitert um Feiertage, die dem Wochenende vorangehen oder folgen. Ferner wurden zwei neue Gebührenordnungspositionen (GOP) in den EBM aufgenommen. Diese Regelungen sollen den Einstieg in die Substitutionsmedizin erleichtern und Versorgungslücken in der Substitution schließen, indem sie den Erfahrungsaustausch zwischen Suchtmedizinern und Schmerz-therapeuten fördert. Alternativ kann die suchtmedizinische Zusatzqualifikation auch in entsprechenden Lehrgängen erworben werden. Dass hausärztlich betreute Schmerzpatienten durchaus gefährdet sind, arzneimittelabhängig zu werden, zeigt eine aktuelle Untersuchung einer amerikanischen Arbeitsgruppe. In die Studie wurden insgesamt 684 nicht abhängige Schmerzpatienten eingeschlossen. Zu Studienbeginn wurde der behandelnde Arzt nach seiner Einschätzung befragt, in wie weit die von ihm behandelten Patienten hinsichtlich eines Arzneimittelmissbrauchs gefährdet seien: hoch, mittel oder niedrig. 575 Mal schätzten die behandelnden Ärzte das Risiko als niedrig ein, bei 97 Patienten wurde es als mittelgradig und nur in 11 Fällen als hoch eingeschätzt. Anschließend wurde beim ersten Patientenkontakt zur Kontrolle eine Urinuntersuchung durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass 22% der Urine auffällig waren. Insgesamt hatten 6% eine illegale Substanz im Urin. Demgegenüber konnte bei 17% der Patienten die im Rahmen der Therapie verordnete Substanz nicht nachgewiesen werden. Es gibt unterschiedliche Erklärungsmodelle für diese Studienergebnisse, insbesondere für den fehlenden Nachweis des verordneten Schmerzmittels im Urin. Zum einen kann es sein, dass Patienten Urin von jemand anderem abgeben. Auch kommt es vor, dass ein Patient die Verordnung gar nicht für sich benötigt. Für Deutschland gibt es derzeit keine verlässlichen Daten darüber, wie viele Schmerzpatienten missbräuchlich Substanzen oder die verordneten Medikamente gar nicht selbst einnehmen. Die Arbeitsgruppe von Weiss und Kollegen hat zwei verschiedene Beratungsinstrumente verglichen und dazu zwei unterschiedlich lange, hintereinander geschaltete Kurzzeittherapien mit hoch-dosiertem Buprenorphin initiiert. In der ersten Phase erhielten die Patienten 2 Wochen lang Buprenorphin in hoher Dosierung. Anschließend wurde abdosiert und untersucht, wie viele Patienten im follow-up ohne Opiatkonsum waren. Die Patienten mit unauffälligem Urin schieden aus der Studie aus. Die übrigen, rückfälligen Patienten wurden erneut randomisiert und zwölf Wochen lang behandelt und danach abdosiert. Am Ende der Phase 1 hatten lediglich 7,4% Opiat-negativen Urin, das heißt über 90% der Patienten waren rückfällig geworden. Am Ende der Behandlung von Phase 2 war die Hälfte der Probanden zunächst ohne Opiat-Beikonsum. Eine Kontrolluntersuchung 8 Wochen nachdem abdosiert worden war zeigt hingegen, dass wieder über 90% Opiat-positiv waren. Die Studie ist ein Beleg dafür, dass kurze Behandlungskonzepte, beispielsweise eine zweiwöchige Entgiftung, nicht geeignet sind, Abhängigkeit nachhaltig zu behandeln. Diese Ergebnisse dieser Studie an Schmerzmittelabhängigen unterstützt die These, dass unser Wissen aus der Behandlung der Abhängigkeit von illegalen Opiaten sich auf die Gruppe der Schmerzmittelabhängigen übertragen lässt: auch hier wird nur ein langes Behandlungskonzept mit psychosozialer Betreuung, mit psychotherapeutischen Elementen und mit vielen multimodalen Elementen Erfolg versprechen.

Schmerztherapie und suchtmedizinische Behandlungskonzepte

Substitution ist kein neues Konzept sondern vielmehr der Goldstandard in der Suchtmedizin. Die gegenwärtigen restriktiven rechtlichen Rahmenbedingungen erschweren die Behandlung Opiatabhängiger. Eine Lockerung ist derzeit nicht absehbar. Im Vergleich zu den bekannten Vollagonisten ist Buprenorphin aufgrund seines spezifischeren Wirkprofils eine vielversprechende Therapieoption. Die Substitution kann auch für Schmerzmittelabhängige eine geeignete Alternative zur Entgiftung darstellen. Die Wahl der Therapie sollte mit dem Patienten im gemeinsamen Gespräch vor dem Hintergrund der individuellen Situation festgelegt werden. Die enge Zusammenarbeit von Schmerz-medizinern und Suchtmedizinern eröffnet neue Behandlungsoptionen in der Schmerztherapie und gewährleistet geleichzeitig eine hohe Qualität. Erste wissenschaftliche Studien bestätigen das Konzept der langfristigen Behandlung Opiatschmerzmittelabhängiger durch Substitution. Der Substitution wird daher künftig eine größere Bedeutung zukommen. Perspektivisch kann sie ein weiteres Modul des multimodalen Ansatzes werden.